Leitfaden Rettungsdienst - Frank Flake Boris A. Hoffmann 6. Auflage - Elsevier
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2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 29 2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 2 Frank Flake Eine der Basistätigkeiten von Rettungsfachpersonal ist die Patientenuntersu- chung. Sie setzt sich aus professionellen Untersuchungsschritten und einer geziel- ten Patientenbeobachtung zusammen. Vor allem dem Notfallsanitäter sichert eine strukturierte, genaue Untersuchung die richtige Diagnose und Therapie. Merke Erst wenn man einen Pat. vollständig untersucht hat, ist es möglich, Verletzun- gen oder spezielle Symptome zu erkennen bzw. auszuschließen. Die zielgerichtete Patientenuntersuchung und die individuelle Beobachtungsfä- higkeit sollten ständig trainiert werden. Eine korrekt durchgeführte Untersu- chung erfordert stets Konzentration und umfangreiche Kenntnisse der Pathophy- siologie. Dabei kommt es darauf an, das erworbene Wissen mit der Praxis sinnvoll zu verknüpfen. Tipps & Tricks Bei der körperlichen Untersuchung immer Handschuhe und ggf. eine Schutz- brille tragen. 2.1.1 Scene, Safety & Situation (SSS) Bereits vor dem eigentlichen Einsatz liegen Informationen vor, die es zu berück- sichtigen gilt. Folgende Fragen sollte man sich stellen: • Welche geeigneten Krankenhäuser sind in welcher Zeit erreichbar? • Habe ich Besonderheiten bzgl. des Wetters zu beachten? Die Buchstaben SSS selber beziehen sich auf die Einsatzstelle: • Scene: Einschätzen der Einsatzstelle (Scene) bzgl. der Aspekte Sicherheit (Safety), und der Situation (Situation), die an dieser Einsatzstelle konkret vorliegt. • Sicherheit: Ist der Eigenschutz für alle eingesetzten Kräfte gewährleistet? Auf etwaige Gefahrstoffe, Absicherung der Einsatzstelle, den fließenden Verkehr, aggressive Personen und auch eine geeignete Schutzausrüstung muss geachtet werden. Aber auch der Pat. soll in Sicherheit sein, z. B. Person zunächst aus Gefahrenlagen bringen um sie dann zu behandeln. • Situation: Wie viele Pat. sind betroffen? Welche Kräfte haben auf den Pat. ge- wirkt (Fahrzeugverformung usw.)? Müssen weitere Hilfskräfte angefordert werden (z. B. Polizei, Feuerwehr, weitere Rettungsdienstfahrzeuge, Rettungs- hubschrauber)? 2.1.2 Erster Eindruck (General Impression) Der Ersteindruck, „general impression“ oder auch „first look“, ist der ersten Kon- takt zum Pat. und eine zügige Einschätzung von Atmung, Kreislauf und Neurolo- gie und sollte nach 10–15 Sek. abgeschlossen sein. 4_HoffmannFlake.indb 29 01.02.2017 09:42:41
30 2 Arbeitstechniken Mit dem Pat. Kontakt aufnehmen und fragen was passiert ist. Entweder macht der Pat. einen potenziell kritischen oder potenziell nicht kritischen Eindruck. Erst nach diesem ersten Eindruck wird der Patient nach dem ABCDE-Schema unter- 2 sucht und behandelt: • Kann der Pat. normal sprechen, hat er freie Atemwege und eine ungehinderte Atmung? Kann der Pat. nur abgehackt oder in kurzen Sätzen sprechen, liegt ein Atemproblem vor. Falls er gar nicht auf die Ansprache reagiert, besteht meist eine bedrohliche Situation. • Währenddessen wird rasch die Kreislaufsituation durch Tasten des Pulses eingeschätzt. Nicht die Frequenz auszählen. Grobe Orientierung: Puls lang- sam, normal, schnell oder sehr schnell? Gut, schlecht oder gar nicht tastbar? • Wie fühlt sich die Haut an? Kühl, warm, trocken oder feucht? Hautfarbe, z. B. rosig, blass oder zyanotisch? Der Teamleiter sollte seinem Team mitteilen, wie er den Patienten einschätzt. Merke Die ABCDE-Vorgehensweise gilt nur für den lebenden Patienten. Wird beim Patienten eine fehlende Atmung und Pulslosigkeit festgestellt, wird nach den Algorithmen zur Reanimation vorgegangen. 2.1.3 Pädiatrisches Beurteilungsdreieck – Ersteindruck bei Kindern Der Ersteindruck bei Kindern findet anders als beim Erwachsenen mithilfe des Pädiatrischen Beurteilungsdreiecks (PAT – Pediatric Assessment Triangle) statt (▶ Abb. 2.1). Das Dreieck zeigt die wichtigsten drei Seiten bei der notfallmedizinischen Erstbe- urteilung eines Kindes. Dabei handelt es sich nicht um Diagnosen, sondern um physiologische Probleme. Auch hier kann schnell ersteingeschätzt werden ob es sich um ein potenziell kritisches, ein kritisches oder ein nicht kritisches Kind handelt. Weiterhin wird bei der initialen Beurteilung mithilfe des Dreiecks, die Dringlich- keit für weitere Maßnahmen festgelegt. Im Regelfall kann man schwerwiegende Störungen wie Traumata oder Störungen von Atmung und Kreislauf schon wäh- rend des Herangehens an den Patienten erfassen. Maßnahmen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen werden umgehend eingeleitet. Ist dies nicht notwendig, hat man Zeit auf das Kind einzugehen und sich in Ruhe der Anamnese zu widmen. A – Äußeres Erscheinungsbild Die meisten gesunden Kinder stehen in sichtbarem Kontakt mit ihrer Umgebung. Sie erkennen z. B. ihre Eltern. Jüngere Kinder fühlen sich besonders zu vertrauten Personen hingezogen, die ihnen Hilfe, Sicherheit und Geborgenheit geben. Bei der Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes hilf das Akronym TICLES. • Tonus: Beurteilt werden Muskeltonus und Körperposition des Kindes. Be- wegt sich das Kind normal? Hat es einen normalen Muskeltonus oder ist es schlapp und bewegt sich kaum? • Interaktion: Ist das Kind aufmerksam? Interagiert es mit den Eltern oder sei- ner Umgebung? Kommt die Reaktion verlangsamt oder verspätet? Antwortet das Kind auf die Fragen des Rettungsfachpersonals, nimmt es die Retter war? Oder interagiert das Kind gar nicht mit seiner Umgebung? 4_HoffmannFlake.indb 30 01.02.2017 09:42:41
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 31 2 one Abb. 2.1 EPC-Algorithmus mit pädiatrischem Beurteilungsdreieck [M140] • Consolability (Tröstbarkeit): Schreit oder weint das Kind? Lässt es sich von seinen Eltern oder dem Rettungsfachpersonal beruhigen? • Look (Blick): Beobachtet das Kind seines Umgebung? Schaut und fixiert es die Retter oder starrt es ins Leere? • Speech (Sprache): Spricht das Kind oder schreit es? Oder sagt es gar nichts und ist ruhig? 4_HoffmannFlake.indb 31 01.02.2017 09:42:41
32 2 Arbeitstechniken B – Atmung/Atemarbeit Sind Atembewegungen vorhanden? Atmet das Kind suffizient oder ist die Atmung 2 gestört? Ist die Atemfrequenz normal, zu schnell oder zu langsam? Wirken die Atemanstrengungen verstärkt? Gibt es Geräusche, die auch ohne Stethoskop hör- bar sind, wie z. B. in- oder exspiratorischer Stridor, Keuchen etc.? C – Hautfarbe/Hautdurchblutung Ist die Hautfarbe rosig, also gut durchblutet, matt (blass), zyanotisch oder marmo- riert? Tipps & Tricks Das Tasten der Pulse ist bei der ersten Beurteilung nicht notwendig, da sie vor allem bei Kleinkindern mitunter viel Zeit in Anspruch nimmt. Das Suchen und das Auszählen des Pulses gestaltet sich oft als schwierig. 2.1.4 ABCDE-Schema Die strukturierte und prioritätenorientierte ABCDE-Vorgehensweise wird als Pri- mary Assessment oder Initial Assessment bezeichnet. Verfolgt werden zwei Ziele: • Beurteilung des Pat. (Erkennen der Lebensbedrohung) • Behandlung des Pat. („Treat first, what kills first“: „Behandle zuerst das, was zuerst tötet“). Merke Das ABCDE-Schema gilt für internistische und traumatologische Pat. A – Airway/C-Spine Protection (Atemwegs- und HWS-Protektion) Das Erste, was sichergestellt werden muss, ist ein freier Atemweg. Unbehandelte Atemwegsobstruktionen führen zur Hypoxie mit dem Risiko von Schäden an le- benswichtigen Organen wie dem Gehirn! Ergänzend zur Beurteilung des Atem- wegs erfolgt bei Bedarf eine (zunächst) manuelle HWS-Stabilisierung. Im Verlauf dann ggf. eine Immobilisierung durch Anlage einer Zervikalstütze. Merke Den bedrohten Atemweg zunächst durch einfache Hilfsmittel (Esmarch- Handgriff, Absaugung, Wendl- oder Guedel-Tubus) freimachen. B – Breathing (Belüftung der Lungen) Auskultation (Abhören mit Stethoskop) des Thorax. Achten auf Zyanose, Schwit- zen, paradoxe Atmung, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Brustwanddeformitä- ten, Prellmarken, Hämatome, ein Hautemphysem, gestaute Halsvenen. Erfassen von Atemfrequenz und -rhythmus. Atemprobleme und Atemgeräusche identifi- zieren, um z. B. einen Pneumothorax bzw. Spannungspneumothorax zu entde- cken. • Bei einer Atemfrequenz < 8/Min. oder > 30/Min. assistiert beatmen • Bei beatmeten, intubierten Patienten endtidale Kohlendioxid Messung (etCO2-Kapnografie) anschließen. 4_HoffmannFlake.indb 32 01.02.2017 09:42:42
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 33 • Frühzeitig Sauerstoff über Inhalationsmaske mit Reservoir applizieren. Puls- oxymeter anschließen und Sättigung (SpO2) von ≥ 95 % anstreben. 2 Achtung Ein Spannungspneumothorax ist eine bedeutende Ursache für ein Kreislauf- problem (C-Problem), daher muss er bereits beim Schritt „B“ erkannt und auch behandelt werden. C – Circulation (Kreislauf) und Blutungskontrolle Zum Schritt „C“ gehört die Beurteilung von Kreislauf und Gewebeperfusion. Beim Tasten des Pulses wird neben Frequenz, Qualität und Regelmäßigkeit auch auf die Farbe, Temperatur, Feuchtigkeit und Rekapillarisierungszeit der Haut ge- achtet (Normalbereich: 2 Sek.). Suche nach äußeren Blutungen. Diese müssen kontrolliert werden, bei starken äußeren Blutungen kann ggf. eine C-ABCDE-Vorgehensweise angebracht sein. Dabei zunächst die Blutung vor Beginn der ABCDE-Vorgehensweise kontrollie- ren (z. B. durch direkten Druck und/oder Anlage eines Tourniquets). • Bei Anzeichen einer Kreislaufzentralisation und Tachykardie balancierte Vollelektrolytlösungen verabreichen. • Ggf. im weiteren Verlauf, falls sinnvoll, ein 12-Kanal-EKG schreiben. • Beim internistischen Pat. Blutdruck messen. Beim traumatisierten Pat. wird im Primary Assessment kein Blutdruck gemessen, da dieser in der Phase des kompensierten Schocks nicht aussagekräftig ist. D – Disability (Defizite der neurologischen Funktion) Einschätzung der neurologischen Funktion anhand des Glasgow Coma Scale oder dem AVPU-Schema. Ergänzend wird ein Pupillenstatus (Größe, Gleichheit, Lichtreaktion) als Hinweis auf ZNS-Verletzungen erhoben. Blutzucker messen und beurteilen ob es Hinweise auf Alkohol- oder Drogeneinwirkung gibt. E – Exposure/Environment (Entkleideten Patienten untersuchen/ Erhalt von Körperwärme) Traumapat. immer entkleiden, damit keine relevanten Verletzungen übersehen werden. Aber auch bei anderen Pat. lohnt eine Entkleidung, um z. B. das Fentanyl- pflaster oder die Insulinpumpe nicht zu übersehen. Dennoch im weiteren Verlauf darauf achten, dass der Pat. nicht auskühlt. 2.1.5 Secondary Assessment Nicht immer hat man Zeit, das Secondary Assessment (also die sehr gründliche Untersuchung) oder die SAMPLER Anamnese durchzuführen. Dies vor allem, wenn lebensrettende Maßnahmen im Vordergrund stehen oder der Zustand des Pat. eine Befragung nicht zulässt (Bewusstlosigkeit). Wenn möglich, sollte diese aber erfolgen. Akronym SAMPLER • S – Signs and Symptoms (Befunde und Symptome): Zusammenfassung der in den vorherigen Schritten ermittelten Befunde und Symptome. In der Pra- xis werden ggf. beim Schritt „S“ die subjektiven Beschwerden des Patienten nochmals genau zu hinterfragt. 4_HoffmannFlake.indb 33 01.02.2017 09:42:42
34 2 Arbeitstechniken • A – Allergies (Allergien): Hat der Pat. Allergien? – Wichtig hinsichtlich der eingesetzten Medikamente – Möglicherweise Auslösung der Beschwerden durch Kontakt mit einem 2 Stoff • M – Medication (Medikamente): – Angaben zur regelmäßigen Medikamente helfen bei der Identifikation von Vorerkr. – Aktuell eingenommene Medikamente, z. B. ein Antibiotikum, können auf plötzliche Probleme durch eine Unverträglichkeit hinweisen. – Ggf. versehentliche (oder absichtliche) Medikamentenüberdosierung. • P – Past Medical History (Anamnese): Welche medizinische Vorgeschichte hat der Pat.? Welche Erkr. sind bekannt? Wurden OP durchgeführt? Ist der Pat. derzeit wegen einer Erkr. in Behandlung? Kann hilfreich sein, wenn ein Pat. z. B. angibt, dass die Beschwerden, aufgrund derer er den Rettungsdienst alarmiert hat, genau die gleichen sind, wie er sie von einem früheren Ereignis kennt. • L – Last Meal (Letzte Mahlzeit): Wann hat der Pat. zuletzt gegessen und/oder getrunken? – Dies ist v. a. bei geplanter Narkoseeinleitung, z. B. wegen erhöhtem Aspi- rationsrisiko, von Interesse. – Bestimmte Krankheitsbilder können mit einer Nahrungsaufnahme im Zusammenhang stehen, z. B. Gallenkoliken. • E – Events (Ereignisse direkt vor dem Notfall): Was passierte direkt vor dem Notfall? Kann sich der Pat. daran erinnern? Es ist z. B. ein Unterschied, ob der Pat. von der Leiter gestürzt ist, weil er abgerutscht ist, oder ob er vielleicht aufgrund einer Synkope stürzte. • R – Risk Factors (Risikofaktoren): – Risikofaktoren für eine Erkr.: z. B. Nikotinabusus, Übergewicht, Diabetes oder erhöhter Blutdruck. Können auch aufgedeckt werden, indem nach Krankheiten bei Familienangehörigen gefragt wird. – Risikofaktoren für Verletzung: z. B. Teppichkante, fehlende Anti- rutschmatte in der Badewanne. 2.1.6 Anamneseerhebung Erhebung der Anamnese des Pat. in einer strukturierten Reihenfolge. Die Durch- führung der Befragung hängt vom Zustand des Pat. ab. Von Fall zu Fall ist die Durchführung unmöglich, wenn der Patient z. B. bewusstlos ist. Bei der Erhebung der Anamnese auf eine möglichst gezielte Fragetechnik achten und aktiv Zuhören, baut Vertrauen zwischen Helfer und Patienten auf. Eigenanamnese Auf den Angaben des Pat. basierende Krankengeschichte. • Name und Alter des Pat.: Risikogruppe? • Hauptbeschwerden, z. B. starke Brustschmerzen • Nebenbeschwerden, z. B. Frösteln, Fieber, Herzrasen • Bekannte. Vorerkr., z. B. KHK, Diabetes mellitus, Asthma bronchiale, Epilep- sie • Medikamente: Substanzen? Dosierung? Heute eingenommen? • Schwangerschaft? • Allergien: auf welche Stoffe? • Letzte Mahlzeit: was? Wie viel? Wann? • Drogen- und Alkoholabusus: was? Wie viel? 4_HoffmannFlake.indb 34 01.02.2017 09:42:42
2.1 ABCDE-Schema und Untersuchung des Notfallpatienten 35 • Was ist vor dem Notfallereignis geschehen: z. B. Schwindel, Schwäche, Schmerzen, körperliche Anstrengung, psychische Aufregung oder Stress, Sui- zidgedanken? • Kardiovaskuläre Risikofaktoren: Nikotinabusus, Hyperlipoproteinämie, Dia- 2 betes mellitus, art. Hypertonus, familiäre Belastung. Fremdanamnese Durch Passanten, Angehörige oder Freunde ermittelte Kran- kengeschichte, z. B. bei zeitweise Bewusstlosen, kleinen Kindern, verwirrten Men- schen. • Verlauf der Bewusstlosigkeit: plötzlich, allmählich, Initialschrei? • Beschwerdeäußerungen vor Bewusstseinsverlust: „Mir ist so schwindelig.“ Pat. hat sich „ans Herz gefasst“ • Verlauf: durchgehende Bewusstlosigkeit? Krampfanfall? • Bekannte Vorerkr., Drogen- und Alkoholabusus, Schwangerschaft • Pat. hat Suizidgedanken geäußert → gezielt nach Medikamenten und Ab- schiedsbrief suchen • Situation am Einsatzort: Eindruck (z. B. verwahrloste Wohnung, Gestank), Lage des Pat. (z. B. auf dem Boden liegend, Toilette), Drogenutensilien (z. B. verrußte Löffel, Spritzen, Marihuana-Wasser-Pfeifen), Medikamentenschach- teln. Tipps & Tricks Folgende Faktoren beim bewusstlosen Pat. liefern zusätzliche wertvolle Hin- weise: • Raumtemperatur • Herumliegende Medikamente, Abschiedsbrief (z. B. Tablettenreste in Glä- sern, Toilette, Ausguss) • Einstichstellen • Mundgeruch des Patienten (Foetor) • Prüfen der Umgebungsluft am Einsatzort • Körperstellung des Patienten an der Einsatzstelle Akronym OPQRST • O – Onset (Beginn und Ursprung): Wann und vor allem wie haben die Schmerzen oder Beschwerden begonnen? Was hat der Pat. gemacht, als die Beschwerden auftraten? Traten die Beschwerden ganz plötzlich auf oder wur- den sie im Lauf der Zeit immer schlimmer? Liegen begleitende Beschwerden vor, wie etwa Übelkeit, Erbrechen, Schwindel oder Taubheitsgefühl? • P – Palliation/Provocation (Linderung/Verschlechterung): Werden die Schmerzen oder Beschwerden durch bestimmte Handlungen schlimmer oder besser? Ein Pat. mit einer Kolik ist z. B. unruhig; die Beschwerden werden meist schlimmer, wenn er still liegt. • Q – Quality (Qualität): gemeint ist die Art der Beschwerden. Beschreibt der Pat. seine Schmerzen z. B. als dumpf und nicht genau lokalisierbar, kann dies auf Erkr. der inneren Organe hinweisen. • R – Region/Radiation (Region/Ausstrahlung): In welcher Region befinden sich die Beschwerden? Strahlen sie in angrenzende Regionen aus? Ein interes- santes Phänomen ist der Übertragungsschmerz: Mitunter kann es an ganz an- deren Stellen schmerzen als an dem eigentlichen Ort der Ursache (▶ Tab. 2.1). 4_HoffmannFlake.indb 35 01.02.2017 09:42:42
36 2 Arbeitstechniken Tab. 2.1 Übertragener Schmerz (NAEMT 2013) [G535] Lokalisation Organ 2 Schmerzen in linker Schulter Reizung des Zwerchfells (Blut oder Luft aus einer Ruptur anderer abdominaler Organe wie Ovarien, Milzruptur, Myokardinfarkt) Schmerzen in rechter Schulter Leberreizung, Gallenblasenschmerzen, Reizung des Zwerchfells Schmerzen im rechten Schul- Leber und Gallenblase terblatt Oberbauch, epigastrisch Magen, Lunge, Herz Umbilikal, um den Nabel Dünndarm, Blinddarm (Appendix) Rücken Aorta, Magen und Pankreas Flanken und Leistengegend Niere, Ureter Perineum Harnblase Suprapubisch Harnblase, Kolon • S – Severity (Intensität): Ermittlung der Schmerzintensität oder der Be- schwerden anhand der numerischen Rating-Skala (NRS), die von 0–10 reicht. Keine Beschwerden werden mit 0 Punkten und die schlimmsten vor- stellbaren Beschwerden mit 10 Punkten bewertet. • T – Time (Dauer): Liegt der Beginn der Beschwerden erst Min. oder schon Stunden oder gar Tage zurück? Wichtig z. B. um zu ermitteln ob sich ein Pati- ent noch im sog. „Lyse-Fenster“ befindet. 2.1.7 Analyse ausgewählter Vitalparameter Die Analyse ausgewählter Vitalparameter dient der Vertiefung und Abgrenzung der kompletten Notfalluntersuchung. Bei der Bestimmung der Vitalparameter ste- hen dem Rettungsfachpersonal eine ausreichende Anzahl von technischen Hilfs- mitteln zur Verfügung (▶ Tab. 2.2). Tab. 2.2 Hilfsmittel zur Analyse bestimmter Vitalparameter Geräte Vitalparameter Blutdruckmanschette Blutdruck Stethoskop Herzgeräusche, Atemgeräusche und Darmgeräu- sche Glukometer Blutzucker EKG Herzfrequenz/Herzrhythmus Pulsoxymeter O2-Gehalt des Blutes/Herzfrequenz Kapnometer CO2-Gehalt der Ausatemluft Thermometer Temperatur 4_HoffmannFlake.indb 36 01.02.2017 09:42:42
2.2 Diagnostik 37 Komplettes Monitoring Heute wird bei jedem Pat. ein komplettes Standardmonitoring durchgeführt. Es umfasst die Messung von Herzfrequenz (HF), Blutdruck (RR), Blutzucker 2 (BZ), Sauerstoffsättigung (SpO2) und Körpertemperatur sowie ein EKG-Mo- nitoring. Ggf. kommen weiter Messungen hinzu. 2.2 Diagnostik 2.2.1 Pulskontrolle Frank Flake Die Palpation des Pulses ist eine der ersten Vitalfunktionskontrollen. Dabei auch Hauttemperatur und -feuchtigkeit wahrnehmen. Indikationen Bei allen Pat. im Rahmen der Erstuntersuchung, bei Notfallpat. fortlaufend engmaschig. Messtelle ▶ Tab. 2.3 • Zentraler Puls: an allen großen herznahen (zentralen) Arterien. Bevorzugte Messstelle bei Kreislaufzentralisation, da sich dann die peripheren Gefäße engstellen. • Peripherer Puls: an allen herzfernen (peripheren) Arterien. Tab. 2.3 Pulsmessstellen Arterie Lokalisation Indikation Zentraler Puls A. carotis Unmittelbar lateral des Schwere Schockzustände (Zentrali- Schildknorpels sation), Diagnose Kreislaufstill- stand, ständige Kontrollen am Re- animationspatienten A. femoralis Leistenbeuge (großflächig Ständige Kontrollen am Reanima- palpieren) tionspatienten Peripherer Puls A. temporalis Über dem Schläfenbein, di- Pulskontrolle bei Neu- und Früh- rekt über dem Ansatz der geborenen Ohrmuschel A. radialis Beugeseite Handgelenk Routinemäßige Kontrolle oberhalb des Daumens A. brachialis Muskellücke (Bizeps/Tri- Pulskontrolle bei Kleinkindern zeps) Innenseite Oberarm A. dorsalis pedis Fußrücken, über der Kahn- Durchblutungskontrolle der unte- beinregion (großflächig ren Extremität bei Frakturen, V. a. palpieren) AVK 4_HoffmannFlake.indb 37 01.02.2017 09:42:42
38 2 Arbeitstechniken Durchführung • Mit den Fingerkuppen der mittleren drei Finger leicht auf die oberflächlich liegende Arterie drücken 2 • Bei regelmäßigem Puls: (Pulsschläge pro 15 Sek) × 4 = Frequenz/Min., ggf. Pulsuhr verwenden • Bei Bradykardie (< 50/Min.) oder vermehrt auftretenden Extrasystolen mind. 1 Min. kontrollieren. Cave: Extrasystolen mitzählen. • Beurteilungskriterien bei der Pulskontrolle – Frequenz: Häufigkeit pro Min. (▶ Tab. 2.4) – Rhythmus: Regelmäßigkeit – Qualität: Füllung und Spannung der Gefäße • Ergebnis dokumentieren Achtung Niemals beide Karotisarterien gleichzeitig palpieren, da Gefahr des RR-Abfalls und der Bradykardie, insbesondere bei hypersensiblem Karotissinus. Tab. 2.4 Pulsfrequenzen pro Minute im Ruhezustand Altersgruppe Normalwerte Tachykardie Bradykardie Erwachsene 60–80 > 100 < 50 Kinder 80–100 > 125 < 65 Kleinkinder 100–120 > 150 < 80 Säuglinge 120–140 > 175 < 95 Neugeborene 120–150 > 190 < 100 Interpretation • Rhythmusstörungen des Herzens sind vielfach schon bei der Pulskontrolle zu erkennen, eine sichere Diagnostik ist jedoch nur mittels EKG möglich (▶ Kap. 5.2). • Die Pulsqualität lässt vage Rückschlüsse auf den Blutdruck zu: sehr kräftiger Puls als Hinweis auf Hypertonie und kaum tastbarer, schwacher Puls als Hin- weis auf Hypotonie. Exakte Beurteilung jedoch nur mittels RR-Messung möglich (▶ 2.2.2) • Pulsfrequenz und Pulsqualität stehen in engem Zusammenhang – Physiologisch: hohe Frequenz und gute Qualität als Zeichen für körperli- che Anstrengung. Niedrige Frequenz und normale Qualität als Zeichen für körperliche Ruhe – Pathologisch: niedrige Frequenz und starke Qualität als Zeichen für Druckpuls bei erhöhtem Hirndruck. Hohe Frequenz und wässrige Quali- tät als Hinweis auf Volumenmangelschock. • Pulsdefizit: Differenz zwischen der peripher und zentral gemessenen Pulsfre- quenz bei unzureichender Auswurfleistung des Herzens. Tipps & Tricks • Möglichst nicht mit dem Daumen palpieren → Verwechslung mit dem Ei- genpuls. 4_HoffmannFlake.indb 38 01.02.2017 09:42:42
270 7 Schock 7.1 Pathophysiologie Multifaktorielle Störung der Kreislauffunktion mit lebensbedrohlicher Minder- durchblutung (Hypoperfusion) der Organe und nachfolgender hypoxisch-meta- bolischer Schädigung der Zellfunktion. Es entsteht ein Missverhältnis zwischen körpereigenem Sauerstoffbedarf und verfügbarem Sauerstoffangebot. Merke Jeder Schock bedeutet höchste Lebensgefahr und ist eine NA-Indikation. Kreislaufzentralisation Umverteilung des reduzierten HZV zu Gunsten von Herz und Gehirn und auf Kosten von Muskulatur, Splanchnikusgebiet, Nieren und Haut. Durch den absoluten oder relativen Mangel des Blutvolumens sinkt das HMV → Minderperfusion der kapillären Strombahn: O2-Bedarf wird nicht mehr gedeckt (Gewebshypoxie) → sympathikoadrenerge Kompensationsmechanis- men (Freisetzung von Noradrenalin und Adrenalin): • Vasokonstriktion → Abschaltung peripherer Gebiete und Umverteilung des Blutes • Steigerung der Herzfrequenz zur Konstanthaltung des HZV, um Vorzugsge- biete, wie z. B. Herz und Gehirn, noch ausreichend zu versorgen. Kreislaufdezentralisation Werden die sampathikoadrenergen Kompensations- möglichkeiten überfordert, z. B. durch weitere Blutverluste, geht der Schock nach einiger Zeit in die Dezentralisationsphase über: • Die reflektorische Vasokonstriktion weicht einer metabolischen Vasodilata- tion bei geschlossenen Venolen (Vasomotion) → Anstieg des hydrostatischen Drucks in den Kapillaren und Erhöhung der Permeabilität der Gefäße: – Flüssigkeitsaustritt und Abnahme des intravasalen Volumens – Venöser Rückstrom ൻ – HF ൹, RR ൻ • Niedrige Strömungsgeschwindigkeit → sinkende Kapillardurchblutung → Gewebshypoxie ൹ → anaerober Stoffwechsel → Azidose. Verbrauchskoagulopathie, disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) Generali- sierte intravaskuläre Gerinnungsaktivierung mit Verbrauch von Gerinnungsfak- 7 toren und Thrombozyten → hämorrhagische Diathese. Multiorganversagen Manifestation vor allem an folgenden Organen: • Niere: Minderdurchblutung der Nierenrinde → Oligurie, Anurie → akutes Nierenversagen (Schockniere) • Herz: Minderdurchblutung der Herzkranzgefäße → Herzinsuff. • Lunge: Gewebshypoxie, Gewebsazidose → Schädigung der alveolokapillären Membran → Permeabilitätsstörungen → interstitielles/intraalveoläres Lungen- ödem → Ausbildung hyaliner Membranen, Thromben, unzureichende Bil- dung von Surfactant (Antiatelektasefaktor) mit Ausbildung von Mikroatelek- tasen, Lungenödem → ARDS (adult respiratory distress syndrome; Schock- lunge) → hohe Letalität. • Leber: Minderdurchblutung der Leber → verminderte Leberfunktion (Schockleber) • Gastrointestinaltrakt: fokale Ischämie → Permeabilität der Intestinalgefäße → Exsudation eiweißreicher Flüssigkeit in das Darmlumen → Bakterienübertritt in die intestinalen Lymphbahnen → Bakteriämie → septischer Schock. 4_HoffmannFlake.indb 270 01.02.2017 09:43:29
7.2 Einteilung 271 Circulus vitiosus des Schocks ▶ Abb. 7.1. Wenn dieser Circulus vitiosus nicht frühestmöglich therapeutisch unterbrochen wird, kommt es zu irreversiblen Zell- nekrosen. Abb. 7.1 Circulus vitiosus des Schocks 7.2 Einteilung Einteilung der Schockursachen nach der Klassifikation von Weil und Shubin (▶ Tab. 7.1): • Hypovolämischer Schock • Kardiogener Schock • Obstruktiver Schock: – Intrakardiale Ursache: Perikardtamponade, Myxom, konstriktive Perikarditis – Extrakardiale Ursachen: Lungenembolie, Spannungspneumothorax, Ve- na-cava-Kompressionssyndrom • Distributiver Schock: z. B. septischer Schock, anaphylaktischer Schock, neu- rogener Schock, endokriner Schock Tab. 7.1 Wegweiser zur Schockursache (modifiziert nach Schubert) V. a. hypo- volämischen = Hinweise auf Volumenverlust, z. B. Trauma, Verbrennung, Blu- tung, Operation, Flüssigkeitsverluste 7 Schock + „Leere“, kollabierte Venen V. a. kardio- = Bekannte Herzerkr., Herzrhythmusstörung, Thoraxschmerz, aku- genen Schock ter Infarkt, Herztamponade als Hinweise auf kardiale Erkrankung + „Gefüllte“, gestaute Halsvenen V. a. septi- = Fieber, hochrote Haut, bakterieller Infekt als Hinweise auf Sepsis schen Schock + Keine Hinweise auf Volumenverlust oder kardiale Erkrankung V. a. anaphy- = Hinweise auf Überempfindlichkeitsreaktion, z. B. Kontrastmittel- laktischen gabe, Arzneimittelinjektion, Infusion, Insektenstich, allergische Schock Hauterscheinungen V. a. neuro- = Hinweise auf akute Störung des ZNS, z. B. SHT, intrazerebrale genen Schock Blutung, Sonnenstich 4_HoffmannFlake.indb 271 01.02.2017 09:43:29
272 7 Schock 7.3 Vorgehen Ersteindruck • Blässe, Kaltschweißigkeit • Verwirrtheit • Evtl. kollabierte Halsvenen • Veränderte Bewusstseinslage: Unruhe, Angst, Apathie, Somnolenz, Koma Achtung Ausnahme septischer Schock Frühphase des septischen Schocks (hyperdyname Form): rosiges Aussehen, trockene und warme Haut, Hyperventilation, Fieber, Schüttelfrost. ABCDE-Schema • Tachypnoe • Tachykardie • Flacher, kaum tastbarer Puls (an A. radialis oft nicht mehr palpabel) • Weite, kaum reagierende Pupillen Monitoring & Befunde • RRsyst < 80–100 mmHg (bei zuvor bestehender Hypertonie evtl. „norma- ler“ RR) • P > 100/Min. Basismaßnahmen ! Schnelle Behandlung ist entscheidend für die Prognose. • Lagerung: Flachlagerung, Beine hoch (Achtung: niemals bei kardiogenem Schock), bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage. • Pat. beruhigen, das Gefühl vermitteln, dass geholfen wird. • Wärmeerhalt: Pat. mit Decken zudecken, evtl. Rettungsdecke „Gold/Silber“ benutzen. • O2-Gabe: 12–15 l/Min. über Gesichtsmaske • Basismonitoring (RR, P, EKG, SpO2) 7 • Venösen Zugang legen: 2–3 großlumige venöse Zugänge, großzügige Flüssig- keitszufuhr bei absolutem Volumenmangel, z. B. 20–40 ml/kg KG Vollelekt- rolytlösung. Ggf. permissive Hypotension einleiten. Achtung Im kardiogenen Schock Infusion nur zum Offenhalten des Zugangs und Ein- spülen der Medikamente. Erweiterte Maßnahmen • Ggf. zusätzlich kolloidale Volumenersatzmittel: z. B. 20 ml/kg KG i. v. • Bei schwierigen Venenverhältnissen evtl. Anlage eines ZVK (▶ Kap. 2.4.3) bzw. eines intraossären Zugangs (▶ Kap. 2.4.4) • Sedierung: z. B. Midazolam 2,5–5 mg (0,05–0,1 mg/kg KG) i. v. (▶ Kap. 19.2.44) • Evtl. Analgesie: Fentanyl 0,05–0,1 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.28) • Evtl. Narkoseeinleitung und Beatmung. 4_HoffmannFlake.indb 272 01.02.2017 09:43:29
7.4 Hypovolämischer Schock/Volumenmangelschock 273 7.4 Hypovolämischer Schock/ Volumenmangelschock Häufigste Schockursache. Durch absolute Verminderung der zirkulierenden Blut- menge entstehende Kreislaufinsuff. (▶ Tab. 7.2). Nicht nur an sichtbare, sondern auch an innere (versteckte) Blutungen denken, z. B. bei Fraktur, Bauchtrauma, GIT-Blutung. Tab. 7.2 DD Volumenmangelschock ർ kardiogener Schock Ursache Klinisches Bild Einfache EKG Kreislaufgrö- ßen Volumen- • Verminderung • Blässe • RR ൻ Sinustachykar- mangel- der zirkulieren- • Kaltschweißi- • Puls ൹ die schock den Blutmenge ge Haut • ZVD ൻ (kol- • Blut-, Plasma-, • Zentralisation labierte Elektrolyt- und • „Fehlende Halsvenen) Wasserverluste, Venenfül- z. B. durch Ver- lung“ letzung, Blu- tung, Verbren- nung, Erbre- chen, Durchfall Kardioge- • Kreislaufinsuff. • Blässe bis Zy- • RR ൻ • Evtl. Rhyth- ner Schock durch Pumpver- anose • Puls ൹, evtl. musstörun- sagen des Her- • Evtl. kalt- arrhyth- gen zens, z. B. durch schweißige misch • Evtl. Myo- Hypertonus, Haut • Evtl. Puls- kardinfarkt- Herz- oder Ko- • Häufig sitzen- defizit zeichen ronarinsuff., de Haltung • ZVD ൹ • Häufig abso- Myokardinfarkt, • (Todes-) (Halsvenen- lute Tachyar- Herzrhythmus- Angst, Atem- stauung) ryhthmie störungen not • Evtl. Thorax- schmerz • Gestaute Halsvenen 7 Ursachen • Blutverluste (hämorrhagischer Schock), z. B. innere und äußere Blutungen • Plasma- bzw. Flüssigkeitsverluste (hypovolämischer Schock), z. B. durch Verbrennungen, Durchfälle, Erbrechen. Ersteindruck • Unruhe, Blässe, Kaltschweißigkeit, im fortgeschrittenen Stadium Zyanose • Bewusstseinsstörung bis Bewusstlosigkeit • Evtl. sichtbare Quellen für starken Flüssigkeits- bzw. Blutverlust ABCDE-Schema • Evtl. schnelle, flache Atmung • Puls kaum tastbar • Halsvenen kollabiert (nicht sichtbar), verminderte Venenfüllung (Punktion erschwert), Nagelbettprobe verlangsamt (> 2 Sek.) • Zunehmende Tachykardie 4_HoffmannFlake.indb 273 01.02.2017 09:43:29
274 7 Schock Monitoring & Befunde RR ൻ, RR-Amplitude vermindert, z. B. 90/70 mmHg. Basismaßnahmen • Kausal vorgehen, z. B. Blutung stillen mittels Druckverband (▶ Kap. 2.15.4) • Lagerung: Flachlagerung, Beine hoch, bei Bewusstlosigkeit: stabile Seitenlage. • Pat. beruhigen • Je nach Schwere NA nachfordern • Vor Wärmeverlust schützen • O2-Gabe 10–15 l/Min. über Gesichtsmaske • Basismonitoring (RR, P, EKG, SpO2) • Venösen Zugang legen (2–3 großlumige): 20–40 ml/kg KG Vollelektrolytlö- sung als Druckinfusion i. v. Erweiterte Maßnahmen • Rasche Volumenther. → Gabe von kolloidalen Volumenersatzmitteln erwä- gen, z. B. 20–30 ml/kg KG i. v., ggf. permissive Hypotension (Ziel RRsyst: 80 mmHg) einleiten • Intubation und Beatmung: großzügige Indikation • Analgesie: z. B. Morphin 5–10 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.45, Cave: bei instabiler Kreislaufsituation vorsichtig geben) • Sedierung: z. B. Midazolam 2,5–5 mg (0,05–0,1 mg/kg KG) i. v. (▶ Kap. 19.2.44) Transport • In Klinik mit internistischer oder chirurgischer Intensivstation • Evtl. Sonderrechte • Voranmeldung Tipps & Tricks • Dextrane verbessern die Mikrozirkulation und besitzen erwünschte anti- thrombotische Eigenschaften. • Pulsoxymetrie mit peripheren Sensoren (z. B. Fingersensor) in Phase der Zentralisation nicht möglich → zentralen Messort, wie Stirn, Ohrläppchen oder Nasenflügel, wählen. • Small volume resuscitation ist out → geringer Effekt 7 • Bei schweren Penetrationsverletzungen und stumpfem Bauchtrauma schnellstmöglicher Transport in die Klinik. 7.5 Kardiogener Schock Akute Kreislaufinsuff. durch myokardiales Pumpversagen. Ursachen • Akuter Myokardinfarkt (wenn mehr als 40 % des Herzmuskelgewebes des lin- ken Ventrikels „ausfallen“, kardiogener Schock mit Letalität von 90 %) • Dekompensierte Herzinsuff., Kardiomyopathie • Tachy- und bradykarde Herzrhythmusstörungen, z. B. ventrikuläre Tachykardie • Herzklappenfehler • Myokarditis • Überdosierung herzkraftsenkender Medikamente, z. B. Betablocker 4_HoffmannFlake.indb 274 01.02.2017 09:43:29
7.5 Kardiogener Schock 275 Ersteindruck • Blässe, Kaltschweißigkeit • Atemnot, evtl. Zyanose • Bewusstseinsstörung bis hin zur Bewusstlosigkeit • Bei insuffizienter Pumpleistung des rechten Herzens gestaute Halsvenen ABCDE-Schema • Auskultation: feuchte Rasselgeräusche über den basalen Lungenabschnitten. • Evtl. Tachykardie, Bradykardie, Arrhythmie, Puls kaum tastbar (zentralisiert) • Nagelbettprobe verlangsamt (> 2 Sek.) Monitoring & Befunde • RR, P, EKG, SpO2 • RR ൻ, bis nicht mehr messbar • EKG: evtl. Hinweis auf ursächliche Herzerkrankung, z. B. Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörung Fokussierte Untersuchung • Evtl. Ödeme, vor allem in den Beinen • Evtl. Lungenödem Basismaßnahmen • Lagerung: erhöhter Oberkörper (30–45°), evtl. Beine tief (▶ Abb. 2.29) • Pat. beruhigen ! NA nachfordern • O2-Gabe: 6–15 l/Min. über Gesichtsmaske • Unblutiger Aderlass (▶ Abb. 2.30) • Venösen Zugang legen, oOffenhalten mit Vollelektrolytlösung, sehr langsam laufen lassen Erweiterte Maßnahmen • Kausale Therapie, Ursache, z. B. Rhythmusstörung behandeln, Lungenembo- lie: Fibrinolyse • Herzentlastung, Vasodilatation, Senkung des Füllungsdrucks: 1–2 Hübe Nitro-Spray s. l., Furosemid 20–40 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.30), evtl. zusätzlich Glyzeroltrinitrat 0,03–0,18 mg/kg KG/h über Perfusor (▶ Kap. 19.2.32) • Herzkraftsteigerung, periphere Gefäßverengung: Dobutamin 1–10 μg/kg 7 KG/Min. i. v. (▶ Kap. 19.2.22), Noradrenalin 0,014–0,28 μg/kg KG/Min. i. v. (▶ Kap. 19.2.51) • Sedierung: z. B. Midazolam 2,5–5 mg (0,05–0,1 mg/kg KG) i. v. (▶ Kap. 19.2.44) • Analgesie: z. B. Morphin 5–10 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.45) oder Fentanyl 0,05– 0,1 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.28, Cave: Atemdepression). ! Großzügige Indikation zu Intubation und Beatmung. • Zum Einsatz von Medikamenten: – Bei Hypertonikern Einsatz von Nitraten nur dann, wenn der Normalblut- druck nicht deutlich unterschritten ist, da mit einem weiteren Blutdruck- abfall gerechnet werden muss: zunächst Katecholamine geben – Bei RRsyst < 80 mmHg im Rahmen der Behandlung mit Katecholaminen Dobutamin nicht allein einsetzen (Gefahr eines weiteren Blutdruckabfalls) → Kombination mit Noradrenalin 4_HoffmannFlake.indb 275 01.02.2017 09:43:29
276 7 Schock Transport • In Klinik mit internistischer Intensivstation • Evtl. Sonderrechte • Voranmeldung 7.6 Anaphylaktischer Schock Akut lebensbedrohliche Antigen-Antikörper-Reaktion des Organismus mit Frei- setzung von Histamin, Serotonin und Bradykinin. Kreislaufinsuff. durch hist- aminbedingte Weitstellung der peripheren Gefäße, erhöhte Kapillarpermeabilität, verminderter venöser Rückstrom, Bronchospasmus. Achtung Von allen Schockarten der akuteste, da er innerhalb von Minuten zum Tode führen kann. Ursachen • Allergische Reaktion auf Medikamente: – Antibiotika, z. B. Tetrazykline, Penicilline, Cephalosporine – Iodhaltige Röntgenkontrastmittel – i. v. gegebene Vitamine, z. B. Vitamin K1 – Lokalanästhetika, z. B. Procain – Kolloidale Volumenersatzmittel, z. B. Hydroxyäthylstärke (HAES) – Blutprodukte, z. B. Albuminlösungen – Konservierungsmittel in Medikamenten, z. B. Parabene, Na-Sulfit • Allergische Reaktion auf Fremdeiweiße und Polysaccharide: – Insekten- und Schlangengifte – Allergene bei Hyposensibilisierungen – Organextrakte – Nahrungsmittel Tab. 7.3 Schweregrade der systemischen anaphylaktischen Reaktion (nach Ring J et al. Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie. S2- Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunolo- 7 gie. Allergo J Int 2014; 23: 96) [P108/L231] Schwere- Symptome grad I Leichte Allgemeinsymptome (Juckreiz), Hauterscheinungen (z. B. Haut- rötung, Flush, Urtikaria), Angioödem II Zusätzlich: Kreislauf- (z. B. Hypotonie, Tachykardie) und Atemwegsreak- tionen (z. B. Dyspnoe), Übelkeit, Erbrechen III Zusätzlich: Schocksymptomatik, Bronchospasmus, Zyanose IV Herz-Kreislauf-Stillstand, Atemstillstand Ersteindruck (▶ Tab. 7.3) • Unruhe, Juckreiz, Schwindel, Schüttelfrost, Angst, Übelkeit (bis zum Erbre- chen), Durchfall • Hautreaktionen (Ödeme, Quaddeln, Flush) 4_HoffmannFlake.indb 276 01.02.2017 09:43:29
7.6 Anaphylaktischer Schock 277 • Dyspnoe mit Bronchospasmus • Evtl. Krampfanfall • Bewusstseinsverlust • Kreislaufstillstand ABCDE-Schema • OPQRST (▶ Kap. 2.1.6) und SAMPLER (▶ Kap. 2.1.3) anwenden • Anamnese: bekannte Allergie • Auskultation: unauffällig im Gegensatz zum kardiogenen Schock (▶ Tab. 7.2); evtl. Bronchospasmus Monitoring & Befunde • RR ൻ, HF ൹ • EKG: Sinustachykardie Fokussierte Untersuchung Evtl. Larynxödem Weiterführende Maßnahmen • Ggf. Vorgehen nach ERC Algorithmus Anaphylaxie (▶ Abb. 7.2). • Weitere Allergenzufuhr stoppen, z. B. Infusion. • Lagerung: Oberkörperhochlagerung (30–45°). • Pat. beruhigen. • Je nach Schwere NA nachfordern. • Vor Wärmeverlust schützen. • O2-Gabe: 10–15 l/Min. über Gesichtsmaske • Basismonitoring (RR, P, EKG, SpO2). • Venösen Zugang legen (2–3 großlumige): 20–40 ml/kg KG Vollelektrolytlö- sung als Druckinfusion i. v. • Kühlung von Schwellungen, z. B. bei Insektenstichen. • Evtl. Beatmung (▶ Kap. 2.8) oder kardiopulmonale Reanimation (▶ Kap. 3). Erweiterte Maßnahmen Achtung Bei anaphylaktischem Schock, Stadium III/IV sofortige Adrenalin-Gabe (nicht lange mit Antihistaminika, wie Clemastin, herumprobieren). Zunächst Adre- nalin, dann Glukokortikoide applizieren, diese wirken erst nach 20–30 Min., 7 Latenz muss mit Adrenalin überbrückt werden. • Rasche Volumensubstitution: 20 ml/kg KG Vollelektrolytlösung als Druckin- fusion i. v., Erw. 2 000 ml/30 Min. • Stadien I und II – Glukokortikoide: Prednisolon 250–500 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.60) – Histaminantagonisten: Dimetinden 0,1–0,2 mg/kg KG i. v. (▶ Kap. 19.2.21) oder Clemastin 0,05 mg/kg KG i. v. (▶ Kap. 19.2.13), ggf. Ranitidin 50 mg p. o. – Evtl. β2-Mimetika inhalativ, z. B. Salbutamol • Stadium III – α-Sympathomimetika → Adrenalin 0,05–0,1 mg fraktioniert i. v. → evtl. Dosierung steigern, besser 0,5 mg i. m. (▶ Kap. 19.2.23) – Glukokortikoide: Prednisolon 250–500 mg i. v. (▶ Kap. 19.2.60) • Stadium IV: unverzügliche Reanimation nach ERC-ALS-Richtlinien (▶ Kap. 3) 4_HoffmannFlake.indb 277 01.02.2017 09:43:29
278 7 Schock Anaphylaktische Reaktion? Airway, Breathing, Circulation, Disability, Exposure Diagnose: akuter Krankheitsbeginn? Lebensbedrohliche ABC-Probleme1 Hautmanifestationen (meist) Hilfe anfordern Patient flach hinlegen, Beine anheben (falls es die Atmung erlaubt) Adrenalin2 Falls Erfahrung und Ausrüstung vorhanden: Atemwegssicherung Monitorüberwachung: Sauerstoffgabe mit hohem Fluss Pulsoxymetrie i.v. Flüssigkeitsbolus3 EKG Chlorphenamine (Antihistaminika)4 Blutdruck Hydrokortison5 1 Lebensbedrohliche ABC-Probleme: A: Schwellung der Luftwege, Heiserkeit, Stridor B: Tachypnoe, Giemen, Müdigkeit, Zyanose, SpO2 < 92%, Verwirrtheit C: Blässe, Schwitzen, Hypotonie, Schwäche, Schläfrigkeit, Bewusstlosigkeit 7 2 3 Adrenaline (i.m. außer Sie haben Erfahrung mit i.v. Adrenalin) IV Flüssigkeitsbolus (wiederholen sie nach 5 Min., falls keine Besserung) (Kristalloide): Erwachsene 500 μg i.m. (0,5 ml) Erwachsene: 500 – 1000 ml Kinder >12 J. 500 μg i.m. (0,5 ml) Kinder: 20 ml/kg Kinder 6–12 J. 300 μg i.m. (0,3 ml) Kinder < 6 J. 150 μg i.m. (0,15 ml) Stoppen Sie i.v. Kolloide, falls diese als Ursache in Frage Adrenalin soll nur durch erfahrene Spezialisten i.v. gegeben kommen. werden Titration mit Boli von 50 μg (Erwachsene), 1 μg/kg (Kinder) 4 Chlorphenamine Injektionslösung ist in deutschsprachigen Ländern nicht im Handel 5 Dimetinden/Clemastin Hydrokortison (langsam i.v.) (i.m. oder langsam i.v.) Erwachsene oder Kinder > 12 J 0,1 mg/kg Erwachsene oder Kinder > 12 J 200 mg Kinder ab 1 Jahr 0,03 mg/kg Kinder 6–12 J. 100 mg Kinder 6 Monate – 6 J 50 mg Kinder < 6 Monate 25 mg Abb. 7.2 ERC-Algorithmus Anaphylaxie [F781-009] 4_HoffmannFlake.indb 278 01.02.2017 09:43:30
7.7 Septischer Schock 279 • Bei Bronchospasmus: β2-Mimetika inhalativ • Ggf. Adrenalin inhalativ • Bei fortbestehender Schocksymptomatik Dobutamin 1–10 μg/kg KG/Min. i. v. (▶ Kap. 19.2.22), Noradrenalin 0,014–0,28 μg/kg KG/Min. i. v. (▶ Kap. 19.2.51) • Bei ausgeprägtem Larynxödem Intubation oder Koniotomie (▶ Kap. 2.7.9) • Zum Einsatz von Medikamenten: Kein Volumenersatz mit kolloidalen Lö- sungen, wie HAES → können als zusätzliches Allergen wirken Intubation und Beatmung • Indikationen: Zeichen der Einengung der oberen Luftwege (inspiratori- scher Stridor vorhanden?), Atemstillstand, kardiopulmonale Reanimation. • Narkose: – Einleitung: Etomidat 0,2–0,3 mg/kg KG i. v. (▶ Kap. 19.2.25) – Evtl. Relaxierung: Suxamethoniumchlorid 1 mg/kg KG i. v. (▶ Kap. 19.2.69, Cave: Histaminfreisetzung) • Kontrollierte Beatmung: – I : E = 1 : 1,7–2, bei Bronchospasmus I : E = 1 : 2–3 – Niedrige AF: 8–10/Min. – Normales AZV: 6–8 ml/kg KG – FiO2: 1,0 ! Bei Bronchospasmus keine PEEP-Beatmung → Erhöhung des intrathora- kalen Drucks durch „air trapping“ (▶ Kap. 6.2) Transport • In Klinik mit internistischer Intensivstation • Evtl. Sonderrechte • Voranmeldung 7.7 Septischer Schock Kreislaufinsuff. durch Freisetzung bakterieller Gifte (Endotoxine) bei schweren Infektionen mit gramnegativen Erregern, z. B. Escherichia coli, Salmonellen, Pro- teus. Bei grampositiven Erregern leichtere Verläufe. Die Endotoxine senken über eine Gefäßerweiterung den peripheren Widerstandes und führen zum Blutdruckabfall. Durch frühzeitige intravasale Gerinnung Mikro- 7 zirkulationsstörungen und irreversible Organschäden. Letalität 30–50 %. Merke • Der septische Schock ist im RD nicht immer einfach zu diagnostizieren. Er gilt deshalb eher als seltenes Krankheitsbild. Zumindest die Sepsis ist aber häufig im Rettungsdienst anzutreffen. • In der Klinik wird zur Behandlung des septischen Schocks eine operative Sanierung der Sepsisherde und/oder eine Antibiotikather. durchgeführt. Risikofaktoren Diabetes mellitus, große operative Eingriffe, Kachexie, Verbren- nungen, Agranulozytose, Leukämie, Malignome, Behandlung mit Glukokortiko- iden und Zytostatika. 4_HoffmannFlake.indb 279 01.02.2017 09:43:30
280 7 Schock Sepsis-Leitlinien 2016 Im Februar 2016 erschien eine neue internationale Sepsisleitline. Sepsis selber ist keine Erkrankung, sondern ein Syndrom. Um einen Pat. mit einer poten- zielle Sepsis zu erkennen, wird der qSOFA Score (quick Sepsis Related Organ Failure Assessment) angewendet. Er beinhaltet 3 Kriterien: • Verwirrtheit • Systolischer Blutdruck ≤100 mmHg • Atemfrequenz >22/Min. Jeder Pat. mit diesen Kriterien im Rettungsdienst und in der Notaufnahme gilt zunächst als potenzieller Sepsispat. Bei ≥ 2 positiven Kriterien soll nach einem Organversagen gefahndet werden. Um einen septischen Schock zu diagnostizieren, müssen 2 zusätzliche Krite- rien erfüllt werden: • Persistierende Hypotonie, bei der Vasopressoren eingesetzt werden müs- sen, um einen MAP ≥65 mmHg zu erreichen • Laktat >2 mmol/l trotz Volumenther. Ursachen Harnwegs- oder Gallenwegsinfektionen, septischer Abort, Katheterin- fektion (z. B. Venenverweilkanülen, ZVK), Tracheostoma. Ersteindruck ! Bei der Trias Hyperventilation, Tachykardie und hyperdynamer Kreislaufsi- tuation sollte immer an Sepsis gedacht werden und die Ther. eingeleitet wer- den, bis andere Ursachen ausgeschlossen werden. • Hyperdynames Stadium – Hyperventilation, Tachypnoe – Tachykardie – Überwärmte, gerötete, trockene Haut – Schüttelfrost • Hypodynames Stadium – Kalte, zyanotische, evtl. marmorierte Haut – Bewusstsein meist eingeschränkt, häufig Verwirrtheit, evtl. Koma – Oligurie ABCDE-Schema 7 Monitoring & Befunde • RR, P, EKG, SpO2 • Hyperdynames Stadium – Tachykardie – RR ൻ, vor allem auch der diastolische Druck (z. B. 90/40 mmHg) – Fieber • Hypodynames Stadium – Körpertemperatur < 38 °C – RR ൻ, HF ൹ Basismaßnahmen • Lagerung: Oberkörperhochlagerung (30–45°), ggf. Flachlagerung • Pat. beruhigen. • Je nach Schwere NA nachfordern • Vor Wärmeverlust schützen 4_HoffmannFlake.indb 280 01.02.2017 09:43:30
536 19 Notfallmedikamente Nebenwirkungen Blutdruckanstieg, Tachykardie, Atemdepression (bei zu schneller i. v. Injektion), Alpträume; Hyperreflexie und Laryngospasmus bei Kin- dern. 19 Kontraindikationen Schlecht eingestellter Bluthochdruck (> 180/100 mmHg in Ruhe), Schwangerschaftshypertonus, Situationen, die einen entspannten Uterus erfordern (z. B. drohende Uterusruptur, Nabelschnurvorfall), Myokardinfarkt, in- stabile Angina pectoris, Hirndruck, erhöhter Augeninnendruck. Wechselwirkungen Verstärkung der Wirkung blutdruck- und frequenzsteigen- der Pharmaka, Wirkung nicht-depolarisierender Muskelrelaxanzien kann sich verlängern. Tipps & Tricks • Dosierung von (S)-Ketamin ist ungefähr halb so hoch wie die von Ket- amin. • Pharmakokinetik von (S)-Ketamin und Ketamin sind sehr ähnlich. • (S)-Ketamin darf nicht zusammen mit Barbituraten injiziert werden → Ausfällung. 19.2.40 Lidocain Lidocain BBBB BBBBPJPO Wirkmodus Verlangsamung des Natriumeinstroms an der Zellmembran. Nega- tiv chronotrop, negativ inotrop. • Wirkbeginn nach 1–2 Min. • Wirkungsdauer 15–20 Min. • HWZ 1,6 h Indikationen • Als Lokalanästhetikum vor/nach Punktionen, z. B. ZVK-Anlage, Thoraxdrai- nage, intraossäre Punktion • Als Antiarrhythmikum bei VES, Kammertachykardie, zur VES-Prophylaxe z. B. beim Myokardinfarkt, Rhythmusstörungen bei Intox. mit trizyklischen Antidepressiva, Torsade-de-pointes-Tachykardie • Status epilepticus Dosierung • Als Lokalanästhetikum: – Erwachsene: 40 ml Lidocain 2 % langsam über 2 Min. intraossär, dann mit 5–10 ml NaCl 0,9 % nachspülen, anschließend weitere 20 ml Lidocain 2 % über 1 Min. intraossär – Kinder: 0,5 ml/kg KG Lidocain 2 % über 2 Min. intraossär, dann mit 2–5 ml NaCl 0,9 % nachspülen, anschließend weitere 0,258 ml/kg KG lang- sam über 1 Min. intraossär • Als Antiarrhythmikum: initial 1 mg/kg KG i. v., Erw. 100 mg als Bolus, e. b. 3-fache Dosis. Nebenwirkungen RR ൻ, Verstärkung von Herzrhythmusstörungen, Sinusarrest, AV-Blockierung, Tremor, Verwirrtheit, Krampfanfall, Koma. 4_HoffmannFlake.indb 536 01.02.2017 09:44:02
19.2 Medikamentenprofile 537 Kontraindikationen Lokalanästhetikaunverträglichkeit, AV-Block mit VES. Wechselwirkungen Antiarrhythmika (Verstärkung der negativ inotropen Wir- kung), Wirkungsverstärkung von Cimetidin, Propranolol. 19 Tipps & Tricks • Auch in der Schwangerschaft anwendbar • Achtung: nicht vor mechanischer Defibrillation einsetzen (Lidocain hemmt die elektrische Defibrillation) • Endobronchaile Gabe möglich, Dosis 3-fach 19.2.41 Metamizol Metamizol BBBBPJPO Wirkmodus Analgetikum mit starken analgetischen, guten antipyretischen und spasmolytischen Eigenschaften. 1 g Metamizol entspricht der analgetischen Wir- kung von 2–4 mg Morphin. • Wirkbeginn nach 20–40 Min. • HWZ 4–7 h Indikationen • Akute und chron. Schmerzzustände, besonders mit spastischer Komponente (analgetisch-spasmolytische Wirkung) • Fieber, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht (hervorragende antipyre- tische Wirkung) Dosierung Initial 1,0–2,5 g langsam (1 ml/Min.) als Kurzinfusion i. v. Nebenwirkungen Intoleranz mit Fieber und Atemwegsobstruktion, anaphylakti- scher Schock, toxischer Schock (zu rasche Injektion, bis zu 1 h später), Agranulo- zytose mit Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, nekrotisie- rende Entzündungen im Bereich der Körpereintrittspforten (Auftreten 1 : 100 000, hohe Letalität), Übelkeit, Erbrechen. Kontraindikationen Überempfindlichkeit gegenüber Metamizol, in den ersten 3 Mon. und letzten 6 Wo. der Schwangerschaft (Störung der Hämatopoese, beim Kind vorzeitiger Verschluss des Ductus Botalli möglich). Wechselwirkungen Metamizol und Alkohol können sich gegenseitig in ihrer Wirkung beeinflussen. Tipps & Tricks • Keine Interaktionen mit Antikoagulanzien bekannt • Rotfärbung des Urins möglich → kein Krankheitswert • Aufgrund der mit einer hohen Letalität behafteten Gefahr der Agranulo- zytose nur noch zur kurzfristigen Behandlung zugelassen 4_HoffmannFlake.indb 537 01.02.2017 09:44:02
538 19 Notfallmedikamente 19.2.42 Methylprednisolon Wirkmodus Nicht fluoriertes Glukokortikoid, beeinflusst dosisabhängig den 19 Stoffwechsel fast aller Gewebe. Indikationen Status asthmaticus, Hirnödem, allergische Reaktion. Dosierung 1–2 mg/kg KG i. v. Nebenwirkungen Bei schneller Injektion: Übelkeit, Hitzegefühl. Kontraindikationen Im Notfall keine. Wechselwirkungen • Wirkungsverstärkung von Digitalisglykosiden möglich • Blutzuckersenkende Wirkung von Antidiabetika vermindert Tipps & Tricks Die Verabreichung von Methylprednisolon in hoher Dosierung hat beim Wir- belsäulentrauma einen positiven Effekt auf die Heilungschancen. 19.2.43 Metoclopramid MetoCloPramid BBBBPJPO Wirkmodus Blockierung der Dopaminrezeptoren in der Area postrema. Cho- linerger Effekt auf die Magen-Darm-Motilität. Indikationen Übelkeit, Erbrechen, GIT-Motilitätsstörungen. Dosierung • 1–(2)–18 Jahre: 0,1–0,15 mg/kg KG i. v. • > 18 Jahre: 10 mg langsam i. v. Nebenwirkungen Müdigkeit, Dyskinesien, vorwiegend bei Kindern. Kontraindikationen • Bei Säuglingen und Kindern < 2 J. nicht angezeigt, bei älteren Kindern nur bei strenger Indikationsstellung • Epilepsie • Mechanischer Darmverschluss Wechselwirkungen • Durch Neuroleptika Verstärkung der extrapyramidalen NW • Wirkungsabschwächung von Anticholinergika Tipps & Tricks • Kombination mit Butylscopolamin (▶ Kap. 19.2.18) und Triflupromazin möglich • Antidot: bei Dyskinesien Biperiden 2,5–5 mg langsam i. v., bei GIT-NW Atropin oder Butylscopolamin 4_HoffmannFlake.indb 538 01.02.2017 09:44:03
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