LBBW Blickpunkt: Die zweite Corona-Welle - Zwischen "Lockdown"-Sorgen und Impfstoffhoffnungen
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13.10.2020 Uwe Burkert, Chefvolkswirt, Leiter des Bereichs Research Autoren: Rolf Schäffer, CIIA, Gruppenleiter Strategy/Macro Martin Güth, CQF, Senior Economist Dr. Jens-Oliver Niklasch, Senior Economist Dr. Timo Kürschner, Senior Investment Analyst LBBW Blickpunkt: Die zweite Corona-Welle Zwischen „Lockdown“-Sorgen und Impfstoffhoffnungen ERSTELLT AM: 13.10.2020 10:29 ERSTMALIGE WEITERGABE: 13.10.2020 10:52
Agenda I. Corona-Krise: Der Fokus verschiebt sich wieder Richtung Europa. Was unterscheidet die aktuelle Welle von der ersten? II. Eindämmungsmaßnahmen: Welche Maßnahmen werden aktuell verschärft? Was wird heute anders gemacht? III. Konjunktur: Wie schlimm trifft die zweite Welle die Wirtschaft in besonders betroffenen Ländern? Frankreich, Italien und Spanien im Blick. IV.Impfstoff: Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung? Wann könnte die Pandemie enden? 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 2
I. Corona-Krise: Der Fokus verschiebt sich wieder Richtung Europa. Was unterscheidet die aktuelle Welle von der ersten? • Die Corona-Neuinfektionszahlen steigen weltweit weiter an. Der Schwerpunkt der Infektionen hat sich dabei im Zeitablauf immer wieder verschoben. Aktuell geben speziell die Meldungen aus Europa Anlass zur Sorge. • Ist die Situation schlimmer als im Frühjahr? In einigen Ländern Europas wurden bei den registrierten Neuinfektio- nen die Höchststände aus dem Frühjahr zwar aktuell über- schritten. Die Anzahl der Corona-Todesfälle liegt jedoch sehr deutlich unter den Werten aus dem Frühjahr. • Was ist der Grund? Durch eine höhere Testintensität fällt u.E. die Dunkelziffer bei den Neuinfektionen, verglichen mit dem Frühjahr, sehr wahrscheinlich deutlich niedriger aus. Unsere These lautet: Wir erleben zwar eine zweite Welle in Europa; die tatsächlichen Neuinfektionszahlen liegen aber noch unter denen des Frühjahrs. • Einer amerikanischen Meta-Studie zu Folge hat Covid-19 in den USA eine Infektionssterblichkeit von 0,8%. Dies ist 16-mal so viel wie bei der Influenza. Die Studie zeigt, dass die Covid-19-Sterblichkeit sehr stark vom Alter abhängt. In der Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren liegt die Rolf Schäffer, CIIA Martin Güth, CQF Covid-19-Sterblichkeit ungefähr so hoch wie bei der Gruppenleiter Strategy/Macro Senior Economist Tel: +49 711 127–76580 Tel: +49 711 127–79603 Influenza: bei rund 0,05%. In der Alterskohorte über 75 rolf.schaeffer@LBBW.de martin.gueth@LBBW.de bis 84 Jahren klettert die Todesfallrate indes auf 7,3%, bei den Erkrankten im Alter über 85 Jahren auf rd. 30%. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 3
Corona-Krise: Der Fokus verschiebt sich wieder Richtung Europa Anteile an den täglichen Neuinfektionen auf Basis des 7-Tage-Mittelwerts 100% • Der Schwerpunkt der Corona- Fokus Infektionen hat sich im Zeit- ablauf immer wieder Iran verschoben: Bis Anfang März Fokus konzentrierten sich die Europa Neuinfektionen fast ausschließ- 75% lich auf Asien, speziell China. Fokus • Mit dem Ausbruch in Italien Fokus USA rückte Europa in den Mittel- Europa punkt. Mit leichtem zeitlichen Nachlauf kam es dann auch in 50% den Vereinigten Staaten zu Fokus massiv steigenden Fallzahlen. China Fokus • Durch umfangreiche „Lock- Fokus Südamerika downs“ gelang zwar ein 25% USA/NY erfolgreiches Zurückdrängen des Virus in Europa. Aktuell geben allerdings deutlich Fokus steigende Neuinfektionszahlen Indien wieder Anlass zur Sorge. 0% 02/2020 03/2020 04/2020 05/2020 06/2020 07/2020 08/2020 09/2020 10/2020 Asia/Pacific Central/South America North America Europe Middle East/North Africa Subsaharan Africa Quelle: Bloomberg, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 4
Europa treibt aktuell die Neuinfektionszahlen nach oben Wöchentliche Neuinfektionszahlen (in Tsd.) • Nach einer kurzen Topbildung Ende Juli / Anfang August steigen die Ansteckungszahlen weltweit nun wieder. • Nach sehr niedrigen Ansteckungszahlen bis Anfang Juli ist Europa zuletzt wieder in den Fokus gerückt. • In einigen Ländern wurden die Höchststände bei den Neu- infektionen aus dem Frühjahr zwar jüngst überschritten. Die Anzahl der Corona-Todesfälle liegt jedoch deutlich unter den Vergleichswerten aus dem Frühjahr. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 5
Die Lage in Amerika hat sich ein wenig stabilisiert; besondere Sorgen macht Argentinien Neuinfektionszahlen pro 100 Tsd. Einwohner Summe der jeweils zurückliegenden sieben Tage • Die Corona-Situation in Nord- und Südamerika stellt sich sehr unterschiedlich dar. • Aktuell ist keine homogene Entwicklung zu erkennen. • In einigen zuvor stark betroffenen Ländern (Brasilien, Kolumbien, Chile) stabilisiert sich die Lage. • Nach einer gewissen Entspannungsphase steigen in den Vereinigten Staaten aktuell die Fallzahlen im Trend wieder. • In Kanada und Mexiko liegen die Werte noch unter der 50er- Marke. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 6
In Asien stellt sich die Situation vergleichsweise stabil da; Ausnahme: Israel Neuinfektionszahlen pro 100 Tsd. Einwohner Summe der jeweils zurückliegenden sieben Tage • Die Corona-Lage in Asien erscheint deutlich entspannter als in Europa und Amerika. • Ein extremes Corona-Problem gibt es in Israel. Dort liegt die Anzahl der Neuinfektionen pro 100 Tsd. Einwohner für die jeweils vergangenen sieben Tage bei Werten oberhalb von 300! • Israel ist derzeit das einzige Land, das einen erneuten flächendeckenden „Lockdown“ eingeführt hat. • Nachdem sich die Situation in Russland etwas entspannt hatte, steigen aktuell auch hier die Zahlen wieder an. • In den für die Weltwirtschaft wichtigen ostasiatischen Ländern scheint die Situation unter Kontrolle. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 7
Zweite Welle überrollt Europa Neuinfektionszahlen pro 100 Tsd. Einwohner Summe der jeweils zurückliegenden sieben Tage • Der innerhalb von Deutschland zentrale Schwellenwert von 50 Neuinfektionen kumuliert über sieben Tage pro 100 Tsd. Einwohner wird in einigen großen Ländern Europas klar überschritten. • In Spanien, Frankreich, Großbritannien, Belgien und vor allem den Niederlanden ist die Situation kritisch. • Die Entwicklung in Österreich lässt ebenfalls aufhorchen. • Deutschland, Italien und Schweden stehen trotz Anstieg über die Sommermonate noch vergleichsweise gut da. Nichtsdestotrotz nimmt die Dynamik auch hier gerade deutlich zu. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 8
Deutschland: Situation in den Landkreisen spitzt sich weiter zu 01.07.2020 12.10.2020 • In Deutschland hat sich die Corona-Situation in den vergangenen Wochen deutlich verschlechtert. • Den kritischen Schwellenwert von 50 Fällen pro 100 Tsd. Einwohner innerhalb von sieben Tagen reißen aktuell 44 Landkreise – Tendenz stark steigend. Quelle: RKI, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 9
Ist die Situation schlimmer als im Frühjahr? Wöchentliche Neuinfektions- und Todeszahlen (in Tsd.) • In vielen Ländern Europas wurden die Höchststände bei den Neuinfektionen aus dem Frühjahr zuletzt überschritten. Die Anzahl der Corona- Todesfälle liegt jedoch deutlich unter den Werten aus dem Frühjahr. • Vermutlich lagen die tatsäch- lichen Neuinfektionszahlen im Frühjahr deutlich höher als die offiziell registrierten Fälle. Schätzungen gehen vom Fünf- bis Sechsfachen aus. Die Dunkelziffer war somit im Frühjahr sehr viel größer. • Heute dürften die registrierten Neuinfektionen viel näher an dem tatsächlichen Infektionsgeschehen liegen. Hauptgrund hierfür ist eine wesentlich höhere Testintensität, welche die Dunkelziffer verkleinert hat. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 10
Letalitätsrate: In Deutschland am stärksten zurückgegangen • Lag der Anteil der Todesfälle an den registrierten Fällen in Deutschland zu Beginn der Pandemie bei über 7%, beträgt Todesfälle in % der Neuinfektionen die Rate aktuell 0,6%. der jeweils zurückliegenden vier Wochen • Eine von Prof. Dr. Christian Drosten kürzlich zitierte US- Metastudie beziffert die Infektionssterblichkeit mit 0,8%. • Das Phänomen einer fallenden Letalitätsrate ist weltweit zu beob- achten, was zu einem großen Teil an einer gesunkenen Dunkelziffer liegen dürfte. Zudem haben sich die Behandlungsmethoden ver- bessert. So tief wie in Deutsch- land (und der Schweiz) ist die Todesfallrate indes nirgendwo. • Was sind die Gründe hierfür? 1) Deutschland testet viel. 2) Deutschland verfügt über ein effektives Gesundheitssystem in der Fläche. Es gab immer genug Intensivbehandlungsplätze, jeder schwere Fall konnte adäquat behandelt werden. 3) Zudem könnten Unterschiede in der Altersstruktur der Neu- infizierten in den einzelnen Ländern eine Rolle spielen. In Deutschland haben sich zuletzt vermehrt jüngere Menschen Quelle: Refinitiv, LBBW Research infiziert (siehe Grafik nächste 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick Seite). 11
Infektionssterblichkeit Grippe vs. Covid-19: In Deutschland stecken sich aktuell eher jüngere Menschen an Covid-Fälle / 100 Tsd. Einwohner nach Altersgruppen • Der Anteil jüngerer Menschen bei den aktuell registrieren Neuinfektionen in Deutschland liegt signifikant höher als im Frühjahr. • Einer amerikanischen Meta-Studie zu Folge hat Covid-19 in den USA eine Infektionssterblichkeit von 0,8%. Das ist 16-mal so hoch wie jene der Influenza. Da die US-Bevölkerung im Durchschnitt jünger ist als die deutsche, müssen wir hierzulande mit einer Infektionssterblichkeit rechnen, die sich bei rund 1% bewegt, etwas über der in den USA. • In der Altersgruppe zwischen 35 und 44 Jahren liegt die Covid-19- Sterblichkeit ungefähr so hoch wie bei der Influenza: bei rund 0,05%. In der Altersgruppe von 65 bis 74 liegt sie bei 2,2%; dies ist 30-mal so hoch wie bei der Influenza! In der Alters- kohorte über 75 bis 84 Jahren klettert die Todesfallrate auf 7,3%, bei den Erkrankten im Alter über 85 Jahren Quelle: RKI, LBBW Research auf rd. 30%. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 12
II. Eindämmungsmaßnahmen: Welche Maßnahmen werden aktuell verschärft? Was wird heute anders gemacht? • Die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse zu den Eigenschaften des Virus machen heutzutage ein erheblich zielgenaueres Handeln der Politik zur Eindämmung der Infektionen möglich. • Eine Verschärfung der Maßnahmen scheint insbesondere dann geboten zu sein, wenn die Nachverfolgung von Infektionsketten nicht mehr bewerkstelligt werden kann. Hier gibt es bereits deutliche Warnsignale. Falls gar die Krankenhauskapazitäten knapp würden, wäre eine weitere kritische Stufe erreicht. In Ländern wie Spanien, Niederlanden und Frankreich ist die Auslastung der vorhandenen Intensivbetten bereits teilweise hoch. • Auch hinsichtlich der Testkapazitäten ist die Situation leicht angespannt. • Es gibt das klare Bekenntnis der Politik, keinen neuer- lichen „Lockdown“ einführen zu wollen, sondern die Wirtschaft „am Laufen zu halten“. Hierfür gibt es gute Gründe, und die Politik sollte angesichts der gewonnenen Erfahrungen dazu auch in der Lage sein. • Die Eindämmungsmaßnahmen in Europa betreffen derzeit vor allem Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, sowie Martin Güth, CQF Rolf Schäffer, CIIA Senior Economist Gruppenleiter Strategy/Macro Beschränkungen für Gastronomie und Sport. Die Beein- Tel: +49 711 127–79603 Tel: +49 711 127–76580 trächtigungen hierdurch für die Wirtschaft dürften im martin.gueth@LBBW.de rolf.schaeffer@LBBW.de Einzelfall spürbar, bezogen auf die gesamte Volks- wirtschaft aber keine allzu große Belastung sein. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 13
Trotz z.T. noch höherer Infektionszahlen in Europa: Die aktuelle Infektionswelle ist anders als jene im Frühjahr Positiv Negativ • Es gibt nun umfangreiche Erfahrungen und • Im nun angebrochenen kälteren Halbjahr halten sich Erkenntnisse zu den Eigenschaften des Virus, seiner die Menschen deutlich weniger im Freien auf. Ausbreitung sowie der Behandlungsmöglichkeiten. • Pandemiemüdigkeit macht sich in der Bevölkerung • Es herrscht kein Mangel an Schutzausrüstung, breit. Es ist offen, inwieweit die Menschen in den Masken und Beatmungsgeräten. kälteren Monaten des Jahres nun wieder bereit sind, • Lag der Altersdurchschnitt der Infizierten im April bei ihre Sozialkontakte zu reduzieren. ca. 50 Jahren, so liegt er seit Juli bei Mitte 30. • Erfahrungen mit dem Regelbetrieb in Schulen noch • Inzwischen wird erheblich mehr getestet, d.h. die begrenzt. Dunkelziffer ist kleiner, Infektionsketten können • Deutlicher Anstieg der Infektionszahlen in vielen besser nachverfolgt werden, und unter den Nachbarstaaten, trotz verbesserter Kenntnisse und registrierten Infizierten ist nun ein größerer Anteil Erfahrungen mit Schutzmaßnahmen. ohne oder mit nur geringen Symptomen. Schnelltests • Es wird zwar mehr getestet, es gibt aber nun deutlich sollen ab Oktober zum Einsatz kommen. weniger freie Testkapazitäten als im April, Mai oder • Die Anzahl der Krankenhauspatienten und Verstor- Juni. benen steigt aktuell deutlich weniger stark an als die Anzahl der Neuinfektionen. • Die Politik zeigt sich entschlossen, nicht mehr zu der Maßnahme flächendeckender Schließungen von Geschäften oder Schulen zu greifen. Quelle: LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 14
Gesundheitssystem: Reichen die Kapazitäten? • Bundesgesundheitsminister Spahn zufolge kann das Gesundheitssystem die derzeitige Situation noch gut meistern. Hinsichtlich der Frage, ab welchem Punkt die Kapazitätsgrenze erreicht wäre, ist u.E. zu differenzieren: • Zur Eindämmung des Infektionsgeschehens bekräftigte die Bund-Länder-Konferenz am 29. September, die Kontakt- nachverfolgung behalte oberste Priorität. Dazu ist aus unserer Sicht von entscheidender Bedeutung, ob die Gesundheits- ämter über hinreichende Kapazitäten verfügen, um Infizierte und deren Kontakte zu informieren und Maßnahmen durch- zusetzen. Wie gut dies gelingt, dazu ist u.E. die Datenlage unbefriedigend (vgl. z.B. https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/gesundheitsaemter-kontaktpersonen-101.html). Einige Gesundheitsämter stoßen inzwischen an ihre Grenzen. Teilweise helfen Bundeswehrsoldaten bei der Kontakt- verfolgung aus. Eine konkrete Anzahl an Neuinfektionen, ab der die Möglichkeit zur Kontaktverfolgung kippt und diese nicht mehr leistbar wäre, ist Wissenschaftlern zufolge nicht zu beziffern, da dies von vielen weiteren Faktoren abhängt. • Falls die Ausbreitung des Virus aus dem Ruder laufen sollte, ist der späteste Punkt, zu dem ein weiterer Anstieg der Neu- infektionen gestoppt werden sollte, dann, wenn die medizinische Versorgung von Kranken nicht mehr gewährleistet werden kann. Dabei sind die Krankenhauskapazitäten in Deutschland derzeit nur gering durch Corona-Patienten belastet. Wie wir in der folgenden Überschlagsrechnung zeigen wollen, könnte die Kapazitätsgrenze in einer Größenordnung von 45.000 Neuinfektionen pro Tag erreicht werden. Dies entspräche einer 7-Tage-Inzidenz von 380 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern. Eine solche Größenordnung erreichte zuletzt Israel, im Mai und Juni erreichte auch Katar derartige Infektionszahlen. Derartige Entwicklungen stellen – zumindest auf Basis der verfügbaren Zahlen – die große Ausnahme dar. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 15
Krankenhausbetten in Deutschland werden so schnell nicht knapp, dennoch keine Entwarnung • Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bewegte sich der Anteil an den registrierten Corona-Infizierten, die zur Behandlung ins Krankenhaus mussten, seit Ende Juni zwischen 5% und 10%. Der Anteil an Intensivpatienten an den hospitalisierten Patienten lag 2020 bei 37%. Entsprechend schätzen wir, dass zwischen 1,5% und 4% der Infizierten einer Intensivbetreuung im Krankenhaus bedürfen. Die Aufenthaltsdauer von Patienten auf der Intensivstation liegt laut RKI im Median bei fünf Tagen. • Im DIVI-Intensivregister sind 30.242 Intensivbetten registriert, von denen derzeit 590 mit Covid-19-Patienten belegt und 9.336 frei sind. D.h.: Gut 9.000 Intensivbetten wären maximal für Covid-19-Patienten verfügbar. 9.000 Intensivbetten werden im Schnitt • => Beispielrechnung: /5 Tage von jedem Patient belegt und können damit = 1.800 Patienten pro Tag aufnehmen. Wenn von den Infizierten / 4% intensivmedizinisch behandelt werden, bedeutet das = 45.000 Personen, die sich pro Tag neu infizieren könnten • Dies wirkt zunächst wie ein komfortabler Puffer. Gleichwohl: Der Präsident der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft warnte jüngst, dass zwar etwa 8.500 Intensivbetten frei seien und darüber hinaus etwa 12.000 Betten innerhalb von sieben Tagen aktiviert werden könnten. Doch es werde enger. Unimediziner warnen, es gebe zwar genügend Intensivbetten, aber es fehle an Personal. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 16
Auslastung der Intensivkapazitäten in ausgewählten europäischen Ländern Anzahl verfügbarer Intensivbetten und aktuelle Auslastung Intensivbetten* 1/3 für Covid 19** Auslastung aktuell*** Auslastung in % • In Deutschland ist die Aus- lastung der Intensivkapazi- Deutschland 30.242 10.081 296 3% täten aktuell kein Thema. Italien 8.732 2.911 319 11% • Frankreich, Spanien und die Frankreich 7.772 2.591 1.417 55% Niederlande erreichen derzeit Spanien 8.878 2.959 1.445 49% bereits erhöhte Auslastungs- Niederlande 1.150 383 238 62% werte, insbesondere in den *Diverse Quellen Corona-Hotspots. **Annahme: für Covid-19 Patienten verfügbare Intensivbetten • Im Extremfall, wie z.B. im ***ECDC-Zahlen vom 07.10. März/April dieses Jahres, dürften nicht absolut Intensivbettenbelegung in Frankreich, Italien und den Niederlanden notwendige OPs verschoben werden, um die knappen Kapazitäten für Covid- Patienten zu nutzen. • Zudem würden kurzfristig weitere provisorische Behandlungskapazitäten hinzugefügt. • Bsp. Niederlande im April: Belegung Intensiv war über 100% der Normalkapazität. • Die Situation war im Frühjahr deutlich angespannter. Sollte der Trend im jüngst gesehenen Tempo anhalten, ist eine Wiederholung nicht Quellen: DIVI-Intensivregister, ECDC, diverse Gesundheitsministerien, LBBW Research völlig auszuschließen. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 17
Deutschland: Es werden immer mehr Tests durchgeführt, bei abnehmendem Anteil freier Testkapazitäten Rückstau in den Laboren bei Covid-19-Tests Anzahl Proben in der jeweiligen Kalenderwoche • Die Anzahl an Tests ist zwar stark gestiegen: Rund 1 bis 1,1 Mio. pro Woche seit KW 34 ggü. 300.000 bis 400.000 von KW 12 bis KW 25: in etwa eine Verdreifachung. • Die Testkapazitäten der Labore stieg aber von 1,1 Mio. pro Woche in KW 25 nur auf 1,54 Mio. in KW 40 : ein Zu- wachs um weniger als 50%. • Die Labore sind also deutlich stärker ausgelastet. Dies zeigt sich auch am Rückstau nicht abgearbeiteter Proben, der zwischenzeitlich entstanden ist. • Die nationale Teststrategie wird in Deutschland derzeit überarbeitet. Dies ist ange- sichts steigender Fallzahlen, des Probenrückstaus sowie des nahenden Winters u.E. dringend geboten. Quelle: RKI, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 18
Reaktionen der Politik auf steigende Infektionszahlen: Zwar kein neuer „Lockdown“ – aber was dann? Welche Maßnahmen ergreifen Länder, die bereits einen deutlich stärkeren Anstieg der Infektionszahlen zu verzeichnen haben als Deutschland? (Möglicherweise auch Optionen für Deutschland?) Zusammenkünfte von Privatpersonen: In den Niederlanden Beschränkung auf max. vier Personen im Freien, in Österreich und in besonders betroffenen französischen Städten max. zehn Personen im Freien. Maskenpflicht: In Italien landesweite Maskenpflicht im Freien, außer beim Sport. In Spanien an allen öffentlichen Orten, sowohl in geschlossenen Räumen als auch im Freien. Beschränkung der Freizügigkeit: In Madrid wurden viele Wohnviertel abgeriegelt; d.h.: Die Viertel durften nur aus triftigem Grund verlassen werden. (Ein Gericht kassierte die Regelung wieder ein.) Deutschland: In vielen Bundesländern (nach aktuellem Stand) Beherbergungsverbot für Menschen aus sogenannten „Hotspots“. Schließen von Kneipen und Restaurants: So müssen diese in den Niederlanden um 22 Uhr schließen. In einigen französischen Städten (darunter Paris und Marseille) bleiben sie für zwei Wochen komplett geschlossen. Berlin führte eine Sperrstunde von 23 bis 6 Uhr ein. Sportbetrieb: In den Niederlanden keine Zuschauer mehr bei Sportveranstaltungen; in einigen französischen Städten Schließung von Schwimmbädern, Fitnessstudios und Festhallen. Quelle: Presse, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 19
Eindämmungsmaßnahmen: Derzeit mit dem Versuch, die Wirtschaft zu verschonen Auswirkungen der Maßnahmen Auswirkungen der Maßnahmen im Frühjahr 2020 im Sommer, Herbst, Winter • Umfangreiche Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie in Deutschland haben im Frühjahr sowohl das öffentliche und soziale Leben der Menschen als auch die Wirtschaftstätigkeit massiv eingeschränkt. • Einschränkungen gibt es für die Wirtschaft nach wie vor. Die Not ist in einigen Branchen weiterhin groß (bspw. Touristik, Hotels, Kultur, Gastro- nomie, Einzelhandel). Mit der expliziten Zielvorgabe, die Wirtschaft „am Laufen zu halten“ und Kindern soweit wie möglich den Besuch von Schulen und Kitas zu ermöglichen, gibt die Politik nunmehr ein klares Bekenntnis hinsichtlich ihrer Prioritäten ab. Die Wirtschaft wird derzeit und wohl auch künftig erheblich weniger belastet als im Frühjahr. Die Möglichkeit von Schnelltests, ggf. sogar als „Heimtests“, sowie ggf. knappere Zeiten bzgl. Quarantäne oder Isolation könnten zudem auch eine gewisse Entlastung für Unternehmen und die Bevölkerung bringen. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 20
Der Blick nach vorn: Es bleibt ein Balanceakt • Der wirtschaftliche Schaden der Pandemie rührt in den Industriestaaten kaum von Seiten der Erkrankungen selbst her, sondern von den Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens sowie von der dadurch resultierenden Unsicherheit für Unternehmen und Konsumenten. • Ein flächendeckender umfassender „Lockdown“ (der Begriff wird inzwischen so plakativ und undifferenziert verwendet, dass er eigentlich keinen Sinn mehr macht) ist mit enormen Kosten verbunden: wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Daher zeigt sich die Politik in vielen Ländern bestrebt, umfangreiche Schließungen von Gastronomie, Läden und Arbeitsstätten zu vermeiden. In Deutschland erklärte die Bund-Länder-Konferenz, man habe klare Prioritäten: „Wir wollen die Wirtschaft am Laufen halten und wir wollen, dass Kinder in Schulen und Kitas gehen können soweit wie möglich". Angesichts des inzwischen erheblich gewachsenen Wissens um das Virus dürfte dies der Politik im Wesentlichen auch gelingen. • Dass das wirtschaftliche Leben in Deutschland aufgrund von Coronamaßnahmen noch einmal so stark heruntergefahren wird wie im Frühjahr, schließen wir aus. Die Maßnahmen werden in ihrer Schärfe und in ihrer räumlichen Ausbreitung begrenzter bleiben. Dennoch hat die weitere Entwicklung des Infektions- geschehen Auswirkung auf die Wirtschaftserholung, da auch gezieltere Maßnahmen der Infektions- eindämmung einzelne Bereiche der Wirtschaft beeinträchtigen können. Falls weite Teile Deutschlands als „Hotspot“ eingestuft werden, wäre zudem das Land doch wieder „in der Fläche“ betroffen. Quelle: Presse, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 21
III. Konjunktur: Wie schlimm trifft die zweite Welle die Wirtschaft? Frankreich, Italien und Spanien im Blick. • Untersuchungen zeigen, dass der erste „Lockdown“ die Branchen unterschiedlich stark getroffen hat. • Vor allem personennahe Dienstleister (Gastgewerbe, Freizeit- und Tourismus, Kultur und Sport) waren und sind betroffen. Dies trifft vor allem jene Länder, die eine hohe relative Abhängigkeit vom Tourismus haben und keinen nennenswerten Inlandstourismus. • Die Industrie hat große Teile der erlittenen Produktions- einbußen wieder aufgeholt, wenn es auch noch einige Zeit dauern dürfte, bis die Lücke ganz geschlossen ist. • Die großen EWU-Länder sind unterschiedlich getroffen worden. Am schlimmsten hat es bislang im zweiten Quartal Spanien erwischt. Italien und Frankreich waren zwar vom ersten „Lockdown“ stark getroffen, aber vor allem Italien kommt bislang mit der zweiten Welle deutlich besser zurecht als im Frühjahr. • Trotz kräftiger Wirtschaftsdynamik ab dem zweiten Halb- jahr 2020 wird das Vorkrisenniveau wohl nicht vor 2022 wieder erreicht werden, in einigen Staaten noch später. Dr. Jens-Oliver Niklasch Senior Economist Tel: +49 711 127–76371 jens-oliver.niklasch@LBBW.de 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 22
Frankreich: Erholung, aber mit Risiken Einkaufsmanagerindizes Konsumausgaben und Industrieproduktion (Index, Monatswerte saisonbereinigt) (Index, Monatswerte, saisonbereinigt) 70 110 105 60 100 50 95 90 40 85 80 30 75 20 70 65 10 60 Jan. 19 Apr. 19 Jul. 19 Okt. 19 Jan. 20 Apr. 20 Jul. 20 0 Okt. 17 Apr. 18 Okt. 18 Apr. 19 Okt. 19 Apr. 20 Okt. 20 Index der Konsumausgaben Industrieproduktion Manufacturing Services Composite • Die Einkaufsmanagerindizes (PMI) zeigen zwar klar eine V-förmige • Zwar sind sowohl der private Konsum als auch der Einzelhandel Erholung. Allerdings ist der Rückfall des PMI für den Service-Sektor nach dem „Lockdown“ im März und im April massiv eingebrochen. ein kleiner „Schönheitsfehler“. Dies könnte mit dem Aufflammen der Allerdings ging es nachfolgend fast ebenso schnell aufwärts. Die Pandemie und mit den damit zusammenhängenden neuen Konsumausgaben haben bis September ihr Vorkrisenniveau nahezu Einschränkungen in einigen Regionen zusammenhängen. wieder erreicht, die Industrieproduktion lag im August noch rund 7% unter dem Prä-Pandemie-Level. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 23
Italien: Läuft besser als gedacht Einkaufsmanagerindizes Industrieproduktion und Einzelhandel (Indexwerte monatlich, saisonbereinigt) (Index, Monatswerte, saisonbereinigt) 70 120 110 60 100 50 90 40 80 30 70 20 60 10 50 40 0 Jan. 19 Jul. 19 Jan. 20 Jul. 20 Okt. 17 Apr. 18 Okt. 18 Apr. 19 Okt. 19 Apr. 20 Okt. 20 Industrieprod. Einzelhandel Non-Food Food Manufacturing Services Composite • Seit Mai sind die Frühindikatoren deutlich gestiegen. Im Verarbei- • Da die italienischen Daten zum Einzelhandel detaillierter sind als tenden Gewerbe sogar über das Vorkrisenniveau – was etwas über anderswo, lassen sich typische Verläufe hier besser nachvollziehen. das Tempo der Expansion besagt, nicht über das Niveau der Produk- Im Lebensmittelhandel gab es einen kleinen Corona-Boom, tion. Der Service-PMI ist unter 50 gesunken. Allerdings hat Italien die im Non-Food-Bereich einen Absturz. Pandemie gut im Griff. Neue „Lockdowns“ scheinen nicht zu drohen. In der Industrie sehen wir einen V-förmigen Verlauf. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 24
Spanien: Einbruch zu Lande, zu Wasser und in der Luft … Einkaufsmanagerindizes Touristenankünfte nach Anreiseweg (Indexwerte monatlich, saisonbereinigt) (in Tsd. pro Monat) 70 9000 8000 60 7000 50 6000 40 5000 4000 30 3000 20 2000 1000 10 0 Jan. 19 Apr. 19 Jul. 19 Okt. 19 Jan. 20 Apr. 20 Jul. 20 Okt. 20 0 Okt. 17 Apr. 18 Okt. 18 Apr. 19 Okt. 19 Apr. 20 Okt. 20 Luft See Straße/PKW Manufacturing Services Composite • Spanien bietet das erwartete Bild. Seit Mai sind die Frühindikatoren • Spanien ist stärker als andere EWU-Staaten abhängig vom Touris- deutlich gestiegen, am aktuellen Rand geht es im Service-Bereich mus. Die neue Pandemie-Welle in Spanien hat zu Reisewarnungen wieder deutlich zurück in den Kontraktionsbereich unterhalb und Quarantänemaßnahmen in den Heimatländern der Touristen von 50 Punkten. Mit dem „Lockdown“ in einigen Regionen geführt, insbesondere in Großbritannien und Deutschland. 2020 war (zwischenzeitliche Ausgangssperren in Madrid!) steigen die katastrophal, eine schnelle Wende ist unwahrscheinlich, weshalb Abwärtsrisiken. Spanien im Corona-Jahr in der EWU am stärksten leidet. Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 25
Freizeit- und Gastgewerbe von Corona hart getroffen Arbeitsstunden in den Vereinigten Staaten nach Branchen (Mai 2020, M/M in % nach Art des Schocks) • Der Corona-“Impact“ traf die Branchen unterschiedlich. Für die USA liegen Unter- suchungen hierzu vor. Der Rückgang der Arbeitsstunden im „Lockdown“ im Frühjahr traf vor allem das Freizeit- und Gast- gewerbe. Versorger oder der Großhandel waren nur wenig betroffen. Die Ergebnisse dürften auf den Euroraum übertragbar sein. • In Deutschland besonders betroffen waren laut Umfrage des Wirtschaftsministeriums (Stand Juni 2020): Beherbergung und Gastronomie, Logistik / Verkehr, Kreativwirtschaft/Unterhaltung sowie die Nahrungsmittelproduktion. • Weniger stark betroffen waren demnach Chemie u. Pharma, übriges Verarbeitendes Gewerbe, unternehmensnahe Dienst- leistungen sowie Banken und Versicherungen. Quelle: Brinca, P. et all. in Covid Economics, No. 20/2020, p. 156, BMWi, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 26
Tourismus: Hohe Einbußen in Spanien und Italien Übernachtungen von Kurzzeitgästen (In Tsd. pro Monat, Herkunft aus In- und Ausland) • Einen Einblick in die sek- 25000 torale Wirkung von Pan- demie und „Lockdown“ geben Übernachtungs- 20000 zahlen für ausgewählte Länder Europas. 15000 • In allen Ländern sind die Übernachtungszahlen seit Jahresbeginn eingebro- 10000 chen. Während Deutsch- land noch auf Inlands- tourismus setzen konnte, 5000 gingen Griechenland und Spanien nahezu leer aus. 0 • Vor allem für Spanien ist Jan. 19 Apr. 19 Jul. 19 Okt. 19 Jan. 20 Apr. 20 Jul. 20 der Tourismus von hoher relativer Bedeutung für Spanien Italien Frankreich die Wirtschaft Deutschland Österreich Griechenland Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 27
Fazit Euroraum: Nach Einbruch Erholung, aber nur partiell BIP und Prognosen Q/Q bzw. Y/Y (real und saisonbereinigt in % zur Vorperiode) 10,0% • Einen zweiten umfassen- den „Lockdown“ dürfte es 7,5% auch dann nicht geben, 5,0% wenn die Infektionszahlen weiter steigen. 2,5% 0,0% • Die Konjunkturerholung -2,5% wird sich in Q4 zwar fort- setzen, aber verlangsamt. -5,0% In einigen Branchen (z.B. -7,5% Gastgewerbe) wird das Vorkrisenniveau zunächst -10,0% nicht mehr erreicht -12,5% werden. -15,0% • Deswegen wird das BIP -17,5% insgesamt das Vorkrisen- -20,0% niveau voraussichtlich Q1/2020 Q2/2020 Q3/2020*) Q4/2020*) 2020*) 2021*) nicht vor 2022 wieder Euro area GER FRA ITA SPA erreichen. *) Prognose LBBW Research Quelle: Refinitiv, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 28
IV. Wie ist der aktuelle Stand der Impfstoffentwicklung? Wann könnte die Pandemie enden? • Corona-Impfstoffe werden in Rekordzeit entwickelt. Eine Vielzahl hiervon befindet sich in der letzten Phase der klinischen Entwicklung. • Mit Blick auf den Winter wird ein Zusammentreffen von Corona- und Grippe-Welle befürchtet. In Ländern der südlichen Hemisphäre ist die sonst in den Sommer- monaten übliche Grippewelle quasi ausgefallen. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die mit Blick auf die Corona-Pandemie getroffenen Schutzmaßnahmen auch die Ausbreitung der Grippe massiv eingedämmt haben. • Um die Pandemie frühzeitig zu beenden, ist eine hohe Akzeptanz für Impfstoffe und eine große Impfbereitschaft der Weltbevölkerung nötig. • Am wahrscheinlichsten ist derzeit ein Szenario, wonach die Welt die Pandemie bis Ende nächsten Jahres in den Griff bekommen wird. Dr. Timo Kürschner Senior Investment Analyst Tel: +49 711 127–70 565 timo.kuerschner@LBBW.de 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 29
Unser Hauptszenario wird immer wahrscheinlicher 1 Isolationsmaßnahmen • Infektionsketten werden unterbrochen können gelockert werden sowie nach und nach gestoppt Impfstoffe sind nicht • Eindämmung des Virus gelingt unbedingt notwendig 5% 2• Infektionsketten werden nicht ausreichend gestoppt Isolationsmaßnahmen werden nach und nach überflüssig • Impfstoffe werden bis Ende 2020 entwickelt Impfstoffe bringen den • Massenimpfungen 2021 möglich Durchbruch und geben • Viruseindämmung gelingt mittelfristig 85% Sicherheit 3 • Infektionsketten können nicht gestoppt werden Weltweit brechen • Isolationsmaßnahmen nicht effizient; es kommt Gesundheitssysteme zu mehreren schweren Infektionswellen zusammen • Impfstoffentwicklung scheitert Virusausbreitung wird erst durch Herdenimmunität • Viruseindämmung gelingt nicht gestoppt 10% 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 30
Impfstoffentwicklung in Rekordzeit Die Entwicklung der Impfungen gegen HPV (Gebärmutterhalskrebs) oder Rotaviren (Durchfälle) dauerte jeweils circa 15 Jahre. Die gegen Varizellen (Windpocken) sowie die Influenza-Lebendimpfung 25 bis 30 Jahre. Impfungen gegen HCV oder HIV gibt es auch nach mehr als 30 Jahren nicht. Neue Techniken und ein nie dagewesener Mitteleinsatz erlauben die Entwicklung von Impfstoffen gegen Coronaviren in Rekordzeit. 2019 2020 2021 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 31
Aktueller Stand der Impfstoffentwicklung Insgesamt gibt es laut WHO derzeit 193 Impfstoffprojekte 42 Impfstoffe mit unterschiedlichen Ansätzen befinden derzeit in der klinischen Entwicklung 151 19 13 10 präklinische Entwicklung Phase I Phase II Phase III Eine Vielzahl von Projek- Unter den Ansätzen, die Entwicklungen, die sich im Aus diesen Projekten ten befindet sich noch in sich noch in einer frühen Mittelfeld der klinischen könnten die ersten zugelas- der vorklinischen Evaluier- klinischen Phase befind- Erprobung befinden, senen Impfstoffe hervorge- ung. Aufgrund des en, sind viele Protein- liegen derzeit zwar etwas hen. Die Ansätze benutzen rasanten Fortschrittes basierte Impfstoffe, die zurück, könnten sich aber meist inaktivierte Viren oder dürften die wenigsten fertig sich nicht so schnell am Ende noch basieren auf DNA- oder entwickelt werden. entwickeln lassen. durchsetzen. mRNA-Impfstoffen. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 32
Die Impfquote gegen die saisonale Grippe sinkt seit Jahren in Deutschland Influenza-Impfquoten für Deutschland von Personen im Alter von über 60 Jahren 60% • Die Impfung gegen Grippe wird Personen über 60 Jahren dringend empfohlen, da diese ein erhöhtes Sterberisiko 50% 47,9% 47,7% haben. Genau dieser 43,7% Personenkreis ist auch die 42,0% Hauptrisikogruppe bei einer 40% SARS-CoV-2 Infektion. 37,3% 38,1% 36,7% 35,3% 34,8% • Seit Jahren sinkt der Anteil an Menschen in der Risikogruppe, die sich gegen die saisonale 30% Grippe vorbeugend impfen lassen. • Im internationalen Vergleich 20% liegt Deutschland weit hinten. Erste Umfragen zeigen indes, dass bei Corona eine höhere 10% Impfbereitschaft vorhanden sein könnte. • Besonders kritisch wäre ein Zusammentreffen von Grippe- 0% 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12 2012/13 2013/14 2014/15 2015/16 2016/17 und SARS-CoV-2 Infektion. Quelle: Statista 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 33
Könnte das gefürchtete Zusammentreffen von Corona- und Grippe-Welle ausbleiben? Grippeinfektionen in Ländern auf der Südhalbkugel 2020 im Vergleich zu den Vorjahren • In Ländern der südlichen Hemisphäre ist die sonst in den Sommermonaten übliche Grippewelle quasi ausgefallen. Die Vermutung liegt auf der Hand, dass die mit Blick auf die Corona-Pandemie getroffenen Schutzmaßnahmen auch die Ausbreitung der Grippe eingedämmt haben. • Entsprechend könnte auch in Europa das gefürchtete Zusammentreffen von Corona- und Grippe-Welle im Winter möglicherweise ausbleiben. • Gesundheitsexperten wie Klaus Reinhard (Präsident der Bundesärztekammer) oder Anthony Fauci aus den USA raten gleichwohl dazu, dass sich möglichst viele Menschen in diesem Jahr gegen Grippe impfen lassen sollten. Quelle: The Economist, LBBW Research 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 34
Fehlende Impfakzeptanz ist ein weltweit verbreitetes Phänomen Impfquote gegen Influenza bei Menschen ab 65 Jahren in ausgewählten OECD-Ländern Südkorea 2017 82,7% Großbritannien 2017 72,6% USA 2016 67,5% Spanien 2018 53,7% Italien 2018 52,7% Frankreich 2017 49,7% Deutschland 2017 34,8% In den von der Corona-Krise besonders hart getroffenen Länder Tschechien 2017 20,3% USA und Großbritannien gibt es eine vergleichsweise hohe Slowakei 2017 13,0% Impfbereitschaft, wovon diese dann auch besonders profitieren Estland 2017 4,8% könnten. Quelle: OECD 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 35
Wann könnte die Pandemie enden? Die Verfügbarkeit von Impfstoffen, deren Effizienz und deren Akzeptanz ist entscheidend, um frühzeitig eine Herdenimmunität (> 60% besitzen Immunität gegenüber SARS-CoV-2) zu erreichen. Zulassung der Best Case Main Case Worst Case ersten Impfstoffe 30% 55% 15% Q4 2020 Q1 2021 Q2 2021 Q3 2021 Q4 2021 Q1 2022 Q2 2022 Q3 2022 >Q4 2022 • Real-time-Review- • Effiziente(r) Impfstoff(e) • Effiziente Impfstoffe • Mäßig effiziente Impfstoffe Prozess, d.h. bereits (>95% Impfschutz) • Mittelfristige • beschränkte Verfügbarkeit jetzt wird der Zulas- • Schnelle Verfügbarkeit Verfügbarkeit sungsprozess durch- • Mittlere bis schlechte • Große Akzeptanz • Große Akzeptanz Akzeptanz geführt, ergänzt um neue Daten, die aus • Lang anhaltender • Anhaltender Impfschutz • Geringer Impfschutz klinischen Studien Impfschutz kommen. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 36
Summary Im Bestreben einer Eindämmung der Infektionen wurden in vielen Ländern Europas im April und Mai wichtige Erfolge erzielt: Die Sterbefälle sanken, die Wirtschaft erholt sich nun. Der derzeitige Anstieg der Infektionszahlen zeigt derweil, dass die Erfolge nicht nachhaltig sind, sondern es einer permanenten Anstrengung zu ihrer Sicherung bedarf. Die Pandemie ist erst beendet, wenn Impfstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, sie eine ausreichende Immunität erzeugen und die Risikogruppen geimpft sind. Erste Impfstoffe dürften bis Ende dieses Jahres zur Verfügung stehen. Größere Impfkampagnen sind voraussichtlich 2021 möglich. Ein erneuter flächendeckender „Lockdown“ dürfte zwar ausbleiben, doch einige Branchen nehmen dauerhaften Schaden. Das BIP dürfte erst 2022 wieder Vorkrisenniveau erreichen. 13.10.2020 Die zweite Corona-Welle im Blick 37
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