Lena Pohl () - Mein Auslandssemester mit Erasmus in Tartu - Uni Bielefeld

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Lena Pohl () - Mein Auslandssemester mit Erasmus in Tartu - Uni Bielefeld
Mein Auslandssemester mit Erasmus in Tartu
                         Universität Bielefeld/Sommersemester 2020
                           Lena Pohl (lena.pohl@uni-bielefeld.de)

Ich studiere Psychologie im Master an der Universität in Bielefeld und habe ein Semester mit dem
Programm Erasmus+ in Estland an der Universität in Tartu verbracht. Mein Auslandsemester
habe ich zum Sommersemester 2020 begonnen, welches in Tartu bereits Anfang Februar startete.
Aufgrund der Covid-19-Pandemie verlief meine Zeit dort allerdings ganz anders als geplant und
meine Erfahrungen sind (leider) sehr dadurch geprägt worden. Aufgrund von Corona habe ich
Tartu Ende März 2020 vorzeitig verlassen und bin erst wieder Anfang Juni 2020 dorthin
zurückgekehrt, umso gut wie möglich die letzten Wochen zu genießen. Nichtsdestotrotz kann ich
auf eine tolle, wenn auch kurze Zeit, zurückschauen und kann wirklich jedem ein
Auslandssemester ans Herz legen!

Tartu

Tartu ist die älteste Stadt des Baltikums und die zweitgrößte Stadt Estlands. Mit rund 100.000
EinwohnerInnen handelt es sich eher um ein kleineres, ruhigeres Städtchen, welches aber
durchaus seinen Charme und Einiges zu bieten hat. Nicht ohne Grund wird die Stadt von vielen
Menschen als „Stadt der Studenten“ bezeichnet. Das Stadtbild ist geprägt von den nationalen, aber
auch besonders von den internationalen Studierenden.

Vorbereitung und Anreise

Ich muss gestehen, dass ich selbst lange mit mir gehadert habe, ob ich überhaupt ein
Auslandssemester machen möchte. Nach vielen Überlegungen, vieler toller Erfahrungsberichte
und der ein oder anderen Infoveranstaltung war meine Entscheidung gefallen. Für mich sollte es
nach Tartu gehen. Warum ich mich für Tartu entschied? Ich wollte schlicht und einfach mal etwas
Anderes ausprobieren und ein für mich unbekanntes Land kennenlernen, welches nicht jeder
sofort auf dem Schirm hat. Die wunderschönen Bilder von Estland und die positiven
Erfahrungsberichte anderer Studierenden besiegelten diese Entscheidung schnell. Die Bewerbung
für ein Auslandssemester ist vom bürokratischen Aufwand nicht zu unterschätzen, aber es lohnt
sich. Und auch wenn es am Anfang kompliziert erscheint, man bekommt schnell den Durchblick.
Ich habe das Bewerbungsverfahren und alles was dazugehört an meiner Uni in Bielefeld sehr
organisiert und gut betreut erlebt. Außerdem hilft die gute Struktur von „Mobility online“ dabei,
einen Überblick über alle Schritte zu behalten. Auch von den Seiten der Uni in Tartu verlief der
ganze Bewerbungsprozess stressfrei. Was eine Auslandskrankenversicherung betrifft, hilft es
verschiedene Angebote zu vergleichen und einmal bei seiner Krankenkasse oder Bank
nachzufragen. Die Anreise verlief problemlos. Zusammen mit einer Kommilitonin flog ich
Anfang Februar, ein paar Tage vor Beginn der Einführungsveranstaltungen, nach Tallinn. Den
Flug hatten wir entspannt sechs Wochen vorher für ungefähr 80 Euro inklusive des ganzen
Gepäcks (40 kg + Handgepäck) gebucht. Wenn man flexibel ist, gibt es aber auch noch günstigere
Angebote. Wir entschieden uns aus preislichen Gründen von Berlin zu fliegen. Nach nicht einmal
zwei Stunden Flugzeit landeten wir in Tallinn. Einziger Nachteil war, dass es bereits so spät war,
dass keine Busse mehr nach Tartu fuhren. Aber auch dies ließ sich leicht lösen. Wir informierten
uns im Voraus und fanden einen Shuttleservice, der uns für 20 Euro pro Person direkt vor
unserem Wohnheim absetzte. Wären wir nicht mitten in der Nacht angekommen, hätte es eine
Reihe an Busanbietern gegeben (auch zu finden online oder in der App „Tpilet“). Einer der
bekanntesten Anbieter ist wohl „Lux Express“, ein bisschen zu vergleichen mit den deutschen
Fernbussen. Mit dieser Linie kann man auch innerhalb des Baltikums Ausflüge in andere
Regionen oder Städte machen. Preislich liegt man dort als StudentIn bei 6-12 Euro, wenn man die
ca. 2-2,5-stündige Fahrt von Tallinn nach Tartu (oder umgekehrt) antreten möchte.

Unterkunft

Für das Wohnheimzimmer konnte man sich bereits einige Wochen vorher bewerben, wobei meine
Kommilitonin und ich uns erst Anfang Januar um alles kümmerten. Wir warteten zwar bis zuletzt
auf eine Zusage, aber das hörten wir von vielen Studierenden dort. In Tartu selbst gibt es mehrere
Wohnheime, wobei nicht alle dafür ausgelegt sind „short term students“, d.h. internationale
Studierenden aufzunehmen. Diesbezüglich ändert sich die Lage auch ständig und manchmal lohnt
es sich, auch einfach mal in einem Wohnheim nachzufragen. Die meisten internationalen
Studierenden wohnen in Raatuse 22 und teilen sich immer zu zweit ein Zimmer (in einer Sechser-
WG). Das ist typisch in Estland und für viele erst einmal gewöhnungsbedürftig. Für dieses
Zweibettzimmer zahlt man ungefähr 230 Euro pro Monat. Möchte man in Raatuse 22 ein
Einzelzimmer haben, zahlt man das Doppelte. Nach einigen Überlegungen entschieden meine
Kommilitonin und ich uns dafür, eine Bewerbung an das Torn Dormitory zu schicken. Dieses
Wohnheim ist eigentlich für Studierende der University of Life Science gedacht, aber wir
erhielten trotzdem eine Zusage. Das Torn Dormitory liegt etwas außerhalb, wobei das relativ zu
betrachten ist. Fußläufig ist man in 20-30 Minuten mitten im Geschehen. Zudem kann man die
öffentlichen Fahrräder nutzen und es fahren (zumindest vor Corona) zwei bis drei Buslinien in
guten Abständen ins Stadtzentrum. Ganz klarer Vorteil für uns war die Privatsphäre und der Preis.
Wir zahlten für ein Einzelzimmer (in einer eigentlichen Vierer-WG) einfach das Doppelte an
Miete, diese lag allerdings nur bei 180-230 Euro inklusive aller Nebenkosten. Hätte man sich hier
ein Zimmer geteilt, hätten sich die Kosten entsprechend halbiert. Zugegeben in Raatuse ist
deutlich mehr los und fast alles spielt sich dort ab. Manchmal war das ein kleiner Nachteil, aber
ich persönlich würde mich immer wieder für das Torn Dormitory entscheiden. Die Mitarbeitenden
dort waren sehr nett und als wir aufgrund von Corona abgereist sind, um zu einem späteren
Zeitpunkt wiederzukommen, durften wir all unsere Sachen in unseren Zimmer lassen und mussten
trotzdem keine Miete für die Zeit bezahlen, in der wir nicht da waren. Vom Wohnstandard war es
natürlich nicht das, was wir aus Deutschland gewohnt waren und als wir ankamen war alles so
dreckig, dass wir einen Tag lang alles geputzt haben. Zudem war die Ausstattung spärlich, sodass
wir uns in den unterschiedlichsten Second-Hand-Läden nach und nach mit Geschirr und
Küchenutensilien usw. eingedeckt haben. Aber als das erledigt war, habe ich mich dort immer
sehr wohlgefühlt.

Studium

Zum Studium in Tartu kann ich tatsächlich nicht so viel sagen, weil Corona Vieles
durcheinandergebracht hat. Insgesamt ist alles aber ziemlich persönlich und es wirkte für mich
schulischer als in Deutschland. Es war alles gut organisiert und ich habe schnell einen Durchblick
darüber bekommen, wie alles funktioniert. Häufig besteht die Prüfungsleistung aus
unterschiedlichen kleinen Aufgaben, also zum Beispiel aus einem Essay, einer Klausur, einer
Gruppenarbeit usw.. Auf den ersten Blick wirkt das manchmal viel und man muss immer sehr
viele Deadlines und Termine im Auge behalten. Aber letztendlich war der Anspruch aus meiner
nicht Sicht meistens nicht super hoch. Auf jeden Fall kann ich jedem einen estnischen Sprachkurs
wärmstens empfehlen!

Freizeit und Reisen

Natürlich kamen wir zum Studieren ins Ausland, aber ich muss gestehen, dass ich mir mein
Auslandssemester bewusst an das Ende des Masters gelegt habe, um nicht mehr so viele
Veranstaltungen besuchen zu müssen. Ich wollte noch einmal rauskommen. Dementsprechend
hatte ich in meiner kurzen Zeit in Tartu viel Zeit zur eigenen Gestaltung und zum Reisen. Wenn
man möchte, findet man in Tartu sehr schnell Anschluss – das vor allem bei den anderen
internationalen Studierenden. Der Kontakt zu den Einheimischen ist manchmal etwas schwieriger
herzustellen. Aber nichts ist unmöglich. Insgesamt ist besonders in Raatuse immer etwas los. Vom
gemeinsamen Kochen, Spieleabenden oder Partys, irgendwo passiert immer etwas. In der
Innenstadt findet man diverse Cafés, Kneipen und Restaurants. Hier sind besonders das Werner
Café und das Möku zu nennen. Im Werner Café treffen sich immer viele Studenten. Es gibt dort
eine riesige Auswahl an Kuchen und man kann gemütlich zusammensitzen. Das Möku ist eine
Kneipe, in der abends immer viele junge Leute unterwegs sind. Auch viele Veranstaltungen über
ESN finden hier statt. Dadurch, dass die Stadt sehr klein ist, findet man sich sehr schnell zurecht
und kennt alle wichtigen Ecke. Außerdem trifft man sich immer schnell wieder. Tartu hat eine
sehr aktive ESN-Section, die wöchentlich (zumindest vor Corona) Veranstaltungen und Aktionen
organisiert. Von Partys, Spieleabenden und Filmabenden ist alles dabei, sodass jeder Geschmack
getroffen wird. Außerdem wurden von ESN auch unterschiedliche Reisen organisiert. Häufig in
Kooperation mit Time Travels. Ich selbst habe es vor dem Coronaausbruch noch nach Lappland
geschafft und das war eine wunderschöne Erfahrung. Außerdem war noch eine Reise nach
Russland geplant, die leider nicht mehr stattfinden konnte. Hier empfiehlt es sich über den
Tellerrand zu schauen. Ich hatte beispielsweise mit einigen Leuten zusammen über ein kleines
Reisebüro in der Innenstadt eine längere und umfassendere Gruppenreise nach Russland gebucht
(also nicht über ESN, wie die meisten). Neben vielen organisierten Reiseangeboten kann man
aber auch Estland und das gesamte Baltikum auf eigene Faust entdecken. Von Tartu aus kann man
mit den sogenannten „Blue Buses“ kostenlos in die nähere Umgebung gelangen. Mit größeren
Busunternehmen, wie oben schon erwähnt, kann man für kleines Geld gut zu fast jedem anderen
sehenswerten Punkt des Baltikums gelangen. Eine andere Möglichkeit ist es, sich ein Auto zu
mieten. Ich habe mir mit anderen Leuten zusammen zweimal ein Auto gemietet und wir haben
Roadtrips durch Estland, Lettland und Litauen gemacht. Mal haben wir in Unterkünften (Airbnbs,
Hostels) geschlafen, mal gecampt. Das Baltikum ist ein wahres Campingparadies. Checkt auf
jeden Fall mal die RMK Plätze aus und informiert euch!
Kosten

Die Hauptkosten habe ich oben bereits beschrieben. Wie gesagt, die Anreise und das Wohnen
waren ziemlich günstig. Das Leben in Tartu ist allerdings nicht so billig wie erwartet habe. Ich
hatte den Eindruck, dass das Einkaufen sogar etwas teurer ist als in Deutschland. Der öffentliche
Verkehr ist supergünstig und die Preise sind absolut nicht zu vergleichen mit den deutschen
Preisen. Das ganze Reisen (insbesondere Lappland) ist auf Dauer aber schon ziemlich teuer bzw.
es summiert sich einfach auf. Aber das ist ja auch jedem selbst überlassen, in welchem Ausmaß,
das sattfinden soll. Ich habe das bewusst einkalkuliert, weil für mich klar war, dass ich ganz viel
sehen möchte. Ich konnte mein Auslandssemester mit der Erasmusförderung und meinen
Ersparnissen gut stemmen. An der Finanzierung sollte ein Auslandssemester nicht scheitern. Es
finden sich immer Wege und ich kann sagen, dass ich mein Geld sehr gerne in diese Zeit
investiert habe.

Fazit

Insgesamt bin ich traurig, dass mein Auslandssemester durch Corona so kaputt gemacht wurde.
Wäre ich nicht am Ende meines Studiums, würde ich wahrscheinlich irgendwann einen neuen
Versuch wagen. Aber nun abschließend zu Estland – Es ist ein Land, welches auf den ersten Blick
niemand auf dem Schirm hat, wenn es um ein Auslandssemester geht. Aber Estland ist großartig!
Es ist ein unglaublich interessantes Land, was auf der einen Seite super entwickelt ist (man hat
sogar im Keller und Fahrstuhl Empfang :-D) und auf der anderen Seite seinen ursprünglichen
Charme beibehalten konnte. Es hat sowohl, besonders was die Natur betrifft, viel von
Skandinavien, ist aber auch stark durch Russland geprägt. Ich bin unglaublich froh, mich für
dieses Land und für Tartu entschieden zu haben und habe mich vom „Spirit of Tartu“ und vom
„Erasmusgefühl“ infizieren lassen. Zurückkommen werde ich auf jeden Fall!
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