KURS HALTEN IM STURM - Laura Kutsch
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24 | 05.06.2020 | www.magazin-forum.de | 3,30 € DAS BISSCHEN HAUSHALT … Noch immer ist die Kluft zwischen Frauen und Männern bei unbezahlter Arbeit riesig – DAS WOCHENMAGA ZIN mit gravierenden Folgen KURS HALTEN IM STURM Europa ist schwer getroffen von der Pandemie. Merkel, Macron und von der Leyen zeigen Wege aus der Krise und Perspektiven für eine neu aufgestellte EU DIGITALISIERUNG UND CORONA Ein Gespräch mit dem drittgrößten deutschen Netzbetreiber S
WISSEN | GESELLSCHAF T Die Arbeit, die keine ist Haushalt, Pflege, Betreuung und Ehrenämter – Frauen verbringen weltweit viel mehr Zeit mit unbezahlter Arbeit als Männer. Während Männer Vermögen generieren können, sind viele Frauen von Armut bedroht. Was tun gegen die Ungleichheit? as bisschen Haushalt macht verfügten über ein um die Hälfte hö- sich von allein – sagt mein heres Vermögen. Die Altersvorsorge, Mann“, sang Johanna von wenn es sie überhaupt gibt, sei bei Frau- Koczian schon 1977. Doch auch 2020 ist en deutlich schlechter. Dabei arbeiten die Kluft zwischen Männern und Frau- sie global im Schnitt, so die Studie, pro en hinsichtlich Haus- und Care-Arbeit Tag mehr als Männer – sieben Stunden noch riesig. Die kürzlich veröffentlich- und 28 Minuten zu sechs Stunden und te Studie „Im Schatten der Profite“ der 44 Minuten. Männer jedoch werden für Entwicklungsorganisation Oxfam liefert gut fünf Stunden bezahlt, Frauen nur neue Zahlen: Weltweit leisten Frauen für drei. Zudem seien Frauen häufiger und Mädchen täglich weit über zwölf von extremer Armut betroffen, insbe- Milliarden Stunden Haus-, Pflege- und sondere in dem Alter, in dem sie Kinder Fürsorgearbeit – unbezahlt. Würde man bekommen und versorgen. ihnen auch nur einen Mindestlohn für Gerade in Deutschland stehen viele diese Arbeit zahlen, wären das umge- Frauen im Alter finanziell schlecht da. rechnet über 11.000.000.000.000 US- Nach Angaben der Organisation für wirt- Dollar pro Jahr. Das ist 24-mal mehr schaftliche Zusammenarbeit und Ent- als Apple, Google wicklung (OECD) und Facebook zu- erhalten Frauen sammen verdienen. Global arbeiten Frauen hierzulande 46 Pro- „Weltweit erbrin- mehr als Männer zent weniger Rente gen Frauen und als Männer. In kei- Mädchen jedes Jahr nem OECD-Land Pflege- und Sorgeleistungen, die das ist die Rentenlücke damit so groß wie in Vermögen der Superreichen bei Weitem Deutschland. Zum Vergleich: In Estland übersteigen. Doch während der Reich- beträgt die Rentenlücke zwei Prozent, in tum der einen ins schier Unermessliche Norwegen 23 Prozent und der OECD- steigt, leben Frauen häufiger in Armut“, Durchschnitt liegt bei 25 Prozent. „Die schildert Dr. Ellen Ehmke, Analystin für bittere Wahrheit ist: So bereichernd Pfle- soziale Ungleichheit bei Oxfam. ge- und Fürsorgearbeit für die Gesell- Dieses Missverhältnis hat gravie- schaft ist, so arm macht sie viele Frauen, rende Folgen: Frauen sind im Schnitt die sie leisten. Das muss sich ändern“, FOTO: GETTY IMAGES / WESTEND61 schlechter ausgebildet als Männer, ver- so Oxfam. Das Bundesfamilienminis- dienen weniger und besitzen weniger terium lässt derzeit untersuchen, ob die Vermögen. Auch hierzu hält Oxfam Rentenlücke zwischen Frauen und Män- Zahlen und Fakten bereit. Weltweit nern in Deutschland tatsächlich mit der verdienten Frauen im Schnitt 23 Pro- ungleichen Verteilung der unbezahlten zent weniger als Männer. Die jedoch Sorgearbeit zusammenhängt. Ergebnisse 70 FORUM | 5. Juni 2020
WISSEN | GESELLSCHAF T soll es noch in diesem Jahr geben. In den Wirtschaftsstatistiken zumindest tau- chen die Zahlen zur Haus- und Pflege- arbeit gar nicht erst auf. „Diese Zahlen sind Ausdruck eines Wirtschaftssystems, das vor allem für wohlhabende Männer funktioniert“, erklärt Dr. Ellen Ehmke. Die unbezahlte Arbeit wird laut der Ent- wicklungsorganisation häufig als unpro- duktiv angesehen. Dabei ist diese Arbeit das Gegenteil von Nichtstun. Kinder erziehen, alte, gebrechliche oder kranke Angehörige pflegen, putzen, kochen, waschen, ein- kaufen, aufräumen. Dabei alles im Blick behalten, planen und organisieren. Diese Arbeit ist nicht unproduktiv, wohl aber weniger sichtbar. Dazu kommt: Wer un- bezahlt arbeitet hat keine Gewerkschaft, keine Lobby, keinen Erholungsurlaub. Niemand achtet auf die Einhaltung von Ruhephasen. Anerkennung und Wert- schätzung gibt es selten. Erahnen lässt sich ihr finanzieller Wert trotzdem. Und In Deutschland zwar nicht nur in den elf Billionen US- erhalten Frauen Dollar pro Jahr, die Oxfam veranschlagt. im Schnitt 46 Auch die Internationale Arbeitsorganisa- Prozent weniger tion (ILO) beziffert ihren Wert auf fast Rente als Männer zehn Prozent des globalen Bruttosozial- produkts. Das allerdings dürfte noch zu niedrig sein, denn Daten liegen derzeit für nur zwei Drittel der Weltbevölkerung produktive Arbeit, zum Beispiel Haus- schnitt mehr als doppelt so viel Geld in im erwerbsfähigen Alter vor. arbeit, Sexualität oder Familienverhält- die Langzeitpflege investiert. Das mache Die italienisch-amerikanische Profes- nisse – sichtbar zu machen, aber sie hat sich bemerkbar: Die Auswahl an Alters- sorin für politische Philosophie Silvia keine Strategie gefunden hat, um diese und Langzeitpflege-Optionen sei deut- Federici erklärte dies jüngst in einem In- Verhältnisse zu verändern. Stattdessen lich größer als in anderen europäischen terview mit dem österreichischen Debat- kam die Frauenbewegung für den Kampf Ländern. Hier gibt es beispielsweise spe- ten-Blog „Kontrast“ wie folgt: „Diese Ar- um Gleichberechtigung und den Eintritt ziell konzipierte Demenz-Dörfer, alter- beit ist unsichtbar geworden, weil es für in männerdominierte Arbeitsfelder zu- native Wohn-Modelle wie Pflege-WGs die kapitalistische Klasse extrem profita- sammen. Das ist zwar ein sehr legitimer oder Wohngruppen in konventionellen bel war. Wie wäre das, wenn all die Leis- Kampf, aber meiner Meinung nach nicht Seniorenheimen, um eine individuel- tungen, die Frauen kostenlos verrichtet ausreichend.“ lere Betreuung zu haben, bezahlt hätten werden müssen? Federici glaubt, ermöglichen. Aber Damit meine ich all die Leistungen, die es bedürfe einer „Regierungen weltweit auch in anderen nötig sind, um es Menschen zu ermögli- „feministischen müssen handeln“ Ländern, wie etwa chen, um sieben Uhr morgens aus dem Mobilisierung“ und in Uruguay, würde Haus zu gehen und um sieben am Abend nennt als Beispie- etwas getan, um wieder zurückzukommen. Oft scheint es le Argentinien und Spanien, wo Frauen sich in puncto Pflege besser aufzustel- so, als wäre der gesamte Wohlstand in bereits zum Streik aufriefen. Darüber hi- len. 2015 gab es dort eine umfassende FOTOS: GETTY IMAGES / WESTEND61 — GETTY IMAGES / MASKOT der Welt von Männern erarbeitet – von naus sei jedoch eine weiterführende Stra- Gesundheitsreform. Seither finanziert der sogenannten Arbeiterklasse. Aber tegie notwendig. Auf die Straße zu gehen der Staat spezielle Fortbildungen wie hinter all diesen Männern standen im- und Nein zu sagen, sei nicht genug. Auch beispielsweise die zur „persönlichen As- mer unsichtbare, ungewürdigte und Oxfam weist darauf hin, dass es in ver- sistentin“, um die Arbeitsbedingungen unbezahlte Frauen.“ Federici war in den schiedenen Ländern zahlreiche Ansätze im Gesundheitssystem zu verbessern. 1970ern Begründerin der feministischen gäbe, die zeigten, dass die Reduzierung, Daneben garantiert das Land das Recht Kampagne „Löhne für Hausarbeit“ und Umverteilung und Anerkennung von auf Betreuung Pflegebedürftiger. hält die feministische Revolution für un- Pflege- und Fürsorgearbeit möglich sei, „Regierungen weltweit müssen han- vollendet. „Die feministische Bewegung zu einer höheren Gleichberechtigung der deln, damit unbezahlte Pflege- und aus den 70ern hat es zwar geschafft, die Geschlechter beitrüge und Ungleichheit Fürsorgearbeit reduziert wird – und spezifischen Formen der Ausbeutung reduziere. So werde etwa in den Nieder- insbesondere Frauen und Mädchen ent- von Frauen im Kapitalismus – also re- landen im Vergleich zum EU-Durch- lastet werden. Daneben braucht es mehr 72 FORUM | 5. Juni 2020
GESELLSCHAF T | WISSEN Weltweit leisten Frauen täglich unentgeltlich weit über zwölf Milliarden Stunden Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit Anreize, diese Arbeiten innerhalb von Soziologin dem Deutschlandfunk. Dass Wohltätigkeitsorganisation „Melinda Familien und Paaren gerecht zu vertei- Frauen bessere Möglichkeiten zur Er- und Bill Gates Foundation“ gegrün- len“, so Oxfam. Die Entwicklungsorga- werbsarbeit bekämen, würde auch der det hat, schreibt in ihrem 2019 veröf- nisation fordert dafür etwa, dass mehr deutschen Wirtschaft gut tun. fentlichten Buch „The Moment of Lift. Entwicklungshilfe in öffentliche Kinder- Die Initiative Chefsache, ein Netz- How empowering women changes the betreuung fließt. Statt derzeit zwei Pro- werk von Führungskräften aus Wirt- world“, diese Initiative könne nicht al- zent der gesamten Gelder der deutschen schaft, Wissenschaft, öffentlichem leine von Männern ausgehen. Könnte Entwicklungszusammenarbeit sollen ih- Sektor und Medien, das 2015 unter der sie es, wäre das bereits geschehen. Statt- rer Meinung nach zehn Prozent für Kitas Schirmherrschaft von Angela Merkel dessen habe man auch heute noch eine und Grundschulen ausgegeben werden. gegründet wurde, hat berechnet, dass ungleiche Gesellschaft, von der einige Die Soziologie-Professorin Lena nicht abrückten wollten. Sie verweist Hipp, die die Forschungsgruppe „Work auf die Wirtschaftspolitikerin Marilyn & Care“ am Wissenschaftszentrum Ber- Frauen tragen nur Waring, die schon 1988 in ihrem Werk lin leitet, glaubt, dass die Politik auch 38 Prozent zum BIP bei „If women counted: A new feminist hinsichtlich der Arbeitsmodelle gefragt economics“ schrieb: „Männer werden sei. In Deutschland sei nach wie vor das nicht leichtfertig ein System aufgeben, Modell des vollzeitarbeitenden Mannes das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch in dem die Hälfte der Weltbevölkerung und der teilzeit- oder nicht erwerbstäti- mehr Chancengerechtigkeit, das heißt, für nahezu nichts arbeitet. Vor allem gen Frau weit verbreitet. Das lasse dem eine ausgeglichenere Teilhabe von Frau- deshalb, weil diese Hälfte der Weltbe- einen keine Zeit für die Familie, der an- en und Männern an der Arbeitswelt, bis völkerung für so geringes Geld arbeitet, deren verbaue es aber Aufstiegschancen 2025 um zusätzlich 422 Milliarden Euro dass ihr keine Energie bleibt, um für und schmälere das Lebenseinkommen. oder rund zwölf Prozent gegenüber den etwas anderes zu kämpfen.“ Gates, die Stattdessen schlägt sie eine Umvertei- Basisprognosen steigen könnte. Dieses mit ihrer Organisation Frauen bei ganz lung von Erwerbsarbeit vor. In einem Potenzial resultiere aus zwei Effekten: unterschiedlichen Belangen unterstützt, Modell der großen Teilzeit könnten bei- dem Aufholeffekt und dem Diversitäts- sagt, ihr Ziel sei nicht, der Aufstieg der de 80 Prozent der regulären Arbeitszeit bonus. Bislang trügen Frauen nur 38 Frau und der Fall des Mannes. Vielmehr verrichten. Idealerweise würde man das Prozent zum BIP bei – obwohl sie die ginge es darum, endlich ein System der mit einem Lohnausgleich kombinieren, Hälfte der Gesellschaft ausmachten. Dominanz zu beenden und einen Status wenn die Kinder klein sind oder kran- ke Eltern zu versorgen sind, erläutert die Die Informatikerin Melinda Gates, die gemeinsam mit ihrem Mann die der Partnerschaft zu schaffen. • Laura Kutsch 5. Juni 2020 | FORUM 73
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