COVID-19: Pharmakotherapie sowie praxisnahe Aspekte für die Apotheke - Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz Dr. Christian Ude - pharmacon

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COVID-19: Pharmakotherapie sowie praxisnahe Aspekte für die Apotheke - Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz Dr. Christian Ude - pharmacon
17. – 22. Januar 2020

              17. – 23. Januar 2021

COVID-19: Pharmakotherapie
sowie praxisnahe Aspekte für
die Apotheke

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz
Dr. Christian Ude
COVID-19: Pharmakotherapie sowie praxisnahe Aspekte für die Apotheke - Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz Dr. Christian Ude - pharmacon
Im Dezember 2019 gab es die ersten Fallberichte einer atypischen Pneumonie unklarer Ge-
nese aus der Region um Wuhan in China. Am 7. Januar wurde der Erreger SARS-CoV-2
(SARS: Severe Acute Respiratory Syndrome), ein neuartiges Coronavirus, als Ursache für
die Erkrankung erkannt.

Der Ausbruch dieser nicht nur respiratorischen Erkrankung, Coronavirus Diesease 2019
(COVID-19), wurde nach rapider globaler Ausbreitung am 12. März 2019 von der Weltge-
sundheitsorganisation (WHO) zur Pandemie erklärt.

Die Corona-Pandemie hat einen starken Einfluss auf die tägliche Arbeit in der Offizin. Eine
neue Normalität ist entstanden und verändert nicht nur unsere Beratungsabläufe. Für die
Kundengespräche sind dabei vor allem zwei Aspekte von Bedeutung: eine etwaige Pharma-
kotherapie gegen COVID-19 und die Frage nach einer zu verantwortenden Selbstbehand-
lung bei auch in diesem Jahr typischer Weise stattfindender „grippaler Infekte“. Natürlich wird
immer wieder diskutiert, dass auch zahlreiche, untypische und bisher als harmlos wahrge-
nommene Symptome wie sie bei grippalen Infekten, Allergien oder Magen-Darm-Infektionen
auftreten auch Anzeichen einer COVID-19-Erkrankung sein könnten. Es gilt in der Offizin
qualitätsgesichert, vertretbar aber auch mit „Augenmaß“ eine Abschätzung für oder wider
eine Selbstbehandlung und das individuelle Risiko für den konkreten Patienten zu treffen.
Nicht zuletzt steht darüber hinaus aber auch eine begründete und transparente Präpara-
teauswahl im Fokus unserer Arbeit.

Als zunächst wichtige Grundlage dienen hierzu die Leitlinien der Fachgesellschaften vor al-
lem für die Therapie des Hustens und etwaiger gastrointestinaler Infektionen [1, 2]. Gemäß
Leitlinie zeichnen sich vor allem rationale Phytopharmaka durch einen hohen Nutzen für den
Patienten aus, wofür allerdings eine überlegte Bewertung der empfohlenen Arzneimittel un-
erlässlich ist. Wenig überraschend ist daneben, dass für die Therapie gastrointestinaler Be-
schwerden wie zum Beispiel Durchfall und Erbrechen vor allem eine Zuführung von Flüssig-
keit und Elektrolyten an erster Stelle gefolgt von allgemeinen Hygienemaßnahmen steht. Na-
türlich werden auch NSAR bei entsprechender Symptomatik abgefragt und eingesetzt. Dar-
aus folgend ist unmittelbar der Einsatz von Protonenpumpen-Inhibitoren (PPI) zu thematisie-
ren. Kurz zusammengefasst gilt es festzuhalten, dass auch gegen einen Einsatz von NSAR
und u.U. auch PPI nichts einzuwenden ist. Allerdings ist die richtige Präparateauswahl im
Kontext mit einem vermeintlichen grippalen Infekt im Corona-Winter nur ein Drittel der Auf-
gabe des pharmazeutischen Personals. Wie in Abbildung 1 beschrieben gilt es darüber hin-
aus vor allem das Risiko eines Patienten, an einem schweren Verlauf einer Covid-19-Erkran-
kung zu leiden, abzuschätzen. Risikofaktoren sind u.a. fortgeschrittenes Lebensalter, männli-
ches Geschlecht, Grunderkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Atemwegserkran-
kungen aber auch Adipositas oder eine Hypertonie [3]. Patienten, die solche Co-Morbiditäten
mitbringen, werden zunächst nicht anders therapiert, allerdings ist in diesen Fällen nach-
drücklich ein Arztbesuch anzuraten, um Klarheit über eine etwaige Sars-Cov-2-Infektion zu
erlangen. Diese Empfehlung zur Testung wird vor allem dadurch unterstrichen, wenn ein Pa-
tient nachweislich Kontakt mit einer bewiesen infizierten Person hatte. Auch die Abfrage die-
ser Wahrscheinlichkeit sollte Teil des Beratungsgespräches in der Pandemie-Phase sein.
Abbildung 1: Beratungsablauf [Abbildung PZ, M.&C. Ude, [4]]
Nicht zu letzten spielt immer mehr der Wunsch der Patienten nach Prävention und einer
Kräftigung des Immunsystems eine Rolle am HV-Tisch. Eine Vielzahl von Produkten und
Präparaten mit Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen werden beworben und auch in
der Apotheke abgefragt. Das pharmazeutische Personal hat dem Patienten gegenüber in
diesem Kontext eine wichtige Lotsenfunktion.

Vitamin D ist aufgrund seiner immunsystemstärkenden Wirkung auch bei Atemwegserkran-
kungen immer wieder im Fokus der Diskussionen. Die Literatur hierzu ist uneinheitlich, wobei
durchaus gezeigt werden konnte, dass bei Patienten mit schweren Verläufen niedrige Vita-
min-D-Spiegel zu sehen waren [5]. Lediglich die Kausalität ist nicht abschließend geklärt. Al-
lerdings ist völlig losgelöst von der Pandemiesituation eine ausreichende Vitamin-D-Versor-
gung zu empfehlen und damit wichtiger Bestandteil unserer Beratungsgespräche in der Offi-
zin. Neben Vitamin D müssen jedoch weitere Möglichkeiten zum jetzigen Zeitpunkt kritisch
beobachtet werden. Aktuell fällt es schwer Empfehlungen auszusprechen, beispielsweise
Phytopharmaka präventiv zur Senkung des Infektionsrisikos einzusetzen. Auch ist der Ein-
satz von Spermidin oder Niclosamid bisher nur in in-vitro-Untersuchungen besprochen [6],
was für eine generelle Empfehlung für den Menschen nicht ausreicht. Dagegen kann durch
den Einsatz von desinfizierenden Mundspülungen die Viruslast vor allem auf den Schleim-
häuten gesenkt werden, um kurzfristig die Infektiosität zu reduzieren [7].

Das pharmazeutische Personal übernimmt eine zentrale Lotsenfunktion in Bezug auf Aufklä-
rung und Beratung ein. Neben den besprochenen Aspekten zur Selbstbehandlung, zur Prä-
parateauswahl, zum Ziehen einer Grenze der Selbstbehandlung und zur Bewertung von
„Produkten zur Kräftigung des Immunsystems“, bewertet und informiert die Offizin auch über
zukünftige Pharmakotherapien bei COVID-19-Erkrankungen.

SARS-CoV-2 gehört zu den Beta-Coronaviren. Humane Coronaviren verursachen meist
leicht verlaufende akute respiratorische Erkrankungen. Allerdings haben im 21. Jahrhundert
bereits zwei neuartige Corona-Viren zu Epidemien mit schwerwiegenden Infektionen und ho-
her Letalität geführt: In 2002 SARS-CoV aus Südchina und im Jahr 2012 Middle East Respi-
ratory Coronavirus (MERS-CoV) mit Ursprung in Saudi-Arabien. Bei beiden Erkrankungen
handelt es sich um Zoonosen.

Coronaviren sind lipidumhüllte RNA-Viren mit dem derzeit größten bekannten RNA-Genom.
Sie weisen nach außen ragende Proteinstrukturen auf, die elektronenmikroskopisch an das
Bild einer Krone (lateinisch corona) erinnern. Für die Pathogenese und als Ansatzpunkte
(Targets) für diagnostische Verfahren sowie potentielle Arzneistoffe (Virustatika) und Impf-
stoffe sind die vom Virusgenom kodierten viralen Proteine wichtig. Hierzu gehört das auf der
Virushülle exprimierte Spike-Protein (S), das durch das eine Rezeptorbindungsdomäne
(RBD) das humane Angiotensin-Converting-Enzyme-2-Molekül (hACE2) als Rezeptor bindet.
Nach der Bindung wird das S-Protein von einer auf den Membranen der Wirtszelle vorhande-
nen Serinprotease, TMPRSS2 (transmembrane protease serin 2), gespalten. Dies wiederum
ermöglicht die Fusion mit der Wirtsmembran und somit den Eintritt des Virus in die Zelle.

Im Juli 2020 wurde mit Remdesivir (VEKLURY®) das erste Arzneimittel gegen COVID-19 zu-
gelassen, allerdings unter „besonderen Bedingungen“ mit zahlreichen Auflagen. Remedesivir
ist ein Prodrug, das nach Umwandlung in ein ATP-Analogon virale RNA-Polymerasen
hemmt. In der für die Zulassung maßgeblichen Studie verkürzt Remdesivir bei schwer er-
krankten Patienten die Zeit bis zur Krankenhausentlassung oder bis im Krankenhaus keine
Sauerstofftherapie und keine weitere medizinische Versorgung mehr erforderlich ist. Eine
Reduktion der Mortalität konnte hingegen nicht nachgewiesen werden, weshalb der Einsatz
von Remdesivir auch in Fachkreisen kritisch diskutiert wird. Überzeugende Daten gibt es zu
Dexamethason, das vor allem bei Patienten, die intubiert und beatmet sind, wirkt. Bei Patien-
ten, die Sauerstoff benötigen, ist die Wirksamkeit geringer. Nicht schwerwiegend erkrankte
Patienten profitieren nicht von einer Therapie mit Dexamethason.

Große Hoffnungen liegen auf maßgeschneiderten RNA-Polymerase- und Protease-Inhibito-
ren, deren Entwicklung fieberhaft vorangetrieben wird.

Im November 2020 erhielt der Antikörper Bamlanivimab (LY-CoV555) der Firma Lilly von der
FDA eine Notfallzulassung zur Behandlung einer leichten bis moderaten COVID-19-Erkran-
kung. Der monoklonale Antikörper darf dabei nur im COVID-19-Anfangsstadium eingesetzt
werden, und zwar bei SARS-CoV-2-positiven Patienten über 12 Jahre mit einem Mindestge-
wicht von 40 kg und einem hohen Risiko für schwere Verläufe (beispielsweise durch Vorer-
krankungen oder einem Alter über 65 Jahre). Studienarme dagegen, die den Einsatz von
Bamlanivimab bei hospitalisierten Patienten erprobt hatten, waren kürzlich gestoppt worden,
da sich für diese Patienten kein Nutzen ergeben hatte. Vielmehr scheinen Antikörper bei
schwerkranken Patienten den COVID-19-Verlauf eher zu verschlechtern. Die FDA betont,
dass es sich um eine Notfallzulassung und keine reguläre Vollzulassung handelt. Dazu fehl-
ten noch abschließende Daten, die Studien werden weiter fortgesetzt. In Ermangelung an
Therapiealternativen überwiege derzeit aber der Nutzen mögliche Risiken. Auch für die Kom-
bination der monoklonalen Antikörper Casirivimab und Imdevimab (REGN10933 und
REGN10987), gibt es zwischenzeitlich eine Notfallzulassung.

Im Vortrag wird der aktuelle Stand der Target-Charakterisierung und Wirkstoffentwicklung ta-
gesaktuell referiert

Literatur

[1] Kardos P et al. Leitlinie der Deutschen G. f. Pneumologie 2019; 73: 143–180 143

[2] DEGAM, Handlungsempfehlung Akuter Durchfall, AWMF-Registernr. 053/030

[3] Robert-Koch-Institut: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risi-
kogruppen.html [abgerufen am 08.12.2020]

[4] Ude M. Ude C, SARS-Cov-2: Was sich in der Beratung ändert. Pharmazeutische Zeitung
165, Nr. 24 (2020) Seite 26 – 33

[5] Maghbooli Z. et al., Vitamin D sufficiency, a serum 25-hydroxyvitamin D at least 30 ng/mL
reduced risk for adverse clinical outcomes in patients with COVID-19 infection, PLoS One,
2020 Sep 15; 15(9)

[6] Gassen N. C. et al, Analysis of SARS-CoV-2-controlled autophagy reveals spermidine,
MK-2206, and niclosamide as 1 putative antiviral therapeutics, bioRxiv, 2020, https://www.bi-
orxiv.org/content/10.1101/2020.04.15.997254v1 [abgerufen am 08.12.2020]

[7] Ruhr Universität Bochum, Mundspülungen könnten Corona-Übertragungsrisiko senken;
https://news.rub.de/presseinformationen/wissenschaft/2020-08-10-virologie-mundspuelun-
gen-koennten-corona-uebertragungsrisiko-senken]

[8] Avinash S. et al., Rapid In-Vitro Inactivation of Severe Acute Respiratory Syndrome Coro-
navirus 2 (SARS-CoV-2) Using Povidone-Iodine Oral Antiseptic Rinse; Journal of Prostho-
dontics, 2020
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