Lieferkettengesetz - wie wird es wirksam ? - Nomos eLibrary
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Aus der Praxis DOI: 10.5771 / 0342 - 300X - 2021 - 1 - 66 Lieferkettengesetz – wie wird es wirksam ? STEFANIE LORENZEN 1 Einführung Dieser Beitrag diskutiert deshalb, welcher Inhalte und Vo- raussetzungen es bedarf, um ein deutsches Lieferketten- Mehrere Länder haben inzwischen die Verantwortung gesetz wirksam machen. Welche Umstände unterstützen, von Unternehmen für Menschenrechte in Lieferketten ge- dass die Ziele einer solchen Regulierung erreicht werden ? setzlich geregelt. Meist betreffen sie spezifische Branchen, Hierzu werden einige Regelungselemente und Wirkungs- Themen oder Rechte, etwa ein niederländisches Gesetz bedingungen des Gesetzes selbst untersucht. Darüber hi- gegen Kinderarbeit, Verhaltensstandards zu Konfliktroh- naus blickt der Beitrag auf weitere Rahmenbedingungen, stoffen in den USA und der EU , Berichtspflichten in Bezug insbesondere die Rolle der Arbeitnehmervertretungen. auf Menschenhandel und moderne Sklaverei in Großbri- tannien, Australien und den USA . In Deutschland befin- 2 Ziel der Regulierung det sich im September 2020, zum Entstehungszeitpunkt durch ein Lieferkettengesetz dieses Beitrags, die Debatte um ein sektorunabhängiges, allgemeines Lieferkettengesetz in einer entscheidenden Menschenrechtsgefährdungen in globalen Wertschöp- Phase. fungsketten (GWK ) bilden die Ausgangslage. Defizitäre 2016 formulierte die Bundesregierung in ihrem Na- Bedingungen am Arbeitsplatz sowie Umweltverschmut- tionalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte zung und -zerstörung begleiten viele Herstellungsprozesse (NAP ) die Erwartung an alle deutschen Unternehmen, in GWK . Fabrikbrände oder der Einsatz von Sicherheits- Menschenrechte in ihren Lieferketten zu achten. 1 Dabei kräften gegen Arbeiter zeugen davon. Die Corona-Pande- setzte sie grundsätzlich darauf, dass Unternehmen dies mie hat dies zum Teil zugespitzt, wie die fehlende soziale freiwillig erfüllen. Bis zum Sommer 2020 wurde in zwei Sicherung von Millionen entlassener Näherinnen in Asien Erhebungsphasen geprüft, ob mindestens die Hälfte der zeigt. Handelte es sich um rein innerstaatliche Fälle, hätten ca. 7200 international aktiven deutschen Unternehmen die Betroffenen in Deutschland sowohl verfahrensrecht- mit mehr als 500 Arbeitnehmern bereits von sich aus einer lich als auch materiell-rechtlich gute Chancen, ihre Rechte menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen. In gegen den Arbeitgeber durchzusetzen. In den Produk- der abschließenden Evaluierung erfüllten nur etwa 13–17 % tionsländern, wo der Schaden eintritt, ist dies nicht immer der Unternehmen die Menschenrechtsvorgaben des NAP . gesichert. Die zum Teil fehlenden oder schlecht funktio- Aufgrund dieser mehr als deutlich unter 50 % liegenden nierenden rechtsstaatlichen Institutionen und gleichzeitig Quote sah sich die Bundesregierung aus dem NAP und niedrigen Produktionskosten gelten sogar als wichtiger dem Koalitionsvertrag von 2017 verpflichtet, „national Outsourcing-Anreiz für Unternehmen der Industriestaa- gesetzlich tätig“ zu werden. Federführend für Eckpunkte ten. zu einem Gesetzentwurf waren die Bundesministerien für Das Ziel von Regulierung in diesem Bereich müsste wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ ), für Arbeit und dual sein : Es gilt, zum einen Schädigungen von Arbei- Soziales (BMAS ) und für Wirtschaft (BMW i). Sowohl Ent- ter*innen und Gemeinden etwa an Körper, Gesundheit, wicklungsminister Gert Müller (CSU ) als auch Arbeitsmi- nister Hubertus Heil (SPD ) stellten sich wiederholt hinter ein ambitioniertes, haftungsbewehrtes Lieferkettengesetz. Dagegen steht Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU ) 1 Nationaler Aktionsplan – Umsetzung der VN -Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vom 21. 12. 2016 (NAP ), dem Projekt insgesamt eher kritisch gegenüber. https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publika Vieles ist in der zum jetzigen Zeitpunkt noch ausste- tionen/nationaler-aktionsplan-wirtschaft-und-menschen henden Einigung über Eckpunkte zu einem Gesetz strittig. rechte-735164 (letzter Zugriff : 23. 09. 2020). 66 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2021-1-66 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 11.11.2021, 13:48:18. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
WSI MITTEILUNGEN, 74. JG., 1/2021 Leben oder Nutzungsrechten zu vermeiden und gegebe- Vorkehrungen festzulegen und in Geschäftsabläufe zu nenfalls Wiedergutmachung zu ermöglichen, zum an- integrieren / umzusetzen (Handlungspflicht). deren reales soziales Upgrading zu erreichen, und zwar – Abhilfe : Werden Beeinträchtigungen von Menschen- durch Erhöhung von Standards – etwa in Bezug auf exis- rechten festgestellt, sind sie zu beenden bzw. abzumil- tenzsichernde Löhne und Kürzung von Überstunden –, dern und wiedergutzumachen (Handlungspflicht). aber auch durch verbesserte Ausübungsmöglichkeiten – Wirksamkeitskontrolle : Unternehmen müssen regel- kollektiver Rechte wie freier Gewerkschaftsgründungen mäßig prüfen, ob ihre Präventions- und Abhilfemaß- und -aktivitäten (vgl. dazu auch den Beitrag von Marslev nahmen effektiv sind (Verfahrenspflicht). et al. in diesem Heft). – Kommunikation : Unternehmen müssen über ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflichterfüllung transpa- 3 Ausformulierung des Regulierungsziels – rent berichten. UN -Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Mit den UN -Leitprinzipien ist ein internationaler Stan- dard entstanden, der mit seiner zentralen Aussage, dass Grundsätzliche Bedeutung bei der Konzeptualisierung Geschäftstätigkeiten von Unternehmen nicht zur Verlet- dieses Ziels kommt den UN -Leitprinzipien für Wirtschaft zung von Menschenrechten führen dürfen, fast universelle und Menschenrechte zu. Ihre Meriten liegen darin, einen Akzeptanz erreicht hat. Die UN -Leitprinzipien liegen den theoretischen Ansatz mit einem entsprechenden Umset- meisten neueren nationalen Gesetzen in diesem Bereich zungsinstrumentarium zu verbinden. Nach dem Ruggie- zugrunde. Die Verhaltenspflicht zu menschenrechtlicher Framework der Vereinten Nationen entsteht ein Interes- Sorgfalt in einem deutschen Lieferkettengesetz hierauf senausgleich zwischen Wirtschaft und Menschenrechten aufzubauen, macht das Gesetz anschlussfähig. Es erleich- entlang komplexer, globaler Lieferketten über ein Drei- tert ausländischen Geschäftspartnern, den deutschen Säulen-Modell. Den Staat trifft die Pflicht, Menschen- Standard zu verstehen und umzusetzen. Inzwischen hat rechte zu schützen („duty to protect“), die Wirtschaft ist außerdem Justizkommissar Reynders auf EU-Ebene Ge- verpflichtet, sie zu achten („duty to respect“), und sowohl setzgebung zu menschenrechtlicher Sorgfalt in GWK an- Staaten als auch Unternehmen sollen Betroffenen Abhilfe gekündigt. Es ist zu erwarten, dass die EU ebenfalls den garantieren („access to remedy“). Die 41 UN -Leitprinzipi- Standard der UN -Leitprinzipien zugrunde legt. en, die das Drei-Säulen-Konzept konkretisieren, hat der UN -Menschenrechtsrat 2011 einstimmig verabschiedet. 2 4 Wichtige Elemente Zur Implementierung verlangen die UN -Leitprinzipi- eines wirksamen Lieferkettengesetzes en von Unternehmen dreierlei : eine Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte, menschenrechtliche 4.1 Transparenz und Teilhabe Sorgfalt (human rights due diligence) als Kernkonzept und Die gewünschte Prävention menschenrechtlicher Beein- angemessene Beschwerdemöglichkeiten samt Wiedergut- trächtigungen sollen in erster Linie die Unternehmen an machung bei festgestellten Verletzungen von Menschen- der Spitze von GWK selbst durch einen kontinuierlichen rechten. 3 Risikovorsorgezyklus vornehmen. Dabei sprechen erfolg- Alle Elemente beziehen sich auf die „international an- reiche Initiativen für Menschenrechte in GWK – wie der erkannten Menschenrechte“, mindestens solche aus der Bangladesh Accord – dafür, dass ein guter Teil des Erfolgs Internationalen Menschenrechtscharta und der ILO -Er- auf der (gleichberechtigten) Beteiligung lokaler Arbeit- klärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte nehmervertreter und (lokaler, nationaler oder globaler) bei der Arbeit. Umfasst ist damit eine große Bandbreite Gewerkschaften beruht. an Menschenrechten wie die ILO -Kernarbeitsnormen, zu- Bedeutung für Arbeitnehmervertreter in Produktions- dem etwa das Recht auf Leben, Gesundheit, Freiheit von ländern : Das wiederum liefert Anhaltspunkte dafür, dass Zwangsarbeit, gerechte und günstige Arbeitsbedingungen es sinnvoll ist, die Rolle von Arbeitnehmervertretern bei oder auf einen angemessenen Lebensstandard. der Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht Die zentrale menschenrechtliche Sorgfaltspflicht samt Abhilfe und Wiedergutmachung formulieren die UN - Leitprinzipien als Verhaltensstandard für Unternehmen, als Methode menschenrechtlichen Risikomanagements. 2 UN -Dok. A/HRC/r.es/17/4 ; http://www.ohchr.org/Docu Folgende wesentliche Bestandteile sind dabei zu unter- ments/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR _EN .pdf (letzter Zugriff : 23. 09. 2020). scheiden : – Risikoanalyse : Unternehmen müssen tatsächliche und 3 Die OECD -Leitsätze für multinationale Unternehmen (2011) potenzielle nachteilige Auswirkungen auf Menschen- sowie die dreigliedrige Grundsatzerklärung über multina- tionale Unternehmen und Sozialpolitik der Internationalen rechte in ihrer Lieferkette ermitteln (Verfahrens- Arbeitsorganisation (ILO ) (2017) integrieren als wichtige pflicht). institutionelle Standards ebenfalls die menschenrechtliche – Prävention : Für identifizierte Risiken sind geeignete Sorgfaltspflicht. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2021-1-66 67 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 11.11.2021, 13:48:18. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Aus der Praxis ernst zu nehmen und zu stärken. Zwar erwähnen die UN - letzungen in GWK vorzubeugen. Dies wiederum setzt vo- Leitprinzipien nur an zwei Stellen explizit Gewerkschaften, raus, dass Unternehmen die menschenrechtliche Sorgfalt die Kommentierung stellt indes klar, dass sie an verschie- tatsächlich in ihre Organisationsabläufe integrieren und denen Stellen der menschenrechtlichen Sorgfalt eine Rol- bei ihren Geschäftspraktiken berücksichtigen. Ein Liefer- le spielen. Bezüglich der Risikoanalyse können Gewerk- kettengesetz, das mit der menschenrechtlichen Sorgfalts- schaftsvertreter im Rahmen des sozialen Dialogs verlan- pflicht gegenüber Unternehmen ein Gebot statuiert, muss gen, dass Unternehmen prüfen und offenbaren, inwiefern dieses wirksam absichern. ihre Einkaufsbedingungen Menschenrechte gefährden. In der Breite eignet sich hierfür eine ordnungsrecht- Bei vertieften Risikoprüfungen sind sie als Auskunftsper- liche behördliche Prüfung. In Frankreich, wo fehlende sonen einzubeziehen. Sie können eine aktive Rolle bei der menschenrechtliche Sorgfalt von Unternehmen nach der Formulierung eines Abhilfemaßnahmenplans einfordern, branchenunabhängigen Loi de vigilence von 2017 nur ge- eine tarifliche Regelung in Bezug auf Beschwerdemecha- richtlich – und damit einzelfallbezogen – geltend gemacht nismen sowie Beteiligung bei Wiedergutmachungsmaß- werden kann, wird derzeit erwogen, eine behördliche nahmen verlangen. Ferner sollten Gewerkschaftsvertre- Überwachung einzuführen, um regelmäßig zu überbli- ter beim Wirksamkeitsmonitoring beteiligt werden, das cken, ob sich die Unternehmen im Anwendungsbereich Design von Sozialaudits mitgestalten und die Ergebnisse compliant verhalten. Eine entsprechende Berichtspflicht einsehen können. 4 Als Grundvoraussetzung, diese Rechte sollte die Kontrolle vergleichbar machen und vereinfa- wahrnehmen zu können, müssen die entsprechenden In- chen. Erfahrungen mit dem französischen Gesetz zeigen, formationen transparent zugänglich sein. Die ausreichen- dass die Behörde nicht ausschließlich die Erfüllung der de Beteiligung sollte sich ebenfalls als Dimension bei der Berichtspflicht überwachen soll. Die Prüfung der Behör- (behördlichen, gerichtlichen) Beurteilung ausreichender de sollte alle Elemente der Sorgfaltspflicht erfassen. Die- menschenrechtlicher Sorgfalt wiederfinden. se Aufgabe kann allerdings nur effektiv ausgeübt werden, Bedeutung für Arbeitnehmervertreter in Deutschland : wenn eine fachlich geeignete Behörde ausreichend ausge- Deutsche Gewerkschaften sind in der Debatte um die UN stattet wird und ermächtigt ist, bei Verstößen Bußgelder Leitprinzipien bzw. deren Übersetzung in ein zwingendes zu verhängen. Gesetz recht aktiv. Sowohl der DGB als auch die Einzelge- Auswertungen, die den UK Modern Slavery Act mit werkschaft ver.di befürworten klar eine haftungsbewehrte dem UK Bribery Act vergleichen, zeigen, dass ersterer, der gesetzliche Sorgfaltspflicht. nur mit Berichtspflicht umgesetzt wird, wenig Auswirkung Interessant ist dagegen, dass laut Studien auf betrieb- auf Unternehmenspolitik und -verhalten zur Vermeidung licher Ebene oft noch keine weiterführenden Kenntnisse moderner Formen der Sklaverei zeigte. Anders verhält es über die UN -Leitprinzipien vorhanden sind. 5 Dies wird sich bezüglich der Korruptionsprävention erfasster Unter- vor allem darauf zurückgeführt, dass die menschen- nehmen bei letzterem Gesetz, das strafrechtlich und mit rechtliche Sorgfaltspflicht bislang nicht im Betriebsver- Bußgeldern durchgesetzt wird. 6 Für erhebliche Men- fassungsgesetz (BetrVG ) verankert ist und in Anbetracht schenrechtsverstöße sollte ein Lieferkettengesetz deshalb der vielfältigen Aufgaben von Betriebsräten kaum Kapa- eine zivilrechtliche Haftung vorsehen. Diese Sanktionie- zitäten bestehen, das Thema zu ergründen. In den meis- rungsmöglichkeit wird zwar in den UN -Leitprinzipien ten Fällen betrachten Betriebsräte die Achtung der Men- nur als eine mögliche Ausformung der Achtungspflicht er- schenrechte als Managementaufgabe. Wenn es eine stär- wähnt. Sie hätte aber voraussichtlich mehrere wünschens- kere Befassung damit gibt, liegt dies oft an persönlichen werte Effekte. Sie würde als finanzielles Risiko für Unter- Verbindungen oder einem Lieferketten-Skandal, der das nehmen dazu führen, dass die Thematik menschenrecht- eigene Unternehmen betrifft. Dabei zeigen Untersuchun- licher Sorgfalt im Unternehmen aufgewertet würde, und gen, dass Betriebsräte an einigen Schnittstellen von ihren statt oder neben etwa der Sustainability-Abteilung würde Unternehmen eingebunden werden. Dies ist insbesonde- nun auch die Compliance-Einheit damit befasst. Zusätz- re bei der menschenrechtlichen Grundsatzerklärung der lich schafft die zivilrechtliche Haftung eine Grundlage, Fall, wenn ein Beschwerdemechanismus aufgesetzt wird oder Lieferantenaudits geplant und ausgewertet werden. Ein entsprechend ausgestaltetes Lieferkettengesetz könn- 4 Konkretisierungen finden sich in den sektorspezifischen te Belegschaft und Betriebsräte stärker für die Thematik Leitfäden der OECD . sensibilisieren, eine Beteiligung bezüglich der Handlungs- strategien des Unternehmens vorsehen und die Koopera- 5 Hadwiger, F. / Hamm, B. / Vitols, K. / Wilke, P. (2017) : Men- schenrechte im Unternehmen durchsetzen. Internationale tion mit den betreffenden ausländischen Arbeitnehmer- Arbeitnehmerrechte : Die UN -Leitprinzipien als Hebel für vertretungen fördern. Betriebsräte und Gewerkschaften, Bielefeld. 6 LeBaron, G. / Rühmkorf, A. (2017) : Steering CSR Through 4.2 Starke Durchsetzungsmechanismen verankern Home State Regulation : A Comparison of the Impact of the Entsprechend den UN -Leitprinzipien muss es vorrangiges UK Bribery Act and Modern Slavery Act on Global Supply Ziel eines Lieferkettengesetzes sein, Menschenrechtsver- Chain Governance, in : Global Policy 8 (Suppl. 3), S. 15–28. 68 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2021-1-66 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 11.11.2021, 13:48:18. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
WSI MITTEILUNGEN, 74. JG., 1/2021 geschädigten Arbeitnehmern und Gemeinden Zugang zu Weg einzelner Produkt(teile) abzubilden. Wer seine – Recht zu ermöglichen und die Wiedergutmachung von komplexen – Lieferketten kennt, entdeckt voraussichtlich Rechtsgutverletzungen wahrscheinlicher zu machen. Eine schneller über den Menschenrechtsaspekt hinausgehende verschuldensabhängige, deliktische Haftung, die an Vor- Unternehmensrisiken und kann hierauf reagieren. hersehbarkeit und Vermeidbarkeit anknüpft, ließe sich in Viele deutsche Unternehmen haben bereits Erfahrung, das bestehende deutsche Deliktsrecht einpassen. Sorgfaltspflichten in Unternehmensprozesse zu über- Um die Rechtsverfolgung wirksamer zu machen, soll- setzen. Sie müssen sich schon jetzt mit den bestehenden ten eine Beweislastumkehr, eine widerlegliche Verschul- Vorschriften, etwa der französischen Loi de vigilence, be- densvermutung oder ein Anscheinsbeweis berücksichtigt fassen. Einige setzen bereits seit fast zehn Jahren die Sorg- werden, da Geschädigte im Normalfall Anspruchsvoraus- faltspflichten beim Import von Konfliktmineralien aus der setzungen nicht darlegen und beweisen können, die sich Kongo-Region nach dem amerikanischen Dodd Frank Act in der Sphäre der Unternehmen abspielen. Prozessual sind um. Machbar erscheint menschenrechtliche Sorgfalt auch daneben Formen der Prozessstandschaft durch Gewerk- vor dem Hintergrund, dass der erforderliche Risikoana- schaften oder ausgewiesene NRO interessant. Anderer- lyse-Abhilfe-Monitoring-Kommunikationsprozess auf seits erwarten auch Unternehmen zu Recht Rechtsicher- Verfahren des herkömmlichen Risikomanagements auf- heit zu den Grenzen ihrer Einstandspflicht. Eine wichtige setzt bzw. auf Plan-Do-Check-Act Zyklen des Compliance Begrenzung gibt bereits die menschenrechtliche Sorgfalts- Managements, wie etwa bei der Korruptionsprävention. 8 pflicht selbst vor. Zwar sollte sie für die ganze Lieferkette Im Sinne besserer Umsetzbarkeit für Unternehmen gelten, der Pflichtenumfang muss aber für Unternehmen haben diese dafür argumentiert, die menschenrechtliche verhältnismäßig sein. Deshalb richtet sich die Komplexität Sorgfalt auf die erste Zuliefererstufe (tier 1) zu beschrän- des Verfahrens aus Risikoermittlung, Folgemaßnahmen ken. Wo die Risiken in GWK auftreten, hängt stark von der und Wirksamkeitskontrolle nach der Größe des Unter- Branche und der Art der GWK ab (vgl. dazu die Beiträge nehmens, der Art seiner Geschäftstätigkeit und seines von Teipen / Mehl und Marslev et al. in diesem Heft). Mit Einflusses auf den Tatbeitrag sowie nach Wahrscheinlich- tier 1 wären gegebenenfalls ausschließlich große Importge- keit, Schwere, Reparabilität, Vorhersehbarkeit und Ver- sellschaften erfasst oder – wie in der Automobilindustrie – meidbarkeit menschenrechtlicher Beeinträchtigungen. einheimische Zulieferer. Kinderarbeit etwa findet jedoch Denkbar ist auch, dass Unternehmen ihr Haftungsri- bereits bei der Rohstoffgewinnung statt, beim Abholzen siko reduzieren, wenn sie ihre Sorgfaltspflicht in gemein- von Feldern für Kakaoanbau oder bei der Baumwollernte. samen Brancheninitiativen oder Multi-Stakeholder-Initia- Eine „pragmatische“ Verkürzung der Risikoanalyse sowie tiven (MSI ) erfüllen. Dies könnte sogar dazu führen, dass der Abhilfe- und Wiedergutmachungsmaßnahmen auf das Ambitionsniveau solcher Standards steigt. Wesentlich tier-1-Stufe liefe dem Sinn der Gesetzgebung entscheidend sind hierbei die Anforderungen an solche branchenspe- zuwider und würde Unternehmen sogar Anreize liefern, zifischen MSI -Standards. Sie müssen zum einen die Be- eine für die globale Arbeitsteilung nicht unbedingt erfor- standteile der gesetzlichen Sorgfaltspflicht abbilden, was derliche, aber menschenrechtlich ungefährliche tier-1-Stu- besonders für die einzelfallbezogenen Abhilfemaßnah- fe einzubauen. men schwer vorstellbar bleibt. Zum anderen müssen die Governance-Strukturen Unabhängigkeit, Konfliktlösung 4.4 Level playing field schaffen und Ausschlussmöglichkeiten von nicht erfüllenden Mit- Bislang nehmen diejenigen deutschen Unternehmen, die gliedern, Transparenz und Teilhabe lokaler Stakeholder sich für soziale Nachhaltigkeit in der Lieferkette engagie- garantieren. ren, damit verbundenen Aufwand in Kauf, während an- dere von der Regelungslücke profitieren und „unter dem 4.3 Akzeptanz durch Umsetzbarkeit erhöhen Die Akzeptanz der vom Gesetz erfassten Unternehmen wäre für die Implementierung hilfreich. Hierfür muss sich 7 Vgl. z. B. den OECD -Leitfaden für die Erfüllung der Sorg- die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht intern gut umset- faltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches zen lassen. Handeln, https://mneguidelines.oecd.org ; BMU (Bundes- ministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- Mannigfache staatliche, private und zivilgesellschaft- sicherheit) (2017) : Schritt für Schritt zum nachhaltigen liche Leitfäden illustrieren Beispiele und Einzelschritte Lieferkettenmanagement – Praxisleitfaden für Unterneh- der unternehmensinternen Integration der UN -Leitprin- men, Berlin ; Shift / MAZARS (2015) : Berichtsrahmen für die zipien. 7 Die schon bisher gepflegte Zusammenarbeit von UN -Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte mit Umsetzungshinweisen, https://www.ungpreporting.org/ Unternehmen in Brancheninitiativen o. Ä. kann die Vor- wp-content/uploads/UNGPRF _Deutsch_Dez2017.pdf bereitungs- und Einführungsphase erleichtern. Es ist so- gar zu erwarten, dass Unternehmen aufgrund einer allge- 8 Vgl. exemplarisch anhand von drei Fallstudien Müller-Hoff, C. / Saage-Maaß, M. (2019) : Menschenrechte vor Profit : So meinen gesetzlichen Regelung ihre Prozesse erneuern und wird’s gemacht – Fallstudien zur Machbarkeit menschen- innovativ verbessern. Hierfür spricht auch der Fortschritt rechtlicher Sorgfalt im Unternehmen, hrsg. v. European der Digitalisierung, die es beispielsweise vereinfacht, den Center for Constitutional and Human Rights et al., Berlin. https://doi.org/10.5771/0342-300X-2021-1-66 69 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 11.11.2021, 13:48:18. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Aus der Praxis Radar fliegen“. Solche Wettbewerbsverzerrungen könnte rechte. Trotzdem unterscheiden sich die Ausgangslagen ein Gesetz abbauen. Dafür müssen die Anforderungen der angesprochenen Staaten zum Teil grundlegend. Vie- an seinen Anwendungsbereich entsprechend ausgerichtet le Produktionsländer halten – in Corona-Zeiten umso werden. Es muss eine kritische Menge an Unternehmen mehr – ihre politökonomischen Interessen als attraktiver erreichen. Der Schwellenwert des NAP für Unternehmen Wirtschaftsstandort für unvereinbar mit konsequenter mit mehr als 500 Arbeitnehmern erreicht ca. 7200 Unter- Umsetzung von Arbeits- und Menschenrechtsstandards. nehmen und ist in der deutschen Unternehmenslandschaft Hier setzt auch ein nationales Lieferkettengesetz nur inzwischen bekannt. Andererseits gehen die UN -Leitprin- mittelbare Anreize. Stärkere Anreize, etwa Mindestlöhne zipien davon aus, dass alle Unternehmen ungeachtet ihrer regelmäßig zu erhöhen, müssten wohl handelsrechtlich Größe menschenrechtliche Sorgfalt walten lassen können. unterlegt werden. An einem stark mittelständisch geprägten Wirtschafts- Fehlende Politikkohärenz : Investitionsabkommen und standort wie Deutschland sind eben auch diese Firmen in Handelspolitik berücksichtigen das Anliegen, soziale Fak- GWK integriert und sollten erfasst werden, sofern sie in toren in GWK zu verbessern, oft nicht ausreichend. Un- sehr menschenrechtsriskanten Branchen oder Gegenden ternehmen mit Außenwirtschaftsförderung und Teilnah- tätig sind. Die derzeitigen Vorschläge aus dem Umfeld des me an öffentlicher Beschaffung zu unterstützen, die ihre BMW i, die ca. 300 deutschen Unternehmen mit mehr als menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nach obigem Vorbild 5000 Beschäftigten zu erfassen, hätten nur wenig Effekt, erfüllen, wäre hier ein Ansatz zu mehr Politikkohärenz. ein einheimisches level playing field für soziale Nachhal- Schwache industrielle Beziehungen : Es wird argumen- tigkeit zu schaffen. Aus demselben Grund wäre es sinn- tiert, dass soziales Upgrading u. a. starke Gewerkschaften voll, ausländische Unternehmen mit Geschäftstätigkeit in voraussetze. 9 Nationale Regulierungen, die die Vorgaben Deutschland ebenfalls zu erfassen. der UN -Leitprinzipien hierzu beherzigen, können in be- grenztem Umfang dazu beitragen, dass die Rolle der Ge- 5 Herausforderungen werkschaften gestärkt wird, kaum aber den fehlenden in- für wirksames soziales Upgrading stitutionellen Rahmen ersetzen. Selbst ein in sich schlüssiges, anspruchsvolles deutsches 6 Ausblick Lieferkettengesetz begegnet Rahmenbedingungen, die seiner Wirksamkeit und realem sozialen Upgrading hin- Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten finden häu- derlich sind. fig in einem komplexen Umfeld statt. Insofern wird ein Fehlende internationale Governance : Die Governan- deutsches, selbst europäisches Lieferkettengesetz nicht ce angemessener Arbeitsbedingungen weltweit bleibt alle menschenrechtlichen Missstände beseitigen. Hier- lückenhaft. Trotz der nationalen gesetzgeberischen Vor- zu müssten auch die Regierungen der produzierenden stöße, einer entsprechenden Initiative auf EU -Ebene und Länder durch Positivlisten bzw. die Handelspolitik oder eines UN -Treaty-Prozesses fehlen bindende internationale andere Instrumente stärkere Anreize haben, sich initiativ Abkommen zu GWK . Auch die UN -Leitprinzipien füllen für Verbesserungen in ihren Ländern einzusetzen. Gleich- diese Lücke nicht. Trotz ihrer transnational harmonisie- wohl scheint der Moment für einen Anfang gut gewählt. Es renden Wirkung sind sie grundsätzlich als rechtlich un- wäre zu begrüßen, wenn der Schwung des Entwicklungs- verbindliches, völkerrechtliches „soft law“ einzuordnen. und des Arbeitsministers noch in dieser Legislaturperio- Der Umfang ihrer Transferwirkung auf nationale Ebene de zu einem qualitätsvollen deutschen Lieferkettengesetz bleibt unberechenbar. Über die Erwartung des Menschen- führen und zu einem Auftakt für eine europäische Rege- rechtsrats der UN hinaus, dass Staaten in nationalen Ak- lung beitragen würde. Denn schließlich sollte in einem tionsplänen Handlungsbedarf gegenüber ihren Unterneh- Rechtsstaat der Schutz hochrangiger Rechtsgüter wie der men ermitteln, stellen die UN -Leitprinzipien keine Mittel von Menschenrechten nicht dauerhaft der Freiwilligkeit zu Verfügung, sofern Regierungen der politische Wille zu überlassen bleiben. ■ einem solchen Prozess fehlt. Fehlende Anreize für Regierungen des globalen Südens : Die UN -Leitprinzipien differenzieren nicht innerhalb der ersten Säule staatlicher Schutzpflichten für Menschen- AUTORIN STEFANIE LORENZEN , Prof. Dr., ist Professorin für Arbeits- recht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und 9 Dünhaupt, P. / Herr, H. / Mehl, F. / Teipen, C : (2019) : Ent- Mitglied im Beirat des staatlichen Textilsiegels „Grüner Knopf“. wicklungschancen durch Integration in globale Wert- Forschungsschwerpunkte : Mitbestimmung, internationales schöpfungsketten : ein Länder- und Branchenvergleich, in : Arbeitsrecht und Regulierung transnationaler Wertschöpfungs- WSI -Mitteilungen 72 (5), S. 403–411, https://www.wsi.de/de/ ketten. wsi-mitteilungen-entwicklungschancen-durch-integration- @ stefanie.lorenzen@hwr-berlin.de in-globale-wertschoepfungsketten-ein-laender-und-18858. htm ; vgl. auch den Beitrag von Teipen / Mehl in diesem Heft. 70 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2021-1-66 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 11.11.2021, 13:48:18. 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