"Konzepte zählen, nicht die Personen" - Norient

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"Konzepte zählen, nicht die Personen" - Norient
«Konzepte zählen, nicht die Personen» | norient.com         9 Dec 2021 10:50:47

    «Konzepte zählen, nicht die
    Personen»
    by Heinrich Deisl

    Forschungsstationen angewandter Soundphysik:
    Vergangenen Herbst haben Dopplereffekt Tetrahymena
    veröffentlicht. Es ist die erste Platte des Elektronikprojekts
    seit sechs Jahren. Das österreichische Journal für Musik skug
    traf das Duo beim Heart of Noise Festival im Mai 2013 und
    sprach mit den beiden über Elektronische Musik,
    Wissenschaft und Facebook. Dabei bleibt das Duo so
    kryptisch wie eh und je und streut kräftig Zeichen, ohne
    dabei Spuren zu hinterlassen.

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              «Im akusmatischen Zeitalter gibt es nichts zu sehen
              ausser dem Sound in seiner Nichtidentität.»

    Kodwo Eshun

              «Unsere Technologie zwingt uns dazu, mythisch zu
              leben.»

    Marshall McLuhan

    Der Stadtsaal in Innsbruck ist voll, als Dopplereffekt die in tiefes Blau
    getauchte Bühne betreten. Einer der Headliner des Heart of Noise Festivals
    2013 spielt eines seiner raren Konzerte. Ganz rar ist, dass beide vorher ein
    Interview gaben: Persönliche Gespräche mit dieser um 1995 gegründeten
    Formation kann man an wenigen Fingern abzählen. Namen tun im Weiteren
    zwar nichts zur Sache, nennen wir sie trotzdem To Nhan und Heinrich
    Mueller.

    Dopplereffekt war einige Jahre lang eines der Neben- und dann Folgeprojekte
    von Drexciya. Der frühzeitige Tod des zweiten Drexciyaners 2002 brachte
    Muellers Identität etwas ans Licht. Aber weiterhin ist über ihn so gut wie
    nichts bekannt. Dabei gibt es nur wenige, die die Techno- und
    Elektronikmusik so umfassend geprägt haben wie er. Eine Spurensuche.

    Die Dämmerung von Dopplereffekt
    «Dopplereffekt ist eine audiovisuelle Einheit. Sie beinhaltet alle Aspekte der
    Kommunikation als Medium», macht Mueller gleich zu Beginn klar. «Was
    verwendet wird, hängt davon ab, wie signifikant bestimmte Konzepte über

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    Kultur und Gesellschaft für uns sind». Nhan ergänzt: «Wir beschäftigen uns
    mit wissenschaftlichen Inhalten wie Physik, Quantenmechanik,
    Biotechnologie, maschineller Interaktion oder Übertragungsmedien, die
    audiovisuell fusioniert werden. Musik und Videos geben den momentanen
    Forschungsstand wieder.»

    Offensichtlich bezieht sich Dopplereffekt auf Christian J. Doppler. Der
    Salzburger Physiker beschrieb Mitte des 19. Jahrhunderts den nach ihm
    benannten kinematischen Effekt, wonach ein sich in Schallgeschwindigkeit
    fortbewegendes Signal in Abhängigkeit zum Abstand von Sender und
    Empfänger gestaucht beziehungsweise gedehnt wird. Für den
    technologieaffinen Heinrich Mueller konnte es also keinen besseren Namen
    geben.

    Als Projekt demonstriert Dopplereffekt die «technologischste» Ausprägung
    der vielen Inkarnationen von Heinrich Mueller. Andere sind Der Zyklus,
    Arpanet, Japanese Telecom, Zerkalo, Black Replica oder Zwischenwelt
    (letztere beiden könnten als «Gothic Electro» durchgehen), vorangegangene
    waren Flexitone, Glass Domain oder eben Drexciya. Aufnahmen der frühen
    1990er Jahre lassen sich als immer wieder prominent von House traversierter
    Electro Funk zusammenfassen. Die ersten Dopplereffekt-Platten erschienen
    auf dem eigenen Label Dataphysix Engineering und wurden großteils für die
    Compilation Gesamtkunstwerk neu aufgelegt. Dieser Name hält sich bis
    heute: So existiert nach wie vor eine Informationseinheit rund um
    Dopplereffekt unter der Bezeichnung Dataphysix. Zu dieser Zeit benutzte
    Mueller auch das Pseudonym Rudolf Klorzeiger.

    Einerseits definierte er als Der Zyklus mit Tracks wie «Die Dämmerung von
    Nanotech», «Elektronisches Zeitecho» oder «Formenverwandler» auf den
    1998 und 2000 von Gigolo Records veröffentlichten EPs Tonimpulstest und
    II einen Sound, der entlang der Technoachse München–Berlin–Detroit für
    Furore sorgte. Andererseits galt Drexciya als Gründungsmythos der zweiten
    Welle des Detroit Techno ab den mittleren 1990er Jahren und hatte mit
    Tonträgern auf Underground Resistance, Tresor oder Clone eine ebenso
    große wie eingeschworene Fangemeinde – siehe zum Beispiel den Blog
    «Drexciya Research Lab» des Wissenschaftlers und Musikers Stephen
    Rennicks: eine wahre Goldgrube an Informationen.

    Drexciya war das bislang zwingendste Resultat afronautischer Um- und
    Überschreibungen der Technovisionen von Kraftwerk. Höflich aber bestimmt
    sagt er: «Keine Fragen und keine Antworten dazu. Jedes Projekt folgt seinen
    eigenen Ausrichtungen. Eine Vermischung ist für mich nicht zielführend.»

    Sciene ± Bio ↔ Fiction

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    So ziemlich jedem Detail des Mueller’schen Klanguniversums ist ein
    «angeblich» voranzustellen. Dieser willentlich kryptische Raum kann zwar
    von aussen mit allem Möglichen befüllt werden. Gleichzeitig aber ist sein
    Beharren auf seiner «Nichtidentität» nur konsequent, weil, so Mueller, «ich
    glaube, dass es zwischen Produzent und Beobachter eine Grenze oder eine
    Pufferzone geben muss. Das hat technische Gründe: Man will ja den Fokus
    des Beobachters darauf halten, was man produziert. Die Person hinter dem
    Kunstwerk ist für mich zweitrangig, wichtig ist das Werk als solches. Wenn
    man dem Künstler zu viel Aufmerksamkeit gibt, verliert man die Perspektive
    auf das Werk. Es entsteht der gegenteilige Effekt: Die Aufmerksamkeit wird
    eher zu einem Personenkult als zu einem progressiven Ideen-Set über das
    Werk. Dann fangen biografische Details an, interessant zu werden. Was den
    kreativen Akt auf beiden Seiten jedoch zerstört. Für mich persönlich bedeutet
    dieses ‹Rausnehmen› aus der öffentlichen Wahrnehmung beziehungsweise
    die grösstmögliche Anonymität, Dinge in ihrer Balance zu halten.»

    Womit man mitten ins von Mueller virtuos betriebene Vexierspiel geworfen
    ist: Es ist die Ambivalenz des frei in Raum und Zeit rasenden autonomen
    Signifikanten aka der Künstlerpersonalität, die penibel darauf bedacht ist,
    heftig Zeichen, aber keine Spuren zu hinterlassen.

    Im Vergleich zur letzten Scheibe Calabi Yau Space (2007, Rephlex) hat sich
    mit Tetrahymena Dopplereffekts Fokus von mathematischen auf biologische
    Systeme verschoben. Eine Theoriebrücke schlägt das 2004 als Der Zyklus
    herausgebrachte Album Biometry, bei dem biometrische
    Vermessungstechniken forschungsleitend waren. Die Verklausulierung der
    Bezugssysteme schraubt sich bei Tetrahymena wie eine Doppelhelix um die
    Destillate der aktuellen High-Tech-Gesellschaft. Der Einzeller Tetrahymena
    spielt wegen seiner zwei Zellkerne eine wichtige Rolle in der biomedizinischen

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    Forschung. Dopplereffekt ist nichts weniger als die Aufschlüsselung des
    sonischen Quellcodes, derzeit in Laborsituationen der Biotechnologie: «Keine
    Theorie ist zu abstrakt, als dass sie nicht zu einem Faktum werden könnte.
    Laser, künstliche Intelligenz, das Internet, Gentechnik oder Mondfahrten
    wurden früher als Science Fiction belächelt. Heutzutage sind sie
    Allgemeinplätze.»

    So nennt sich auf Tetrahymena ein Track «Gene Splicing» und auf dem
    Cover ist eine unendliche Abfolge der Buchstaben T, A, G und C abgedruckt –
    die DNA-Basen beziehungsweise kleinsten akustischen Einheiten (siehe
    Cover am Anfang des Posts). Die Nummer «Zygote» schliesst an das analoge
    Pulsieren der Zyklus-Platten an: ein Miniatur-Soundtrack über ein
    dystopisches System, bei dem unbestimmt bleibt, ob es mit einem anderen
    verschmolzen oder heruntergefahren wird.

    Gegenbezeichnungstechniken
    In seinem 2001 erschienenen Buch Hellblau erwähnt Thomas Meinecke die
    zwei Jahre zuvor auf dem Münchner Label Gigolo erschienene
    Zusammenstellung Gesamtkunstwerk. Damit wird Dopplereffekt nach wie

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    vor am öftesten assoziiert. Nummern wie «Master Organisation», «Denki No
    Zuno», «Voice Activated» und vor allem der melodiöse Electrosound in
    «Scientist», der sexy Roboterdisco-Funk von «Pornoviewer» mit seinen
    sleazy Vocals oder «Sterilization» als quasi der Fluchtpunkt liefern
    Referenzlinien bis heute: damals Electroclash genannt, derzeit Minimal Wave.
    Und in zahlreichen DJ-Mix-Compilations vertreten, von Electro Boogie – The
    Tracks (1999) von Aux88, The Next Step Of New Wave (2000) von The
    Hacker und Fear And Loathing 2 (2005) von Luke Slater bis zu Electronic
    Beats (2012) und der vom Münchner Musiker/Produzenten Mooner
    zusammengestellten Compilation Elaste Vol. 4 (2013). Hier werden
    deutscher Expressionismus, beschleunigte Vergangenheit und
    hyperverkörperlichte Zukunft mit internationalen Dancefloors in eine
    Gleichung gebracht.

    Eine unbekannte Grösse blieb jedoch. Auf der Coverrückseite war als Motto
    abgedruckt: «Biological socialism leads towards victory». Eine der Nummern
    hatte ursprünglich «Rassenhygiene» geheissen, wurde aber von DJ Hell
    vorsorglich umbenannt. Und überhaupt der Name Heinrich Mueller – auch
    wenn er für die Platte als Rudolf Klorzeiger firmierte: Als Gestapo-Chef war
    der «echte» Heinrich Müller für die Organisation des fingierten Überfalls auf
    den Radiosender Gleiwitz zuständig gewesen, der den propagandistischen
    Vorwand für den Polenfeldzug lieferte. Seit Kriegsende gilt Müller als
    verschollen, zahlreiche Legenden ranken sich um sein Verschwinden. 1963
    spekulierte der Spiegel darüber, dass es seitens der Amerikaner Pläne
    gegeben hätte, ihn nach dem Krieg wegen seiner entsprechenden Kenntnisse
    für antikommunistische Abwehr einzusetzen. Gleichzeitig inszenieren sich die
    beiden Bandmitglieder auf dem Gesamtkunstwerk-Coverfoto so, als sässen
    sie dem ZK einer klandestinen Revolutionspartei vor, umgeben von Hammer
    und Sichel.

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    Video not available anymore.

    Mit Meinecke gefragt: Hat Techno eine Rasse? Weiter gedacht: Was passiert,
    wenn deutsche Mittelstand-Kids zu Vocoder-Lyrics wie «We had to sterilize /
    the population» tanzen, produziert von einem Afroamerikaner? Mueller
    schweigt dazu. Weniger sind es Dekonstruktionen ambivalenter
    Faschismusikonografien wie etwa bei Laibach, bei Dopplereffekt werden
    noch am ehesten Zeichen einer gewissermassen darwinistisch gedachten
    Präzision daraus. Oder wie es Slavoj Žižek in seinem Buch Der Mut, den
    ersten Stein zu werfen formuliert: eine «Säuberung, die vermittels einer
    gewaltsamen Beseitigung aller Hüllen die Isolation des Kerns des Realen
    anstrebt». Bei allen problematischen Implikationen lässt sich festhalten, dass
    das Geniessen des (grausam) Realen immerhin eine bestimmte Politisierung
    mit sich bringt. In diesem Kern werden Biologie und Technologie zu einem
    evolutionären Fortschreiten als Rasse deklariert, die die Verbesserung
    jeglichen Denkens und Handelns propagiert und sich ent-individualisiert
    einem grösseren Ganzen – der Rationalisierung – unterordnet.

    Dopplereffekts oft orchestral breit ausladende Nummern erzählen nicht von
    der in Jazz gefassten Erfahrung der Massenproduktion durch das Fliessband
    sondern von der Aneignung von Technologie als als Ideengeschichte. Auch
    die Platte Tetrahymena ist voll davon mit ihren sich ineinander morphenden
    Bedeutungsebenen zwischen Pharmazeutik, Mutationen und Kampfstoffen.
    In dem konspirativen transatlantischen Verhältnis zwischen Deutschland und
    den USA stellt Technologie – personifiziert im Detroiter
    Autoindustriegiganten Henry Ford – eine «mythische», höchst zwiespältige
    Verbindungsklammer her: Ford war daran beteiligt gewesen, aus Detroit die

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    «Motorcity» zu machen, er führte die Fliessbandarbeit ein und 1938 wurde
    ihm von den Nazis ein Verdienstorden verliehen. Alles andere als friktionsfrei
    also das Ganze.

    Nachsatz: Es gibt einen anderen «relevanten» Müller, nämlich Johann
    Heinrich. Der deutsche Physiker und Mathematiker forschte Mitte des 19.
    Jahrhunderts unter anderem zu ultravioletter Strahlung und der thermischen
    Wirkung des Sonnensprektrums. Auch wenn diese Verweispfade durchaus
    ihre konzeptionelle Berechtigung haben, spricht eher wenig für eine derartige
    Interpretation. Auf der 2007 von Clone herausgebrachten Neuauflage der
    Platte war dieses (wohl zu verfängliche) Motto vom Cover schliesslich getilgt
    worden.

    Im Teilchenbeschleuniger

              Der Zufall in der Quantenphysik ist nicht ein subjektiver,
              er besteht nicht deshalb, weil wir zu wenig wissen,
              sondern er ist objektiv.

    Anton Zeilinger

    Seit jeher war im Detroit Techno eine Black Secret Technology fundamental
    präsent. Während sich dort Techno immer wieder mit Jazz überkreuzte, ging
    Mueller mit Dopplereffekt in Richtung europäischer Elektroakustik und
    Musique Concrète – siehe etwa den 20-Minuten-Soundscape «Photo
    Injector» auf auf dem Album Linear Accelerator (Gigolo, 2003). Arpanet und
    Japanese Telecom dagegen behandeln Technologie zwischen Internet und
    Simulationssex und liefern veritable Hits wie «NTT DoCoMo», «Probability
    Densities», «Cigarette Lighter» oder «Virtual Geisha». Danach gefragt, wie er
    zu seinen Tracks kommt, antwortet er: «Elektronische Musik ist eine Form
    des globalen Austauschs. Sie ist ein universelles sonisches Medium, das
    jenseits bestimmter kultureller Ausprägungen steht».

    Linear Accelerator errichtet Gratwanderungen zwischen
    Klangimprovisationen und dezenten Dance-Anleihen; ein ziemlich
    runderneuertes Setup, das Afronautik nur noch molekular mitnimmt und am
    ehesten an PanSonic oder Chris & Cosey denken lässt. So kann «Niobium
    Resonators» als eine der schlüssigsten Nummern für Dopplereffekts
    experimentellen Mikrobereich gelesen werden, die gut viertelstündige
    Klangstudie zwischen Futurismus- und Industrialkomplexen würde sich als
    Update von Throbbing Gristles «IBM» anbieten. In gewisser Weise friert
    «Niobium Resonators» die vom Detroit Techno eingeforderte Technologie –
    von Alvin Toffler über Cybotron bis Underground Resistance – nun in einem
    durchrationalisierten, nur noch reinen Technologiestadium als dessen
    Überaffirmation fest. Und verabschiedet sich von Sun Ras Saturn und dem
    «Mothership» von Parliament/Funkadelic. Welche Konsequenzen ergeben
    sich daraus?

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    Mit dieser Platte und dem Nachfolger Calabi Yau Space dringt Dopplereffekt
    in eine Soundarchäologie vor, bei der Mensch und Maschine ein Interface
    konfigurieren, das Raum und Zeit durchpflügt. Weit ausladende, spärliche
    Soundlandschaften werden durchmessen, kontrastiert von Testsignalen und
    sperrigen Beatkonstrukten. «Rhythmen spielten stets eine wichtige Rolle, sie
    wurden nur subtiler, atmosphärischer», schildert Mueller. «Es ging darum, die
    Essenz damaliger Beobachtungen herauszufiltern. Was bei diesen beiden
    Platten Teilchenbeschleuniger und Quantenphysik hiess». Thema dabei war
    unter anderem der um diese Zeit am Forschungszentrum Deutsche
    Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen nahe Berlin eingerichtete
    Linearbeschleuniger TESLA. Aus der Linear Accelerator-Phase stammen
    jene bekannten Fotos, die Nhan und Mueller, in Laborkittel gehüllt, vor einem
    Hohlraumresonator zeigen. «Wir fanden es grossartig im DESY. Wir würden
    gerne auch einmal das CERN besuchen, um den Elementarteilchen
    zuzuhören», grinst Nhan. Immerhin wurden CERN-Bilder für die Covers von
    Calabi Yau Space und Myon-Neutrino (Gigolo, 2002) verwendet.

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    Der im deutschen Sprachraum als Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit bekannte
    Ansatz stammt aus der Stringtheorie und besagt in etwa, wie
    supersymmetrische algebraische Modelle von einem zehn- auf einen
    vierdimensionalen Rechenraum transferiert werden können. Ob er daran
    denkt, Physik zu studieren? «Wenn ich etwas tue, setze ich mir zum Ziel, es
    mit vollem Einsatz zu machen. Ich lese zwar am liebsten wissenschaftliche
    Bücher, aber es gibt Dinge, die mich davon abhalten, ein Studium mit der
    gebührenden Ernsthaftigkeit zu betreiben.» Ein ironisches Lächeln huscht
    über sein Gesicht: «Musik zum Beispiel».

    Als Arpanet wurde mit Platten wie Wireless Internet bereits 2002 das
    kabellose Zeitalter und die totale Vernetzung eingeläutet. Das Internet stellt
    für Mueller nach wie vor einen wichtigen theoretischen Referenzrahmen dar.
    Gefragt nach seiner Einschätzung zu Social Media, kommt der für ihn
    typische pragmatische Kommentar: «Diesen Begriff lehne ich ab. Solche
    Werkzeuge tun, wofür sie entwickelt wurden: technisch vermittelte
    Kommunikationsnetzwerke herzustellen. Wie dringlich der Wunsch nach
    derartiger Interaktion ist, lässt sich daran ablesen, dass 2012 von den circa

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    2,4 Milliarden Internetnutzern weltweit jeder fünfte ein Facebook-Profil
    hatte. Wir haben zwar auch eines, nutzen es aber nur für den professionellen
    Gebrauch.»

    Kontraste
    Wer vorherige Dopplereffekt-Platten oder andere Veröffentlichungen von
    Mueller wegen ihrer (ambienthaften) Tanzbarkeit geschätzt hatte, musste
    sich von Linear Accelerator und Calabi Yau Space enttäuscht sehen. Und
    auch Tetrahymena ist noch am ehesten ein Kopfkino-Soundtrack.

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    Das Projekt trat in eine vollständige Konzeptualisierung von Klang und
    Ikonografie. Diese Entleerung in den Hyperraum macht in der Live-Situation
    aus Nhan und Mueller beinahe regungslose «Showroom Dummies». Es
    scheint, als wäre das Datenkabel zwischen ihren Synthesizern eine digitale
    Nabelschnur.

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    Diverse Berichte mokieren sich darüber, dass auf ihren Konzerten «nichts
    los» sei. Was sowohl falsch wie richtig ist. Dopplereffekt gestaltet sich
    weniger als Live-Band denn als Zuhörprojekt. Eigentlich sollten sie hinter
    einem Vorhang spielen, auf den die Visuals projiziert werden. Während etwa
    Kraftwerks Projektionen trotz aller Abstraktion des Technologischen
    weiterhin einen gewissen humanoiden Faktor mitverhandeln, dringen die von
    Dopplereffekt in das Herz der Maschine ein und stellen in davon praktisch
    leergeräumten Bildern nur noch die Folgeerscheinungen menschlichen
    Handelns dar. Mueller dazu: «Wir zeigen in den Visuals den Kontrast zwischen
    Dingen wie sie waren und wie sie heute genutzt werden. Man will
    beispielsweise Quantenmechanik in ihrer Blütezeit und in ihrem derzeitigen
    Stadium abbilden. Dadurch entsteht eine Korrelation.»

    Dass die verwendeten Ästhetiken für heutige Verhältnisse ziemlich antiquiert
    daherkommen, tut dem Ganzen keinen Abbruch. Vielmehr sind es
    Imaginationen einer verdrängten Zukunft, bei der sich die Zeichen ihres
    Zeitkorsetts entledigen und in einem «enthistorisierten» Zustand bewegen.
    Die elektromagnetischen Gegenrealitäten von Dopplereffekt löschen den
    Produzenten aus, übrig bleibt das Paradigma der Daten.

    → Auswahldiskografie
    Dopplereffekt. 2002. Myon-Neutrino. EP. Gigolo.
    Dopplereffekt. 2007. Gesamtkunstwerk. Clone.
    Dopplereffekt. 2013. Tetrahymena. EP. Leisure System.
    NRSB-11.2013. Commodified. WéMè.
    Visiona + Dopplereffekt. 2014 Die Reisen. EP. Last Known Trajectory.
    Zerkalo. 2009/10. Stoi Storoni Zerkala pt. 1 & 2. EPs, Clone Aqualung Series.
    Zwischenwelt. 2011. Paranormale Aktivität. Rephlex.

    Der Text ist erstmalig erschienen im Journal für Musik Skug #97, 1-3/2014.

    → Published on April 08, 2014

    → Last updated on August 07, 2020

    Heinrich Deisl is a Viennese music journalist and pop culture theoretician. He is
    editor in chief of skug – Journal für Musik, produces broadcasts for Radio Ö1, and is
    writing his PhD thesis on sound topographies of Viennese popular culture.

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