Länderreport 43 Afghanistan - Hindus und Sikhs Stand: 08/2021 Asyl und Flüchtlingsschutz - BAMF

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Länderreport 43 Afghanistan - Hindus und Sikhs Stand: 08/2021 Asyl und Flüchtlingsschutz - BAMF
Länderreport 43
 Afghanistan
 Hindus und Sikhs
 Stand: 08/2021

Asyl und Flüchtlingsschutz

 Länderanalysen
Länderreport 43 Afghanistan - Hindus und Sikhs Stand: 08/2021 Asyl und Flüchtlingsschutz - BAMF
Länderreport Afghanistan

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Länderreport Afghanistan

Abstrakt
Dieser Bericht befasst sich mit der Lage der religiösen Minderheiten der Hindus und Sikhs in der
islamischen Republik Afghanistan. Er betrachtet sowohl die historischen Ursprünge der beiden
Gruppen im Land, als auch die transnationalen Zusammenhänge der Religionen in Südasien. Zum
anderen geht er im Detail auf die Behandlung der Minderheit durch den afghanischen Staat, durch
Aufständische (Taliban, ISKP) wie auch durch die muslimische Gesellschaft ein. Detailiert wird die
Lage der Tempel wie auch der dazugehörigen Gemeinden im Land erläutert. In einem
abschließenden Exkurs beleuchtet er zudem die Lage der aus Afghanistan geflüchteten Hindus und
Sikhs in Indien.

Abstract
This report addresses the situation of the religious minorities of Hindus and Sikhs in the Islamic
Republic of Afghanistan. It considers both the historical origins of the two groups in the country, as
well as the transnational contexts of these religions in South Asia. Second, it goes into detail about
the treatment of these minorities by the afghan state, by insurgents (Taliban, ISKP) as well as by the
muslim society. The location of the temples in the country as well as the associated communities is
explained in depth. In a concluding excursus, it also sheds light on the situation of Hindus and Sikhs in
India who have fled Afghanistan.
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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ....................................................................................................................... 3

1. Historie ............................................................................................................... 4
 1.1. Einleitung .................................................................................................. 4
 1.2. Religionen Afghanistans vor dem Islam .................................................... 4
 1.3. Südasien als zusammenhängender Kulturraum ....................................... 5
 1.4. Ursprünge der heutigen Hindus und Sikhs in Afghanistan ....................... 7

2. Unterschiede zwischen Hindus und Sikhs..................................................... 8
 2.1. Einleitung .................................................................................................. 8
 2.2. Unterschiede der Religionen .................................................................... 9
 2.3. Kleidung und äußeres Erscheinungsbild ................................................. 12
 2.4. Tempel .................................................................................................... 13
 2.5. Sprache und Schrift................................................................................. 15

3. Tempel im Land .............................................................................................. 15
 3.1. Übersicht ................................................................................................ 15
 3.2. Tempel in Kabul ...................................................................................... 16
 3.3. Tempel in der Stadt Jalalabad ................................................................. 20
 3.4. Tempel in der Stadt Ghazni .................................................................... 28
 3.5. Weitere Tempel im Land ........................................................................ 28

4. Demographie ................................................................................................... 29
 4.1. Bevölkerungszahl .................................................................................... 29
 4.2. Örtliche Lage der Gemeinden ................................................................. 30

5. Behandlung durch den Staat ......................................................................... 33
 5.1. Überblick................................................................................................. 33
 5.2. Rechtliche Lage ....................................................................................... 33
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 5.3. Politische Teilhabe .................................................................................. 36
 5.4. Feuerbestattungen ................................................................................. 36
 5.5. Distrikt PD 21 .......................................................................................... 38
 5.6. Kostenloser Strom für Tempel ................................................................ 38
 5.7. Schulen und Zugang zu Bildung .............................................................. 38
 5.8. Schutz durch die Polizei .......................................................................... 39
 5.9. Schutz durch den Staat ........................................................................... 40

6. Behandlung durch die Gesellschaft ............................................................. 40
 6.1. Diskriminierungen generell..................................................................... 40
 6.2. Frauen und Kinder .................................................................................. 41
 6.3. Anschläge und Entführungen ................................................................. 42
 6.4. Behandlung durch die Taliban ................................................................ 43
 6.5. Behandlung durch den Islamic State Khorasan Province (ISKP) ............. 43

7. Wirtschaftliche Lage ...................................................................................... 44
 7.1. Aktuelle Lage .......................................................................................... 44
 7.2. Frauen ..................................................................................................... 45

8. Lage von afghanischen Hindus und Sikhs in Indien .................................. 45
 8.1. Allgemein ................................................................................................ 45
 8.2. Rechtliche Lage ....................................................................................... 46
 8.3. Langzeitvisa, Registrierung und Staatsbürgerschaft ............................... 46
 8.4. Örtliche Lage & Demographie ................................................................ 48
 8.5. Wirtschaftliche Situation ........................................................................ 49
 8.6. Behandlung durch die Gesellschaft ........................................................ 50

9. Bibliographie ................................................................................................... 51
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Vorwort

Dieser Report möchte einen Überblick über die aktuelle Lage der religiösen Minderheiten der Hindus
und Sikhs in Afghanistan vermitteln. Er ist in verschiedene Abschnitte unterteilt die hier kurz
erläutert werden. Kapitel 1 „Historie“ beschäftigt sich mit den Ursprüngen der beiden Religionen in
Afghanistan und ist als Hintergrundinformation und zur Vertiefung der Materie gedacht. In einem
kurzen Exkurs wird hier auch auf die transnationalen Wirkkräfte der drei Religionen Islam,
Hinduismus und Sikhismus in Südasien eingegangen. Da Hindus und Sikhs in Afghanistan häufig als
eine Gruppe wahrgenommen werden, wurden in Kapitel 2 explizit die Unterschiede der beiden
Religionen erläutert. Im Grunde kann man dies auch noch zu den vertiefenden Informationen zählen,
da hier kulturelle Praktiken, Kleidung und Form und Inhalt der Tempel erklärt werden. Im Anschluss
folgt Kapitel 3 über die Lage der Tempel in Afghanistan. Hier wurde mit Hilfe der Open Source
Intelligence (OSINT) Technik der Geolokalisierung - wie sie u.a. von Bellingcat 1 angewendet wird - die
genaue Lage einiger Tempel in Kabul anhand von Bildern aus sozialen Medien verifiziert. In Kapitel 4
geht es um die demographischen Zahlen und Informationen zu der Zahl der Personen in den
wichtigsten lokalen Gemeinden im Land. Kapitel 5 widmet sich der Behandlung der Minderheiten
durch den afghanischen Staat und Kapitel 6 der Behandlung durch die Gesellschaft. Kapitel 7 geht auf
die wirtschaftliche Lage der Hindus und Sikhs in Afghanistan ein. Abschließend beschäftigt sich
Kapitel 8 dann mit der Lage von geflüchteten Hindus und Sikhs in Indien. Insbesondere auch mit den
Folgen des Citizenship Amendment Acts von 2019 für die Flüchtlinge, aber auch mit der rechtlichen
Lage, der Verortung der Gemeinden sowie der wirtschaftlichen Situation. Alle Kapitel sind auf der
Basis der EASO COI-Standards ausgearbeitet worden nur der Abschnitt zu den Tempeln in
Afghanistan bildet eine Ausnahme, da hier erstmals zusätzlich auf soziale Medien zurückgegriffen
wurde. 2 Ganz deutlich soll werden, dass keine Texte aus den sozialen Medien verwendet wurden,
sondern ausschließlich Bildmaterial. Einzig die Bildbeschreibungen wurden für die Analyse zu Rate
gezogen. Wo es gar keine Informationen in herkömmlichen Medien zu Tempeln gab (z.B. in Ghazni
oder Kandahar), wurden ebenfalls teilweise soziale Medien verwendet und dies klar kenntlich
gemacht. Im Kern wurde im Abschnitt Tempel Bildmaterial aus verschiedensten öffentlichen Quellen
(u.a. Satellitenbilder, Fotos und Videos aus den Sozialen Medien) mit Hilfe der Methode der
Geolokalisierung auf die genaue Lage der Tempel hin untersucht und die Koordinaten dann
verifiziert. Als methodische Grundlage für dieses Vorgehen wurde das kürzlich erst veröffentlichte
Berkeley Protocol on Open Source Investigation genutzt. 3 Es erfüllt für die OSINT-Recherche eine
ähnliche Funktion wie die EASO COI-Standards. Die Vorgehensweise gleicht der Bestätigung von
Informationen, nach welcher mindestens drei Texte dieselbe Aussage oder ein Ereignis bestätigen
müssen. Auf dieselbe Weise wird durch mehrere Bilder die alle „Unique Identifiers“ im Hintergrund
(oder im Falle der Satellitenbilder aus der Vogelperspektive) abbilden die Koordinaten ermittelt. 4
Weiterhin findet sich hinter einigen Titeln ein Globus-Symbol welches – wenn es angeklickt wird
– direkt zu den Koordinaten der Örtlichkeit bei Googlemaps führt. Update: Dieser Report wurde im
Mai 2021 fertig gestellt. Aufgrund der Einnahme Afghanistans durch die Taliban am 15. August 2021
wurden einige Stellen nachträglich aktualisiert.

1 Higgins, Eliot: Digitale Jäger: Ein Insiderbericht aus dem Recherchenetzwerk Bellingcat, Quadriga 2021, S. 27, 111, 179
2 Dies gilt in kleinerem Umfang auch noch für Profile von politischen Persönlichkeiten und archäologischen Seiten.
3 United Nations: Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations, New York und Genf 2020
4 Zu „Unique Identifiers“ siehe Berkeley Protocol S. 65 („When tasked with verifying visual content, investigators should begin by
 looking for unique or identifying features. Such features might include buildings, flora and fauna, people, symbols and insignia.)
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1. Historie

1.1. Einleitung

Der Großraum Südasien ist die Geburtsstätte von zwei Weltreligionen – dem Hinduismus und dem
Buddhismus. 5 Die Religion des Sikhismus – die deutlich weniger Gläubige hat - entstand dort
ebenfalls als eine Reformbewegung aus dem wesentlich älteren Hinduismus. 6 Eine dritte Weltreligion
kam ca. 700 n. Chr. mit dem Islam hinzu und sollte später mit dem Mogulreich ein beherrschender
Faktor in der Region werden. 7 Überbleibsel all dieser Religionen und weiterer finden sich heute in
Afghanistan.

1.2. Religionen Afghanistans vor dem Islam

Obwohl Afghanistan heute ein fast rein islamisches Land ist, hat es doch aufgrund seiner zentralen
Lage in Eurasien einst viele verschiedene Religionen beherbergt. Noch bevor der Islam ca. 700 n. Chr.
nach Afghanistan kam, gab es dort schon Christen, Juden, Buddhisten, Hindus und Zoroastrier. 8 400
v. Chr. wurde unter der Herrschaft der Maurya im heutigen Afghanistan mit indischen Münzen
bezahlt und in Arachosia (dem heutigen Kandahar) lebten zu der Zeit Hindus. 9 Ein chinesischer
Forscher, der 630 n. Chr. durch Afghanistan reiste, schrieb, dass es in verschiedenen Städten
insgesamt ca. 1.000 hinduistische und buddhistische Tempel gegeben habe. 10 Bestes Beispiel dafür
sind die riesigen Buddhastatuen in Bamyan - die er ebenfalls besuchte - und welche 2001 von den
Taliban zerstört wurden. 11 Im April 2021 wurde über die Restaurierung einer buddhistischen Stupa in
Bagram nördlich von Kabul berichtet, die ca. 600 n. Chr. erbaut worden sein soll. 12 Diese und viele
weitere Stupas rund um Kabul wurden schon 1930 frei gelegt und legen nahe, dass die Stadt Kabul
aus der prä-islamischen Zeit stammt. 13 Der Sikhismus hat 1521 - als der Gründer Guru Nanak durch
das Land reiste - als letzte Religion in Afghanistan Einzug gehalten. 14 Älteste Hinweise auf Hindus in
Afghanistan sind Ortsbezeichnungen. Der Name Hindu Kush bedeutet „Mörder der Hindus“, da viele
von Ihnen bei der Überquerung des Gebirges erfroren sein sollen. Es könnte aber auch eine
Abwandlung von Hindu Koh sein, was Berg der Hindus bedeutet. 15 Der höchste Berg in Kabul ist der
Koh-e Asamai, ein heiliger Berg für die Hindus der auch einen hinduistischen Namen trägt (Asamai
bedeutet übersetzt aus dem Persischen „Mutter der Hoffnung“). 16 Zu dessen Füßen liegt der auch
heute noch wichtigste Tempel der Hindus (Asamai-Mandir) in Kabul. 17 Eines der Viertel in der Kabuler
Altstadt welches bis 1965 die meisten Hindus und Sikhs beherbergte, heißt Hindu Gozar. 18 Es gibt

5 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H.Beck 2016, S. 14
6 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, Readomania 2019, S. 53
7 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H.Beck 2016, S. 93; Stietencron, Heinrich: Der Hinduismus, C.H.Beck 2017, S. 8
8 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 159
9 Ebd., S. 125
10 Dass, Ischer: Die Gefährten Afghanistans, IKO Verlag 2003, S. 15; Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers

 2002, S. 172 ff.
11 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 156, 172
12 Eine Stupa ist ein religiöses Gebäude des Buddhismus: Afghan Cultural Heritage Consulting Organization (ACHCO):

 Ongoing excavation and conservation of Stupa-e Shewaki 04 2021 [Facebook Kommentar], 06.04.21; Website ACHCO
13 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 154 ff.
14 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, Readomania 2019, S. 53
15 Ebd., S. 9
16 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 11
17 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, Readomania 2019, S. 153
18 Foschini, Fabrizio: Kabul Unpacked; A geographical guide to a metropolis in the making, in: AAN (Afghanistan Analysts

 Network), 19. März 2019, S. 5
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archäologische Ausgrabungen, z.B. bei Gardez in der Provinz Paktia, wo eine Ganesha Statue
gefunden wurde, die heute im Dargah Pir Ratan Nath Mandir in Kabul steht. 19 Vor der islamischen
Invasion wurde Kabul durch die hinduistischen Kabul Shahi regiert, welche ethnisch zu den
Turkvölkern zählten. 20 Zwischen 600 und 900 n. Chr. war im Norden und Westen Afghanistans schon
der Islam verbreitet, während im Osten noch der Hinduismus vorherrschte. 21 Die Dynastie der Kabul
Shahi wurde ca. 1.000 n.Chr. durch den Einmarsch des muslimischen Herrschers Mahmud von Ghazni
beendet. 22

1.3. Südasien als zusammenhängender Kulturraum

Man muss Südasien als einen zusammenhängenden Kulturraum sehen, um auch die innenpolitischen
Zusammenhänge und die ethnische und religiöse Vielfalt wie auch deren Kluften in Afghanistan zu
verstehen. Es gab verschiedene Großereignisse in der Region, die verdeutlichen, dass gerade die
Religion als trennendes Element wahrgenommen wurde und wird. 23 Beispielsweise wurden 1992 in
ganz Afghanistan (und auch Pakistan) Tempel von Hindus und Sikhs geplündert und zerstört, aus
Rache für die Zerstörung der islamischen Babri Masjid Moschee in Ayodhya (Provinz Uttar Pradesh)
im selben Jahr durch Hindunationalisten in Indien. 24 Ayodhya gehört zu den heiligen Orten des
Hinduismus, weil dort der Gott Rama geboren sein soll und der hindunationalistische Präsident Modi
legte im Jahr 2020 den Grundstein für die Errichtung eines Rama-Tempels auf den Ruinen der
Moschee. 25 Laut Mythen soll vor der Moschee dort schon ein Rama-Tempel gestanden haben. 26 Der
Islamic State Khorasan Province (ISKP) bekannte sich zu einem Anschlag gegen Sikhs im März 2020 in
dem Gurdwara Har Rai Sahib in Kabul und verlautbarte in diesem Zusammenhang, es sei eine
Racheaktion für die Unterdrückung von Muslimen im indischen Kaschmir. 27 Der indische
Geheimdienst behauptet hingegen, es sei ein Anschlag auf Indien gewesen, der ISKP sei nur
Handlanger Pakistans und der Gurdwara ein soft target im Gegensatz zur indischen Botschaft in
Kabul gewesen. 28 Erstmalig ermittelte in diesem Fall die National Investigation Agency (NIA)
außerhalb Indiens, denn unter den Attentätern wie Opfern seien auch indische Staatsbürger
gewesen. 29 Häufig wurde den afghanischen Hindus und Sikhs unterstellt, sie seien keine Afghanen,
sondern Inder. 30 In Afghanistan und auch Pakistan werden Hindus und Sikhs von Islamisten getötet,
weil sie Polytheisten seien. 31 In Indien kämpft wiederum ein kleiner Teil radikalisierter Sikhs für eine
unabhängiges Khalistan mit pakistanischer Unterstützung, Seite an Seite mit Islamisten gegen
Hindus. 32 Ende 2020 sollte eigentlich in einem von der in Indien verbotenen separatistischen Gruppe

19 Kuwayama, S.: Across the Hindukush of the First Millenium, Institut for Research in Humanities, Kyoto 2002, S. 223
20 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 184 ff.
21 Ebd., S. 184
22 Ebd., S. 195
23 Neben diesen Beispielen gibt es natürlich auch unzählige Belege für jahrelange friedliche Kooperation und wirtschaftliche

 Vernetzung.
24 Fida, Maiwand: Only one Hindu left in Khost, in: Pahjwok Afghan News, 18.10.2010 ; Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and

 Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 148
25 Evangelisch.de: Indien: Modi legt Grundstein für umstrittenen Ram-Tempel in Ayodhya, 05.08.2020
26 BBC: India PM Modi lays foundation for Ayodhya Ram temple amid Covid surge, 05.08.2020
27 Swaraya: Islamic State Claims Terror Attack On Kabul Gurdwara That Killed 27 Sikhs Was Revenge for Kashmir, 27.03.2020
28 Gupta, Shishir: In Kabul gurdwara attack, India was real target; Islamic State just a front: Intel, in: Hindustan Times,

 26.03.2020
29 Oka, Akhil: NIA Initiates First Overseas Investigation; To Probe Kabul Gurudwara Terror Attack, in: Republic World,

 01.04.2020
30 Menafn: Afghanistan- Danesh apologizes to Afghan Sikhs, Hindus for ill-behavior by country-fellows, 06.04.2021
31 Business Insider: IS claims Afghanistan attack on Sikhs, Hindus, says targeted 'polytheists', 02.07.2018
32 Tolonews: India Warns Sikh Youths Are Being Trained At ISI Camps, 23.03.2018; Tolonews: Pakistan Denies Inciting Sikhs

 on ‘Khalistan’ Issue, 18.04.2018
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Sikh for Justice (SFJ) initiierten Referendum über die Unabhängigkeit dieses Sikh-Staates abgestimmt
werden, dieses wurde aufgrund von Corona auf 2022 verschoben. 33 Wie hier ersichtlich wurde,
stehen die Sikhs teilweise zwischen den beiden Lagern Islamismus und Hindunationalismus. Ältere
Vorkommnisse, die bis heute in verschiedenen Gruppierungen (Muslime, Sikhs, Hindus) nachhallen,
sind die Plünderung und Zerstörung des hinduistischen Somnath-Tempels in Gujarat durch Mahmud
von Ghazni im Jahr 1015 (eine Katastrophe für Hindus) 34, die Erstürmung Amritsars 1762 durch die
Durrani-Armee und der darauf folgende Genozid an den Sikhs (Vadda Galughara) mit tausenden von
Toten 35 sowie die Ermordung des Taliban-Vorläufers Syed Ahmad Barelvi 1831 durch die Sikh-Armee
Ranjit Singhs (eine Katastrophe für konservative bzw. islamistische Muslime). 36 Barelvi hatte sich
selbst zum Amir al-Muminin (Anführer der Gläubigen) erkoren und 1826 einen Dschihad gegen die
Sikhs ausgerufen. 37 Mahmud von Ghazni war zudem ca. 1020 n. Chr. für die Vertreibung der Hindu
Shahis aus Kabul verantwortlich und beendete so die jahrelange Hindu-Herrschaft in Teilen des
damaligen Afghanistan. Der Großteil dieser Ereignisse liegt in unmittelbarer Nähe der von den Briten
so genannten „Grand Trunk Road“ (weil sie wie ein Elefantenrüssel gebogen ist), die auch als
Lebensader Südasiens bezeichnet wird. Die erweiterte „Grand Trunk Road“ (von Indern Uttarapath
oder Sarak-e-Azam genannt) führt von Kabul über Peshawar, Lahore, Delhi und Aligarh bis nach
Chittagong in Bangladesch. Diese Hauptverkehrsader Südasiens wurde insbesondere von dem
afghanischen König Sher Shah Suri im 16. Jahrhundert ausgebaut, welcher ein Königreich in
Nordindien besessen hatte. 38 Peshawar im heutigen Pakistan war früher das Winterdomizil für die
afghanische Elite. 39 Die heute in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunwa liegenden Gebiete
heissen im Volksmund auch Ostafghanistan. Viele berühmte Schauspieler Bollywoods in Indien sind
Paschtunen und stammen ursprünglich aus Peshawar. Man erkennt sie häufig an ihrem Nachnamen:
Khan. So z.B. der Filmstar Shah Rukh Khan dessen Vater 1928 dort geboren wurde. Der Vater von
Khan war ein Anhänger von Abdul Ghaffar Khan welcher auch „Frontier Ghandi“ genannt wurde.
Dieser rief die gewaltlose Bewegung der Khudai Khitmagar ins Leben, welche den indischen
Nationalkongress und Ghandi unterstützte und mit friedlichen Mitteln gegen die britischen Besatzer
kämpfte. 40 Peshawar war im Jahr 1834 aber auch Teil des Sikh Reichs von Ranjit Singh. 41 In der Nähe
von Peshawar liegt die „Schule“ der Taliban (Talib bedeutet auf Arabisch Schüler). Sami Ul Haq – der
so genannte Vater der Taliban, welcher 2019 ermordet wurde - leitete die Universität Darul Uloom
Haqqania in Akora Khattak in Pakistan, die zur Deobandi-Ausrichtung gehört. Sie soll auf dem Ort
errichtet worden sein, wo Ranjit Singhs Armee den Taliban-Vorläufer Syed Ahmad tötete. Syed
Ahmad folgte Shah Waliullah der laut Ul Haq in der Region einen Islamischen Staat errichten wollte. 42
Der Vorläufer der Universität entstand im indischen Deoband. Der Vater Sami Ul Haqs habe im
indischen Deoband studiert und auch gelehrt und dann nach der Teilung 1947 den Ableger in
Pakistan gegründet. Ul Haq schreibt in seinem Buch, er sei stolz darauf, dass seine Vorfahren aus
Ghazni in Afghanistan stammen und diese mit Mahmud von Ghazni 1024 [sic] in einem Dschihad in
Indien eingefallen seien und den Hindu-Tempel von Somnath zerstört hätten. Seine Vorfahren hätten

33 Rana, Yudhvir: Corona effect: Khalistan referendum 2020 be held in 2022? in: Times of India, 28.05.2020
34 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 195
35 Ebd., S. 232
36 Allen, Charles: God´s Terrorists, Da Capo Press 2006, S. 90 ff.
37 Allen, Charles: God´s Terrorists, Da Capo Press 2006, S. 83 ff.
38 Wiles, John: The Grand Trunk Road, Elek London Verlag 1972, S. 7
39 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 235
40 Chopra, Anupama: King of Bollywood - Shah Rukh Khan und die Welt des indischen Kinos, Rapid Eye Movies Verlag 2008,

 S. 30 ff.
41 Emadi, Hafizullah: Minorities and marginality: pertinacity of Hindus and Sikhs in a repressive environment in Afghanistan,

 Nationalities Papers: The Journal of Nationalism and Ethnicity, 42:2, 2014, S. 309
42 Haq, Sami Ul: Afghan Taliban – War of Ideology – Struggle for Peace, Emel Publications 2015, S. 4
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auch 1857 gegen die Briten aufbegehrt und gegen sie in Afghanistan gekämpft. 43 Dieser kurze Exkurs
sollte deutlich machen, dass alle drei Religionen die in diesem Report behandelt werden, eine
gemeinsame Geschichte in einem zusammenhängenden Kulturraum haben, der sich über ganz
Südasien und vor allem entlang des nördlichen Teils der Grand Trunk Road erstreckt.

1.4. Ursprünge der heutigen Hindus und Sikhs in Afghanistan

Es gibt verschiedene Thesen, wann und wie die heutigen Hindus und Sikhs nach Afghanistan
gekommen sind. Sie sind vermutlich alle in Teilen zutreffend. Die erste lautet, sie seien die
Nachfahren von afghanischen Ureinwohnern, welche das Land schon besiedelt hätten bevor der
Islam ca. 700 n. Chr. nach Afghanistan gekommen sei. Zeugnis dafür seien viele hinduistische Statuen
und Tempel die in ganz Afghanistan ausgegraben wurden. 44 Die Hindu Shahi regierten den Osten
Afghanistans (Artefakte dieser Zeit finden sich vor allem in Peshawar, Jalalabad, Bagram, Kabul und
Ghazni) bis sie ca. 1020 n. Chr. von Mahmud von Ghazni vertrieben wurden. Sie waren größtenteils
Verehrer des Shivaismus, einer Unterströmung des Hinduismus, welcher bis heute von vielen Hindus
in Afghanistan befolgt wird. Teile dieser Gruppe hätten sich auch bis zur Ankunft des Sikh-Guru
Nanaks 1521 einer Konversion zum Islam widersetzt und seien dann teilweise zum Sikhismus bekehrt
worden. 45 Nicht alle seien aber später Khalsa-Sikhs geworden (siehe dazu den Abschnitt „Sikhismus“
S. 11). Diese These spricht gegen die häufig aufgestellte Behauptung, Hindus und Sikhs seien aus
Indien eingewandert. 46 Die Zweite lautet, sie seien Sklaven die von Mahmud von Ghazni (971-1030)
bei seinen Beutezügen in den indischen Subkontinent geraubt und mit nach Afghanistan gebracht
worden seien. 47 Die Dritte lautet, dass viele Hindus in der Zeit des Durrani-Reiches (1747-1823) als
Händler nach Afghanistan gekommen seien. Afghanistan verfügt über zwei geographisch wichtige
Pässe über die man von Zentralasien in die indische Tiefebene gelangt. Dies sind der Khyber Pass im
Norden und der Bolan Pass weiter südlich. Letzterer verbindet Kandahar über Quetta mit Shikarpur
(Sindh) in Pakistan. 48 Die Händler seien aus Shikarpur nach Kandahar gekommen, welches bis heute
auf einer Handelsroute von Indien nach Zentralasien liegt. 49 Die Dynastie der Durrani hatte die
Hauptstadt nach Kandahar verlegt, weil das Durrani Reich das Territorium ganz Afghanistans und
Pakistans kontrollieren wollte. Durrani erichtete eine neue Stadt Kandahar unweit der alten und
brachte den Mantel des Propheten Mohammed in eine neu erbaute Moschee in der Stadt. Mullah
Omar, der Anführer der Taliban, sollte sich später 2001 diesen Mantel umlegen um seine Autorität
als Anführer der Gläubigen (Amir al-Muminin) zu stärken. 50 Noch heute heisst ein Tor in Kandahar
Shikarpur-Tor und es gibt einen Shikarpur Bazar, wo ein Hindutempel steht. 51 Von Shikarpur aus
kontrollierte Durrani den Teil seines Reiches in der Tiefebene. 52 Nach der vierten These seien
hingegen viele indische Khatri-Händler aus Multan im westlichen Punjab über den nördlichen
Khyberpass nach Afghanistan gekommen als dieses zum Mogulreich gehörte. 53 Die Fünfte lautet viele

43 Ebd., S. 1
44 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 184
45 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 10
46 Foschini, Fabrizio: A Lost Opportunity? Hindus and Sikhs do not get a reserved seat in parliament, in: Afghanistan Analyst

 Network, 16.12.2013
47 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 19
48 In Quetta saß auch lange Zeit die Leitung (Shura) der Taliban und Kandahar ist ebenfalls ihr Haupteinflussgebiet.
49 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 10
50 The New York Times: A Tale of the Mullah and Muhammad's Amazing Cloak, 19.12.2001
51 Adamec, Ludwig: Historical Dictionary of Afghanistan, Scarecrow Press 2012, S. 240
52 Foschini, Fabrizio: The Other Fold of the Turban: Afghanistan´s Hindus and Sikhs, in: Afghanistan Analyst Network,

 23.09.2013
53 Ebd.; Der Ursprung der Khatri-Kaste der Sikhs wird auf Seite 11 erklärt
Länderreport Afghanistan 8

Sikhs hätten sich in der Regierungszeit Ranjit Singhs (1780-1839) in Afghanistan angesiedelt. 54 Dieser
hatte in verschiedenen Kriegen mit dem afghanischen Durrani-Reich (welches sich zeitweise von
Maschad in Iran bis nach Lahore in Pakistan erstreckte) sogar Peshawar und Teile Ostafghanistans
sowie Kaschmir erobert. 55 Im Zuge des ersten Britisch-Afghanischen Krieges (1839–1842) half die
Sikh-Armee von Ranjit Singh den Briten, Shah Shuja auf den Thron in Afghanistan zu setzen, dafür
sollen sie im Gegenzug die afghanische Provinz Jalalabad als neuen Distrikt ihres Reiches bekommen
haben. 56 Bei der Invasion Afghanistans 1839 sei die britische Armee inklusive der Sikhs auf viele
Hindus in Jalalabad gestoßen, die dort Ladenbesitzer gewesen seien und einen Tempel
unterhielten. 57 Campbell schreibt 1866, die Khatri-Sikhs würden den Handel im Punjab und
Afghanistan dominieren. Kein Dorf in dieser Region würde ohne einen Khatri auskommen, der die
Bankgeschäfte erledige. In Afghanistan wären sie im Osten des Landes so zahlreich wie im Punjab
und vornehmlich bescheidene Händler, Ladenbesitzer oder Geldverleiher. Die Paschtunen würden sie
wie „wertvolle Tiere“ betrachten, die man sich gegenseitig zur Erpressung stehlen könne. 58 Sie wären
die gebildete Priesterkaste unter den Sikhs, da viele Gurus wie auch die Regierungsmitglieder Ranjit
Singhs Khatris gewesen seien. Laut dem Gründer der Khalsa Diwan Welfare Society in Delhi seien die
ersten Sikhs zur Regierungszeit Ranjit Singhs nach Afghanistan eingewandert. 59 Die Sechste These
lautet, dass während der Teilung Indiens und Pakistans 1947 viele Sikhs vor den Massakern in
Potohar im heutigen Pakistan nach Afghanistan flohen. 60 In Potohar waren die Sikhs das zentrale
Angriffsziel der Muslime, obwohl sie lange friedlich koexistierten. 61 Eine grundlegende Diskussion ist
immer wieder, ob die Hindus und Sikhs Einheimische oder Zugewanderte sind. Für beide Positionen
gibt es Hinweise. Alle genannten Gruppen haben vermutlich ihren Teil zur heutigen Gemeinschaft
der Hindus und Sikhs in Afghanistan beigesteuert. Was sie alle verbindet ist, dass sie vornehmlich
Händler waren und sind. Kabul war für viele ein historisches Drehkreuz für Waren aus Zentralasien
und Indien, welche in beide Richtungen gingen.

2. Unterschiede zwischen Hindus und Sikhs

2.1. Einleitung
Aufgrund ihrer geringen Anzahl in Afghanistan werden Hindus und Sikhs in Afghanistan häufig als
eine Gruppe wahrgenommen. Laut einem Artikel des Afghanistan Analysts Network (AAN) werde die
Gemeinschaft Ahl-e Hunud (Anm. d. Verf. mglw. Hind, somit Menschen aus Hind/Indien) genannt. 62
Gerade durch die angespannte Sicherheitslage in Afghanistan und als Enklave in einer fast rein
islamischen Gesellschaft rücken beide Gruppen auch als Schicksalsgemeinschaft zusammen. 63 Zudem
gehören auch viele Hindus in Afghanistan zu den so genannten Nanakpanthis, d.h. sie folgen neben
dem Hinduismus auch der Lehre des Sikh-Gründers Guru Nanak. 64 Dennoch gibt es einige

54 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 11
55 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 243
56 Cunningham, Joseph: History of The Sikhs, 1849, S. 250
57 Ali, Shahamat: The Sikhs and Afghans, John Murray London 1847, S. 441
58 Campbell, Justice: The Ethnology of India, in: The Journal of the Asiatic Society, Calcutta 1866, S. 110
59 Gosh, Anwesha: Identity and Marginality in India – Settlement Experience of Afghan Migrants, Routledge 2019, S. 118
60 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 11
61 Ballard, Roger: The History and current Position of Afghanistan´s Hindu and Sikh Population, Center for Applied South

 Asian Studies 2011, S. 3
62 Foschini, Fabrizio: A Lost Opportunity? Hindus and Sikhs do not get a reserved seat in parliament, in: Afghanistan Analysts

 Network, 16.12.2013
63 Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 6
64 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, 2019 Readomania, S. 147
Länderreport Afghanistan 9

Unterschiede, denn letztlich ist der monotheistische Sikhismus erst um ca. 1500 n. Chr. als eine Art
Reformbewegung aus dem viel älteren polytheistischen Hinduismus (ca. 1500 v. Chr.)
hervorgegangen und besitzt zudem auch Anleihen aus dem Islam. 65

2.2. Unterschiede der Religionen
Beide Religionen gehören zu den dharmischen Religionen im Gegensatz zu den abrahamitischen
Religionen (Christentum, Islam und Judentum). 66 Innerhalb der dharmischen Religionen wird der
Hinduismus als polytheistisch und der Sikhismus als monotheistisch bezeichnet. 67

Der Hinduismus
Der Hinduismus – von Hindus Santana Dharma (Ewige Religion) genannt - gehört zu einer der
ältesten Religionen der Welt. 68 Er kennt im Gegensatz zu Christentum oder Islam keine Einzelperson
als Religionsstifter. 69 Der Großteil seiner Anhänger lebt im heutigen säkularen Indien. Bei der letzten
Volkszählung von 2011 in Indien gab es ca. 1 Mrd. Hindus in Indien. 70 Außerhalb von Indien sollen
beispielsweise noch 12 Millionen Hindus in Nepal, 10 Millionen in Bangladesch, 4-6 Millionen in
Pakistan und 2,5 Millionen in Sri Lanka leben. 71 Zwischen 70 und 500 n. Chr. hat sich der Hinduismus
auch bis nach Südostasien verbreitet (über Kambodscha bis nach Bali). 72 Der Begriff Hindu ist eine
geographische Zuschreibung für Menschen die am Fluß Indus leben, welcher heute größtenteils in
Pakistan liegt. 73 Die Religion entstand mit der Indus-Zivilisation 2500 bis 1800 v.Chr. und bekam ihre
Grundlage in der Periode der Veden (1500 - 500 v.Chr.) in der die großen Schriften des Hinduismus –
die Veden, Upanischaden, Bhagavad-Gita u.a. – verfasst wurden. 74 Die Veden sind – als Ersatz für
einen Religionsstifter - das einende Band, welches alle Hindus zusammenhält. 75 Die Lehre von der
Einheit des Brahman (Gott) mit dem Atman (des Selbst) und von Karma und Wiedergeburt ist erst um
700 v.Chr. mit den Upanischaden entstanden. Das höchste Ziel ist es Brahman und Atman durch
Meditation zu vereinigen. 76 Für dieses Ziel der Erkenntnis steht auch der Ausspruch tat tvam asi =
Das bist du. Karma und Wiedergeburt stehen in einem direkten Verhältnis. Tue Gutes um dein
schlechtes Karma aufzulösen und Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu
finden. 77 Es gibt drei Ursprungsgötter – Brahman der Schöpfer, Vishnu der Bewahrer und Shiva der
Zerstörer – welche auch Trimurti genannt würden und aus dem ein Pantheon anderer Götter
entstanden ist. 78 Der Gott Vishnu wird von Zeit zu Zeit wiedergeboren, um die Ordnung
wiederherzustellen. Die bekannteste seiner zehn Inkarnationen ist Krishna, der Held der Bhagavad-

65 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A Very Short Introduction, OUP 2016, S. 5 ff.
66 Lexas: Weltreligionen, ohne Datum
67 Gateway House: Afghan Hindus & Sikhs under attack, 02.04.2020
68 Knott, Kim: Hinduism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 3; Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag

 2016, S. 122
69 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, Beck Verlag 2016, S. 121
70 The Indian Express: Census 2011: Hindus dip to below 80 per cent of population; Muslim share up, slows down,

 27.08.2015
71 Knott, Kim: Hinduism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 94 ff.
72 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 128
73 Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck 2017, S. 7
74 Ebd., S. 10 ff.
75 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 122
76 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 123
77 Ebd., S. 125 ff.
78 BBC Teach: Religious Studies KS2: Inside a Hindu temple, ohne Datum
Länderreport Afghanistan 10

Gita. 79 Ein weiterer Avatar ist der Gott Rama, welcher als idealer politischer Herrscher gilt. 80 Der
letzte für die Zukunft erwartete Avatar ist Kalki, der apokalyptische Reiter, der das Ende des Kali-Yuga
einläutet. 81 Der Vishnuismus ist durch Liebe (bhakti) und selbstlose Hingabe (prapatti) geprägt. 82 Der
Shivaismus ist die zweite große Strömung. Der Gott Shiva kann Leben bringen aber auch zerstören.
Sein Zeichen ist der Phallus (lingam) – in der Form einer Statue - und der Schoß (yoni). Der
todbringende Shiva durchbricht die Illusion der Dualität (maya). Also die Täuschung, dass hinter der
mannigfaltigen Materie der Geist Gottes wirkt bzw. dass der Mensch nicht aus der Materie seines
Körpers besteht, sondern aus einer unsterblichen Seele die Teil Gottes ist. 83 Mit seiner Gattin Parvati
hat er den Gott Ganesha erschaffen. 84 In Afghanistan – insbesondere seit den Kabul Shahi – ist der
Shivaismus stark vertreten, der sich auch Nath Panth nennt. Einer seiner wichtigsten Gurus ist
Goraknath, der in Peshawar geboren sein soll. Gurus die in dieser Linie folgten sind Ratan Nath und
Mathura Das, denen in Jalalabad und Kabul Tempel gewidmet sind bzw. die dort auch lebten. 85
Aufgrund dieses Pantheons an Göttern existiert der häufige Vorwurf des Polytheismus seitens des
Islam. Aber im Grunde versinnbildlichen viele der Götter nur unterschiedliche Qualitäten eines
Ursprungsgottes. 86 Die Kuh als friedliebende Ernährerin aller - so wie die Mutter Erde - ist den Hindus
heilig. 87 Das Aum/Om-Zeichen ist wiederum das heilige Symbol, das für den transzendenten Urklang
steht, aus dem das ganze Universum erschaffen wurde und wird deshalb auch als Mantra benutzt. 88
Die zyklische Zeitrechnung der Hindus besteht aus Yugas, das sind vier Weltzyklen, in denen unsere
Welt entstanden sei und wieder vergehe um danach erneut zu entstehen. Aktuell lebe man im Kali-
Yuga, welches stark von Missgunst und mangelnder Spiritualität geprägt sei. 89 Der Hinduismus kennt
ein Kastensystem (varna) in welchem jede Kaste ein eigenes Dharma trägt. Für die Priester
(Brahmanen) ist es das Studium der heiligen Texte, für die Krieger (kshatriya) das Herrschen,
Kämpfen und Beschützen der Schwachen, für die Bauern (vaishya) die Sorge um den Ackerboden und
für die Diener (shudra) das Dienen. Innerhalb der vier Kasten gebe es wiederum Geburtsklassen
(jati). 90 Hindus feiern im Februar die Nacht Shivas, das farbenfrohe Frühlingsfest Holi, den
Geburtstag Krishnas im August und das Lichterfest Diwali im November. 91 Es gibt das Ritual der
Verehrung von Götterbildern oder Statuen (puja) bei welchem der Gläubige über die Bilder oder
Statuen Blickkontakt mit dem Göttlichen herstelle (darshana). Im Tempel gehören zum Ritual auch
Tanz, Musik und das Umschreiten des Schreins im Uhrzeigersinn. Wichtige Wallfahrtsorte sind die

79 Die Bhagavad Gita (sanskrit=„Der Gesang des Erhabenen“) ist ein kleiner Ausschnitt aus den Veden, insbesondere aus
 dem Mahabharata (sanskrit=“Das große Buch über die Familie Bharata“), aus der Zeit 500-200 v. Christus. In einer
 Schlacht der guten und der bösen Bharata-Familienmitglieder offenbart sich Vishnu in der Form Krishnas seinem Schüler,
 dem Prinzen Arjuna. Dabei zeigt Krishna ihm, wie man die Erkenntnis des Göttlichen in der Materie erlangt.
80 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 126 ff.
81 Nach der hinduistischen Lehre gibt es unzählige große Weltzeitalter. Das aktuelle wird Maha-Yuga genannt (Yuga=Periode

 in Sanskrit), dauert 4.320.000 Jahre und unterteilt sich wiederum in vier Weltalter. Beginnend im Kriya-Yuga, welches als
 goldenes Zeitalter gilt in dem die Menschen sich ihres göttlichen Ursprunges noch bewusst waren, nimmt von Yuga zu
 Yuga das Bewusstsein ab. Es folgen das Treta- und Dvapara-Yuga und schließlich das Kali-Yuga (begonnen ca. 3100 v. Chr.,
 Dauer 432.000 Jahre) in welchem wir heute leben; Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck Verlag 2017, S.
 46
82 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 126 ff.
83 Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck 2017, S. 76 ff.
84 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 127 ff.
85 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, 2019 Readomania, S. 154
86 Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck Verlag 2017, S. 22
87 ORF.at: Religionen: Hinduismus, Kuh, 16.09.2020
88 Prabhupada, Bhaktivedanta: Bewusste Freude, Bhaktivedanta Book Trust 1982, S. 207
89 Prabhupada, Bhaktivedanta: Bewusste Freude, Bhaktivedanta Book Trust 1982, S. 10; Stietencron, Heinrich von: Der

 Hinduismus, C.H. Beck 2017, S. 46
90 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 132; Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck

 Verlag 2017, S. 96
91 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 135
Länderreport Afghanistan 11

indischen Städte Varanasi für den Gott Shiva, Vrindavan für Krishna und Ayodyah als Geburtsort
Ramas. 92

Der Sikhismus
Der Sikhismus ist eine der jüngsten und zahlenmäßig kleinsten Religionen. 93 Weltweit gibt es ca. 24
Millionen Anhänger, der Großteil von ihnen lebt in Indien. Bei der letzten indischen Volkszählung von
2011 gab es 20,8 Millionen Sikhs in Indien das entspricht 1,7 % der Bevölkerung. 94 Der Großteil von
ihnen lebt im Bundesstaat Punjab, wo sie gegenüber Hindus und Muslimen auch die Mehrheit bilden,
und in angrenzenden Bundesstaaten (Harayana, Delhi). 95 Die Religion wurde durch Guru Nanak
begründet, der 1469 in Talwandi (heute Nanak Sahib genannt) im heutigen Pakistan (Punjab) als Kind
von Hindus der Händler-Kaste Khatri geboren wurde. 96 Khatri ist das Punjabi-Wort für Kshatriya, die
alte Kriegerkaste im Hinduismus die an zweiter Stelle nach den Brahmanen folgt. 97 Die Khatri sind
keine große Gruppe innerhalb der Sikhs aber hoch anerkannt, da fast alle großen Gurus auch Khatri
gewesen sein sollen. 98 Fast alle afghanischen Sikhs sollen dieser Khatri-Kaste angehören. 99 Obwohl
Guru Nanak große Teile Südasiens und des Nahen Ostens bereist hat (begleitet von einem Muslim
und einem Hindu) und auf seiner vierten Reise auch durch Afghanistan kam, ist das spirituelle
Zentrum der Sikhs der Punjab in Indien. 100 In Afghanistan besuchte Guru Nanak die Städte Kabul,
Kandahar, Jalalabad und Sultanpur, überall dort stehen heute Gurdwaras. 101 Nach ihm folgten noch
neun weitere Gurus, die auch alle im Punjab geboren wurden. Der siebte Sikh-Guru nach Nanak mit
Namen Har Rai entsandte Missionare aus dem Punjab nach Kabul und noch heute ist deswegen ein
Gurdwara in Kabul nach ihm benannt. 102 Nachdem 1708 der letzte Guru Gobind Singh gestorben war,
ging dessen Funktion auf das heilige Buch der Sikhs – den Guru Granth Sahib – über, welches seither
verehrt wird und in allen Tempeln in einem Schrein liegt. Darin sind alle Weisheiten der zehn Gurus
enthalten. 103 Das Wort Sikh bedeutet übersetzt Schüler (so wie Taliban ebenfalls die Schüler auf
arabisch bedeutet) 104 und kommt von dem Verb sikhna für lernen auf Punjabi. 105 Guru bedeutet
Meister oder Lehrer. 106 Die Sikh Gemeinschaft als Ganzes nennt sich Panth. 107 Eine Versammlung im
Tempel wird Sangat genannt. 108 Der Sikhismus ist als Reformbewegung aus dem älteren Hinduismus
entstanden, weshalb auch diskutiert wird, ob er nur eine weitere Variante des Hinduismus sei. 109
Sikhs glauben z.B. an das hinduistische Konzept des Karmas und an die Wiedergeburt und alle zehn
Gurus waren Hindus und keine Muslime. 110 Als Indien 1947 – und damit auch der Punjab – zwischen
Pakistan und Indien aufgeteilt wurde, gingen fast alle Sikhs in den indischen Teil des Punjab. 111 Ihr

92 Ebd., S. 135 ff.
93 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 1
94 Ebd., S. 2
95 Ebd., S. 3
96 Ebd., S. 19
97 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 114
98 Ebd., S. 114
99 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, 2019 Readomania, S. 21
100 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 8
101 Der Spiegel: Afghanistan: »Prawda«-Reporter im belagerten Dschalalabad, 16.04.1989
102 Goyal, Divya: Sikhs and Hindus of Afghanistan — how many remain, why they want to leave, in: The Indian Express,

 28.07.2020
103 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 31
104 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 329
105 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 2
106 Ebd., S. 3
107 Ebd., S. 3
108 Ebd., S. 29
109 Ebd., S. 6
110 Ebd., S. 32
111 Ebd., S. 6
Länderreport Afghanistan 12

Heimatland – das ursprüngliche Sikh Reich Ranjit Singhs – wurde (wie die Paschtunengebiete
zwischen Afghanistan und Pakistan durch die Durandlinie) in der Mitte geteilt. Die eine Hälfte mit der
ehemaligen Hauptstadt Lahore liegt heute in Pakistan, die andere Hälfte mit der heiligen Stadt
Amritsar in Indien. Seit der Teilung 1947 gibt es eine Unabhängigkeitsbewegung die für ein eigenes
Land der Sikhs (Khalistan genannt) vor allem in Indien kämpft. Dennoch ist der Sikhismus auch eine
egalitäre Reformbewegung die sich gegen das Kastensystem und für Gleichberechtigung der
Geschlechter ausspricht (alle Männer heißen mit Nachnamen Singh und alle Frauen Kaur) und auch
gegen Religion als Institution (Menschen sind keine Hindus oder Muslime sondern Geschöpfe
Gottes). 112 Bei Ehen wird das Kastensystem aber auch bei den Sikhs wohl immer noch
angewendet. 113 Eine Ähnlichkeit zum Islam besteht wiederum im Monotheismus der Sikhs, da sie
nicht wie die Hindus eine Vielzahl von Göttern, sondern nur einen Gott anbeten. 114 Ebenso wird die
Götzenverehrung von Statuen abgelehnt. 115 Guru Nanak ging auf seinen Reisen auch auf die Hadsch
nach Mekka und im Guru Grant Sahib wird häufiger das Wort Allah für Gott benutzt. 116Aus Reaktion
für die Enthauptung seines Vaters Guru Teg Bahadur durch den islamischen Mogulherrscher
Aurangzeb allerdings, gründete der Sikh Guru Gobind Singh 1699 eine Sikh-Armee (Khalsa). Khalsa
bedeutet auf Punjabi rein und ist zudem ein Initiationsritus. 117 Erst nach dieser Initiation darf sich ein
männlicher Sikh Singh nennen, einen Bart und die so genannten 5 K´s tragen (siehe unten
„Kleidung“). 118 Eine Sikh-Frau darf sich dann Kaur nennen. Männer des Khalsa-Ordens dürfen keinen
Geschlechtsverkehr mit muslimischen Frauen haben und kein Fleisch essen, das nach islamischem
Ritus (halal) geschlachtet wurde. 119 Der wichtigste Feiertag der Sikhs, Vaisakhi, ist der Gründungstag
des Khalsa-Ordens. 120 Weitere Feiertage sind die Gurpurabs an denen die Jahrestage der Gurus
gefeiert werden. 121 Seit 2003 haben die Sikhs auch einen eigenen Kalender, Nanakshahi genannt. 122
Man kann im Sikhismus drei Gruppen von Anhängern unterscheiden: Ein Keshdhari ist ein Sikh, der
sich die Haare wachsen lässt aber noch kein Khalsa ist. Weiterhin gibt es Sahajdhari Sikhs, die Guru
Nanak folgen, aber noch nicht in den Khalsa-Orden initiert wurden und keinen Bart und keine 5 K´s
tragen (siehe unten). Sie werden teilweise auch Sevak genannt. 123 Zuletzt folgen die Khalsa. Daneben
gibt es die Nanakpanthis, d.h. alle, die dem Weg Guru Nanaks folgen. Dies können auch Hindus sein,
die neben ihren Göttern ebenfalls Guru Nanak folgen. Wie sich diese alle optisch unterscheiden folgt
im nächsten Abschnitt „Kleidung“.

2.3. Kleidung und äußeres Erscheinungsbild
Männliche Hindus wie auch Nanakpanthis oder einige Sahajdharis könnten sich im Straßenbild in
Afghanistan relativ unbehelligt bewegen, da sie sich nicht stark von anderen männlichen Afghanen
unterscheiden. Die Gefahr einer Diskriminierung ist für sie geringer als für Khalsa-Sikhs. Die Sikhs des
Khalsa-Ordens hingegen fallen durch ihre Turbane und Bärte stark auf. 124 Junge männliche Sikhs
tragen ebenfalls ein spezielles Kopftuch, unter welchem die Haare auf der Stirn verknotet werden

112 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 113
113 Ebd., S. 116
114 Ebd., S. 7
115 Blümel, Margarete: Eine Religion zwischen Islam und Hinduismus: Die Sikhs in Indien, in: Deutschlandfunk, 21.02.2013
116 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 8, 10
117 Singh, Gurpal: How Guru Gobind singh created the Khalsa to fight Aurangzeb`s Tyranny, in: The Madras Courier,

 02.01.2020
118 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 53 ff.
119 Ebd., S. 59
120 Ebd., S. 51
121 Ebd., S. 121
122 Ebd., S. 122
123 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 145
124 USSD: 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, S. 16
Länderreport Afghanistan 13

(joora). Da dieser Knoten einer Kartoffel ähnelt, werden sie häufig mit dem Namen „Khachalu“
(Kartoffel) durch Mitschüler verspottet – häufig auch wegen der langen Haare. 125 In Afghanistan gab
es ursprünglich in der Provinz Khost eine große Gemeinde von Sahajdhari Sikhs. Ein Vorsteher dieser
Gemeinde wurde im Juli 2021 entführt. Auf den Fotos dieses Artikels kann man gut erkennen, dass er
keinen Turban und Bart trägt. 126 Dafür trägt er ein Kopftuch welches am Hinterkopf zusammen
geknotet wird. Nanakpanthis, die zugleich auch Hindus sind, tragen häufig ein ähnliches Kopftuch. Als
der Asamai-Mandir auf dem Asamai-Berg in Kabul 2006 wieder eröffnet wurde, waren viele Hindus
versammelt die auch alle Kopftücher trugen. 127 Beide Gruppen können das Kopftuch auf der Straße
aber auch ablegen und fallen dann nicht weiter auf. Sie alle haben auch keine langen Haare und
tragen meistens die Einheitskleidung der Paschtunen - einen Salwar Kamiz. Dies ist ein langes Hemd
das über einer weiten Hose getragen wird. Die Khalsa Sikhs hingegen tragen unter ihrem Turban
lange Haare. Somit würden sie ohne wie auch mit Turban stark auffallen. 128 Dazu kommt der Bart,
der nicht gestutzt wird. Die so genannten „5 K´s“ die ein Khalsa mit sich führen darf sind ein Kamm
(kangha) für die Haare, ein Dolch (kirpan), ein Armreif (kara), ungeschnittene Haare (kesh) und
bestimmte Unterwäsche (kachera). 129 Der Turban eines Khalsa-Sikhs wird Dastar genannt. Berichten
zufolge würden heute die meisten die Farbe des Turbans entsprechend ihres Outfits wählen, und
dunkelblau würde z.B. gerne von Jüngeren für förmliche Anlässe gewählt. Doch ursprünglich sei z.B.
Orange und Blau nur den Khalsa vorbehalten gewesen (heute bei wichtigen Zeremonien), Weiß nur
für ältere Sikhs und Rot sei zu Hochzeiten getragen worden. 130 Wenn weibliche Hindus und Sikhs auf
die Straße gehen – niemals ohne männliche Begleitung - trügen sie nach Erkenntnissen des US
Außenministeriums alle Burqas, also Vollverschleierung oder zumindest ein Kopftuch. Dies gelte
besonders in ländlichen Regionen aber auch in den Städten. 131 In Afghanistan wurden Hindus und
Sikhs von besonders konservativen Herrschern immer wieder aufgefordert, sich besonders zu
kleiden, um ihre Religionszugehörigkeit für alle sichtbar zu machen. So mussten sie unter der
Regentschaft von Amir Habibullah Khan (1872-1919) gelbe Markierungen an der Kleidung oder gelbe
Turbane tragen und unter den Taliban ebenfalls. 132

2.4. Tempel
Hindus nennen ihre Tempel Mandir und Sikhs ihre Gurdwara (ursprünglich Dharamsal). Ein
besonderer Unterschied zum Islam ist, dass bei Hindus und Sikhs Männer und Frauen gemeinsam in
einem Raum beten. 133 Die meisten Hindus und Sikhs besitzen seit dem Bürgerkrieg 1990 in
Afghanistan keine eigenen Häuser mehr – diese wurden häufig illegal besetzt - und leben deshalb
gemeinsam in den Gurdwaras bzw. Mandirs. 134 Nur die Wohlhabenden haben eigene Häuser. 135
Häufig sind es auch nur noch die Männer, die die Tempel behüten und sich um das Geschäft

125 Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 7;
 Jakara Movement Report: Plight of Sikhs an Hindus in Afghanistan, ohne Datum, S. 3; SSNews: Afghan Sikh community
 dwindles, 09.07.2006; Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 17
126 Goyal, Divya: In Afghanistan to perform sewa at gurdwara, Sikh man abducted, in: The indian Express, 22.06.2020
127 Gwari, Kamal: The Ashamai Temple in Kabul, in: Afghan Hindus and Sikhs, 27.09.2006
128 UK Home Office: Country Policy and Information Note, Afghanistan: Sikhs and Hindus, Version 6.0, März 2021, S. 8
129 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 48 ff.
130 Bhatti, Parul: Sikh Turbans: The Identity of Sikh Community, in: Design Resource, ohne Datum; Nesbitt, Eleanor: Sikhism:

 A very Short Introduction, OUP S. 46
131 USSD: 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, S. 17
132 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 22, 34; Landinfo:

 Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 2; SSNews:
 Afghan Sikh community dwindles, 09.07.2006
133 Arora, Harjit K.: Sikhism and the status of Women, ohne Datum
134 Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 11;

 Jakara Movement Report: Plight of Sikhs an Hindus in Afghanistan, ohne Datum, S. 4
135 Sadat, Fariba: Afghan Hindu Woman Killed in Kabul by Armed Robbers, in: Tolonews, 28.02.2020,
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