Lokale Politik und Beteiligung - vhw
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-SCHRIFTENREIHE 28 AGNES FÖRSTER MARTIN BANGRATZ FEE THISSEN Lokale Politik und Beteiligung NEUE WEGE DES STADTMACHENS UND DIE ROLLE LOKALER POLITIK
IMPRESSUM Auftraggeber vhw – Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. Fritschestr. 27-28 10585 Berlin www.vhw.de Auftragnehmer Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung Univ.-Prof. Dr.-Ing. Agnes Förster Fakultät für Architektur RWTH Aachen University Wüllnerstraße 5b, 52062 Aachen Tel.: +49 241 / 80-98 300 foerster@pt.rwth-aachen.de www.pt.rwth-aachen.de Verfasserinnen und Verfasser Prof. Dr. Agnes Förster M.Sc. Martin Bangratz Dr. Fee Thissen Mitarbeit B.Sc. Friederike Bobenhausen Wissenschaftliche Begleitung Sebastian Beck, Wissenschaftler vhw e. V. sbeck@vhw.de Dr. Thomas Kuder, Seniorwissenschaftler vhw e. V. tkuder@vhw.de Bilder/Grafiken Titelbild: Symposium, Fotograf Maurits Boettger Wenn nicht anders vermerkt, sind die Autoren Urheber der Abbildungen. Gestaltung/Druck Druckerei Franz Paffenholz GmbH, Bornheim ISBN 978-3-87941-819-0 Auflage 1. Auflage, September 2021 2 |
INHALT VORWORT 6 1 EINFÜHRUNG 8 1.1 Anlass und Erkenntnisinteresse 8 1.2 Methodik 11 2 KONZEPTION 15 2.1 Landschaft lokaler Politik 15 2.2 Sechs Spannungslinien: Veränderungen lokaler Politik in Prozessen des Stadtmachens 23 3 FALLSTUDIEN 33 3.1 Berlin: Haus der Statistik 33 3.2 Freiburg: Neuer Stadtteil Dietenbach 38 3.3 Gelsenkirchen: Zukunftsstadt 43 3.4 Halle an der Saale: Urbane Nachbarschaft Freiimfelde 47 3.5 Köln: GrowSmarter 52 3.6 München: Modellstadt Mobilität 2030 57 4 SPANNUNGSLINIEN IM QUERVERGLEICH 63 5 FOLGERUNGEN FÜR DIE ARENEN LOKALER POLITIK 72 5.1 Lokale Politik 74 5.2 Verwaltung 76 5.3 Zivilgesellschaft 79 5.4 Intermediäre 81 5.5 Marktakteure 83 6 REFLEXION UND AUSBLICK 85 LITERATURVERZEICHNIS 88 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 93 4 |
VORWORT Das gemeinsame Gestalten von Stadt staltung von Stadt beitragen? Und ist ist mit der Neuauflage der Leip- das eigentlich „neu“? Bei näherem zig-Charta im Dezember 2020 (BMI Hinsehen lässt sich bereits festhal- 2020) zum Leitbild der Nationalen ten: Ganz so einfach, wie es die klas- Stadtentwicklung avanciert. Wovon sische Theorie des Planungskreis- genau aber ist eigentlich die Rede, laufs impliziert, stellt sich die Praxis wenn es um das gemeinsame „Ma- der Stadtentwicklung nicht dar. Die chen“ von Stadt, das Stadtmachen Prozesse von Planung und Umset- bzw. die Stadtmacherinnen und zung sind komplexer und von viel- Sebastian Beck Stadtmacher geht? fältigen formellen und informellen Dipl.-Sozialwissenschaftler Governance-Prozessen der Ideen- Seniorwissenschaftler Die Autorinnen und Autoren der vor- findung, Abwägung und Aushandlung liegenden Studie operationalisie- gerahmt. Die Autorinnen und Autoren ren den Begriff des Stadtmachens der Studie gehen dem grundlegend aus der Governance-Perspektive nach und leisten dabei Pionierarbeit, als „absichtsvolle Gestaltung von insbesondere in Bezug auf die Ver- Stadt“, bei der vielfältige Perspek- knüpfung des Zusammenhangs von tiven und Handlungslogiken aufein- Planungskreislauf, Governance und andertreffen: lokale Politik, Verwal- Stadtmachen auf lokaler Ebene. tung, Zivilgesellschaft, Intermediäre und Marktakteure. Damit knüpfen sie an die vhw-Debatte zur Konver- Erste Sichtungen genz von vertikalem Government und horizontaler Governance in der Die vorliegende Studie bietet erste Stadtentwicklung und die damit ein- Sichtungen, inwieweit die Rollen hergehende zunehmende Relevanz der vielfältigen Akteure des Stadt- intermediärer Akteure an (vgl. Beck/ machens momentan neu verhan- Schnur 2016). delt werden. Auf Basis von Fallstu- dien analysiert sie unterschiedliche Was verändert sich in den Prozessen Spannungslinien, entlang derer sich der Stadtentwicklung und insbeson- die Rolle lokaler Politik – und auch dere im Rahmen der Stadtplanung, die Rollen von Verwaltung, Zivilge- wenn neben den klassischen Ak- sellschaft, Intermediären und Markt- teuren zunehmend weitere Akteure akteuren – in Veränderung befinden. „mitmachen“ und zu Planung und Ge- Dabei tragen die vorliegenden Fall- 6 |
studien wechselseitig dazu bei, die unterschiedlichen Akteursrollen prozesse, die eine solche Gestaltung wandelnden Rollen der vielfältigen führt. Der klassische Planungskreis- von Stadt auf lokaler Ebene voranzu- Akteure des Stadtmachens zu ana- lauf scheint sich nicht unverändert bringen scheint, bergen auch einen lysieren. fortschreiben zu lassen. Im Fünfeck potenziellen Transfer für Kooperatio- zwischen Politik, Verwaltung, Zivilge- nen auf höher gelegenen politischen Was in dieser Studie deutlich wird: sellschaft, Intermediären und Markt- Ebenen. Beides wäre wünschens- Das Stadtmachen umfasst ein wei- akteuren entwickelt sich der klassi- wert. So bleibt letztlich festzuhalten: tes Feld von Akteuren und Kooperati- sche „Reißverschluss“ der Planung Stadt gemeinsam zu machen ist nicht onsformen. Neben zivilgesellschaft- zunehmend zu einem multidirek- nur eine Chance, das Handlungsfeld lich initiierten und umgesetzten tionalen Handlungsfeld, das umso lokaler Politik zu erweitern, sondern Projekten (vgl. Beck 2021) werden leistungsfähiger zu sein scheint, je auch eine Chance, voneinander zu hier weitere „neue“ Formen des mehr es eine Vielfalt an beteilig- lernen, aneinander zu wachsen und Stadtmachens untersucht, bei de- ten Akteursgruppen zulässt. In der gemeinsam mehr zu erreichen. nen entsprechend variierende stadt- Folge erhalten bestimmte Planungs- gesellschaftliche Akteure oder momente neue Relevanz: Allem vo- Akteurs-Konstellationen in den Vor- ran die Gestaltung früher Prozess- dergrund rücken. Im Sinne der Er- phasen und ebenso die Qualifikation Ihr fassung einer möglichst weiten Per- der Verwaltung für „nicht-klassi- spektivenvielfalt, die eine vielfältige sche“ Kooperationen in der Stadtent- Reflexion der Rollen der unterschied- wicklung. Nicht zuletzt wird mit dem lichen Stadtentwicklungsakteure im Stadtmachen die Debatte darüber Sebastian Beck Kontext von Governance, Koproduk- weitergeführt, wie wir das Gemein- tion und Stadtmachen erschließt, ist wohl gut verhandeln und operationa- dies letztlich nicht nur vielverspre- lisieren können – aller Wahrschein- chend, sondern im Ergebnis auch ein lichkeit nämlich nicht normativ, auch gelungener erster Ansatz, dem wei- nicht hoheitlich, sondern auf Basis tere, hieran ansetzende Konkretisie- der gegenseitigen Abwägung mög- rungen folgen sollten. lichst vielfältiger Perspektiven. Der Blick dieser Studie auf das Perspektiven Stadtmachen birgt vielfältige Lern- momente für derartige „neue“ Ko- Im Ergebnis legt die vorliegende Stu- operationen mit der Politik auf lo- die nahe, dass das Stadtmachen zu kaler Ebene. Die damit verbundenen einer zunehmenden Konvergenz der Wandlungs- und Modernisierungs- 28 | 7 vhw-Schriftenreihe Nr. 26
1 Einführung 1.1 Anlass und Erkenntnisinteresse An der Entwicklung von Stadt – vom einzelnen Projekt In den letzten Jahren hat die Vielzahl und Vielfalt der Ak- bis zum gesamtstädtischen Konzept – sind viele Akteure teure, die an Prozessen der Stadtentwicklung aktiv be- mit unterschiedlichen Rollen, Interessen und Einfluss- teiligt sind, zugenommen und zugleich werden vielerorts möglichkeiten beteiligt. Akteure aus Verwaltung, Politik, neue dialogorientierte Formate der Stadtentwicklung er- Marktwirtschaft, einer vielschichtigen Zivilgesellschaft probt und vermehrt alltäglich praktiziert. Diese Prozesse sowie Intermediäre wie Kirchen, Stiftungen oder Hoch- werden sowohl top-down – also von den repräsentativen schulen wirken über formelle und informelle Pläne, Pro- Vertreterinnen und Vertretern beauftragt – eingesetzt, als gramme und Instrumente an der Fortentwicklung von auch bottom-up eingefordert oder selbst in neuen Alli- Stadt mit. Politischer Gestaltungswille, marktwirtschaft- anzen praktiziert. Lokale Politik hat in diesen Prozessen liche Logiken und zivilgesellschaftliche Aktivitäten treffen eine besondere Stellung und nimmt zugleich verschiedene dabei aufeinander. Um in diesem komplexen Gefüge hand- – auch konkurrierende – Rollen ein, unter anderem als lungsfähig zu werden, bedarf es der Abstimmung. Bestellende, Mitwirkendende und Adressatin der dialog- (u. a. Selle 2018: 387ff). orientierten Formate. Lokale Politik: Starke Säule der K ommunalentwicklung Lokale Politik unterliegt in deutschen Städten einem lau- fenden Wandel. Die Gestaltung von Veränderungen er- Im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland scheint immer schwieriger, da anstelle eines Zugewinns nimmt die Kommune – und damit auch die lokale Politik – für alle vielfach ein Mehr an der einen Stelle und ein We- eine starke Rolle in der räumlichen Entwicklung ein. Die niger an einer anderen Stelle zu verhandeln sind. Zudem gewählten Ratsmitglieder üben die Planungshoheit aus sind auf lokaler Ebene vor allem die Folgen übergeordne- und verfügen zudem über kommunale Investitionen, kom- ter Entwicklungstrends zu bewältigen – eine aktive Ein- munale Grundstücke, kommunale Einrichtungen, kommu- flussnahme erscheint vielfach als unrealistisch. Diese nale Gesellschaften, kommunales Personal. Kommunale Entwicklungen beeinflussen zugleich den laufenden Ge- Politik wirkt gestaltend auf die Planungsprozesse und die nerationenwechsel in der lokalen Politik. darin gewählten gutachterlichen, planerischen, entwer- ferischen und kommunikativen Verfahren. Vielfältige Prozesse des Stadtmachens Lokale Demokratie umfasst die Akteure, Aktivitäten und Der Begriff Stadtmachen bezieht sich auf die absichts- Strukturen der repräsentativen Demokratie wie auch lo- volle Gestaltung von Stadt und erweitert dabei zugleich die kale Prozesse der Wissensgenerierung, Meinungsbildung Perspektive von hoheitlich verantworteten und begleiteten und Selbstorganisation im Zusammenspiel einer Akteurs- Planungsprozessen hin zu der genannten Akteursvielfalt, vielfalt aus Politik, Verwaltung, Markt, Zivilgesellschaft die auf Stadtentwicklung mit eigenen Aktivitäten aktiv Ein- und Intermediären. Zwischen den beiden Welten der loka- fluss nimmt. Stadtmachen umfasst damit Prozesse des len Politik und der lokalen Demokratie bestehen deutliche Planens, Entwickelns, Gestaltens und Machens von Stadt Wechselwirkungen und Dynamiken (vhw – Bundesverband und die damit beabsichtige Beeinflussung der Stadtent- für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. o. J.). wicklung. 8 |
Stadtmachen kann über Interventionen im Raum Wirkung Die Politikwissenschaft hingegen beschäftigt sich mit Fra- entfalten, ob durch bauliche Maßnahmen, neue funktio- gen der Beteiligung verschiedener Anspruchsgruppen an nale Angebote oder veränderte soziale, kulturelle oder politischen Prozessen, oft jedoch ohne diese Prozesse mit wirtschaftliche Aktivitäten, aber auch durch die Einfluss- planerischen Aufgaben und Verfahren zu verknüpfen. nahme auf organisationale, gesellschaftliche und politi- sche Prozesse, welche Normen und Werte und die Pla- In öffentlichen Dialogprozessen zur Stadtentwicklung hält nung und Steuerung von Stadtentwicklung beeinflussen. sich Politik vielfach zuhörend und beobachtend im Hinter- grund. Aus anderen Studien geht hervor, dass sich Ver- Formen des Stadtmachens können somit die Bewältigung waltung und Fachexpertinnen und -experten eine stärkere einer hoheitlichen Aufgabe und Planung unter Beteiligung Präsenz, aktive Beiträge und eine klare Haltung der loka- anderer Anspruchsgruppen und der weiteren Öffentlich- len Politik wünschen. Auch sollte ihre Rolle und Aufgabe in keit umfassen, aber auch die Entwicklung von Orten durch Prozessen definiert und kommuniziert werden (vgl. Fran- Eigentümerinnen und Eigentümer, Investierende, Betrei- cke, Vogt und Dehmel 2018; Fugmann et al. 2018: 37ff.). Die bende oder Nutzende, das Gestalten von Stadt durch zivil- Verwaltung fühlt sich zum Teil durch die Politik zu wenig gesellschaftliche oder gemeinnützige Aktivitäten oder auch unterstützt und sieht sich ohne politisches Mandat nicht das Erproben und Experimentieren bei der Veränderung ausreichend in der Lage, Stadtentwicklung aktiv voranzu- von Stadt zum Beispiel in Reallaboren oder in Testfeldern. treiben. Lokale Politik ist und bleibt demnach ein wesent- licher Akteur und ist eine entscheidende Stellschraube für Mit dem Begriff Stadtmachen rücken die vielfältiger wer- das Gelingen von Beteiligungsprozessen. Über ihre Rolle denden Planungs- und Gestaltungsaktivitäten in den Mit- und Funktion in den beschriebenen Prozessen ist bisher telpunkt, die von einer zunehmenden Vielfalt von Akteuren jedoch wenig bekannt. initiiert und verantwortet werden, die sich artikuliert, en- gagiert, einmischt und selbst handelt. Diese Prozesse sind Neben der Frage nach der Rolle lokaler Politik in den dabei stark mit Kommunikation und Beteiligung verknüpft. durch öffentliche Akteure verantworteten Kommunikati- Die Akteure der lokalen Politik finden sich in und gegen- onsprozessen muss lokale Politik auch in neuen Koopera- über diesen Aktivitäten des Stadtmachens in bewähr- tionen des Stadtmachens den eigenen Platz neu justieren. ten und auch neuen Rollen wieder (siehe stadtmacher- Allianzen mit und zwischen Akteuren der Zivilgesellschaft, akademie.org, vhw.de). Wirtschaft, Kunst, Kultur und Wissenschaft artikulieren sich insbesondere zu urbanen Schlüsselthemen wie Mo- Neue Wege des Stadtmachens und die Rolle lokaler bilität, öffentliche Freiräume, Räume der Kultur- und Kre- Politik ativwirtschaft, alternative Wohnformen oder neue Tech- nologien und digitale Angebote in der Stadt. Hintergrund Die vielfältigen Formen des Stadtmachens mit der Vielzahl dieser neuen Allianzen und der von ihnen angestoßenen beteiligter Akteure beeinflussen die Arenen, in denen lo- Prozesse und Projekte ist vielfach ein Bedürfnis, neu und kale Politik wirkt. Dabei ist über die Rolle lokaler Politik anders handlungsfähig zu werden, heutige Blockaden auf- in kommunikations- und beteiligungsorientierten Prozes- zulösen und Stadt wirksamer und mit anderen Zielen zu sen des Stadtmachens wenig bekannt. Es ist zu vermu- gestalten. Diese neuen Kooperationsformen des Stadt- ten, dass lokale Politik herausgefordert ist, in dem sich machens betreffen Bereiche, in denen lokale Politik üb- verändernden Kontext der Stadtentwicklung ihre eigenen licherweise bestimmte Rollen und Aufgaben innehat, die Rollen und Funktionen zu klären und gegebenenfalls neu nun aber stärker von und im Zusammenspiel mit anderen zu justieren. Akteursgruppen ausgeübt werden. Während in Fachwelt und Praxis umfassend über Möglich- Deutlich wird: Lokale Politik ist Teil einer größeren Ent- keiten und Grenzen verschiedener Angebote der Kommu- scheidungskultur, denn viele Akteure wirken an politi- nikation und Beteiligung in der Stadtentwicklung disku- schen Prozessen mit oder auf sie ein. Lokale Politik hat tiert wird, ist über Einfluss und Rolle der lokalen Politik in dieser Akteurs- und Kommunikationsvielfalt die Chance, in diesen Prozessen nur wenig bekannt. Beteiligungspro- neue Allianzen einzugehen und zu nutzen; aber auch die zesse werden aus den Planungsdisziplinen heraus häufig Aufgabe, eigene Belange zu vertreten und eine Position aus den Perspektiven der Verwaltung – und ihrer mehr- einzunehmen. Lokale Politik verändert sich über die Er- fachen Rollen –, der beteiligten Planerinnen und Planer – fahrungen mit kommunikations- und beteiligungsorien- und ihrer Fachkompetenzen – oder der Bürgerinnen und tierten Prozessen des Stadtmachens selbst und entwickelt Bürger – und ihres Gestaltungsspielraums – diskutiert. sich im besten Fall lernend fort. vhw-Schriftenreihe Nr. 28 | 9
Arenen lokaler Politik Akteursebene: Wie verändern sich Rollen, Funktionen und Allianzen Ziel dieses Forschungsprojektes ist es, zum Verständnis lokaler Politik in oder durch Beteiligung in Prozessen der Wechselwirkungen von lokaler Politik und neuen We- (neuen) Stadtmachens? gen des Stadtmachens beizutragen. Im Fokus stehen die Auf Akteursebene wird untersucht, welche Rollen lokale Arenen, in denen lokale Politik mit und gegenüber Ak- Politik in Prozessen des Stadtmachens im Verhältnis zu teuren aus Verwaltung, Markt, Zivilgesellschaft und In- anderen Akteuren aus Verwaltung, Markt, Zivilgesellschaft termediären kommuniziert, sich positioniert, entscheidet und Intermediäre einnimmt, mit welchen anderen Akteu- und gestaltet. Dabei werden die informellen und formel- ren sie kooperiert und wo und wie sie neue Verbindungen len Schnittstellen zwischen Kommunalpolitik und anderen eingeht. Es wird gefragt, welche stabilen Strukturen auch Säulen von Government und Governance untersucht. Das unter veränderten Voraussetzungen fortbestehen und wel- Projekt erforscht Prozesse des Stadtmachens, die Rolle, che Rollen und Allianzen im Umbruch sind. Funktion und Allianzen lokaler Politik beeinflussen und gegebenenfalls verschieben. Es wird untersucht, wie lo- Prozessebene: kale Politik mit diesen Prozessen umgeht, um zu verste- Wie verhält und positioniert sich lokale Politik in diesen hen, wie sie sich darin positioniert und fortentwickelt. kommunikations- und beteiligungsorientierten Prozes- sen (neuen) Stadtmachens? Anknüpfend an diese Zielsetzung folgt das Projekt drei Auf Prozessebene wird erforscht, wie sich lokale Politik aufeinander aufbauenden Forschungsfragen: in kommunikations- und beteiligungsorientierten Prozes- sen des Stadtmachens einbringt, diese aktiv (mit-)gestal- tet oder zurückhaltend beobachtet, und wie diese mit poli- Lokale Politik als Teil der Arenen des Stadtmachens: Wie entwickelt Politik Stadt? Wie mit Politik Stadt entwickeln? Verwaltung Politik Zivilgesellschaft Markt Intermediäre STADTENTWICKLUNG Abbildung 1: Lokale Politik als Teil der Arenen des Stadtmachens: Wie entwickelt Politik Stadt? Wie mit Politik Stadt entwickeln? Quelle: Eigene Darstellung 10 |
tischen Verfahren und Abläufen verknüpft sind. Dabei ist Fallstudien zu neuen Wegen des Stadtmachens von Interesse, welche etablierten Vorgehensweisen sich bewähren und welche neuen Wege lokale Politik unter ver- Die skizzierten Spannungslinien werden anschließend in änderten Voraussetzungen beschreitet. sechs Fallstudien untersucht. Vorerfahrungen aus an- deren Forschungszusammenhängen zeigen, dass lokale Lernprozesse: Politik als Akteursgruppe in dialogorientierten Prozessen Welche Veränderungs- und Lernprozesse lokaler Politik der Stadtentwicklung weniger sichtbar und für Forsche- werden daraus angestoßen? rinnen und Forscher schwieriger greifbar ist, als Akteure Die Erfahrungen, die lokale Politik aus Prozessen (neuen) aus Verwaltung, Markt und Zivilgesellschaft. Dem Ziel fol- Stadtmachens mitnimmt, ob über veränderte Rollen und gend, in diesem Projekt das Wissen über die lokale Politik Allianzen oder über angepasste Verfahren und Abläufe, und ihre Rolle in kommunikations- und beteiligungsorien- wirken auf die lokale Politik zurück. Veränderte Kommu- tierten Prozessen des Stadtmachens zu erweitern, sollten nikations- und Beteiligungsprozesse können eine positive Fälle gewählt werden, in denen Politik herausgefordert oder auch negative Wirkung auf die lokale politische Kul- wird und anders auftritt und agiert als üblich. tur, beispielsweise die Diskussionskultur entwickeln. Über einzelne Projekte und Prozesse des Stadtmachens hinaus Fallauswahl können sich Rollen, Funktionen und Prozesse lokaler Poli- tik nachhaltig verändern – und Veränderungs- und Lern- Für die Fallauswahl wurden dazu sechs Suchbereiche für prozesse lokaler Politik anstoßen. neue Wege des Stadtmachens definiert (Abbildung 2). 1.2 Methodik Hoheitlich gestaltete Planungsprozesse mit starker Dialogorientierung: Im Fokus stehen Planungen und Das Forschungsprojekt erkundet die – veränderte – Rolle Projekte, die durch eine Bedeutung für die Entwicklung lokaler Politik in neuen Wegen des Stadtmachens. Im Fo- der Gesamtstadt oder durch eine hohe Betroffenheit von kus stehen die Berührungspunkte von Stadtplanung und heutigen Bewohnerinnen und Bewohnern, Nachbarinnen Politik, die sehr vielfältig und komplex sind. Dazu wird und Nachbarn sowie Nutzerinnen und Nutzern eine starke ein methodisches Vorgehen gewählt, das in einem ers- öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und daher mit in- ten Schritt zunächst ein konzeptionelles Gerüst entwi- tensiven Prozessen des Dialogs und der Beteiligung der ckelt. Daran schließt sich eine dreigliedrige empirische Anspruchsgruppen und Öffentlichkeit gestaltet werden. Arbeit an. Zunächst werden sechs Fallstudien untersucht, Lokale Politik findet sich in diesen Prozessen in einem welche durch neue Wege des Stadtmachens die üblichen Feld wieder, in dem ein hohes Maß an Kommunikation und Rollen und Prozesse lokaler Politik herausfordern. In ei- eine hohe Transparenz nach außen versprochen und ein- nem Quervergleich werden anschließend Spannungslinien gefordert werden und zugleich eine politische Willensbil- zwischen Politik und Prozessen des Stadtmachens iden- dung der entscheidungsfähigen Mandatsträgerinnen und tifiziert. Abschließend werden – aufbauend auf einer Ex- Mandatsträger hin zu einer verlässlichen Unterstützung pertendiskussion im Rahmen eines Symposiums – Folge- langfristig relevanter Stadtentwicklungsprozesse und rungen für die Arenen lokaler Politik entwickelt. -Projekte im Rat zu organisieren ist. Zu solchen hoheitlich gestalteten Prozessen zählen beispielsweise die Planun- Konzeption einer Landschaft lokaler Politik gen für neue große Stadtteile in Hamburg Oberbillwerder, München Nordosten oder Köln Kreuzfeld oder große Inf- Der erste konzeptionelle Bearbeitungsschritt entwickelt rastrukturprojekte für neue Straßenbahn- oder S-Bahn- einen breiten Blick auf die Schnittstellen von lokaler Po- strecken oder integrierte Tunnellösungen für den öffent- litik und Prozessen des Stadtmachens, welche Akteure lichen Verkehr. aus Verwaltung, Zivilgesellschaft, Markt und Intermedi- äre beteiligen oder mitverantworten. Aufbauend auf einer Testfelder Mobilität, Energie und Digitalisierung: Neue Literaturrecherche werden die verschiedenen Dimensio- wie etablierte Marktakteure widmen ihre Aufmerksam- nen und Schnittstellen von Prozessen lokaler Politik und keit dem urbanen Raum, um neue Technologien oder Ge- Prozessen des Stadtmachens in einer Landschaft lokaler schäftsmodelle in Koproduktion mit öffentlichen Akteuren Politik skizziert. Aus dieser Landschaft leiten sich sechs im Feld zu testen. Die Umsetzung erfolgt bisher häufig im Spannungslinien ab, in welchen Politik- und Planungs- lokalen Ausnahmezustand von Pilotquartieren oder urba- prozesse ineinandergreifen, sich reiben oder auch be- nen Laboren als Testfeldern der Transformation. Somit fruchten. ergeben sich neue Anforderungen an hoheitliche Steue- vhw-Schriftenreihe Nr. 28 | 11
Suchbereiche für neue Wege des Stadtmachens als Grundlage für die Fallauswahl Neue Formen gemeinnütziger Stadtentwicklung Verwaltung Hoheitliche Planungs- Zivilgesellschaft als prozesse mit starker Treiber und Macher Dialogorientierung Politik Zivilgesellschaft Stadtentwicklung mit Testfelder Mobilität, Forschungspartnern, Energie & Digitalisierung in Reallaboren Markt Intermediäre Neue Allianzen des Agenda-Setting Abbildung 2: Suchbereiche für neue Wege des Stadtmachens als Grundlage für die Fallauswahl. Quelle: Eigene Darstellung rung und Regulierung, um zu gewährleisten, dass Ziele sie – vielfach unabhängig von Politik und Verwaltung – der Stadtentwicklung und Interessen der Allgemeinheit Konzepte und Pläne voran und adressieren damit gezielt nicht kompromittiert werden. Ambitionierte Projekte in die lokale Politik. Diese Form neuen Stadtmachens zeigt mehreren Städten beanspruchen unter dem Label einer sich zum Beispiel in Fällen wie stadtübergreifenden Netz- Smart City effiziente, ressourcenschonende Stadtteile der werken, beispielsweise Immovielien, in Initiativen wie Rad- Zukunft zu kreieren. Beispiele für diese Testfelder sind entscheiden oder auch in dem von Unternehmen voran- national oder von der EU geförderte Modellprojekte wie getriebenen Projekt München Modellstadt Mobilität 2030. city2share in München oder die Vorhaben im Rahmen der Smart City Cologne. Stadtentwicklung mit Forschungspartnern, in Reallabo- ren: Die hier gefassten neuen Wege des Stadtmachens Neue Allianzen des Agenda-Setting: Angestoßen durch werden zumeist von Forschungspartnern von außerhalb Markt, Intermediäre, Zivilgesellschaft – auch in unerwar- der Kommune, wie Intermediäre oder wissenschaftliche teten Kooperationen – mischen sich neue Akteure und Al- Institutionen oder Programme auf der Ebene von Land, lianzen öffentlichkeitswirksam in den politischen Agen- Bund, EU angestoßen. In Kooperation mit kommunalen da-Setting-Prozess ein. Akteure mit starken Interessen Partnern werden hier Sonder- oder Modellprojekte kon- und Einflussmöglichkeiten, darunter Unternehmen, Ver- zipiert und realisiert. Die Prozesse sind stark durch For- bände und Stiftungen, arbeiten gemeinsam an der Ent- schungspartner von außerhalb der Kommune bestimmt, wicklung von Visionen, Zielen, Leitbildern. Somit treiben die ihre eigenen Methoden anwenden und kaum in der 12 |
Kommune und in der lokalen politischen Landschaft ver- licherweise in den Aufgabenbereich etablierter, zum Teil ankert sind. Die Fördermittelgeber fordern in diesen Pro- auch kommunaler Träger fallen. Beispiele sind Stiftungen jekten vielfältige Formen der Kommunikation und Be- wie die Montag Stiftung Urbane Räume und Edith Maryon, teiligung der lokalen Anspruchsgruppen ein. Zu diesen aber auch Netzwerke wie das Mietshäusersyndikat. Prozessen zählen beispielsweise Projekte im Rahmen der Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) des Bun- Zu jedem Suchbereich wurden Beispielsammlungen von desministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) oder etwa fünf Fällen erstellt – so dass verschiedene Variatio- auch die Reallabore des Landes Baden-Württemberg. nen der Prozesse des Stadtmachens in ihrem jeweiligen Feld erfasst wurden. Je Suchbereich sollte schließlich je Zivilgesellschaft als Treiberin und Macherin: Initiativen ein Fall ausgewählt werden. Zur besseren Vergleichbar- aus der Zivilgesellschaft entwickeln konkrete Orte und keit wurde die Auswahl auf kleine und große Großstädte Räume in der Stadt, ob öffentlich zugängliche Freiräume, beschränkt. Zudem sollten Erfahrungen aus verschiede- neue Angebote und Nutzungen in bestehenden Gebäuden nen Bundesländern einbezogen werden. Es wurden be- oder neue oder umgebaute Häuser und Areale. Treiber vorzugt solche Fälle gewählt, in denen aufgrund von Vor- sind Bewohnerinnen und Bewohner, Nachbarinnen und wissen und Vorrecherche Besonderheiten mit Blick auf Nachbarn, Nutzende und Betreibende aus verschiedenen die Spannungslinien und Lernprozesse lokaler Politik in Bewegungen und Szenen wie der Kunst, Kultur, Jugend, besonderem Maße zu erwarten waren. Ökologie oder Integration. Projekte entstehen ungefragt und zum Teil aus Widerstand gegen geplante Entwicklun- Durchführung Fallstudien gen. Einige davon schaffen den Weg in die Verstetigung und Professionalisierung und setzen Impulse für die Stadtent- Die Datenerhebung erfolgte in den Fallstudien schwer- wicklung über den eigenen Standort hinaus. Bekannte Bei- punktmäßig über Interviews mit Fachleuten und ergän- spiele sind etwa das Gängeviertel in Hamburg, Utopiastadt zend durch eine Sichtung von öffentlich zugänglichen Pla- in Wuppertal und Bellevue di Monaco in München. nungsdokumenten. Dazu wurde eine Interviewstrategie erarbeitet, die eine Anleitung zur Auswahl der Interview- Neue Formen gemeinnütziger Stadtentwicklung: Interme- partnerinnen und -partner, einen Gesprächsleitfaden so- diäre wie Stiftungen, Gemeinwohlunternehmen, Netzwerke wie eine Auswertungsmatrix umfasste. und Initiativen treten als Stadtentwicklerinnen und Stadt- entwicklung auf. Sie kommen oft von außerhalb der Kom- Die Expertinnen und Experten wurden pro Fall aus drei mune, um Grundstücke für ihre Projekte zu suchen, sind Bereichen gewählt: aber keine Marktakteure, sondern gemeinwohlorientierte Entwicklerinnen und Entwickler. Projekte in Bereichen wie • gewählte politische Mandatsträgerinnen und Mandats- Wohnen, Bildung oder Integration setzen neue Impulse für träger aus Rat oder Bezirken, die mit den jeweiligen Angebote und Leistungen für das Gemeinwesen, die üb- Fällen befasst oder aktiv eingebunden sind, Suchbereich Fall Land Stadtgröße Hoheitliche Planungsprozesse mit starker Freiburg: Dietenbach Baden-Württemberg Kleine Großstadt Dialogorientierung Testfelder Mobilität, Energie & Köln: Smart City Mühlheim, Nordrhein-Westfalen Große Großstadt Digitalisierung Nippes Neue Allianzen des München: Modellstadt Bayern Große Großstadt Agenda-Setting Mobilität 2030 Stadtentwicklung mit Forschungspartnern, Gelsenkirchen: Nordrhein-Westfalen Kleine Großstadt in Reallaboren Zukunftsstadt Zivilgesellschaft als Treiberin und Macherin Berlin: Haus der Statistik Berlin Große Großstadt Neue Formen gemeinnütziger Halle an der Saale: Urbane Sachsen-Anhalt Große Großstadt Stadtentwicklung Nachbarschaft Freiimfelde Tabelle 1: Systematik Fallauswahl. vhw-Schriftenreihe Nr. 28 | 13
• Akteure aus den Ämtern der Verwaltung oder städti- in einem Symposium im Oktober 2019 in der Niehler Frei- schen Gesellschaften, die in den Fällen hoheitliche Auf- heit in Köln mit rund 20 Beteiligten der untersuchten Fall- gaben übernehmen sowie studien und weiteren Expertinnen und Experten aus Poli- • die Machenden der Projekte, also projektverantwortli- tik, Verwaltung, Unternehmen und Zivilgesellschaft sowie che Eigentümerinnen und Eigentümer, Bauverantwort- Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft diskutiert. liche, Auftraggeberinnen und Auftraggeber, Financiers, In interaktiven Sessions zu den fünf Akteurssphären Poli- Planungsbüros, Prozessbegleitende oder sonstige Ex- tik, Verwaltung, Markt, Zivilgesellschaft und Intermedi- pertinnen und Experten äre wurden die bisherigen Befunde gespiegelt und wei- terentwickelt. Diese Reflexion, die offene Fragen zulässt Der Interviewleitfaden basiert auf den Dimensionen des und neue Fragen aufwirft, sollte vertiefte Kenntnisse zur Untersuchungsgegenstands: Akteure, Inhalte, Prozessver- Beantwortung der drei Forschungsfragen liefern und auch lauf, Formate und Methoden der Dialoggestaltung, (Re-) die Verallgemeinerbarkeit der Kenntnisse unterstützen. Agieren lokaler Politik. Diese wurden mit den sechs Span- Im Anschluss wurden die Folgerungen für die Arenen loka- nungslinien der Landschaft lokaler Politik verknüpft, wie ler Politik überarbeitet und Bezüge zur Praxis abgeleitet. sie in der Konzeption entwickelt wurden (siehe Kapitel 2.2 zu den Spannungslinien): (1) Verhältnis von Rat zu Bezirk Grenzen der Methodik und Bürgerinnen und Bürgern sowie (2) von Rat zu Um- Das Projekt folgt einem breiten Blick auf die Rollen, Ak- setzenden, (3) Prozesse des Agenda-Setting, (4) die Rolle tivitäten und Prozesse im Kontext der Stadtentwicklung. überkommunaler Ebenen, (5) das Verhältnis politischer Daher wird die Landschaft lokaler Politik in einem Über- Entscheidungsprozesse zu Planungsprozessen und (6) der blick skizziert, um wesentliche Spannungslinien zwischen Weg von Leitbildern, Zielen und Strategien zur Umsetzung. politischen und planerischen Prozessen herauszuarbeiten. Zu jeder dieser Dimensionen wurden Fragen formuliert und Die Breite der Betrachtung steht einer Vertiefung einzel- sowohl aus der Perspektive der lokalen Politik als auch ner Wissensbereiche entgegen. Die Literaturarbeit stützt aus der Außensicht der anderen Akteurssphären erfasst. sich primär auf einführende und das Feld strukturierende Quellen. Eine breite Analyse von empirisch gehaltvollen Zu den sechs Fallstudien wurden in dem Zeitraum April bis Studien konnte nicht erfolgen. Die Konzeption muss da- Juli 2019 insgesamt 33 Interviews mit Fachleuten geführt her in Bezug auf empirische Evidenz unvollständig bleiben. und aus den Interviews Exzerpte erstellt. Diese wurden in eine Auswertungsmatrix überführt, wo sie systematisch Die sechs Fallstudien machen ein breites Feld von Politik den beschriebenen Dimensionen und Spannungslinien zu- im Stresstest auf, können darin aber nur sehr punktuell geordnet werden konnten (Auswertungsmatrix siehe An- Einblick gewähren. Mit den Fallstudien wird eine Breite hang). Das ermöglicht sowohl eine systematische Aus- von Beobachtungen eingefangen, welche viele Fundstücke wertung pro Fall als auch einen Quervergleich über alle bieten, um die in der Konzeption postulierten Spannungs- Fälle. Die Fallbeschreibungen wurden entlang folgender linien empirisch zu hinterlegen. Offen muss bleiben, ob vier Punkte einheitlich aufbereitet: (1) Einordnung in den und in welchem Ausmaß diese Beobachtungen auch für Suchbereich im Sinne neuer Wege des Stadtmachens, (2) andere Fälle der aktuellen politischen und planerischen Darstellung des Kontexts des jeweiligen Falls, (3) Erläu- Praxis stehen und welche weiteren Strukturen und Pro- terung der Prozesse des Stadtmachens und (4) Beobach- zesse das Zusammenwirken von Politik und Stadtplanung tungen zu den Spannungslinien lokaler Politik. heute auszeichnen. Ebenso kann nicht geklärt werden, in welchem Verhältnis neuartige Akteure, Rollen und Pro- Spannungslinien im Quervergleich zesse zu etablierten Situationen stehen. Im zweiten empirischen Schritt wurden die Fallstudien entlang der sechs Spannungslinien querausgewertet. Die Die Folgerungen aus Fallstudien und Quervergleich für die vielfältigen Beobachtungen wurden zu 25 Erkenntnissen Arenen lokaler Politik haben daher einen bewusst skizzen- geclustert. Diese geben ein breites Bild wieder, wie lokale haften Charakter. Es wird deutlich, dass das Zusammen- Politik und ihre Relationen zu anderen Akteurssphären in wirken von Politik und Planung von einer erhöhten Vielfalt den Prozessen des Stadtmachens auf die Probe gestellt an Akteuren und Arenen geprägt ist und daher an Kom- werden. plexität zunimmt. In der Folge sind alle Akteure aufgefor- dert, ihre eigenen Rollen, Fertigkeiten und Kompetenzen Folgerungen für die Arenen lokaler Politik zu überdenken und aktiv fortzuentwickeln. Dafür will die- Darauf aufbauend wurden Folgerungen für die Arenen lo- ses Projekt ein Bewusstsein schaffen und erste konzep- kaler Politik entwickelt. Die Zwischenergebnisse wurden tionelle und empirische Hinweise geben. 14 |
2 Konzeption 2.1 Landschaft lokaler Politik Das Forschungsvorhaben betrachtet Prozesse lokaler Dieses Kapitel erläutert die Grunddefinition von lokaler Politik in Zusammenhang mit stadtplanerischen Prozes- Politik als Ausgangspunkt für dieses Forschungsprojekt sen. Beide Prozesse sind in der Praxis stark miteinan- und konkretisiert mit der Landschaft lokaler Politik zu- der verwoben, werden aber in der Literatur der jeweiligen gleich den Untersuchungsgegenstand für den empiri- Fachwelt unterschiedlich konzipiert und aus unterschied- schen Teil des Projekts. lichen Perspektiven beschrieben. So stellt lokale Politik in gewissem Maße einen blinden Fleck im Wissen um Grundverständnis lokaler Politik Planungsprozesse dar, und somit auch in der Gestaltung von Planungsprozessen. Die Berührungspunkte zwischen Lokale Politik Stadtplanung und Politik sind sehr vielfältig und komplex, denn beide Welten bringen jeweils spezifische Strukturen Lokale Politik umfasst im Kern politische Parteien, Man- und Abläufe mit. Diese können sich nach Phasen im Pro- datsträgerinnen und Mandatsträger und die entschei- zess, nach Akteuren und ihren Rollen und Beziehungen dungsbefugten und beratenden Gremien, in denen diese auf verschiedenen räumlichen und institutionellen Ebenen sich organisieren, sowie die damit verbundenen Prozesse oder auch nach Stufen der Konkretisierung stadtplaneri- der Entscheidungsfindung und Kommunikation. Rat und scher Vorhaben unterscheiden. Bürgermeisterin oder Bürgermeister legen den zentralen Rahmen fest (Pollex 2017: 222), der allerdings in einem Um lokale Politik stärker in ihren Zusammenhängen mit größeren Kontext zu betrachten ist. So zeigt sich in der Planungsprozessen zu verstehen, werden diese verschie- lokalen Politikforschung eine Abkehr vom staatsrecht- denen Dimensionen in einer sogenannten Landschaft lo- lich definierten Gemeindebegriff, der exklusiv Institutio- kaler Politik skizziert. Diese Landschaft schließt auf einer nen und Prozesse der Kommunalpolitik beinhaltet, hin zu konzeptionellen Ebene auch die Prozesse der Planung einem breiteren Verständnis von Lokalpolitik, das auch und aktiven Entwicklung von Stadt ein. Sie gibt – wie eine politische Institutionen, Akteure und Prozesse „außerhalb Landkarte – Orientierung, an welcher Stelle Politik- und der Rathäuser“ umfasst (Barbehön und Münch 2017: 5). Planungsprozesse ineinandergreifen, sich reiben oder Das „Lokale“ der lokalen Politik wird damit als spezifi- auch befruchten. Die Landschaft ist dabei nicht vollstän- sche räumliche Ausprägung der Politik verstanden, jen- dig, auch ist sie nicht als konsolidiertes Modell zu verste- seits eines engeren Verständnisses von Kommunalpolitik hen. Vielmehr soll die Landschaft dazu auffordern, in der (Heinolt und Meier 2001, in Barbehön und Münch 2017: 1). eigenen Reflexion und auch wissenschaftlichen Untersu- chung der Politik- und Planungspraxis weitere, korrigierte Lokale Politik als Teil lokaler Demokratie und auch vertiefte Perspektiven auf Politik und Planung zu entwickeln. Der konstruktive Dialog zwischen Planung Wohl bewusst, dass die Einbeziehung der Bürgerinnen und und Politik auf kommunaler Ebene und die Wissensgene- Bürger in kommunale Aufgabenerfüllung sich nicht auf rierung an dieser Schnittstelle sollen unterstützt werden. repräsentatives Government beschränkt, sondern auch vhw-Schriftenreihe Nr. 28 | 15
wechselseitigen Zusammenwirken die Demokratie auf Prozesse lokaler Politik kommunaler Ebene verkörpern“ (vhw - Bundesverband Politikkreislauf, Kommunalverfassungen, Kommunikationsmodell für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. o. J.). Planung als Teil lokaler Demokratie Mit diesem Verständnis lokaler Demokratie können die Phasen, Aktivitäten und Prozesse des Planens auf kom- munaler Ebene, welche sich zwischen inhaltlicher Bear- beitung und Kommunikation innerhalb der Planungswelt und Verständigung, Beratung, Entscheidung wie auch Um- setzung mit den Akteuren der Alltagswelt verorten, als Prozesse des Planens Teil lokaler Demokratie verstanden werden (Schönwandt Planungskreislauf, Planungswelt, 2002). Planung findet immanent in einem politischen Raum Kommunikationsmodell statt. Der Planerin und der Planer wissen nach Burckhardt (2017: 105) zwar, wie geplant wird; was geplant und was Abbildung 3: Reißverschluss als Sinnbild für den Forschungsgegen- nicht, wird jedoch durch politische und gesellschaftliche stand: Verzahnung, Schnittstellen und Spannungslinien von planeri- schen und politischen Prozessen. Quelle: Eigene Darstellung. Kräfte bestimmt. Dabei ist das Verhältnis von Planung und lokaler Demo- kratie mit lokaler Politik nicht einseitig, vielmehr formen sich beide wechselseitig. Rat und Bürgermeisterin oder Bürgermeister können als Bestellende von Planung be- Governance durch direktdemokratische Instrumente, zi- trachtet werden, doch genauso sind sie Adressatinnen und vilgesellschaftliches Engagement und neue Intermediäre Adressaten von planerischen Prozessen und Vorschlägen. umfasst (vhw - Bundesverband für Wohnen und Stadt- Das gilt insbesondere dann, wenn nicht-hoheitliche Ak- entwicklung e. V. 2019), bezieht sich die vorliegende For- teure aktiv Stadt machen und gestalten. schung zunächst auf gewählte Mandatsträgerinnen und Mandatsträger und deren Gremien auf Stadt- und Bezirks- Verortet man Planung im Diskurs über Entwurf oder De- ebene. Dabei sehen wir diese jedoch nicht als unabhän- sign, so können Werte und Normen selbst zum Gegen- gig, sondern als integralen Bestandteil lokaler Demokra- stand von Design und Planung werden. Neben das Ent- tie. Das Forschungsprojekt bettet Prozesse lokaler Politik werfen von Produkten tritt das Design von Systemen und in Prozesse des Stadtmachens ein. Mit dieser Erweiterung das Design von politischen Inhalten (Young 2008). Auch umfasst das Projekt zugleich Fragen lokaler Demokratie Burkhardt argumentiert mit „Design ist unsichtbar”, dass als Erweiterung des Konzepts der lokalen Politik. Entwurf neben den sichtbaren Objekten auch unsichtbare gesellschaftliche Zusammenhänge zum Gegenstand ha- Im politikwissenschaftlichen Sprachgebrauch bezieht sich ben kann (Burckhardt 1980). Gerade im Fall komplexer der Begriff Lokale Demokratie sowohl auf Kommunalpar- räumlich-gesellschaftlicher Zusammenhänge und Aus- lamente, Bürgermeisterin beziehungsweise Bürgermeis- handlungsprozesse in Stadt und Region wird ein wesent- ter, Magistrate, Ortsbeiräte und die kommunale Verwal- licher Beitrag von Entwerfen oder Design auf der Ebene tung (Wiesner 2018: 30). Doch Wiesner versteht unter der des Agenda-Setting sowie der geteilten Vorstellungen und Förderung der lokalen Demokratie ebenso die Aktivierung Orientierung gebenden Rahmenwerke verortet (vgl. Thier- und Förderung „lokaler Gemeinwesen“, ein Ansatz der auf stein und Förster 2008; Förster 2011; Balz 2019; Lingua Putnam‘s et al. (1994) „making democracy work“ basiert und Balz 2019). und die Rolle der Zivilgesellschaft im Sinne aller Bewoh- nerinnen und Bewohner einer Stadt oder eines Stadtteils Aufbau der Landschaft lokaler Politik betont. Auch der Deutsche Städtetag sieht die „Einbezie- hung der Bürger in die Erfüllung der Aufgaben der ört- Ausgehend von dem Kern lokaler Politik beschreibt die lichen Gemeinschaft“ als „Kern kommunaler Selbstver- Landschaft lokaler Politik Akteure und Prozesse, welche waltung“ (Deutscher Städtetag 2013). Die Website des vhw für das absichtsvolle Planen, Gestalten und Machen von beschreibt lokale Demokratie als „die Gesamtheit aller lo- Stadt relevant sind. Lokale Politik und ihre verknüpften kalpolitischen Strukturen, Prozesse und Akteure, die im Prozesse können dabei sowohl als Rahmenbedingung von 16 |
Lokale Demokratie Lokale Politik als Teil lokaler Demokratie Prozesse des Stadtmachens als Teil lokaler Demokratie Planung (= Stadtmachen) findet immanent in einem politischen Raum statt. Dabei ist das Verhältnis von Planung und lokaler Demokratie mit lokaler Politik nicht einseitig, vielmehr formen sich beide wechselseitig. Rat und Bürgermeisterin oder Bürgermeister können als Bestellende von Planung betrachtet werden, doch genauso sind sie Adressaten von planerischen Prozessen und Vorschlägen. Das gilt insbesondere dann, wenn nicht-hoheitliche Akteure aktiv Stadt machen und gestalten. Abbildung 4: Zusammenspiel von lokaler Politik und Prozessen des Stadtmachens als Teil von lokaler Demokratie. Quelle: Eigene Darstellung Planung verstanden werden als auch Zielgruppen und Wir- Im Zentrum der Landschaft steht die vereinfachte Struktur kungsfeld planerischer Aktivitäten sein. der Kommunalpolitik im repräsentativen System, wie sie nach Grundgesetz Art. 28 in den demokratischen Staats- Die Landschaft lokaler Politik gliedert sich in sechs unter- aufbau eingegliedert wird (Bogumil und Holtkamp 2006, schiedliche Bereiche, welche nachfolgend erläutert wer- in Pollex 2017: 223). den. In diesen Bereichen finden jeweils unterschiedliche Akteure in Prozessen der Kommunikation und Interaktion zusammen. 1) Gewählte Mandatsträgerinnen und Mandatsträger: beraten, aushandeln, entscheiden Die genauere Struktur und Bezeichnungen hängen in die- verwaltung zu beraten und Entscheidungen zu treffen. Der sem Bereich von der Gemeindeordnung beziehungsweise Rat gilt als „Vertretung der im Ort ansässigen Bevölkerung“ Kommunalverfassung des jeweiligen Bundeslandes ab. (Kipke 2000, in Pollex 2017: 224) und ist das „zentrale Or- Darüber hinaus variiert Politik auch durch städtische Be- gan der politischen Willensbildung“, die alle politischen, sonderheiten (Pollex 2017: 221). rechtlichen, kulturellen oder wirtschaftlichen Belange der Gemeinde betreffen (Pollex 2017: 224). Der Stadtrat besteht aus direkt gewählten Mandatsträge- rinnen und Mandatsträgern und hat die Aufgabe, zu allen Der Rat besetzt Ausschüsse zu unterschiedlichen Themen Belangen im Aufgabenbereich der kommunalen Selbst- und bestellt zudem Beiräte, die sich ebenfalls aus Rats- vhw-Schriftenreihe Nr. 28 | 17
Prozesse lokaler Politik Pr EU Bund Politik Verwaltung Bundesverband umsetzen Land Landesverband Kreisverband entscheiden Kommune beraten, aushandeln (Ober-)Bürgermeister Parteien leitet Parteien gewählte Mandatsträger Marktakteure Referenten/ Beigeordnete/ Bürgermeister mit/ ohne Parteibuch Intermediäre Ortsverband Stadtrat vorbereiten besc beraten verhandeln beschließen leiten beschließen Kirchen Ausschüsse bestellen Verwaltung Vereine Gesamtstadt Presse städtische Gesellschaften Bezirke Investoren beraten beschließen Stiftungen statten aus Unternehmen Ortsgruppen Bezirksrat Bezirksbürgermeister/ Beiräte Ortsvorsteher Agendasetting gewählte Mandatsträger GF Aufsichtsrat mit/ ohne Parteibuch Bürger Kirchen wählen Eigentümer Oberbürgermeister, Rat, Dritte Bezirksvertreter, Beiräte genehmigen Verbände kooperieren Bürgerinitiativen Zivilgesellschaft Abbildung 5: Landschaft lokaler Politik. Quelle: Eigene Darstellung mitgliedern, aber auch anderen wählbaren Bürgerinnen Eine Direktwahl einer Bürgermeisterin oder eines Bür- und Bürgern zusammensetzen und Entscheidungen des germeisters wurde in den meisten Bundesländern erst Rates vordiskutieren, um Empfehlungen abzugeben (Gi- durch die Reformen der 1990er-Jahre eingeführt (Kost und sevius 1991). So werden in den Gemeindeordnungen der Wehling 2010). Die Stellung des Stadtoberhauptes variiert meisten Bundesländer beispielsweise Ausländerbeiräte je nach Gemeindeordnung. Kennzeichnend ist seine Dop- vorgesehen, welche die Interessen ausländischer Einwoh- pelrolle als Vorsitz des Stadtrats und als Leiter der Ver- nerinnen und Einwohner vertreten sollen (z. B. § 56 GemO). waltung, sowie die Aufgabe der Vertretung der Gemeinde nach Außen (ebd.). Vertikal betrachtet gibt es in größeren Kommunen einen weiteren Rat auf Bezirksebene, der ebenfalls Belange Die Gemeindeordnungen der Länder (Grundgesetz Art. vordiskutiert und zum Teil auch zu Angelegenheiten ent- 70) legen die Grundlage für das politische Handeln in den scheiden darf, die den Bezirk direkt betreffen (zum Bei- Kommunen und bringen unterschiedliche Machtarchi- spiel § 35 Abs. 1 Gemeindeordnung NRW; Neue Bezirks- tekturen mit sich (Kipke 2000, Kost und Wehling 2010, in verfassung, 1975). Pollex 2017: 223). So hat beispielsweise der Rat in Sach- 18 |
Prozesse lokaler Politik Prozesse des Planens Verwaltung Alltagswelt umsetzen Planungswelt „Planungswelt“ Planung durch: Verwaltung, Planungsbüros, Eigentümer, Bauherren, städtische Gesellschaften, Nutzer, Nachbarn Iterative Arbeitsschritte: Verständnis der Sachlage, Herstellen von Anleitungen, Verständigung über -)Bürgermeister das Vorgehen, Eingriffe leitet Referenten/ Beigeordnete/ Bürgermeister mit/ ohne Parteibuch Orientierungsrahmen vorbereiten beschließen beschließen leiten Stufen der Konkretisierung Planungs- und Baurecht bestellen Verwaltung Umsetzung, Realisierung städtische Gesellschaften beraten beschließen statten aus Betrieb Beiräte GF Aufsichtsrat mit/ ohne Parteibuch Kommunikation wählen formell/ informell rgermeister, Rat, Dritte vertreter, Beiräte genehmigen kooperieren sen eine relativ schwache Stellung und ist auf Koopera- sachsen das der norddeutschen Ratsverfassung ersetzt, tion mit Bürgermeisterin oder Bürgermeister und Ver- in dem ein starker Rat einem schwachen Verwaltungschef waltung angewiesen. Das süddeutschen Ratsmodell, das gegenüberstand, der vom Rat gewählt wurde (Kost und sich im Zuge von Kommunalverfassungsreformen immer Wehling 2010: 11). Die Magistratsverfassung, die dem par- mehr ausgebreitet hat (Pollex 2017: 224), zeichnet sich lamentarischen System nahekommt, sieht eine Stadtver- durch eine relativ starke Stellung der Bürgermeisterin ordnetenversammlung als Volksvertretung und einen Ma- oder des Bürgermeisters aus (Kost und Wehling 2010). Er gistrat mit Oberbürgermeisterin oder Oberbürgermeister oder sie nimmt hier eine überparteiliche Rolle ein, wäh- als Stadtregierung vor. Dieses Modell findet sich nur noch rend der Rat konkordanzdemokratisch zusammengesetzt in Bremerhaven und, in abgewandelter Form mit volksge- ist. Dass die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister sich wählter Bürgermeisterin oder Bürgermeister, in Hessen zur Durchsetzung ihrer Politik Stimmmehrheiten im Rat (Kost und Wehling 2010). sichern müssen, stärke die Stellung der Kommunalvertre- tung insgesamt (Wallneu 2008, in Pollex 2017: 225). So hat Prozesse der Kommunikation und Interaktion finden in- dieses Modell auch in Nordrhein-Westfahlen und Nieder- nerhalb der Politik beispielsweise in Form von Beratungen vhw-Schriftenreihe Nr. 28 | 19
und Abstimmungen statt, sowohl vorbereitend als auch in- informelle Absprachen für mindestens ebenso relevant nerhalb von Gremiensitzungen. Gemeinderatsmitglieder- wie formelle Regeln der Gemeindeordnung oder Verfas- innen und -mitglieder in 15 europäischen Ländern halten sung (Pollex 2017: 222). 2) Bürgerinnen und Bürger wählen politische Mandatsträgerinnen und Mandatsträger sowie Beiräte Bürgerinnen und Bürger haben in der repräsentativen De- Überblick siehe Klemisch 1994: 51) sowie zahlreiche For- mokratie das gesetzlich verankerte Recht, Vertreterinnen men der Bürgerbeteiligung und die Zusammenschließung und Vertreter im Stadtrat, Bezirksrat und die Oberbürger- zu Bürgerinitiativen (Roth 1994: 49), die Zivilgesellschaft meisterin oder den Oberbürgermeister direkt zu wählen. mit lokaler Politik in Verbindung bringen. So unterscheidet Dabei ist zu erwähnen, dass die Möglichkeit der „Partizipa- Gisevius (1991) zwischen Beteiligungsmöglichkeiten, die tion an den meisten formalen Strukturen der repräsenta- in der Verfassung verankert sind wie Kommunalwahl, Ver- tiven Demokratie auch auf lokaler Ebene“ an die deutsche sammlungsrecht, Mitwirkung der Parteien, Rechtsschutz Staatsbürgerschaft geknüpft ist, eine Voraussetzung, die oder auf anderer gesetzlicher Grundlage wie Bürgerent- viele Einwohnerinnen und Einwohner von Städten nicht er- scheid, -begehren, -antrag, -versammlung oder Anregun- füllen. Eine Ausnahme bildet das Wahlrecht bei Kommu- gen nach §3 BauGB, freiwilligen Angeboten wie Informa- nalwahlen für Bürgerinnen und Bürger anderer EU-Mit- tion, Befragung, Planungsforen, Beiräte und organisierter gliedstaaten (Wiesner 2018: 31). Mitarbeit in Form von Bürgerinitiativen, Mitarbeit in Par- teien, sachkundige Bürgerinnen und Bürger, Bezirks- und Darüber hinaus gibt es Elemente direkter Demokratie, Gemeindevertreterinnen und -vertreter. zum Beispiel Volksbegehren und Volksentscheid (für einen 3) Umsetzung durch Verwaltung, städtische Gesellschaften und Dritte Die kommunale Verwaltung hat in Zusammenhang mit Aufgaben und damit eine größere Wertschätzung städti- dem Stadtrat die Aufgabe, Beschlüsse vorzubereiten und scher Gesellschaften statt (vgl. Bauer 2012). umzusetzen. An ihrer Spitze steht die Oberbürgermeisterin oder der Oberbürgermeister mit Referentinnen und Refe- Darüber hinaus sind auch Dritte an Stadtentwicklungspro- renten, Beigeordneten oder Bürgermeisterinnen und Bür- zessen beteiligt, die eigene Ziele mit eigenen Prozessen germeistern, die ebenfalls Fraktionen angehören können. und Projekten verfolgen, aber dennoch an Entscheidungen Während die Politik weitgehend ehrenamtlich organisiert der lokalen Politik gebunden sind. In vielen Fällen lassen ist, agiert die Verwaltung hauptamtlich und professionali- sich kommunale Ziele und Pläne nur durch Kooperatio- siert (bpb - Bundeszentrale für politische Bildung o. J.-a). nen mit Dritten umsetzen, welche über Grundstücke und finanzielle Mittel verfügen oder standortrelevante Nutzun- Auf der Umsetzungsebene sind zudem städtische Gesell- gen betreiben. Gerade bei großräumigen und komplexen schaften aktiv, die Aufgaben der Daseinsvorsorge oder Projekten ist man häufig auch beidseitig auf Kooperation städtische Entwicklungsaufgaben übernehmen, darunter zwischen öffentlichen und privaten Akteuren angewiesen. Stadtwerke, Verkehrsbetriebe, Wohnungsbaugesellschaf- ten, Sanierungsträger oder Entwicklungsgesellschaften. Bei der Umsetzung durch Dritte kann lokale Politik Ein- In deren Aufsichtsrat ist wiederum lokale Politik vertreten. fluss auf Konzepte und Betreibermodelle nehmen sowie Die Verwaltung übernimmt dabei die Aufgabe des Beteili- versuchen, über Förderungen und Regulierungen die ge- gungsmanagements, was die übergreifende, strategische wünschten Ergebnisse zu steuern. Die Leistungen lokaler Steuerung aller Unternehmen umfasst, die im Eigentum Politik werden auch an den Ergebnissen der Umsetzung der Kommune stehen oder an denen sie beteiligt ist (vgl. gemessen. Dabei stehen städtische Leistungen und Ein- Klug 2013). Nach Phasen umfassender Privatisierung fand richtungen im Wettbewerb mit anderen Anbietern und sich in den letzten Jahren eine Rückbesinnung auf kommunale neu entwickelnden alternativen Betreibermodellen. 20 |
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