Länderreport 43 Afghanistan - Hindus und Sikhs Stand: 08/2021 Asyl und Flüchtlingsschutz - BAMF
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Länderreport 43 Afghanistan Hindus und Sikhs Stand: 08/2021 Asyl und Flüchtlingsschutz Länderanalysen
Länderreport Afghanistan Urheberrechtsklausel Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Auszugsweiser Nachdruck und Vervielfältigung auch für innerbetriebliche Zwecke ist nur mit Quellenangabe und vorheriger Genehmigung des Bundesamtes gestattet. Die Inhalte dürfen ohne gesonderte Einwilligung lediglich für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch sowie ausschließlich amtsinternen Gebrauch abgerufen, heruntergeladen, gespeichert und ausgedruckt werden, wenn alle urheberrechtlichen und anderen geschützten Hinweise ohne Änderung beachtet werden. Copyright statement This report/information is subject to copyright rules. Any kind of use of this report/information – in whole or in part – not expressly admitted by copyright laws requires prior approval by the Federal Office of Migration and Refugees (Bundesamt). This applies in particular to the reproduction, adaptation, translating, microfilming, or uploading of the report/information in electronic retrieval systems. Reprinting and reproduction of excerpts for internal use is only permitted with reference to the source and prior consent of the Bundesamt.. Use of the report/information may be made for private, non-commercial and internal use within an organisation without permission from the Bundesamt following copyright limitations. Disclaimer Die Information wurde gemäß der EASO COI Report Methodology (2019), den gemeinsamen EU-Leitlinien für die Bearbeitung von Informationen über Herkunftsländer (2008), des Berkeley Protocol für Digital Open Source Investigations (2020) sowie den Qualitätsstandards des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (2020) auf Grundlage sorgfältig ausgewählter und zuverlässiger Informationen innerhalb eines begrenzten Zeitrahmens erstellt. Alle zur Verfügung gestellten Informationen wurden mit größter Sorgfalt recherchiert, bewertet und aufbereitet. Alle Quellen werden genannt und nach wissenschaftlichen Standards zitiert. Die vorliegende Ausarbeitung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Findet ein bestimmtes Ereignis, eine bestimmte Person oder Organisation keine Erwähnung, bedeutet dies nicht, dass ein solches Ereignis nicht stattgefunden hat oder die betreffende Person oder Organisation nicht existiert. Der Bericht/die Information erlaubt keine abschließende Bewertung darüber, ob ein individueller Antrag auf Asyl-, Flüchtlings- oder subsidiären Schutz berechtigt ist. Die benutzte Terminologie sollte nicht als Hinweis auf eine bestimmte Rechtauffassung verstanden werden. Die Prüfung des Antrags auf Schutzgewährung muss durch den für die Fallbearbeitung zuständigen Mitarbeiter erfolgen. Die Veröffentlichung stellt keine politische Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dar. Diese Ausarbeitung ist öffentlich. Disclaimer The information was written according to the „EASO COI Report Methodology“ (2019), the „Common EU guidelines for processing factual COI“ (2012), the Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations (2020) and the quality standards of the Federal Office for Migration and Refugees (Bundesamt) (2020). It was composed on the basis of carefully selected and reliable information within a limited timeframe. All information provided has been researched, evaluated and analysed with utmost care within a limited time frame. All sources used are referenced and cited according to scientific standards. This document does not pretend to be exhaustive. If a certain event, person or organization is not mentioned, this does not mean that the event has not taken place or that the person or organization does not exist. This document is not conclusive as to the merit of any particular claim to international protection or asylum. Terminology used should not be regarded as indication of a particular legal position. The examination of an application for international protection has to be carried out by the responsible case worker. The information (and views) set out in this document does/do not necessarily reflect the official opinion of the Bundesamt and makes/make no political statement whatsoever. This document is public.
Länderreport Afghanistan Abstrakt Dieser Bericht befasst sich mit der Lage der religiösen Minderheiten der Hindus und Sikhs in der islamischen Republik Afghanistan. Er betrachtet sowohl die historischen Ursprünge der beiden Gruppen im Land, als auch die transnationalen Zusammenhänge der Religionen in Südasien. Zum anderen geht er im Detail auf die Behandlung der Minderheit durch den afghanischen Staat, durch Aufständische (Taliban, ISKP) wie auch durch die muslimische Gesellschaft ein. Detailiert wird die Lage der Tempel wie auch der dazugehörigen Gemeinden im Land erläutert. In einem abschließenden Exkurs beleuchtet er zudem die Lage der aus Afghanistan geflüchteten Hindus und Sikhs in Indien. Abstract This report addresses the situation of the religious minorities of Hindus and Sikhs in the Islamic Republic of Afghanistan. It considers both the historical origins of the two groups in the country, as well as the transnational contexts of these religions in South Asia. Second, it goes into detail about the treatment of these minorities by the afghan state, by insurgents (Taliban, ISKP) as well as by the muslim society. The location of the temples in the country as well as the associated communities is explained in depth. In a concluding excursus, it also sheds light on the situation of Hindus and Sikhs in India who have fled Afghanistan.
Länderreport Afghanistan 1 Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................................... 3 1. Historie ............................................................................................................... 4 1.1. Einleitung .................................................................................................. 4 1.2. Religionen Afghanistans vor dem Islam .................................................... 4 1.3. Südasien als zusammenhängender Kulturraum ....................................... 5 1.4. Ursprünge der heutigen Hindus und Sikhs in Afghanistan ....................... 7 2. Unterschiede zwischen Hindus und Sikhs..................................................... 8 2.1. Einleitung .................................................................................................. 8 2.2. Unterschiede der Religionen .................................................................... 9 2.3. Kleidung und äußeres Erscheinungsbild ................................................. 12 2.4. Tempel .................................................................................................... 13 2.5. Sprache und Schrift................................................................................. 15 3. Tempel im Land .............................................................................................. 15 3.1. Übersicht ................................................................................................ 15 3.2. Tempel in Kabul ...................................................................................... 16 3.3. Tempel in der Stadt Jalalabad ................................................................. 20 3.4. Tempel in der Stadt Ghazni .................................................................... 28 3.5. Weitere Tempel im Land ........................................................................ 28 4. Demographie ................................................................................................... 29 4.1. Bevölkerungszahl .................................................................................... 29 4.2. Örtliche Lage der Gemeinden ................................................................. 30 5. Behandlung durch den Staat ......................................................................... 33 5.1. Überblick................................................................................................. 33 5.2. Rechtliche Lage ....................................................................................... 33
Länderreport Afghanistan 2 5.3. Politische Teilhabe .................................................................................. 36 5.4. Feuerbestattungen ................................................................................. 36 5.5. Distrikt PD 21 .......................................................................................... 38 5.6. Kostenloser Strom für Tempel ................................................................ 38 5.7. Schulen und Zugang zu Bildung .............................................................. 38 5.8. Schutz durch die Polizei .......................................................................... 39 5.9. Schutz durch den Staat ........................................................................... 40 6. Behandlung durch die Gesellschaft ............................................................. 40 6.1. Diskriminierungen generell..................................................................... 40 6.2. Frauen und Kinder .................................................................................. 41 6.3. Anschläge und Entführungen ................................................................. 42 6.4. Behandlung durch die Taliban ................................................................ 43 6.5. Behandlung durch den Islamic State Khorasan Province (ISKP) ............. 43 7. Wirtschaftliche Lage ...................................................................................... 44 7.1. Aktuelle Lage .......................................................................................... 44 7.2. Frauen ..................................................................................................... 45 8. Lage von afghanischen Hindus und Sikhs in Indien .................................. 45 8.1. Allgemein ................................................................................................ 45 8.2. Rechtliche Lage ....................................................................................... 46 8.3. Langzeitvisa, Registrierung und Staatsbürgerschaft ............................... 46 8.4. Örtliche Lage & Demographie ................................................................ 48 8.5. Wirtschaftliche Situation ........................................................................ 49 8.6. Behandlung durch die Gesellschaft ........................................................ 50 9. Bibliographie ................................................................................................... 51
Länderreport Afghanistan 3 Vorwort Dieser Report möchte einen Überblick über die aktuelle Lage der religiösen Minderheiten der Hindus und Sikhs in Afghanistan vermitteln. Er ist in verschiedene Abschnitte unterteilt die hier kurz erläutert werden. Kapitel 1 „Historie“ beschäftigt sich mit den Ursprüngen der beiden Religionen in Afghanistan und ist als Hintergrundinformation und zur Vertiefung der Materie gedacht. In einem kurzen Exkurs wird hier auch auf die transnationalen Wirkkräfte der drei Religionen Islam, Hinduismus und Sikhismus in Südasien eingegangen. Da Hindus und Sikhs in Afghanistan häufig als eine Gruppe wahrgenommen werden, wurden in Kapitel 2 explizit die Unterschiede der beiden Religionen erläutert. Im Grunde kann man dies auch noch zu den vertiefenden Informationen zählen, da hier kulturelle Praktiken, Kleidung und Form und Inhalt der Tempel erklärt werden. Im Anschluss folgt Kapitel 3 über die Lage der Tempel in Afghanistan. Hier wurde mit Hilfe der Open Source Intelligence (OSINT) Technik der Geolokalisierung - wie sie u.a. von Bellingcat 1 angewendet wird - die genaue Lage einiger Tempel in Kabul anhand von Bildern aus sozialen Medien verifiziert. In Kapitel 4 geht es um die demographischen Zahlen und Informationen zu der Zahl der Personen in den wichtigsten lokalen Gemeinden im Land. Kapitel 5 widmet sich der Behandlung der Minderheiten durch den afghanischen Staat und Kapitel 6 der Behandlung durch die Gesellschaft. Kapitel 7 geht auf die wirtschaftliche Lage der Hindus und Sikhs in Afghanistan ein. Abschließend beschäftigt sich Kapitel 8 dann mit der Lage von geflüchteten Hindus und Sikhs in Indien. Insbesondere auch mit den Folgen des Citizenship Amendment Acts von 2019 für die Flüchtlinge, aber auch mit der rechtlichen Lage, der Verortung der Gemeinden sowie der wirtschaftlichen Situation. Alle Kapitel sind auf der Basis der EASO COI-Standards ausgearbeitet worden nur der Abschnitt zu den Tempeln in Afghanistan bildet eine Ausnahme, da hier erstmals zusätzlich auf soziale Medien zurückgegriffen wurde. 2 Ganz deutlich soll werden, dass keine Texte aus den sozialen Medien verwendet wurden, sondern ausschließlich Bildmaterial. Einzig die Bildbeschreibungen wurden für die Analyse zu Rate gezogen. Wo es gar keine Informationen in herkömmlichen Medien zu Tempeln gab (z.B. in Ghazni oder Kandahar), wurden ebenfalls teilweise soziale Medien verwendet und dies klar kenntlich gemacht. Im Kern wurde im Abschnitt Tempel Bildmaterial aus verschiedensten öffentlichen Quellen (u.a. Satellitenbilder, Fotos und Videos aus den Sozialen Medien) mit Hilfe der Methode der Geolokalisierung auf die genaue Lage der Tempel hin untersucht und die Koordinaten dann verifiziert. Als methodische Grundlage für dieses Vorgehen wurde das kürzlich erst veröffentlichte Berkeley Protocol on Open Source Investigation genutzt. 3 Es erfüllt für die OSINT-Recherche eine ähnliche Funktion wie die EASO COI-Standards. Die Vorgehensweise gleicht der Bestätigung von Informationen, nach welcher mindestens drei Texte dieselbe Aussage oder ein Ereignis bestätigen müssen. Auf dieselbe Weise wird durch mehrere Bilder die alle „Unique Identifiers“ im Hintergrund (oder im Falle der Satellitenbilder aus der Vogelperspektive) abbilden die Koordinaten ermittelt. 4 Weiterhin findet sich hinter einigen Titeln ein Globus-Symbol welches – wenn es angeklickt wird – direkt zu den Koordinaten der Örtlichkeit bei Googlemaps führt. Update: Dieser Report wurde im Mai 2021 fertig gestellt. Aufgrund der Einnahme Afghanistans durch die Taliban am 15. August 2021 wurden einige Stellen nachträglich aktualisiert. 1 Higgins, Eliot: Digitale Jäger: Ein Insiderbericht aus dem Recherchenetzwerk Bellingcat, Quadriga 2021, S. 27, 111, 179 2 Dies gilt in kleinerem Umfang auch noch für Profile von politischen Persönlichkeiten und archäologischen Seiten. 3 United Nations: Berkeley Protocol on Digital Open Source Investigations, New York und Genf 2020 4 Zu „Unique Identifiers“ siehe Berkeley Protocol S. 65 („When tasked with verifying visual content, investigators should begin by looking for unique or identifying features. Such features might include buildings, flora and fauna, people, symbols and insignia.)
Länderreport Afghanistan 4 1. Historie 1.1. Einleitung Der Großraum Südasien ist die Geburtsstätte von zwei Weltreligionen – dem Hinduismus und dem Buddhismus. 5 Die Religion des Sikhismus – die deutlich weniger Gläubige hat - entstand dort ebenfalls als eine Reformbewegung aus dem wesentlich älteren Hinduismus. 6 Eine dritte Weltreligion kam ca. 700 n. Chr. mit dem Islam hinzu und sollte später mit dem Mogulreich ein beherrschender Faktor in der Region werden. 7 Überbleibsel all dieser Religionen und weiterer finden sich heute in Afghanistan. 1.2. Religionen Afghanistans vor dem Islam Obwohl Afghanistan heute ein fast rein islamisches Land ist, hat es doch aufgrund seiner zentralen Lage in Eurasien einst viele verschiedene Religionen beherbergt. Noch bevor der Islam ca. 700 n. Chr. nach Afghanistan kam, gab es dort schon Christen, Juden, Buddhisten, Hindus und Zoroastrier. 8 400 v. Chr. wurde unter der Herrschaft der Maurya im heutigen Afghanistan mit indischen Münzen bezahlt und in Arachosia (dem heutigen Kandahar) lebten zu der Zeit Hindus. 9 Ein chinesischer Forscher, der 630 n. Chr. durch Afghanistan reiste, schrieb, dass es in verschiedenen Städten insgesamt ca. 1.000 hinduistische und buddhistische Tempel gegeben habe. 10 Bestes Beispiel dafür sind die riesigen Buddhastatuen in Bamyan - die er ebenfalls besuchte - und welche 2001 von den Taliban zerstört wurden. 11 Im April 2021 wurde über die Restaurierung einer buddhistischen Stupa in Bagram nördlich von Kabul berichtet, die ca. 600 n. Chr. erbaut worden sein soll. 12 Diese und viele weitere Stupas rund um Kabul wurden schon 1930 frei gelegt und legen nahe, dass die Stadt Kabul aus der prä-islamischen Zeit stammt. 13 Der Sikhismus hat 1521 - als der Gründer Guru Nanak durch das Land reiste - als letzte Religion in Afghanistan Einzug gehalten. 14 Älteste Hinweise auf Hindus in Afghanistan sind Ortsbezeichnungen. Der Name Hindu Kush bedeutet „Mörder der Hindus“, da viele von Ihnen bei der Überquerung des Gebirges erfroren sein sollen. Es könnte aber auch eine Abwandlung von Hindu Koh sein, was Berg der Hindus bedeutet. 15 Der höchste Berg in Kabul ist der Koh-e Asamai, ein heiliger Berg für die Hindus der auch einen hinduistischen Namen trägt (Asamai bedeutet übersetzt aus dem Persischen „Mutter der Hoffnung“). 16 Zu dessen Füßen liegt der auch heute noch wichtigste Tempel der Hindus (Asamai-Mandir) in Kabul. 17 Eines der Viertel in der Kabuler Altstadt welches bis 1965 die meisten Hindus und Sikhs beherbergte, heißt Hindu Gozar. 18 Es gibt 5 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H.Beck 2016, S. 14 6 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, Readomania 2019, S. 53 7 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H.Beck 2016, S. 93; Stietencron, Heinrich: Der Hinduismus, C.H.Beck 2017, S. 8 8 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 159 9 Ebd., S. 125 10 Dass, Ischer: Die Gefährten Afghanistans, IKO Verlag 2003, S. 15; Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 172 ff. 11 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 156, 172 12 Eine Stupa ist ein religiöses Gebäude des Buddhismus: Afghan Cultural Heritage Consulting Organization (ACHCO): Ongoing excavation and conservation of Stupa-e Shewaki 04 2021 [Facebook Kommentar], 06.04.21; Website ACHCO 13 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 154 ff. 14 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, Readomania 2019, S. 53 15 Ebd., S. 9 16 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 11 17 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, Readomania 2019, S. 153 18 Foschini, Fabrizio: Kabul Unpacked; A geographical guide to a metropolis in the making, in: AAN (Afghanistan Analysts Network), 19. März 2019, S. 5
Länderreport Afghanistan 5 archäologische Ausgrabungen, z.B. bei Gardez in der Provinz Paktia, wo eine Ganesha Statue gefunden wurde, die heute im Dargah Pir Ratan Nath Mandir in Kabul steht. 19 Vor der islamischen Invasion wurde Kabul durch die hinduistischen Kabul Shahi regiert, welche ethnisch zu den Turkvölkern zählten. 20 Zwischen 600 und 900 n. Chr. war im Norden und Westen Afghanistans schon der Islam verbreitet, während im Osten noch der Hinduismus vorherrschte. 21 Die Dynastie der Kabul Shahi wurde ca. 1.000 n.Chr. durch den Einmarsch des muslimischen Herrschers Mahmud von Ghazni beendet. 22 1.3. Südasien als zusammenhängender Kulturraum Man muss Südasien als einen zusammenhängenden Kulturraum sehen, um auch die innenpolitischen Zusammenhänge und die ethnische und religiöse Vielfalt wie auch deren Kluften in Afghanistan zu verstehen. Es gab verschiedene Großereignisse in der Region, die verdeutlichen, dass gerade die Religion als trennendes Element wahrgenommen wurde und wird. 23 Beispielsweise wurden 1992 in ganz Afghanistan (und auch Pakistan) Tempel von Hindus und Sikhs geplündert und zerstört, aus Rache für die Zerstörung der islamischen Babri Masjid Moschee in Ayodhya (Provinz Uttar Pradesh) im selben Jahr durch Hindunationalisten in Indien. 24 Ayodhya gehört zu den heiligen Orten des Hinduismus, weil dort der Gott Rama geboren sein soll und der hindunationalistische Präsident Modi legte im Jahr 2020 den Grundstein für die Errichtung eines Rama-Tempels auf den Ruinen der Moschee. 25 Laut Mythen soll vor der Moschee dort schon ein Rama-Tempel gestanden haben. 26 Der Islamic State Khorasan Province (ISKP) bekannte sich zu einem Anschlag gegen Sikhs im März 2020 in dem Gurdwara Har Rai Sahib in Kabul und verlautbarte in diesem Zusammenhang, es sei eine Racheaktion für die Unterdrückung von Muslimen im indischen Kaschmir. 27 Der indische Geheimdienst behauptet hingegen, es sei ein Anschlag auf Indien gewesen, der ISKP sei nur Handlanger Pakistans und der Gurdwara ein soft target im Gegensatz zur indischen Botschaft in Kabul gewesen. 28 Erstmalig ermittelte in diesem Fall die National Investigation Agency (NIA) außerhalb Indiens, denn unter den Attentätern wie Opfern seien auch indische Staatsbürger gewesen. 29 Häufig wurde den afghanischen Hindus und Sikhs unterstellt, sie seien keine Afghanen, sondern Inder. 30 In Afghanistan und auch Pakistan werden Hindus und Sikhs von Islamisten getötet, weil sie Polytheisten seien. 31 In Indien kämpft wiederum ein kleiner Teil radikalisierter Sikhs für eine unabhängiges Khalistan mit pakistanischer Unterstützung, Seite an Seite mit Islamisten gegen Hindus. 32 Ende 2020 sollte eigentlich in einem von der in Indien verbotenen separatistischen Gruppe 19 Kuwayama, S.: Across the Hindukush of the First Millenium, Institut for Research in Humanities, Kyoto 2002, S. 223 20 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 184 ff. 21 Ebd., S. 184 22 Ebd., S. 195 23 Neben diesen Beispielen gibt es natürlich auch unzählige Belege für jahrelange friedliche Kooperation und wirtschaftliche Vernetzung. 24 Fida, Maiwand: Only one Hindu left in Khost, in: Pahjwok Afghan News, 18.10.2010 ; Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 148 25 Evangelisch.de: Indien: Modi legt Grundstein für umstrittenen Ram-Tempel in Ayodhya, 05.08.2020 26 BBC: India PM Modi lays foundation for Ayodhya Ram temple amid Covid surge, 05.08.2020 27 Swaraya: Islamic State Claims Terror Attack On Kabul Gurdwara That Killed 27 Sikhs Was Revenge for Kashmir, 27.03.2020 28 Gupta, Shishir: In Kabul gurdwara attack, India was real target; Islamic State just a front: Intel, in: Hindustan Times, 26.03.2020 29 Oka, Akhil: NIA Initiates First Overseas Investigation; To Probe Kabul Gurudwara Terror Attack, in: Republic World, 01.04.2020 30 Menafn: Afghanistan- Danesh apologizes to Afghan Sikhs, Hindus for ill-behavior by country-fellows, 06.04.2021 31 Business Insider: IS claims Afghanistan attack on Sikhs, Hindus, says targeted 'polytheists', 02.07.2018 32 Tolonews: India Warns Sikh Youths Are Being Trained At ISI Camps, 23.03.2018; Tolonews: Pakistan Denies Inciting Sikhs on ‘Khalistan’ Issue, 18.04.2018
Länderreport Afghanistan 6 Sikh for Justice (SFJ) initiierten Referendum über die Unabhängigkeit dieses Sikh-Staates abgestimmt werden, dieses wurde aufgrund von Corona auf 2022 verschoben. 33 Wie hier ersichtlich wurde, stehen die Sikhs teilweise zwischen den beiden Lagern Islamismus und Hindunationalismus. Ältere Vorkommnisse, die bis heute in verschiedenen Gruppierungen (Muslime, Sikhs, Hindus) nachhallen, sind die Plünderung und Zerstörung des hinduistischen Somnath-Tempels in Gujarat durch Mahmud von Ghazni im Jahr 1015 (eine Katastrophe für Hindus) 34, die Erstürmung Amritsars 1762 durch die Durrani-Armee und der darauf folgende Genozid an den Sikhs (Vadda Galughara) mit tausenden von Toten 35 sowie die Ermordung des Taliban-Vorläufers Syed Ahmad Barelvi 1831 durch die Sikh-Armee Ranjit Singhs (eine Katastrophe für konservative bzw. islamistische Muslime). 36 Barelvi hatte sich selbst zum Amir al-Muminin (Anführer der Gläubigen) erkoren und 1826 einen Dschihad gegen die Sikhs ausgerufen. 37 Mahmud von Ghazni war zudem ca. 1020 n. Chr. für die Vertreibung der Hindu Shahis aus Kabul verantwortlich und beendete so die jahrelange Hindu-Herrschaft in Teilen des damaligen Afghanistan. Der Großteil dieser Ereignisse liegt in unmittelbarer Nähe der von den Briten so genannten „Grand Trunk Road“ (weil sie wie ein Elefantenrüssel gebogen ist), die auch als Lebensader Südasiens bezeichnet wird. Die erweiterte „Grand Trunk Road“ (von Indern Uttarapath oder Sarak-e-Azam genannt) führt von Kabul über Peshawar, Lahore, Delhi und Aligarh bis nach Chittagong in Bangladesch. Diese Hauptverkehrsader Südasiens wurde insbesondere von dem afghanischen König Sher Shah Suri im 16. Jahrhundert ausgebaut, welcher ein Königreich in Nordindien besessen hatte. 38 Peshawar im heutigen Pakistan war früher das Winterdomizil für die afghanische Elite. 39 Die heute in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunwa liegenden Gebiete heissen im Volksmund auch Ostafghanistan. Viele berühmte Schauspieler Bollywoods in Indien sind Paschtunen und stammen ursprünglich aus Peshawar. Man erkennt sie häufig an ihrem Nachnamen: Khan. So z.B. der Filmstar Shah Rukh Khan dessen Vater 1928 dort geboren wurde. Der Vater von Khan war ein Anhänger von Abdul Ghaffar Khan welcher auch „Frontier Ghandi“ genannt wurde. Dieser rief die gewaltlose Bewegung der Khudai Khitmagar ins Leben, welche den indischen Nationalkongress und Ghandi unterstützte und mit friedlichen Mitteln gegen die britischen Besatzer kämpfte. 40 Peshawar war im Jahr 1834 aber auch Teil des Sikh Reichs von Ranjit Singh. 41 In der Nähe von Peshawar liegt die „Schule“ der Taliban (Talib bedeutet auf Arabisch Schüler). Sami Ul Haq – der so genannte Vater der Taliban, welcher 2019 ermordet wurde - leitete die Universität Darul Uloom Haqqania in Akora Khattak in Pakistan, die zur Deobandi-Ausrichtung gehört. Sie soll auf dem Ort errichtet worden sein, wo Ranjit Singhs Armee den Taliban-Vorläufer Syed Ahmad tötete. Syed Ahmad folgte Shah Waliullah der laut Ul Haq in der Region einen Islamischen Staat errichten wollte. 42 Der Vorläufer der Universität entstand im indischen Deoband. Der Vater Sami Ul Haqs habe im indischen Deoband studiert und auch gelehrt und dann nach der Teilung 1947 den Ableger in Pakistan gegründet. Ul Haq schreibt in seinem Buch, er sei stolz darauf, dass seine Vorfahren aus Ghazni in Afghanistan stammen und diese mit Mahmud von Ghazni 1024 [sic] in einem Dschihad in Indien eingefallen seien und den Hindu-Tempel von Somnath zerstört hätten. Seine Vorfahren hätten 33 Rana, Yudhvir: Corona effect: Khalistan referendum 2020 be held in 2022? in: Times of India, 28.05.2020 34 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 195 35 Ebd., S. 232 36 Allen, Charles: God´s Terrorists, Da Capo Press 2006, S. 90 ff. 37 Allen, Charles: God´s Terrorists, Da Capo Press 2006, S. 83 ff. 38 Wiles, John: The Grand Trunk Road, Elek London Verlag 1972, S. 7 39 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 235 40 Chopra, Anupama: King of Bollywood - Shah Rukh Khan und die Welt des indischen Kinos, Rapid Eye Movies Verlag 2008, S. 30 ff. 41 Emadi, Hafizullah: Minorities and marginality: pertinacity of Hindus and Sikhs in a repressive environment in Afghanistan, Nationalities Papers: The Journal of Nationalism and Ethnicity, 42:2, 2014, S. 309 42 Haq, Sami Ul: Afghan Taliban – War of Ideology – Struggle for Peace, Emel Publications 2015, S. 4
Länderreport Afghanistan 7 auch 1857 gegen die Briten aufbegehrt und gegen sie in Afghanistan gekämpft. 43 Dieser kurze Exkurs sollte deutlich machen, dass alle drei Religionen die in diesem Report behandelt werden, eine gemeinsame Geschichte in einem zusammenhängenden Kulturraum haben, der sich über ganz Südasien und vor allem entlang des nördlichen Teils der Grand Trunk Road erstreckt. 1.4. Ursprünge der heutigen Hindus und Sikhs in Afghanistan Es gibt verschiedene Thesen, wann und wie die heutigen Hindus und Sikhs nach Afghanistan gekommen sind. Sie sind vermutlich alle in Teilen zutreffend. Die erste lautet, sie seien die Nachfahren von afghanischen Ureinwohnern, welche das Land schon besiedelt hätten bevor der Islam ca. 700 n. Chr. nach Afghanistan gekommen sei. Zeugnis dafür seien viele hinduistische Statuen und Tempel die in ganz Afghanistan ausgegraben wurden. 44 Die Hindu Shahi regierten den Osten Afghanistans (Artefakte dieser Zeit finden sich vor allem in Peshawar, Jalalabad, Bagram, Kabul und Ghazni) bis sie ca. 1020 n. Chr. von Mahmud von Ghazni vertrieben wurden. Sie waren größtenteils Verehrer des Shivaismus, einer Unterströmung des Hinduismus, welcher bis heute von vielen Hindus in Afghanistan befolgt wird. Teile dieser Gruppe hätten sich auch bis zur Ankunft des Sikh-Guru Nanaks 1521 einer Konversion zum Islam widersetzt und seien dann teilweise zum Sikhismus bekehrt worden. 45 Nicht alle seien aber später Khalsa-Sikhs geworden (siehe dazu den Abschnitt „Sikhismus“ S. 11). Diese These spricht gegen die häufig aufgestellte Behauptung, Hindus und Sikhs seien aus Indien eingewandert. 46 Die Zweite lautet, sie seien Sklaven die von Mahmud von Ghazni (971-1030) bei seinen Beutezügen in den indischen Subkontinent geraubt und mit nach Afghanistan gebracht worden seien. 47 Die Dritte lautet, dass viele Hindus in der Zeit des Durrani-Reiches (1747-1823) als Händler nach Afghanistan gekommen seien. Afghanistan verfügt über zwei geographisch wichtige Pässe über die man von Zentralasien in die indische Tiefebene gelangt. Dies sind der Khyber Pass im Norden und der Bolan Pass weiter südlich. Letzterer verbindet Kandahar über Quetta mit Shikarpur (Sindh) in Pakistan. 48 Die Händler seien aus Shikarpur nach Kandahar gekommen, welches bis heute auf einer Handelsroute von Indien nach Zentralasien liegt. 49 Die Dynastie der Durrani hatte die Hauptstadt nach Kandahar verlegt, weil das Durrani Reich das Territorium ganz Afghanistans und Pakistans kontrollieren wollte. Durrani erichtete eine neue Stadt Kandahar unweit der alten und brachte den Mantel des Propheten Mohammed in eine neu erbaute Moschee in der Stadt. Mullah Omar, der Anführer der Taliban, sollte sich später 2001 diesen Mantel umlegen um seine Autorität als Anführer der Gläubigen (Amir al-Muminin) zu stärken. 50 Noch heute heisst ein Tor in Kandahar Shikarpur-Tor und es gibt einen Shikarpur Bazar, wo ein Hindutempel steht. 51 Von Shikarpur aus kontrollierte Durrani den Teil seines Reiches in der Tiefebene. 52 Nach der vierten These seien hingegen viele indische Khatri-Händler aus Multan im westlichen Punjab über den nördlichen Khyberpass nach Afghanistan gekommen als dieses zum Mogulreich gehörte. 53 Die Fünfte lautet viele 43 Ebd., S. 1 44 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 184 45 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 10 46 Foschini, Fabrizio: A Lost Opportunity? Hindus and Sikhs do not get a reserved seat in parliament, in: Afghanistan Analyst Network, 16.12.2013 47 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 19 48 In Quetta saß auch lange Zeit die Leitung (Shura) der Taliban und Kandahar ist ebenfalls ihr Haupteinflussgebiet. 49 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 10 50 The New York Times: A Tale of the Mullah and Muhammad's Amazing Cloak, 19.12.2001 51 Adamec, Ludwig: Historical Dictionary of Afghanistan, Scarecrow Press 2012, S. 240 52 Foschini, Fabrizio: The Other Fold of the Turban: Afghanistan´s Hindus and Sikhs, in: Afghanistan Analyst Network, 23.09.2013 53 Ebd.; Der Ursprung der Khatri-Kaste der Sikhs wird auf Seite 11 erklärt
Länderreport Afghanistan 8 Sikhs hätten sich in der Regierungszeit Ranjit Singhs (1780-1839) in Afghanistan angesiedelt. 54 Dieser hatte in verschiedenen Kriegen mit dem afghanischen Durrani-Reich (welches sich zeitweise von Maschad in Iran bis nach Lahore in Pakistan erstreckte) sogar Peshawar und Teile Ostafghanistans sowie Kaschmir erobert. 55 Im Zuge des ersten Britisch-Afghanischen Krieges (1839–1842) half die Sikh-Armee von Ranjit Singh den Briten, Shah Shuja auf den Thron in Afghanistan zu setzen, dafür sollen sie im Gegenzug die afghanische Provinz Jalalabad als neuen Distrikt ihres Reiches bekommen haben. 56 Bei der Invasion Afghanistans 1839 sei die britische Armee inklusive der Sikhs auf viele Hindus in Jalalabad gestoßen, die dort Ladenbesitzer gewesen seien und einen Tempel unterhielten. 57 Campbell schreibt 1866, die Khatri-Sikhs würden den Handel im Punjab und Afghanistan dominieren. Kein Dorf in dieser Region würde ohne einen Khatri auskommen, der die Bankgeschäfte erledige. In Afghanistan wären sie im Osten des Landes so zahlreich wie im Punjab und vornehmlich bescheidene Händler, Ladenbesitzer oder Geldverleiher. Die Paschtunen würden sie wie „wertvolle Tiere“ betrachten, die man sich gegenseitig zur Erpressung stehlen könne. 58 Sie wären die gebildete Priesterkaste unter den Sikhs, da viele Gurus wie auch die Regierungsmitglieder Ranjit Singhs Khatris gewesen seien. Laut dem Gründer der Khalsa Diwan Welfare Society in Delhi seien die ersten Sikhs zur Regierungszeit Ranjit Singhs nach Afghanistan eingewandert. 59 Die Sechste These lautet, dass während der Teilung Indiens und Pakistans 1947 viele Sikhs vor den Massakern in Potohar im heutigen Pakistan nach Afghanistan flohen. 60 In Potohar waren die Sikhs das zentrale Angriffsziel der Muslime, obwohl sie lange friedlich koexistierten. 61 Eine grundlegende Diskussion ist immer wieder, ob die Hindus und Sikhs Einheimische oder Zugewanderte sind. Für beide Positionen gibt es Hinweise. Alle genannten Gruppen haben vermutlich ihren Teil zur heutigen Gemeinschaft der Hindus und Sikhs in Afghanistan beigesteuert. Was sie alle verbindet ist, dass sie vornehmlich Händler waren und sind. Kabul war für viele ein historisches Drehkreuz für Waren aus Zentralasien und Indien, welche in beide Richtungen gingen. 2. Unterschiede zwischen Hindus und Sikhs 2.1. Einleitung Aufgrund ihrer geringen Anzahl in Afghanistan werden Hindus und Sikhs in Afghanistan häufig als eine Gruppe wahrgenommen. Laut einem Artikel des Afghanistan Analysts Network (AAN) werde die Gemeinschaft Ahl-e Hunud (Anm. d. Verf. mglw. Hind, somit Menschen aus Hind/Indien) genannt. 62 Gerade durch die angespannte Sicherheitslage in Afghanistan und als Enklave in einer fast rein islamischen Gesellschaft rücken beide Gruppen auch als Schicksalsgemeinschaft zusammen. 63 Zudem gehören auch viele Hindus in Afghanistan zu den so genannten Nanakpanthis, d.h. sie folgen neben dem Hinduismus auch der Lehre des Sikh-Gründers Guru Nanak. 64 Dennoch gibt es einige 54 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 11 55 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 243 56 Cunningham, Joseph: History of The Sikhs, 1849, S. 250 57 Ali, Shahamat: The Sikhs and Afghans, John Murray London 1847, S. 441 58 Campbell, Justice: The Ethnology of India, in: The Journal of the Asiatic Society, Calcutta 1866, S. 110 59 Gosh, Anwesha: Identity and Marginality in India – Settlement Experience of Afghan Migrants, Routledge 2019, S. 118 60 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 11 61 Ballard, Roger: The History and current Position of Afghanistan´s Hindu and Sikh Population, Center for Applied South Asian Studies 2011, S. 3 62 Foschini, Fabrizio: A Lost Opportunity? Hindus and Sikhs do not get a reserved seat in parliament, in: Afghanistan Analysts Network, 16.12.2013 63 Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 6 64 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, 2019 Readomania, S. 147
Länderreport Afghanistan 9 Unterschiede, denn letztlich ist der monotheistische Sikhismus erst um ca. 1500 n. Chr. als eine Art Reformbewegung aus dem viel älteren polytheistischen Hinduismus (ca. 1500 v. Chr.) hervorgegangen und besitzt zudem auch Anleihen aus dem Islam. 65 2.2. Unterschiede der Religionen Beide Religionen gehören zu den dharmischen Religionen im Gegensatz zu den abrahamitischen Religionen (Christentum, Islam und Judentum). 66 Innerhalb der dharmischen Religionen wird der Hinduismus als polytheistisch und der Sikhismus als monotheistisch bezeichnet. 67 Der Hinduismus Der Hinduismus – von Hindus Santana Dharma (Ewige Religion) genannt - gehört zu einer der ältesten Religionen der Welt. 68 Er kennt im Gegensatz zu Christentum oder Islam keine Einzelperson als Religionsstifter. 69 Der Großteil seiner Anhänger lebt im heutigen säkularen Indien. Bei der letzten Volkszählung von 2011 in Indien gab es ca. 1 Mrd. Hindus in Indien. 70 Außerhalb von Indien sollen beispielsweise noch 12 Millionen Hindus in Nepal, 10 Millionen in Bangladesch, 4-6 Millionen in Pakistan und 2,5 Millionen in Sri Lanka leben. 71 Zwischen 70 und 500 n. Chr. hat sich der Hinduismus auch bis nach Südostasien verbreitet (über Kambodscha bis nach Bali). 72 Der Begriff Hindu ist eine geographische Zuschreibung für Menschen die am Fluß Indus leben, welcher heute größtenteils in Pakistan liegt. 73 Die Religion entstand mit der Indus-Zivilisation 2500 bis 1800 v.Chr. und bekam ihre Grundlage in der Periode der Veden (1500 - 500 v.Chr.) in der die großen Schriften des Hinduismus – die Veden, Upanischaden, Bhagavad-Gita u.a. – verfasst wurden. 74 Die Veden sind – als Ersatz für einen Religionsstifter - das einende Band, welches alle Hindus zusammenhält. 75 Die Lehre von der Einheit des Brahman (Gott) mit dem Atman (des Selbst) und von Karma und Wiedergeburt ist erst um 700 v.Chr. mit den Upanischaden entstanden. Das höchste Ziel ist es Brahman und Atman durch Meditation zu vereinigen. 76 Für dieses Ziel der Erkenntnis steht auch der Ausspruch tat tvam asi = Das bist du. Karma und Wiedergeburt stehen in einem direkten Verhältnis. Tue Gutes um dein schlechtes Karma aufzulösen und Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu finden. 77 Es gibt drei Ursprungsgötter – Brahman der Schöpfer, Vishnu der Bewahrer und Shiva der Zerstörer – welche auch Trimurti genannt würden und aus dem ein Pantheon anderer Götter entstanden ist. 78 Der Gott Vishnu wird von Zeit zu Zeit wiedergeboren, um die Ordnung wiederherzustellen. Die bekannteste seiner zehn Inkarnationen ist Krishna, der Held der Bhagavad- 65 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A Very Short Introduction, OUP 2016, S. 5 ff. 66 Lexas: Weltreligionen, ohne Datum 67 Gateway House: Afghan Hindus & Sikhs under attack, 02.04.2020 68 Knott, Kim: Hinduism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 3; Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 122 69 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, Beck Verlag 2016, S. 121 70 The Indian Express: Census 2011: Hindus dip to below 80 per cent of population; Muslim share up, slows down, 27.08.2015 71 Knott, Kim: Hinduism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 94 ff. 72 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 128 73 Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck 2017, S. 7 74 Ebd., S. 10 ff. 75 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 122 76 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 123 77 Ebd., S. 125 ff. 78 BBC Teach: Religious Studies KS2: Inside a Hindu temple, ohne Datum
Länderreport Afghanistan 10 Gita. 79 Ein weiterer Avatar ist der Gott Rama, welcher als idealer politischer Herrscher gilt. 80 Der letzte für die Zukunft erwartete Avatar ist Kalki, der apokalyptische Reiter, der das Ende des Kali-Yuga einläutet. 81 Der Vishnuismus ist durch Liebe (bhakti) und selbstlose Hingabe (prapatti) geprägt. 82 Der Shivaismus ist die zweite große Strömung. Der Gott Shiva kann Leben bringen aber auch zerstören. Sein Zeichen ist der Phallus (lingam) – in der Form einer Statue - und der Schoß (yoni). Der todbringende Shiva durchbricht die Illusion der Dualität (maya). Also die Täuschung, dass hinter der mannigfaltigen Materie der Geist Gottes wirkt bzw. dass der Mensch nicht aus der Materie seines Körpers besteht, sondern aus einer unsterblichen Seele die Teil Gottes ist. 83 Mit seiner Gattin Parvati hat er den Gott Ganesha erschaffen. 84 In Afghanistan – insbesondere seit den Kabul Shahi – ist der Shivaismus stark vertreten, der sich auch Nath Panth nennt. Einer seiner wichtigsten Gurus ist Goraknath, der in Peshawar geboren sein soll. Gurus die in dieser Linie folgten sind Ratan Nath und Mathura Das, denen in Jalalabad und Kabul Tempel gewidmet sind bzw. die dort auch lebten. 85 Aufgrund dieses Pantheons an Göttern existiert der häufige Vorwurf des Polytheismus seitens des Islam. Aber im Grunde versinnbildlichen viele der Götter nur unterschiedliche Qualitäten eines Ursprungsgottes. 86 Die Kuh als friedliebende Ernährerin aller - so wie die Mutter Erde - ist den Hindus heilig. 87 Das Aum/Om-Zeichen ist wiederum das heilige Symbol, das für den transzendenten Urklang steht, aus dem das ganze Universum erschaffen wurde und wird deshalb auch als Mantra benutzt. 88 Die zyklische Zeitrechnung der Hindus besteht aus Yugas, das sind vier Weltzyklen, in denen unsere Welt entstanden sei und wieder vergehe um danach erneut zu entstehen. Aktuell lebe man im Kali- Yuga, welches stark von Missgunst und mangelnder Spiritualität geprägt sei. 89 Der Hinduismus kennt ein Kastensystem (varna) in welchem jede Kaste ein eigenes Dharma trägt. Für die Priester (Brahmanen) ist es das Studium der heiligen Texte, für die Krieger (kshatriya) das Herrschen, Kämpfen und Beschützen der Schwachen, für die Bauern (vaishya) die Sorge um den Ackerboden und für die Diener (shudra) das Dienen. Innerhalb der vier Kasten gebe es wiederum Geburtsklassen (jati). 90 Hindus feiern im Februar die Nacht Shivas, das farbenfrohe Frühlingsfest Holi, den Geburtstag Krishnas im August und das Lichterfest Diwali im November. 91 Es gibt das Ritual der Verehrung von Götterbildern oder Statuen (puja) bei welchem der Gläubige über die Bilder oder Statuen Blickkontakt mit dem Göttlichen herstelle (darshana). Im Tempel gehören zum Ritual auch Tanz, Musik und das Umschreiten des Schreins im Uhrzeigersinn. Wichtige Wallfahrtsorte sind die 79 Die Bhagavad Gita (sanskrit=„Der Gesang des Erhabenen“) ist ein kleiner Ausschnitt aus den Veden, insbesondere aus dem Mahabharata (sanskrit=“Das große Buch über die Familie Bharata“), aus der Zeit 500-200 v. Christus. In einer Schlacht der guten und der bösen Bharata-Familienmitglieder offenbart sich Vishnu in der Form Krishnas seinem Schüler, dem Prinzen Arjuna. Dabei zeigt Krishna ihm, wie man die Erkenntnis des Göttlichen in der Materie erlangt. 80 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 126 ff. 81 Nach der hinduistischen Lehre gibt es unzählige große Weltzeitalter. Das aktuelle wird Maha-Yuga genannt (Yuga=Periode in Sanskrit), dauert 4.320.000 Jahre und unterteilt sich wiederum in vier Weltalter. Beginnend im Kriya-Yuga, welches als goldenes Zeitalter gilt in dem die Menschen sich ihres göttlichen Ursprunges noch bewusst waren, nimmt von Yuga zu Yuga das Bewusstsein ab. Es folgen das Treta- und Dvapara-Yuga und schließlich das Kali-Yuga (begonnen ca. 3100 v. Chr., Dauer 432.000 Jahre) in welchem wir heute leben; Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck Verlag 2017, S. 46 82 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 126 ff. 83 Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck 2017, S. 76 ff. 84 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 127 ff. 85 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, 2019 Readomania, S. 154 86 Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck Verlag 2017, S. 22 87 ORF.at: Religionen: Hinduismus, Kuh, 16.09.2020 88 Prabhupada, Bhaktivedanta: Bewusste Freude, Bhaktivedanta Book Trust 1982, S. 207 89 Prabhupada, Bhaktivedanta: Bewusste Freude, Bhaktivedanta Book Trust 1982, S. 10; Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck 2017, S. 46 90 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 132; Stietencron, Heinrich von: Der Hinduismus, C.H. Beck Verlag 2017, S. 96 91 Hutter, Manfred: Die Weltreligionen, C.H. Beck Verlag 2016, S. 135
Länderreport Afghanistan 11 indischen Städte Varanasi für den Gott Shiva, Vrindavan für Krishna und Ayodyah als Geburtsort Ramas. 92 Der Sikhismus Der Sikhismus ist eine der jüngsten und zahlenmäßig kleinsten Religionen. 93 Weltweit gibt es ca. 24 Millionen Anhänger, der Großteil von ihnen lebt in Indien. Bei der letzten indischen Volkszählung von 2011 gab es 20,8 Millionen Sikhs in Indien das entspricht 1,7 % der Bevölkerung. 94 Der Großteil von ihnen lebt im Bundesstaat Punjab, wo sie gegenüber Hindus und Muslimen auch die Mehrheit bilden, und in angrenzenden Bundesstaaten (Harayana, Delhi). 95 Die Religion wurde durch Guru Nanak begründet, der 1469 in Talwandi (heute Nanak Sahib genannt) im heutigen Pakistan (Punjab) als Kind von Hindus der Händler-Kaste Khatri geboren wurde. 96 Khatri ist das Punjabi-Wort für Kshatriya, die alte Kriegerkaste im Hinduismus die an zweiter Stelle nach den Brahmanen folgt. 97 Die Khatri sind keine große Gruppe innerhalb der Sikhs aber hoch anerkannt, da fast alle großen Gurus auch Khatri gewesen sein sollen. 98 Fast alle afghanischen Sikhs sollen dieser Khatri-Kaste angehören. 99 Obwohl Guru Nanak große Teile Südasiens und des Nahen Ostens bereist hat (begleitet von einem Muslim und einem Hindu) und auf seiner vierten Reise auch durch Afghanistan kam, ist das spirituelle Zentrum der Sikhs der Punjab in Indien. 100 In Afghanistan besuchte Guru Nanak die Städte Kabul, Kandahar, Jalalabad und Sultanpur, überall dort stehen heute Gurdwaras. 101 Nach ihm folgten noch neun weitere Gurus, die auch alle im Punjab geboren wurden. Der siebte Sikh-Guru nach Nanak mit Namen Har Rai entsandte Missionare aus dem Punjab nach Kabul und noch heute ist deswegen ein Gurdwara in Kabul nach ihm benannt. 102 Nachdem 1708 der letzte Guru Gobind Singh gestorben war, ging dessen Funktion auf das heilige Buch der Sikhs – den Guru Granth Sahib – über, welches seither verehrt wird und in allen Tempeln in einem Schrein liegt. Darin sind alle Weisheiten der zehn Gurus enthalten. 103 Das Wort Sikh bedeutet übersetzt Schüler (so wie Taliban ebenfalls die Schüler auf arabisch bedeutet) 104 und kommt von dem Verb sikhna für lernen auf Punjabi. 105 Guru bedeutet Meister oder Lehrer. 106 Die Sikh Gemeinschaft als Ganzes nennt sich Panth. 107 Eine Versammlung im Tempel wird Sangat genannt. 108 Der Sikhismus ist als Reformbewegung aus dem älteren Hinduismus entstanden, weshalb auch diskutiert wird, ob er nur eine weitere Variante des Hinduismus sei. 109 Sikhs glauben z.B. an das hinduistische Konzept des Karmas und an die Wiedergeburt und alle zehn Gurus waren Hindus und keine Muslime. 110 Als Indien 1947 – und damit auch der Punjab – zwischen Pakistan und Indien aufgeteilt wurde, gingen fast alle Sikhs in den indischen Teil des Punjab. 111 Ihr 92 Ebd., S. 135 ff. 93 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 1 94 Ebd., S. 2 95 Ebd., S. 3 96 Ebd., S. 19 97 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 114 98 Ebd., S. 114 99 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, 2019 Readomania, S. 21 100 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 8 101 Der Spiegel: Afghanistan: »Prawda«-Reporter im belagerten Dschalalabad, 16.04.1989 102 Goyal, Divya: Sikhs and Hindus of Afghanistan — how many remain, why they want to leave, in: The Indian Express, 28.07.2020 103 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 31 104 Vogelsang, Willem: The Afghans, Blackwell Publishers 2002, S. 329 105 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 2 106 Ebd., S. 3 107 Ebd., S. 3 108 Ebd., S. 29 109 Ebd., S. 6 110 Ebd., S. 32 111 Ebd., S. 6
Länderreport Afghanistan 12 Heimatland – das ursprüngliche Sikh Reich Ranjit Singhs – wurde (wie die Paschtunengebiete zwischen Afghanistan und Pakistan durch die Durandlinie) in der Mitte geteilt. Die eine Hälfte mit der ehemaligen Hauptstadt Lahore liegt heute in Pakistan, die andere Hälfte mit der heiligen Stadt Amritsar in Indien. Seit der Teilung 1947 gibt es eine Unabhängigkeitsbewegung die für ein eigenes Land der Sikhs (Khalistan genannt) vor allem in Indien kämpft. Dennoch ist der Sikhismus auch eine egalitäre Reformbewegung die sich gegen das Kastensystem und für Gleichberechtigung der Geschlechter ausspricht (alle Männer heißen mit Nachnamen Singh und alle Frauen Kaur) und auch gegen Religion als Institution (Menschen sind keine Hindus oder Muslime sondern Geschöpfe Gottes). 112 Bei Ehen wird das Kastensystem aber auch bei den Sikhs wohl immer noch angewendet. 113 Eine Ähnlichkeit zum Islam besteht wiederum im Monotheismus der Sikhs, da sie nicht wie die Hindus eine Vielzahl von Göttern, sondern nur einen Gott anbeten. 114 Ebenso wird die Götzenverehrung von Statuen abgelehnt. 115 Guru Nanak ging auf seinen Reisen auch auf die Hadsch nach Mekka und im Guru Grant Sahib wird häufiger das Wort Allah für Gott benutzt. 116Aus Reaktion für die Enthauptung seines Vaters Guru Teg Bahadur durch den islamischen Mogulherrscher Aurangzeb allerdings, gründete der Sikh Guru Gobind Singh 1699 eine Sikh-Armee (Khalsa). Khalsa bedeutet auf Punjabi rein und ist zudem ein Initiationsritus. 117 Erst nach dieser Initiation darf sich ein männlicher Sikh Singh nennen, einen Bart und die so genannten 5 K´s tragen (siehe unten „Kleidung“). 118 Eine Sikh-Frau darf sich dann Kaur nennen. Männer des Khalsa-Ordens dürfen keinen Geschlechtsverkehr mit muslimischen Frauen haben und kein Fleisch essen, das nach islamischem Ritus (halal) geschlachtet wurde. 119 Der wichtigste Feiertag der Sikhs, Vaisakhi, ist der Gründungstag des Khalsa-Ordens. 120 Weitere Feiertage sind die Gurpurabs an denen die Jahrestage der Gurus gefeiert werden. 121 Seit 2003 haben die Sikhs auch einen eigenen Kalender, Nanakshahi genannt. 122 Man kann im Sikhismus drei Gruppen von Anhängern unterscheiden: Ein Keshdhari ist ein Sikh, der sich die Haare wachsen lässt aber noch kein Khalsa ist. Weiterhin gibt es Sahajdhari Sikhs, die Guru Nanak folgen, aber noch nicht in den Khalsa-Orden initiert wurden und keinen Bart und keine 5 K´s tragen (siehe unten). Sie werden teilweise auch Sevak genannt. 123 Zuletzt folgen die Khalsa. Daneben gibt es die Nanakpanthis, d.h. alle, die dem Weg Guru Nanaks folgen. Dies können auch Hindus sein, die neben ihren Göttern ebenfalls Guru Nanak folgen. Wie sich diese alle optisch unterscheiden folgt im nächsten Abschnitt „Kleidung“. 2.3. Kleidung und äußeres Erscheinungsbild Männliche Hindus wie auch Nanakpanthis oder einige Sahajdharis könnten sich im Straßenbild in Afghanistan relativ unbehelligt bewegen, da sie sich nicht stark von anderen männlichen Afghanen unterscheiden. Die Gefahr einer Diskriminierung ist für sie geringer als für Khalsa-Sikhs. Die Sikhs des Khalsa-Ordens hingegen fallen durch ihre Turbane und Bärte stark auf. 124 Junge männliche Sikhs tragen ebenfalls ein spezielles Kopftuch, unter welchem die Haare auf der Stirn verknotet werden 112 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 113 113 Ebd., S. 116 114 Ebd., S. 7 115 Blümel, Margarete: Eine Religion zwischen Islam und Hinduismus: Die Sikhs in Indien, in: Deutschlandfunk, 21.02.2013 116 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 8, 10 117 Singh, Gurpal: How Guru Gobind singh created the Khalsa to fight Aurangzeb`s Tyranny, in: The Madras Courier, 02.01.2020 118 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 53 ff. 119 Ebd., S. 59 120 Ebd., S. 51 121 Ebd., S. 121 122 Ebd., S. 122 123 Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 145 124 USSD: 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, S. 16
Länderreport Afghanistan 13 (joora). Da dieser Knoten einer Kartoffel ähnelt, werden sie häufig mit dem Namen „Khachalu“ (Kartoffel) durch Mitschüler verspottet – häufig auch wegen der langen Haare. 125 In Afghanistan gab es ursprünglich in der Provinz Khost eine große Gemeinde von Sahajdhari Sikhs. Ein Vorsteher dieser Gemeinde wurde im Juli 2021 entführt. Auf den Fotos dieses Artikels kann man gut erkennen, dass er keinen Turban und Bart trägt. 126 Dafür trägt er ein Kopftuch welches am Hinterkopf zusammen geknotet wird. Nanakpanthis, die zugleich auch Hindus sind, tragen häufig ein ähnliches Kopftuch. Als der Asamai-Mandir auf dem Asamai-Berg in Kabul 2006 wieder eröffnet wurde, waren viele Hindus versammelt die auch alle Kopftücher trugen. 127 Beide Gruppen können das Kopftuch auf der Straße aber auch ablegen und fallen dann nicht weiter auf. Sie alle haben auch keine langen Haare und tragen meistens die Einheitskleidung der Paschtunen - einen Salwar Kamiz. Dies ist ein langes Hemd das über einer weiten Hose getragen wird. Die Khalsa Sikhs hingegen tragen unter ihrem Turban lange Haare. Somit würden sie ohne wie auch mit Turban stark auffallen. 128 Dazu kommt der Bart, der nicht gestutzt wird. Die so genannten „5 K´s“ die ein Khalsa mit sich führen darf sind ein Kamm (kangha) für die Haare, ein Dolch (kirpan), ein Armreif (kara), ungeschnittene Haare (kesh) und bestimmte Unterwäsche (kachera). 129 Der Turban eines Khalsa-Sikhs wird Dastar genannt. Berichten zufolge würden heute die meisten die Farbe des Turbans entsprechend ihres Outfits wählen, und dunkelblau würde z.B. gerne von Jüngeren für förmliche Anlässe gewählt. Doch ursprünglich sei z.B. Orange und Blau nur den Khalsa vorbehalten gewesen (heute bei wichtigen Zeremonien), Weiß nur für ältere Sikhs und Rot sei zu Hochzeiten getragen worden. 130 Wenn weibliche Hindus und Sikhs auf die Straße gehen – niemals ohne männliche Begleitung - trügen sie nach Erkenntnissen des US Außenministeriums alle Burqas, also Vollverschleierung oder zumindest ein Kopftuch. Dies gelte besonders in ländlichen Regionen aber auch in den Städten. 131 In Afghanistan wurden Hindus und Sikhs von besonders konservativen Herrschern immer wieder aufgefordert, sich besonders zu kleiden, um ihre Religionszugehörigkeit für alle sichtbar zu machen. So mussten sie unter der Regentschaft von Amir Habibullah Khan (1872-1919) gelbe Markierungen an der Kleidung oder gelbe Turbane tragen und unter den Taliban ebenfalls. 132 2.4. Tempel Hindus nennen ihre Tempel Mandir und Sikhs ihre Gurdwara (ursprünglich Dharamsal). Ein besonderer Unterschied zum Islam ist, dass bei Hindus und Sikhs Männer und Frauen gemeinsam in einem Raum beten. 133 Die meisten Hindus und Sikhs besitzen seit dem Bürgerkrieg 1990 in Afghanistan keine eigenen Häuser mehr – diese wurden häufig illegal besetzt - und leben deshalb gemeinsam in den Gurdwaras bzw. Mandirs. 134 Nur die Wohlhabenden haben eigene Häuser. 135 Häufig sind es auch nur noch die Männer, die die Tempel behüten und sich um das Geschäft 125 Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 7; Jakara Movement Report: Plight of Sikhs an Hindus in Afghanistan, ohne Datum, S. 3; SSNews: Afghan Sikh community dwindles, 09.07.2006; Singh, Inderjeet: Afghan Hindus and Sikhs, History of a thousand Years, Readomania 2019, S. 17 126 Goyal, Divya: In Afghanistan to perform sewa at gurdwara, Sikh man abducted, in: The indian Express, 22.06.2020 127 Gwari, Kamal: The Ashamai Temple in Kabul, in: Afghan Hindus and Sikhs, 27.09.2006 128 UK Home Office: Country Policy and Information Note, Afghanistan: Sikhs and Hindus, Version 6.0, März 2021, S. 8 129 Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP 2016, S. 48 ff. 130 Bhatti, Parul: Sikh Turbans: The Identity of Sikh Community, in: Design Resource, ohne Datum; Nesbitt, Eleanor: Sikhism: A very Short Introduction, OUP S. 46 131 USSD: 2019 Report on International Religious Freedom: Afghanistan, S. 17 132 Porsesh Research & Studies Organisation: Survey of the Afghan Hindus and Sikhs, Februar 2019, S. 22, 34; Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 2; SSNews: Afghan Sikh community dwindles, 09.07.2006 133 Arora, Harjit K.: Sikhism and the status of Women, ohne Datum 134 Landinfo: Afghanistan: Afghanske sikher og hinduer [Afghanistan: Afghanische Sikhs und Hindus], 29. Januar 2020, S. 11; Jakara Movement Report: Plight of Sikhs an Hindus in Afghanistan, ohne Datum, S. 4 135 Sadat, Fariba: Afghan Hindu Woman Killed in Kabul by Armed Robbers, in: Tolonews, 28.02.2020,
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