Langfristige Sicherung des Gesundheitsstandorts Baden-Württemberg gegen Pandemiefälle

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Langfristige Sicherung des Gesundheitsstandorts Baden-Württemberg gegen Pandemiefälle
Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg

Langfristige Sicherung des Gesundheitsstandorts
   Baden-Württemberg gegen Pandemiefälle
 Empfehlungen für die Bereiche systemrelevante Arzneimittel- und Medizintechnikprodukte,
           ihre Kostenerstattung und regulatorische, wettbewerbsrechtliche und
                         beihilferechtliche Rahmenbedingungen

                                         Januar 2021
Langfristige Sicherung des Gesundheitsstandorts Baden-Württemberg gegen Pandemiefälle
zusammengestellt von der Sprechergruppe des
                     Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg

         Professor Dr. Mark Dominik Alscher (Robert-Bosch-Krankenhaus GmbH)
             Professor Dr. Ingo B. Autenrieth (Universitätsklinikum Heidelberg)
              Professor Dr. Dr. Melanie Börries (Universitätsklinikum Freiburg)
               Professor Dr. Hanns-Peter Knaebel (Röchling SE & Co. KG)
              Professor Dr. Nisar Peter Malek (Universitätsklinikum Tübingen)
Carola Maute-Stephan (Verband der Chemischen Industrie Landesverband Baden-Württemberg e. V.,
                        Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V.)
                     Professor Dr. Hagen Pfundner (Roche Pharma AG)
   Bernd Rühle (Diakonie-Klinikum Stuttgart Diakonissenkrankenhaus und Paulinenhilfe gGmbH)
           Professor Dr. Katja Schenke-Layland (Universitätsklinikum Tübingen,
         NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen)

                   und Vertretern der gesetzlichen Krankenversicherung

                 für die AOK Baden-Württemberg: Dr. Holger Pressel
    und für die B 52-Verbändekooperation Baden-Württemberg: Carlos Philipp

                                   mit Unterstützung durch

           Professor Dr. Ralf Kindervater (BIOPRO Baden-Württemberg GmbH)
                 Professor Dr. Frederik Wenz (Universitätsklinikum Freiburg)

                           und dem Team der Geschäftsstelle des
                   Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg

         Das hier vorgelegte Papier soll bei der Ableitung von Vorkehrungen
        für kommende Pandemiewellen sowie zukünftige Pandemien helfen.
Zielsetzungen

In der Besprechung zur Corona-Pandemie zwischen          für den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg
Herrn Ministerpräsident Kretschmann und der              eingebracht werden. In diesen Handlungsemp-
Themensprechergruppe des Forums Gesundheits-             fehlungen werden – neben Impfstoffen, Arznei-
standort Baden-Württemberg am 21. April 2020             mitteln und Medizintechnik – auch der Bedarf in
betonten die Teilnehmenden, dass der Gesundheits-        anderen Themenbereichen berücksichtigt, die für
standort Baden-Württemberg den Schutz der Bevöl-         einen Gesundheitsstandort mit einer flächendecken-
kerung nicht nur in der aktuellen Situation, sondern     den, bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen
auch in zukünftigen Pandemien bewältigen muss.           medizinischen und pflegerischen Versorgung rele-
Das im Jahr 2018 von Herrn Ministerpräsident             vant sind. Dazu gehören beispielsweise die Bereiche
Kretschmann ins Leben gerufene Forum vereint             Dienstleistung, Handwerk und Internationalisierung
inzwischen rund 500 Akteure aus den Bereichen            der Gesundheitswirtschaft.
Gesundheitsforschung, -wirtschaft und -versorgung.
                                                         Es hat sich gezeigt, dass nachstehende Themen-
Die gegenwärtige Corona-Pandemie hat eindrücklich        stellungen, die für die aktuelle Corona-Pandemie
gezeigt, dass für den Schutz der Bevölkerung Arznei-     als Grundlage dieser Handlungsempfehlungen ana-
mittel (insbesondere Impfstoffe), Medizinprodukte,       lysiert wurden, für jede kommende Pandemie zu
Desinfektionsmittel und Labordiagnostik in aus-          analysieren sind:
reichender Menge zur Verfügung stehen müssen.
Sie sind vor allem für die Akutbehandlung der an         1. Systemrelevante Gesundheitsprodukte (Medizin-
COVID-19 Erkrankten – beispielsweise im Bereich der         technik, Pharmaprodukte, insbesondere Impfstoffe),
Intensivmedizin – essenziell, auch wenn es bisher kaum   2. Kostenerstattungsmodalitäten,
gezielte Therapien gibt und Impfstoffe gegen SARS-       3. Vorhandene Unternehmen in Baden-Württemberg
CoV-2-Infektionen noch nicht in ausreichendem               bzgl. Produktionskompetenzen und Kapazitäten,
Umfang zur Verfügung stehen. Um die Wider-               4. Regulatorische Rahmenbedingungen: Auslegungs-
standsfähigkeit (Resilienz) des Gesundheitsstandorts        möglichkeiten der bestehenden Regularien oder
gegen Krisen wie die Corona-Pandemie zu stärken,            erforderliche Anpassungen/Änderungen und wettbe-
die Versorgung mit den notwendigen Produkten und            werbsrechtliche und beihilferechtliche Regelungen.
Techniken abzusichern und Engpässe zu vermeiden,
ist eine langfristige und ausreichende Produktion von
Wirkstoffen bzw. Arzneimitteln, Impfstoffen und
hochtechnologischen Medizinprodukten im Land ent-
scheidend. Dazu wurden die relevanten Produkte und
Leistungen aus dem Bereich der Gesundheitsindustrie
identifiziert und ihr erforderlicher Bedarf ermittelt.

Die Pandemie-Empfehlungen sollen zur spezifischen
Ergänzung der strategischen Handlungsempfehlungen

                                                                                                                 3
Generelle
               Handlungsempfehlungen

    Aktive Standortpolitik –                               ist. Im Zusammenspiel mit der nationalen und
    Mit Gesundheit an der Spitze                           der europäischen Ebene geht es nun darum, die
    Baden-Württemberg belegt bundesweit im Bereich         Lieferketten bezogen auf Diversifizierung und
    von Pharma- und Medizinprodukten den ersten Rang;      Robustheit zu untersuchen bzw. im anderen Fall
    im Bereich Chemie steht das Land an dritter Stelle.    den Produktionsstandort Baden-Württemberg ent-
    Das Land ist auch ein starker Produktionsstandort,     sprechend zu stärken. Im letzteren Fall könnten
    rund 50 Prozent der Bruttowertschöpfung der            beispielsweise Produzenten der relevanten Produkte
    Gesundheitsindustrie in Baden-Württemberg kom-         und Zulieferer von Vorstufen mit potenziellen
    men aus der Produktion. Diese herausragende            Lohnfertigern zusammengebracht werden, wofür das
    Position wird nicht unbedingt mit dem Südwesten        Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg
    in Verbindung gebracht. Gemeinsames Ziel aller         ideale Voraussetzungen bietet.
    Akteure muss es daher sein, diese Bedeutung noch
    stärker zu vermitteln und bekannt zu machen.           Somit würde die Versorgungssicherheit mit pan-
    Diese aktive Standortpolitik braucht es, um quali-     demierelevanten     Produkten    durch    lokalen
    fizierte Fachkräfte für Wissenschaft, Wirtschaft und   Einkauf in Baden-Württemberg unmittelbar auch
    Versorgung zu sichern und innovative Produkte und      Wirtschaftsförderung vor Ort bedeuten und ent-
    Dienstleistungen, die für eine Pandemievorsorge        sprechende Produktionskapazitäten im eigenen
    wichtig sind, erfolgreich auf den regionalen, natio-   Land absichern.
    nalen und internationalen Märkten zu platzieren.
    Dazu sollten die Stärken von und die vorhandenen       Regularien auf allen Ebenen –
    Möglichkeiten in Baden-Württemberg herausge-           Rahmenbedingungen unter die Lupe nehmen
    arbeitet werden.                                       Lehren aus der Corona-Pandemie zu ziehen, heißt
                                                           auch, die regulatorischen Rahmenbedingungen zu
    Transparenz über relevanten Bedarf –                   überprüfen. Beispielsweise, wenn es um Anreize
    Produktionsstandort Baden-Württemberg stärken          für die heimische, wirtschaftliche Produktion von
    Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Wirtschaft       Wirkstoffen geht. Hier gilt es, Wege für mehr
    und Versorgung in einer globalisierten Welt abhän-     Produktionssicherheit zu finden. Ein weiterer
    gig von Komponenten und Materialien aus dem            Ansatz ist die Evaluierung von Liefer- und Ver-
    Ausland sind. Und sie hat auch gezeigt, wie fragil     sorgungsengpässen. Auch die Verfügbarmachung
    solche Lieferketten sind. Ziel ist es, aus diesen      von Daten für die Forschung ist ein wichtiger
    Erfahrungen zu lernen und in Zukunft unabhän-          Baustein. Hier engagiert sich das Land, um neue
    giger von Importen zu werden. Dazu gilt es, den        Standards zu etablieren. Zusätzlich spielen auch
    relevanten Bedarf im Bereich Medizintechnik und
                                                  1
                                                           Patentregelungen für Arzneimittel eine Rolle. Die
    Wirkstoffe2 zu bestimmen und darüber zu befin-         bestehenden Möglichkeiten, Einführungszeiten
    den, inwieweit der Aufbau bzw. die Erweiterung         von neuen Impfstoffen zu verkürzen, ohne die
    von Produktionskapazitäten oder eine entsprechen-      Patientensicherheit zu vernachlässigen, sollten
    de Bevorratung sinnvoll und finanziell leistbar        genutzt werden.

4
Spezielle
                                                                  Handlungsempfehlungen

Dialog, Translation und Digitalisierung –               Baden-Württemberg – Starker
Innovationen und Start-ups fördern                      Produktionsstandort: erhalten und ausbauen
Das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württem-
berg fördert Dialog und Netzwerkarbeit zwischen         1. Forschungsstandort sichern/
Wissenschaft, Wirtschaft und Versorgung einschließ-        Zusammenarbeit stärken
lich der Kostenträger. Ziel ist es, das Denken in          Als Erfinderland ist Baden-Württemberg auch
Fachdisziplinen und Zuständigkeiten aufzubrechen           einer der bedeutendsten Forschungsstandorte
und dadurch Innovationen zu ermöglichen. Dabei             für die Gesundheitswirtschaft. In der Forschung
spielt die Translation innovativer Ansätze in die          und Entwicklung innovativer Produkte enga-
Anwendung eine große Rolle. Baden-Württemberg              gieren sich neben den Universitäten sowohl
kommt zugute, dass es eines der führenden Länder           Großunternehmen als auch zahlreiche mittel-
der etablierten Gesundheitsindustrie ist und zudem         ständische Unternehmen und anwendungs-
gefragt, wenn es um Gründung und Ansiedlung                nahe Forschungsinstitute, beispielsweise der
von Start-up-Unternehmen geht. In diesem Zu-               Innovationsallianz Baden-Württemberg. Der
sammenhang ist der Frage nachzugehen, welche               Austausch unter den Beteiligten sollte intensi-
sinnhaften pandemiespezifischen Ausnahmen von              viert werden.
EU-subventionsrechtlichen Vorgaben es geben
kann. Beispielsweise sind die Digitalisierung und der      Die Dauer von der Entwicklung bis zum Markt-
Einsatz von Telemedizin, Robotik, KI (Künstlicher          eintritt – Time-to-Market – sollte minimiert wer-
Intelligenz) oder Personalisierter Medizin im              den, ohne die Sicherheit und den Nutzen von
Gesundheitswesen des Landes bereits im Prozess             Produkten zu vernachlässigen.
der Etablierung und müssen in den Anwendungen
weiter vorangebracht werden, die im System bereits      2. Verlässlichen Schutz geistigen Eigentums
belegbare, positive Nutzenbewertungen durchlau-            sicherstellen (Patentschutz/Supplementary
fen haben. Im Anschluss bleibt eine Verbreitung in         Protection Certificates SPC)
der Fläche die Gemeinschaftsaufgabe der Akteure.           Baden-Württemberg sollte den gegenläufigen Inte-
                                                           ressen auf EU-Ebene entgegentreten und auf den
                                                           Bestand derzeitiger Bestimmungen bestehen.

                                                        3. Fördermittel des Bundes/
                                                           der EU nach Baden-Württemberg holen
                                                           Wenn tatsächliche Fördermittel des Bundes und
                                                           der EU zur Verfügung gestellt werden, muss Baden-
                                                           Württemberg alles daransetzen, diese nach Baden-
                                                           Württemberg zu holen. Hier bestehen die besten
                                                           Voraussetzungen, die Fördermittel effizient und
                                                           erfolgreich einzusetzen. Der Einsatz öffentlicher

                                                                                                               5
Mittel in den Bereichen Produktentwicklung bzw.              der Versicherten in Baden-Württemberg
       Produktionsaufbau bereits etablierter bzw. neu-              bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit erhö-
       er Produkte (z.B. für Wirkstoffe und Medizin-                hen, sollten durch regionale Vereinbarungen
       technikprodukte) ist ein „Return on Investment“              unterstützt und gefördert werden.
       zugunsten der Solidargemeinschaft.
                                                                 5.2 Bundesebene
    4. Digitalisierung vorantreiben/                                Weiterentwicklung der Ausschreibung der
       Technologieführerschaft anstreben                            Rabattverträge von Arzneimitteln um qua-
         Ermöglichung der verantwortungsbewussten                   litative Aspekte wie etwa Umwelt- und
         Datenfreigabe/Datennutzung durch Patien-                   Arbeitsschutzstandards.
         tinnen und Patienten.                                      Änderungsanzeigen bei der Arzneimittel-
         Interoperabilität der Generierung, Übermittlung,           zulassung, z. B. wegen Lieferantenausfall, ver-
         Speicherung und Anwendung von Daten durch                  einfachen und beschleunigen.
         harmonisierte Standards anstreben.                         Patentschutz im vorhandenen Umfang sichern.
         Ausstattung von Krankenhäusern und ambulan-                Arzneimittel-Regularien im Pandemiefall fle-
         tem Bereich mit notwendigen technischen                    xibel handhaben, unter Berücksichtigung der
         Voraussetzungen, systematisierte Nomenklatur,              Patientensicherheit.
         Vereinheitlichung der Dokumentationssysteme,
         Definition von Mindeststandards an Datenqualität.    6. Medizinprodukte/Diagnostika
         Vernetzung digitaler Lösungen und Sicherstell-            Die EU-Verordnungen über Medizinprodukte
         ung der Erstattungsfähigkeit.                             (MDR) und In-vitro-Diagnostika (IVDR) –
         Orientierung aller Aktivitäten der Digitalisierung        pragmatische und flexible Umsetzung unter
         an den vordringlichen Entwicklungsbedürfnissen            strikter Beachtung der Patientensicherheit und
         einer zukünftigen, übergeordneten Versorgungs-            des Wirtschaftlichkeitsgebots.
         strategie, etwa Personalisierte Medizin und inte-         Weiterentwicklung des Verfahrens zur Bewertung
         grierte Versorgungskonzepte.                              neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
                                                                   (NUB) im stationären Sektor.
    5. Verbesserungen der Rahmenbedingungen                        Zeitnahe Erstattung für Companion Diagnostics
                                                                   als Basis der Personalisierten Therapie unter
       5.1 Landesebene                                             strikter Beachtung der Patientensicherheit und
          Die Durchführung von flexiblen und mög-                  des Wirtschaftlichkeitsgebots.
          lichst schnellen Behördenentscheidungen
          weiter verbessern.                                  7. Sicherung von Fachkräften
          Beschleunigung der Genehmigungsverfahren                 Attraktivität der Berufe steigern.
          bei Gewährleistung von Qualitätssicherung                Attraktivität der Standorte steigern, beispiels-
          und Patientenschutz.                                     weise die Erreichbarkeit verbessern.
          Arzneimittel, welche die Versorgungsqualität

6
Quellen                                                      Impressum

1
    https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/list-covid-   Herausgeber im Auftrag des Sprecher- und
    19-essential-medical-devices_en.pdf                      Redaktionskreises des Forums Gesundheitsstandort
                                                             Baden-Württemberg:
2
    https://www.bfarm.de/DE/Ser vice/Presse/
    Themendossiers/ Coronavirus/Anlagen/ICU-                 Geschäftsstelle des Forums Gesundheitsstandort
    Wirkstoffe_200_Prozent.pdf?__blob=publicationFi-         Baden-Württemberg bei der
    le&v=4                                                   BIOPRO Baden-Württemberg GmbH

                                                             Telefon: 0711 218185-00 | -31
                                                             E-Mail: info@bio-pro.de | forum.gsbw@bio-pro.de
                                                             www.bio-pro.de | www. forum-gesundheitsstandort-bw.de

                                                             Lektorat:
                                                             Dr. Petra Neis-Beeckmann

                                                             Bildnachweise:
                                                             Titelbild: © slonme/AdobeStock

                                                             Gestaltung:
                                                             Designwerk Kussmaul, Weilheim an der Teck

                                                             1. Auflage, 100 Stück, Stand: Januar 2021

                                                                                                                     7
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