Gesundheitsgefahren im Betrieb sind ein Arbeitsschutzthema
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DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie „Gesundheitsgefahren im Betrieb sind ein Arbeitsschutzthema“ Key Facts Autorin und Autor • Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind gefordert, den SARS-CoV-2- Jutta Lamers Arbeitsschutzstandard des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) Martin Hartenbach branchenspezifisch anzupassen • Präventionsfachleute der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohl- fahrtspflege (BGW) und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) erläutern ihren Umgang mit der Pandemie • Ausgehend von den Bedürfnissen der Betriebe werden Handlungshilfen entwi- ckelt und regelmäßig überprüft Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haben die Aufgabe, den SARS-CoV-2-Arbeits- schutzstandard des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) für die verschiede- nen Branchen zu spezifizieren. Wie machen sie das? Zwei Beispiele und ein Gespräch mit Jutta Lamers, Leiterin Prävention bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), und Martin Hartenbach, Bereichsleiter Prävention bei der Sozialver- sicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). Frau Lamers, wie hat die BGW generell gen haben wir außerdem eine Corona-Hot- die Kolleginnen und Kollegen weiter von auf die Corona-Pandemie reagiert? line eingerichtet. zu Hause aus arbeiten. Lamers: Bei der BGW sind viele Berufs- gruppen versichert, die von der ersten Wichtig war es uns darüber hinaus, hin- Von außen sind ab Mitte März Anfragen Minute an sehr gefordert und dem In- sichtlich der psychischen Belastungen in der Betriebe vor allem zum Thema Saison- fektionsrisiko ausgesetzt waren, weil sie der Krisensituation konkrete, schnelle arbeit bei uns eingegangen, auf die wir re- Patienten medizinisch versorgen, pflegen Unterstützung für Versicherte anzubie- agiert haben. Landwirtschaftsministerin und behandeln. Schnell wurde klar, dass ten. Innerhalb kurzer Zeit haben wir für Klöckner hat das Thema Saisonarbeiter ja unsere Versicherten einen hohen Bera- unterschiedliche Zielgruppen passende schon früh angesprochen und es wurde be- tungsbedarf hatten. Die Besorgnis der Angebote entwickelt, zum Beispiel die te- schlossen, dass Saisonarbeiterinnen und Versicherten wuchs noch, als der Mangel lefonische Krisenberatung für BGW-Versi- -arbeiter weiterhin einreisen dürfen. an persönlicher Schutzausrüstung oder cherte oder das Krisen-Coaching per Video Desinfektionsmitteln das Infektionsrisi- oder Telefon für Führungskräfte. Frau Lamers, wir wollen in diesem Inter- ko erhöhte. view das Augenmerk auf das ebenfalls Herr Hartenbach, wie ist die SVLFG der bei der BGW versicherte Friseurhand- Daher haben wir unsere Beratungsleistun- Pandemie begegnet? werk richten. Welche Anfragen kamen gen stark ausgebaut, um unsere Versicher- Hartenbach: Da möchte ich zwei Ebenen aus den Betrieben? ten zu unterstützen. Unsere Corona-Info- unterscheiden: die Maßnahmen nach in- Lamers: Die Anfragen waren sehr vielfältig. seite www.bgw-online.de/corona hat sich nen und nach außen. Kurz nach der TV- Drei Hauptthemen standen im Mittelpunkt: sehr schnell zu einer wichtigen Informa- Ansprache der Kanzlerin haben wir am der Versicherungsschutz, der Infektions- tionsplattform entwickelt. Auf diesem Weg 23. März unseren Außendienst eingestellt schutz bei der Arbeit und die Verantwor- können wir die Betriebe und Versicherten und unser Personal im Innendienst – rund tung der Unternehmerinnen und Unterneh- zeitnah informieren und so auf die dynami- 2.000 Personen – ins Homeoffice geschickt. mer für ihre Beschäftigten, Kundinnen und sche Entwicklung der Corona-Krise schnell Das war eine große Herausforderung für Kunden. Konkrete Fragen lauteten zum Bei- reagieren. Zur Beantwortung konkreter Fra- unsere IT-Abteilung. Bis Ende Juni werden spiel: Gilt der Versicherungsschutz, wenn 38
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Ziel war es, schnell eine branchenspezifische Hand- lungshilfe insbesondere für kleine und mittelständi- sche Unternehmen bereitzustellen.“ Jutta Lamers branchenbezogener Standards oder Foto: BGW/Jan Haeselich Schutzausrüstung fehlt? Wie kommt es zu einer Infektion und was muss ich tun, um haben Sie bereits vorher die Notwen- mich zu schützen? Welche Schutzausrüs- digkeit gesehen, einzelnen Branchen tungen muss der Unternehmer seinen Be- spezielle Hinweise zum Infektionsschutz schäftigten zur Verfügung stellen? zu geben? Lamers: Von Beginn der Corona-Pande- Für besonders häufige Fragen aus den Fri- mie an wurden aufgrund der vielfachen seurbetrieben haben wir inzwischen on- Anfragen der Unternehmen und Erkennt- line eine FAQ-Liste mit Antworten veröf- nisse aus den Beratungen durch die Prä- fentlicht. ventionsdienste branchenspezifische Infor- mationen online auf der Corona-Infoseite Herr Hartenbach, welche Fragen kamen der BGW präsentiert. Ziel war es, schnell aus Ihrem Bereich? branchenspezifische Handlungshilfen ins- Hartenbach: Wir haben ein elektronisches besondere für kleine und mittelständische Dokumentationssystem für unsere Bera- Unternehmen bereitzustellen. tungen und Besichtigungen. Darüber ha- Jutta Lamers, Leiterin Prävention bei der ben wir auch alle betrieblichen Anfragen Zuerst erstellten wir Branchenseiten für Berufsgenossenschaft für Gesundheits- zu Corona erfasst, zwischen Mitte März und therapeutische Praxen, Apotheken, für dienst und Wohlfahrtspflege (BGW) Anfang Mai waren es rund 700. Dabei iden- Hebammen und Kindertagesstätten, letz- tifizierten wir drei Branchen, die offenbar tere auch in Abstimmung mit der Kommu- Foto: Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) einen sehr hohen Informationsbedarf hat- nalen Unfallversicherung Bayern. Danach ten: der Garten- und Landschaftsbau, die wurden Zug um Zug für alle Branchen der Forstwirtschaft und der Gemüsebau. Es BGW Hilfen und Informationsangebote ver- ging vor allem darum, wie der Mindest- öffentlicht. All diese Arbeiten sind ebenfalls abstand bei der Zusammenarbeit gewahrt in die Branchenstandards eingeflossen. oder wie ein möglichst sicherer Transport der Beschäftigten zum Arbeitsort gewähr- Mit der Schließung von Dienstleistungs- leistet werden kann. unternehmen, wie den Friseurbetrieben, begannen bei der BGW die Vorbereitungen Diese Auswertung der Anfragen hat uns für die Wiedereröffnung einzelner Bran- dazu bewogen, für die drei Branchen Mus- chen. Hier ging es zunächst um das Friseur- terbetriebsanweisungen und Checklisten handwerk, also um die Beantwortung der als Ergänzung zur Gefährdungsbeurteilung Frage, mit welchen Schutzmaßnahmen für zu entwickeln. die Beschäftigten eine Wiederaufnahme der Friseurtätigkeit möglich werden kann. Martin Hartenbach, Bereichsleiter Frau Lamers, gab die Publikation des Prävention bei der Sozialversicherung für Arbeitsschutzstandards durch das Wie sind Sie an die Konzeption einer Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau BMAS den Ausschlag für die Erstellung Handlungshilfe herangegangen? Gab es (SVLFG) 39
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Die Unfallversicherungsträger haben eine hohe Branchen- kompetenz und genau die ist bei der Konkretisierung des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards von großer Bedeutung.“ Jutta Lamers Kontakt zur Politik oder Organisationen? wie des Forschungsbereichs der BGW, das ventionsdienste und Arbeitsmedizinerin- Hartenbach: Wir haben uns mit verschie- Fachwissen der beteiligten Partner und nen und -mediziner erforderten. denen Institutionen abgestimmt. Eine anderer Institutionen , etwas das Robert Grundlage war das „Konzeptpapier Saison- Koch-Institut (RKI, Anm. d. Red.) oder die Die Rückmeldungen aus den Betrieben wa- arbeiter“, welches das Landwirtschaftsmi- Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar- ren insgesamt äußerst zufriedenstellend. nisterium zusammen mit dem Innenminis- beitsmedizin (BAuA, Anm. d. Red.). Hinzu Unser Angebot aus umfassenden Online- terium verfasst hat. Es definiert Standards kamen wissenschaftliche Studien zu ein- Informationen und -Handlungshilfen für für die Einreise von Saisonarbeitern und zelnen Themen und politische Vorgaben die erste Orientierung und einer ausführ- Unterkunftsregelungen. Parallel haben wir wie der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard lichen telefonischen Beratung für vertie- auch das Gespräch mit verschiedenen Län- des BMAS. fende Fragestellungen wurde offenbar als derministerien gesucht. Diese Abstimmung sehr hilfreich empfunden. war nicht ganz einfach, denn einzelne Län- Wie sehen diese Handlungshilfen aus? der weichen in ihren Regelungen vom Stan- Hartenbach: Sie bauen systematisch auf- Hartenbach: Konkrete Nachfragen zu den dard der Bundesministerien ab. einander auf. Die Basis bilden allgemeine Musterbetriebsvereinbarungen und zum FAQ. Darauf aufbauend gibt es Hinweise Thema Gefährdungsbeurteilung haben uns Hinzu kamen dann selbstverständlich die zum Arbeitsschutz: Was muss der Betrieb gezeigt, dass unsere Hinweise wahrgenom- Sozialpartner, das sind die betroffenen bei einer Pandemie beachten? In einem men worden sind. Eine sehr hohe Nach- Berufsverbände und Gewerkschaften. In dritten Schritt erläutern wir dann, wie sich frage gab es bei den Informationen in den diesem Netzwerk haben wir unsere Hand- die Infektionsgefahr auf die Arbeitsorga- verschiedenen Landessprachen der Saison- lungshilfen abgestimmt. nisation und das Arbeitsschutzmanage- arbeiter. Das gilt insbesondere für das Pla- ment auswirkt und was dabei zu beachten kat mit den wichtigsten Hygieneregeln, das Lamers: Auch für uns war die Einbindung ist. Alle Informationen stehen auf unserer wir auch in mehreren Sprachen anbieten. anderer Organisationen sehr wichtig, um Homepage zur Verfügung. Darüber hinaus aktuelles und erweitertes Fachwissen und weisen aber auch alle Branchenverbände Ausländische Saisonarbeiter bekommen praxisbezogene Hinweise ausreichend zu direkt darauf hin. So ist eine breite Streu- ja in der Regel Unterkünfte gestellt. Das berücksichtigen. Bei der Erstellung der In- ung garantiert. ist eine zusätzliche Herausforderung für formationsmaterialien und Beratungsan- den Infektionsschutz. Wie reagieren Sie gebote für die Unternehmen haben wir das Haben Sie Reaktionen aus den Betrie- darauf? Wissen beziehungsweise die Unterstützung ben bekommen? Hartenbach: Wir arbeiten schon seit Jah- verschiedener Institutionen und Partner Lamers: Die Rückmeldungen aus den Un- ren mit den Unternehmen daran, die Stan- einbezogen: Unfallversicherungsträger, ternehmen haben uns gezeigt, dass die dards für die Unterkünfte zu verbessern, Unternehmensverbände, Sozialpartner, Online-Informationen hilfreich für we- und haben da schon viel erreicht. Wir be- staatliche Stellen und wissenschaftliche sentliche Erstinformationen waren. Infol- raten die Betriebe und kontrollieren auch Institute. gedessen gingen in den Präventionsdiens- die Situation vor Ort. Das gilt im Übrigen ten eher sehr betriebsspezifische Anfragen auch für unsere aktuellen Corona-Arbeits- Die inhaltlichen Grundlagen für unsere zu Abläufen, Gefährdungen und Schutz- schutzstandards. Gesundheitsgefahren Empfehlungen waren das Expertenwis- maßnahmen ein, die meist eine intensivere im Betrieb sind ein Arbeitsschutzthema sen der Präventionsdienste der BGW so- telefonische Beratung durch unsere Prä- und fallen damit nach den gesetzlichen 40
DGUV Forum 5-6/2020 Schwerpunkt Pandemie Für die SVLFG war es sehr gut, dass die Unfallver- sicherungsträger schnell und gemeinsam agiert haben.“ Martin Hartenbach Vorgaben in den Verantwortungsbereich zogene Umsetzungsoptionen oder politi- versicherungsträger auf Ebene der DGUV der gesetzlichen Unfallversicherung. Seit sche Vorgaben werden auch weiterhin zu eingerichtet, in denen auch Fachleute der dem 11. Mai führen wir auch wieder Be- Aktualisierungen von Branchenstandards, BGW tätig sind. Es zeigt sich, dass die gute triebsbesichtigungen – unter besonde- etwa für das Friseurhandwerk, führen. Da- Zusammenarbeit unter den Unfallversiche- ren Bedingungen – durch. Die Betriebe bei besteht ein Austausch mit Vertretern rungsträgern eine große Stärke ist bei der mit Saisonarbeitskräften stehen dabei der Länder und des Bundes zur Abstim- Erarbeitung von branchenbezogenen Ar- im Fokus. mung der Maßnahmen. beitsschutzstandards. Überprüfen Sie Ihre Handlungshilfen Wie bewerten Sie insgesamt die Initiati- Hartenbach: Ja, das war der richtige regelmäßig? ve des BMAS, den Unfallversicherungs- Schritt. Gesundheitsschutz ist auch Ar- Hartenbach: Es war wichtig, früh zu re- trägern auf der Basis des allgemeinen beitsschutz, sobald die betriebliche Pra- agieren und dann lange stabil zu bleiben. SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards die xis ins Spiel kommt. Und die Träger der Häufige Veränderungen in den Empfeh- Ausgestaltung konkreter Hinweise für gesetzlichen Unfallversicherung haben die lungen verwirren die Verantwortlichen in die Branchen zu überlassen? notwendige Nähe zu den betrieblichen Ak- den Betrieben eher, als dass sie nutzen. Lamers: Die Initiative des BMAS begrüße teuren, um gute Hinweise für die Praxis zu Sicherheit und Ruhe ist derzeit, glaube ich, ich sehr. Die Unfallversicherungsträger ha- erarbeiten. Für die SVLFG war es sehr gut, allererstes Gebot. Aber natürlich behalten ben eine hohe Branchenkompetenz und dass die Unfallversicherungsträger schnell wir die aktuellen Entwicklungen im Infek- genau die ist bei der Konkretisierung des und gemeinsam agiert haben. Über den ge- tionsgeschehen im Blick, um reagieren zu SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards von meinsamen Steuerkreis sind wir jetzt gut können, wenn es wesentliche Änderungen großer Bedeutung. Wir übernehmen die eingebunden in die Diskussion und Wei- geben sollte. Aufgabe sehr gern, praxisgerechte Maß- terentwicklung des Standards. ← Lamers: Die wissenschaftliche Studienla- nahmen zum Schutz der Beschäftigten in ge, die Entwicklung der Infektionen, ver- den Mitgliedsunternehmen der BGW fest- Vielen Dank für das Interview, öffentlicht durch das RKI, werden durch zulegen. Die Nähe zu unseren Mitglieds- Frau Lamers und Herr Hartenbach. den Forschungsbereich der BGW intensiv betrieben sowie den Vertreterinnen und beobachtet und ausgewertet. Durch die Vertretern der Branche sind dabei sehr Das Interview führte Elke Biesel, Deutsche Mitarbeit in staatlichen Gremien werden hilfreich. Natürlich erfordert es auch eine Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). aktuelle Diskussionen, Beratungsergeb- Abstimmung zwischen den Unfallversiche- nisse und Erkenntnisse ebenfalls mit den rungsträgern, insbesondere wenn mehrere Präventionsleistungen der BGW abgegli- Unfallversicherungsträger für Versicher- chen und bei Bedarf angepasst. te einer Branche zuständig sind. Um hier eine gute Zusammenarbeit zu ermögli- Die Änderungen des Infektionsgeschehens, chen, wurden frühzeitig ein Steuerkreis wissenschaftliche Erkenntnisse, praxisbe- und mehrere Arbeitsgruppen der Unfall- 41
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