Mundhöhlenkarzinom: Teil 3 - Moderne Rekonstruktionsverfahren - Zahnärzte in Sachsen
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26 Zahnärzteblatt SACHSEN 1+2/22 Fortbildung Mundhöhlenkarzinom: Teil 3 – Moderne Rekonstruktionsverfahren Nachdem der erste Teil zur Frühdiagnostik von Mundhöhlenkarzinomen informierte (ZBS 09/21) und in Teil 2 Therapie- konzepte vorgestellt wurden (ZBS 12/21), befasst sich der dritte Teil nun mit den modernen Rekonstruktionsverfahren nach der Tumorresektion. Dieser Artikel soll dazu beitragen, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte als Begleiter ihrer Patien- ten und erste Ansprechpartner in der Tumornachsorge eine gewisse Kenntnis zum gesamten Wiederherstellungsprozess mit all seinen Auswirkungen haben. Die Resektion eines Tumors verursacht dass die Überlebenszeit der Patienten Die primäre Rekonstruktion findet immer einen Gewebedefekt. Je nach bei einem kleineren Resektionsausmaß direkt im Anschluss an die Tumorresek- Größe des Tumors können dabei im kürzer ist1. Im Hinblick auf die Rekon- tion und die Lymphknotenausräumung Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich struktion gilt es darüber hinaus zu be- während derselben OP statt und wird sehr spezielle Gewebearten wie Haut, denken, dass die Resektion des Tumors heutzutage, wann immer möglich, Schleimhaut, Speicheldrüsen, Muskeln, und der dazu gehörigen Lymphknoten angestrebt. Sie stellt eine wesentliche sensible und motorische Nerven, Kie- meist in einem Schritt stattfindet, wohin- Voraussetzung für eine gute ästhetische ferknochen und Zähne betroffen sein. gegen die Wiederherstellung von Form und funktionelle Wiederherstellung des Dies hat zur Folge, dass wesentliche und Funktion oft mehrere, eventuell resezierten Gewebes (z. B. Unterkiefer Funktionen gestört sein können. Akute viele, Schritte erfordert. Darüber hinaus mit umgebendem Weichgewebe) dar. Funktionsstörungen wirken sich auf die kommen unterschiedliche Ansätze, wie Sie gewährleistet am besten, dass die postoperative Anpassung und Heilung verschiedene Transplantate, dentale Im- ursprüngliche Lokalisierung des umge- und damit auf die Dauer des Kranken- plantate und prothetischer Zahnersatz, benden Gewebes weitgehend erhalten hausaufenthalts aus – langandauernde zum Einsatz, um die möglicherweise bleibt und narbige Verlagerungen nicht auf die Rückkehr des Patienten in sein komplexen Defekte zu schließen. Hie- zusätzlich die Funktion und die Ästhetik normales Leben. rüber sprechen wir mit dem Patienten, negativ verändern. allerdings ist bei Beginn der Rekonst- In der unmittelbaren postoperativen ruktion nicht immer absehbar, wie viele Eine sekundäre Rekonstruktion gilt Phase verändert sich neben dem Spre- Schritte notwendig sein werden. Noch es in seltenen Fällen durchzuführen, chen vor allem das Kauen und Schlucken wichtiger ist, dass es schwierig ist, den wenn die primäre Rekonstruktion nicht und somit die Nahrungsaufnahme. Die- Zeithorizont für den Verlauf der prothe- gelingt oder aufgrund der Tumorgröße se gestörte Nahrungsaufnahme kann tischen Rekonstruktion abzuschätzen. verbunden mit einer schlechten Tumor- unmittelbare Auswirkungen auf den Schon bei den ersten Gesprächen mit prognose nicht in vollem Umfang Wundheilungsprozess und somit auf die dem Patienten versuchen wir, den ge- geboten erscheint und sich aus onkolo- Genesung des Patienten haben. samten Therapieverlauf in kleine Schrit- gischer Sicht zeitnah eine Radio- te zu unterteilen. Es erwies sich als de- chemotherapie anschließen muss. Die- Langfristig betrachtet verursacht die Ope- motivierend, sowohl für den Patienten se sekundäre Rekonstruktion ist dann ration im Gesichtsbereich aber nicht nur als auch für den Arzt, den Patienten auf dadurch erschwert, dass die Operation funktionelle, sondern auch ästhetische ein einfaches Operations-Ersatzschema in vernarbtem und bestrahltem Gewe- Beeinträchtigungen. Die ästhetischen Fol- festzulegen. Dieser Artikel soll dazu be ausgeführt werden muss, was die gen betreffen die Form und das Aussehen beitragen, dass Sie als zahnärztlicher Einheilung des Transplantates bzw. die des Gesichts und sind mit den Verände- Begleiter Ihres Tumorpatienten darüber Durchführung und die Erfolgschance rungen von Gewebetextur und Gewebe- eine gewisse Kenntnis besitzen. des Gefäßanschlusses erschwert bzw. struktur verbunden. Ein wesentlicher Fak- verschlechtert. tor für die Gesichtsharmonie sind auch die Rekonstruktionszeitpunkte Zähne, sodass Zahnverlust die Gesichts- Eine prothetische Rehabilitation mittels ästhetik auch insgesamt verschlechtert. Die Rekonstruktion hat zum Ziel, das ver- Zahnersatz erfordert weitere rekon- Für viele Patienten ist der Zahnverlust das loren gegangene Gewebe möglichst ad- struktive Schritte. Hier sind häufig erst drängendste Problem, das sie nach der äquat zu ersetzen und zur Erhaltung bzw. sogenannte präprothetische Korrektu- Operation zu bewältigen haben. Wiederherstellung von Form und Funkti- ren des Weichgewebes erforderlich, be- onen einen wesentlichen Beitrag zu leis- vor die Insertion von dentalen Implan- Bei der Tumorresektion operieren wir ten. Es werden dabei verschiedene Arten taten zur Verankerung des Zahnersat- radikal, denn es gibt Studien, die zeigen, der Wiederherstellung unterschieden: zes und dessen Eingliederung erfolgen
Zahnärzteblatt SACHSEN 1+2/22 27 Fortbildung kann. Dies umfasst die Ausdünnung der te oft auch bei weniger ausgedehnten Wenn in der präoperativen Bildge- Weichgewebetransplantate, nachdem Tumoren groß sind. In einigen Fällen hat bung eine Tumorinfiltration der Kie- die großen Rekonstruktionsmaßnah- selbst die konservativere Option (lokaler ferabschnitte vermutet wird, muss men erfolgreich waren. Lappen) aufgrund der Narbenbildung eine Unterkieferkontinuitätsresektion größere funktionelle und ästhetische durchgeführt werden. Bei einer Konti- Rekonstruktionsmethoden, Nachteile als der freie Lappen. Mikro- nuitätsresektion des Unterkiefers wer- vaskulär anastomosierte freie Lappen den immer auch die vom Tumor befalle- Transplantate, Gewebeersatz stellen somit den Goldstandard für die nen Weichteile großflächig reseziert. Welche Form der Rekonstruktion bei Weichgeweberekonstruktion dar. Die Wiederherstellung der Unterkiefer- dem einzelnen Patienten gewählt wird kontinuität spielt insbesondere für den bzw. geeignet ist, hängt von einer Reihe An erster Stelle ist der Radialislappen zu Patienten eine wesentliche Rolle. So von Aspekten ab. Die Tumorausdeh- nennen, der im Zeitraum 2017 bis 2021 nung und damit die Größe und Beschaf- bei uns in über 180 Fällen angewendet fenheit des Defekts ist nur einer davon. wurde (Abb. 2, Tab. 1). Alternativen sind Wichtig sind auch der Allgemeinzustand der laterale Oberarmlappen (Abb. 3), des Patienten, die Prognose für den Pati- und für große Defekte der laterale enten im Hinblick auf die Tumorerkran- Oberschenkellappen, der Latissimuslap- kung und ggf. Tumorvorbehandlungen. pen und der Rectus abdominis-Lappen, letzterer auch als Perforatorlappen2. Da die Rekonstruktion einen wesent- lichen Beitrag zum Erhalt der Funktion liefert, entscheiden wir ebenso danach, Abb. 2– Zustand nach Plattenepithelkarzinom welches Gewebe nach der Resektion des Innenwange links und Deckung mit einem Ra- Tumors fehlt. Bei Wahl von Methode dialislappen. Die Hautoberfläche des Lappen ist und Transplantat/Material für den Ge- gut adaptiert. webeersatz gilt es, weiterhin zu klären, ob es ausreicht, nur das Weichgewebe wiederherzustellen oder ob aufgrund der Tumorausdehnung Kieferabschnitte ersetzt werden müssen. Bei großem Tumor und a priori zunächst mal schlechter Langzeitprognose ist die sofortige knöcherne Rekonstruktion des Kiefers nicht sinnvoll und der Überbrü- Abb. 1 – Zustand nach Plattenepithelkarzinom ckung des Kiefers mit einer Platte auch in Nasenflügel links und Deckung mit einem Abb. 3 – Zustand nach Plattenepithelkarzinom Kombination mit Palacos®-Spacer (s. S. 28) Stirnlappen. Nach der primären Einheilung Zunge rechts. Deckung mit einem Oberarmlap- und Durchtrennung des Stiels wird der Lappen pen, der das fehlende Volumen gut auffüllt. Die eventuell der Vorzug einzuräumen. weiter ausgedünnt, um sich noch besser an die Hautoberfläche des Lappen ist etwas hyperke- Textur der Umgebung anzupassen. ratinisiert. Bei kleiner Defektgröße nach Tumor- resektion kommen lokalplastische Ver- fahren zur Anwendung. Je nach Defekt- Defektlokalisation Freie Lappentransplantate Häufigkeit 2017–2021 lokalisation – extraoral oder intraoral Zunge, Radialislappen oder 182 – werden Stirnlappen (Abb. 1), Nasolabi- Mundboden, Oberarmlappen 13 allappen oder Platymalappen, oder der Wange, Gaumen gestielte Pectoralislappen benutzt. Spezi- Zunge subtotal, Rectus abdominis oder 30 ell der Stirnlappen kann für vollschichtige Gesicht, Schläfe, Latissimus dorsi 12 Defekte an der Nase auf der Unterseite Kiefer ggf. mit Überbrückungsplatte mit Schleimhaut prälaminiert werden. Unterkiefer, Fibula oder 58 Die Resektion muss mit einem Sicher- Oberkiefer Beckenkamm oder 9 heitsabstand von 1 cm in alle Richtungen Scapula 1 durchgeführt werden, sodass die Defek- Tabelle 1 – Reseziertes Gewebe und Transplantat
28 Zahnärzteblatt SACHSEN 1+2/22 Fortbildung zeigten Patienten nach Spangen- oder rezidivfreien Nachsorgeperiode. Dazu sen und dadurch der knöcherne Resek- Kastenresektion im Vergleich zu Pati- werden handgebogene oder CAD-CAM- tionsbereich in seinen ursprünglichen enten nach Kontinuitätsresektion eine gefertigte Osteosyntheseplatten mit Dimensionen nachgebildet (Abb. 4 c, d). deutlich verbesserte Lebensqualität3, 4. Palacos®-Knochenzement ummantelt Durch diesen Platzhalter wird der Regelmäßig werden je nach Umfang (Abb. 4 c, d). Der Defekt wird mittels Schrumpfung des umgebenden Weich- der Kieferresektion freie osteomyoku- Schalentechnik intraoperativ ausgegos- gewebes vorgebeugt bzw. entgegen- tane Transplantate, insbesondere von gewirkt. Dies vereinfacht die spätere mi- der Fibula (58 Fälle im Zeitraum 2017 krovaskulär knöcherne Rekonstruktion. bis 2021) und vom Beckenkamm5, ge- Die alloplastische Rekonstruktion und legentlich auch von der Scapula, einge- der Weichgewebedefekt wird mit einem setzt6, 7. Allerdings ist das Schulterblatt freien mikrovaskulär anastomosierten als Alternative in Knochenqualität und Lappentransplantat, meist Latissimus Volumen begrenzt und das freie Be- dorsi oder Rectus abdominis, abgedeckt. ckenkammtransplantat hat einen kur- Es schließt sich dann zeitnah die adju- zen Gefäßstiel8. Beim Fibulatransplantat vante Radiochemotherapie an. Nach muss vor der Entnahme mittels Angio- a einem rezidivfreien Intervall von min- MRT überprüft werden, ob die Gefäß- destens einem Jahr erfolgt dann die Re- versorgung des Fußes mit drei Arterien konstruktion des Unterkiefers mit einem vorliegt und der Patient somit nicht auf freien mikrovaskulären Fibulatransplan- die Arteria fibularis angewiesen ist. Als tat (Abb. 4 e). weitere Alternative wurde von uns das mit Knochen vom Becken präfabrizierte Radialislappentransplantat entwickelt9, b das nur im Rahmen der sekundären Abb. 4 a – Patient mit ausgedehntem Platten- Rekonstruktion eingesetzt, aber dank epithelkarzinom des Unterkiefers und Mund- des langen Gefäßstiels auch im vor- bodens anterior operierten und zum Teil gefäßarmen Abb. 4 b – Das Karzinom zeigt eine ausgedehn- e Hals angewendet werden kann. te Knocheninfiltration mit pathologischer Un- terkieferfraktur Abb. 4 e – Zustand nach Entfernung der Rekon- Diese Methode der Unterkieferrekon- struktionsplatte und des Palacos®-Spacer und struktion mittels mikrovaskulärer sekundärer Rekonstruktion mit zweisegmenti- Knochentransplantate ermöglicht eine gem Fibulatransplantat Lebensqualität, die vergleichbar mit der bei erhaltener Kieferkontinuität ist10. Diese Technik zur temporären Rekon- Temporäre alloplastische struktion des Unterkiefers kann die spätere, definitive Rekonstruktion deut- Unterkieferrekonstruktion mittels lich vereinfachen und das Outcome ver- Palacos®-Spacer c bessern. Durch die Rekonstruktion der Bei ausgedehnten T4-Primärtumoren Mandibula in ihrer ursprünglichen Form (Abb. 4 a, b), bei denen eine R0-Resek- wird die Weichgewebeschrumpfung tion nicht sicher durchführbar ist, sollte minimiert und eine extra- oder intra- die mikrovaskulär knöcherne Überbrü- orale Materialexposition vermieden. ckung des Resektionsdefektes sorgsam abgewogen werden. Hier kann ein zwei- Prothetische, implantatprothetische zeitiges Vorgehen Vorteile bringen. In diesen Fällen mit Kontinuitätsresektion d Rehabilitation der Mandibula erfolgt bei uns primär Abb. 4 c – Zustand nach Tumor- und Unterkie- Bei Erhalt der Kontinuität des Kiefers die alloplastische Rekonstruktion des ferresektion sowie temporärer Rekonstruktion oder bei Rekonstruktion des Kiefers mit CAD-CAM gefertigter Rekonstruktionsplat- Unterkiefers mit Rekonstruktionsplatte mit knöchernen Transplantaten ist die te, ummantelt mit Palacos®-Spacer. und Palacos®-Spacer11. Die definitive Abb. 4 d – Unterkieferrekonstruktion mit CAD- spätere prothetische Versorgung mit- Rekonstruktion erfolgt dann sekun- CAM gefertigter Rekonstruktionsplatte, um- tels Zahnersatz möglich. Grundsätzlich där, bei sicherem R0-Status und in der mantelt mit Palacos®-Spacer kann die prothetische Rehabilitation
Zahnärzteblatt SACHSEN 1+2/22 29 Fortbildung sowohl mittels mukogingival getrage- den transplantierten und postoperativ Zur Verbesserung der durch die Lap- nem Zahnersatz (Teil-, Vollprothese) bestrahlten Knochen mit entsprechen- pentransplantate deutlich veränderten als auch mittels implantatgetragenem der Vorsicht durchzuführen. Der Eingriff Weichgewebesituation in der Mund- Zahnersatz erfolgen. Besonders bei den sollte möglichst atraumatisch mit wenig höhle sind Ausdünnungen der Trans- häufig deutlich veränderten Weichge- Denudierung des bestrahlten Kno- plantate im Sinne von Vestibulumplastik webesituationen in der Mundhöhle ist chens erfolgen. Die Implantate sollten und/oder Mundbodensenkungen ggf. die Verankerung des Zahnersatzes an anschließend für weitere vier bis sechs mit Transplantation von Spalthaut er- Implantaten von Vorteil, um den siche- Monate knöchern einheilen, bevor nach forderlich. ren Halt des Zahnersatzes zu gewähr- Implantatfreilegung mit der endgülti- Diese Operationen müssen mit großer leisten. Diese Leistung wird gemäß § 28 gen Anfertigung des Zahnersatzes be- Vorsicht ausgeführt werden, um sicher Abs. 2 Satz 9 SGB V nach Begutachtung gonnen werden kann. zu stellen, dass der bestrahlte Knochen mit Ausnahmegenehmigung von den mit einem dünnen Weichgewebeman- gesetzlichen Krankenkassen getragen. tel bedeckt bleibt und nicht gänzlich exponiert wird. Sollte dies unbeabsich- In unserer Klinik beginnen wir die tigterweise passieren, ist die komplette implantatprothetische Rehabilitati- Rehabilitationsmaßnahme gefährdet, on nachdem der Heilungsprozess des da durch unvorsichtige Präparation Weichgewebes, aber insbesondere des einer Osteoradionekrose Vorschub Knochengewebes, sicher abgeschlossen a geleistet wird. ist, frühestens sechs Monate nach der Transplantation. Bei den zwischen- Die Gestaltung des Zahnersatzes und zeitlich durchgeführten Röntgen- dessen Verankerung an den Implan- kontrollen muss sich eine knöcherne taten orientiert sich am Einzelfall Konsolidierung der Übergangsbereiche (Abb. 6 a–d). Leitlinienempfehlungen zwischen ortsständigem Knochen und können dabei nicht immer berücksich- Transplantat ergeben. Diese Übergangs- b tigt werden – zum Wohle des Patienten! zonen müssen vor der prothetischen So ist die Verblockung der Implantate Rehabilitation ausreichend verknöchert Abb. 5 a – Zustand nach Resektion des Oberkie- fers bei ausgedehntem Plattenepithelkarzinom sein, um die mechanische Stabilität des Abb. 5 b – Sekundäre Rekonstruktion des Knochentransplantats zu gewährleisten Oberkiefers mit dreisegmentigem Fibulatrans- (Abb. 5 a–d). plantat Dieser Zeitraum von mindestens ei- nem halben Jahr ist auch aufgrund der postoperativen adjuvanten Radio- a chemotherapie einzuhalten, die ja bei der Tumorausdehnung, wie sie bei Kieferkontinuitätsresektionen a priori vorliegt, meist durchgeführt werden muss. Er liegt darin begründet, dass die c Radiochemotherapie den Knochen im Strahlenfeld – ortsständiger wie auch transplantierter Knochen – in seiner Wundheilungs- und Regenerationsfä- higkeit initial stark schwächt, weswegen b Eingriffe innerhalb von sechs Monaten Abb. 6 a – Zustand nach Resektion des Unter- nach Abschluss der Strahlenbehandlung kiefermittelstücks wegen Osteoradionekrose mit erhöhtem Risiko für Komplikationen und Überbrückung mit freiem mikrovaskulär behaftet sind. d anastomosiertem Fibulatransplantat und gleichzeitiger Implantatinsertion Erst dann ist es sinnvoll mit der Planung Abb. 5 c und d – Coverdenture: Oberkiefer fi- Abb. 6 b – Zustand nach Freilegung der Implan- einer prothetischen Rehabilitation zu xiert über gefrästem Steg auf vier Implantaten, tate und Konditionierung des dicken Weich- beginnen und die Insertion dentaler Unterkiefer fixiert über Steg auf zwei Implan- gewebes mit individuell gefertigten Schleim- Implantate in den ortsständigen bzw. taten hautformern
30 Zahnärzteblatt SACHSEN 1+2/22 Fortbildung lich, dass unverschiebbare, lokostabile Schleimhaut auf Kiefer- bzw. Knochen- transplantatabschnitten geschaffen werden kann, quasi als Ersatz für fixierte Gingiva. Das führt häufig zu Reizungen der Haut bzw. des Schleimhautbereichs c a rund um die Abutment-Durchtrittsstelle. Diese Veränderungen müssen regel- mäßig kontrolliert werden, um Gewe- beveränderungen wie überschießende Granulationen abzutragen (Abb. 7 c). Im ungünstigen Fall kann es hier zur erneu- ten Entstehung eines Plattenepithel- karzinoms kommen. Darüber hinaus erschweren postope- d b rative und postradiogene Veränderun- gen des Gewebes die Funktion und die Abb. 6 c – Unterkieferrekonstruktion mit freiem mikrovaskulär anastomosiertem Fibulatrans- Ästhetik. So kann eine eingeschränkte plantat und verschraubter Brücke auf zwei Mundöffnung das Praktizieren der Implantaten Mundhygiene durch den Patienten Abb. 6 d – Verschraubte Brücke auf zwei Im- selbst einschränken. Hier kann ein Re- plantaten mit guter Umspülbarkeit der Implan- call in regelmäßigen Abständen zum tatdurchtrittsstellen im Unterkiefer. Coverden- ture auf zwei Implantaten und drei Zähnen im längeren Erhalt der prothetischen Oberkiefer. Rehabilitation beitragen, da eine pro- c fessionelle Zahnreinigung verhindern kann, dass sich Infektionen im durch die Abb. 7 a – Unterkieferkastenresektion und über einen Steg als Zwischenkonstruk- Bestrahlung immun- und regenerati- Weichgewebedeckung mit freiem mikrovas- tion manchmal geboten (Abb. 5 a–d, kulär anastomosiertem Radialislappentrans- onsgeschwächten Kiefer ausbreiten und Abb. 7 a–c), in anderen Situationen plantat zur Osteoradionekrose führen. Neben ist eine direkte Brückenkonstruktion Abb. 7 b – Steg auf drei Implantaten mit Cover- der prothetischen Rehabilitation sind indiziert. Vorteil der Brücken ohne denture, die das Vestibulum mit ausformt und regelmäßige Kontrollen des Restgebis- Narbenzug entgegenwirkt Mesostrukturen ist, dass der Zahnersatz ses aufgrund Bestrahlung-induzierter Abb. 7 c – Schwierige Weichgewebesituation graziler gestaltet werden kann, was Vor- unter Coverdenture um Implantatdurchtritts- Xerostomie und der damit verbundenen teile haben kann. Bei der veränderten stellen mit entzündlichem Granulations- Strahlenkaries ein wesentlicher Bestand- vernarbten Anatomie in der Mundhöhle gewebe teil der Tumornachsorge in der Zahn- ist die Platzersparnis günstig, ebenso arztpraxis. wie auch der Übergang Zahnersatz – Implantat beim grazilen Zahnersatz zustellen. In manchen Fällen nimmt die Regeneration statt Rekonstruktion besser vom Speichel umflossen werden Haut von Radialis- oder Oberarmlappen kann (Abb. 6 d). Auch empfiehlt es sich, fast die Gestalt von Mundschleimhaut Die chirurgischen Verfahren der Tumor- zunächst mit Langzeitprovisorien die an (Abb. 2). Es kann aber auch immer resektion mit anschließender Rekon- Möglichkeiten der prothetischen Um- wieder zur stärkeren Verhornung von struktion stoßen insbesondere bei der setzbarkeit auszuloten. bestimmten Arealen des Transplantates Behandlung von lokal fortgeschritte- kommen, die es zu beobachten gilt. nen oder metastasierten Kopf-Hals- Besonderheiten nach Rekonstruktion Um gute periimplantäre Weichgewebe- Tumoren, besonders auch bei älteren verhältnisse zu schaffen, werden die Patienten, an ihre Grenzen. Erfreuli- Idealerweise wird reseziertes Weich- Lappen ausgedünnt, spezielle individu- cherweise hat sich in den letzten Jahren gewebe mit Weichgewebetransplanta- ell gefertigte Gingivaformer benutzt die Prognose dieser Patienten durch die ten ersetzt, allerdings gelingt es dabei (Abb. 6 b) und ggf. eine Mundboden- systemische medikamentöse Immun- nicht, entsprechende Spezifika des senkung bzw. eine Vestibulumplastik therapie deutlich verbessert (siehe Teil resezierten Gewebes durch das Trans- durchgeführt. Trotz dieser weiteren 2, ZBS 12/21). Abbildung 8 zeigt ein Fall- plantat in vollem Umfang wiederher- Korrekturen ist es häufig nicht mög- beispiel.
Zahnärzteblatt SACHSEN 1+2/22 31 Anzeige Fortbildung Einführung von CAD-CAM-gestützten Techniken der Stigmatisierung der be- troffenen Patienten entgegenzuwirken. Auch Funktionsbeeinträchtigungen, bspw. im Hinblick auf die Nahrungsauf- nahme, konnten dadurch weiter redu- ziert werden. Allerdings ist es dabei in der Nachsorge wichtig, frühzeitig Nach- teile durch diese verbesserten Techniken, z. B. Entzündungen um die Implantate herum, zu erkennen, um entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Die Weiter- a entwicklung nicht-chirurgischer onkolo- gischer Therapien wird möglicherweise das Therapieschema „Tumorresektion in Kombination mit umfassender, idea- lerweise primärer, Rekonstruktion“ als Therapie der Wahl verändern. Die Tumornachsorge erfolgt fünf Jahre nach der Operation in unserer Ambu- lanz. Die Patienten werden in bestimm- ten Zeitabständen zu verschiedenen Un- tersuchungen (Sono-Hals, Sono-Bauch, MRT, CT, Röntgen-Thorax) bestellt, die b sowohl das lokale Rezidiv als auch Fern- metastasen überwachen. In dieser Zeit Abb. 8 a – 82-jähriger Patient mit fortgeschritte- besuchen die Patienten auch regelmä- nem Lokalrezidiv eines ulzerierten, mittelhoch ßig ihren Hauszahnarzt, der oft mit un- differenzierten, verhornenden Plattenepithel- karzinoms mit multiplen kutanen und subkuta- gewöhnlichen klinischen Befunden oder nen Satellitenmetastasen ohne Lymphknoten- Fragen konfrontiert wird. In unseren oder Organmetastasierung drei Artikeln haben wir die Verfahren Abb. 8 b – Zustand drei Monate nach Einleitung zur Behandlung von Tumorerkrankun- einer Therapie mit dem PD-1-Antikörper Cemi- gen in unserer Klinik beschrieben, was plimab; es zeigt sich eine Komplettremission den Kollegen helfen wird, einige dieser Fragen zu beantworten. Fazit Die Behandlung von Tumoren im Mund-, MD Dr. MU Dr. Michaela Bucková, Kiefer- und Gesichtsbereich stellt eine Dr. med. Christian Bräuer, interdisziplinäre Herausforderung dar. PD Dr. med. Dr. med. dent. Grundsätzlich sollten rekonstruktive Henry Leonhardt , Maßnahmen Teil des gesamten thera- Dr. med. Dominik Haim, peutischen Konzeptes sein und unter Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Berücksichtigung des onkologischen Günter Lauer Gesamtkonzeptes erfolgen. Durch Wei- Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- terentwicklung moderner rekonstruk- und Gesichtschirurgie, tiver Verfahren ist die MKG-Chirurgie in Uniklinikum Carl Gustav Carus Dresden, der Lage, betroffenen Tumorpatienten Marlene Garzarolli sowohl funktionell als auch ästhetisch Klinik und Poliklinik für Dermatologie, umfassend zu helfen. Neben den freien Uniklinikum Carl Gustav Carus Dresden mikrochirurgisch anastomosierten Lap- pentransplantaten, helfen die implantat- Literaturverzeichnis unter prothetische Wiederherstellung und die www.zahnaerzte-in-sachsen.de
Literaturverzeichnis ZBS 1+2/22 Fachbeitrag „Mundhöhlenkarzinom: Teil 3 – Moderne Rekonstruktionsverfahren“ MD Dr. MU Dr. Michaela Bucková, Dr. med. Christian Bräuer, PD Dr. med. Dr. med. dent. Henry Leonhardt, Dr. med. Dominik Haim, Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Günter Lauer, Marlene Garzarolli 1. de Vicente JC, Rodríguez-Santamarta T, Rosado P, Peña I, de Villalaín L. Survival after free flap reconstruction in patients with advanced oral squamous cell carcinoma. J Oral Maxillofac Surg. 2012 Feb;70(2):453-9. doi: 10.1016/j.joms.2011.02.020. PMID: 21684658. 2. Leonhardt H, Mai R, Pradel W, Markwardt W, Pinzer T, Spassov A, Lauer G. Free DIEP- flap reconstruction of tumour related defects in head and neck Journal of physiology and pharmacology 2008 59 Suppl 5:59-67 3. Namaki S, Matsumoto M, Ohba H, Tanaka H, Koshikawa N, Shinohara M. Masticatory efficiency before and after surgery in oral cancer patients: comparative study of glossectomy, marginal mandibulectomy and segmental mandibulectomy. J Oral Sci. 2004;46(2):113-7. 4. Markwardt J, Pfeifer G, Eckelt U, Reitemeier B. Analysis of complications after reconstruction of bone defects involving complete mandibular resection using finite elemente modelling. Onkologie 2007; 30: 121–126. 5. Savant DN, Patel SG, Verghese T, Bhathena HM, Kavarana NM. Reconstruction of the mandible with vascularized iliac crest flap-initial experience at the Tata Memorial Hospital. Acta Chir Plast 1995; 37: 35–39. 6. Brown JS, Magennis P, Rogers SN, Cawood JI, Howell R, Vaughan ED. Trends in head and neck microvascular reconstructive surgery in Liverpool (1992–2001). Br J Oral Maxillofac Surg 2006; 44: 364–370. 7. Shah JP, Gil Z. Current concepts in management of oral cancer surgery. Oral Oncol 2009; 45: 394–401. 8. Shindo M, Fong BP, Funk GF, Karnell LH. The fibula osteocutaneous flap in head and neck reconstruction: a critical evaluation of donor site morbidity. Arch Otolaryngol Head Neck Surg 2000; 126: 1467–1472. 9. Leonhardt H, Pradel W, Mai R, Markwardt J, Lauer G. Prefabricated bony radial forearm flap for secondary mandible reconstruction after radiochemotherapy. Head Neck. 2009 Dec;31(12):1579-87. doi: 10.1002/hed.21135. 10. Rogers SN, Devine J, Lowe D, Shokar P, Brown JS, Vaugman ED. Longitudinal health- related quality of life after mandibular resection for oral cancer: a comparison between rim and segment. Head & Neck. 2004;26(1):54-62. 11. Bräuer C, Lauer G, Leonhardt H. New method of alloplastic reconstruction of the mandible after subtotal mandibulectomy for medication-related osteonecrosis of the jaw. Br J Oral Maxillofac Surg. 2018 Jul;56(6):549-550. doi: 10.1016/j.bjoms.2018.04.004. Epub 2018 May 8.
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