Paraneoplastische neurologische Syndrome - Krause und Pachernegg
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Paraneoplastische neurologische Homepage: Syndrome www.kup.at/ Lindeck-Pozza E, Oberndorfer S JNeurolNeurochirPsychiatr Hainfellner JA, Grisold W Online-Datenbank mit Autoren- Journal für Neurologie und Stichwortsuche Neurochirurgie und Psychiatrie 2009; 10 (2), 26-31 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Mozar tgasse 10 Preis : EUR 10,–
Seggauer Fortbildungstage 2018 Entzündlicher Formenkreis, Therapieansätze und Pathophysiologie. Individualisierte Arzneimitteltherapie 13. bis 14. Oktober 2018 in Schloss Seggau bei Leibnitz zum Programm
Paraneoplastische neurologische Syndrome Paraneoplastische neurologische Syndrome E. Lindeck-Pozza1, S. Oberndorfer1, J. A. Hainfellner2, W. Grisold1 Kurzfassung: Paraneoplastische neurologische Paraneoplastische neurologische Syndrome tre- vascular effects. The neurological symptoms Syndrome (PNS) sind eine seltene Gruppe von ten in weniger als 1 % aller Patienten mit Tumo- frequently antedate the diagnosis of an underly- Erkrankungen des zentralen und/oder des peri- ren auf. Dennoch sind Diagnosestellung und Be- ing, usually not clinically evident, cancer. In the pheren Nervensystems. Sie treten im Zusam- handlung wichtig, da PNS zu hochgradigen Be- past two decades, antibodies against neural an- menhang mit Tumoren auf, ohne direkt durch einträchtigungen des Patienten führen können tigens expressed by the tumour (onconeural an- den Tumor selbst oder seine Metastasen bzw. und die richtige Diagnose häufig zur Entdeckung tibodies) have been described in some para- durch toxische, metabolische oder vaskuläre Ef- bisher unerkannter Tumorerkrankungen führt. neoplastic neurological syndromes. fekte hervorgerufen zu werden. Häufig geht die PNS are rare and occur in less than 1 % of neurologische Symptomatik der Diagnose des Abstract: Paraneoplastic Neurological Syn- patients with cancer. However, the diagnosis Tumors voraus. dromes. Paraneoplastic neurological syndromes and treatment are important because the dis- In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde (PNS) are rare neurological syndromes affecting ability caused by the PNS is often severe and the bei einigen PNS eine Reihe von Antikörpern be- the central and/or peripheral nervous system. correct diagnosis usually leads to the discovery schrieben, die gegen im Tumor exprimierte neu- They are associated with the occurrence of tu- of a yet undiagnosed tumour with good treat- rale Antigene (onkoneurale Antikörper) gerichtet mours without being directly caused by the tu- ment options. . J Neurol Neurochir Psychiatr sind. mour itself, by metastasis, toxic, metabolic or 2009; 10 (2): 26–31. Einleitung und Definition Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom, das Lambert-Eaton-Myas- thenie-Syndrom, die Dermatomyositis und die gastrointesti- Paraneoplastische neurologische Syndrome (PNS) sind eine nale Pseudoobstruktion [2, 3]. Daneben wird bei einer Reihe seltene heterogene Gruppe neurologischer Erkrankungen, von anderen neurologischen Erkrankungen eine paraneoplas- welche durch Tumorfernwirkungen entstehen. Sie werden tische Genese diskutiert. weder durch direkten Effekt des Tumors bzw. von Metastasen hervorgerufen, noch sind sie toxisch, metabolisch oder vasku- Im Rahmen des PNS-Euronetworks wurden diagnostische lär bedingt. Kriterien erarbeitet, welche eine Einteilung in definitive und mögliche PNS erlauben [1] (Abb. 1). Bei < 1 % aller Tumoren tritt ein paraneoplastisches neuro- logisches Syndrom auf, genaue Daten zur Prävalenz liegen Im folgenden Artikel soll ein Überblick über die wichtigsten nicht vor. klassischen Syndrome, deren klinisches Erscheinungsbild und empfohlene Therapiemaßnahmen gegeben werden. Viele Die Symptome des PNS sind zum Teil schwerwiegend und der angeführten Daten stammen aus der Erhebung durch das gehen häufig der Tumordiagnose voraus, deshalb ist die Iden- PNS-Euronetwork. tifizierung eines paraneoplastischen neurologischen Syn- droms auch für eine frühzeitige Tumorerkennung wichtig. Onkoneurale Antikörper In den vergangenen 2 Jahrzehnten sind bei einigen PNS Anti- körper identifiziert worden, welche gegen im Tumor expri- Die Entdeckung von so genannten onkoneuralen Antikörpern mierte neurale Antigene gerichtet sind. Trotz ständig steigen- bei einigen Patienten mit Tumoren und PNS führte zur An- der Anzahl dieser Antikörper gilt nur ein Teil davon als gut nahme, dass den PNS ein immunmediierter Pathomechanis- charakterisiert (Tab. 1). mus zugrunde liegt [4]. Seit 2002 existiert ein internationales Konsortium verschiede- Allerdings hat nur ein Teil dieser Antikörper eine bekannte ner europäischer Zentren, welche einerseits die epidemiologi- pathogenetische Bedeutung. Hierzu gehören vor allem die schen Daten der PNS erfassen und evaluieren und andererseits Antikörper der paraneoplastischen Syndrome, der neuromus- entsprechende Richtlinien für paraneoplastische neurologi- kulären Übertragung und der peripheren Nerven, wie die Ace- sche Syndrome ausarbeiten (PNS-EURONETWORK). tylcholin-Rezeptor-Antikörper bei der Myasthenia gravis (nur relevant bei Thymomen), die spannungsabhängigen Kalzium- Es gibt gut beschriebene klinische Syndrome, die als klassi- kanal-Antikörper (VGCC Ak) beim Lambert-Eaton myasthe- sche, paraneoplastische neurologische Syndrome bezeichnet nen Syndrom und einige Subtypen der paraneoplastischen werden (Tab. 2). Hierzu zählen die paraneoplastische Enze- zerebellären Degeneration sowie die spannungsabhängigen phalomyelitis einschließlich der paraneoplastischen limbi- Kaliumkanal-Antikörper (VGKC Ak) bei der limbischen schen Enzephalitis und der subakuten sensorischen Neurono- Enzephalitis und den peripheren Hyperexzitationssyndromen. pathie, die paraneoplastische zerebelläre Degeneration, das Die genannten Antikörper können sowohl bei paraneoplasti- Aus der 1Abteilung für Neurologie/Ludwig-Boltzmann-Institut für Neuroonkologie, schen neurologischen Syndromen auftreten als auch – teil- Kaiser-Franz-Josef-Spital und dem 2Klinischen Institut für Neurologie, Medizinische Universität Wien weise deutlich häufiger – nicht tumorassoziiert sein [5–8]. Korrespondenzadresse: Dr. med. Elisabeth Lindeck-Pozza, Ludwig-Boltzmann- Institut für Neuroonkologie, Kaiser-Franz-Josef-Spital (SMZ Süd), A-1100 Wien, Daneben existieren onkoneurale Antikörper, deren patho- Kundratstraße 3; E-Mail: elisabeth.a.lindeck-pozza@wienkav.at genetische Bedeutung noch nicht gänzlich bekannt ist. Eine 26 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Paraneoplastische neurologische Syndrome Tabelle 1: Gut charakterisierte antineuronale Antikörper. Mod. nach [1]. Antikörper Berichtete Neurologische Syndrome Typischerweise damit Patienten (n) assoziierte Tumoren Anti-Hu > 600 • Enzephalomyelitis • Kleinzelliges Bronchialkarzinom • Sensorische Neuronopathie • Chronische gastrointestinale Pseudoobstruktion • Kleinhirndegeneration • Limbische Enzephalitis • Hirnstammenzephalitis Anti-Yo > 200 • Kleinhirndegeneration • Ovarialkarzinom • Mammakarzinom Anti-CV2 > 100 • Enzephalomyelitis • Kleinzelliges Bronchialkarzinom • Chorea • Thymom • Sensorische Neuronopathie • Chronische gastrointestinale Pseudoobstruktion • Kleinhirndegeneration • Limbische Enzephalitis Anti-Ma2 55 • Limbische Enzephalitis • Seminom • Hirnstamm-Enzephalitis • Lungenkarzinom • Kleinhirndegeneration Anti-Ri 61 • Hirnstamm-Enzephalitis • Mammakarzinom • Kleinzelliges Bronchialkarzinom Anti-Amphiphysin 20 • Stiff-Person-Syndrom • Kleinzelliges Bronchialkarzinom • Verschiedene PNS • Mammakarzinom zusätzlich T-Zell-mediierte Immunantwort gegen die Ziel- systems in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein können. antigene dieser Antikörper wird diskutiert. Es können dabei Symptome des limbischen Systems, Hirn- stamms, Kleinhirns, Rückenmarks (einschließlich der Vor- Ein Teil der onkoneuralen Antikörper gilt als gut charakteri- derhörner und der Spinalganglien), aber auch des autonomen siert. Das bedeutet, dass sie in verschiedenen Laborgruppen Nervensystems vorkommen. mit bestimmten Nachweismethoden, bei mehreren Patienten und definierten neurologischen Syndromen beschrieben wurden. Zum Oberbegriff PEM werden abhängig davon, welche Symp- Hierzu zählen die Anti-Hu-, -Yo- und -Ri-Antikörper sowie die tomatik im Vordergrund steht, folgende Krankheitsbilder ge- anti-CV2-, anti-Ma- und anti-Amphiphysin-Antikörper. zählt: die paraneoplastische limbische Enzephalitis, die Hirn- stamm-Enzephalitis (bei 30 % der Hu-assoziierten PEM mit Andere, nur in geringen Fallzahlen oder gar nur bei einem ein- subakuter sensorischer Neuropathie [SSN]), die Cerebellitis, zelnen Patienten beschriebene bzw. nur in bestimmten Labors die Myelitis, die SSN (bei 75 % aller Patienten mit PEM und nachgewiesene Antikörper sind nur partiell charakterisiert anti-Hu-Antikörpern) sowie die autonome Dysfunktion mit (z. B. anti-Zic4, anti-Tr, PCA, mGluR1). Symptomen der orthostatischen Hypotonie, der gastrointes- tinalen Parese und Pseudoobstruktion, der erektilen Dysfunk- Paraneoplastische neurologische Syndrome können ohne tion, Mundtrockenheit und Blasenfunktionsstörung. onkoneurale Antikörper auftreten und onkoneurale Antikör- per können in seltenen Fällen exprimiert werden, ohne dass je In über 60 % der Fälle mit PEM liegt ein „small cell lung can- ein Tumor entdeckt wird. Bei einigen Patienten finden sich cer“ (SCLC) zugrunde, aber es wurde eine Vielzahl anderer ein Tumor und onkoneurale Antikörper, ohne dass sich ein Neoplasien in Zusammenhang mit PEM beschrieben („non- paraneoplastisches neurologisches Syndrom entwickelt. small cell lung cancer” [NSCLC], Thymom, Mammakarzi- nom, Hodgkin-Lymphom). Bei über 70 % aller Patienten mit PEM sind anti-Hu-Antikörper nachweisbar, seltener (in ca. Klassische paraneoplastische neurologi- 15 %) finden sich anti-CV2 Ak, Amphiphysin Ak (ca. 6 %) sche Syndrome und anti-Ri Ak (3 %) [9]. Paraneoplastische Enzephalomyelitis (PEM) Im Frühstadium können im Liquor eine geringe Pleiozytose, Die paraneoplastische Enzephalomyelitis entspricht einem eine Eiweißerhöhung, eine intrathekale IgG-Produktion so- Symptomkomplex, bei dem verschiedene Anteile des Nerven- wie oligoklonale Banden nachgewiesen werden. Tabelle 2: Klassische paraneoplastische neurologische Syndrome. Mod. nach [1]. Syndrome des ZNS Syndrome des PNS Syndrome der neuromuskulären Synapse und des Muskels • Enzephalomyelitis • Subakute sensorische Neuronopathie • Lambert-Eaton-Myasthenie- • Limbische Enzephalitis • Chronische gastrointestinale Pseudoobstruktion Syndrom • Subakute Kleinhirndegeneration • Dermatomyositis • Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2) 27
Paraneoplastische neurologische Syndrome Abbildung 1: Flussdiagramm zur Diagnostik paraneoplastischer neurologischer Syndrome. Mod. nach [1]. Die Früherkennung und frühzeitige Behandlung des zugrun- sten sind anti-Hu- und anti-Ma2-, anti-CV2/CRMP5- und anti- deliegenden Tumors geht mit den besten Chancen auf Stabili- Amphiphysin-Antikörper. sierung oder Besserung der neurologischen Symptomatik einher. Immuntherapien werden eingesetzt, sind aber nur in Knapp 80 % aller Patienten mit PLE und anti-Hu-Antikörpern einigen Fällen und beschränkt wirksam [10]. weisen noch weitere Symptome des PEM-Komplexes auf. Bei Patienten mit nachweisbaren anti-Ma2-Antikörpern wer- Paraneoplastische limbische Enzephalitis (PLE) den häufig zusätzlich zu den Symptomen des limbischen Sys- Die PLE ist durch den subakuten oder manchmal auch akuten tems auch Symptome von Hypothalamus und Hirnstamm be- Beginn von Symptomen des limbischen Systems gekenn- obachtet. Der zugrundeliegende Tumor ist bei männlichen zeichnet, insbesondere durch Persönlichkeitsveränderungen, Patienten zumeist ein Hodentumor [13]. Kurzzeitgedächtnisstörungen und Verwirrtheitszustände, par- tiell komplexe oder generalisierte Anfälle, psychiatrische Obwohl VGKC (spannungsabhängige Kaliumkanäle) bei Symptome wie Depression, Reizbarkeit, Halluzinationen, nicht-paraneoplastischer limbischer Enzephalitis häufiger Angst- und/oder Schlafstörungen. beobachtet werden, ist deren Nachweis kein Ausschlusskrite- rium für eine paraneoplastische Genese. In mehr als 2/3 der Patienten mit paraneoplastischer limbi- scher Enzephalitis entwickeln sich Symptome, welche der Die Behandlung des zugrundeliegenden Tumors ist die Therapie Mitbeteiligung anderer Anteile des ZNS entsprechen (PEM). der Wahl, Immuntherapien zeigen meist nur wenig Effekt. Am Die Symptome gehen der Tumordiagnose meist 3–5 Monate ehesten kann noch bei Ma2-positiver PLE und testikulären voraus. Tumoren ein Erfolg von Immuntherapien aufgezeigt werden [10]. Bei PLE können im MRI in ca. 60 % Veränderungen im medialen Temporallappen nachgewiesen werden (T2-Hyper- Subakute sensorische Neuronopathie (SSN) intensitäten). Das FDG-PET kann ebenfalls ein gesteigertes Obwohl verschiedene Neuropathien als möglicherweise para- Aktivitätsprofil in den medialen Temporalregionen zeigen. neoplastisch gehandelt werden, gehört nur die subakute sen- Auch EEG-Veränderungen sind häufig [11]. sorische Neuronopathie zu den klassischen PNS. In 40 % der Fälle liegt ein SCLC vor, in 20 % ein Keimzell- Sie ist in 70–80 % mit SCLC assoziiert, kann aber auch bei Mam- tumor der Hoden, in 8 % ein Mammakarzinom, daneben makarzinom, Ovarkarzinom, Sarkomen und Hodgkin- und kommt die limbische Enzephalitis gehäuft auch mit Hodgkin- non-Hodgkin-Lymphomen auftreten. Die SSN tritt im Schnitt Lymphom, Teratom und Thymom vor [12]. 4,5 Monate vor der klinischen Manifestation des Tumors auf. Insgesamt können bei ca. 60 % aller Patienten mit PLE Sie ist charakterisiert durch eine rasche über einige Wochen onkoneurale Antikörper nachgewiesen werden. Am häufig- progrediente Symptomatik. Klassischerweise beginnt die 28 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2)
Paraneoplastische neurologische Syndrome Symptomatik mit Schmerzen und Parästhesien multifokal Eine Immuntherapie ist meist wenig erfolgreich, am besten oder asymmetrisch, häufig initial an den oberen Extremitäten. sprechen hier die PCD mit Tr-Ak bei Hodgkin-Lymphomen Auch Brust, Abdomen und Gesicht können hypästhetisch an. Eine Stabilisierung der Symptomatik kann am ehesten werden. Es kommt zur Areflexie und vor allem zu einem noch mit der Behandlung des zugrundeliegenden Tumors Verlust der Tiefensensibilität, was zu einer hochgradigen sen- erzielt werden, insgesamt ist die Prognose der PCD allerdings siblen Ataxie und damit schweren Beeinträchtigung bis zur schlecht [10]. Bettlägrigkeit der Patienten führen kann [9]. SSN liegt bei 74 % der Fälle mit PEM vor, sie kann aber auch Paraneoplastisches Opsoklonus-Myoklonus- isoliert vorkommen. Autonome Neuropathien einschließlich Syndrom (POM) gastrointestinaler Pseudoobstruktion sind häufig. Opsoklonus sind unwillkürliche konjugierte Augenbewegun- gen in alle Richtungen, welche entweder intermittierend oder Elektrophysiologisch sind deutlich reduzierte oder fehlende ständig vorkommen. Sie sind weder durch Augenschluss noch sensible Nervenaktionspotenziale fassbar. Auch die motori- durch Dunkelheit unterdrückbar. schen Nervenleitgeschwindigkeiten können gering reduziert sein. Häufig ist der Opsoklonus von Myoklonien und zerebellären Symptomen wie Gangataxie begleitet („dancing eyes and Anti-Hu-Antikörper sind die am häufigsten nachweisbaren dancing feet syndrome“) [16, 17]. Antikörper bei SSN. Auch CV2/CRMP5-Antikörper können vorkommen, hier meist im Zusammenhang mit SCLC, neuro- Bei Kindern ist der häufigste assoziierte Tumor das Neuro- endokrinen Tumoren oder Thymomen. blastom, bei Erwachsenen liegen zumeist Lungen-, Brust- oder andere gynäkologische Tumoren zugrunde. Auch hier ist die Therapie der Wahl die Behandlung des zu- grundeliegenden Tumors, welche am ehesten zu einer Verbes- Es lassen sich meistens keine onkoneuralen Antikörper nach- serung bzw. zu einer Stabilisierung der neurologischen Symp- weisen, wenn doch, sind dies vor allem Anti-Hu-, Anti-Ri-, tome führt [10]. Anti-Amphiphysin- oder Anti-Ma2-Antikörper. Der Liquor kann eine geringe Pleiozytose aufweisen, das Paraneoplastische zerebelläre Degeneration MRT ist unauffällig. (PCD) Bei der PCD kommt es zur subakuten Entwicklung einer Die Therapie des zugrundeliegenden Tumors ist die Therapie schweren generellen zerebellären Dysfunktion. Initial entste- der Wahl für das POM. Bei Kindern kann eine Therapie mit hen meist eine Gang- und symmetrische Extremitätenataxie ACTH, Steroiden oder Immunglobulinen versucht werden sowie Schwindel, Übelkeit, Erbrechen und Sehstörungen [10]. (Doppelbilder, Oszillopsien), welche sich über Wochen bis Monate verschlechtern. Zusätzlich bestehen meist Nystagmus und Dysarthrie. Manchmal kann sich die Symptomatik über Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) wenige Stunden bis Tage entwickeln. Sie ist oft schwerwie- In 90 % der Fälle beginnt das LEMS mit einer proximal be- gend, sodass die Patienten häufig 3 Monate nach Beginn bett- tonten Schwäche an den unteren Extremitäten, welche sich lägerig sind. zunehmend nach kranial ausdehnt, aber selten die respiratori- sche Muskulatur betrifft. Ptose und Ophthalmoplegie sind Am häufigsten assoziierte Tumoren sind Ovarial- und Mam- meist milder als bei der Myasthenie, auch autonome Störun- makarzinome oder SCLC sowie Hodgkin-Lymphome [14, gen können vorkommen [6, 18]. 15]. Typische klinische Merkmale sind die Areflexie mit Fazilita- Das MRI ist im Anfangsstadium normal, kann aber in späte- tion, was sich auch elektrophysiologisch im positiven Inkre- ren Stadien eine zerebelläre Atrophie zeigen. Der Liquor ment bei Hochfrequenzstimulation nachweisen lässt. Positive weist in ca. 60 % der Fälle zu Beginn entzündliche Verände- Anti-P/Q-type-VGCC-Antikörper sind in ca. 85 % der Fälle rungen mit geringer Pleiozytose und oligoklonalen Banden bei LEMS mit oder ohne SCLC vorhanden. Bei 50 % der auf. Patienten mit LEMS kann ein SCLC nachgewiesen werden, meistens innerhalb von 2 Jahren. Zumeist ist die PCD mit Anti-Yo-Antikörpern (Ak) assoziiert und hier fast immer in Verbindung mit gynäkologischen Die Therapie der Wahl bei LEMS mit SCLC ist die Tumor- Tumoren (insbesondere Ovarialkarzinome). Bei Vorhanden- behandlung, welche zu guten Erfolgen führen kann. Als symp- sein von Anti-Hu-Ak liegt zumeist ein SCLC zugrunde, hier tomatische Therapie steht vor allem 3,4-Diaminopyridin zur ist die zerebelläre Symptomatik häufig Teil des PEM-Kom- Verfügung [10]. plexes. Andere bei PCD nachweisbare Antikörper sind CV2/CRMP5- Dermatomyositis (SCLC), Anti-Tr- (Hodgkin-Lymphom), Anti-Ri- sowie Ovarialkarzinome, Bronchuskarzinome und Tumoren des VGCK-Antikörper. Gastrointestinaltrakts sind die häufigsten mit Dermatomyosi- J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (2) 29
Paraneoplastische neurologische Syndrome tis assoziierten Tumoren. Die Diagnose der Dermatomyositis paraneoplastisch vorkommen können, insgesamt aber deut- kann der Tumordiagnose um bis zu 5 Jahre vorausgehen. lich häufiger ohne assoziierte Tumoren beobachtet werden. Als häufigster Vertreter ist hier vor allem die Myasthenia Das klinische Erscheinungsbild der tumorassoziierten Der- gravis zu nennen, aber auch die peripheren Hyperexzitations- matomyositis entspricht jenem der nicht paraneoplastischen syndrome wie die Neuromyotonie oder das Stiff-Person-Syn- Formen: Die Patienten entwickeln Myalgien und proximale drom [21]. Muskelschwäche; Nackenflexoren, die pharyngeale und re- spiratorische Muskulatur können mitbetroffen sein und selten Daneben gibt es eine ganze Reihe neurologischer Krankhei- sogar bis zur respiratorischen Insuffizienz führen. ten, bei denen von manchen Autoren ein eventueller Zusam- menhang mit Tumorerkrankungen diskutiert wird, wenn sie in Es finden sich die typischen Hautveränderungen, Serum-CK Assoziation mit Tumoren beobachtet werden. Hierzu gehören ist meist, aber nicht immer erhöht und das EMG zeigt klassi- unter anderem auch die Chorea, verschiedene Neuropathien scherweise pathologische Spontanaktivität sowie myopa- (insbesondere das Guillain-Barré-Syndrom [GBS] und die thisch veränderte Muskelaktionspotenziale. chronisch-inflammatorisch demyelinisierende Polyneuro- pathie [CIDP]) und Motoneuronerkrankungen [22]. In der Muskelbiopsie lassen sich häufig perivaskuläre und perifaszikuläre B- und CD4+-Infiltrate nachweisen, an den Ob es sich bei den bezeichneten neurologischen Krankheiten kleinen Gefäßen sind Immunkomplex- und Komplementab- tatsächlich um paraneoplastische Geschehen oder um eine lagerungen typisch, charakteristischerweise zeigen sich peri- zufällige Koinzidenz mit Tumoren handelt, wird derzeit dis- faszikuläre Muskelfaseratrophien. kutiert und bedarf weiterer Untersuchungen, welche unter an- derem im Rahmen des PNS-Euronetworks erfolgen. Bei der Therapie steht die Behandlung des Tumors im Vor- dergrund, meistens ist das Ansprechen auf Steroide schlechter Relevanz für die Praxis als bei nicht-paraneoplastischen Formen. Paraneoplastische neurologische Syndrome sind häufig gut charakterisierte Krankheitsbilder. Trotz ihrer Selten- Ausblick heit ist eine frühzeitige Diagnosestellung von großer kli- Aufgrund des sehr raschen Fortschritts in der Erforschung der nischer Relevanz, da PNS zumeist zu hochgradigen Be- paraneoplastischen neurologischen Syndrome bedürften die einträchtigungen der betroffenen Patienten führen und erst kürzlich publizierten klinischen Kriterien bereits einiger erst die neurologische Symptomatik zur Entdeckung ei- Erweiterungen. nes bis dahin noch unerkannten – und häufig gut the- rapierbaren – Tumors führt. Laufend werden neue Antikörper beschrieben, welche groß- teils noch genauerer Evaluierung bedürfen. Zu den erst kürz- EU-Projekt: Paraneoplastic Neurological Syndromes (PNS), lich entdeckten Antikörpern gehören jene gegen NR1/NR2- PNS-Euronet2, 518174. Untereinheiten von NMDA-Rezeptoren. Diese werden ins- besondere bei Patienten mit zumeist ovarialen Teratomen und einer schweren, aber potenziell behandelbaren Enzephalitis beobachtet und sind durch ihre häufig initialen psychiatri- Literatur: Bien CG, Omer S, Lang B, Rossor MN, Pal- ace J. Potassium channel antibody-associ- schen Symptome, Gedächtnisstörungen, Anfälle, Dyskine- 1. Graus F, Delattre JY, Antoine JC, Dalmau ated encephalopathy: a potentially immuno- J, Giometto B, Grisold W, Honnorat J, Smitt sien und Bewusstseinstrübung charakterisiert [19]. PS, Vedeler C, Verschuuren JJ, Vincent A, therapy-responsive form of limbic encepha- litis. Brain 2004; 127: 701–12. Voltz R. Recommended diagnostic criteria 9. Graus F, Keime-Guilbert F, Rene R, for paraneoplastic neurological syndromes. Die rezente Beschreibung von SOX1 als Zielantigen für die J Neurol Neurosurg Psychiatry 2004; 75: Benyahia B, Ribalta T, Ascaso C, Escaramis schon länger bekannten „anti-glial nuclear antibodies“ G, Delattre JY. 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