KONGRESS-HIGHLIGHTS vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021 21 - 23. Oktober 2021 - Teva GmbH

 
WEITER LESEN
KONGRESS-HIGHLIGHTS vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021 21 - 23. Oktober 2021 - Teva GmbH
KONGRESS-HIGHLIGHTS
vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021
21. – 23. Oktober 2021
KONGRESS-HIGHLIGHTS vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021 21 - 23. Oktober 2021 - Teva GmbH
Inhalt
Personalisierte Therapiezuweisung: Neuer Ansatz in der psychologischen Schmerztherapie          4

Schlaganfall: Häufige Komorbidität der Migräne                                                  5

Migräne: Versorgungsrealität in Deutschland                                                     6

Real-World-Evidenz zur Migräneprophylaxe mit anti-CGRP-Antikörpern                              8

Auslassversuche von anti-CGRP-Antikörpern: Hinweise auf negative Auswirkungen verdichten sich   9

anti-CGRP-Antikörper: Was bringt ein Switch?                                                    11

Zunehmende Bedeutung patientenberichteter Endpunkte                                             12

Kann Riechtraining Kopfschmerz lindern? – Neuer Ansatz in der Pädiatrie                         13

Patientenedukation: Koaktivierung der Schmerzmatrix vermeiden                                   14

Multimodale Schmerztherapie: wie, wann und für wen?                                             14
KONGRESS-HIGHLIGHTS vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021 21 - 23. Oktober 2021 - Teva GmbH
KONGRESS-HIGHLIGHTS
vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021
21. – 23. Oktober 2021

Vom 21. bis 23. Oktober 2021 fand in Mannheim der Deutsche Schmerzkongress, veranstaltet von
der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes und der Deutschen Migräne- und Kopf-
schmerzgesellschaft, statt. Das Motto: „Wissen schaffen – Wissen leben“. Dabei spielen nicht nur
die direkte Kommunikation zwischen Arzt und Patient eine große Rolle, sondern auch die Chancen
der Digitalisierung. Sie kann sehr viel dazu beitragen, Patienten zu informieren und Therapieer-
gebnisse zu verbessern. Die Schwerpunkte lagen in diesem Jahr auf innovativen Möglichkeiten der
Migräne- und Kopfschmerztherapie im Erwachsenen- und Jugendalter sowie auf den Herausfor-
derungen und Auswirkungen schmerzassoziierter Komorbiditäten.
Personalisierte Therapiezuweisung:
    Neuer Ansatz in der psychologischen Schmerztherapie
    Chronische Schmerzerkrankungen und die psychischen Komor-                        Schmerz-Psychotherapie, und zwar im Sinne einer Personalisierung
    biditäten wie Angst und Depression zählen weltweit zu den am                     der Behandlungszuweisung basierend auf psychologischen Faktoren.
    meisten behindernden Krankheiten[1]. Der Handlungsbedarf in der                  Der perPAIN-Forscherverbund [5] hat verschiedene Therapiemodule
    Schmerztherapie ist groß. „Gerade die Kombination von Schmerz und                und einfache Algorithmen für die phänotypspezifische Zuweisung
    psychischen Komorbiditäten ist das, was die Behandlung erschwert“,               der Patienten zu den einzelnen Psychotherapie-Modulen entwi-
    berichtete Prof. Dr. Jonas Tesarz, Heidelberg. Ein weiteres Problem:             ckelt. Diese sollen dem Arzt im Praxisalltag dabei helfen, Patienten
    Bei chronischen Schmerzen, wie z. B. Rückenschmerzen, lassen sich                mit komorbiden psychischen Störungen und psychobiologischen
    nur selten spezifische Ursachen finden. „Strukturelle Ursachen und               Schmerzdeterminanten bestimmten Clustern zuzuordnen und sie
    autoentzündliche Prozesse sind zwar für viele Schmerzerkrankungen                dann einer für sie passenden Schmerzpsychotherapie zuzuweisen.
    von großer Bedeutung, aber gerade bei bei vielen schweren chroni-                Bisher liegt der Fokus noch auf Patienten mit chronisch muskulä-
    schen Schmerzerkrankungen mit psychischer Komorbidität rücken                    ren Schmerzerkrankungen, wie Rückenschmerzen, Fibromyalgie,
    diese Ursachen in den Hintergrund und zentralnervöse Prozesse nach               Rheumatoide Arthritis und Arthrose, die mit Standardtherapie nicht
    vorn“, so der Experte. Das habe dazu geführt, dass in Ergänzung zum              ausreichend behandelt werden können. Die Phänotypisierung soll
    nozizeptiven und neuropathischen Schmerz der Begriff der „noziplas-              anhand der klinischen Untersuchung einschließlich strukturierter
    tischen Schmerzen“ eingeführt wurde [2]. Darunter fallen Schmerzen,              psychologischer Diagnostik, Bildgebung und alltagsbezogenen
    die nicht primär durch eine Aktivierung von peripheren Nozizeptoren              Untersuchungen erfolgen. Im Rahmen einer randomisierten Pilot-
    oder einer direkten Schädigung des Nervensystems bedingt sind,                   studie wird aktuell untersucht, ob eine personalisierte Zuweisung im
    sondern primär durch neuroplastische Umbauvorgänge im ZNS [2].                   Vergleich zu einer konventionellen, nicht-personalisierten Zuweisung
                                                                                     die Behandlungsergebnisse verbessern kann.
    Suche nach neuen Behandlungsansätzen
    Die Effekte von psychotherapeutischen Verfahren auf Schmerzen all-
    gemein und Funktion sind insgesamt klein bis sehr klein, auch wenn
    einzelne Patienten von bestimmten Interventionen deutlich profitieren
    [3]. „Eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu überwinden, besteht darin,
    die Patienten personalisierter und präziser den einzelnen Therapien
    zuzuweisen“, so Tesarz. Das ist der Grundgedanke einer personalisierten

    Quelle: Symposium SY06 „Personalisierung in der psychologischen Schmerztherapie durch mechanismenbasierte Interventionen und gezielte Therapiezuweisungen“,
    21. Oktober 2021

    Literatur
    [1] GBD 2016 Disease and Injury Incidence and Prevalence Collaborators. Lancet   [5] Bundesministerium für Bildung und Forschung, https://www.gesundheitsfor-
    2017; 390: 1211-1259                                                             schung-bmbf.de/de/perpain-verbesserung-der-behandlungsergebnisse-chro-
    [2] Fitzcharles M-A et al. Lancet 2021; 397: 2098-2110                           nisch-muskuloskelettaler-11548.php, abgerufen am 23.11.2021
    [3] Williams AC et al. Cochrane Database Syst Rev 2020 Aug 12;8(8):CD007407

4
Schlaganfall: Häufige Komorbidität der Migräne
Migräne, insbesondere Migräne mit Aura, geht mit einem erhöhten                Die therapeutischen Konsequenzen sind noch unklar, ebenso wie
Risiko für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse einher [1]. „Migräne        ein möglicher Einfluss einer medikamentösen Migräneprophylaxe
mit Aura ist der wichtigste vaskuläre Risikomarker nach Diabetes               auf das Schlaganfallrisiko. Im Hinblick auf die Beratung der Betrof-
und Rauchen“, so PD Dr. Lars Neeb, Berlin. Der pathophysiologische             fenen gab Neeb zu bedenken, dass es bei Kopfschmerzpatienten
Zusammenhang von Migräne und zerebraler Ischämie ist bisher nur                mit oder ohne Hirnläsionen keinerlei Hinweise auf kognitive Ein-
unvollständig verstanden.                                                      schränkungen gibt [10].
In der MRT-basierten CAMERA-Studie zeigte sich ein erhöhtes Risiko
für klinisch stumme Infarkte bei Migräne, insbesondere in der hin-
teren Strombahn und bei Migräne mit Aura [2]. Die Studiendaten
lassen vermuten, dass das Risiko bei zunehmender Frequenz der
Migräneattacken weiter ansteigt [2]. Bei Frauen wurde eine Asso-
ziation zwischen Läsionen der weißen Substanz (DWML, deep white
matter lesions) und Migräne gefunden [3]. Auch bei Kindern mit
Migräne wurden WML nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass
sich die Läsionen bereits in sehr frühen Stadien der Migräne ent-
wickeln können [4].
Als pathophysiologische Mechanismen für WML bei Migräne kom-
men vaskuläre Dysregulation [5] und verminderte endo­theliale
Scherspannung (ESS) [6] in Betracht. ESS ist die tangentiale Kraft,
die der viskose Blutfluss auf die Endothelzellen ausübt. Eine erhöhte
endotheliale Scherspannung stimuliert die Freisetzung antithrom-
botischer und antiinflammatorischer Substanzen. Es handele sich
somit um einen protektiven Mechanismus, erläuterte der Experte. Bei
Migränepatienten wurde ein im Vergleich zu Kontrollen niedrigerer
ESS nachgewiesen [6]. Dieser war mit einem größeren WML-Volumen
assoziiert [6]. WML ist wiederum ein signifikanter Risikofaktor für das
Auftreten von Schlaganfällen [7]. Zudem zeigen Migränepatienten mit
Aura eine erhöhte Schlaganfall-Vulnerabilität und größere Infarkt-
volumina [8,9].

Quelle: Symposium SY02 „Migräne und Schlaganfall - mögliche Zusammenhänge und Mechanismen“, 21. Oktober 2021

Literatur
[1] Mahmoud AN et al. BMJ Open 2018; 8(3): e020498                             [6] Hoogeveen ES et al. J Cereb Blood Flow Metab 2020; 40: 1040-1047
[2] Kruit MC et al. Brain 2005; 128 (Pt 9): 2068-2077                          [7] Buyck J-F et al. Stroke 2009; 40: 2327-2331
[3] Kruit MC et al. JAMA 2004; 291: 427-434                                    [8] Pezzini A et al. Stroke 2018; 49: 573-578
[4] Eidlitz-Markus T et al. Cephalalgia 2013; 33: 906-913                      [9] De Giuli V et al. J Stroke 2019; 21: 324-331
[5] Lee MJ et al. Neurology 2019; 92: e342-e350                                [10] Kurth T et al. BMJ 2011; 342: c7357

                                                                                                                                                      5
Migräne: Versorgungsrealität in Deutschland
    In Deutschland haben 57,5 % der Frauen und 44,4 % der Männer                      Kopfschmerzgesellschaft, DMKG), Aufbau und Finanzierung struktu-
    mindestens einmal im Jahr Kopfschmerzen. 14,8 % der Frauen und 6,0                rierter Behandlungsangebote, Nutzung strukturierter Coaching-Pro-
    % der Männer erfüllen alle diagnostischen Kriterien für Migräne [1].              gramme für chronische Kopfschmerzen und eine bessere Awareness
    9,1 % der von Migräne Betroffenen leiden unter chronischen Kopf-                  für Kopfschmerzerkrankungen und Migräne in der Bevölkerung
    schmerzen [1]. Die Versorgung sei noch nicht zufriedenstellend, so                könnten dazu beitragen, die Versorgungssituation in Deutschland
    PD Dr. Charly Gaul, Frankfurt. Hauptprobleme sind inkorrekte oder                 zu verbessern.
    verzögerte Diagnosestellung, häufige Arztkonsultationen und unzu-
    reichender Zugang zu einer medikamentösen Migräneprophylaxe
    [2]. Außerdem werde Migräne immer noch als Befindlichkeitsstörung
    angesehen, bemängelte Gaul. Viele Patienten haben Vorbehalte
    gegenüber den Prophylaktika und ihren Nebenwirkungen.

    Gründe für die Abbrüche der Migräneprophylaxe
    Einblicke in die Versorgungslandschaft verschafft eine Zwischen-
    auswertung der FINESSE-Studie [3]. Die Ende 2019 gestartete pro-
    spektive nicht-interventionelle Studie evaluiert die Effektivität des
    monoklonalen anti-CGRP-Antikörpers Fremanezumab im klinischen
    Alltag bei Patienten mit chronischer und episodischer Migräne. Die
    beim DGSS präsentierte Analyse (Datenschnitt: 09.05.2021) eruierte
    bei 654 innerhalb der 10 Jahre vor Studieneintritt prophylaktisch
    vorbehandelten Migränepatienten die Behandlungsdauer und die
    Gründe für das Absetzen der bisherigen Medikamente, sowohl kon-
    ventioneller Prophylaktika als auch anderer anti-CGRP-Antikörper.
    Antidepressiva, Antikonvulsiva und Kalziumantagonisten wurden
    nach median 3 Monaten abgesetzt; Betablocker, Galcanezumab
    und Onabotulinumtoxin A nach 6 Monaten und Erenumab nach 8
    Monaten [3]. Häufigste Gründe für das Absetzen waren mangelnde
    Wirksamkeit und Unverträglichkeit (Abb. 1).
    Eine bessere Edukation von Ärzten und Therapeuten (z. B. durch
    Erwerb des Kopfschmerzzertifikats der Deutschen Migräne und

    Quelle: Symposium „Mehr als nur Kopfschmerzen – Welche Rolle Wohlbefinden & Verhalten bei der Migräneprophylaxe spielen“; 22. Oktober 2021

    Literatur
    [1] Porst M et al. J Health Monitoring 2020; 5 (S6): 1-26
    [2] Müller B et al. J Headache Pain 2020; 21: 49
    [3] Straube A et al. Posterpräsentation DGSS 2021; EP40

6
Abb. 1: FINESSE-Studie: Anteil der Abbrüche früherer (10 Jahre vor Studieneinschluss) prophy­
 laktischer Migränetherapien aufgrund (A) mangelnder Wirksamkeit* und (B) Unverträglichkeit*
 [modifiziert nach: Straube A et al. Posterpräsentation DGSS 2021; EP40]

 A Abbruch wegen mangelnder Wirksamkeit                                                      B     Abbruch wegen Unverträglichkeit

             ErenumabC                                        87% (n=135)                     Antikonvulsiva          44% (n=248)

Onabotulinumtoxin A                                      80% (n=216)                          Antidepressiva        39% (n=219)

            Betablocker                        62% (n=346)                           Kalziumkanalblocker            35% (n=119)

Kalziumkanalblocker                        55% (n=186)                                           Betablocker                   30% (n=166)

        Antidepressiva                    54% (n=301)                                        Galcanezumab                     25% (n=3)

        Galcanezumab                       50% (n=6)                                 Onabotulinumtoxin A               13% (n=35)

         Antikonvulsiva                48% (n=267)                                                ErenumabC           7% (n=10)

                             0%         20%        40%         60%         80%                                 0%       20%       40%

                             Prozentsatz der Abbrüche (%)                                                      Prozentsatz der Abbrüche (%)

* Mehrere Antworten möglich
C
  Beinhaltet Patienten mit nur einer Erenumab-Dosierung sowie mit beiden Dosierungen (70 und 140 mg)

                                                                                                                                              7
Real-World-Evidenz zur Migräneprophylaxe
    mit anti-CGRP-Antikörpern
                                                                                         Eine zunehmend bessere Real-World-Evidenz zeigt, dass anti-CGRP-An-
                                                                                         tikörper auch bei schwer therapierefraktären Migränepatienten und
                                                                                         in besonders komplexen Situationen ähnliche Behandlungserfolge
                                                                                         ermöglichen wie in kontrollierten Studien, berichtete Prof. Dr. Dagny
                                                                                         Holle-Lee, Essen. So zeigte beispielsweise Fremanezumab auch bei
                                                                                         schwer therapierefraktären Patienten mit chronischer Migräne ein
                                                                                         gutes Ansprechen nach 3 Monaten – sowohl hinsichtlich der Reduktion
                                                                                         der monatlichen Kopfschmerz- und Migränetage als auch hinsichtlich
                                                                                         der Lebensqualität (jeweils p
Auslassversuche von anti-CGRP-Antikörpern:
Hinweise auf negative Auswirkungen verdichten sich
Die aktuellen Leitlinien empfehlen, die Migräneprophylaxe nach 6                          ränehäufigkeit in Woche 8 immer noch unter dem Ausgangswert.
bis 12 Monaten zu pausieren [1,2]. Real-World-Daten zu Auslassver-                        Erst in Woche 16 war auch hier kein signifikanter Therapieeffekt
suchen von Antikörpern gegen anti-CGRP oder den anti-CGRP-Re-                             mehr zu erkennen.
zeptor seien aber noch limitiert, berichtete Maria Terhart, Berlin.
Die Ergebnisse einer longitudinalen Kohortenstudie vom Kopf-                              Abkürzungen:
                                                                                          HIT-6, 6-Item Headache Impact Test;
schmerzzentrum der Charité Berlin deuten darauf hin, dass ein
                                                                                          SF-12, 12-Item Short Form Health Survey
„erzwungener“ Auslassversuch für die Mehrzahl der Migränepa-
tienten nicht sinnvoll ist [3]. In die Studie wurden 62 Patienten
(mittleres Alter 50 Jahre) einbezogen; zwei Drittel hatten eine
chronische Migräne. Etwa die Hälfte (n=31) hatte Erenumab, die
andere Hälfte (n=31) Fremanezumab oder Galcanezumab erhalten.
Die Antikörper wurden leitliniengemäß nach ca. 10 Monaten der
Therapie abgesetzt. Nach der letzten Gabe der Antikörper wurden
die Patienten für 16 Wochen nachverfolgt.

Rascher Wiederanstieg der Migränefrequenz
Während der Behandlung sank die Zahl der monatlichen Migräne-
tage von etwa 13,3 auf 8,2 Tage. Nach dem Auslassversuch nahm die
Migränefrequenz wieder zu (Abb. 2). Acht Wochen nach der letzten
Gabe wurden in der Gesamtkohorte 10,3 monatliche Migränetage
dokumentiert, eine statistisch signifikante Zunahme im Vergleich
zur letzten Gabe, aber immer noch unterhalb des Baseline-Werts. In
Woche 16 nach der letzten Gabe war die Migränehäufigkeit wieder
auf 12,5 Tage pro Monat angestiegen und unterschied sich damit
nicht mehr signifikant vom Ausgangswert vor Therapiebeginn. Pati-
enten, die den anti-CGRP-Rezeptor-Antikörper Erenumab erhalten
hatten, verschlechterten sich nach dem Absetzen. Bereits in Woche
8 nach der letzten Gabe konnte kein signifikanter Unterschied zu
den Werten vor Therapiebeginn festgestellt werden. Bei den mit
einem Liganden-Antikörper behandelten Patienten lag die Mig-

Quelle: Top Young Science Symposium, 23. Oktober 2021
Literatur
[1] Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-          [2] Sacco et al. The Journal of Headache and Pain (2019) 20:6
Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diag-   [3] Raffaelli B et al. Cephalalgia 2021; Sep 27:3331024211046617
nostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen
am 08.11.2021)

                                                                                                                                                             9
Auslassversuche von anti-CGRP-Antikörpern:
     Hinweise auf negative Auswirkungen verdichten sich

           Abb. 2: Zunahme der monatlichen Migränetage nach dem Absetzen von anti-CGRP- und
           anti-CGRP-Rezeptor-Antikörpern in der Gesamtkohorte (links), der anti-CGRP-Rezeptor-
           Subgruppe (Mitte) und der Liganden-Subgruppe (rechts)
           [modifiziert nach: Raffaelli B et al. Cephalalgia 2021; Sep 27:333102421106617]

                       18

                       16
                                                     *                                         *                                         *
                       14
                                                 *                                         *
      Tage pro Monat

                       12
                                                     •
                       10
                                             •                                         •                                                 •
                       8                                                                                                            •

                       6

                       4

                       2

                       0
                                               Alle                              Rezeptor-Gruppe                             Liganden-Gruppe
                                           Vor Therapie                            Letzte Gabe
                            Vor Therapie                         Letzte Gabe
                            8 Wochen nach letzter Gabe           16 Wochen nach letzter Gabe

                        Werte dargestellt als Mittelwerte ± Standardfehler. • signifikant vs. Werte vor Therapie. * signifikant vs. V1
                        V1: Visite 1, letzte Gabe der Antikörper

10
                        Kopfschmerztage                  Migränetage      Tage mit Akutmedikation
anti-CGRP-Antikörper: Was bringt ein Switch?
Bisher gibt es wenig Evidenz zur Häufigkeit und Wirksamkeit eines                     nach Galcanezumab haben sich 5 von 26 Patienten verbessert.
Wechsels innerhalb der monoklonalen anti-CGRP-Antikörper. Dr.                         Insgesamt war ein Wechsel von Erenumab auf einen der beiden
Andreas Peikert, Bremen, stellte Daten aus dem Kopfschmerz- und                       Liganden-Antikörper in 27,8 % der Fälle erfolgreich. Aber auch ein
Migräneregister des Ärztenetzwerks NeuroTransData (NTD) vor.                          Switch innerhalb der Liganden-Antikörper ermöglichte einzelnen
Von den am 26.08.2021 erfassten 5612 Migränepatienten erhielten                       Patienten ein verbessertes Ansprechen.
642 Patienten (11,4 %) mindestens einen anti-CGRP-Antikörper                          Dennoch riet Peikert zur Vorsicht. „Nicht alle Patienten profitierten
(Erenumab: n=477, Fremanezumab: n=118; Galcanezumab: n=47).                           von dem Wechsel. Bei Teilrespondern und Respondern waren Ver-
Nahezu jeder 5. dieser Patienten (18,7 %) wurde auf einen zweiten                     schlechterungen der Migräne durch den Wechsel nicht selten.“ Ein
und 4,5 % auf einen dritten Antikörper umgestellt. Mit der Zahl der                   Wechsel müsse daher wohl bedacht sein.
Switches nahm die Therapiedauer mit dem jeweiligen Antikörper
ab. Drei Monate nach dem Switch wurde die Wirksamkeit ermittelt
und die Patienten in drei Response-Kategorien eingeteilt: Non-Res-
ponder (Reduktion der monatlichen Kopfschmerztage um < 30 %),
Teilresponder (30–50 %) und Responder (≥ 50 %).

Wenige Switches, mäßige Erfolgsrate
Antikörperwechsel wurden in den neurologischen Praxen eher selten
durchgeführt. Der Erfolg war moderat. Die meisten geswitchten
Patienten (24,5 %) kamen aus der Kategorie der Non-Responder,
72 % von ihnen blieben in der Kategorie, immerhin 21 % wurden
Responder, 7 % Teilresponder. „Am häufigsten wurde von Erenu-
mab auf Fremanezumab umgestellt“, so Peikert. Ein Drittel dieser
Patienten (15 von 46) habe sich danach um mindestens eine Res-
ponse-Kategorie verbessert. Nach einem Switch von Erenumab

Quelle: Sitzung der Einzelvorträge „Switching zwischen CGRP-(Rezeptor)-Antikörpern in der neurologischen Praxis: Muster, Verlauf, Wirksamkeit“, 23. Oktober 2021

                                                                                                                                                                   11
Zunehmende Bedeutung
                                                                                       patientenberichteter Endpunkte
                                                                                       Der Erfolg einer Migräneprophylaxe beruht nicht nur auf einer Reduktion
                                                                                       der Kopfschmerztage, sondern darüber hinaus auf der Verbesserung
                                                                                       patientenberichteter Endpunkte (Patient-Reported Outcomes, PROs)
                                                                                       wie Wohlbefinden, Funktionalität und Produktivität, so Dr. Charlotte
                                                                                       von Kageneck, Freiburg. Sie plädierte dafür, spezifische Fragebögen wie
                                                                                       den Lebensqualitätsfragebogen MSQoL v2.1 (Migraine-Specific Quality
                                                                                       of Life Questionnaire Version 2.1) oder den Produktivitätsfragebogen
                                                                                       WPAI:GH (Work Productivity and Activity Impairment Questionnaire
                                                                                       – General Health) einzusetzen, um patientenberichtete Endpunkte zu
                                                                                       erfassen und ihre Veränderungen zu monitorieren. Der migränespezifi-
                                                                                       sche Fragebogen MSQoL v2.1 umfasst 14 Fragen aus den drei Domänen
                                                                                       „eingeschränkte Aktivitäten“, „verhinderte Aktivitäten“ und „emotionale
                                                                                       Belastung“ durch Migräne [1]. Der WPAI:GH gibt mit 6 einfachen Fragen
                                                                                       Hinweise auf die Arbeitsproduktivität insgesamt, zum Präsentismus
                                                                                       (Beeinträchtigung während der Arbeit), zum Absentismus (versäumte
                                                                                       Arbeitszeit) und zu Beeinträchtigungen der allgemeinen Aktivität [2].
                                                                                       Anti-CGRP-Antikörper bieten laut Charlotte von Kageneck eine effektive
                                                                                       Möglichkeit zur Verbesserung der PROs. Gut belegt sei die Wirksamkeit
                                                                                       von Fremanezumab. Neben einer Reduktion der monatlichen Migräne-
                                                                                       und Kopfschmerztage, auch bei Migränepatienten mit Medikamen-
                                                                                       tenübergebrauch [3], spiegele sich der Nutzen von Fremanezumab in
                                                                                       einer Reduktion der Dauer und Schwere der Migräneattacken [4], einer
                                                                                       Verbesserung der Lebensqualität und einer Steigerung der Arbeits-
                                                                                       produktivität wider – auch bei Migränepatienten nach erfolgloser
                                                                                       prophylaktischer Vorbehandlung mit zwei bis vier Medikamenten
                                                                                       unterschiedlicher Wirkstoffklassen [5,6]. Darüber hinaus konnte auf
                                                                                       belastende Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Photophobie
                                                                                       und Phonophonie ein günstiger Einfluss nachgewiesen werden [7].

     Quellen: Symposium „Mehr als nur Kopfschmerzen – Welche Rolle Wohlbefinden & Verhalten bei der Migräneprophylaxe spielen“; 22. Oktober 2021

     Literatur                                                                        [4] Ashina M et al. Headache 2021; 61: 916-926
     [1] Jhingran P et al. Pharmacoeconomics 1998; 13: 707-717                        [5] Lipton RB et al. Neurology 2020; 95: e878-e888
     [2] Reilly MC et al. Pharmacoeconomics 1993; 4: 353-365                          [6] Spierings ELH et al. Headache 2021; 61: 1376-1386
     [3] Silberstein SD et al. J Headache Pain 2020; 21: 114                          [7] Brandes JL et al. Cephalalgia 2020; 40: 470-477

12
Kann Riechtraining Kopfschmerz lindern? –
     Neuer Ansatz in der Pädiatrie
     Kopfschmerzen sind auch im Kindes- und Jugendalter häufig. „30 %                Das dreimonatige Riechtraining bewirkte laut Höfer eine Desensibilisie-
     der Kinder und Jugendlichen haben zwei oder mehr Kopfschmerztage                rung: In der Verumgruppe nahm die Schmerzempfindlichkeit gegenüber
     im Monat“, so Berit Höfer, Dresden. Von diesen haben 7 % sogar ≥ 15             dem Ausgangswert deutlich ab, in der Placebogruppe dagegen zu, mit
     Kopfschmerztage im Monat [1]. Vor dem Hintergrund der eingeschränk-             signifikanten Unterschieden zwischen der Trainings- und Placebogruppe
     ten Therapieoptionen spielen unkomplizierte, nebenwirkungsarme                  (p
Patientenedukation: Koaktivierung Multimodale Schmerztherapie:
     der Schmerzmatrix vermeiden       wie, wann und für wen?
     In der interdisziplinären Versorgung chronischer Schmerzerkrankungen                                   Chronische Schmerzen und Migräne lassen sich bei vielen Patien-
     gehört Edukation zu den etablierten und leitlinienkonformen Kompo-                                     ten nur durch eine komplexe multimodale Therapie mit medika-
     nenten. Prof. Dr. Thomas Weiß, Jena, berichtete über Wechselwirkungen                                  mentösen, nicht-medikamentösen und psychotherapeutischen
     zwischen schmerzbezogener Sprache und Schmerzwahrnehmung.                                              Verfahren erfolgreich unter Kontrolle bringen, berichtete Prof. Dr.
     Mittels funktioneller Bildgebung (fMRT) haben Weiß und Mitarbei-                                       Hartmut Göbel, Kiel. „Multimodale Behandlung von chronischen
     ter nachgewiesen, dass schmerzassoziierte Worte (z.B. brennend,                                        Kopfschmerzpatienten ist evidenzbasiert. Sie bezieht fachüber-
     quälend, zermürbend) im Vergleich zu anderen negativ besetzten                                         greifend alle wirksamen zeitgemäßen Therapieoptionen ein und
     Worten (z.B. angsteinflößend, widerlich, ekelig) zu einer Aktivierung                                  berücksichtigt die aktuellen Erkenntnisse zur Pathogenese von
     des anterioren Cingulums, der Insula, des präfrontalen und primär                                      Kopfschmerzen.“ Seit 2005 ist die multimodale Schmerztherapie
     somatosensorischen Cortex führen [1]. Bei neutralen Worten ließen sich                                 im DRG-Katalog aufgenommen und kann zu Lasten der Kranken-
     keine vergleichbaren Aktivitätsmuster feststellen. Wenn unmittelbar                                    versicherung abgerechnet werden [5]. Bestimmte Mindestmerk-
     nach den verbalen Reizen ein realer Schmerzreiz appliziert wurde,                                      male müssen ex ante nachgewiesen werden. Eines der wichtigsten
     konnte eine noch stärkere Aktivierung der Schmerzmatrix im fMRT                                        Kriterien ist eine manifeste oder drohende Beeinträchtigung der
     beobachtet werden. Derselbe nozizeptive Stimulus wurde jetzt von                                       Lebensqualität und/oder der Arbeitsfähigkeit. Diese Anforderun-
     den Probanden als schmerzhafter wahrgenommen [2].                                                      gen an die Schmerzdiagnostik zeigen laut Göbel, dass es bei der
     „Die Bedeutungsinhalte der Sprache können also die Schmerzmatrix                                       Migräne nicht reicht, Kopfschmerztage zu zählen, sondern auch die
     aktivieren und die Schmerzwahrnehmung robust beeinflussen“,                                            Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit zu erfassen. „Dazu brauchen
     erläuterte Weiß. „Schmerzbezogene Sprache ist also ein Kontext-                                        wir feste Diagnoseinstrumente, Fragebögen und psychometrische
     faktor, der bei chronischen Schmerzpatienten Schmerz unterhalten                                       Messungen.“ Zu den weiteren diagnostischen Merkmalen gehören
     kann.“ Daher sei es im Umgang mit Schmerz- und Migränepatien-                                          eine zuvor gescheiterte unimodale Therapie, Medikamentenab-
     ten essenziell, auf den Einfluss der Sprache zu achten und in der                                      hängigkeit oder -fehlgebrauch, schmerzunterhaltende psychische
     Kommunikation und Edukation von Schmerzpatienten sowie in der                                          und gravierende somatische Begleiterkrankungen.
     Kontrolle des Therapieansprechens bewusst einzusetzen [3]. Die
     verstärkte Aktivierung des schmerzverarbeitenden Systems sei nicht                                     Koordinierte ambulante und stationäre Versorgung
     nur auf das Wording beschränkt. Auch andere Kontextvariablen und                                       An der multimodalen Schmerztherapie sind Ärzte unterschiedlicher
     Umgebungsstimuli, wie der weiße Kittel oder olfaktorische Reize,                                       Fachgruppen, wie Psychologen, Sport- und Physiotherapeuten
     können Erwartungshaltungen erzeugen und die Perzeption von                                             sowie spezialisierte Pflegekräfte, involviert. Entscheidend für
     Schmerz modulieren [4]. Nach einer sinnvollen Diagnostik, in der die                                   den Erfolg sind eine sorgfältige Planung, die Abstimmung der
     bewusste Verwendung schmerzassoziierter Worte unvermeidbar ist,                                        verschiedenen Therapieverfahren auf die Bedürfnisse des Patien-
     sollte im Verlauf der Behandlung das Wohlbefinden erfragt werden,                                      ten und eine gute Koordination. Als Beispiel für eine koordinierte
     riet Weiß. „Versuchen Sie, weniger nach Veränderungen der Schmer-                                      ambulante und stationäre Versorgung stellte Göbel das Kon-
     zen zu fragen und mehr nach Verbesserungen des Wohlbefindens.“                                         zept der Schmerzklinik Kiel vor. Es besteht aus drei Phasen (Abb.

     Quelle: Symposium SY07 “Inhalte, Effektivität und Wirkmechanismen von Edukation
     bei Rückenschmerzen und Migräne“, 21. Oktober 2021
     [1] Richter M et al. Pain 2010; 148: 198-205; [2] Ritter A et al. Brain Behav 2019; 9: e01377
     [3] Seeger D. Der Schmerzpatient 2018; 1: 182-187; [4] Benedetti F. Physiol Rev 2013; 93: 1207-1246;
     [5] Fallpauschalen-Katalog 2021, InEK GmbH – Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus |
         2007-2021, https://www.g-drg.de/, abgerufen am 19.11.2021

14
3): In der ersten ambulanten Phase stellt ein niedergelassener                    eine multimodale Schmerztherapie nach OPS 8-918 erfolgen,
Schmerztherapeut die Diagnose, wählt den Behandlungspfad und                      sektoren- und fachübergreifend. Phase III ist eine Nachsorgephase,
führt eine ambulante Schmerztherapie durch. In Phase II kann                      die ein Monitoring und eine Erfolgskontrolle vor Ort vorsieht.

  Welche Kopfschmerzformen erfordern eine multimodale Schmerztherapie? [1]
  • Therapieresistente Kopfschmerzen mit schwerem Leidensdruck
  • Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch
  • Schwere Clusterkopfschmerzen, Trigemino-autonome Kopfschmerzen
  • Atypische Kopfschmerzphänotypen
  • Hoch- und Unterdruckkopfschmerzen
  • Trigeminus- und andere kraniale Neuralgien
  • Kopfschmerzen mit schwerer psychischer und physischer Komorbidität
  • Spezifische diagnostische Probleme
  • Bewertung vor neurochirurgischen Eingriffen

  Abb. 3: Multimodale Schmerztherapie am Beispiel der Schmerzklinik Kiel: Koordinierte ambulante
  und stationäre Versorgung [1]

                       Phase I                                              Phase II                                             Phase II

         Regionale Behandlung vor Ort                             Vollstationär OPS 8-918                                 Monitoring vor Ort

            Spezialisierte Diagnostik                                     Multimodal                               Verlaufs- und Erfolgskontrolle

            Professionelles Screening                              Sektorenübergreifend                          Adaption, Information, Edukation

          Selektion Behandlungspfade                                  Fachübergreifend                                  E-Health, Telemedizin

           Spezielle Schmerztherapie                      Neurologisch-verhaltensmedizinisch                                   Assessment

Quelle: Symposium „Mehr als nur Kopfschmerzen – Welche Rolle Wohlbefinden & Verhalten bei der Migräneprophylaxe spielen“; 22. Oktober 2021
[1] präsentiert von Prof. Dr. Göbel am 22.10.2021
AJO-DE-00749
                                                                    349 282
                                                    Uncoated CMYK
Teva GmbH • Graf-Arco-Str. 3 • 89079 Ulm, Germany
Sie können auch lesen