Diabetes insipidus: Differentialdiagnostik und Therapie
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curriculum Diabetes insipidus: Differentialdiagnostik und Therapie Sandrina Balanescua, Jonas Rutishausera,b a Innere Medizin, Spitalzentrum, Biel/Bienne, b Biozentrum, Abteilung Biochemie, Universität, Basel nicht-osmotische Stimuli sind Hypotonie und Hypovol- ämie und Stress im weitesten Sinne, zum Beispiel starke Quintessenz Nausea, Schmerzen, oder auch eine Insulin-induzierte P Die Leitsymptome (Polyurie und Polydipsie) beim Diabetes insipidus Hypoglykämie. sind unspezifisch, weswegen ein Diabetes mellitus immer ausgeschlossen Tabelle 1 p zeigt eine Übersicht der Ätiologien des werden muss. Diabetes insipidus. P Die Polyurie beim Erwachsenen ist definiert als eine 24-Stunden-Urin- menge von >50 ml/kg KG und soll vor weiteren diagnostischen Schritten Zentraler/neurohypophysärer Diabetes insipidus quantitativ verifiziert werden. Beim zentralen DI wird zwischen primären (ca. 1⁄3 der Fälle) und sekundären (ca. 2⁄3 der Fälle) Formen unter- P Die erste Abklärung einer Polyurie kann oft in der ambulanten schieden. Sprechstunde mittels eines Übernacht-Dursttestes erfolgen. Die primären Formen manifestieren sich oft bereits im P Beim zentralen Diabetes insipidus besteht ein Mangel an antidiureti- Kindesalter. Dabei findet man neben den häufigeren schem Hormon (ADH); beim nephrogenen Diabetes insipidus spricht das idiopathischen Fällen (ca. 50%) eine autosomal-domi- Zielorgan nicht auf ADH an. nant vererbte Form mit bisher mehr als 50 beschriebe- nen heterozygoten Mutationen im ADH-Neurophy- P Eine Magnetresonanztomographie ist beim neu aufgetretenen zentralen sin-II-Gen und eine äusserst seltene rezessiv-vererbte Diabetes insipidus in der Regel indiziert, die Diagnose kann aber nicht Form. Abbildung 2 x zeigt die Analyse des ADH-Gens ausschliesslich aufgrund bildgebender Verfahren gestellt werden. bei einer Patientin mit dominantem zentralem DI. P Im Gegensatz zum zentralen Diabetes insipidus ist bei der nephro- Bei der sogenannten lymphozytären Infundibuloneuro- genen Form eine kausale Therapie nicht immer möglich. hypophysitis handelt es sich um eine autoimmun be- dingte lymphozytäre Infiltration des Hypophysenstiels und -hinterlappens mit darauf folgendem, meist (sub-) akutem Einsetzen eines DI [1]. Die Krankheit kann in- nert Monaten oder Jahren spontan heilen oder zu einer Diabetes insipidus: die verschiedenen Fibrose des Hypophysenhinterlappens führen, mit dar- Formen und wie sie entstehen auf folgender Chronifizierung des DI. Sie kann auch die ganze Hypophyse (Panhypophysitis) oder nur die Vor- Die Bezeichnung «Diabetes insipidus» (DI) setzt sich derlappen betreffen (Adenohypophysitis). Hypophysen- zusammen aus dem griechischen Begriff für «Wasser- Autoantiköper wurden in 70% der bioptisch gesicher- ruhr» (Polyurie) und dem lateinischen Wort für «ge- ten Fälle nachgewiesen, und in 25–50% der Fälle findet schmacklos» und unterscheidet das Syndrom vom Dia- man eine Assoziation mit anderen Autoimmunkrank- betes mellitus, bei dem ein süsslicher Urin ausgeschieden heiten (am häufigsten Hashimoto-Thyreoiditis und wird. Ein Diabetes mellitus muss bei einschlägiger Morbus Basedow). Betroffen sind vor allem Frauen im Anamnese immer zuerst gesucht werden. Der DI ist prämenopausalen Alter, und oft treten die ersten Sym- charakterisiert durch Polydipsie und eine hypotone ptome peripartal auf. Noch seltener ist ein DI im Rahmen Polyurie (Richtwerte für Erwachsene: >50 ml Urin/kg des Wolfram- oder DIDMOAD-Syndroms (Diabetes insi- Körpergewicht täglich; Osmolalität im 24-Stunden-Urin pidus, Diabetes mellitus, Optikusatrophie, Taubheit).
curriculum akuten Niereninsuffizienz»). Eine länger dauernde Hy- perkalzämie jedwelcher Genese oder eine chronische Hypokaliämie kann u.a. über die Bewirkung einer ADH-Resistenz einen nephrogenen DI verursachen; die Therapie richtet sich in erster Linie auf die Kausal- behandlung der Elektrolytstörung. Auch eine medika- mentös verursachte Tubulustoxizität, z.B. durch Cispla- tin, Foscarnet oder Amphotericin B, kann zu einem reversiblen nephrogenen DI führen. Gut bekannt ist der nephrogene DI als Nebenwirkung bei bis zu 20% der Patienten unter einer Lithiumtherapie. Lithium bindet kompetitiv an den Natriumkanal an der luminalen Seite der Sammelrohrzellen, wird in die Zelle aufge- nommen und führt über verschiedene Mechanismen zu einer ADH-Resistenz. So wird der Einbau von Aqua- porin-2-Molekülen in die Zellmembran gehemmt. Nicht immer ist der durch Lithium verursachte DI komplett reversibel, und eine Lithium-induzierte Hyperkalzämie kann die Polyurie noch verstärken. Bei den familiären Formen findet man in 90% der Fälle einen X-chromo- somal-rezessiven Erbgang. Dabei ist das Gen mutiert, das für den ADH-V2-Rezeptor an der basolateralen Seite der Sammelrohrzellen kodiert (Abb. 1) [4]. In 10% Abbildung 1 der Fälle liegen autosomal-rezessiv (oder noch seltener Schematische Darstellung des Sammelrohrs (links) mit drei Sammel- -dominant) vererbte Mutationen im Aquaporin-2-Gen rohr-Epithelzellen. ADH bindet an seinen basolateral gelegenen vor. Dysfunktionelle Aquaporin-2-Wasserkanäle ver- Rezeptor, der zur Familie der G-Protein-(Gas-)gekoppelten 7-Trans- membran-Domänen-Rezeptoren gehört. Eine Signalkaskade führt hindern den Fluss von freiem Wasser vom Lumen der u.a. dazu, dass in die luminale Zellmembran Wasserkanälchen in Sammelrohre durch die Sammelrohrepithelien hin- Form von Aquaporin-2-Molekülen (AQP-2) inseriert werden, wodurch durch ins Interstitium, was zur Polyurie führt. diese wasserdurchlässig wird. Wasser kann auf der basolateralen Im Rahmen der Sarkoidose findet man selten eine re- Seite der Zelle über Aquaporin-3- und Aquaporin-4-Kanäle aus der nale Form von DI. Diese scheint durch die mit der Zelle ausströmen. Wenn ADH vom Rezeptor dissoziiert, werden Krankheit assoziierten Hyperkalzämie verursacht zu die AQP-2-Moleküle durch Endozytose aus der apikalen Membran entfernt und im Zellinneren «zwischengelagert» – das Sammelrohr sein. Nebst Fällen mit renaler Nephrokalzinose wurden ist wieder wasserdicht. aber auch solche mit granulomatöser Nephritis be- schrieben. geome, Meningeome, Hypophysenadenome und bei Eine weitere, seltene Ursache von renalem DI ist die Kindern Germinome können selten einen DI verursa- Sichelzellanämie. In einer Studie wurden erhöhte Werte chen. Infektiöse (Enzephalitis/Meningitis) oder infil- von Endothelin-1 im Urin von Sichelzellanämie-Patien- trative Prozesse können die Funktion des Hypophysen- ten gefunden [5]. Dieses Protein antagonisiert die rena- hinterlappens ebenfalls beeinträchtigen. Unlängst len Effekte von ADH und verursacht eine Fibrosierung wurden in einer Studie 9 Patienten mit Sarkoidose des Nierenparenchyms. Auch bei Amyloidose wurden beschrieben, bei denen ein DI, am häufigsten mit Fälle von renalem DI beschrieben, wobei man ursäch- Gonadotropinmangel lich von einer diffusen Parenchyminfiltration durch oder Hyperprolaktin- amyloidogenes Protein ausgeht. Nach Schädel-Hirn-Traumata, ämie assoziiert, diagnos- typischerweise Dezelerations- tiziert wurde [3]. Im Primäre Polydipsie traumata, beträgt die Prä- Rahmen der Langer- Eine Polyurie kann aus einer übermässigen Flüssig- valenz des DI 26% in der hans-Zell-Histiozytose keitszufuhr ohne erkennbare Pathologie in der Hypo- Akutphase und 6,9% bei kann es ebenfalls zu ei- thalamus-/Hypophysenregion resultieren. Sie wird u.a. den Langzeit-Überlebenden nem Diabetes insipidus bei gewissen Patienten mit Schizophrenie oder anderen kommen, wobei hier die psychischen Auffälligkeiten beobachtet. Selten werden Symptome meist im Kindesalter auftreten. Eine andere bei ZNS-Erkrankungen (z.B. Neurosarkoidose) auch Ursache des zentralen DI sind ischämische Ereignisse, Störungen im Durstempfinden beobachtet, die ebenfalls z.B. im Rahmen einer Apoplexie der Hypophyse bei zur Polydipsie und infolgedessen zum DI führen («dipso- postpartalen Blutungen (Sheehan-Syndrom) oder beim gener DI»), ohne dass die vasopressinergen Neurone generalisierten Hirnödem des hirntoten Patienten. selbst geschädigt sind. Diagnostisch ist die primäre Polydipsie schwierig zu beweisen, da bei chronisch er- Nephrogener Diabetes insipidus höhter Flüssigkeitszufuhr die Konzentrationsfähigkeit Beim nephrogenen DI spricht die Niere nicht oder nur der Niere abnimmt und funktionell ein partieller neph- ungenügend auf das ADH an. Häufig liegt eine reversi- rogener DI vorliegen kann. Auf diese spezielle Proble- ble Schädigung des Tubulussystems im Rahmen einer matik wird im Abschnitt über die Differentialdiagnose akuten Tubulusnekrose vor («polyurische Phase der eingegangen. Schweiz Med Forum 2010;10(7):123–128 124
curriculum Reversibler Diabetes insipidus men, isotonen Zustand behalten. Tendenziell liegen die in der Schwangerschaft Natriumwerte beim DI jedoch auch bei intaktem Durst- Ein DI kann in der Schwangerschaft neu auftreten. Da- gefühl und freiem Zugang zu Wasser im oberen Norm- neben kann jeder vorbestehende DI, insbesondere auch bereich. Liegt hingegen eine primäre Polydipsie vor, eine klinisch zuvor inapperzepte partielle Form, wäh- sind die Natriumwerte typischerweise im unteren rend der Schwangerschaft manifest werden. Für diese Normbereich. Eine manifeste dipsogene Hyponatriämie interessanten Phänomene wird die plazentare Produk- (Wasserintoxikation) bei Patienten mit normaler Nie- tion einer Vasopressinase verantwortlich gemacht, renfunktion (d.h. normaler Fähigkeit, den Urin zu ver- welche das antidiuretische Hormon degradiert und so dünnen) und genügender Salzufuhr ist aber praktisch einen relativen ADH-Mangel bewirkt. nicht zu erreichen, denn die renale Kapazität, freies Wasser auszuscheiden, liegt in dieser Situation bei bis zu 20 Litern täglich. Solche Mengen können in aller Die Differentialdiagnose kann schwieriger Regel nicht getrunken werden. sein als erwartet Der erste Schritt in der Differenzierung eines DI ist stets die Objektivierung einer Polyurie durch eine Urinmes- Unabhängig davon, ob er zentral oder renal bedingt ist, sung über ein längeres Zeitintervall (i.d.R. 24 Stunden). findet man beim DI eine Hyposthenurie als Ausdruck Beim Erwachsenen gelten wie erwähnt Urinmengen einer ungenügenden Konzentrierungsfähigkeit der von über ~50 ml/kg KG und Tag als pathologisch. Eine Niere, weshalb beim unbehandelten DI die Gefahr einer orientierende Messung der Urin-Osmolalität kann rich- Hypernatriämie und Hypovolämie besteht. Allerdings tungsweisend für die Diagnose eines DI sein, wobei zu können die Patienten mittels vermehrter Flüssigkeits- beachten ist, dass die Präanalytik und die Messung zufuhr (das Durstgefühl ist in der Regel erhalten, da selbst nicht trivial sind. Die Proben sollten rasch analy- sich das Durstzentrum im anterioren Hypothalamus siert, Gefrieren und Auftauen vermieden werden. Die befindet) und zellulärer Kompensationsmechanismen Standardmethode zur Bestimmung von Osmolalitäten (Verschiebung von Wasser von intra- nach extrazellu- in Körperflüssigkeiten ist die Messung der Gefrier- lär, dem osmotischen Gradienten folgend) einen euvolä- punktserniedrigung. Liegt eine hyposthenurische Poly- urie vor, kann die Diagnose DI mittels eines Durstver- suches bestätigt werden (Vorgehen siehe Tab. 2 p). Bei kooperativen Patienten ohne Hypernatriämie kann ein Tabelle 1. Ätiologien des Diabetes insipidus. Über-Nacht-Durstversuch zuhause durchgeführt wer- Zentraler Diabetes insipidus Primär Hereditär (autosomal dominant vererbt) den. Nach Flüssigkeitskarenz ab dem Vorabend werden Idiopathisch am Morgen zeitgleich die Osmolalitäten im Plasma und Sekundär Traumatisch (Schädel-Hirn-Traumata) Postoperativ: transsphenoidale Chirurgie, Operationen im Hypothalamus-/ Hypophysenstielbereich Granulomatös (Sarkoidose, Histiozytose) Vaskulär (Blutungen) Neoplastisch (Kavernome, Kraniopharyn- geome, Hypophysenadenome, Meningeome, Metastasen, Germinome) Infektiös (Meningitis, Enzephalitis) Entzündlich-autoimmun (lymphozytäre Neurohypophysitis) Medikamentös-toxisch (Äthanol, Phenytoin, Schlangengift) Nephrogener Diabetes Primär Kongenital (X-chromosomal oder insipidus autosomal-rezessiv vererbt) Idiopathisch Sekundär Akute Nierenschädigung, z.B. akute Tubulusnekrose; postrenale Obstruktion Abbildung 2 Medikamentös-toxisch (Lithium, Auszug aus der Sequenz des ADH-Gens bei einer Patientin mit Cisplatin, Amphotericin B) autosomal-dominant vererbtem zentralem Diabetes insipidus. Es wurde genomische DNA amplifiziert und direkt sequenziert. Jeder Hyperkalzämie, Hypokaliämie farbige Peak entspricht dem Signal zweier identischer Basen, von Sarkoidose, Amyloidose denen je eine von einem der beiden elterlichen Allele entstammt. Vaskulär (Sichelzellanämie) An dem durch den Pfeil markierten Stelle sind zwei Basensignale zu sehen: Zusätzlich zum korrekten G (Guanin; schwarz) ist ein T Primäre Polydipsie Psychische Schizophrenie; andere (Thymidin; rot) vorhanden. Diese heterozygote Punktmutation liegt Ursachen zufälligerweise gerade am Ende des zweiten von drei Exons. Sie Vermehrtes «Dipsogener Diabetes insipidus» hat zur Folge, dass anstelle der normalerweise synthetisierten Durstempfinden Aminosäure Glutamin ein Stopsignal ins Protein eingebaut wird, was zum frühzeitigen Abbruch der ADH-Synthese am Ribosom führt. Schweiz Med Forum 2010;10(7):123–128 125
curriculum Durstphase die Urin-Osmolalität unterhalb derjenigen Tabelle 2. Protokolle für Durstversuche. im Plasma, obschon diese auf 0300 mosm/kg ansteigt, Ambulanter Über-Nacht-Durstversuch zuhause und in der Praxis verliert der Patient 2–5% seines anfänglichen Körper- Patient durstet zuhause für 8–10 Stunden über Nacht. gewichts, und bleibt eine Verkleinerung der Urinpor- Erste morgendliche Urinportion verwerfen. tionen trotz Wasserentzug und steigender Plasma-Os- molalität aus, liegt ein DI vor. Wird dagegen der Urin In der Praxis: zeitgleiche Entnahme von Osmolalität im zweiten Morgenurin und im Plasma. auf das mehr als Zweieinhalbfache der gleichzeitig ge- messenen Plasma-Osmolalität konzentriert, ist ein DI Interpretation ausgeschlossen. Schwierig zu diagnostizieren sind par- Normale ADH-Sekretion und -Wirkung: Urin-Osmolalität >2,5fach über tielle renale oder zentrale Formen, wo eine gewisse Plasma-Osmolalität. submaximale Fähigkeit zur Urinkonzentrierung erhal- Schwere Störung im antidiuretischen System: Urin-Osmolalität 150 mM; Plasma-Osmolalität keitsmengen, die die Nephrone durchströmen, der kor- >300 mosm/kg. tiko-medulläre Osmogradient im Niereninterstitium 6. Falls eine Urin-Osmolalität >800 mosm/kg bei gleichzeitiger Plasma-Osmolalität ausgewaschen wird [6] und dadurch die maximalen 50% nach Desmopressin-Gabe. cher der renale Osmogradient retabliert wird. Zur Abgrenzung des zentralen gegenüber dem nephro- Nephrogener DI: Anstieg der Urin-Osmolalität um
curriculum auszuschliessen. Bei gesunden Menschen lässt sich die gnen raumfordernden Prozessen bzw. Metastasen). Bei Neurohypophyse in T1-gewichteten nativen Bildern Patienten mit zentralem DI nach operierten Hypophy- meistens durch ein hyperintenses Signal («bright spot») sentumoren ist das MRI zumindest in der initialen erkennen, welches wahrscheinlich durch die dort Phase Teil der postoperativen Nachsorge. gespeicherten Neurovesikel hervorgerufen wird. Bei Patienten mit zentralem DI fehlt meistens dieses hyper- intense Signal [8]. Abbildung 3 x zeigt die typische Er- Therapeutische Ansätze scheinung der Hypophyse im MRI beim Gesunden (nor- maler «bright spot») und bei zentralem DI (fehlendes Prinzipiell hat die Therapie des DI folgende Ziele. Ers- Hinterlappensignal). Die Bildgebung des Hypophysen- tens: die Korrektur und Vermeidung eines allfälligen hinterlappens kann bei der Abklärung eines DI hilfreich Wasserdefizits; zweitens: eine Reduktion der Urinver- sein. Die Diagnose darf sich jedoch nie alleine auf das luste. Bei wachen Patienten mit intaktem Durstgefühl MRI abstützen, weil die Prävalenz des «bright spot» mit sind Polyurie und Polydipsie oft einschränkend im All- zunehmendem Alter der Patienten abnimmt. tag und deshalb zu beheben. Bei komatösen Patienten Ein Befund, der bei einem Drittel der Kinder mit zen- besteht dagegen die Gefahr der Dehydrierung und tralem DI beobachtet wird, ist die Verdickung von nur Hypernatriämie. einem Teil oder des ganzen Hypophysenstiels auf über 2 mm. Bioptisch konnte in manchen Fällen eine lym- phozytäre Infiltration des Stiels nachgewiesen werden, Unkontrollierter Diabetes insipidus hinweisend auf eine lymphozytäre Infundibulo-Neuro- mit Hypernatriämie/Hyperosmolalität hypophysitis. Dieser MRI-Befund ist ebenfalls nicht spezifisch und wurde auch bei anderen DI-Ätiologien Das Wasserdefizit kann bei Hypernatriämie mit folgen- beobachtet, so bei «idiopathischen» Fällen, bei Langer- der Formel abgeschätzt werden: hans-Zell-Histiozytose oder bei Sarkoidose. Wasserdefizit = 0,6 x Körpergewicht x ([Na+]–140)/140 Auch wenn sich bei der initialen Abklärung im MRI keine Raumforderung und keine Verdickung des Hypo- Dabei ist das Körpergewicht im normalen, euvolämem physenstiels finden, ist zumindest bei Kindern mit zen- Zustand gemeint und [Na+] entspricht der Natrium- tralem DI die Wiederholung der Untersuchung vertret- konzentration im Serum in mmol/l. bar, da diese Befunde erst später in Erscheinung treten Da das Hirn die zelluläre Schrumpfung bei Hyperosmo- können, wie eine neuere Studie gezeigt hat. larität mittels Konzentrationsanstieg von intrazellu- Insgesamt ist aber festzuhalten, dass die Hauptrolle des lären organischen Molekülen bekämpft, sollte man die MRI bei der Erstabklärung eines zentralen DI in der Ur- Korrektur der Osmolarität langsam durchführen, um sachensuche besteht (Frage nach benignen oder mali- die Ausbildung eines zerebralen Ödems zu verhindern. Ziel ist eine Senkung der Osmolalität von ca. 10 mosm/kg pro Tag. Bei schwerer Hypovolämie soll vor Gabe von freiem Wasser (in Form von 5%iger Glukoselösung) A B oder von 0,45%iger Kochsalzlösung initial isotone Kochsalzlösung verwendet werden. Elektrolyte sollten dabei regelmässig kontrolliert werden. Bei zentralem DI ist die Gabe von DDAVP gleichzeitig zur intravenö- sen Flüssigkeitsgabe indiziert, bei bewusstseinsver- änderten Patienten auch parenteral. Chronischer, zentraler Diabetes insipidus Diese Patienten werden mit Desmopressin behandelt. Es gibt intranasale Tropfen, bei denen die verschrie- Abbildung 3 bene Dosis durch einen feinen, kalibrierten Schlauch MRI bei einem gesunden Probanden (A) und einem Geschwister mit zentralem Diabetes insipidus (B). Es werden sagittale Schnitte von nativen, T1-gewichteten Aufnahmen appliziert werden kann. Daneben sind auch intranasale gezeigt. Beim gesunden Individuum ist der Hypophysenhinterlappen als hyperintenses, Sprays erhältlich. Desmopressin in Tablettenform hat bananenförniges Signal sichtbar (Pfeil). Dieses Signal fehlt beim Patienten mit Diabetes eine schlechte Bioverfügbarkeit, und die Dosisfindung insipidus. ist oft schwierig. Kürzlich wurde auch ein sublinguales ST = sella turcica; HS = Hypophysenstiel; C = Chiasma opticum. Präparat entwickelt, mit dem erst beschränkte klini- sche Erfahrungen vorliegen. Die Dosierungen der ver- Tabelle 3. Dosierungen der oralen Formen von Desmopressin. schiedenen Präparate sind in Tabelle 3 p aufgeführt. Applikation i.v./s.c./i.m. Nasal p.o. Sublingual Nebenwirkungen sind vor allem Kopfschmerzen und Konzentration 4 µg/ml 0,1-mg/ml-Lösung; Tbl. à Tbl. à 60/120/240 µg Müdigkeit sowie gastrointestinale Beschwerden, Hypo- 10 µg/Sprühstoss 100/200 µg tonie, Tachykardie und Flush-Phänomene (bis 10% der Übliche 2 x 1–4 µg 2–3 x 10–20 µg 3 x 100 3 x 60–120 µg Patienten). Es ist wichtig, dass die Dosis von Desmo- Tagesdosis (–400) µg pressin für jeden Patienten angepasst wird: Bei zu kleinen Dosen besteht die Gefahr der Dehydratation, Schweiz Med Forum 2010;10(7):123–128 127
curriculum Überdosierungen können dagegen zu gefährlichen Folge werden Aquaporin-2-Wasserkanäle vermehrt in Wasserintoxikationen führen. Deshalb ist es auch wich- die luminale Zellmembran eingebaut, was die Wasser- tig, dass Patienten unter Desmopressin-Therapie nur diurese verringert. dann trinken, wenn sie Durst empfinden. Bei sekundären Formen richtet sich die Therapie nach der zugrunde liegenden Krankheit. Chronischer, nephrogener Diabetes insipidus Danksagung Die Autoren danken Herrn Dr. med. G. Stoffel, Winterthur, und Frau Dr. med. S. Fatio, Biel, für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Beim nephrogenen DI werden Thiazide in Kombination mit einer alimentären Natriumeinschränkung sowie Korrespondenz: NSAR eingesetzt. Thiazide und Natriumrestriktion ver- PD Dr. med. J. Rutishauser ursachten eine leichte Hypovolämie. Demzufolge wird Innere Medizin mehr Wasser in der Niere retiniert. Experimentelle Ar- Spitalzentrum Vogelsang 84 beiten zeigten, dass durch Prostaglandine die ADH-ver- CH-2501 Biel mittelte Insertion von Aquaporin-2-Wasserkanälen im j.rutishauser@unibas.ch Sammelrohr gehemmt wird. Somit vermögen nicht-ste- roidale Antirheumatika die Wasserdiurese zu redu- Empfohlene Literatur zieren (antidiuretischer Effekt, aber cave: Gefahr bei – Bichet DG. Hereditary polyuric disorders: new concepts and differen- Niereninsuffizienz, v.a. bei Dehydrataion und älteren tial diagnosis. Semin Nephrol. 2006;26(3):224–33. – Verbalis JG. Diabetes insipidus. Rev Endocr Metab Disord. 2003;4(2): Patienten) [9]. 177–85. Bei Lithium-induziertem DI zeigt Amilorid gute Wir- – Boone M, Deen PM. Physiology and pathophysiology of the vaso- kungen. Amilorid bindet am Na-Kanal an der lumina- pressin-regulated renal water reabsorption. Pflugers Arch. 2008; 456(6):1005–24. len Seite der Sammelrohrzellen und hemmt dadurch Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie unter die intrazelluläre Aufnahme von Lithium [10]. In der www.medicalforum.ch Schweiz Med Forum 2010;10(7):123–128 128
Diabetes insipidus: Differentialdiagnostik und Therapie / Diabète insipide: diagnostic différentiel et traitement Weiterführende Literatur (Online-Version) / Références complémentaires (online version) 1 Rivera JA. Lymphocytic hypophysitis: Disease spectrum and approach to diagnosis and therapy. Pituitary. 2006; 9(1):35–45 2 Behan LA, Phillips J, Thompson CJ, Agha A. Neuroendocrine disorders after traumatic brain injury. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2008;79(7):753–9. 3 Bihan H, Christozova V, Dumas JL, et al. Sarcoidosis: clinical, hormonal, and magnetic resonance imaging (MRI) manifestations of hypothalamic-pituitary disease in 9 patients and review of the literature. Medicine. (Baltimore) 2007;86(5):259–68. 4 Bichet DG. Hereditary polyuric disorders: new concepts and differential diagnosis. Semin Nephrol. 2006;26(3):224– 33. 5 Tharaux PL, Hagege I, Placier S, et al. Urinary endothelin-1 as a marker of renal damage in sickle cell disease. Nephrol Dial Transplant. 2005;20(11):2408–13. 6 Verbalis JG. Diabetes insipidus. Rev Endocr Metab Disord. 2003;4(2):177–85. 7 Morgenthaler NG, Struck J, Alonso C, Bergmann A. Assay for the measurement of copeptin, a stable peptide derived from the precursor of vasopressin. Clin Chem. 2006;52(1):112–9. 8 Fujisawa I. Magnetic resonance imaging of the hypothalamic-neurohypophyseal system. J Neuroendocrinol. 2004;16(4):297–302. 9 Boone M, Deen PM. Physiology and pathophysiology of the vasopressin-regulated renal water reabsorption. Pflugers Arch. 2008;456(6):1005–24. 10 Bedford JJ, Weggery S, Ellis G, et al. Lithium-induced nephrogenic diabetes insipidus: renal effects of amiloride. Clin J Am Soc Nephrol. 2008;3(5):1324–31.
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