Protest Policing im Wandel? Konservative Strömungen in der Politik der Inneren Sicherheit am Beispiel des G20-Gipfels in Hamburg
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KriPoZ 5 | 2018 291 Protest Policing im Wandel? Konservative Strömungen in der Politik der Inneren Sicherheit am Beispiel des G20-Gipfels in Hamburg von Dr. Daniela Hunold und Wiss. Mit. Maren Wegner* Abstract werden, kann höchst unterschiedlich sein und hängt letzt- Der G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 wurde zum Me- endlich auch von Tendenzen der Inneren Sicherheit ab, da dienereignis, jedoch weniger wegen der Ergebnisse des diese sich in der Justiz- und Polizeipolitik niederschla- Gipfels oder der Großdemonstrationen, sondern aufgrund gen.2 Dementsprechend sind neuere Entwicklungen poli- der gewaltförmigen Eskalationen im Laufe der Protestwo- zeilicher Performanz konservativeren Strömungen zuzu- che. Eine emotionale öffentliche Diskussion schloss sich ordnen. Hinsichtlich der zurzeit angestoßenen Reformen an, u.a. über die Frage nach dem politischen (Nicht-)Ge- der Polizeigesetze in den Bundesländern wie Bayern, halt der Riots. Schnell wurden Maßnahmen gegen die NRW und Sachsen lässt sich so z.B. konstatieren, dass po- linksradikale Szene und autonome Zentren gefordert. lizeiliche Eingriffsrechte insbesondere mit Verweis auf Starke Kritik erfuhr auch die Polizei angesichts einer die die besonderen Herausforderungen im Zuge der Ter- großflächigen Protestverbotszone, der konsequenten Ver- rorabwehr ausgeweitet werden sollen. Mit der Neufassung hinderung von Protestcamps und wegen vieler dokumen- der §§ 113, 114 und 115 StGB wurden des Weiteren die tierter Fälle illegaler Polizeigewalt. Sanktionsmöglichkeiten für Gewalttätigkeiten gegenüber staatlichen Amtsträgern wie Polizeibeamt*innen ver- Die Ereignisse in Hamburg haben grundsätzliche Fragen schärft. Die Position der Polizei findet insofern aktuell im nach dem sicherheitsbehördlichen Umgang mit Protesten Sinne eines „starken Staates“ Unterstützung. Inwiefern aufgeworfen. Beobachterinnen und Beobachter des Pro- sich dies auch im Protest Policing zeigt, soll in diesem Ab- testgeschehens zeigen weitgehend Einigkeit darin, dass schnitt herausgearbeitet werden. das Auftreten der Polizei in Hamburg deutlich repressiv geprägt war. Fraglich erscheint in diesem Zusammen- 1. Das Verhältnis von Protest, sozialen Bewegungen und hang, inwiefern die polizeiliche Einsatztaktik Einfluss auf Polizei Gewaltdynamiken politischer Proteste hat und welche Konsequenzen die repressiven Reaktionen der Hambur- Zum grundlegenden Verständnis kann an dieser Stelle ger Justiz für zukünftige Protestereignisse hat. Der fol- nicht unerwähnt bleiben, welche gesellschaftlichen Funk- gende Beitrag soll vor diesem Hintergrund einen Über- tionen Protest und soziale Bewegungen erfüllen und in blick zu Aspekten der „Protest Policing“1-Forschung ge- welchem Verhältnis Polizei und Protest stehen. Proteste ben, wesentliche Konfliktlinien in Hamburg aufzeigen so- und soziale Bewegungen3 zählen zu den festen Bestand- wie mit einer Diskussion der justiziablen Bearbeitung des teilen der politischen Auseinandersetzung im bundesdeut- Protest-ereignisses als Bestandteil einer Eskalationsdy- schen System und können im Rahmen einer Krise4 als namik abschließen. Träger und Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen begriffen werden. Innerhalb eines demokratischen Wil- I. Protest Policing – Entwicklungen und Merkmale lensbildungsprozesses stellt insbesondere der Protest dann eine notwendige Form politischer Kommunikation dar, Der Umgang mit Demonstrationen stellt zwar nur einen wenn institutionelle Kanäle bedingt durch eine fehlende Teilaspekt des Spektrums der alltäglichen Polizeiarbeit parlamentarische Lobby oder mediale Resonanz verstellt dar, dieser steht jedoch insbesondere im Fokus der öffent- sind. Die Zunahme der Attraktivität der politischen Form lichen Wahrnehmung. Wie Polizei mit Protesten umgeht, des Protests resultiert zumindest zum Teil auch aus dem d.h. auf welche Weise diese kontrolliert und überwacht * Dr. Daniela Hunold ist Gastdozentin am Lehrstuhl für Kriminologie Termini sich teilweise überschneiden, jedoch einen unterschiedli- und interdisziplinäre Kriminalprävention an der Deutschen Hoch- chen Bedeutungsgehalt und/oder Perspektiven aufweisen. Opp defi- schule der Polizei, Maren Wegner ist Wissenschaftliche Mitarbeite- niert Proteste als „gemeinsame, kollektive Handlung von Indivi- rin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpo- duen, die darauf gerichtet ist, ein [politisches] Ziel durch Einfluss- litik ebenfalls an der Deutschen Hochschule der Polizei. nahme auf die Willensbildung zu erreichen; während die soziale Be- 1 Als Protest Policing wird hier der polizeiliche Umgang mit Protes- wegung das Kollektiv der Akteure meint, die ein [politisches] Ziel ten verstanden, vgl. Winter, in: Lange, Staat, Demokratie und Innere durch Einflussnahme auf die Willensbildung zu erreichen sucht.“ Sicherheit in Deutschland, 2000, S. 204. Opp, Theories of political protest and social movements, 2009, 2 Vgl. Frevel, Innere Sicherheit in der Programmatik der Parteien S. 33 ff. 4 2013, online abrufbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpoli- Eine Krise lässt sich unter Rückgriff auf das Hegemoniekonzept von tik/innere-sicherheit/168652/innere-sicherheit-in-parteiprogram- Gramsci beschreiben, demzufolge die Herrschaft immer dann gesi- men?p=all (zuletzt abgerufen am19.9.2018). chert sei, wenn über sie ein politischer und zivilgesellschaftlicher Hinsichtlich der Begrifflichkeiten „Protest“ und „soziale Bewegun- Konsens hergestellt werden könne – eine Krise komme im Phäno- gen“ existieren umfangreiche Definitionen in der Literatur, deren men des Wegbrechens dieses Konsenses zum Ausdruck. Vgl. Kre- tschmann, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 106, 10/2014, S. 52 f.
292 KriPoZ 5 | 2018 Image- und Bedeutungsverlust der konventionellen (re- Andererseits ist es die Aufgabe der Polizei, die öffentliche präsentativ-demokratischen) Beteiligungsformen.5 In Sicherheit und Ordnung zu garantieren sowie (versamm- „postdemokratischen“6 Zeiten entwickeln soziale Bewe- lungsspezifische) Gefahren abzuwehren. Dementspre- gungen alternative Formen des Austauschs sowie der kol- chend können beide Extreme des Polizierens – die Abwe- lektiven Entscheidungsfindung und sind ein zentraler ge- senheit von Kontrolle sowie eine überzogene Kontrolle – genhegemonialer Akteur in der aktuellen Krisenbewälti- eine Gefahr für die Demokratie darstellen.12 Insofern ist gung, die zum Teil auch politisch etablierte Machtstruktu- eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der poli- ren infrage stellen. Aus Sicht des „politisch-hegemonialen zeilichen Performanz im Kontext von Protesten notwen- Establishments“ stellen sich soziale Bewegungen als dig und sinnvoll, in Deutschland allerdings nur rudimentär „avantgardistischer“ Gegenpol dar, welcher die beste- vorhanden.13 hende Ordnung destabilisiert und Wandlungsprozesse an- treibt, beschleunigt oder auch versucht, sich ihnen zu wi- 2. Entwicklungen dersetzen.7 Auch wenn Proteste und soziale Bewegungen als unkonventionelle Beteiligungsformen betrachtet wer- Für die vergangenen Jahrzehnte haben vor allem interna- den, gelten diese seit den 60´er Jahren als fester Bestand- tionale (angloamerikanische) Protestforscher einen Wan- teil in westlich-demokratischen Ländern. del des Protest Policings identifiziert. Demgemäß zeich- nete sich das polizeiliche Vorgehen bei Protesten Ende der Darauf rekurrierend lassen sich die Gipfelproteste in 60´er Jahre durch escalated force aus, womit nied- Hamburg als Bestandteil einer transnationalen Antigloba- rigschwellige, gewaltbetonte sowie kommunikationsarme lisierungsbewegung einordnen, deren vehementes Erstar- Vorgehensweisen gegenüber Demonstrationsteilnehmern ken mit der zunehmenden Prekarisierung – sowohl natio- angesprochen sind.14 In der Regel sollten Proteste als Gan- nal als auch international – korrespondiert. Qualität und zes unterbunden werden. Ein hiesiges Beispiel für eine Quantität von Protest können zudem als Seismograph für entsprechende Tendenz polizeilichen Vorgehens bei Pro- das Ausmaß des Dissenses zwischen der Zivilgesellschaft testen stellen die Studentenrevolten Ende der 60´er Jahre und der Politik im Hinblick auf politisch-ökonomische sowie der tödliche Schuss auf den Studenten Benno Oh- Fragestellungen gewertet werden. Die Hauptanliegen der nesorg durch einen Berliner Polizeibeamten 1967 dar. Demonstrant*innen, die sich an den Gipfelprotesten be- Winter sieht in diesem Ereignis insofern einen Wende- teiligten, sind vielschichtig. Neben grundsätzlicher Kritik punkt im Selbstverständnis der Polizei, indem Traditiona- an kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssyste- listen innerhalb der Organisation sich zunehmend gegen- men, sowie der weltweiten Durchsetzung Neoliberalismus über „Störern der staatlichen Ordnung“ sichtbar kämpfe- stand ebenfalls die Unzufriedenheit mit der gegenwärti- risch zeigten. Insgesamt lag „die Schwelle für den polizei- gen (nationalen) demokratischen Praxis im Vordergrund.8 lichen Gewalteinsatz“ in dieser Zeit sehr niedrig.15 Zudem war das Phänomen ‚Demonstration‘ zuvor kaum relevant, Das Beziehungsgeflecht zwischen der Polizei und dem sodass die Polizei in ihrem Handeln im Zuge der Studen- Protest wird bei der Betrachtung des gesamten Konflikt- tenrevolten mehr in das Licht der Öffentlichkeit geriet. In systems deutlich. Als Konfliktparteien stehen sich im der Folge differenzierte sich das Vorgehen im Rahmen Falle des politischen Protests der Staat (sowie Unterneh- von Protesten aus, indem polizeiliche Maßnahmen zuneh- men) und die Protestgruppierung gegenüber. Die Polizei mend Störer von Demonstrationen fokussierten. Die als Repräsentant des staatlichen Gewaltmonopols ist zwar grundsätzlich harte Linie gegenüber Protestierenden fand kein originärer Adressat von Protest, sie bildet jedoch die jedoch erst mit dem versammlungsfreundlichen Brock- „Meta-Rahmenbedingung“9 und transformiert zu einem dorf-Beschluss 198516 eine Wende, welches sich auch in direkten Konfliktgegner – dem „Gegenüber“ – sozialer Polizeiphilosophien zum Umgang mit Protesten nieder- Bewegungen, da sich die „konkrete Choreographie von schlug. Die folgende Phase ist von einem gelasseneren po- Protestereignissen“10 häufig als das Ergebnis der Interak- lizeilichen Vorgehen bei Demonstrationen gekennzeich- tion zwischen den Protestierenden und der Polizei dar- net, da diese nicht mehr als ausschließlich als Gefahr für stellt. die staatliche Ordnung gesehen wurden. Insgesamt entwi- ckelte sich die Polizeiphilosophie weg von einer Staats- Die polizeiliche Kontrolle von Protesten und sozialen Be- hin zu einer Bürgerpolizei.17 wegungen stellt vor diesem Hintergrund ein Spannungs- feld in demokratischen Gesellschaften dar. Denn einer- Eine Hinwendung zu kommunikationsorientierteren Stra- seits ist die Teilnahme an (friedlichen), öffentlichen Pro- tegien lassen sich auch in anderen Ländern beobachten testen hier als Ausdruck der Versammlungsfreiheit und und wird in der Literatur als negotiated management be- damit als eines der „unentbehrlichen Funktionselemente schrieben. Kennzeichnend hierfür sind z.B. eine generelle eines demokratischen Gemeinwesens“11 zu betrachten. 5 11 Ullrich, Das repressive Moment der Krise, 2012, online abrufbar BVerfGE 69, 315. 12 unter: https://protestinstitut.eu/das-repressive-moment-der-krise/ Gillham, Sociology Compass, 7/2011, S. 636 ff. 13 (zuletzt abgerufen am 19.9.2018). Haunss/Ullrich, Soziologie 3/2013, 291 (292). 6 14 Crouch, Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte 4/2008, S. 4 ff. Vgl. Gillham, Sociology Compass, 7/2011, 636 (640). 7 15 Vgl. Haunss/Ullrich, Soziologie 3/2013, 291 (294). Winter, Politikum Polizei – Macht und Funktion der Polizei in der 8 Haunss et al., #NoG20, 2018, S. 11 ff. Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 209. 9 16 Winter, Protest Policing und das Problem mit der Gewalt, 1998, BVerfGE 69, 315. 17 S. 1. Winter, Politikum Polizei – Macht und Funktion der Polizei in der 10 Haunss/Ullrich, Soziologie 3/2013, 291 (296). Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 209 ff.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel? KriPoZ 5 | 2018 293 Akzeptanz des Versammlungsrechtes, höhere Einschreit- Spezialeinheiten wie dem SEK, das eigentlich auf Geisel- schwellen sowie Aushandlungen zwischen der Polizei und nahmen und Terrorismusbekämpfung spezialisiert ist, ist kooperationsbereiten Protestierendengruppen, beispiels- immer häufiger zu beobachten, so z.B. in Sachsen bereits weise über Größe und Route eines Demonstrationszuges seit 201423. Wie Polizei sich ausrüstet ist für den Umgang mit dem Ziel, mögliche Störungen oder Ausschreitungen mit der Versammlungsfreiheit insofern relevant, als be- unter Kontrolle zu halten bzw. zu verhindern. Für die reits hier ein Eingriff in die innere Versammlungsfreiheit U.S.-amerikanische Polizei lassen sich entsprechende erfolgen kann, wenn Ausrüstung und Wahl der eingesetz- Einsatzstrategien bereits ab Mitte der 70´er Jahre be- ten Einheiten eine abschreckende oder eine die Proteste obachten.18 delegitimierende Wirkung entfalten. So signalisiert auch die Verwendung von Technik wie Wasserwerfern, Räum- Die aushandlungsorientierte Polizeiphilosophie für den fahrzeugen etc. eine geringe Toleranz gegenüber Protes- Umgang mit Protesten wurde schließlich zuletzt abgelöst tierendengruppen. Sie können als „non-verbal signal“24 von Vorgehensweisen der strategic incapacitation.19 betrachtet werden. Hiernach nutzen Polizeiorganisationen Möglichkeiten der Ingewahrsamnahmen, um Protestierende kurzzeitig fest- Schließlich lassen sich auch auf der rechtlichen Ebene zu- zusetzen, weisen größere (innerstädtische) Areale als De- nehmend Einflussnahmen im Rahmen des Polizierens von monstrationsverbotszonen aus und greifen stärker auf Protest auf das Versammlungsrecht erkennen wie sich nicht-tödliche Waffen wie Wasserwerfer und Reizgas zu- beispielsweise im Kontext von „Blockupy Frankfurt“ ge- rück. Ein weiteres wesentliches Merkmal für diesen Typ zeigt hat.25 Dort führten bereits die im Vorfeld der Ereig- Polizeistrategie im Kontext von Protestbewegungen stellt nisse vorgenommenen diskursiven Raumproduktionen die dichotome Kategorisierung von Protestierenden als zur Gefährdung bestimmter Gebiete durch das antizipierte friedlich/normal und professionell/unfriedlich dar.20 Zwar gewaltsame Verhalten von Aktivist*innen seitens der konnten Tendenzen zu solchen bipolaren Kategorisierun- Stadtregierung und der Polizei zum Verbot aller angemel- gen von Demonstrant*innen seitens der Polizei schon im- deten Veranstaltungen im Innenstadtbereich. Somit fand mer beobachtet werden, allerdings gewinnen im Rahmen eine massive Einflussnahme auf das Recht auf Versamm- der strategic incapacitation das antizipierte Gefährdungs- lung allein durch die behördliche Gefahrenprognose statt, potential von Personengruppen sowie daran anknüpfend deren Informationsgrundlage intransparent geblieben ist. konstruierte Feindbilder an Relevanz. Friedliche De- monstranten handeln demnach im Sinne der hegemonial Der hier nachgezeichnete Wandel des Protest Policing als legitim anerkannten Protestformen und akzeptieren die lässt sich in den größeren Kontext der Entwicklungen in Forderungen der Polizei. Dagegen erscheinen unfriedliche der Sicherheitspolitik einordnen: „This shift in police tac- Protestteilnehmer als potentielle Gewalttäter und werden tics during protests is consistent with broader changes in mitunter bereits im Vorfeld seitens der Organisation als the ideological underpinnings of crime control, including „Straftäter“ bezeichnet.21 Ebendiese Veränderungen wer- an emphasis on risk management and the prevention of den im Zusammenhang mit dem summit policing gesehen. (rather than reaction to) crime and disorder“26. Das Poli- Denn Gipfelproteste richten sich seitens der Aktivist*in- zieren von Protest zeichnet sich vor allem durch „risk as- nen gegen globale Akteure und zeichnen sich durch neue sesment“ und „risk management“ aus, was sich mitunter Strategien des Protestes aus. Dazu gehören u.a. Formen in der Identifizierung von potentiellen Gefahren und Stö- des zivilen Ungehorsams und „räumlich ungleich und un- rer*innen im Vorfeld, die Gewinnung der Deutungshoheit vorhersagbar verteilte Orte des Widerstandes“, was eine über Ereignisse mittels Kommunikation sowie die Kon- neue Herausforderung für das Polizieren von Prostest dar- zentration auf Räume zeigt.27 stellte.22 3. Merkmale Darüber hinaus zeichnet sich jüngst im Sinne des „starken Staates“ eine militärische Aufrüstung der Polizei ab, wel- Wie die polizeiliche Performanz ausfällt, hängt neben den che ihren Anfang vor einigen Jahren in USA nahm und sicherheitspolitischen Strömungen auch von Situations- von Forscher*innen mit Besorgnis beobachtet wird. Diese und Kontextfaktoren ab. Hierbei liegt es zunächst einmal zeigt sich u.a. im Einsatz von Schnellfeuerwaffen für im polizeilichen Ermessen, ob die Polizei bei Demonstra- „normale“ Polizeieinheiten sowie im Ausbau des Bestan- tionen und sonstigen Versammlungen überhaupt anwe- des und Einsatzes von gepanzerten Fahrzeugen. Legiti- send ist. Auf Grundlage einer Gefahrenprognose wird miert werden die entsprechenden Entwicklungen u.a. mit diesbezüglich entschieden, welcher Kräfteansatz notwen- dem Kampf gegen den Terrorismus. Auch der Einsatz von dig erscheint. Aufzüge von rechten Gruppierungen wer- den in der Regel begleitet, da das Mobilisierungspotenzial 18 23 Gillham/Noakes, An International Quarterly 2007, 335 ff.; della Kirsch, Militarisierung des Protest Policing: Polizeikrieger als auto- Porta/Petersen/Reiter, The policing of transnational protests, 2007, ritäre Konfliktlösung, 2017, online abrufbar unter: S. 3. https://www.cilip.de/2017/11/27/militarisierung-des-protest-poli- 19 Gillham/Noakes, An International Quarterly 2007, 335 (338). cing-polizeikrieger-als-autoritaere-konfliktloesungsstrategie/ (zu- 20 Ullrich, "„Normalbürger “versus „Krawalltouristen“. Polizeiliche letzt abgerufen am 19.9.2018). 24 Kategorisierungen von Demonstrationen zwischen Recht und Sozi- della Porta/Reiter, Policing protest: The control of mass demonstra- ologischem Ermessen, 2017, S. 61 (65). tions in Western democracies, 1998, S. 250. 21 25 Dießelmann, Ausnahmezustand. Diskursanalyse des G8-Gipfels in Vgl. Petzold/Pichl, KrimJ 2013, 211. 26 Heiligendamm, 2015 (online verfügbar). Gillham/Noakes, An International Quarterly 2007, 335 (343). 22 27 Petzold/Pichl, KrimJ 2013, 211. Petzold/Pichl, KrimJ 2013, 211 (216).
294 KriPoZ 5 | 2018 der „Gegenseite“ als hoch eingeschätzt wird, sodass ein 1. Der Weg zum Gesetz Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Lager verhin- dert und Konfliktdynamiken kontrolliert werden sollen. Bereits mit Blick auf die jüngere Gesetzeshistorie lässt sich ein Zusammenhang der Änderungen zu Protestereig- Situative Faktoren wie die Größe einer Demonstrations- nissen konstituieren. Unter anderem die gewalttätigen veranstaltung, die von den Akteuren genutzten Örtlichkei- Ausschreitungen im Rahmen der sogenannten Blockupy- ten, der (politische) Zweck des Protests sowie Formen des Bewegungen anlässlich der Eröffnung der Europäischen ausgeübten Protests – zu nennen sind hier beispielshaft Zentralbank in Frankfurt am Main am 18. März 2015 ge- Demonstrationszüge und die geplanten Routen, Sitzblo- genüber Einsatzkräften der Feuerwehr und Polizei veran- ckaden, Verwendung von Pyrotechnik etc. – sind maßge- lassten die schwarz-grüne Landesregierung Hessens im bend für die Ausgangssituation der Polizei-Protestieren- April 2015, einen Gesetzentwurf, der den tätlichen An- den-Interaktionen, die Wahl der polizeilichen Kontroll- griff auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte30 zum praktiken sowie Konfliktdynamiken zwischen Polizei und Gegenstand hatte, über den Bundesrat in den Bundestag Protestierenden. Der Verlauf von Protestereignissen hängt einzubringen.31 Auch der zwei Wochen später über das im Wesentlichen von einem Wechselspiel zwischen Pro- Saarland mit ähnlicher Zielrichtung eingebrachte Gesetz- testierenden- und Polizist*innenverhalten ab. Dabei wird entwurf32 proklamierte ein gesteigertes Schutzbedürfnis der polizeilichen Performanz ein nicht unwesentlicher von Polizeibeamt*innen, die Demonstrationszüge beglei- Einfluss auf das Protestgeschehen zugeschrieben. Repres- ten33, und nimmt damit zumindest mittelbar Bezug auf sivere Vorgehensweisen können dementsprechend eher Protestereignisse resp. auf etwaige Ausschreitungen bei negative Einflüsse auf den Protestverlauf haben.28 Protestereignissen. Obwohl die Gesetzesinitiativen in den Parlamenten vornehmlich durch konservativ ausgerich- Im Sinne der Bedeutung polizeilichen „risk assesments“ tete Parteien Unterstützung fanden34, scheiterte die und „risk managements“ im Rahmen von Gipfelprotesten, Durchsetzung letztlich am Widerstand der rot-grün regier- hat die Konstruktion von Bedrohungsszenarien die Ge- ten Länder im Bundesrat.35 waltbereitschaft von Protestierenden betreffend einen be- deutsamen Einfluss auf die von der Polizei gewählte Ein- Am 23.12.2016 erfuhr das Vorhaben durch den Referen- satzstrategie. Entsprechende Szenarien resp. Diskurse zu tenentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstre- „gefährlichen“ Gruppen können im Rahmen von Protest- ckungsbeamten und Rettungskräften des Bundesministe- ereignissen als „verbal signal“ bezeichnet werden, welche riums der Justiz und für Verbraucherschutz quasi eine eine ebenso delegitimierende Funktion für den jeweiligen Neuauflage. Dieser wurde am 8.2.2017 durch die Bundes- Protest darstellen, und somit auf die Konfliktdynamiken regierung beschlossen und durch die Fraktionen der CDU zwischen Polizei und Protestierenden wirken. und SPD in den Bundestag eingebracht. Noch vor der Übergabe an den federführenden Ausschuss für Recht und II. Protest Policing und die Änderung der sogenannten Verbraucherschutz wurde ein wortgleicher Entwurf durch Widerstandsdelikte die Bundesregierung zur Stellungnahme zugeleitet. In der im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses stattge- Da Protest Policing ebenfalls einen repressiven Teilaspekt fundenen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbrau- in Form der Verfolgung (politisch motivierter) Straftaten cherschutz wurde der Gesetzentwurf kontrovers diskutiert im Kontext von Protesten aufweist, müssen in diesem Zu- und durchaus ambivalent betrachtet. Während insbeson- sammenhang die durch das 52. StÄG am 30.5.2017 in dere Vertreter der Polizeibehörden und -gewerkschaften Kraft getretenen Änderungen der sogenannten Wider- dem Gesetzentwurf positiv bewerteten und als wichtiges standsdelikte der §§ 113, 114, 115 StGB29 betrachtet wer- Signal im Hinblick auf Respekt und Wertschätzung ver- den. standen,36 kritisierten vornehmlich Rechtswissenschaftler die konkrete Ausgestaltung und praktische Anwendung Auf zwei Aspekte soll dabei im Einzelnen eingegangen werden. Zunächst soll das Gesetzgebungsvorhaben als le- gislativer Prozesse betrachtet werden. Schließlich werden die implementierten Änderungen im Lichte der Versamm- lungsfreiheit näher zu fokussieren sein. 28 35 Nassauer, PiJPSM 2015, 3 (4). Vgl. Zöller, KriPoZ 2017, 143 (145); Vgl. Schiemann, NJW 2017, 29 BGBl I Nr. 30, S. 1226 ff. 1846 (1847). 30 36 BR-Drs. 165/15. Vgl. Radermacher, Gesetzesentwurf zur Stärkung des Schutzes von 31 LT-Drs. 19/1987, S. 2. Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, online abrufbar unter: 32 BR-Drs. 187/15. https://www.bundestag.de/blob/499238/e37d65155a868904db9176 33 Vgl. a.a.O., S. 6. e94b93bbe7/radermacher-data.pdf (zuletzt abgerufen am 34 Vgl. Antrag der Fraktion der CDU im Landtag Rheinland-Pfalz LT- 18.9.2018); zum Antrag der Fraktion der CDU im nordrhein-west- Drs. 16/5031; Antrag der Fraktion der CDU im nordrhein-westfäli- fälischen Landtag zur Unterstützung der hessischen Bundesratsini- schen Landtag zur Unterstützung der hessischen Bundesratsinitia- tiative: LT-Drs. 16/8979 vgl. DPolG, Stellungnahme 16/3427, on- tive: LT-Drs. 16/8979; Antrag der AfD in der Bürgschaft Hamburg: line abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenser- Drs. 21/331; Antrag der Fraktion der CDU in der Bürgschaft Ham- vice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-3427.p burg: LT-Drs. 21/404; Antrag der AfD im brandenburgischen Land- df;jsessionid=A9ED27FD3BF43254013024CF5A8E4824.ifxwor- tag: LT-Drs. 6/1193 sowie der Entschließungsantrag der CDU zum ker (zuletzt abgerufen am 18.9.2018). Antrag der AfD: LT-Drs. 6/1273.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel? KriPoZ 5 | 2018 295 des geplanten Gesetzes.37 Auf Beschlussempfehlung des durch die Gesetzesänderungen wurden demgegenüber im federführenden Ausschusses wurde schließlich noch eine Gesetzgebungsverfahren kaum thematisiert. Der Arbeits- Erweiterung des § 323c StGB in das Gesetz aufgenom- kreis Kritischer Jurist_innen befasste sich mit der Thema- men.38 Der Bundestag nahm am 27.4.2017 das Gesetz der tik eingehend in der Stellungnahme zum hessischen Ge- Koalitionsfraktionen mit den Stimmen der Fraktionen setzesentwurf und bezeichnete die geplante Änderung als CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der Fraktio- „weitere[n] Schritt zur Aushöhlung des Demonstrations- nen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ge- rechts.“44 In der öffentlichen Anhörung zum jüngsten Ent- änderter Fassung an, der Bundesrat stimmte am 12.5.2017 wurf wies lediglich Müller darauf hin, dass die Diskussion zu und das Gesetz trat schließlich am 30.5.2017 in Kraft. um die Neugestaltung der „Widerstandsdelikte“ im Ge- setzentwurf vollständig übergangen wurde, während im In der Chronologie des Gesetzgebungsverfahrens erschei- Gegensatz dazu die Wechselwirkung bei der Diskussion nen zwei Faktoren bemerkenswert. Das „zweigleisige“ im Jahre 1970 im Mittelpunkt stand.45 Vorgehen im Rahmen der Initiierung deutet darauf hin, dass das Gesetzgebungsvorhaben aus Sicht der Bundesre- Insgesamt wird bereits aus dem Gesetzgebungsverfahren gierung eine gewisse Dringlichkeit aufwies und in einem deutlich, dass eine zunehmend konservative Strömung das beschleunigten Verfahren durchgesetzt werden sollte.39 Gesetz prägt, indem die Schutzbedürftigkeit staatlicher Vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung am Repräsentanten, die Autorität staatlicher Vollstreckungs- 16.11.2015 bekanntgegeben hatte, dass Deutschland im akte und damit auch das Gewaltmonopol des Staates für Jahr 2017 die G20-Präsidentschaft übernehmen werde40 die gesetzgeberische Intention handlungsleitend waren und am 10.6.2016 postuliert wurde, dass die Wahl für den und die Betrachtung von möglichen Wechselwirkungen Austragungsort des G20-Gipfels auf Hamburg gefallen zu Freiheitsrechten hiervon nahezu vollständig überlagert ist,41 kann retrospektiv die Frage aufgeworfen werden, in- wurde und somit in den Hintergrund rückte. wieweit diese Umstände die Neuauflage des Gesetzes zu- mindest begünstigten. 2. Die Änderungen im Lichte der Versammlungsfreiheit Den Gesetzentwürfen lässt sich eine solche Intention nicht Das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstre- explizit entnehmen – dem Gesetzgeber war jedoch be- ckungsbeamten und Rettungskräften hat neben der Ände- wusst, dass eine Strafschärfung bei „Polizeieinsätzen im rung der Vorschriften der sogenannten Widerstandsde- Zusammenhang mit gewalttätigen Demonstrationen zur likte, zu Änderungen der Vorschrift des Landfriedens- Anwendung kommen“42 würde. Der Innenausschuss wies bruchs sowie zur Einführung des Straftatbestandes der in einer Stellungnahme auf die Notwendigkeit der Gel- Behinderung von hilfeleistenden Personen geführt.46 tung der Strafschärfung auch in Fällen hin, in denen der Angriff aus einer Menschenmenge heraus geschieht, und Das Kernstück der Reform bildet die Herauslösung der nimmt damit konkreten Bezug auf Ausschreitungen bei Tatbestandsalternative des tätlichen Angriffs aus dem Großveranstaltungen wie Demonstrationen.43 Somit lässt § 113 Abs. 1 StGB und die Überführung in den eigenstän- schlussfolgern, dass das In-Kraft-Treten der Änderungen digen Straftatbestand des § 114 Abs. 1 StGB mit erhöhtem noch vor der Durchführung des Gipfeltreffens zumindest Strafrahmen unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Voll- opportun war. streckungshandlung, sodass ein konkreter Bezug zu einer allgemeinen Diensthandlung genügt. Mögliche Wechselwirkungen zur Versammlungsfreiheit und eine daraus resultierende Einschränkung derselben Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des tätlichen 37 41 Vgl. Müller, Stellungnahme zum Gesetzesvorhaben „Gesetz zur Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, G20-Gipfel Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Voll- 2017 findet am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg statt, Pressemittei- streckungsbeamten und Rettungskräften“ BT-Drs. 18/11161 und zu lung 203/2016, online abrufbar unter: https://www.bundesregie- den Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für rung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2016/06/2016-06-10 Innere Angelegenheiten des Bundesrates BR-Drs. 126/1/17, online -g-20.html (zuletzt abgerufen am 9.9.2018). 42 abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/499236/16b128a BT-Drs. 18/11161, S. 9; hier im Zusammenhang mit den Änderun- 08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf (zuletzt abgerufen gen zum Landfriedensbruch. 43 am 18.9.2018); vgl. DAV, SN 5/17: Stärkung des Schutzes von BR-Drs. 126/1/17, S. 3; dieser Vorschlag wurde letztlich jedoch Vollstre-ckungs-be-amten und Rettungskräften online abrufbar un- nicht umgesetzt. 44 ter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-5-17-staerkung-des- AKJ, Pressemitteilung des Arbeitskreises kritischer Jurist_innen schutzes-von-vollstreckungsbeamten-und-rettungskraeften (zuletzt (akj) an der Uni Frankfurt, online verfügbar unter: abgerufen am 18.9.2018); vgl. Magnus, Stellungnahme zum Gesetz- http://akjffm.blogsport.de/images/pmschutzparagraph.pdf (zuletzt entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Entwurf eines ... abgerufen am 16.9.2018). 45 Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Müller, Stellungnahme zum Gesetzesvorhaben „Gesetz zur Ände- Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ BT- rung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstre- Drs. 18/11161 vom 14.2.2017, online abrufbar unter: ckungsbeamten und Rettungskräften“ BT-Drs. 18/11161 und zu den https://www.bundestag.de/blob/499234/75273cd6fb2304335883e7 Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für In- bf4e79d95c/magnus-data.pdf (zuletzt abgerufen am 18.9.2018). nere Angelegenheiten des Bundesrates BR-Drs. 126/1/17, S. 7 f., 38 Vgl. BT-Drs. 18/12153, S. 3. online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/499236/16b 39 Vgl. Schiemann, NJW 2017, 1846 (1847). 128a08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf (zuletzt abge- 40 Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Deutsch- rufen am 9.9.2018), vgl. auch BT-Drs. VI/502. 46 land übernimmt im Jahr 2017 G20-Präsidentschaft, Pressemittei- Zu den Änderungen im Allgemeinen ausführlich siehe Schiemann, lung 418/2015, online abrufbar unter: https://www.bundesregie- NJW 2017, 1846 (1847 ff.), zur grundsätzlichen Kritik vgl. rung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/11/2015-11- Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (928 ff.); Magnus, GA 2017, 530 16-g20-praesidentschaft.html (zuletzt abgerufen am 9.9.2018). (533); König/Müller, ZIS 2018, 96; Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (511 ff.).
296 KriPoZ 5 | 2018 Angriffs kann im Rahmen von Protestgeschehen dazu an Stangen mit sich führen, und in eine Auseinanderset- führen, dass Protestformen des zivilen Ungehorsams nun- zung mit der Polizei geraten, sich einer Mindeststrafe von mehr strafbewehrt sind. Als tätlicher Angriff wird die in sechs Monaten Freiheitsstrafe ausgesetzt sehen. Gleiches feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper gilt für die Erweiterung des Katalogs der Regelbeispiele eines anderen zielende Einwirkung – unabhängig von ih- um den Fall der gemeinschaftlichen Tatbegehung. Die rem Erfolg und einen darauf gerichteten Vorsatz – be- „exzessive“ Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals da- zeichnet.47 Das Tatbestandsmerkmal des tätlichen An- hingehend, dass die physische Anwesenheit einer Person griffs setzt somit keinen (Körperverletzungs-)Erfolg vo- bei Ausschreitungen als bewusstes Zusammenwirken mit raus, sondern ist vollständig erfüllt, wenn die konkrete anderen Personen zur Erfüllung des Tatbestandes genügt, Gefährdung des im Rahmen des § 114 StGB ohnehin um- führt ebenfalls dazu, dass Versammlungsteilnehmer in strittenen Rechtsgutes eingetreten ist.48 Die Strafbarkeits- Zukunft geneigt sein könnten, nicht mehr an Versamm- schwelle kann somit bereits bei Handlungen überschritten lungen teilzunehmen, die möglicherweise nicht in allen werden, die einen eher geringen Unrechtsgehalt aufwei- Teilen friedlich bleiben. sen, wie (leichtes) Schubsen, Drängeln, Stoßen oder Fest- halten – empirische Studien verdeutlichen, dass diese Durch den konkreten Verzicht auf die Vollstreckungs- Handlungen das Gros der tätlichen Angriffsformen aus- handlung wird der Anwendungsbereich der Norm auf machen.49 Bei Versammlungsgeschehen handelt es sich Handlungen, die sich „als ‚schlichte‘ Ausübung des jedoch um dynamische, unübersichtliche sowie komplexe Dienstes darstellen, ohne nach Anlass, Person oder Maß- Interaktionssituationen mit vielen Beteiligten, deren Rol- nahme konkretisierte Ausführungshandlung dienstlicher lenverteilung zudem a priori konfliktgeladen ist, sodass Pflichten zu enthalten oder zu beabsichtigen“52, ausge- unkonventionelle Protestformen wie Sitzblockaden mit dehnt. Im Versammlungsgeschehen hat dieser Umstand wechselseitigen Körperkontakten in der beschriebenen zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Norm auch Form verbunden sein können. Es besteht somit die Gefahr, auf Sachverhalte außerhalb der Vollstreckung polizeili- dass man sich bei „niederschwelligen“ Handlungen straf- cher Maßnahmen, bei der keine konkreten mit Zwang bar macht, wenn das Tatbestandsmerkmal in Zukunft durchsetzbaren Weisungen vorliegen, ausgeweitet wird. nicht einschränkend dahingehend ausgelegt wird, dass nur Der Gesetzgeber begründete den Verzicht auf die Voll- Einwirkungen von einigem Gewicht tatbestandlich erfasst streckungshandlung mit der Schutzbedürftigkeit der Be- werden. amt*innen in Ausübung allgemeiner Diensthandlungen. Bemerkenswert ist, dass er zur Begründung anführt, dass Die nachteiligen Auswirkungen auf die Versammlungs- sie sich „anderes als beispielsweise Polizisten, die zur Be- freiheit werden bei Betrachtung der angedrohten Strafe gleitung einer […] Demonstration eingesetzt werden [und deutlich: § 114 Abs. 1 StGB sieht eine Strafandrohung entsprechende Schutzkleidung tragen], […] nicht in glei- von mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe bis zu fünf cher Weise schützen [können].53“ Nichtsdestotrotz ist der Jahren vor. Die Verhängung der Freiheitsstrafe ist dabei Anwendungsbereich der Vorschrift gleichwohl für Be- zwingend, eine Geldstrafe scheidet demgegenüber aus amt*innen eröffnet, die Versammlungen begleiten. und kommt nur noch gemäß § 47 Abs. 2 StGB in Be- tracht.50 Allein dieser Umstand dürfte geeignet sein, dass Darüber hinaus erscheint problematisch, dass die Deu- potentielle Versammlungsteilnehmer von der Ausübung tungshoheit über das Protestgeschehen auf die Polizei ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit aus Angst vor (un- übertragen wird, da die Feststellung, ob Handlungen die gerechtfertigten) Strafverfolgungsmaßnahmen absehen.51 Strafbarkeitsschwelle überschreiten, in besonderem Maße Dies gilt umso mehr, als dass das Gesetz keinen minder- von den Wahrnehmungen, der Interpretation und den dar- schweren Fall vorsieht. aus resultierenden rechtlichen Bewertungen der beteilig- ten Beamt*innen abhängt.54 Dies erlangt insbesondere vor In diesem Kontext ist zudem auf die Erweiterung der Re- dem Hintergrund der zuvor angesprochenen Relevanz des gelbeispiele hinzuweisen, die im § 113 Abs. 2 StGB vor- polizeilich definierten Gefährdungspotentials eines Pro- genommen wurden und über den § 114 Abs. 2 StGB eben- testes und den erwarteten Protestgruppen an Bedeutung. falls Anwendung finden. Besonders hervorzuheben sind Das Gesetz begünstigt in diesem Kontext eine binäre Zu- hierbei die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 so- ordnung der Konfliktparteien, die verkennt, dass Über- wie § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 griffe in Versammlungsgeschehen komplexe Konfliktsi- StGB erfasste bereits vor der Änderung das Beisichführen tuationen darstellen, denen zum einen Interaktionen bei- einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs der am Übergriff beteiligten Konfliktparteien vorausge- durch den Täter oder Teilnehmern. Nunmehr wird jedoch hen und in der Regel von beiden Seiten mit gewaltsamen auf die Verwendungsabsicht verzichtet. Dies hat zur Mitteln ausgetragen werden.55 Phänomenologische Er- Folge, dass Demonstrationsteilnehmer*innen, die Gegen- kenntnisse verdeutlichen, dass Widerstandshandlungen stände, welche dem Protestgeschehen dienen, z.B. Fahnen 47 54 Vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl. (2018), § 114 Rn. 5. DAV, SN 5/17: Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten 48 Vgl. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510. und Rettungskräften, S. 7, online abrufbar unter: https://anwaltver- 49 Jager et al., Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, ein.de/de/newsroom/sn-5-17-staerkung-des-schutzes-von-vollstre- 2013, S. 76 f. ckungsbeamten-und-rettungskraeften (zuletzt abgerufen am 50 Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (511 ff.). 18.9.2018). 51 55 Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (928). Vgl. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (928); DAV Stellungnahme, 52 Fischer, StGB, § 114 Rn. 4. SN 5/17: Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und 53 BT- Drs. 18/11161, S. 10. Rettungskräften, S. 7.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel? KriPoZ 5 | 2018 297 und tätliche Angriffe in einem eskalierenden Interaktions- Schon im Vorfeld des Gipfels entwarf die Polizei eine äu- geschehen zwischen den Bürger*innen und den Polizeibe- ßerst negative Protestdiagnose, indem sie öffentlich von amt*innen entstehen56, sodass Bedingungsfaktoren der 8.000 gewaltbereiten Demonstranten sprach, welche den Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen vor diesem Hinter- Gipfel massiv stören wollten.58 Als Grundlage für die La- grund sowohl auf Seiten der eingesetzten Beamt*innen als gebeurteilung wurden u.a. Informationen des Staatschut- auch auf Seiten des polizeilichen Gegenübers existent zes des LKA Hamburg sowie inländischer und ausländi- sind. scher Polizeibehörden und Geheimdienste herangezogen. Auf einzelne Kundgebungen und Demonstrationszüge be- Resümierend lässt sich feststellen, dass sich die Änderun- zogen fällt die Lagebeurteilung eher generalisierend aus, gen negativ auf potentielle, friedliche Versammlungsteil- sodass nicht nur bezüglich der für den 6.7.2017 geplanten nehmer auswirkt, die – angesichts einer geringen Strafbar- „Welcome to Hell-Demonstration“, sondern auch für die keitsschwelle und der hohen Strafandrohung auch im Hin- am 8.7.2017 angemeldete Großdemonstration „Grenzen- blick auf Einwirkungen mit vergleichsweise geringem lose Solidarität statt G20“ mit einer hohen Beteiligung Unrechtsgehalt – von der Teilnahme an Versammlungen linksextremistischer Gruppierungen gerechnet wurde. absehen. Unkonventionelle Protestformen, die keine plan- Kritisch wird hier u.a. die reduktionistische Beurteilung mäßigen und gezielten Übergriffe auf die Polizei als Kon- von Großveranstaltungen im Sinne des Versammlungs- fliktpartei fokussieren, aber denen dennoch das Risiko rechts gesehen.59 leichter körperlicher Auseinandersetzungen anhaften, könnten in Zukunft kriminalisiert werden. Diesem Risiko Mit der Deutung der G20-Proteste als ungeahntes Gefah- kann nur durch eine versammlungsfreundliche Auslegung renpotential vermittelte die Polizei ein öffentlichkeits- der Tatbestandsmerkmale durch die Polizei – bei der wirksames Bedrohungsszenario, das eine repressive Poli- Frage der Bewertung eines Verhaltens von Protestieren- zeitaktik legitim erscheinen ließ. Die bereits im Vorfeld den im Rahmen des Anfangsverdachts – und durch die getroffenen Maßnahmen wie z.B. die Einrichtung von Gerichte – bei der Feststellung des strafrechtlichen Vor- Sonderrechtszonen sowie die juristischen Auseinander- wurfs – begegnet werden. setzungen um und die Räumung von Protestcamps wie z.B. auf Entenwerder stellte klare Weichen in Richtung III. Abriss der Ereignisse beim G20-Gipfel in Ham- räumliche Einhegung der Proteste. burg Auch ein Blick auf die verwendete Ausrüstung der Polizei Anhand der Ereignisse während des G20-Gipfels im Juli spiegelt das auf Repression ausgerichtete Handeln der Po- 2017 sind schließlich Entwicklungen erkennbar, welche lizei wider. Dementsprechend wurden u.a. über 30.000 bisher dominierende deeskalative Strategien im Protest Polizeikräfte, 48 Wasserwerfer, diverse gepanzerte Policing ins Gegenteil verkehren und sich in den Rahmen Räumfahrzeuge und Hubschrauber eingesetzt. Diese einer Politik der Inneren Sicherheit einordnen lassen, die durch Masse, Schutzausrüstung und Stärke charakteri- sich durch zunehmende Einschränkungen von Freiheits- sierte polizeiliche Performanz trug als „non-verbal sig- und Persönlichkeitsrechten sowie Maßnahmen der Ab- nal“60 zur Delegitimation insbesondere der Protestaktio- schreckung auszeichnen. Im folgenden Abschnitt sollen nen bei, welche nahe an den Gefahrenzonengrenzen aus- diese Entwicklungen näher erläutert werden. getragen wurden. Mit der Entscheidung für Hamburg als Austragungsort Während des Gipfels zeichnete sich das polizeiliche Han- des G20-Gipfels 2017 stand die Hamburger Polizei vor ei- deln auch bei der Kontrolle von niedrigschwelligen Pro- ner sehr komplexen und teils dilemmatischen Aufgabe. Es testformen wie z.B. Sitzblockaden durch geringe Ein- galt nicht nur Maßnahmen für die Sicherheit der Gipfel- schreitschwellen aus, indem beispielsweise Wasserwerfer teilnehmer zu konzipieren, auch mussten Strategien ent- ohne Vorankündigungen eingesetzt wurden. Größere Auf- wickelt werden, welche sowohl die Versammlungsfreiheit züge wurden mit einem hohen Einsatz an Menschen, Ma- der Demonstranten schützen als auch potentiellen Gefähr- terial und Technik begleitet und gestoppt, sobald sich un- dungen durch Protestierendengruppen begegnen sollten. ter den Protestierenden Vermummte befanden. Dieses Im Laufe des Gipfels zeigte sich jedoch, dass sich die Stra- Vorgehen wurde von den Forscher*innen des Projekts tegien des Protest Policing vordergründig auf die Wah- „Mapping NoG20“61 als „deeskalative Stärke“ beschrie- rung eines reibungslosen Gipfeltreffens richteten.57 ben, da diese Strategie zum Ziel hatte, Störer abzuschre- cken. 56 59 Vgl. BKA, Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/ -beamte Malthaner et al., Eskalation. Dynamiken der Gewalt im Kontext der 2016, S. 28. G20-Proteste in Hamburg 2017, 2018, S. 36 online abrufbar unter: 57 Hunold et al., KrimJ, 2018, 14 (34). https://g20.protestinstitut.eu/ (zuletzt abgerufen am 19.9.2018). 58 60 Hamburger Abendblatt, 2017, https://www.abendblatt.de/ham- della Porta/Reiter, Policing protest: The control of mass demonstra- burg/article210444981/Polizei-rechnet-mit-8000-gewaltbereiten- tions in Western democracies, 1998, S. 250. 61 Linksextremen.html (zuletzt abgerufen am 19.9.2018); Zeitweise Haunss et al. #NoG20. Ergebnisse der Befragung von Demonstrie- wird sogar von bis zu 10 000 gewaltbereiten Linksextremisten be- renden und der Beobachtung des Polizeieinsatzes, online abrufbar richtet; vgl. Zeit online, 2017, Verfassungsschutz erwartet 10.000 unter: https://protestinstitut.eu/projekte/mapping-nog20/ (zuletzt gewaltbereite Demonstranten, online abrufbar unter: abgerufen am 19.9.2018). https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/g20-gip- fel-hamburg-sicherheitsbehoerden-demonstranten-linksextremis- mus (zuletzt abgerufen am 18.9.2018).
298 KriPoZ 5 | 2018 Die polizeiliche Performanz der Polizei während des Gip- dass das politische System selbst den äußeren Rahmen bil- fels hat jedoch weniger zur Befriedung von Konflikten ge- det und materiell als der Primat für die polizeiliche Stra- führt und ist vielmehr als ein Element der eskalativen Pro- tegie fungiert, indem sie (gesetzliche) Orientierungsrah- zessen zu sehen, welche z.B. zur gewaltsamen Auflösung men resp. Leitlinien vorgeben. der „Welcome to Hell“-Demonstration mündeten sowie auch zu den Ausschreitungen in der Sternschanze in den Die Polizei nimmt hierbei jedoch eine besondere Rolle darauffolgenden Tagen. ein, da letztlich die aus polizeilichen Erfahrungswissen re- sultierenden Protestdiagnosen Einfluss auf das Sicher- Mit der Neu-Ordnung des Stadtraums nach dem polizei- heitskonzept ausüben. Wenn jedoch das polizeiliche Wis- lich antizipierten Bedrohungsrisiko durch Protestgruppen sen das Resultat einer selektiven und auf eigenen Erfah- sowie der Demonstration von Stärke im Zusammenhang rungen beruhenden Wahrnehmung ist, kann diese die Ba- mit der Kontrolle verschiedener Protestformen während sis für polizeiliche Narrative über Protestformen und die des G20-Gipfels in Hamburg behält die Polizei auch im von ihnen ausgehenden Gefahren formen, die wiederum Nachgang die Deutungshoheit über die Gipfelproteste und als Rechtfertigung der konkreten Praxis des Protest Poli- die Gefährlichkeit linker Gruppierungen. So strengte die cing herangezogen werden. Da die institutionell vernetzte Hamburger Polizei durch die eingesetzte Sonderkommis- Wahrnehmung von Protest die „polizeiliche“ Realität als sion „Schwarzer Block“ eine der größten Öffentlichkeits- den sogenannten „body of knowledge“68 formt, ist nicht fahndungen in der Geschichte der Bundesrepublik nach auszuschließen, dass dieser auch über die Zeit entwickelte Verdächtigen62 von Straftaten wie Sachbeschädigung und Stereotypen über „Störer“ und „ordnungswidriges“ Ver- Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte durch und for- halten beinhaltet. Indem sich die Gefahrenprognose in derte Medienvertreter explizit zur Verbreitung der Fotos Einsatz- und Sicherheitskonzepten manifestiert, stellt Pro- auf.63 Unabhängig von der öffentlichen Debatte um die test Policing zugleich ein wichtiges Moment der politi- gesetzliche Legitimation angesichts des nachhaltigen Ein- schen Chancenstruktur eines Gesellschaftssystems dar69, griffs in die Persönlichkeitsrechte und der Unschuldsver- innerhalb derer die Möglichkeiten der politischen Partizi- mutung setzt sich ein repressiver, extensiver Protest Poli- pation direkt beeinflusst werden.70 cing Stil fort, den auch das Hamburger Gericht und die Staatsanwaltschaft zumindest billigen.64 Erste (noch nicht Inwieweit die Polizei darüber hinaus als „grundrechts- rechtskräftige) Urteile sprachen mehrjährige, nicht mehr und damit versammlungs-rechtsfreundliche Bürgerpoli- bewährungsfähige Haftstrafen aus.65 Die Verschärfung zei“ oder „etatistisch-autoritäre Staatspolizei“ im Rahmen der Widerstandsdelikte und damit einhergehende Anpas- von Protestgeschehen auftritt, hat Einfluss auf die Qualität sungen der Vorschriften des Landfriedensbruchs dürften eines demokratischen Willensbildungsprozess und kann hierbei wesentlich zum Strafmaß beigetragen haben. Dar- als sichtbarer Indikator der politischen Kultur und der über hinaus hob das Gericht bei der Begründung des Straf- Staatsverfassung gewertet werden.71 In diesem Kontext maßes insbesondere generalpräventive Aspekte hervor.66 kann die Praxis des protest policing als Bestandteil politi- Und auch noch ein Jahr später werden öffentlichkeits- scher Gelegenheitsstrukturen72 [betrachtet werden], da sie wirksame Razzien und Festnahmen von verdächtigen Be- großen Einfluss auf die Chancen von politischen Gruppie- teiligten durchgeführt.67 Insgesamt entsprach die polizei- rungen [ausübt], sich jenseits der parlamentarischen liche Performanz während des Gipfels nicht nur der Stra- Bühne zu artikulieren […] und politischen Druck auszu- tegie des „strategic incapacitation“, sondern die Organisa- üben.“73 Hieraus lässt sich ableiten, dass die Chance auf tion trägt auch nachhaltig zum gesellschaftlichen Diskurs unkonventionelle politische Partizipation gewissermaßen zu politisch illegitimen linken Protest bei. von der institutionellen Bewertung des Protests beein- flusst wird. Ausgehend von der Annahme, dass die Insti- IV. Fazit tution eine wertkonservative Ausrichtung aufweist, der eine fehlende Affinität für widerständiges Verhalten im- Protest Policing ist als mehrdimensionaler, sich wechsel- manent ist, lässt sich schlussfolgern, dass politischer Pro- seitig beeinflussender Prozess zu begreifen, der von meh- test, der sich vornehmlich Machtstrukturen - denen die reren Faktoren beeinflusst wird. Zu berücksichtigen ist, Polizei selbst angehört - infrage stellt, eher als illegitim wahrgenommen wird. 62 69 Vgl. Bild, 2017, 107 Gesichter! Polizei jagt diese G20-Verbrecher, della Porta, zitiert nach Winter, Protest Policing und das Problem online abrufbar unter: https://www.bild.de/news/inland/g20-gip- der Gewalt, 1998, S. 6. 70 fel/g20-alle-tatverdaechtigen-54230066.bild.html (zuletzt abgeru- Vgl. Winter, Protest Policing und das Problem der Gewalt, 1998, S. fen am 19.9.2018). 2. 63 71 Vgl. TAZ, 2017, Wenn Medien Polizei spielen, online abrufbar un- Winter, Protest Policing, in Wörterbuch zur inneren Sicherheit, ter: http://www.taz.de/!5472778/ (zuletzt abgerufen am 19.9.2018). Lange, Hans-Jürgen (Hrsg.), 2006, S. 259. 64 72 Vgl. Spiegel Online, 2017, Letzte Hoffnung Öffentlichkeit, online Es handelt sich hierbei um einen in den USA entwickelten Ansatz, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/g20-oeffent- der explizit 1973 von Peter Eisinger eingeführt wurde und vor allem lichkeitsfahndung-nach-104-mutmasslichen-randalierern-gestartet- von Sydney Tarrow weiterentwickelt wurde. Die Kernthese des An- a-1183952.html (zuletzt abgerufen am 19.09.2018). satzes ist, dass die politische Gelegenheitsstruktur im Umfeld einer 65 AG Hamburg, Urt. v. 28.8.2017 – 259 Ds 128/17. Bewegung entscheidend dafür ist, welche Strategien gewählt wer- 66 Vgl. A.a.O., Rn. 41. den und welchen Einfluss die Bewegungen damit ausüben können. 67 https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Festnahme-eines-35- Vgl. Opp, Theories of Political Protest and Social Movements, Jaehrigen-bei-G20-Grossrazzia-,razzia1076.html (zuletzt abgerufen 2009, S. 161 ff. 73 am 19.9.2018). Winter, Protest Policing und das Problem der Gewalt, 1998, S. 1. 68 della Porta/Reiter, Policing Protest. The Control of Mass Demonst- rations, 1998, S. 23.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel? KriPoZ 5 | 2018 299 Mit Blick auf die Ausschreitungen im Rahmen der Gip- Das Gesetz zu Stärkung des Schutzes von Vollstreckungs- felproteste möchte dieser Beitrag als Teil des wissen- beamten und Rettungskräften trägt im Kontext des Protest schaftlichen Diskurses sich nicht anmaßen, die Kausali- Policing eher zu einer weiteren Polarisierung bei. Hierbei tätsfrage zu beantworten. Es ist jedoch zu konstatieren, soll nicht die Legitimität des Anliegens per se in Frage dass sich polizeiliche Konzepte und das Protestverhalten gestellt werden, sondern auf die nachteiligen Auswirkun- wechselseitig beeinflussen, woraus letztlich wechselsei- gen der Änderungen im Hinblick auf die Versammlungs- tige Gewalthandlungen in einer eskalierenden Interakti- freiheit hingewiesen werden. onsdynamik resultieren. Das im öffentlichen Diskurs auf Seiten beider Konfliktparteien zum Teil existente binäre Konservative Tendenzen, die durch gesellschaftliche Kri- Freund-Feind-Schema-Denken erschwert einen sachli- senerscheinungen verstärkt werden, spiegeln sich - nicht chen Diskurs über Ursache und Wirkung. Emotionali- zuletzt durch gesetzliche Rahmenbedingungen - im si- sierte Debatten und einseitige Problembeschreibungen cherheitsbehördlichen Umgang mit Protest wider. Sofern und die fehlende Dialogbereitschaft, die gerade zu symp- diese konservativen Tendenzen sich als autoritäre Krisen- tomatisch für die derzeitige (politische) Konfliktkultur ist, bewältigungsstrategien im Protest Policing manifestieren, tragen zu einer Verhärtung der Fronten bei. besteht jedoch die Gefahr, dass polizeiliche Einsätze zum Schutz der Gesellschaft gegen Gewalt und Konflikte in eine politische Instrumentalisierung umschlagen.
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