Protest Policing im Wandel? Konservative Strömungen in der Politik der Inneren Sicherheit am Beispiel des G20-Gipfels in Hamburg

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KriPoZ 5 | 2018                        291

         Protest Policing im Wandel? Konservative Strömungen in der Politik der
               Inneren Sicherheit am Beispiel des G20-Gipfels in Hamburg

                 von Dr. Daniela Hunold
            und Wiss. Mit. Maren Wegner*

Abstract                                                                   werden, kann höchst unterschiedlich sein und hängt letzt-
Der G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 wurde zum Me-                       endlich auch von Tendenzen der Inneren Sicherheit ab, da
dienereignis, jedoch weniger wegen der Ergebnisse des                      diese sich in der Justiz- und Polizeipolitik niederschla-
Gipfels oder der Großdemonstrationen, sondern aufgrund                     gen.2 Dementsprechend sind neuere Entwicklungen poli-
der gewaltförmigen Eskalationen im Laufe der Protestwo-                    zeilicher Performanz konservativeren Strömungen zuzu-
che. Eine emotionale öffentliche Diskussion schloss sich                   ordnen. Hinsichtlich der zurzeit angestoßenen Reformen
an, u.a. über die Frage nach dem politischen (Nicht-)Ge-                   der Polizeigesetze in den Bundesländern wie Bayern,
halt der Riots. Schnell wurden Maßnahmen gegen die                         NRW und Sachsen lässt sich so z.B. konstatieren, dass po-
linksradikale Szene und autonome Zentren gefordert.                        lizeiliche Eingriffsrechte insbesondere mit Verweis auf
Starke Kritik erfuhr auch die Polizei angesichts einer                     die die besonderen Herausforderungen im Zuge der Ter-
großflächigen Protestverbotszone, der konsequenten Ver-                    rorabwehr ausgeweitet werden sollen. Mit der Neufassung
hinderung von Protestcamps und wegen vieler dokumen-                       der §§ 113, 114 und 115 StGB wurden des Weiteren die
tierter Fälle illegaler Polizeigewalt.                                     Sanktionsmöglichkeiten für Gewalttätigkeiten gegenüber
                                                                           staatlichen Amtsträgern wie Polizeibeamt*innen ver-
Die Ereignisse in Hamburg haben grundsätzliche Fragen                      schärft. Die Position der Polizei findet insofern aktuell im
nach dem sicherheitsbehördlichen Umgang mit Protesten                      Sinne eines „starken Staates“ Unterstützung. Inwiefern
aufgeworfen. Beobachterinnen und Beobachter des Pro-                       sich dies auch im Protest Policing zeigt, soll in diesem Ab-
testgeschehens zeigen weitgehend Einigkeit darin, dass                     schnitt herausgearbeitet werden.
das Auftreten der Polizei in Hamburg deutlich repressiv
geprägt war. Fraglich erscheint in diesem Zusammen-                        1. Das Verhältnis von Protest, sozialen Bewegungen und
hang, inwiefern die polizeiliche Einsatztaktik Einfluss auf                Polizei
Gewaltdynamiken politischer Proteste hat und welche
Konsequenzen die repressiven Reaktionen der Hambur-                        Zum grundlegenden Verständnis kann an dieser Stelle
ger Justiz für zukünftige Protestereignisse hat. Der fol-                  nicht unerwähnt bleiben, welche gesellschaftlichen Funk-
gende Beitrag soll vor diesem Hintergrund einen Über-                      tionen Protest und soziale Bewegungen erfüllen und in
blick zu Aspekten der „Protest Policing“1-Forschung ge-                    welchem Verhältnis Polizei und Protest stehen. Proteste
ben, wesentliche Konfliktlinien in Hamburg aufzeigen so-                   und soziale Bewegungen3 zählen zu den festen Bestand-
wie mit einer Diskussion der justiziablen Bearbeitung des                  teilen der politischen Auseinandersetzung im bundesdeut-
Protest-ereignisses als Bestandteil einer Eskalationsdy-                   schen System und können im Rahmen einer Krise4 als
namik abschließen.                                                         Träger und Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen
                                                                           begriffen werden. Innerhalb eines demokratischen Wil-
I. Protest Policing – Entwicklungen und Merkmale                           lensbildungsprozesses stellt insbesondere der Protest dann
                                                                           eine notwendige Form politischer Kommunikation dar,
Der Umgang mit Demonstrationen stellt zwar nur einen                       wenn institutionelle Kanäle bedingt durch eine fehlende
Teilaspekt des Spektrums der alltäglichen Polizeiarbeit                    parlamentarische Lobby oder mediale Resonanz verstellt
dar, dieser steht jedoch insbesondere im Fokus der öffent-                 sind. Die Zunahme der Attraktivität der politischen Form
lichen Wahrnehmung. Wie Polizei mit Protesten umgeht,                      des Protests resultiert zumindest zum Teil auch aus dem
d.h. auf welche Weise diese kontrolliert und überwacht

*   Dr. Daniela Hunold ist Gastdozentin am Lehrstuhl für Kriminologie          Termini sich teilweise überschneiden, jedoch einen unterschiedli-
    und interdisziplinäre Kriminalprävention an der Deutschen Hoch-            chen Bedeutungsgehalt und/oder Perspektiven aufweisen. Opp defi-
    schule der Polizei, Maren Wegner ist Wissenschaftliche Mitarbeite-         niert Proteste als „gemeinsame, kollektive Handlung von Indivi-
    rin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpo-         duen, die darauf gerichtet ist, ein [politisches] Ziel durch Einfluss-
    litik ebenfalls an der Deutschen Hochschule der Polizei.                   nahme auf die Willensbildung zu erreichen; während die soziale Be-
1
    Als Protest Policing wird hier der polizeiliche Umgang mit Protes-         wegung das Kollektiv der Akteure meint, die ein [politisches] Ziel
    ten verstanden, vgl. Winter, in: Lange, Staat, Demokratie und Innere       durch Einflussnahme auf die Willensbildung zu erreichen sucht.“
    Sicherheit in Deutschland, 2000, S. 204.                                   Opp, Theories of political protest and social movements, 2009,
2
    Vgl. Frevel, Innere Sicherheit in der Programmatik der Parteien            S. 33 ff.
                                                                           4
    2013, online abrufbar unter: http://www.bpb.de/politik/innenpoli-          Eine Krise lässt sich unter Rückgriff auf das Hegemoniekonzept von
    tik/innere-sicherheit/168652/innere-sicherheit-in-parteiprogram-           Gramsci beschreiben, demzufolge die Herrschaft immer dann gesi-
    men?p=all (zuletzt abgerufen am19.9.2018).                                 chert sei, wenn über sie ein politischer und zivilgesellschaftlicher
    Hinsichtlich der Begrifflichkeiten „Protest“ und „soziale Bewegun-         Konsens hergestellt werden könne – eine Krise komme im Phäno-
    gen“ existieren umfangreiche Definitionen in der Literatur, deren          men des Wegbrechens dieses Konsenses zum Ausdruck. Vgl. Kre-
                                                                               tschmann, Bürgerrechte und Polizei/CILIP 106, 10/2014, S. 52 f.
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         Image- und Bedeutungsverlust der konventionellen (re-                     Andererseits ist es die Aufgabe der Polizei, die öffentliche
         präsentativ-demokratischen) Beteiligungsformen.5 In                       Sicherheit und Ordnung zu garantieren sowie (versamm-
         „postdemokratischen“6 Zeiten entwickeln soziale Bewe-                     lungsspezifische) Gefahren abzuwehren. Dementspre-
         gungen alternative Formen des Austauschs sowie der kol-                   chend können beide Extreme des Polizierens – die Abwe-
         lektiven Entscheidungsfindung und sind ein zentraler ge-                  senheit von Kontrolle sowie eine überzogene Kontrolle –
         genhegemonialer Akteur in der aktuellen Krisenbewälti-                    eine Gefahr für die Demokratie darstellen.12 Insofern ist
         gung, die zum Teil auch politisch etablierte Machtstruktu-                eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der poli-
         ren infrage stellen. Aus Sicht des „politisch-hegemonialen                zeilichen Performanz im Kontext von Protesten notwen-
         Establishments“ stellen sich soziale Bewegungen als                       dig und sinnvoll, in Deutschland allerdings nur rudimentär
         „avantgardistischer“ Gegenpol dar, welcher die beste-                     vorhanden.13
         hende Ordnung destabilisiert und Wandlungsprozesse an-
         treibt, beschleunigt oder auch versucht, sich ihnen zu wi-                2. Entwicklungen
         dersetzen.7 Auch wenn Proteste und soziale Bewegungen
         als unkonventionelle Beteiligungsformen betrachtet wer-                   Für die vergangenen Jahrzehnte haben vor allem interna-
         den, gelten diese seit den 60´er Jahren als fester Bestand-               tionale (angloamerikanische) Protestforscher einen Wan-
         teil in westlich-demokratischen Ländern.                                  del des Protest Policings identifiziert. Demgemäß zeich-
                                                                                   nete sich das polizeiliche Vorgehen bei Protesten Ende der
         Darauf rekurrierend lassen sich die Gipfelproteste in                     60´er Jahre durch escalated force aus, womit nied-
         Hamburg als Bestandteil einer transnationalen Antigloba-                  rigschwellige, gewaltbetonte sowie kommunikationsarme
         lisierungsbewegung einordnen, deren vehementes Erstar-                    Vorgehensweisen gegenüber Demonstrationsteilnehmern
         ken mit der zunehmenden Prekarisierung – sowohl natio-                    angesprochen sind.14 In der Regel sollten Proteste als Gan-
         nal als auch international – korrespondiert. Qualität und                 zes unterbunden werden. Ein hiesiges Beispiel für eine
         Quantität von Protest können zudem als Seismograph für                    entsprechende Tendenz polizeilichen Vorgehens bei Pro-
         das Ausmaß des Dissenses zwischen der Zivilgesellschaft                   testen stellen die Studentenrevolten Ende der 60´er Jahre
         und der Politik im Hinblick auf politisch-ökonomische                     sowie der tödliche Schuss auf den Studenten Benno Oh-
         Fragestellungen gewertet werden. Die Hauptanliegen der                    nesorg durch einen Berliner Polizeibeamten 1967 dar.
         Demonstrant*innen, die sich an den Gipfelprotesten be-                    Winter sieht in diesem Ereignis insofern einen Wende-
         teiligten, sind vielschichtig. Neben grundsätzlicher Kritik               punkt im Selbstverständnis der Polizei, indem Traditiona-
         an kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssyste-                  listen innerhalb der Organisation sich zunehmend gegen-
         men, sowie der weltweiten Durchsetzung Neoliberalismus                    über „Störern der staatlichen Ordnung“ sichtbar kämpfe-
         stand ebenfalls die Unzufriedenheit mit der gegenwärti-                   risch zeigten. Insgesamt lag „die Schwelle für den polizei-
         gen (nationalen) demokratischen Praxis im Vordergrund.8                   lichen Gewalteinsatz“ in dieser Zeit sehr niedrig.15 Zudem
                                                                                   war das Phänomen ‚Demonstration‘ zuvor kaum relevant,
         Das Beziehungsgeflecht zwischen der Polizei und dem                       sodass die Polizei in ihrem Handeln im Zuge der Studen-
         Protest wird bei der Betrachtung des gesamten Konflikt-                   tenrevolten mehr in das Licht der Öffentlichkeit geriet. In
         systems deutlich. Als Konfliktparteien stehen sich im                     der Folge differenzierte sich das Vorgehen im Rahmen
         Falle des politischen Protests der Staat (sowie Unterneh-                 von Protesten aus, indem polizeiliche Maßnahmen zuneh-
         men) und die Protestgruppierung gegenüber. Die Polizei                    mend Störer von Demonstrationen fokussierten. Die
         als Repräsentant des staatlichen Gewaltmonopols ist zwar                  grundsätzlich harte Linie gegenüber Protestierenden fand
         kein originärer Adressat von Protest, sie bildet jedoch die               jedoch erst mit dem versammlungsfreundlichen Brock-
         „Meta-Rahmenbedingung“9 und transformiert zu einem                        dorf-Beschluss 198516 eine Wende, welches sich auch in
         direkten Konfliktgegner – dem „Gegenüber“ – sozialer                      Polizeiphilosophien zum Umgang mit Protesten nieder-
         Bewegungen, da sich die „konkrete Choreographie von                       schlug. Die folgende Phase ist von einem gelasseneren po-
         Protestereignissen“10 häufig als das Ergebnis der Interak-                lizeilichen Vorgehen bei Demonstrationen gekennzeich-
         tion zwischen den Protestierenden und der Polizei dar-                    net, da diese nicht mehr als ausschließlich als Gefahr für
         stellt.                                                                   die staatliche Ordnung gesehen wurden. Insgesamt entwi-
                                                                                   ckelte sich die Polizeiphilosophie weg von einer Staats-
         Die polizeiliche Kontrolle von Protesten und sozialen Be-                 hin zu einer Bürgerpolizei.17
         wegungen stellt vor diesem Hintergrund ein Spannungs-
         feld in demokratischen Gesellschaften dar. Denn einer-                    Eine Hinwendung zu kommunikationsorientierteren Stra-
         seits ist die Teilnahme an (friedlichen), öffentlichen Pro-               tegien lassen sich auch in anderen Ländern beobachten
         testen hier als Ausdruck der Versammlungsfreiheit und                     und wird in der Literatur als negotiated management be-
         damit als eines der „unentbehrlichen Funktionselemente                    schrieben. Kennzeichnend hierfür sind z.B. eine generelle
         eines demokratischen Gemeinwesens“11 zu betrachten.

         5                                                                         11
              Ullrich, Das repressive Moment der Krise, 2012, online abrufbar           BVerfGE 69, 315.
                                                                                   12
              unter: https://protestinstitut.eu/das-repressive-moment-der-krise/        Gillham, Sociology Compass, 7/2011, S. 636 ff.
                                                                                   13
              (zuletzt abgerufen am 19.9.2018).                                         Haunss/Ullrich, Soziologie 3/2013, 291 (292).
         6                                                                         14
              Crouch, Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte 4/2008, S. 4 ff.             Vgl. Gillham, Sociology Compass, 7/2011, 636 (640).
         7                                                                         15
              Vgl. Haunss/Ullrich, Soziologie 3/2013, 291 (294).                        Winter, Politikum Polizei – Macht und Funktion der Polizei in der
         8
              Haunss et al., #NoG20, 2018, S. 11 ff.                                    Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 209.
         9                                                                         16
              Winter, Protest Policing und das Problem mit der Gewalt, 1998,            BVerfGE 69, 315.
                                                                                   17
              S. 1.                                                                     Winter, Politikum Polizei – Macht und Funktion der Polizei in der
         10
              Haunss/Ullrich, Soziologie 3/2013, 291 (296).                             Bundesrepublik Deutschland, 1998, S. 209 ff.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel?                                                                        KriPoZ 5 | 2018                        293

Akzeptanz des Versammlungsrechtes, höhere Einschreit-                       Spezialeinheiten wie dem SEK, das eigentlich auf Geisel-
schwellen sowie Aushandlungen zwischen der Polizei und                      nahmen und Terrorismusbekämpfung spezialisiert ist, ist
kooperationsbereiten Protestierendengruppen, beispiels-                     immer häufiger zu beobachten, so z.B. in Sachsen bereits
weise über Größe und Route eines Demonstrationszuges                        seit 201423. Wie Polizei sich ausrüstet ist für den Umgang
mit dem Ziel, mögliche Störungen oder Ausschreitungen                       mit der Versammlungsfreiheit insofern relevant, als be-
unter Kontrolle zu halten bzw. zu verhindern. Für die                       reits hier ein Eingriff in die innere Versammlungsfreiheit
U.S.-amerikanische Polizei lassen sich entsprechende                        erfolgen kann, wenn Ausrüstung und Wahl der eingesetz-
Einsatzstrategien bereits ab Mitte der 70´er Jahre be-                      ten Einheiten eine abschreckende oder eine die Proteste
obachten.18                                                                 delegitimierende Wirkung entfalten. So signalisiert auch
                                                                            die Verwendung von Technik wie Wasserwerfern, Räum-
Die aushandlungsorientierte Polizeiphilosophie für den                      fahrzeugen etc. eine geringe Toleranz gegenüber Protes-
Umgang mit Protesten wurde schließlich zuletzt abgelöst                     tierendengruppen. Sie können als „non-verbal signal“24
von Vorgehensweisen der strategic incapacitation.19                         betrachtet werden.
Hiernach nutzen Polizeiorganisationen Möglichkeiten der
Ingewahrsamnahmen, um Protestierende kurzzeitig fest-                       Schließlich lassen sich auch auf der rechtlichen Ebene zu-
zusetzen, weisen größere (innerstädtische) Areale als De-                   nehmend Einflussnahmen im Rahmen des Polizierens von
monstrationsverbotszonen aus und greifen stärker auf                        Protest auf das Versammlungsrecht erkennen wie sich
nicht-tödliche Waffen wie Wasserwerfer und Reizgas zu-                      beispielsweise im Kontext von „Blockupy Frankfurt“ ge-
rück. Ein weiteres wesentliches Merkmal für diesen Typ                      zeigt hat.25 Dort führten bereits die im Vorfeld der Ereig-
Polizeistrategie im Kontext von Protestbewegungen stellt                    nisse vorgenommenen diskursiven Raumproduktionen
die dichotome Kategorisierung von Protestierenden als                       zur Gefährdung bestimmter Gebiete durch das antizipierte
friedlich/normal und professionell/unfriedlich dar.20 Zwar                  gewaltsame Verhalten von Aktivist*innen seitens der
konnten Tendenzen zu solchen bipolaren Kategorisierun-                      Stadtregierung und der Polizei zum Verbot aller angemel-
gen von Demonstrant*innen seitens der Polizei schon im-                     deten Veranstaltungen im Innenstadtbereich. Somit fand
mer beobachtet werden, allerdings gewinnen im Rahmen                        eine massive Einflussnahme auf das Recht auf Versamm-
der strategic incapacitation das antizipierte Gefährdungs-                  lung allein durch die behördliche Gefahrenprognose statt,
potential von Personengruppen sowie daran anknüpfend                        deren Informationsgrundlage intransparent geblieben ist.
konstruierte Feindbilder an Relevanz. Friedliche De-
monstranten handeln demnach im Sinne der hegemonial                         Der hier nachgezeichnete Wandel des Protest Policing
als legitim anerkannten Protestformen und akzeptieren die                   lässt sich in den größeren Kontext der Entwicklungen in
Forderungen der Polizei. Dagegen erscheinen unfriedliche                    der Sicherheitspolitik einordnen: „This shift in police tac-
Protestteilnehmer als potentielle Gewalttäter und werden                    tics during protests is consistent with broader changes in
mitunter bereits im Vorfeld seitens der Organisation als                    the ideological underpinnings of crime control, including
„Straftäter“ bezeichnet.21 Ebendiese Veränderungen wer-                     an emphasis on risk management and the prevention of
den im Zusammenhang mit dem summit policing gesehen.                        (rather than reaction to) crime and disorder“26. Das Poli-
Denn Gipfelproteste richten sich seitens der Aktivist*in-                   zieren von Protest zeichnet sich vor allem durch „risk as-
nen gegen globale Akteure und zeichnen sich durch neue                      sesment“ und „risk management“ aus, was sich mitunter
Strategien des Protestes aus. Dazu gehören u.a. Formen                      in der Identifizierung von potentiellen Gefahren und Stö-
des zivilen Ungehorsams und „räumlich ungleich und un-                      rer*innen im Vorfeld, die Gewinnung der Deutungshoheit
vorhersagbar verteilte Orte des Widerstandes“, was eine                     über Ereignisse mittels Kommunikation sowie die Kon-
neue Herausforderung für das Polizieren von Prostest dar-                   zentration auf Räume zeigt.27
stellte.22
                                                                            3. Merkmale
Darüber hinaus zeichnet sich jüngst im Sinne des „starken
Staates“ eine militärische Aufrüstung der Polizei ab, wel-                  Wie die polizeiliche Performanz ausfällt, hängt neben den
che ihren Anfang vor einigen Jahren in USA nahm und                         sicherheitspolitischen Strömungen auch von Situations-
von Forscher*innen mit Besorgnis beobachtet wird. Diese                     und Kontextfaktoren ab. Hierbei liegt es zunächst einmal
zeigt sich u.a. im Einsatz von Schnellfeuerwaffen für                       im polizeilichen Ermessen, ob die Polizei bei Demonstra-
„normale“ Polizeieinheiten sowie im Ausbau des Bestan-                      tionen und sonstigen Versammlungen überhaupt anwe-
des und Einsatzes von gepanzerten Fahrzeugen. Legiti-                       send ist. Auf Grundlage einer Gefahrenprognose wird
miert werden die entsprechenden Entwicklungen u.a. mit                      diesbezüglich entschieden, welcher Kräfteansatz notwen-
dem Kampf gegen den Terrorismus. Auch der Einsatz von                       dig erscheint. Aufzüge von rechten Gruppierungen wer-
                                                                            den in der Regel begleitet, da das Mobilisierungspotenzial

18                                                                          23
     Gillham/Noakes, An International Quarterly 2007, 335 ff.; della             Kirsch, Militarisierung des Protest Policing: Polizeikrieger als auto-
     Porta/Petersen/Reiter, The policing of transnational protests, 2007,        ritäre    Konfliktlösung,     2017,     online     abrufbar     unter:
     S. 3.                                                                       https://www.cilip.de/2017/11/27/militarisierung-des-protest-poli-
19
     Gillham/Noakes, An International Quarterly 2007, 335 (338).                 cing-polizeikrieger-als-autoritaere-konfliktloesungsstrategie/ (zu-
20
     Ullrich, "„Normalbürger “versus „Krawalltouristen“. Polizeiliche            letzt abgerufen am 19.9.2018).
                                                                            24
     Kategorisierungen von Demonstrationen zwischen Recht und Sozi-              della Porta/Reiter, Policing protest: The control of mass demonstra-
     ologischem Ermessen, 2017, S. 61 (65).                                      tions in Western democracies, 1998, S. 250.
21                                                                          25
     Dießelmann, Ausnahmezustand. Diskursanalyse des G8-Gipfels in               Vgl. Petzold/Pichl, KrimJ 2013, 211.
                                                                            26
     Heiligendamm, 2015 (online verfügbar).                                      Gillham/Noakes, An International Quarterly 2007, 335 (343).
22                                                                          27
     Petzold/Pichl, KrimJ 2013, 211.                                             Petzold/Pichl, KrimJ 2013, 211 (216).
294   KriPoZ 5 | 2018

         der „Gegenseite“ als hoch eingeschätzt wird, sodass ein                 1. Der Weg zum Gesetz
         Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Lager verhin-
         dert und Konfliktdynamiken kontrolliert werden sollen.                  Bereits mit Blick auf die jüngere Gesetzeshistorie lässt
                                                                                 sich ein Zusammenhang der Änderungen zu Protestereig-
         Situative Faktoren wie die Größe einer Demonstrations-                  nissen konstituieren. Unter anderem die gewalttätigen
         veranstaltung, die von den Akteuren genutzten Örtlichkei-               Ausschreitungen im Rahmen der sogenannten Blockupy-
         ten, der (politische) Zweck des Protests sowie Formen des               Bewegungen anlässlich der Eröffnung der Europäischen
         ausgeübten Protests – zu nennen sind hier beispielshaft                 Zentralbank in Frankfurt am Main am 18. März 2015 ge-
         Demonstrationszüge und die geplanten Routen, Sitzblo-                   genüber Einsatzkräften der Feuerwehr und Polizei veran-
         ckaden, Verwendung von Pyrotechnik etc. – sind maßge-                   lassten die schwarz-grüne Landesregierung Hessens im
         bend für die Ausgangssituation der Polizei-Protestieren-                April 2015, einen Gesetzentwurf, der den tätlichen An-
         den-Interaktionen, die Wahl der polizeilichen Kontroll-                 griff auf Polizeibeamte und andere Einsatzkräfte30 zum
         praktiken sowie Konfliktdynamiken zwischen Polizei und                  Gegenstand hatte, über den Bundesrat in den Bundestag
         Protestierenden. Der Verlauf von Protestereignissen hängt               einzubringen.31 Auch der zwei Wochen später über das
         im Wesentlichen von einem Wechselspiel zwischen Pro-                    Saarland mit ähnlicher Zielrichtung eingebrachte Gesetz-
         testierenden- und Polizist*innenverhalten ab. Dabei wird                entwurf32 proklamierte ein gesteigertes Schutzbedürfnis
         der polizeilichen Performanz ein nicht unwesentlicher                   von Polizeibeamt*innen, die Demonstrationszüge beglei-
         Einfluss auf das Protestgeschehen zugeschrieben. Repres-                ten33, und nimmt damit zumindest mittelbar Bezug auf
         sivere Vorgehensweisen können dementsprechend eher                      Protestereignisse resp. auf etwaige Ausschreitungen bei
         negative Einflüsse auf den Protestverlauf haben.28                      Protestereignissen. Obwohl die Gesetzesinitiativen in den
                                                                                 Parlamenten vornehmlich durch konservativ ausgerich-
         Im Sinne der Bedeutung polizeilichen „risk assesments“                  tete Parteien Unterstützung fanden34, scheiterte die
         und „risk managements“ im Rahmen von Gipfelprotesten,                   Durchsetzung letztlich am Widerstand der rot-grün regier-
         hat die Konstruktion von Bedrohungsszenarien die Ge-                    ten Länder im Bundesrat.35
         waltbereitschaft von Protestierenden betreffend einen be-
         deutsamen Einfluss auf die von der Polizei gewählte Ein-                Am 23.12.2016 erfuhr das Vorhaben durch den Referen-
         satzstrategie. Entsprechende Szenarien resp. Diskurse zu                tenentwurf zur Stärkung des Schutzes von Vollstre-
         „gefährlichen“ Gruppen können im Rahmen von Protest-                    ckungsbeamten und Rettungskräften des Bundesministe-
         ereignissen als „verbal signal“ bezeichnet werden, welche               riums der Justiz und für Verbraucherschutz quasi eine
         eine ebenso delegitimierende Funktion für den jeweiligen                Neuauflage. Dieser wurde am 8.2.2017 durch die Bundes-
         Protest darstellen, und somit auf die Konfliktdynamiken                 regierung beschlossen und durch die Fraktionen der CDU
         zwischen Polizei und Protestierenden wirken.                            und SPD in den Bundestag eingebracht. Noch vor der
                                                                                 Übergabe an den federführenden Ausschuss für Recht und
         II. Protest Policing und die Änderung der sogenannten                   Verbraucherschutz wurde ein wortgleicher Entwurf durch
         Widerstandsdelikte                                                      die Bundesregierung zur Stellungnahme zugeleitet. In der
                                                                                 im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsprozesses stattge-
         Da Protest Policing ebenfalls einen repressiven Teilaspekt              fundenen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbrau-
         in Form der Verfolgung (politisch motivierter) Straftaten               cherschutz wurde der Gesetzentwurf kontrovers diskutiert
         im Kontext von Protesten aufweist, müssen in diesem Zu-                 und durchaus ambivalent betrachtet. Während insbeson-
         sammenhang die durch das 52. StÄG am 30.5.2017 in                       dere Vertreter der Polizeibehörden und -gewerkschaften
         Kraft getretenen Änderungen der sogenannten Wider-                      dem Gesetzentwurf positiv bewerteten und als wichtiges
         standsdelikte der §§ 113, 114, 115 StGB29 betrachtet wer-               Signal im Hinblick auf Respekt und Wertschätzung ver-
         den.                                                                    standen,36 kritisierten vornehmlich Rechtswissenschaftler
                                                                                 die konkrete Ausgestaltung und praktische Anwendung
         Auf zwei Aspekte soll dabei im Einzelnen eingegangen
         werden. Zunächst soll das Gesetzgebungsvorhaben als le-
         gislativer Prozesse betrachtet werden. Schließlich werden
         die implementierten Änderungen im Lichte der Versamm-
         lungsfreiheit näher zu fokussieren sein.

         28                                                                      35
              Nassauer, PiJPSM 2015, 3 (4).                                           Vgl. Zöller, KriPoZ 2017, 143 (145); Vgl. Schiemann, NJW 2017,
         29
              BGBl I Nr. 30, S. 1226 ff.                                              1846 (1847).
         30                                                                      36
              BR-Drs. 165/15.                                                         Vgl. Radermacher, Gesetzesentwurf zur Stärkung des Schutzes von
         31
              LT-Drs. 19/1987, S. 2.                                                  Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften, online abrufbar unter:
         32
              BR-Drs. 187/15.                                                         https://www.bundestag.de/blob/499238/e37d65155a868904db9176
         33
              Vgl. a.a.O., S. 6.                                                      e94b93bbe7/radermacher-data.pdf       (zuletzt  abgerufen     am
         34
              Vgl. Antrag der Fraktion der CDU im Landtag Rheinland-Pfalz LT-         18.9.2018); zum Antrag der Fraktion der CDU im nordrhein-west-
              Drs. 16/5031; Antrag der Fraktion der CDU im nordrhein-westfäli-        fälischen Landtag zur Unterstützung der hessischen Bundesratsini-
              schen Landtag zur Unterstützung der hessischen Bundesratsinitia-        tiative: LT-Drs. 16/8979 vgl. DPolG, Stellungnahme 16/3427, on-
              tive: LT-Drs. 16/8979; Antrag der AfD in der Bürgschaft Hamburg:        line abrufbar unter: https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenser-
              Drs. 21/331; Antrag der Fraktion der CDU in der Bürgschaft Ham-         vice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-3427.p
              burg: LT-Drs. 21/404; Antrag der AfD im brandenburgischen Land-         df;jsessionid=A9ED27FD3BF43254013024CF5A8E4824.ifxwor-
              tag: LT-Drs. 6/1193 sowie der Entschließungsantrag der CDU zum          ker (zuletzt abgerufen am 18.9.2018).
              Antrag der AfD: LT-Drs. 6/1273.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel?                                                                  KriPoZ 5 | 2018                      295

des geplanten Gesetzes.37 Auf Beschlussempfehlung des                   durch die Gesetzesänderungen wurden demgegenüber im
federführenden Ausschusses wurde schließlich noch eine                  Gesetzgebungsverfahren kaum thematisiert. Der Arbeits-
Erweiterung des § 323c StGB in das Gesetz aufgenom-                     kreis Kritischer Jurist_innen befasste sich mit der Thema-
men.38 Der Bundestag nahm am 27.4.2017 das Gesetz der                   tik eingehend in der Stellungnahme zum hessischen Ge-
Koalitionsfraktionen mit den Stimmen der Fraktionen                     setzesentwurf und bezeichnete die geplante Änderung als
CDU/CSU und SPD und gegen die Stimmen der Fraktio-                      „weitere[n] Schritt zur Aushöhlung des Demonstrations-
nen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ge-                          rechts.“44 In der öffentlichen Anhörung zum jüngsten Ent-
änderter Fassung an, der Bundesrat stimmte am 12.5.2017                 wurf wies lediglich Müller darauf hin, dass die Diskussion
zu und das Gesetz trat schließlich am 30.5.2017 in Kraft.               um die Neugestaltung der „Widerstandsdelikte“ im Ge-
                                                                        setzentwurf vollständig übergangen wurde, während im
In der Chronologie des Gesetzgebungsverfahrens erschei-                 Gegensatz dazu die Wechselwirkung bei der Diskussion
nen zwei Faktoren bemerkenswert. Das „zweigleisige“                     im Jahre 1970 im Mittelpunkt stand.45
Vorgehen im Rahmen der Initiierung deutet darauf hin,
dass das Gesetzgebungsvorhaben aus Sicht der Bundesre-                  Insgesamt wird bereits aus dem Gesetzgebungsverfahren
gierung eine gewisse Dringlichkeit aufwies und in einem                 deutlich, dass eine zunehmend konservative Strömung das
beschleunigten Verfahren durchgesetzt werden sollte.39                  Gesetz prägt, indem die Schutzbedürftigkeit staatlicher
Vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung am                        Repräsentanten, die Autorität staatlicher Vollstreckungs-
16.11.2015 bekanntgegeben hatte, dass Deutschland im                    akte und damit auch das Gewaltmonopol des Staates für
Jahr 2017 die G20-Präsidentschaft übernehmen werde40                    die gesetzgeberische Intention handlungsleitend waren
und am 10.6.2016 postuliert wurde, dass die Wahl für den                und die Betrachtung von möglichen Wechselwirkungen
Austragungsort des G20-Gipfels auf Hamburg gefallen                     zu Freiheitsrechten hiervon nahezu vollständig überlagert
ist,41 kann retrospektiv die Frage aufgeworfen werden, in-              wurde und somit in den Hintergrund rückte.
wieweit diese Umstände die Neuauflage des Gesetzes zu-
mindest begünstigten.                                                   2. Die Änderungen im Lichte der Versammlungsfreiheit

Den Gesetzentwürfen lässt sich eine solche Intention nicht              Das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstre-
explizit entnehmen – dem Gesetzgeber war jedoch be-                     ckungsbeamten und Rettungskräften hat neben der Ände-
wusst, dass eine Strafschärfung bei „Polizeieinsätzen im                rung der Vorschriften der sogenannten Widerstandsde-
Zusammenhang mit gewalttätigen Demonstrationen zur                      likte, zu Änderungen der Vorschrift des Landfriedens-
Anwendung kommen“42 würde. Der Innenausschuss wies                      bruchs sowie zur Einführung des Straftatbestandes der
in einer Stellungnahme auf die Notwendigkeit der Gel-                   Behinderung von hilfeleistenden Personen geführt.46
tung der Strafschärfung auch in Fällen hin, in denen der
Angriff aus einer Menschenmenge heraus geschieht, und                   Das Kernstück der Reform bildet die Herauslösung der
nimmt damit konkreten Bezug auf Ausschreitungen bei                     Tatbestandsalternative des tätlichen Angriffs aus dem
Großveranstaltungen wie Demonstrationen.43 Somit lässt                  § 113 Abs. 1 StGB und die Überführung in den eigenstän-
schlussfolgern, dass das In-Kraft-Treten der Änderungen                 digen Straftatbestand des § 114 Abs. 1 StGB mit erhöhtem
noch vor der Durchführung des Gipfeltreffens zumindest                  Strafrahmen unter gleichzeitigem Verzicht auf eine Voll-
opportun war.                                                           streckungshandlung, sodass ein konkreter Bezug zu einer
                                                                        allgemeinen Diensthandlung genügt.
Mögliche Wechselwirkungen zur Versammlungsfreiheit
und eine daraus resultierende Einschränkung derselben                   Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals des tätlichen
37                                                                      41
     Vgl. Müller, Stellungnahme zum Gesetzesvorhaben „Gesetz zur             Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, G20-Gipfel
     Änderung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Voll-         2017 findet am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg statt, Pressemittei-
     streckungsbeamten und Rettungskräften“ BT-Drs. 18/11161 und zu          lung 203/2016, online abrufbar unter: https://www.bundesregie-
     den Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für          rung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2016/06/2016-06-10
     Innere Angelegenheiten des Bundesrates BR-Drs. 126/1/17, online         -g-20.html (zuletzt abgerufen am 9.9.2018).
                                                                        42
     abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/499236/16b128a            BT-Drs. 18/11161, S. 9; hier im Zusammenhang mit den Änderun-
     08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf (zuletzt abgerufen           gen zum Landfriedensbruch.
                                                                        43
     am 18.9.2018); vgl. DAV, SN 5/17: Stärkung des Schutzes von             BR-Drs. 126/1/17, S. 3; dieser Vorschlag wurde letztlich jedoch
     Vollstre-ckungs-be-amten und Rettungskräften online abrufbar un-        nicht umgesetzt.
                                                                        44
     ter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-5-17-staerkung-des-         AKJ, Pressemitteilung des Arbeitskreises kritischer Jurist_innen
     schutzes-von-vollstreckungsbeamten-und-rettungskraeften (zuletzt        (akj) an der Uni Frankfurt, online verfügbar unter:
     abgerufen am 18.9.2018); vgl. Magnus, Stellungnahme zum Gesetz-         http://akjffm.blogsport.de/images/pmschutzparagraph.pdf (zuletzt
     entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD „Entwurf eines ...           abgerufen am 16.9.2018).
                                                                        45
     Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des              Müller, Stellungnahme zum Gesetzesvorhaben „Gesetz zur Ände-
     Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ BT-             rung des Strafgesetzbuchs – Stärkung des Schutzes von Vollstre-
     Drs. 18/11161 vom 14.2.2017, online abrufbar unter:                     ckungsbeamten und Rettungskräften“ BT-Drs. 18/11161 und zu den
     https://www.bundestag.de/blob/499234/75273cd6fb2304335883e7             Empfehlungen des Rechtsausschusses und des Ausschusses für In-
     bf4e79d95c/magnus-data.pdf (zuletzt abgerufen am 18.9.2018).            nere Angelegenheiten des Bundesrates BR-Drs. 126/1/17, S. 7 f.,
38
     Vgl. BT-Drs. 18/12153, S. 3.                                            online abrufbar unter: https://www.bundestag.de/blob/499236/16b
39
     Vgl. Schiemann, NJW 2017, 1846 (1847).                                  128a08cd347480cbe33a15344730d/mueller-data.pdf (zuletzt abge-
40
     Vgl. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Deutsch-          rufen am 9.9.2018), vgl. auch BT-Drs. VI/502.
                                                                        46
     land übernimmt im Jahr 2017 G20-Präsidentschaft, Pressemittei-          Zu den Änderungen im Allgemeinen ausführlich siehe Schiemann,
     lung 418/2015, online abrufbar unter: https://www.bundesregie-          NJW 2017, 1846 (1847 ff.), zur grundsätzlichen Kritik vgl.
     rung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/11/2015-11-              Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (928 ff.); Magnus, GA 2017, 530
     16-g20-praesidentschaft.html (zuletzt abgerufen am 9.9.2018).           (533); König/Müller, ZIS 2018, 96; Busch/Singelnstein, NStZ 2018,
                                                                             510 (511 ff.).
296   KriPoZ 5 | 2018

         Angriffs kann im Rahmen von Protestgeschehen dazu                      an Stangen mit sich führen, und in eine Auseinanderset-
         führen, dass Protestformen des zivilen Ungehorsams nun-                zung mit der Polizei geraten, sich einer Mindeststrafe von
         mehr strafbewehrt sind. Als tätlicher Angriff wird die in              sechs Monaten Freiheitsstrafe ausgesetzt sehen. Gleiches
         feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper                gilt für die Erweiterung des Katalogs der Regelbeispiele
         eines anderen zielende Einwirkung – unabhängig von ih-                 um den Fall der gemeinschaftlichen Tatbegehung. Die
         rem Erfolg und einen darauf gerichteten Vorsatz – be-                  „exzessive“ Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals da-
         zeichnet.47 Das Tatbestandsmerkmal des tätlichen An-                   hingehend, dass die physische Anwesenheit einer Person
         griffs setzt somit keinen (Körperverletzungs-)Erfolg vo-               bei Ausschreitungen als bewusstes Zusammenwirken mit
         raus, sondern ist vollständig erfüllt, wenn die konkrete               anderen Personen zur Erfüllung des Tatbestandes genügt,
         Gefährdung des im Rahmen des § 114 StGB ohnehin um-                    führt ebenfalls dazu, dass Versammlungsteilnehmer in
         strittenen Rechtsgutes eingetreten ist.48 Die Strafbarkeits-           Zukunft geneigt sein könnten, nicht mehr an Versamm-
         schwelle kann somit bereits bei Handlungen überschritten               lungen teilzunehmen, die möglicherweise nicht in allen
         werden, die einen eher geringen Unrechtsgehalt aufwei-                 Teilen friedlich bleiben.
         sen, wie (leichtes) Schubsen, Drängeln, Stoßen oder Fest-
         halten – empirische Studien verdeutlichen, dass diese                  Durch den konkreten Verzicht auf die Vollstreckungs-
         Handlungen das Gros der tätlichen Angriffsformen aus-                  handlung wird der Anwendungsbereich der Norm auf
         machen.49 Bei Versammlungsgeschehen handelt es sich                    Handlungen, die sich „als ‚schlichte‘ Ausübung des
         jedoch um dynamische, unübersichtliche sowie komplexe                  Dienstes darstellen, ohne nach Anlass, Person oder Maß-
         Interaktionssituationen mit vielen Beteiligten, deren Rol-             nahme konkretisierte Ausführungshandlung dienstlicher
         lenverteilung zudem a priori konfliktgeladen ist, sodass               Pflichten zu enthalten oder zu beabsichtigen“52, ausge-
         unkonventionelle Protestformen wie Sitzblockaden mit                   dehnt. Im Versammlungsgeschehen hat dieser Umstand
         wechselseitigen Körperkontakten in der beschriebenen                   zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Norm auch
         Form verbunden sein können. Es besteht somit die Gefahr,               auf Sachverhalte außerhalb der Vollstreckung polizeili-
         dass man sich bei „niederschwelligen“ Handlungen straf-                cher Maßnahmen, bei der keine konkreten mit Zwang
         bar macht, wenn das Tatbestandsmerkmal in Zukunft                      durchsetzbaren Weisungen vorliegen, ausgeweitet wird.
         nicht einschränkend dahingehend ausgelegt wird, dass nur               Der Gesetzgeber begründete den Verzicht auf die Voll-
         Einwirkungen von einigem Gewicht tatbestandlich erfasst                streckungshandlung mit der Schutzbedürftigkeit der Be-
         werden.                                                                amt*innen in Ausübung allgemeiner Diensthandlungen.
                                                                                Bemerkenswert ist, dass er zur Begründung anführt, dass
         Die nachteiligen Auswirkungen auf die Versammlungs-                    sie sich „anderes als beispielsweise Polizisten, die zur Be-
         freiheit werden bei Betrachtung der angedrohten Strafe                 gleitung einer […] Demonstration eingesetzt werden [und
         deutlich: § 114 Abs. 1 StGB sieht eine Strafandrohung                  entsprechende Schutzkleidung tragen], […] nicht in glei-
         von mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe bis zu fünf                cher Weise schützen [können].53“ Nichtsdestotrotz ist der
         Jahren vor. Die Verhängung der Freiheitsstrafe ist dabei               Anwendungsbereich der Vorschrift gleichwohl für Be-
         zwingend, eine Geldstrafe scheidet demgegenüber aus                    amt*innen eröffnet, die Versammlungen begleiten.
         und kommt nur noch gemäß § 47 Abs. 2 StGB in Be-
         tracht.50 Allein dieser Umstand dürfte geeignet sein, dass             Darüber hinaus erscheint problematisch, dass die Deu-
         potentielle Versammlungsteilnehmer von der Ausübung                    tungshoheit über das Protestgeschehen auf die Polizei
         ihres Rechts auf Versammlungsfreiheit aus Angst vor (un-               übertragen wird, da die Feststellung, ob Handlungen die
         gerechtfertigten) Strafverfolgungsmaßnahmen absehen.51                 Strafbarkeitsschwelle überschreiten, in besonderem Maße
         Dies gilt umso mehr, als dass das Gesetz keinen minder-                von den Wahrnehmungen, der Interpretation und den dar-
         schweren Fall vorsieht.                                                aus resultierenden rechtlichen Bewertungen der beteilig-
                                                                                ten Beamt*innen abhängt.54 Dies erlangt insbesondere vor
         In diesem Kontext ist zudem auf die Erweiterung der Re-                dem Hintergrund der zuvor angesprochenen Relevanz des
         gelbeispiele hinzuweisen, die im § 113 Abs. 2 StGB vor-                polizeilich definierten Gefährdungspotentials eines Pro-
         genommen wurden und über den § 114 Abs. 2 StGB eben-                   testes und den erwarteten Protestgruppen an Bedeutung.
         falls Anwendung finden. Besonders hervorzuheben sind                   Das Gesetz begünstigt in diesem Kontext eine binäre Zu-
         hierbei die Regelbeispiele des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 so-             ordnung der Konfliktparteien, die verkennt, dass Über-
         wie § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 StGB. § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1              griffe in Versammlungsgeschehen komplexe Konfliktsi-
         StGB erfasste bereits vor der Änderung das Beisichführen               tuationen darstellen, denen zum einen Interaktionen bei-
         einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs                  der am Übergriff beteiligten Konfliktparteien vorausge-
         durch den Täter oder Teilnehmern. Nunmehr wird jedoch                  hen und in der Regel von beiden Seiten mit gewaltsamen
         auf die Verwendungsabsicht verzichtet. Dies hat zur                    Mitteln ausgetragen werden.55 Phänomenologische Er-
         Folge, dass Demonstrationsteilnehmer*innen, die Gegen-                 kenntnisse verdeutlichen, dass Widerstandshandlungen
         stände, welche dem Protestgeschehen dienen, z.B. Fahnen

         47                                                                     54
              Vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl. (2018), § 114 Rn. 5.                     DAV, SN 5/17: Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten
         48
              Vgl. Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510.                               und Rettungskräften, S. 7, online abrufbar unter: https://anwaltver-
         49
              Jager et al., Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte,        ein.de/de/newsroom/sn-5-17-staerkung-des-schutzes-von-vollstre-
              2013, S. 76 f.                                                         ckungsbeamten-und-rettungskraeften (zuletzt abgerufen am
         50
              Busch/Singelnstein, NStZ 2018, 510 (511 ff.).                          18.9.2018).
         51                                                                     55
              Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (928).                                  Vgl. Puschke/Rienhoff, JZ 2017, 924 (928); DAV Stellungnahme,
         52
              Fischer, StGB, § 114 Rn. 4.                                            SN 5/17: Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
         53
              BT- Drs. 18/11161, S. 10.                                              Rettungskräften, S. 7.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel?                                                                      KriPoZ 5 | 2018                       297

und tätliche Angriffe in einem eskalierenden Interaktions-                 Schon im Vorfeld des Gipfels entwarf die Polizei eine äu-
geschehen zwischen den Bürger*innen und den Polizeibe-                     ßerst negative Protestdiagnose, indem sie öffentlich von
amt*innen entstehen56, sodass Bedingungsfaktoren der                       8.000 gewaltbereiten Demonstranten sprach, welche den
Gewalt gegenüber Polizeibeamtinnen vor diesem Hinter-                      Gipfel massiv stören wollten.58 Als Grundlage für die La-
grund sowohl auf Seiten der eingesetzten Beamt*innen als                   gebeurteilung wurden u.a. Informationen des Staatschut-
auch auf Seiten des polizeilichen Gegenübers existent                      zes des LKA Hamburg sowie inländischer und ausländi-
sind.                                                                      scher Polizeibehörden und Geheimdienste herangezogen.
                                                                           Auf einzelne Kundgebungen und Demonstrationszüge be-
Resümierend lässt sich feststellen, dass sich die Änderun-                 zogen fällt die Lagebeurteilung eher generalisierend aus,
gen negativ auf potentielle, friedliche Versammlungsteil-                  sodass nicht nur bezüglich der für den 6.7.2017 geplanten
nehmer auswirkt, die – angesichts einer geringen Strafbar-                 „Welcome to Hell-Demonstration“, sondern auch für die
keitsschwelle und der hohen Strafandrohung auch im Hin-                    am 8.7.2017 angemeldete Großdemonstration „Grenzen-
blick auf Einwirkungen mit vergleichsweise geringem                        lose Solidarität statt G20“ mit einer hohen Beteiligung
Unrechtsgehalt – von der Teilnahme an Versammlungen                        linksextremistischer Gruppierungen gerechnet wurde.
absehen. Unkonventionelle Protestformen, die keine plan-                   Kritisch wird hier u.a. die reduktionistische Beurteilung
mäßigen und gezielten Übergriffe auf die Polizei als Kon-                  von Großveranstaltungen im Sinne des Versammlungs-
fliktpartei fokussieren, aber denen dennoch das Risiko                     rechts gesehen.59
leichter körperlicher Auseinandersetzungen anhaften,
könnten in Zukunft kriminalisiert werden. Diesem Risiko                    Mit der Deutung der G20-Proteste als ungeahntes Gefah-
kann nur durch eine versammlungsfreundliche Auslegung                      renpotential vermittelte die Polizei ein öffentlichkeits-
der Tatbestandsmerkmale durch die Polizei – bei der                        wirksames Bedrohungsszenario, das eine repressive Poli-
Frage der Bewertung eines Verhaltens von Protestieren-                     zeitaktik legitim erscheinen ließ. Die bereits im Vorfeld
den im Rahmen des Anfangsverdachts – und durch die                         getroffenen Maßnahmen wie z.B. die Einrichtung von
Gerichte – bei der Feststellung des strafrechtlichen Vor-                  Sonderrechtszonen sowie die juristischen Auseinander-
wurfs – begegnet werden.                                                   setzungen um und die Räumung von Protestcamps wie
                                                                           z.B. auf Entenwerder stellte klare Weichen in Richtung
III. Abriss der Ereignisse beim G20-Gipfel in Ham-                         räumliche Einhegung der Proteste.
burg
                                                                           Auch ein Blick auf die verwendete Ausrüstung der Polizei
Anhand der Ereignisse während des G20-Gipfels im Juli                      spiegelt das auf Repression ausgerichtete Handeln der Po-
2017 sind schließlich Entwicklungen erkennbar, welche                      lizei wider. Dementsprechend wurden u.a. über 30.000
bisher dominierende deeskalative Strategien im Protest                     Polizeikräfte, 48 Wasserwerfer, diverse gepanzerte
Policing ins Gegenteil verkehren und sich in den Rahmen                    Räumfahrzeuge und Hubschrauber eingesetzt. Diese
einer Politik der Inneren Sicherheit einordnen lassen, die                 durch Masse, Schutzausrüstung und Stärke charakteri-
sich durch zunehmende Einschränkungen von Freiheits-                       sierte polizeiliche Performanz trug als „non-verbal sig-
und Persönlichkeitsrechten sowie Maßnahmen der Ab-                         nal“60 zur Delegitimation insbesondere der Protestaktio-
schreckung auszeichnen. Im folgenden Abschnitt sollen                      nen bei, welche nahe an den Gefahrenzonengrenzen aus-
diese Entwicklungen näher erläutert werden.                                getragen wurden.

Mit der Entscheidung für Hamburg als Austragungsort                        Während des Gipfels zeichnete sich das polizeiliche Han-
des G20-Gipfels 2017 stand die Hamburger Polizei vor ei-                   deln auch bei der Kontrolle von niedrigschwelligen Pro-
ner sehr komplexen und teils dilemmatischen Aufgabe. Es                    testformen wie z.B. Sitzblockaden durch geringe Ein-
galt nicht nur Maßnahmen für die Sicherheit der Gipfel-                    schreitschwellen aus, indem beispielsweise Wasserwerfer
teilnehmer zu konzipieren, auch mussten Strategien ent-                    ohne Vorankündigungen eingesetzt wurden. Größere Auf-
wickelt werden, welche sowohl die Versammlungsfreiheit                     züge wurden mit einem hohen Einsatz an Menschen, Ma-
der Demonstranten schützen als auch potentiellen Gefähr-                   terial und Technik begleitet und gestoppt, sobald sich un-
dungen durch Protestierendengruppen begegnen sollten.                      ter den Protestierenden Vermummte befanden. Dieses
Im Laufe des Gipfels zeigte sich jedoch, dass sich die Stra-               Vorgehen wurde von den Forscher*innen des Projekts
tegien des Protest Policing vordergründig auf die Wah-                     „Mapping NoG20“61 als „deeskalative Stärke“ beschrie-
rung eines reibungslosen Gipfeltreffens richteten.57                       ben, da diese Strategie zum Ziel hatte, Störer abzuschre-
                                                                           cken.

56                                                                         59
     Vgl. BKA, Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen/ -beamte                  Malthaner et al., Eskalation. Dynamiken der Gewalt im Kontext der
     2016, S. 28.                                                               G20-Proteste in Hamburg 2017, 2018, S. 36 online abrufbar unter:
57
     Hunold et al., KrimJ, 2018, 14 (34).                                       https://g20.protestinstitut.eu/ (zuletzt abgerufen am 19.9.2018).
58                                                                         60
     Hamburger Abendblatt, 2017, https://www.abendblatt.de/ham-                 della Porta/Reiter, Policing protest: The control of mass demonstra-
     burg/article210444981/Polizei-rechnet-mit-8000-gewaltbereiten-             tions in Western democracies, 1998, S. 250.
                                                                           61
     Linksextremen.html (zuletzt abgerufen am 19.9.2018); Zeitweise             Haunss et al. #NoG20. Ergebnisse der Befragung von Demonstrie-
     wird sogar von bis zu 10 000 gewaltbereiten Linksextremisten be-           renden und der Beobachtung des Polizeieinsatzes, online abrufbar
     richtet; vgl. Zeit online, 2017, Verfassungsschutz erwartet 10.000         unter: https://protestinstitut.eu/projekte/mapping-nog20/ (zuletzt
     gewaltbereite      Demonstranten,      online   abrufbar     unter:        abgerufen am 19.9.2018).
     https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/g20-gip-
     fel-hamburg-sicherheitsbehoerden-demonstranten-linksextremis-
     mus (zuletzt abgerufen am 18.9.2018).
298   KriPoZ 5 | 2018

         Die polizeiliche Performanz der Polizei während des Gip-                   dass das politische System selbst den äußeren Rahmen bil-
         fels hat jedoch weniger zur Befriedung von Konflikten ge-                  det und materiell als der Primat für die polizeiliche Stra-
         führt und ist vielmehr als ein Element der eskalativen Pro-                tegie fungiert, indem sie (gesetzliche) Orientierungsrah-
         zessen zu sehen, welche z.B. zur gewaltsamen Auflösung                     men resp. Leitlinien vorgeben.
         der „Welcome to Hell“-Demonstration mündeten sowie
         auch zu den Ausschreitungen in der Sternschanze in den                     Die Polizei nimmt hierbei jedoch eine besondere Rolle
         darauffolgenden Tagen.                                                     ein, da letztlich die aus polizeilichen Erfahrungswissen re-
                                                                                    sultierenden Protestdiagnosen Einfluss auf das Sicher-
         Mit der Neu-Ordnung des Stadtraums nach dem polizei-                       heitskonzept ausüben. Wenn jedoch das polizeiliche Wis-
         lich antizipierten Bedrohungsrisiko durch Protestgruppen                   sen das Resultat einer selektiven und auf eigenen Erfah-
         sowie der Demonstration von Stärke im Zusammenhang                         rungen beruhenden Wahrnehmung ist, kann diese die Ba-
         mit der Kontrolle verschiedener Protestformen während                      sis für polizeiliche Narrative über Protestformen und die
         des G20-Gipfels in Hamburg behält die Polizei auch im                      von ihnen ausgehenden Gefahren formen, die wiederum
         Nachgang die Deutungshoheit über die Gipfelproteste und                    als Rechtfertigung der konkreten Praxis des Protest Poli-
         die Gefährlichkeit linker Gruppierungen. So strengte die                   cing herangezogen werden. Da die institutionell vernetzte
         Hamburger Polizei durch die eingesetzte Sonderkommis-                      Wahrnehmung von Protest die „polizeiliche“ Realität als
         sion „Schwarzer Block“ eine der größten Öffentlichkeits-                   den sogenannten „body of knowledge“68 formt, ist nicht
         fahndungen in der Geschichte der Bundesrepublik nach                       auszuschließen, dass dieser auch über die Zeit entwickelte
         Verdächtigen62 von Straftaten wie Sachbeschädigung und                     Stereotypen über „Störer“ und „ordnungswidriges“ Ver-
         Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte durch und for-                       halten beinhaltet. Indem sich die Gefahrenprognose in
         derte Medienvertreter explizit zur Verbreitung der Fotos                   Einsatz- und Sicherheitskonzepten manifestiert, stellt Pro-
         auf.63 Unabhängig von der öffentlichen Debatte um die                      test Policing zugleich ein wichtiges Moment der politi-
         gesetzliche Legitimation angesichts des nachhaltigen Ein-                  schen Chancenstruktur eines Gesellschaftssystems dar69,
         griffs in die Persönlichkeitsrechte und der Unschuldsver-                  innerhalb derer die Möglichkeiten der politischen Partizi-
         mutung setzt sich ein repressiver, extensiver Protest Poli-                pation direkt beeinflusst werden.70
         cing Stil fort, den auch das Hamburger Gericht und die
         Staatsanwaltschaft zumindest billigen.64 Erste (noch nicht                 Inwieweit die Polizei darüber hinaus als „grundrechts-
         rechtskräftige) Urteile sprachen mehrjährige, nicht mehr                   und damit versammlungs-rechtsfreundliche Bürgerpoli-
         bewährungsfähige Haftstrafen aus.65 Die Verschärfung                       zei“ oder „etatistisch-autoritäre Staatspolizei“ im Rahmen
         der Widerstandsdelikte und damit einhergehende Anpas-                      von Protestgeschehen auftritt, hat Einfluss auf die Qualität
         sungen der Vorschriften des Landfriedensbruchs dürften                     eines demokratischen Willensbildungsprozess und kann
         hierbei wesentlich zum Strafmaß beigetragen haben. Dar-                    als sichtbarer Indikator der politischen Kultur und der
         über hinaus hob das Gericht bei der Begründung des Straf-                  Staatsverfassung gewertet werden.71 In diesem Kontext
         maßes insbesondere generalpräventive Aspekte hervor.66                     kann die Praxis des protest policing als Bestandteil politi-
         Und auch noch ein Jahr später werden öffentlichkeits-                      scher Gelegenheitsstrukturen72 [betrachtet werden], da sie
         wirksame Razzien und Festnahmen von verdächtigen Be-                       großen Einfluss auf die Chancen von politischen Gruppie-
         teiligten durchgeführt.67 Insgesamt entsprach die polizei-                 rungen [ausübt], sich jenseits der parlamentarischen
         liche Performanz während des Gipfels nicht nur der Stra-                   Bühne zu artikulieren […] und politischen Druck auszu-
         tegie des „strategic incapacitation“, sondern die Organisa-                üben.“73 Hieraus lässt sich ableiten, dass die Chance auf
         tion trägt auch nachhaltig zum gesellschaftlichen Diskurs                  unkonventionelle politische Partizipation gewissermaßen
         zu politisch illegitimen linken Protest bei.                               von der institutionellen Bewertung des Protests beein-
                                                                                    flusst wird. Ausgehend von der Annahme, dass die Insti-
         IV. Fazit                                                                  tution eine wertkonservative Ausrichtung aufweist, der
                                                                                    eine fehlende Affinität für widerständiges Verhalten im-
         Protest Policing ist als mehrdimensionaler, sich wechsel-                  manent ist, lässt sich schlussfolgern, dass politischer Pro-
         seitig beeinflussender Prozess zu begreifen, der von meh-                  test, der sich vornehmlich Machtstrukturen - denen die
         reren Faktoren beeinflusst wird. Zu berücksichtigen ist,                   Polizei selbst angehört - infrage stellt, eher als illegitim
                                                                                    wahrgenommen wird.

         62                                                                         69
               Vgl. Bild, 2017, 107 Gesichter! Polizei jagt diese G20-Verbrecher,        della Porta, zitiert nach Winter, Protest Policing und das Problem
              online abrufbar unter: https://www.bild.de/news/inland/g20-gip-            der Gewalt, 1998, S. 6.
                                                                                    70
              fel/g20-alle-tatverdaechtigen-54230066.bild.html (zuletzt abgeru-          Vgl. Winter, Protest Policing und das Problem der Gewalt, 1998, S.
              fen am 19.9.2018).                                                         2.
         63                                                                         71
              Vgl. TAZ, 2017, Wenn Medien Polizei spielen, online abrufbar un-           Winter, Protest Policing, in Wörterbuch zur inneren Sicherheit,
              ter: http://www.taz.de/!5472778/ (zuletzt abgerufen am 19.9.2018).         Lange, Hans-Jürgen (Hrsg.), 2006, S. 259.
         64                                                                         72
              Vgl. Spiegel Online, 2017, Letzte Hoffnung Öffentlichkeit, online          Es handelt sich hierbei um einen in den USA entwickelten Ansatz,
              abrufbar unter: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/g20-oeffent-         der explizit 1973 von Peter Eisinger eingeführt wurde und vor allem
              lichkeitsfahndung-nach-104-mutmasslichen-randalierern-gestartet-           von Sydney Tarrow weiterentwickelt wurde. Die Kernthese des An-
              a-1183952.html (zuletzt abgerufen am 19.09.2018).                          satzes ist, dass die politische Gelegenheitsstruktur im Umfeld einer
         65
              AG Hamburg, Urt. v. 28.8.2017 – 259 Ds 128/17.                             Bewegung entscheidend dafür ist, welche Strategien gewählt wer-
         66
              Vgl. A.a.O., Rn. 41.                                                       den und welchen Einfluss die Bewegungen damit ausüben können.
         67
              https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Festnahme-eines-35-                 Vgl. Opp, Theories of Political Protest and Social Movements,
              Jaehrigen-bei-G20-Grossrazzia-,razzia1076.html (zuletzt abgerufen          2009, S. 161 ff.
                                                                                    73
              am 19.9.2018).                                                             Winter, Protest Policing und das Problem der Gewalt, 1998, S. 1.
         68
              della Porta/Reiter, Policing Protest. The Control of Mass Demonst-
              rations, 1998, S. 23.
Hunold/Wegner – Protest Policing im Wandel?                                                   KriPoZ 5 | 2018                299

Mit Blick auf die Ausschreitungen im Rahmen der Gip-            Das Gesetz zu Stärkung des Schutzes von Vollstreckungs-
felproteste möchte dieser Beitrag als Teil des wissen-          beamten und Rettungskräften trägt im Kontext des Protest
schaftlichen Diskurses sich nicht anmaßen, die Kausali-         Policing eher zu einer weiteren Polarisierung bei. Hierbei
tätsfrage zu beantworten. Es ist jedoch zu konstatieren,        soll nicht die Legitimität des Anliegens per se in Frage
dass sich polizeiliche Konzepte und das Protestverhalten        gestellt werden, sondern auf die nachteiligen Auswirkun-
wechselseitig beeinflussen, woraus letztlich wechselsei-        gen der Änderungen im Hinblick auf die Versammlungs-
tige Gewalthandlungen in einer eskalierenden Interakti-         freiheit hingewiesen werden.
onsdynamik resultieren. Das im öffentlichen Diskurs auf
Seiten beider Konfliktparteien zum Teil existente binäre        Konservative Tendenzen, die durch gesellschaftliche Kri-
Freund-Feind-Schema-Denken erschwert einen sachli-              senerscheinungen verstärkt werden, spiegeln sich - nicht
chen Diskurs über Ursache und Wirkung. Emotionali-              zuletzt durch gesetzliche Rahmenbedingungen - im si-
sierte Debatten und einseitige Problembeschreibungen            cherheitsbehördlichen Umgang mit Protest wider. Sofern
und die fehlende Dialogbereitschaft, die gerade zu symp-        diese konservativen Tendenzen sich als autoritäre Krisen-
tomatisch für die derzeitige (politische) Konfliktkultur ist,   bewältigungsstrategien im Protest Policing manifestieren,
tragen zu einer Verhärtung der Fronten bei.                     besteht jedoch die Gefahr, dass polizeiliche Einsätze zum
                                                                Schutz der Gesellschaft gegen Gewalt und Konflikte in
                                                                eine politische Instrumentalisierung umschlagen.
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