Leitfaden Rettungsdienst - Frank Flake Boris A. Hoffmann 6. Auflage - Elsevier

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Leitfaden Rettungsdienst - Frank Flake Boris A. Hoffmann 6. Auflage - Elsevier
Frank Flake Boris A. Hoffmann

Leitfaden
Rettungsdienst
           6. Auflage
Leitfaden Rettungsdienst - Frank Flake Boris A. Hoffmann 6. Auflage - Elsevier
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 29

                 2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des
                 Notfallpatienten                                                                         2
                 Frank Flake
                 Eine der Basistätigkeiten von Rettungsfachpersonal ist die Patientenuntersu-
                 chung. Sie setzt sich aus professionellen Untersuchungsschritten und einer geziel-
                 ten Patientenbeobachtung zusammen. Vor allem dem Notfallsanitäter sichert
                 eine strukturierte, genaue Untersuchung die richtige Diagnose und Therapie.

                   Merke
                   Erst wenn man einen Pat. vollständig untersucht hat, ist es möglich, Verletzun-
                   gen oder spezielle Symptome zu erkennen bzw. auszuschließen.

                 Die zielgerichtete Patientenuntersuchung und die individuelle Beobachtungsfä-
                 higkeit sollten ständig trainiert werden. Eine korrekt durchgeführte Untersu-
                 chung erfordert stets Konzentration und umfangreiche Kenntnisse der Pathophy-
                 siologie. Dabei kommt es darauf an, das erworbene Wissen mit der Praxis sinnvoll
                 zu verknüpfen.

                   Tipps & Tricks
                   Bei der körperlichen Untersuchung immer Handschuhe und ggf. eine Schutz-
                   brille tragen.

                 2.1.1 Scene, Safety & Situation (SSS)
                 Bereits vor dem eigentlichen Einsatz liegen Informationen vor, die es zu berück-
                 sichtigen gilt. Folgende Fragen sollte man sich stellen:
                 • Welche geeigneten Krankenhäuser sind in welcher Zeit erreichbar?
                 • Habe ich Besonderheiten bzgl. des Wetters zu beachten?
                 Die Buchstaben SSS selber beziehen sich auf die Einsatzstelle:
                 • Scene: Einschätzen der Einsatzstelle (Scene) bzgl. der Aspekte Sicherheit
                     (Safety), und der Situation (Situation), die an dieser Einsatzstelle konkret
                     vorliegt.
                 • Sicherheit: Ist der Eigenschutz für alle eingesetzten Kräfte gewährleistet? Auf
                     etwaige Gefahrstoffe, Absicherung der Einsatzstelle, den fließenden Verkehr,
                     aggressive Personen und auch eine geeignete Schutzausrüstung muss geachtet
                     werden. Aber auch der Pat. soll in Sicherheit sein, z. B. Person zunächst aus
                     Gefahrenlagen bringen um sie dann zu behandeln.
                 • Situation: Wie viele Pat. sind betroffen? Welche Kräfte haben auf den Pat. ge-
                     wirkt (Fahrzeugverformung usw.)? Müssen weitere Hilfskräfte angefordert
                     werden (z. B. Polizei, Feuerwehr, weitere Rettungsdienstfahrzeuge, Rettungs-
                     hubschrauber)?

                 2.1.2 Erster Eindruck (General Impression)
                 Der Ersteindruck, „general impression“ oder auch „first look“, ist der ersten Kon-
                 takt zum Pat. und eine zügige Einschätzung von Atmung, Kreislauf und Neurolo-
                 gie und sollte nach 10–15 Sek. abgeschlossen sein.

4_HoffmannFlake.indb 29                                                                               01.02.2017 09:42:41
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30 2      Arbeitstechniken

                  Mit dem Pat. Kontakt aufnehmen und fragen was passiert ist. Entweder macht der
                  Pat. einen potenziell kritischen oder potenziell nicht kritischen Eindruck. Erst
                  nach diesem ersten Eindruck wird der Patient nach dem ABCDE-Schema unter-
           2      sucht und behandelt:
                  • Kann der Pat. normal sprechen, hat er freie Atemwege und eine ungehinderte
                     Atmung? Kann der Pat. nur abgehackt oder in kurzen Sätzen sprechen, liegt
                     ein Atemproblem vor. Falls er gar nicht auf die Ansprache reagiert, besteht
                     meist eine bedrohliche Situation.
                  • Währenddessen wird rasch die Kreislaufsituation durch Tasten des Pulses
                     eingeschätzt. Nicht die Frequenz auszählen. Grobe Orientierung: Puls lang-
                     sam, normal, schnell oder sehr schnell? Gut, schlecht oder gar nicht tastbar?
                  • Wie fühlt sich die Haut an? Kühl, warm, trocken oder feucht? Hautfarbe, z. B.
                     rosig, blass oder zyanotisch?
                  Der Teamleiter sollte seinem Team mitteilen, wie er den Patienten einschätzt.

                   Merke
                   Die ABCDE-Vorgehensweise gilt nur für den lebenden Patienten. Wird beim
                   Patienten eine fehlende Atmung und Pulslosigkeit festgestellt, wird nach den
                   Algorithmen zur Reanimation vorgegangen.

                  2.1.3 Pädiatrisches Beurteilungsdreieck – Ersteindruck bei
                  Kindern
                  Der Ersteindruck bei Kindern findet anders als beim Erwachsenen mithilfe des
                  Pädiatrischen Beurteilungsdreiecks (PAT – Pediatric Assessment Triangle) statt
                  (▶ Abb. 2.1).
                  Das Dreieck zeigt die wichtigsten drei Seiten bei der notfallmedizinischen Erstbe-
                  urteilung eines Kindes. Dabei handelt es sich nicht um Diagnosen, sondern um
                  physiologische Probleme. Auch hier kann schnell ersteingeschätzt werden ob es
                  sich um ein potenziell kritisches, ein kritisches oder ein nicht kritisches Kind
                  handelt.
                  Weiterhin wird bei der initialen Beurteilung mithilfe des Dreiecks, die Dringlich-
                  keit für weitere Maßnahmen festgelegt. Im Regelfall kann man schwerwiegende
                  Störungen wie Traumata oder Störungen von Atmung und Kreislauf schon wäh-
                  rend des Herangehens an den Patienten erfassen. Maßnahmen zur Stabilisierung
                  der Vitalfunktionen werden umgehend eingeleitet. Ist dies nicht notwendig, hat
                  man Zeit auf das Kind einzugehen und sich in Ruhe der Anamnese zu widmen.

                  A – Äußeres Erscheinungsbild
                  Die meisten gesunden Kinder stehen in sichtbarem Kontakt mit ihrer Umgebung.
                  Sie erkennen z. B. ihre Eltern. Jüngere Kinder fühlen sich besonders zu vertrauten
                  Personen hingezogen, die ihnen Hilfe, Sicherheit und Geborgenheit geben. Bei der
                  Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes hilf das Akronym TICLES.
                  • Tonus: Beurteilt werden Muskeltonus und Körperposition des Kindes. Be-
                      wegt sich das Kind normal? Hat es einen normalen Muskeltonus oder ist es
                      schlapp und bewegt sich kaum?
                  • Interaktion: Ist das Kind aufmerksam? Interagiert es mit den Eltern oder sei-
                      ner Umgebung? Kommt die Reaktion verlangsamt oder verspätet? Antwortet
                      das Kind auf die Fragen des Rettungsfachpersonals, nimmt es die Retter war?
                      Oder interagiert das Kind gar nicht mit seiner Umgebung?

4_HoffmannFlake.indb 30                                                                            01.02.2017 09:42:41
Leitfaden Rettungsdienst - Frank Flake Boris A. Hoffmann 6. Auflage - Elsevier
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 31

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                                   one

                 Abb. 2.1 EPC-Algorithmus mit pädiatrischem Beurteilungsdreieck [M140]

                 •   Consolability (Tröstbarkeit): Schreit oder weint das Kind? Lässt es sich von
                     seinen Eltern oder dem Rettungsfachpersonal beruhigen?
                 •   Look (Blick): Beobachtet das Kind seines Umgebung? Schaut und fixiert es
                     die Retter oder starrt es ins Leere?
                 •   Speech (Sprache): Spricht das Kind oder schreit es? Oder sagt es gar nichts
                     und ist ruhig?

4_HoffmannFlake.indb 31                                                                             01.02.2017 09:42:41
32 2      Arbeitstechniken

                  B – Atmung/Atemarbeit
                  Sind Atembewegungen vorhanden? Atmet das Kind suffizient oder ist die Atmung
           2      gestört? Ist die Atemfrequenz normal, zu schnell oder zu langsam? Wirken die
                  Atemanstrengungen verstärkt? Gibt es Geräusche, die auch ohne Stethoskop hör-
                  bar sind, wie z. B. in- oder exspiratorischer Stridor, Keuchen etc.?

                  C – Hautfarbe/Hautdurchblutung
                  Ist die Hautfarbe rosig, also gut durchblutet, matt (blass), zyanotisch oder marmo-
                  riert?

                   Tipps & Tricks
                   Das Tasten der Pulse ist bei der ersten Beurteilung nicht notwendig, da sie vor
                   allem bei Kleinkindern mitunter viel Zeit in Anspruch nimmt. Das Suchen
                   und das Auszählen des Pulses gestaltet sich oft als schwierig.

                  2.1.4 ABCDE-Schema
                  Die strukturierte und prioritätenorientierte ABCDE-Vorgehensweise wird als Pri-
                  mary Assessment oder Initial Assessment bezeichnet. Verfolgt werden zwei Ziele:
                  • Beurteilung des Pat. (Erkennen der Lebensbedrohung)
                  • Behandlung des Pat. („Treat first, what kills first“: „Behandle zuerst das, was
                     zuerst tötet“).

                   Merke
                   Das ABCDE-Schema gilt für internistische und traumatologische Pat.

                  A – Airway/C-Spine Protection (Atemwegs- und HWS-Protektion)
                  Das Erste, was sichergestellt werden muss, ist ein freier Atemweg. Unbehandelte
                  Atemwegsobstruktionen führen zur Hypoxie mit dem Risiko von Schäden an le-
                  benswichtigen Organen wie dem Gehirn! Ergänzend zur Beurteilung des Atem-
                  wegs erfolgt bei Bedarf eine (zunächst) manuelle HWS-Stabilisierung. Im Verlauf
                  dann ggf. eine Immobilisierung durch Anlage einer Zervikalstütze.

                   Merke
                   Den bedrohten Atemweg zunächst durch einfache Hilfsmittel (Esmarch-
                   Handgriff, Absaugung, Wendl- oder Guedel-Tubus) freimachen.

                  B – Breathing (Belüftung der Lungen)
                  Auskultation (Abhören mit Stethoskop) des Thorax. Achten auf Zyanose, Schwit-
                  zen, paradoxe Atmung, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Brustwanddeformitä-
                  ten, Prellmarken, Hämatome, ein Hautemphysem, gestaute Halsvenen. Erfassen
                  von Atemfrequenz und -rhythmus. Atemprobleme und Atemgeräusche identifi-
                  zieren, um z. B. einen Pneumothorax bzw. Spannungspneumothorax zu entde-
                  cken.
                  • Bei einer Atemfrequenz < 8/Min. oder > 30/Min. assistiert beatmen
                  • Bei beatmeten, intubierten Patienten endtidale Kohlendioxid Messung
                      (etCO2-Kapnografie) anschließen.

4_HoffmannFlake.indb 32                                                                              01.02.2017 09:42:42
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 33

                 •    Frühzeitig Sauerstoff über Inhalationsmaske mit Reservoir applizieren. Puls-
                      oxymeter anschließen und Sättigung (SpO2) von ≥ 95 % anstreben.
                                                                                                         2
                     Achtung
                     Ein Spannungspneumothorax ist eine bedeutende Ursache für ein Kreislauf-
                     problem (C-Problem), daher muss er bereits beim Schritt „B“ erkannt und
                     auch behandelt werden.

                 C – Circulation (Kreislauf) und Blutungskontrolle
                 Zum Schritt „C“ gehört die Beurteilung von Kreislauf und Gewebeperfusion.
                 Beim Tasten des Pulses wird neben Frequenz, Qualität und Regelmäßigkeit auch
                 auf die Farbe, Temperatur, Feuchtigkeit und Rekapillarisierungszeit der Haut ge-
                 achtet (Normalbereich: 2 Sek.).
                 Suche nach äußeren Blutungen. Diese müssen kontrolliert werden, bei starken
                 äußeren Blutungen kann ggf. eine C-ABCDE-Vorgehensweise angebracht sein.
                 Dabei zunächst die Blutung vor Beginn der ABCDE-Vorgehensweise kontrollie-
                 ren (z. B. durch direkten Druck und/oder Anlage eines Tourniquets).
                 • Bei Anzeichen einer Kreislaufzentralisation und Tachykardie balancierte
                     Vollelektrolytlösungen verabreichen.
                 • Ggf. im weiteren Verlauf, falls sinnvoll, ein 12-Kanal-EKG schreiben.
                 • Beim internistischen Pat. Blutdruck messen. Beim traumatisierten Pat. wird
                     im Primary Assessment kein Blutdruck gemessen, da dieser in der Phase des
                     kompensierten Schocks nicht aussagekräftig ist.

                 D – Disability (Defizite der neurologischen Funktion)
                 Einschätzung der neurologischen Funktion anhand des Glasgow Coma Scale oder
                 dem AVPU-Schema. Ergänzend wird ein Pupillenstatus (Größe, Gleichheit,
                 Lichtreaktion) als Hinweis auf ZNS-Verletzungen erhoben. Blutzucker messen
                 und beurteilen ob es Hinweise auf Alkohol- oder Drogeneinwirkung gibt.

                 E – Exposure/Environment (Entkleideten Patienten untersuchen/
                 Erhalt von Körperwärme)
                 Traumapat. immer entkleiden, damit keine relevanten Verletzungen übersehen
                 werden. Aber auch bei anderen Pat. lohnt eine Entkleidung, um z. B. das Fentanyl-
                 pflaster oder die Insulinpumpe nicht zu übersehen. Dennoch im weiteren Verlauf
                 darauf achten, dass der Pat. nicht auskühlt.

                 2.1.5 Secondary Assessment
                 Nicht immer hat man Zeit, das Secondary Assessment (also die sehr gründliche
                 Untersuchung) oder die SAMPLER Anamnese durchzuführen. Dies vor allem,
                 wenn lebensrettende Maßnahmen im Vordergrund stehen oder der Zustand des
                 Pat. eine Befragung nicht zulässt (Bewusstlosigkeit). Wenn möglich, sollte diese
                 aber erfolgen.

                 Akronym SAMPLER
                 •    S – Signs and Symptoms (Befunde und Symptome): Zusammenfassung der
                      in den vorherigen Schritten ermittelten Befunde und Symptome. In der Pra-
                      xis werden ggf. beim Schritt „S“ die subjektiven Beschwerden des Patienten
                      nochmals genau zu hinterfragt.

4_HoffmannFlake.indb 33                                                                              01.02.2017 09:42:42
34 2      Arbeitstechniken

                  •   A – Allergies (Allergien): Hat der Pat. Allergien?
                      – Wichtig hinsichtlich der eingesetzten Medikamente
                      – Möglicherweise Auslösung der Beschwerden durch Kontakt mit einem
           2              Stoff
                  •   M – Medication (Medikamente):
                      – Angaben zur regelmäßigen Medikamente helfen bei der Identifikation
                          von Vorerkr.
                      – Aktuell eingenommene Medikamente, z. B. ein Antibiotikum, können auf
                          plötzliche Probleme durch eine Unverträglichkeit hinweisen.
                      – Ggf. versehentliche (oder absichtliche) Medikamentenüberdosierung.
                  •   P – Past Medical History (Anamnese): Welche medizinische Vorgeschichte
                      hat der Pat.? Welche Erkr. sind bekannt? Wurden OP durchgeführt? Ist der
                      Pat. derzeit wegen einer Erkr. in Behandlung? Kann hilfreich sein, wenn ein
                      Pat. z. B. angibt, dass die Beschwerden, aufgrund derer er den Rettungsdienst
                      alarmiert hat, genau die gleichen sind, wie er sie von einem früheren Ereignis
                      kennt.
                  •   L – Last Meal (Letzte Mahlzeit): Wann hat der Pat. zuletzt gegessen und/oder
                      getrunken?
                      – Dies ist v. a. bei geplanter Narkoseeinleitung, z. B. wegen erhöhtem Aspi-
                          rationsrisiko, von Interesse.
                      – Bestimmte Krankheitsbilder können mit einer Nahrungsaufnahme im
                          Zusammenhang stehen, z. B. Gallenkoliken.
                  •   E – Events (Ereignisse direkt vor dem Notfall): Was passierte direkt vor dem
                      Notfall? Kann sich der Pat. daran erinnern? Es ist z. B. ein Unterschied, ob der
                      Pat. von der Leiter gestürzt ist, weil er abgerutscht ist, oder ob er vielleicht
                      aufgrund einer Synkope stürzte.
                  •   R – Risk Factors (Risikofaktoren):
                      – Risikofaktoren für eine Erkr.: z. B. Nikotinabusus, Übergewicht, Diabetes
                          oder erhöhter Blutdruck. Können auch aufgedeckt werden, indem nach
                          Krankheiten bei Familienangehörigen gefragt wird.
                      – Risikofaktoren für Verletzung: z. B. Teppichkante, fehlende Anti-
                          rutschmatte in der Badewanne.

                  2.1.6 Anamneseerhebung
                  Erhebung der Anamnese des Pat. in einer strukturierten Reihenfolge. Die Durch-
                  führung der Befragung hängt vom Zustand des Pat. ab. Von Fall zu Fall ist die
                  Durchführung unmöglich, wenn der Patient z. B. bewusstlos ist.
                  Bei der Erhebung der Anamnese auf eine möglichst gezielte Fragetechnik achten
                  und aktiv Zuhören, baut Vertrauen zwischen Helfer und Patienten auf.
                  Eigenanamnese Auf den Angaben des Pat. basierende Krankengeschichte.
                  • Name und Alter des Pat.: Risikogruppe?
                  • Hauptbeschwerden, z. B. starke Brustschmerzen
                  • Nebenbeschwerden, z. B. Frösteln, Fieber, Herzrasen
                  • Bekannte. Vorerkr., z. B. KHK, Diabetes mellitus, Asthma bronchiale, Epilep-
                      sie
                  • Medikamente: Substanzen? Dosierung? Heute eingenommen?
                  • Schwangerschaft?
                  • Allergien: auf welche Stoffe?
                  • Letzte Mahlzeit: was? Wie viel? Wann?
                  • Drogen- und Alkoholabusus: was? Wie viel?

4_HoffmannFlake.indb 34                                                                              01.02.2017 09:42:42
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 35

                 •  Was ist vor dem Notfallereignis geschehen: z. B. Schwindel, Schwäche,
                    Schmerzen, körperliche Anstrengung, psychische Aufregung oder Stress, Sui-
                    zidgedanken?
                 • Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Nikotinabusus, Hyperlipoproteinämie, Dia-              2
                    betes mellitus, art. Hypertonus, familiäre Belastung.
                 Fremdanamnese Durch Passanten, Angehörige oder Freunde ermittelte Kran-
                 kengeschichte, z. B. bei zeitweise Bewusstlosen, kleinen Kindern, verwirrten Men-
                 schen.
                 • Verlauf der Bewusstlosigkeit: plötzlich, allmählich, Initialschrei?
                 • Beschwerdeäußerungen vor Bewusstseinsverlust: „Mir ist so schwindelig.“
                    Pat. hat sich „ans Herz gefasst“
                 • Verlauf: durchgehende Bewusstlosigkeit? Krampfanfall?
                 • Bekannte Vorerkr., Drogen- und Alkoholabusus, Schwangerschaft
                 • Pat. hat Suizidgedanken geäußert → gezielt nach Medikamenten und Ab-
                    schiedsbrief suchen
                 • Situation am Einsatzort: Eindruck (z. B. verwahrloste Wohnung, Gestank),
                    Lage des Pat. (z. B. auf dem Boden liegend, Toilette), Drogenutensilien (z. B.
                    verrußte Löffel, Spritzen, Marihuana-Wasser-Pfeifen), Medikamentenschach-
                    teln.

                     Tipps & Tricks
                     Folgende Faktoren beim bewusstlosen Pat. liefern zusätzliche wertvolle Hin-
                     weise:
                     • Raumtemperatur
                     • Herumliegende Medikamente, Abschiedsbrief (z. B. Tablettenreste in Glä-
                        sern, Toilette, Ausguss)
                     • Einstichstellen
                     • Mundgeruch des Patienten (Foetor)
                     • Prüfen der Umgebungsluft am Einsatzort
                     • Körperstellung des Patienten an der Einsatzstelle

                 Akronym OPQRST
                 •    O – Onset (Beginn und Ursprung): Wann und vor allem wie haben die
                      Schmerzen oder Beschwerden begonnen? Was hat der Pat. gemacht, als die
                      Beschwerden auftraten? Traten die Beschwerden ganz plötzlich auf oder wur-
                      den sie im Lauf der Zeit immer schlimmer? Liegen begleitende Beschwerden
                      vor, wie etwa Übelkeit, Erbrechen, Schwindel oder Taubheitsgefühl?
                 •    P – Palliation/Provocation (Linderung/Verschlechterung): Werden die
                      Schmerzen oder Beschwerden durch bestimmte Handlungen schlimmer oder
                      besser? Ein Pat. mit einer Kolik ist z. B. unruhig; die Beschwerden werden
                      meist schlimmer, wenn er still liegt.
                 •    Q – Quality (Qualität): gemeint ist die Art der Beschwerden. Beschreibt der
                      Pat. seine Schmerzen z. B. als dumpf und nicht genau lokalisierbar, kann dies
                      auf Erkr. der inneren Organe hinweisen.
                 •    R – Region/Radiation (Region/Ausstrahlung): In welcher Region befinden
                      sich die Beschwerden? Strahlen sie in angrenzende Regionen aus? Ein interes-
                      santes Phänomen ist der Übertragungsschmerz: Mitunter kann es an ganz an-
                      deren Stellen schmerzen als an dem eigentlichen Ort der Ursache (▶ Tab. 2.1).

4_HoffmannFlake.indb 35                                                                               01.02.2017 09:42:42
36 2      Arbeitstechniken

                   Tab. 2.1 Übertragener Schmerz (NAEMT 2013) [G535]
                   Lokalisation                    Organ
           2
                   Schmerzen in linker Schulter    Reizung des Zwerchfells (Blut oder Luft aus einer
                                                   Ruptur anderer abdominaler Organe wie Ovarien,
                                                   Milzruptur, Myokardinfarkt)

                   Schmerzen in rechter Schulter   Leberreizung, Gallenblasenschmerzen, Reizung
                                                   des Zwerchfells

                   Schmerzen im rechten Schul-     Leber und Gallenblase
                   terblatt

                   Oberbauch, epigastrisch         Magen, Lunge, Herz

                   Umbilikal, um den Nabel         Dünndarm, Blinddarm (Appendix)

                   Rücken                          Aorta, Magen und Pankreas

                   Flanken und Leistengegend       Niere, Ureter

                   Perineum                        Harnblase

                   Suprapubisch                    Harnblase, Kolon

                  •   S – Severity (Intensität): Ermittlung der Schmerzintensität oder der Be-
                      schwerden anhand der numerischen Rating-Skala (NRS), die von 0–10
                      reicht. Keine Beschwerden werden mit 0 Punkten und die schlimmsten vor-
                      stellbaren Beschwerden mit 10 Punkten bewertet.
                  •   T – Time (Dauer): Liegt der Beginn der Beschwerden erst Min. oder schon
                      Stunden oder gar Tage zurück? Wichtig z. B. um zu ermitteln ob sich ein Pati-
                      ent noch im sog. „Lyse-Fenster“ befindet.

                  2.1.7 Analyse ausgewählter Vitalparameter
                  Die Analyse ausgewählter Vitalparameter dient der Vertiefung und Abgrenzung
                  der kompletten Notfalluntersuchung. Bei der Bestimmung der Vitalparameter ste-
                  hen dem Rettungsfachpersonal eine ausreichende Anzahl von technischen Hilfs-
                  mitteln zur Verfügung (▶ Tab. 2.2).

                   Tab. 2.2 Hilfsmittel zur Analyse bestimmter Vitalparameter
                   Geräte                           Vitalparameter

                   Blutdruckmanschette              Blutdruck

                   Stethoskop                       Herzgeräusche, Atemgeräusche und Darmgeräu-
                                                    sche

                   Glukometer                       Blutzucker

                   EKG                              Herzfrequenz/Herzrhythmus

                   Pulsoxymeter                     O2-Gehalt des Blutes/Herzfrequenz

                   Kapnometer                       CO2-Gehalt der Ausatemluft

                   Thermometer                      Temperatur

4_HoffmannFlake.indb 36                                                                                01.02.2017 09:42:42
2.2 Diagnostik 37

                   Komplettes Monitoring
                   Heute wird bei jedem Pat. ein komplettes Standardmonitoring durchgeführt.
                   Es umfasst die Messung von Herzfrequenz (HF), Blutdruck (RR), Blutzucker                  2
                   (BZ), Sauerstoffsättigung (SpO2) und Körpertemperatur sowie ein EKG-Mo-
                   nitoring. Ggf. kommen weiter Messungen hinzu.

                 2.2 Diagnostik

                 2.2.1 Pulskontrolle
                 Frank Flake
                 Die Palpation des Pulses ist eine der ersten Vitalfunktionskontrollen. Dabei auch
                 Hauttemperatur und -feuchtigkeit wahrnehmen.
                 Indikationen Bei allen Pat. im Rahmen der Erstuntersuchung, bei Notfallpat.
                 fortlaufend engmaschig.
                 Messtelle ▶ Tab. 2.3
                 • Zentraler Puls: an allen großen herznahen (zentralen) Arterien. Bevorzugte
                     Messstelle bei Kreislaufzentralisation, da sich dann die peripheren Gefäße
                     engstellen.
                 • Peripherer Puls: an allen herzfernen (peripheren) Arterien.
                  Tab. 2.3 Pulsmessstellen
                  Arterie             Lokalisation                 Indikation

                  Zentraler Puls

                  A. carotis          Unmittelbar lateral des      Schwere Schockzustände (Zentrali-
                                      Schildknorpels               sation), Diagnose Kreislaufstill-
                                                                   stand, ständige Kontrollen am Re-
                                                                   animationspatienten

                  A. femoralis        Leistenbeuge (großflächig     Ständige Kontrollen am Reanima-
                                      palpieren)                   tionspatienten

                  Peripherer Puls

                  A. temporalis       Über dem Schläfenbein, di-   Pulskontrolle bei Neu- und Früh-
                                      rekt über dem Ansatz der     geborenen
                                      Ohrmuschel

                  A. radialis         Beugeseite Handgelenk        Routinemäßige Kontrolle
                                      oberhalb des Daumens

                  A. brachialis       Muskellücke (Bizeps/Tri-     Pulskontrolle bei Kleinkindern
                                      zeps) Innenseite Oberarm

                  A. dorsalis pedis   Fußrücken, über der Kahn-    Durchblutungskontrolle der unte-
                                      beinregion (großflächig       ren Extremität bei Frakturen, V. a.
                                      palpieren)                   AVK

4_HoffmannFlake.indb 37                                                                                  01.02.2017 09:42:42
38 2      Arbeitstechniken

                  Durchführung
                  • Mit den Fingerkuppen der mittleren drei Finger leicht auf die oberflächlich
                     liegende Arterie drücken
           2      • Bei regelmäßigem Puls: (Pulsschläge pro 15 Sek) × 4 = Frequenz/Min., ggf.
                     Pulsuhr verwenden
                  • Bei Bradykardie (< 50/Min.) oder vermehrt auftretenden Extrasystolen mind.
                     1 Min. kontrollieren. Cave: Extrasystolen mitzählen.
                  • Beurteilungskriterien bei der Pulskontrolle
                     – Frequenz: Häufigkeit pro Min. (▶ Tab. 2.4)
                     – Rhythmus: Regelmäßigkeit
                     – Qualität: Füllung und Spannung der Gefäße
                  • Ergebnis dokumentieren
                   Achtung
                   Niemals beide Karotisarterien gleichzeitig palpieren, da Gefahr des RR-Abfalls
                   und der Bradykardie, insbesondere bei hypersensiblem Karotissinus.

                   Tab. 2.4 Pulsfrequenzen pro Minute im Ruhezustand
                   Altersgruppe       Normalwerte         Tachykardie          Bradykardie

                   Erwachsene         60–80               > 100                < 50

                   Kinder             80–100              > 125                < 65

                   Kleinkinder        100–120             > 150                < 80

                   Säuglinge          120–140             > 175                < 95

                   Neugeborene        120–150             > 190                < 100

                  Interpretation
                  • Rhythmusstörungen des Herzens sind vielfach schon bei der Pulskontrolle zu
                      erkennen, eine sichere Diagnostik ist jedoch nur mittels EKG möglich (▶ Kap.
                      5.2).
                  • Die Pulsqualität lässt vage Rückschlüsse auf den Blutdruck zu: sehr kräftiger
                      Puls als Hinweis auf Hypertonie und kaum tastbarer, schwacher Puls als Hin-
                      weis auf Hypotonie. Exakte Beurteilung jedoch nur mittels RR-Messung
                      möglich (▶ 2.2.2)
                  • Pulsfrequenz und Pulsqualität stehen in engem Zusammenhang
                      – Physiologisch: hohe Frequenz und gute Qualität als Zeichen für körperli-
                          che Anstrengung. Niedrige Frequenz und normale Qualität als Zeichen
                          für körperliche Ruhe
                      – Pathologisch: niedrige Frequenz und starke Qualität als Zeichen für
                          Druckpuls bei erhöhtem Hirndruck. Hohe Frequenz und wässrige Quali-
                          tät als Hinweis auf Volumenmangelschock.
                  • Pulsdefizit: Differenz zwischen der peripher und zentral gemessenen Pulsfre-
                      quenz bei unzureichender Auswurfleistung des Herzens.

                   Tipps & Tricks
                   • Möglichst nicht mit dem Daumen palpieren → Verwechslung mit dem Ei-
                      genpuls.

4_HoffmannFlake.indb 38                                                                             01.02.2017 09:42:42
270 7      Schock

                  7.1 Pathophysiologie
                  Multifaktorielle Störung der Kreislauffunktion mit lebensbedrohlicher Minder-
                  durchblutung (Hypoperfusion) der Organe und nachfolgender hypoxisch-meta-
                  bolischer Schädigung der Zellfunktion. Es entsteht ein Missverhältnis zwischen
                  körpereigenem Sauerstoffbedarf und verfügbarem Sauerstoffangebot.

                   Merke
                   Jeder Schock bedeutet höchste Lebensgefahr und ist eine NA-Indikation.

                  Kreislaufzentralisation Umverteilung des reduzierten HZV zu Gunsten von
                  Herz und Gehirn und auf Kosten von Muskulatur, Splanchnikusgebiet, Nieren
                  und Haut. Durch den absoluten oder relativen Mangel des Blutvolumens sinkt das
                  HMV → Minderperfusion der kapillären Strombahn: O2-Bedarf wird nicht mehr
                  gedeckt (Gewebshypoxie) → sympathikoadrenerge Kompensationsmechanis-
                  men (Freisetzung von Noradrenalin und Adrenalin):
                  • Vasokonstriktion → Abschaltung peripherer Gebiete und Umverteilung des
                      Blutes
                  • Steigerung der Herzfrequenz zur Konstanthaltung des HZV, um Vorzugsge-
                      biete, wie z. B. Herz und Gehirn, noch ausreichend zu versorgen.
                  Kreislaufdezentralisation Werden die sampathikoadrenergen Kompensations-
                  möglichkeiten überfordert, z. B. durch weitere Blutverluste, geht der Schock nach
                  einiger Zeit in die Dezentralisationsphase über:
                  • Die reflektorische Vasokonstriktion weicht einer metabolischen Vasodilata-
                      tion bei geschlossenen Venolen (Vasomotion) → Anstieg des hydrostatischen
                      Drucks in den Kapillaren und Erhöhung der Permeabilität der Gefäße:
                      – Flüssigkeitsaustritt und Abnahme des intravasalen Volumens
                      – Venöser Rückstrom ൻ
                      – HF ൹, RR ൻ
                  • Niedrige Strömungsgeschwindigkeit → sinkende Kapillardurchblutung →
                      Gewebshypoxie ൹ → anaerober Stoffwechsel → Azidose.
                  Verbrauchskoagulopathie, disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) Generali-
                  sierte intravaskuläre Gerinnungsaktivierung mit Verbrauch von Gerinnungsfak-
           7      toren und Thrombozyten → hämorrhagische Diathese.
                  Multiorganversagen Manifestation vor allem an folgenden Organen:
                  • Niere: Minderdurchblutung der Nierenrinde → Oligurie, Anurie → akutes
                      Nierenversagen (Schockniere)
                  • Herz: Minderdurchblutung der Herzkranzgefäße → Herzinsuff.
                  • Lunge: Gewebshypoxie, Gewebsazidose → Schädigung der alveolokapillären
                      Membran → Permeabilitätsstörungen → interstitielles/intraalveoläres Lungen-
                      ödem → Ausbildung hyaliner Membranen, Thromben, unzureichende Bil-
                      dung von Surfactant (Antiatelektasefaktor) mit Ausbildung von Mikroatelek-
                      tasen, Lungenödem → ARDS (adult respiratory distress syndrome; Schock-
                      lunge) → hohe Letalität.
                  • Leber: Minderdurchblutung der Leber → verminderte Leberfunktion
                      (Schockleber)
                  • Gastrointestinaltrakt: fokale Ischämie → Permeabilität der Intestinalgefäße →
                      Exsudation eiweißreicher Flüssigkeit in das Darmlumen → Bakterienübertritt
                      in die intestinalen Lymphbahnen → Bakteriämie → septischer Schock.

4_HoffmannFlake.indb 270                                                                          01.02.2017 09:43:29
7.2 Einteilung 271

                 Circulus vitiosus des Schocks ▶ Abb. 7.1. Wenn dieser Circulus vitiosus nicht
                 frühestmöglich therapeutisch unterbrochen wird, kommt es zu irreversiblen Zell-
                 nekrosen.

                 Abb. 7.1 Circulus vitiosus des Schocks

                 7.2 Einteilung
                 Einteilung der Schockursachen nach der Klassifikation von Weil und Shubin
                 (▶ Tab. 7.1):
                 • Hypovolämischer Schock
                 • Kardiogener Schock
                 • Obstruktiver Schock:
                     – Intrakardiale Ursache: Perikardtamponade, Myxom, konstriktive Perikarditis
                     – Extrakardiale Ursachen: Lungenembolie, Spannungspneumothorax, Ve-
                        na-cava-Kompressionssyndrom
                 • Distributiver Schock: z. B. septischer Schock, anaphylaktischer Schock, neu-
                     rogener Schock, endokriner Schock

                  Tab. 7.1 Wegweiser zur Schockursache (modifiziert nach Schubert)
                  V. a. hypo-
                  volämischen
                                  =   Hinweise auf Volumenverlust, z. B. Trauma, Verbrennung, Blu-
                                      tung, Operation, Flüssigkeitsverluste
                                                                                                               7
                  Schock              +
                                      „Leere“, kollabierte Venen

                  V. a. kardio- =     Bekannte Herzerkr., Herzrhythmusstörung, Thoraxschmerz, aku-
                  genen Schock        ter Infarkt, Herztamponade als Hinweise auf kardiale Erkrankung
                                      +
                                      „Gefüllte“, gestaute Halsvenen

                  V. a. septi-    =   Fieber, hochrote Haut, bakterieller Infekt als Hinweise auf Sepsis
                  schen Schock        +
                                      Keine Hinweise auf Volumenverlust oder kardiale Erkrankung

                  V. a. anaphy-   =   Hinweise auf Überempfindlichkeitsreaktion, z. B. Kontrastmittel-
                  laktischen          gabe, Arzneimittelinjektion, Infusion, Insektenstich, allergische
                  Schock              Hauterscheinungen

                  V. a. neuro- =      Hinweise auf akute Störung des ZNS, z. B. SHT, intrazerebrale
                  genen Schock        Blutung, Sonnenstich

4_HoffmannFlake.indb 271                                                                                   01.02.2017 09:43:29
272 7      Schock

                  7.3 Vorgehen
                  Ersteindruck
                  • Blässe, Kaltschweißigkeit
                  • Verwirrtheit
                  • Evtl. kollabierte Halsvenen
                  • Veränderte Bewusstseinslage: Unruhe, Angst, Apathie, Somnolenz, Koma
                   Achtung
                   Ausnahme septischer Schock
                   Frühphase des septischen Schocks (hyperdyname Form): rosiges Aussehen,
                   trockene und warme Haut, Hyperventilation, Fieber, Schüttelfrost.

                  ABCDE-Schema
                  • Tachypnoe
                  • Tachykardie
                  • Flacher, kaum tastbarer Puls (an A. radialis oft nicht mehr palpabel)
                  • Weite, kaum reagierende Pupillen
                   Monitoring & Befunde
                   • RRsyst < 80–100 mmHg (bei zuvor bestehender Hypertonie evtl. „norma-
                     ler“ RR)
                   • P > 100/Min.
                  Basismaßnahmen
                  ! Schnelle Behandlung ist entscheidend für die Prognose.
                  • Lagerung: Flachlagerung, Beine hoch (Achtung: niemals bei kardiogenem
                     Schock), bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage.
                  • Pat. beruhigen, das Gefühl vermitteln, dass geholfen wird.
                  • Wärmeerhalt: Pat. mit Decken zudecken, evtl. Rettungsdecke „Gold/Silber“
                     benutzen.
                  • O2-Gabe: 12–15 l/Min. über Gesichtsmaske
                  • Basismonitoring (RR, P, EKG, SpO2)
           7      • Venösen Zugang legen: 2–3 großlumige venöse Zugänge, großzügige Flüssig-
                     keitszufuhr bei absolutem Volumenmangel, z. B. 20–40 ml/kg KG Vollelekt-
                     rolytlösung. Ggf. permissive Hypotension einleiten.

                   Achtung
                   Im kardiogenen Schock Infusion nur zum Offenhalten des Zugangs und Ein-
                   spülen der Medikamente.

                  Erweiterte Maßnahmen
                  • Ggf. zusätzlich kolloidale Volumenersatzmittel: z. B. 20 ml/kg KG i. v.
                  • Bei schwierigen Venenverhältnissen evtl. Anlage eines ZVK (▶ Kap. 2.4.3)
                     bzw. eines intraossären Zugangs (▶ Kap. 2.4.4)
                  • Sedierung: z. B. Midazolam 2,5–5 mg (0,05–0,1 mg/kg KG) i. v. (▶ Kap. 19.2.44)
                  • Evtl. Analgesie: Fentanyl 0,05–0,1 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.28)
                  • Evtl. Narkoseeinleitung und Beatmung.

4_HoffmannFlake.indb 272                                                                         01.02.2017 09:43:29
7.4 Hypovolämischer Schock/Volumenmangelschock 273

                 7.4 Hypovolämischer Schock/
                 Volumenmangelschock
                 Häufigste Schockursache. Durch absolute Verminderung der zirkulierenden Blut-
                 menge entstehende Kreislaufinsuff. (▶ Tab. 7.2). Nicht nur an sichtbare, sondern
                 auch an innere (versteckte) Blutungen denken, z. B. bei Fraktur, Bauchtrauma,
                 GIT-Blutung.

                  Tab. 7.2 DD Volumenmangelschock ർ kardiogener Schock
                               Ursache              Klinisches Bild    Einfache        EKG
                                                                       Kreislaufgrö-
                                                                       ßen

                  Volumen-     • Verminderung       • Blässe           • RR ൻ        Sinustachykar-
                  mangel-        der zirkulieren-   • Kaltschweißi-    • Puls ൹      die
                  schock         den Blutmenge        ge Haut          • ZVD ൻ (kol-
                               • Blut-, Plasma-,    • Zentralisation     labierte
                                 Elektrolyt- und    • „Fehlende          Halsvenen)
                                 Wasserverluste,      Venenfül-
                                 z. B. durch Ver-     lung“
                                 letzung, Blu-
                                 tung, Verbren-
                                 nung, Erbre-
                                 chen, Durchfall

                  Kardioge-    • Kreislaufinsuff.   • Blässe bis Zy-    • RR ൻ          • Evtl. Rhyth-
                  ner Schock     durch Pumpver-      anose             • Puls ൹, evtl.   musstörun-
                                 sagen des Her-    • Evtl. kalt-         arrhyth-        gen
                                 zens, z. B. durch   schweißige          misch         • Evtl. Myo-
                                 Hypertonus,         Haut              • Evtl. Puls-     kardinfarkt-
                                 Herz- oder Ko-    • Häufig sitzen-       defizit          zeichen
                                 ronarinsuff.,       de Haltung        • ZVD ൹         • Häufig abso-
                                 Myokardinfarkt, • (Todes-)              (Halsvenen-     lute Tachyar-
                                 Herzrhythmus-       Angst, Atem-        stauung)        ryhthmie
                                 störungen           not
                                                   • Evtl. Thorax-
                                                     schmerz
                                                   • Gestaute
                                                     Halsvenen
                                                                                                             7
                 Ursachen
                 • Blutverluste (hämorrhagischer Schock), z. B. innere und äußere Blutungen
                 • Plasma- bzw. Flüssigkeitsverluste (hypovolämischer Schock), z. B. durch
                    Verbrennungen, Durchfälle, Erbrechen.
                 Ersteindruck
                 • Unruhe, Blässe, Kaltschweißigkeit, im fortgeschrittenen Stadium Zyanose
                 • Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit
                 • Evtl. sichtbare Quellen für starken Flüssigkeits- bzw. Blutverlust
                 ABCDE-Schema
                 • Evtl. schnelle, flache Atmung
                 • Puls kaum tastbar
                 • Halsvenen kollabiert (nicht sichtbar), verminderte Venenfüllung (Punktion
                    erschwert), Nagelbettprobe verlangsamt (> 2 Sek.)
                 • Zunehmende Tachykardie

4_HoffmannFlake.indb 273                                                                                 01.02.2017 09:43:29
274 7      Schock

                   Monitoring & Befunde
                   RR ൻ, RR-Amplitude vermindert, z. B. 90/70 mmHg.

                  Basismaßnahmen
                  • Kausal vorgehen, z. B. Blutung stillen mittels Druckverband (▶ Kap. 2.15.4)
                  • Lagerung: Flachlagerung, Beine hoch, bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage.
                  • Pat. beruhigen
                  • Je nach Schwere NA nachfordern
                  • Vor Wärmeverlust schützen
                  • O2-Gabe 10–15 l/Min. über Gesichtsmaske
                  • Basismonitoring (RR, P, EKG, SpO2)
                  • Venösen Zugang legen (2–3 großlumige): 20–40 ml/kg KG Vollelektrolytlö-
                     sung als Druckinfusion i. v.
                  Erweiterte Maßnahmen
                  • Rasche Volumenther. → Gabe von kolloidalen Volumenersatzmitteln erwä-
                     gen, z. B. 20–30 ml/kg KG i. v., ggf. permissive Hypotension (Ziel RRsyst:
                     80 mmHg) einleiten
                  • Intubation und Beatmung: großzügige Indikation
                  • Analgesie: z. B. Morphin 5–10 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.45, Cave: bei instabiler
                     Kreislaufsituation vorsichtig geben)
                  • Sedierung: z. B. Midazolam 2,5–5 mg (0,05–0,1 mg/kg KG) i. v. (▶ Kap. 19.2.44)
                  Transport
                  • In Klinik mit internistischer oder chirurgischer Intensivstation
                  • Evtl. Sonderrechte
                  • Voranmeldung
                   Tipps & Tricks
                   • Dextrane verbessern die Mikrozirkulation und besitzen erwünschte anti-
                      thrombotische Eigenschaften.
                   • Pulsoxymetrie mit peripheren Sensoren (z. B. Fingersensor) in Phase der
                      Zentralisation nicht möglich → zentralen Messort, wie Stirn, Ohrläppchen
                      oder Nasenflügel, wählen.
                   • Small volume resuscitation ist out → geringer Effekt
           7       • Bei schweren Penetrationsverletzungen und stumpfem Bauchtrauma
                      schnellstmöglicher Transport in die Klinik.

                  7.5 Kardiogener Schock
                  Akute Kreislaufinsuff. durch myokardiales Pumpversagen.
                  Ursachen
                  • Akuter Myokardinfarkt (wenn mehr als 40 % des Herzmuskelgewebes des lin-
                     ken Ventrikels „ausfallen“, kardiogener Schock mit Letalität von 90 %)
                  • Dekompensierte Herzinsuff., Kardiomyopathie
                  • Tachy- und bradykarde Herzrhythmusstörungen, z. B. ventrikuläre Tachykardie
                  • Herzklappenfehler
                  • Myokarditis
                  • Überdosierung herzkraftsenkender Medikamente, z. B. Betablocker

4_HoffmannFlake.indb 274                                                                         01.02.2017 09:43:29
7.5 Kardiogener Schock 275

                 Ersteindruck
                 • Blässe, Kaltschweißigkeit
                 • Atemnot, evtl. Zyanose
                 • Bewusstseinsstörung bis hin zur Bewusstlosigkeit
                 • Bei insuffizienter Pumpleistung des rechten Herzens gestaute Halsvenen
                 ABCDE-Schema
                 • Auskultation: feuchte Rasselgeräusche über den basalen Lungenabschnitten.
                 • Evtl. Tachykardie, Bradykardie, Arrhythmie, Puls kaum tastbar (zentralisiert)
                 • Nagelbettprobe verlangsamt (> 2 Sek.)
                   Monitoring & Befunde
                   • RR, P, EKG, SpO2
                   • RR ൻ, bis nicht mehr messbar
                   • EKG: evtl. Hinweis auf ursächliche Herzerkrankung, z. B. Myokardinfarkt,
                     Herzrhythmusstörung

                 Fokussierte Untersuchung
                 • Evtl. Ödeme, vor allem in den Beinen
                 • Evtl. Lungenödem
                 Basismaßnahmen
                 • Lagerung: erhöhter Oberkörper (30–45°), evtl. Beine tief (▶ Abb. 2.29)
                 • Pat. beruhigen
                 ! NA nachfordern
                 • O2-Gabe: 6–15 l/Min. über Gesichtsmaske
                 • Unblutiger Aderlass (▶ Abb. 2.30)
                 • Venösen Zugang legen, oOffenhalten mit Vollelektrolytlösung, sehr langsam
                    laufen lassen
                 Erweiterte Maßnahmen
                 • Kausale Therapie, Ursache, z. B. Rhythmusstörung behandeln, Lungenembo-
                    lie: Fibrinolyse
                 • Herzentlastung, Vasodilatation, Senkung des Füllungsdrucks: 1–2 Hübe
                    Nitro-Spray s. l., Furosemid 20–40 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.30), evtl. zusätzlich
                    Glyzeroltrinitrat 0,03–0,18 mg/kg KG/h über Perfusor (▶ Kap. 19.2.32)
                 • Herzkraftsteigerung, periphere Gefäßverengung: Dobutamin 1–10 μg/kg                   7
                    KG/Min. i. v. (▶ Kap. 19.2.22), Noradrenalin 0,014–0,28 μg/kg KG/Min. i. v.
                    (▶ Kap. 19.2.51)
                 • Sedierung: z. B. Midazolam 2,5–5 mg (0,05–0,1 mg/kg KG) i. v.
                    (▶ Kap. 19.2.44)
                 • Analgesie: z. B. Morphin 5–10 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.45) oder Fentanyl 0,05–
                    0,1 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.28, Cave: Atemdepression).
                 ! Großzügige Indikation zu Intubation und Beatmung.
                 • Zum Einsatz von Medikamenten:
                    – Bei Hypertonikern Einsatz von Nitraten nur dann, wenn der Normalblut-
                         druck nicht deutlich unterschritten ist, da mit einem weiteren Blutdruck-
                         abfall gerechnet werden muss: zunächst Katecholamine geben
                    – Bei RRsyst < 80 mmHg im Rahmen der Behandlung mit Katecholaminen
                         Dobutamin nicht allein einsetzen (Gefahr eines weiteren Blutdruckabfalls)
                         → Kombination mit Noradrenalin

4_HoffmannFlake.indb 275                                                                             01.02.2017 09:43:29
276 7         Schock

                  Transport
                  • In Klinik mit internistischer Intensivstation
                  • Evtl. Sonderrechte
                  • Voranmeldung

                  7.6 Anaphylaktischer Schock
                  Akut lebensbedrohliche Antigen-Antikörper-Reaktion des Organismus mit Frei-
                  setzung von Histamin, Serotonin und Bradykinin. Kreislaufinsuff. durch hist-
                  aminbedingte Weitstellung der peripheren Gefäße, erhöhte Kapillarpermeabilität,
                  verminderter venöser Rückstrom, Bronchospasmus.

                       Achtung
                       Von allen Schockarten der akuteste, da er innerhalb von Minuten zum Tode
                       führen kann.

                  Ursachen
                  • Allergische Reaktion auf Medikamente:
                     – Antibiotika, z. B. Tetrazykline, Penicilline, Cephalosporine
                     – Iodhaltige Röntgenkontrastmittel
                     – i. v. gegebene Vitamine, z. B. Vitamin K1
                     – Lokalanästhetika, z. B. Procain
                     – Kolloidale Volumenersatzmittel, z. B. Hydroxyäthylstärke (HAES)
                     – Blutprodukte, z. B. Albuminlösungen
                     – Konservierungsmittel in Medikamenten, z. B. Parabene, Na-Sulfit
                  • Allergische Reaktion auf Fremdeiweiße und Polysaccharide:
                     – Insekten- und Schlangengifte
                     – Allergene bei Hyposensibilisierungen
                     – Organextrakte
                     – Nahrungsmittel

                   Tab. 7.3 Schweregrade der systemischen anaphylaktischen Reaktion (nach
                   Ring J et al. Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie. S2-
                   Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunolo-
           7       gie. Allergo J Int 2014; 23: 96) [P108/L231]
                   Schwere-       Symptome
                   grad

                   I              Leichte Allgemeinsymptome (Juckreiz), Hauterscheinungen (z. B. Haut-
                                  rötung, Flush, Urtikaria), Angioödem

                   II             Zusätzlich: Kreislauf- (z. B. Hypotonie, Tachykardie) und Atemwegsreak-
                                  tionen (z. B. Dyspnoe), Übelkeit, Erbrechen

                   III            Zusätzlich: Schocksymptomatik, Bronchospasmus, Zyanose

                   IV             Herz-Kreislauf-Stillstand, Atemstillstand

                  Ersteindruck (▶ Tab. 7.3)
                  • Unruhe, Juckreiz, Schwindel, Schüttelfrost, Angst, Übelkeit (bis zum Erbre-
                     chen), Durchfall
                  • Hautreaktionen (Ödeme, Quaddeln, Flush)

4_HoffmannFlake.indb 276                                                                                    01.02.2017 09:43:29
7.6 Anaphylaktischer Schock 277

                 • Dyspnoe mit Bronchospasmus
                 • Evtl. Krampfanfall
                 • Bewusstseinsverlust
                 • Kreislaufstillstand
                 ABCDE-Schema
                 • OPQRST (▶ Kap. 2.1.6) und SAMPLER (▶ Kap. 2.1.3) anwenden
                 • Anamnese: bekannte Allergie
                 • Auskultation: unauffällig im Gegensatz zum kardiogenen Schock (▶ Tab. 7.2);
                   evtl. Bronchospasmus

                     Monitoring & Befunde
                     • RR ൻ, HF ൹
                     • EKG: Sinustachykardie
                 Fokussierte Untersuchung Evtl. Larynxödem
                 Weiterführende Maßnahmen
                 • Ggf. Vorgehen nach ERC Algorithmus Anaphylaxie (▶ Abb. 7.2).
                 • Weitere Allergenzufuhr stoppen, z. B. Infusion.
                 • Lagerung: Oberkörperhochlagerung (30–45°).
                 • Pat. beruhigen.
                 • Je nach Schwere NA nachfordern.
                 • Vor Wärmeverlust schützen.
                 • O2-Gabe: 10–15 l/Min. über Gesichtsmaske
                 • Basismonitoring (RR, P, EKG, SpO2).
                 • Venösen Zugang legen (2–3 großlumige): 20–40 ml/kg KG Vollelektrolytlö-
                    sung als Druckinfusion i. v.
                 • Kühlung von Schwellungen, z. B. bei Insektenstichen.
                 • Evtl. Beatmung (▶ Kap. 2.8) oder kardiopulmonale Reanimation (▶ Kap. 3).
                 Erweiterte Maßnahmen

                     Achtung
                     Bei anaphylaktischem Schock, Stadium III/IV sofortige Adrenalin-Gabe (nicht
                     lange mit Antihistaminika, wie Clemastin, herumprobieren). Zunächst Adre-
                     nalin, dann Glukokortikoide applizieren, diese wirken erst nach 20–30 Min.,           7
                     Latenz muss mit Adrenalin überbrückt werden.

                 •    Rasche Volumensubstitution: 20 ml/kg KG Vollelektrolytlösung als Druckin-
                      fusion i. v., Erw. 2 000 ml/30 Min.
                 •    Stadien I und II
                      – Glukokortikoide: Prednisolon 250–500 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.60)
                      – Histaminantagonisten: Dimetinden 0,1–0,2 mg/kg KG i. v.
                          (▶ Kap. 19.2.21) oder Clemastin 0,05 mg/kg KG i. v. (▶ Kap. 19.2.13), ggf.
                          Ranitidin 50 mg p. o.
                      – Evtl. β2-Mimetika inhalativ, z. B. Salbutamol
                 •    Stadium III
                      – α-Sympathomimetika → Adrenalin 0,05–0,1 mg fraktioniert i. v. → evtl.
                          Dosierung steigern, besser 0,5 mg i. m. (▶ Kap. 19.2.23)
                      – Glukokortikoide: Prednisolon 250–500 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.60)
                 •    Stadium IV: unverzügliche Reanimation nach ERC-ALS-Richtlinien (▶ Kap. 3)

4_HoffmannFlake.indb 277                                                                               01.02.2017 09:43:29
278 7      Schock

                                                           Anaphylaktische Reaktion?

                                          Airway, Breathing, Circulation, Disability, Exposure

                                                    Diagnose:
                                                    ƒ akuter Krankheitsbeginn?
                                                    ƒ Lebensbedrohliche ABC-Probleme1
                                                    ƒ Hautmanifestationen (meist)

                                                              ƒ Hilfe anfordern
                                                              ƒ Patient flach hinlegen,
                                                                Beine anheben (falls
                                                                es die Atmung erlaubt)

                                                                       Adrenalin2

                                              Falls Erfahrung und Ausrüstung vorhanden:
                                    ƒ Atemwegssicherung
                                                                                               Monitorüberwachung:
                                    ƒ Sauerstoffgabe mit hohem Fluss
                                                                                               ƒ Pulsoxymetrie
                                    ƒ i.v. Flüssigkeitsbolus3
                                                                                               ƒ EKG
                                    ƒ Chlorphenamine (Antihistaminika)4
                                                                                               ƒ Blutdruck
                                    ƒ Hydrokortison5

                                1
                                 Lebensbedrohliche ABC-Probleme:
                                ƒ A: Schwellung der Luftwege, Heiserkeit, Stridor
                                ƒ B: Tachypnoe, Giemen, Müdigkeit, Zyanose, SpO2 < 92%, Verwirrtheit
                                ƒ C: Blässe, Schwitzen, Hypotonie, Schwäche, Schläfrigkeit, Bewusstlosigkeit
           7
                            2                                                                       3
                             Adrenaline (i.m. außer Sie haben Erfahrung mit i.v. Adrenalin)             IV Flüssigkeitsbolus
                             (wiederholen sie nach 5 Min., falls keine Besserung)                       (Kristalloide):
                            ƒ Erwachsene            500 μg i.m. (0,5 ml)                           Erwachsene: 500 – 1000 ml
                            ƒ Kinder >12 J.         500 μg i.m. (0,5 ml)                           Kinder: 20 ml/kg
                            ƒ Kinder 6–12 J.        300 μg i.m. (0,3 ml)
                            ƒ Kinder < 6 J.         150 μg i.m. (0,15 ml)                          Stoppen Sie i.v. Kolloide, falls
                                                                                                     diese als Ursache in Frage
                                Adrenalin soll nur durch erfahrene Spezialisten i.v. gegeben         kommen.
                                werden
                                Titration mit Boli von 50 μg (Erwachsene), 1 μg/kg (Kinder)

                            4
                                Chlorphenamine Injektionslösung ist in deutschsprachigen Ländern nicht im Handel
                                                                                                                  5
                                                         Dimetinden/Clemastin                                       Hydrokortison
                                                             (langsam i.v.)                                   (i.m. oder langsam i.v.)
                            Erwachsene oder Kinder > 12 J      0,1 mg/kg            Erwachsene oder Kinder > 12 J    200 mg
                            Kinder ab 1 Jahr                  0,03 mg/kg            Kinder 6–12 J.                   100 mg
                                                                                    Kinder 6 Monate – 6 J            50 mg
                                                                                    Kinder < 6 Monate                25 mg

                  Abb. 7.2 ERC-Algorithmus Anaphylaxie [F781-009]

4_HoffmannFlake.indb 278                                                                                                                 01.02.2017 09:43:30
7.7 Septischer Schock 279

                 •    Bei Bronchospasmus: β2-Mimetika inhalativ
                 •    Ggf. Adrenalin inhalativ
                 •    Bei fortbestehender Schocksymptomatik Dobutamin 1–10 μg/kg KG/Min. i. v.
                      (▶ Kap. 19.2.22), Noradrenalin 0,014–0,28 μg/kg KG/Min. i. v. (▶ Kap. 19.2.51)
                 •    Bei ausgeprägtem Larynxödem Intubation oder Koniotomie (▶ Kap. 2.7.9)
                 •    Zum Einsatz von Medikamenten: Kein Volumenersatz mit kolloidalen Lö-
                      sungen, wie HAES → können als zusätzliches Allergen wirken

                     Intubation und Beatmung
                     • Indikationen: Zeichen der Einengung der oberen Luftwege (inspiratori-
                        scher Stridor vorhanden?), Atemstillstand, kardiopulmonale Reanimation.
                     • Narkose:
                        – Einleitung: Etomidat 0,2–0,3 mg/kg KG i. v. (▶ Kap. 19.2.25)
                        – Evtl. Relaxierung: Suxamethoniumchlorid 1 mg/kg KG i. v.
                            (▶ Kap. 19.2.69, Cave: Histaminfreisetzung)
                     • Kontrollierte Beatmung:
                        – I : E = 1 : 1,7–2, bei Bronchospasmus I : E = 1 : 2–3
                        – Niedrige AF: 8–10/Min.
                        – Normales AZV: 6–8 ml/kg KG
                        – FiO2: 1,0
                     ! Bei Bronchospasmus keine PEEP-Beatmung → Erhöhung des intrathora-
                        kalen Drucks durch „air trapping“ (▶ Kap. 6.2)

                 Transport
                 • In Klinik mit internistischer Intensivstation
                 • Evtl. Sonderrechte
                 • Voranmeldung

                 7.7 Septischer Schock
                 Kreislaufinsuff. durch Freisetzung bakterieller Gifte (Endotoxine) bei schweren
                 Infektionen mit gramnegativen Erregern, z. B. Escherichia coli, Salmonellen, Pro-
                 teus. Bei grampositiven Erregern leichtere Verläufe.
                 Die Endotoxine senken über eine Gefäßerweiterung den peripheren Widerstandes
                 und führen zum Blutdruckabfall. Durch frühzeitige intravasale Gerinnung Mikro-
                                                                                                           7
                 zirkulationsstörungen und irreversible Organschäden. Letalität 30–50 %.

                     Merke
                     • Der septische Schock ist im RD nicht immer einfach zu diagnostizieren.
                       Er gilt deshalb eher als seltenes Krankheitsbild. Zumindest die Sepsis ist
                       aber häufig im Rettungsdienst anzutreffen.
                     • In der Klinik wird zur Behandlung des septischen Schocks eine operative
                       Sanierung der Sepsisherde und/oder eine Antibiotikather. durchgeführt.

                 Risikofaktoren Diabetes mellitus, große operative Eingriffe, Kachexie, Verbren-
                 nungen, Agranulozytose, Leukämie, Malignome, Behandlung mit Glukokortiko-
                 iden und Zytostatika.

4_HoffmannFlake.indb 279                                                                               01.02.2017 09:43:30
280 7      Schock

                   Sepsis-Leitlinien 2016
                   Im Februar 2016 erschien eine neue internationale Sepsisleitline. Sepsis selber
                   ist keine Erkrankung, sondern ein Syndrom. Um einen Pat. mit einer poten-
                   zielle Sepsis zu erkennen, wird der qSOFA Score (quick Sepsis Related Organ
                   Failure Assessment) angewendet. Er beinhaltet 3 Kriterien:
                   • Verwirrtheit
                   • Systolischer Blutdruck ≤100 mmHg
                   • Atemfrequenz >22/Min.
                   Jeder Pat. mit diesen Kriterien im Rettungsdienst und in der Notaufnahme gilt
                   zunächst als potenzieller Sepsispat. Bei ≥ 2 positiven Kriterien soll nach einem
                   Organversagen gefahndet werden.
                   Um einen septischen Schock zu diagnostizieren, müssen 2 zusätzliche Krite-
                   rien erfüllt werden:
                   • Persistierende Hypotonie, bei der Vasopressoren eingesetzt werden müs-
                       sen, um einen MAP ≥65 mmHg zu erreichen
                   • Laktat >2 mmol/l trotz Volumenther.
                  Ursachen Harnwegs- oder Gallenwegsinfektionen, septischer Abort, Katheterin-
                  fektion (z. B. Venenverweilkanülen, ZVK), Tracheostoma.
                  Ersteindruck
                  ! Bei der Trias Hyperventilation, Tachykardie und hyperdynamer Kreislaufsi-
                      tuation sollte immer an Sepsis gedacht werden und die Ther. eingeleitet wer-
                      den, bis andere Ursachen ausgeschlossen werden.
                  • Hyperdynames Stadium
                      – Hyperventilation, Tachypnoe
                      – Tachykardie
                      – Überwärmte, gerötete, trockene Haut
                      – Schüttelfrost
                  • Hypodynames Stadium
                      – Kalte, zyanotische, evtl. marmorierte Haut
                      – Bewusstsein meist eingeschränkt, häufig Verwirrtheit, evtl. Koma
                      – Oligurie
                  ABCDE-Schema
           7
                   Monitoring & Befunde
                   • RR, P, EKG, SpO2
                   • Hyperdynames Stadium
                     – Tachykardie
                     – RR ൻ, vor allem auch der diastolische Druck (z. B. 90/40 mmHg)
                     – Fieber
                   • Hypodynames Stadium
                     – Körpertemperatur < 38 °C
                     – RR ൻ, HF ൹

                  Basismaßnahmen
                  • Lagerung: Oberkörperhochlagerung (30–45°), ggf. Flachlagerung
                  • Pat. beruhigen.
                  • Je nach Schwere NA nachfordern
                  • Vor Wärmeverlust schützen

4_HoffmannFlake.indb 280                                                                              01.02.2017 09:43:30
536 19      Notfallmedikamente

                  Nebenwirkungen Blutdruckanstieg, Tachykardie, Atemdepression (bei zu
                  schneller i. v. Injektion), Alpträume; Hyperreflexie und Laryngospasmus bei Kin-
                  dern.
         19
                  Kontraindikationen Schlecht eingestellter Bluthochdruck (> 180/100 mmHg in
                  Ruhe), Schwangerschaftshypertonus, Situationen, die einen entspannten Uterus
                  erfordern (z. B. drohende Uterusruptur, Nabelschnurvorfall), Myokardinfarkt, in-
                  stabile Angina pectoris, Hirndruck, erhöhter Augeninnendruck.
                  Wechselwirkungen Verstärkung der Wirkung blutdruck- und frequenzsteigen-
                  der Pharmaka, Wirkung nicht-depolarisierender Muskelrelaxanzien kann sich
                  verlängern.

                   Tipps & Tricks
                   • Dosierung von (S)-Ketamin ist ungefähr halb so hoch wie die von Ket-
                      amin.
                   • Pharmakokinetik von (S)-Ketamin und Ketamin sind sehr ähnlich.
                   • (S)-Ketamin darf nicht zusammen mit Barbituraten injiziert werden →
                      Ausfällung.

                  19.2.40 Lidocain
                     Lidocain BBBB
                           BBBBPJPO

                  Wirkmodus Verlangsamung des Natriumeinstroms an der Zellmembran. Nega-
                  tiv chronotrop, negativ inotrop.
                  • Wirkbeginn nach 1–2 Min.
                  • Wirkungsdauer 15–20 Min.
                  • HWZ 1,6 h
                  Indikationen
                  • Als Lokalanästhetikum vor/nach Punktionen, z. B. ZVK-Anlage, Thoraxdrai-
                      nage, intraossäre Punktion
                  • Als Antiarrhythmikum bei VES, Kammertachykardie, zur VES-Prophylaxe
                      z. B. beim Myokardinfarkt, Rhythmusstörungen bei Intox. mit trizyklischen
                      Antidepressiva, Torsade-de-pointes-Tachykardie
                  • Status epilepticus
                  Dosierung
                  • Als Lokalanästhetikum:
                      – Erwachsene: 40 ml Lidocain 2 % langsam über 2 Min. intraossär, dann mit
                          5–10 ml NaCl 0,9 % nachspülen, anschließend weitere 20 ml Lidocain 2 %
                          über 1 Min. intraossär
                      – Kinder: 0,5 ml/kg KG Lidocain 2 % über 2 Min. intraossär, dann mit
                          2–5 ml NaCl 0,9 % nachspülen, anschließend weitere 0,258 ml/kg KG lang-
                          sam über 1 Min. intraossär
                  • Als Antiarrhythmikum: initial 1 mg/kg KG i. v., Erw. 100 mg als Bolus, e. b.
                      3-fache Dosis.
                  Nebenwirkungen RR ൻ, Verstärkung von Herzrhythmusstörungen, Sinusarrest,
                  AV-Blockierung, Tremor, Verwirrtheit, Krampfanfall, Koma.

4_HoffmannFlake.indb 536                                                                         01.02.2017 09:44:02
19.2 Medikamentenprofile 537

                 Kontraindikationen Lokalanästhetikaunverträglichkeit, AV-Block mit VES.
                 Wechselwirkungen Antiarrhythmika (Verstärkung der negativ inotropen Wir-
                 kung), Wirkungsverstärkung von Cimetidin, Propranolol.                                   19
                   Tipps & Tricks
                   • Auch in der Schwangerschaft anwendbar
                   • Achtung: nicht vor mechanischer Defibrillation einsetzen (Lidocain
                      hemmt die elektrische Defibrillation)
                   • Endobronchaile Gabe möglich, Dosis 3-fach

                 19.2.41 Metamizol
                      Metamizol
                       BBBBPJPO

                 Wirkmodus Analgetikum mit starken analgetischen, guten antipyretischen und
                 spasmolytischen Eigenschaften. 1 g Metamizol entspricht der analgetischen Wir-
                 kung von 2–4 mg Morphin.
                 • Wirkbeginn nach 20–40 Min.
                 • HWZ 4–7 h
                 Indikationen
                 • Akute und chron. Schmerzzustände, besonders mit spastischer Komponente
                    (analgetisch-spasmolytische Wirkung)
                 • Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht (hervorragende antipyre-
                    tische Wirkung)
                 Dosierung Initial 1,0–2,5 g langsam (1 ml/Min.) als Kurzinfusion i. v.
                 Nebenwirkungen Intoleranz mit Fieber und Atemwegsobstruktion, anaphylakti-
                 scher Schock, toxischer Schock (zu rasche Injektion, bis zu 1 h später), Agranulo-
                 zytose mit Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, nekrotisie-
                 rende Entzündungen im Bereich der Körpereintrittspforten (Auftreten 1 : 100 000,
                 hohe Letalität), Übelkeit, Erbrechen.
                 Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegenüber Metamizol, in den ersten
                 3 Mon. und letzten 6 Wo. der Schwangerschaft (Störung der Hämatopoese, beim
                 Kind vorzeitiger Verschluss des Ductus Botalli möglich).
                 Wechselwirkungen Metamizol und Alkohol können sich gegenseitig in ihrer
                 Wirkung beeinflussen.

                   Tipps & Tricks
                   • Keine Interaktionen mit Antikoagulanzien bekannt
                   • Rotfärbung des Urins möglich → kein Krankheitswert
                   • Aufgrund der mit einer hohen Letalität behafteten Gefahr der Agranulo-
                      zytose nur noch zur kurzfristigen Behandlung zugelassen

4_HoffmannFlake.indb 537                                                                              01.02.2017 09:44:02
538 19      Notfallmedikamente

                  19.2.42 Methylprednisolon
                  Wirkmodus Nicht fluoriertes Glukokortikoid, beeinflusst dosisabhängig den
         19       Stoffwechsel fast aller Gewebe.
                  Indikationen Status asthmaticus, Hirnödem, allergische Reaktion.
                  Dosierung 1–2 mg/kg KG i. v.
                  Nebenwirkungen Bei schneller Injektion: Übelkeit, Hitzegefühl.
                  Kontraindikationen Im Notfall keine.
                  Wechselwirkungen
                  • Wirkungsverstärkung von Digitalisglykosiden möglich
                  • Blutzuckersenkende Wirkung von Antidiabetika vermindert
                   Tipps & Tricks
                   Die Verabreichung von Methylprednisolon in hoher Dosierung hat beim Wir-
                   belsäulentrauma einen positiven Effekt auf die Heilungschancen.

                  19.2.43 Metoclopramid
                     MetoCloPramid
                           BBBBPJPO

                  Wirkmodus Blockierung der Dopaminrezeptoren in der Area postrema. Cho-
                  linerger Effekt auf die Magen-Darm-Motilität.
                  Indikationen Übelkeit, Erbrechen, GIT-Motilitätsstörungen.
                  Dosierung
                  • 1–(2)–18 Jahre: 0,1–0,15 mg/kg KG i. v.
                  • > 18 Jahre: 10 mg langsam i. v.
                  Nebenwirkungen Müdigkeit, Dyskinesien, vorwiegend bei Kindern.
                  Kontraindikationen
                  • Bei Säuglingen und Kindern < 2 J. nicht angezeigt, bei älteren Kindern nur
                      bei strenger Indikationsstellung
                  • Epilepsie
                  • Mechanischer Darmverschluss
                  Wechselwirkungen
                  • Durch Neuroleptika Verstärkung der extrapyramidalen NW
                  • Wirkungsabschwächung von Anticholinergika
                   Tipps & Tricks
                   • Kombination mit Butylscopolamin (▶ Kap. 19.2.18) und Triflupromazin
                      möglich
                   • Antidot: bei Dyskinesien Biperiden 2,5–5 mg langsam i. v., bei GIT-NW
                      Atropin oder Butylscopolamin

4_HoffmannFlake.indb 538                                                                      01.02.2017 09:44:03
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