KONGRESS-HIGHLIGHTS vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021 21 - 23. Oktober 2021 - Teva GmbH
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhalt Personalisierte Therapiezuweisung: Neuer Ansatz in der psychologischen Schmerztherapie 4 Schlaganfall: Häufige Komorbidität der Migräne 5 Migräne: Versorgungsrealität in Deutschland 6 Real-World-Evidenz zur Migräneprophylaxe mit anti-CGRP-Antikörpern 8 Auslassversuche von anti-CGRP-Antikörpern: Hinweise auf negative Auswirkungen verdichten sich 9 anti-CGRP-Antikörper: Was bringt ein Switch? 11 Zunehmende Bedeutung patientenberichteter Endpunkte 12 Kann Riechtraining Kopfschmerz lindern? – Neuer Ansatz in der Pädiatrie 13 Patientenedukation: Koaktivierung der Schmerzmatrix vermeiden 14 Multimodale Schmerztherapie: wie, wann und für wen? 14
KONGRESS-HIGHLIGHTS vom Deutschen Schmerzkongress (DGSS) 2021 21. – 23. Oktober 2021 Vom 21. bis 23. Oktober 2021 fand in Mannheim der Deutsche Schmerzkongress, veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes und der Deutschen Migräne- und Kopf- schmerzgesellschaft, statt. Das Motto: „Wissen schaffen – Wissen leben“. Dabei spielen nicht nur die direkte Kommunikation zwischen Arzt und Patient eine große Rolle, sondern auch die Chancen der Digitalisierung. Sie kann sehr viel dazu beitragen, Patienten zu informieren und Therapieer- gebnisse zu verbessern. Die Schwerpunkte lagen in diesem Jahr auf innovativen Möglichkeiten der Migräne- und Kopfschmerztherapie im Erwachsenen- und Jugendalter sowie auf den Herausfor- derungen und Auswirkungen schmerzassoziierter Komorbiditäten.
Personalisierte Therapiezuweisung: Neuer Ansatz in der psychologischen Schmerztherapie Chronische Schmerzerkrankungen und die psychischen Komor- Schmerz-Psychotherapie, und zwar im Sinne einer Personalisierung biditäten wie Angst und Depression zählen weltweit zu den am der Behandlungszuweisung basierend auf psychologischen Faktoren. meisten behindernden Krankheiten[1]. Der Handlungsbedarf in der Der perPAIN-Forscherverbund [5] hat verschiedene Therapiemodule Schmerztherapie ist groß. „Gerade die Kombination von Schmerz und und einfache Algorithmen für die phänotypspezifische Zuweisung psychischen Komorbiditäten ist das, was die Behandlung erschwert“, der Patienten zu den einzelnen Psychotherapie-Modulen entwi- berichtete Prof. Dr. Jonas Tesarz, Heidelberg. Ein weiteres Problem: ckelt. Diese sollen dem Arzt im Praxisalltag dabei helfen, Patienten Bei chronischen Schmerzen, wie z. B. Rückenschmerzen, lassen sich mit komorbiden psychischen Störungen und psychobiologischen nur selten spezifische Ursachen finden. „Strukturelle Ursachen und Schmerzdeterminanten bestimmten Clustern zuzuordnen und sie autoentzündliche Prozesse sind zwar für viele Schmerzerkrankungen dann einer für sie passenden Schmerzpsychotherapie zuzuweisen. von großer Bedeutung, aber gerade bei bei vielen schweren chroni- Bisher liegt der Fokus noch auf Patienten mit chronisch muskulä- schen Schmerzerkrankungen mit psychischer Komorbidität rücken ren Schmerzerkrankungen, wie Rückenschmerzen, Fibromyalgie, diese Ursachen in den Hintergrund und zentralnervöse Prozesse nach Rheumatoide Arthritis und Arthrose, die mit Standardtherapie nicht vorn“, so der Experte. Das habe dazu geführt, dass in Ergänzung zum ausreichend behandelt werden können. Die Phänotypisierung soll nozizeptiven und neuropathischen Schmerz der Begriff der „noziplas- anhand der klinischen Untersuchung einschließlich strukturierter tischen Schmerzen“ eingeführt wurde [2]. Darunter fallen Schmerzen, psychologischer Diagnostik, Bildgebung und alltagsbezogenen die nicht primär durch eine Aktivierung von peripheren Nozizeptoren Untersuchungen erfolgen. Im Rahmen einer randomisierten Pilot- oder einer direkten Schädigung des Nervensystems bedingt sind, studie wird aktuell untersucht, ob eine personalisierte Zuweisung im sondern primär durch neuroplastische Umbauvorgänge im ZNS [2]. Vergleich zu einer konventionellen, nicht-personalisierten Zuweisung die Behandlungsergebnisse verbessern kann. Suche nach neuen Behandlungsansätzen Die Effekte von psychotherapeutischen Verfahren auf Schmerzen all- gemein und Funktion sind insgesamt klein bis sehr klein, auch wenn einzelne Patienten von bestimmten Interventionen deutlich profitieren [3]. „Eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu überwinden, besteht darin, die Patienten personalisierter und präziser den einzelnen Therapien zuzuweisen“, so Tesarz. Das ist der Grundgedanke einer personalisierten Quelle: Symposium SY06 „Personalisierung in der psychologischen Schmerztherapie durch mechanismenbasierte Interventionen und gezielte Therapiezuweisungen“, 21. Oktober 2021 Literatur [1] GBD 2016 Disease and Injury Incidence and Prevalence Collaborators. Lancet [5] Bundesministerium für Bildung und Forschung, https://www.gesundheitsfor- 2017; 390: 1211-1259 schung-bmbf.de/de/perpain-verbesserung-der-behandlungsergebnisse-chro- [2] Fitzcharles M-A et al. Lancet 2021; 397: 2098-2110 nisch-muskuloskelettaler-11548.php, abgerufen am 23.11.2021 [3] Williams AC et al. Cochrane Database Syst Rev 2020 Aug 12;8(8):CD007407 4
Schlaganfall: Häufige Komorbidität der Migräne Migräne, insbesondere Migräne mit Aura, geht mit einem erhöhten Die therapeutischen Konsequenzen sind noch unklar, ebenso wie Risiko für kardio- und zerebrovaskuläre Ereignisse einher [1]. „Migräne ein möglicher Einfluss einer medikamentösen Migräneprophylaxe mit Aura ist der wichtigste vaskuläre Risikomarker nach Diabetes auf das Schlaganfallrisiko. Im Hinblick auf die Beratung der Betrof- und Rauchen“, so PD Dr. Lars Neeb, Berlin. Der pathophysiologische fenen gab Neeb zu bedenken, dass es bei Kopfschmerzpatienten Zusammenhang von Migräne und zerebraler Ischämie ist bisher nur mit oder ohne Hirnläsionen keinerlei Hinweise auf kognitive Ein- unvollständig verstanden. schränkungen gibt [10]. In der MRT-basierten CAMERA-Studie zeigte sich ein erhöhtes Risiko für klinisch stumme Infarkte bei Migräne, insbesondere in der hin- teren Strombahn und bei Migräne mit Aura [2]. Die Studiendaten lassen vermuten, dass das Risiko bei zunehmender Frequenz der Migräneattacken weiter ansteigt [2]. Bei Frauen wurde eine Asso- ziation zwischen Läsionen der weißen Substanz (DWML, deep white matter lesions) und Migräne gefunden [3]. Auch bei Kindern mit Migräne wurden WML nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass sich die Läsionen bereits in sehr frühen Stadien der Migräne ent- wickeln können [4]. Als pathophysiologische Mechanismen für WML bei Migräne kom- men vaskuläre Dysregulation [5] und verminderte endotheliale Scherspannung (ESS) [6] in Betracht. ESS ist die tangentiale Kraft, die der viskose Blutfluss auf die Endothelzellen ausübt. Eine erhöhte endotheliale Scherspannung stimuliert die Freisetzung antithrom- botischer und antiinflammatorischer Substanzen. Es handele sich somit um einen protektiven Mechanismus, erläuterte der Experte. Bei Migränepatienten wurde ein im Vergleich zu Kontrollen niedrigerer ESS nachgewiesen [6]. Dieser war mit einem größeren WML-Volumen assoziiert [6]. WML ist wiederum ein signifikanter Risikofaktor für das Auftreten von Schlaganfällen [7]. Zudem zeigen Migränepatienten mit Aura eine erhöhte Schlaganfall-Vulnerabilität und größere Infarkt- volumina [8,9]. Quelle: Symposium SY02 „Migräne und Schlaganfall - mögliche Zusammenhänge und Mechanismen“, 21. Oktober 2021 Literatur [1] Mahmoud AN et al. BMJ Open 2018; 8(3): e020498 [6] Hoogeveen ES et al. J Cereb Blood Flow Metab 2020; 40: 1040-1047 [2] Kruit MC et al. Brain 2005; 128 (Pt 9): 2068-2077 [7] Buyck J-F et al. Stroke 2009; 40: 2327-2331 [3] Kruit MC et al. JAMA 2004; 291: 427-434 [8] Pezzini A et al. Stroke 2018; 49: 573-578 [4] Eidlitz-Markus T et al. Cephalalgia 2013; 33: 906-913 [9] De Giuli V et al. J Stroke 2019; 21: 324-331 [5] Lee MJ et al. Neurology 2019; 92: e342-e350 [10] Kurth T et al. BMJ 2011; 342: c7357 5
Migräne: Versorgungsrealität in Deutschland In Deutschland haben 57,5 % der Frauen und 44,4 % der Männer Kopfschmerzgesellschaft, DMKG), Aufbau und Finanzierung struktu- mindestens einmal im Jahr Kopfschmerzen. 14,8 % der Frauen und 6,0 rierter Behandlungsangebote, Nutzung strukturierter Coaching-Pro- % der Männer erfüllen alle diagnostischen Kriterien für Migräne [1]. gramme für chronische Kopfschmerzen und eine bessere Awareness 9,1 % der von Migräne Betroffenen leiden unter chronischen Kopf- für Kopfschmerzerkrankungen und Migräne in der Bevölkerung schmerzen [1]. Die Versorgung sei noch nicht zufriedenstellend, so könnten dazu beitragen, die Versorgungssituation in Deutschland PD Dr. Charly Gaul, Frankfurt. Hauptprobleme sind inkorrekte oder zu verbessern. verzögerte Diagnosestellung, häufige Arztkonsultationen und unzu- reichender Zugang zu einer medikamentösen Migräneprophylaxe [2]. Außerdem werde Migräne immer noch als Befindlichkeitsstörung angesehen, bemängelte Gaul. Viele Patienten haben Vorbehalte gegenüber den Prophylaktika und ihren Nebenwirkungen. Gründe für die Abbrüche der Migräneprophylaxe Einblicke in die Versorgungslandschaft verschafft eine Zwischen- auswertung der FINESSE-Studie [3]. Die Ende 2019 gestartete pro- spektive nicht-interventionelle Studie evaluiert die Effektivität des monoklonalen anti-CGRP-Antikörpers Fremanezumab im klinischen Alltag bei Patienten mit chronischer und episodischer Migräne. Die beim DGSS präsentierte Analyse (Datenschnitt: 09.05.2021) eruierte bei 654 innerhalb der 10 Jahre vor Studieneintritt prophylaktisch vorbehandelten Migränepatienten die Behandlungsdauer und die Gründe für das Absetzen der bisherigen Medikamente, sowohl kon- ventioneller Prophylaktika als auch anderer anti-CGRP-Antikörper. Antidepressiva, Antikonvulsiva und Kalziumantagonisten wurden nach median 3 Monaten abgesetzt; Betablocker, Galcanezumab und Onabotulinumtoxin A nach 6 Monaten und Erenumab nach 8 Monaten [3]. Häufigste Gründe für das Absetzen waren mangelnde Wirksamkeit und Unverträglichkeit (Abb. 1). Eine bessere Edukation von Ärzten und Therapeuten (z. B. durch Erwerb des Kopfschmerzzertifikats der Deutschen Migräne und Quelle: Symposium „Mehr als nur Kopfschmerzen – Welche Rolle Wohlbefinden & Verhalten bei der Migräneprophylaxe spielen“; 22. Oktober 2021 Literatur [1] Porst M et al. J Health Monitoring 2020; 5 (S6): 1-26 [2] Müller B et al. J Headache Pain 2020; 21: 49 [3] Straube A et al. Posterpräsentation DGSS 2021; EP40 6
Abb. 1: FINESSE-Studie: Anteil der Abbrüche früherer (10 Jahre vor Studieneinschluss) prophy laktischer Migränetherapien aufgrund (A) mangelnder Wirksamkeit* und (B) Unverträglichkeit* [modifiziert nach: Straube A et al. Posterpräsentation DGSS 2021; EP40] A Abbruch wegen mangelnder Wirksamkeit B Abbruch wegen Unverträglichkeit ErenumabC 87% (n=135) Antikonvulsiva 44% (n=248) Onabotulinumtoxin A 80% (n=216) Antidepressiva 39% (n=219) Betablocker 62% (n=346) Kalziumkanalblocker 35% (n=119) Kalziumkanalblocker 55% (n=186) Betablocker 30% (n=166) Antidepressiva 54% (n=301) Galcanezumab 25% (n=3) Galcanezumab 50% (n=6) Onabotulinumtoxin A 13% (n=35) Antikonvulsiva 48% (n=267) ErenumabC 7% (n=10) 0% 20% 40% 60% 80% 0% 20% 40% Prozentsatz der Abbrüche (%) Prozentsatz der Abbrüche (%) * Mehrere Antworten möglich C Beinhaltet Patienten mit nur einer Erenumab-Dosierung sowie mit beiden Dosierungen (70 und 140 mg) 7
Real-World-Evidenz zur Migräneprophylaxe mit anti-CGRP-Antikörpern Eine zunehmend bessere Real-World-Evidenz zeigt, dass anti-CGRP-An- tikörper auch bei schwer therapierefraktären Migränepatienten und in besonders komplexen Situationen ähnliche Behandlungserfolge ermöglichen wie in kontrollierten Studien, berichtete Prof. Dr. Dagny Holle-Lee, Essen. So zeigte beispielsweise Fremanezumab auch bei schwer therapierefraktären Patienten mit chronischer Migräne ein gutes Ansprechen nach 3 Monaten – sowohl hinsichtlich der Reduktion der monatlichen Kopfschmerz- und Migränetage als auch hinsichtlich der Lebensqualität (jeweils p
Auslassversuche von anti-CGRP-Antikörpern: Hinweise auf negative Auswirkungen verdichten sich Die aktuellen Leitlinien empfehlen, die Migräneprophylaxe nach 6 ränehäufigkeit in Woche 8 immer noch unter dem Ausgangswert. bis 12 Monaten zu pausieren [1,2]. Real-World-Daten zu Auslassver- Erst in Woche 16 war auch hier kein signifikanter Therapieeffekt suchen von Antikörpern gegen anti-CGRP oder den anti-CGRP-Re- mehr zu erkennen. zeptor seien aber noch limitiert, berichtete Maria Terhart, Berlin. Die Ergebnisse einer longitudinalen Kohortenstudie vom Kopf- Abkürzungen: HIT-6, 6-Item Headache Impact Test; schmerzzentrum der Charité Berlin deuten darauf hin, dass ein SF-12, 12-Item Short Form Health Survey „erzwungener“ Auslassversuch für die Mehrzahl der Migränepa- tienten nicht sinnvoll ist [3]. In die Studie wurden 62 Patienten (mittleres Alter 50 Jahre) einbezogen; zwei Drittel hatten eine chronische Migräne. Etwa die Hälfte (n=31) hatte Erenumab, die andere Hälfte (n=31) Fremanezumab oder Galcanezumab erhalten. Die Antikörper wurden leitliniengemäß nach ca. 10 Monaten der Therapie abgesetzt. Nach der letzten Gabe der Antikörper wurden die Patienten für 16 Wochen nachverfolgt. Rascher Wiederanstieg der Migränefrequenz Während der Behandlung sank die Zahl der monatlichen Migräne- tage von etwa 13,3 auf 8,2 Tage. Nach dem Auslassversuch nahm die Migränefrequenz wieder zu (Abb. 2). Acht Wochen nach der letzten Gabe wurden in der Gesamtkohorte 10,3 monatliche Migränetage dokumentiert, eine statistisch signifikante Zunahme im Vergleich zur letzten Gabe, aber immer noch unterhalb des Baseline-Werts. In Woche 16 nach der letzten Gabe war die Migränehäufigkeit wieder auf 12,5 Tage pro Monat angestiegen und unterschied sich damit nicht mehr signifikant vom Ausgangswert vor Therapiebeginn. Pati- enten, die den anti-CGRP-Rezeptor-Antikörper Erenumab erhalten hatten, verschlechterten sich nach dem Absetzen. Bereits in Woche 8 nach der letzten Gabe konnte kein signifikanter Unterschied zu den Werten vor Therapiebeginn festgestellt werden. Bei den mit einem Liganden-Antikörper behandelten Patienten lag die Mig- Quelle: Top Young Science Symposium, 23. Oktober 2021 Literatur [1] Diener HC et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1- [2] Sacco et al. The Journal of Headache and Pain (2019) 20:6 Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diag- [3] Raffaelli B et al. Cephalalgia 2021; Sep 27:3331024211046617 nostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 08.11.2021) 9
Auslassversuche von anti-CGRP-Antikörpern: Hinweise auf negative Auswirkungen verdichten sich Abb. 2: Zunahme der monatlichen Migränetage nach dem Absetzen von anti-CGRP- und anti-CGRP-Rezeptor-Antikörpern in der Gesamtkohorte (links), der anti-CGRP-Rezeptor- Subgruppe (Mitte) und der Liganden-Subgruppe (rechts) [modifiziert nach: Raffaelli B et al. Cephalalgia 2021; Sep 27:333102421106617] 18 16 * * * 14 * * Tage pro Monat 12 • 10 • • • 8 • 6 4 2 0 Alle Rezeptor-Gruppe Liganden-Gruppe Vor Therapie Letzte Gabe Vor Therapie Letzte Gabe 8 Wochen nach letzter Gabe 16 Wochen nach letzter Gabe Werte dargestellt als Mittelwerte ± Standardfehler. • signifikant vs. Werte vor Therapie. * signifikant vs. V1 V1: Visite 1, letzte Gabe der Antikörper 10 Kopfschmerztage Migränetage Tage mit Akutmedikation
anti-CGRP-Antikörper: Was bringt ein Switch? Bisher gibt es wenig Evidenz zur Häufigkeit und Wirksamkeit eines nach Galcanezumab haben sich 5 von 26 Patienten verbessert. Wechsels innerhalb der monoklonalen anti-CGRP-Antikörper. Dr. Insgesamt war ein Wechsel von Erenumab auf einen der beiden Andreas Peikert, Bremen, stellte Daten aus dem Kopfschmerz- und Liganden-Antikörper in 27,8 % der Fälle erfolgreich. Aber auch ein Migräneregister des Ärztenetzwerks NeuroTransData (NTD) vor. Switch innerhalb der Liganden-Antikörper ermöglichte einzelnen Von den am 26.08.2021 erfassten 5612 Migränepatienten erhielten Patienten ein verbessertes Ansprechen. 642 Patienten (11,4 %) mindestens einen anti-CGRP-Antikörper Dennoch riet Peikert zur Vorsicht. „Nicht alle Patienten profitierten (Erenumab: n=477, Fremanezumab: n=118; Galcanezumab: n=47). von dem Wechsel. Bei Teilrespondern und Respondern waren Ver- Nahezu jeder 5. dieser Patienten (18,7 %) wurde auf einen zweiten schlechterungen der Migräne durch den Wechsel nicht selten.“ Ein und 4,5 % auf einen dritten Antikörper umgestellt. Mit der Zahl der Wechsel müsse daher wohl bedacht sein. Switches nahm die Therapiedauer mit dem jeweiligen Antikörper ab. Drei Monate nach dem Switch wurde die Wirksamkeit ermittelt und die Patienten in drei Response-Kategorien eingeteilt: Non-Res- ponder (Reduktion der monatlichen Kopfschmerztage um < 30 %), Teilresponder (30–50 %) und Responder (≥ 50 %). Wenige Switches, mäßige Erfolgsrate Antikörperwechsel wurden in den neurologischen Praxen eher selten durchgeführt. Der Erfolg war moderat. Die meisten geswitchten Patienten (24,5 %) kamen aus der Kategorie der Non-Responder, 72 % von ihnen blieben in der Kategorie, immerhin 21 % wurden Responder, 7 % Teilresponder. „Am häufigsten wurde von Erenu- mab auf Fremanezumab umgestellt“, so Peikert. Ein Drittel dieser Patienten (15 von 46) habe sich danach um mindestens eine Res- ponse-Kategorie verbessert. Nach einem Switch von Erenumab Quelle: Sitzung der Einzelvorträge „Switching zwischen CGRP-(Rezeptor)-Antikörpern in der neurologischen Praxis: Muster, Verlauf, Wirksamkeit“, 23. Oktober 2021 11
Zunehmende Bedeutung patientenberichteter Endpunkte Der Erfolg einer Migräneprophylaxe beruht nicht nur auf einer Reduktion der Kopfschmerztage, sondern darüber hinaus auf der Verbesserung patientenberichteter Endpunkte (Patient-Reported Outcomes, PROs) wie Wohlbefinden, Funktionalität und Produktivität, so Dr. Charlotte von Kageneck, Freiburg. Sie plädierte dafür, spezifische Fragebögen wie den Lebensqualitätsfragebogen MSQoL v2.1 (Migraine-Specific Quality of Life Questionnaire Version 2.1) oder den Produktivitätsfragebogen WPAI:GH (Work Productivity and Activity Impairment Questionnaire – General Health) einzusetzen, um patientenberichtete Endpunkte zu erfassen und ihre Veränderungen zu monitorieren. Der migränespezifi- sche Fragebogen MSQoL v2.1 umfasst 14 Fragen aus den drei Domänen „eingeschränkte Aktivitäten“, „verhinderte Aktivitäten“ und „emotionale Belastung“ durch Migräne [1]. Der WPAI:GH gibt mit 6 einfachen Fragen Hinweise auf die Arbeitsproduktivität insgesamt, zum Präsentismus (Beeinträchtigung während der Arbeit), zum Absentismus (versäumte Arbeitszeit) und zu Beeinträchtigungen der allgemeinen Aktivität [2]. Anti-CGRP-Antikörper bieten laut Charlotte von Kageneck eine effektive Möglichkeit zur Verbesserung der PROs. Gut belegt sei die Wirksamkeit von Fremanezumab. Neben einer Reduktion der monatlichen Migräne- und Kopfschmerztage, auch bei Migränepatienten mit Medikamen- tenübergebrauch [3], spiegele sich der Nutzen von Fremanezumab in einer Reduktion der Dauer und Schwere der Migräneattacken [4], einer Verbesserung der Lebensqualität und einer Steigerung der Arbeits- produktivität wider – auch bei Migränepatienten nach erfolgloser prophylaktischer Vorbehandlung mit zwei bis vier Medikamenten unterschiedlicher Wirkstoffklassen [5,6]. Darüber hinaus konnte auf belastende Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen, Photophobie und Phonophonie ein günstiger Einfluss nachgewiesen werden [7]. Quellen: Symposium „Mehr als nur Kopfschmerzen – Welche Rolle Wohlbefinden & Verhalten bei der Migräneprophylaxe spielen“; 22. Oktober 2021 Literatur [4] Ashina M et al. Headache 2021; 61: 916-926 [1] Jhingran P et al. Pharmacoeconomics 1998; 13: 707-717 [5] Lipton RB et al. Neurology 2020; 95: e878-e888 [2] Reilly MC et al. Pharmacoeconomics 1993; 4: 353-365 [6] Spierings ELH et al. Headache 2021; 61: 1376-1386 [3] Silberstein SD et al. J Headache Pain 2020; 21: 114 [7] Brandes JL et al. Cephalalgia 2020; 40: 470-477 12
Kann Riechtraining Kopfschmerz lindern? – Neuer Ansatz in der Pädiatrie Kopfschmerzen sind auch im Kindes- und Jugendalter häufig. „30 % Das dreimonatige Riechtraining bewirkte laut Höfer eine Desensibilisie- der Kinder und Jugendlichen haben zwei oder mehr Kopfschmerztage rung: In der Verumgruppe nahm die Schmerzempfindlichkeit gegenüber im Monat“, so Berit Höfer, Dresden. Von diesen haben 7 % sogar ≥ 15 dem Ausgangswert deutlich ab, in der Placebogruppe dagegen zu, mit Kopfschmerztage im Monat [1]. Vor dem Hintergrund der eingeschränk- signifikanten Unterschieden zwischen der Trainings- und Placebogruppe ten Therapieoptionen spielen unkomplizierte, nebenwirkungsarme (p
Patientenedukation: Koaktivierung Multimodale Schmerztherapie: der Schmerzmatrix vermeiden wie, wann und für wen? In der interdisziplinären Versorgung chronischer Schmerzerkrankungen Chronische Schmerzen und Migräne lassen sich bei vielen Patien- gehört Edukation zu den etablierten und leitlinienkonformen Kompo- ten nur durch eine komplexe multimodale Therapie mit medika- nenten. Prof. Dr. Thomas Weiß, Jena, berichtete über Wechselwirkungen mentösen, nicht-medikamentösen und psychotherapeutischen zwischen schmerzbezogener Sprache und Schmerzwahrnehmung. Verfahren erfolgreich unter Kontrolle bringen, berichtete Prof. Dr. Mittels funktioneller Bildgebung (fMRT) haben Weiß und Mitarbei- Hartmut Göbel, Kiel. „Multimodale Behandlung von chronischen ter nachgewiesen, dass schmerzassoziierte Worte (z.B. brennend, Kopfschmerzpatienten ist evidenzbasiert. Sie bezieht fachüber- quälend, zermürbend) im Vergleich zu anderen negativ besetzten greifend alle wirksamen zeitgemäßen Therapieoptionen ein und Worten (z.B. angsteinflößend, widerlich, ekelig) zu einer Aktivierung berücksichtigt die aktuellen Erkenntnisse zur Pathogenese von des anterioren Cingulums, der Insula, des präfrontalen und primär Kopfschmerzen.“ Seit 2005 ist die multimodale Schmerztherapie somatosensorischen Cortex führen [1]. Bei neutralen Worten ließen sich im DRG-Katalog aufgenommen und kann zu Lasten der Kranken- keine vergleichbaren Aktivitätsmuster feststellen. Wenn unmittelbar versicherung abgerechnet werden [5]. Bestimmte Mindestmerk- nach den verbalen Reizen ein realer Schmerzreiz appliziert wurde, male müssen ex ante nachgewiesen werden. Eines der wichtigsten konnte eine noch stärkere Aktivierung der Schmerzmatrix im fMRT Kriterien ist eine manifeste oder drohende Beeinträchtigung der beobachtet werden. Derselbe nozizeptive Stimulus wurde jetzt von Lebensqualität und/oder der Arbeitsfähigkeit. Diese Anforderun- den Probanden als schmerzhafter wahrgenommen [2]. gen an die Schmerzdiagnostik zeigen laut Göbel, dass es bei der „Die Bedeutungsinhalte der Sprache können also die Schmerzmatrix Migräne nicht reicht, Kopfschmerztage zu zählen, sondern auch die aktivieren und die Schmerzwahrnehmung robust beeinflussen“, Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit zu erfassen. „Dazu brauchen erläuterte Weiß. „Schmerzbezogene Sprache ist also ein Kontext- wir feste Diagnoseinstrumente, Fragebögen und psychometrische faktor, der bei chronischen Schmerzpatienten Schmerz unterhalten Messungen.“ Zu den weiteren diagnostischen Merkmalen gehören kann.“ Daher sei es im Umgang mit Schmerz- und Migränepatien- eine zuvor gescheiterte unimodale Therapie, Medikamentenab- ten essenziell, auf den Einfluss der Sprache zu achten und in der hängigkeit oder -fehlgebrauch, schmerzunterhaltende psychische Kommunikation und Edukation von Schmerzpatienten sowie in der und gravierende somatische Begleiterkrankungen. Kontrolle des Therapieansprechens bewusst einzusetzen [3]. Die verstärkte Aktivierung des schmerzverarbeitenden Systems sei nicht Koordinierte ambulante und stationäre Versorgung nur auf das Wording beschränkt. Auch andere Kontextvariablen und An der multimodalen Schmerztherapie sind Ärzte unterschiedlicher Umgebungsstimuli, wie der weiße Kittel oder olfaktorische Reize, Fachgruppen, wie Psychologen, Sport- und Physiotherapeuten können Erwartungshaltungen erzeugen und die Perzeption von sowie spezialisierte Pflegekräfte, involviert. Entscheidend für Schmerz modulieren [4]. Nach einer sinnvollen Diagnostik, in der die den Erfolg sind eine sorgfältige Planung, die Abstimmung der bewusste Verwendung schmerzassoziierter Worte unvermeidbar ist, verschiedenen Therapieverfahren auf die Bedürfnisse des Patien- sollte im Verlauf der Behandlung das Wohlbefinden erfragt werden, ten und eine gute Koordination. Als Beispiel für eine koordinierte riet Weiß. „Versuchen Sie, weniger nach Veränderungen der Schmer- ambulante und stationäre Versorgung stellte Göbel das Kon- zen zu fragen und mehr nach Verbesserungen des Wohlbefindens.“ zept der Schmerzklinik Kiel vor. Es besteht aus drei Phasen (Abb. Quelle: Symposium SY07 “Inhalte, Effektivität und Wirkmechanismen von Edukation bei Rückenschmerzen und Migräne“, 21. Oktober 2021 [1] Richter M et al. Pain 2010; 148: 198-205; [2] Ritter A et al. Brain Behav 2019; 9: e01377 [3] Seeger D. Der Schmerzpatient 2018; 1: 182-187; [4] Benedetti F. Physiol Rev 2013; 93: 1207-1246; [5] Fallpauschalen-Katalog 2021, InEK GmbH – Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus | 2007-2021, https://www.g-drg.de/, abgerufen am 19.11.2021 14
3): In der ersten ambulanten Phase stellt ein niedergelassener eine multimodale Schmerztherapie nach OPS 8-918 erfolgen, Schmerztherapeut die Diagnose, wählt den Behandlungspfad und sektoren- und fachübergreifend. Phase III ist eine Nachsorgephase, führt eine ambulante Schmerztherapie durch. In Phase II kann die ein Monitoring und eine Erfolgskontrolle vor Ort vorsieht. Welche Kopfschmerzformen erfordern eine multimodale Schmerztherapie? [1] • Therapieresistente Kopfschmerzen mit schwerem Leidensdruck • Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch • Schwere Clusterkopfschmerzen, Trigemino-autonome Kopfschmerzen • Atypische Kopfschmerzphänotypen • Hoch- und Unterdruckkopfschmerzen • Trigeminus- und andere kraniale Neuralgien • Kopfschmerzen mit schwerer psychischer und physischer Komorbidität • Spezifische diagnostische Probleme • Bewertung vor neurochirurgischen Eingriffen Abb. 3: Multimodale Schmerztherapie am Beispiel der Schmerzklinik Kiel: Koordinierte ambulante und stationäre Versorgung [1] Phase I Phase II Phase II Regionale Behandlung vor Ort Vollstationär OPS 8-918 Monitoring vor Ort Spezialisierte Diagnostik Multimodal Verlaufs- und Erfolgskontrolle Professionelles Screening Sektorenübergreifend Adaption, Information, Edukation Selektion Behandlungspfade Fachübergreifend E-Health, Telemedizin Spezielle Schmerztherapie Neurologisch-verhaltensmedizinisch Assessment Quelle: Symposium „Mehr als nur Kopfschmerzen – Welche Rolle Wohlbefinden & Verhalten bei der Migräneprophylaxe spielen“; 22. Oktober 2021 [1] präsentiert von Prof. Dr. Göbel am 22.10.2021
AJO-DE-00749 349 282 Uncoated CMYK Teva GmbH • Graf-Arco-Str. 3 • 89079 Ulm, Germany
Sie können auch lesen