Ölpreis, Strompreis - welche Auswirkungen haben die gestiegenen Energiekosten, und sollten energieintensive Branchen entlastet werden?
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Ölpreis, Strompreis – welche Auswirkungen haben die gestiegenen Energiekosten, und sollten energieintensive Branchen entlastet werden? 3 Der Streit um die stark angestiegenen Energiepreise hält an. Kritik üben nicht nur Verbraucher- verbände, auch mittelständische Unternehmen, energieintensive Industriebranchen und die Poli- tik klagen über die Preisentwicklung und befürchten Standortnachteile für die deutsche Wirtschaft. Sollte der Staat regulierend eingreifen? Strompreise: Markt Das Ziel der Umweltverträglichkeit ver- bestimmt Entwicklungen langt nach hohen Preisen. Hier soll eine Lenkungswirkung im Hinblick auf einen Die steigenden Energiepreise sind in aus umweltpolitischer Sicht unerwünscht jüngster Zeit zum Zündstoff in der ener- hohen Energieverbrauch erreicht werden. giepolitischen Diskussion geworden. Sie Die Strompreise geben die Knappheits- werfen insbesondere Fragen der Konkur- signale für den Faktor Umwelt. Ein Instru- renzfähigkeit der energieintensiven Indus- ment hierfür ist die Verteuerung des Ener- trie auf und sind somit Teil der Standort- gieverbrauchs durch die Ökosteuer. Ob politik in Deutschland. die von der Umweltpolitik erwünschten Ziele allerdings bei einer kurz- und mittel- Für eine konstruktive Diskussion über die fristig preisunelastischen Nachfrage nach Konsequenzen steigender Energiepreise Strom erreicht werden können, ist zu hin- terfragen. Eberhard Meller* müssen die Gründe für diese Entwicklung bekannt sein. Insbesondere mögliche po- Die dritte Dimension des Zieldreiecks, die litische Maßnahmen bedürfen einer aus- Versorgungssicherheit, lässt sich auch da- giebigen vorherigen Analyse. Es ist festzu- hingehend interpretieren, dass ausreichen- stellen, dass die gegenwärtige Entwick- de Kapazitäten für die Produktion von lung am Strommarkt ein Ergebnis verschie- Strom und für die Übertragung und Vertei- dener wettbewerblicher Entwicklungen ist. lung bestehen müssen. Insofern ist es auch von Bedeutung, ob in die für die Zuverläs- sigkeit der Stromversorgung notwendige Der Strompreis im Zieldreieck der Infrastruktur investiert wird. Die Stromprei- Energiepolitik se geben – in einer marktwirtschaftlichen Ordnung – die Investitionssignale für den Im Zieldreieck der Energiepolitik, in dem Bau von Kraftwerken und Netzen. In die- sich die Akteure Staat, Stromwirtschaft sem Sinn sind Strompreise angemessen, und Verbraucher bewegen, nimmt der wenn sie dem Investor eine marktübliche Strompreis verschiedene Rollen ein. Zwi- Rendite seines Kapitaleinsatzes verspre- schen den energiepolitischen Zielen Wirt- chen. Die Regulierungsbehörde wird dies schaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und beim Setzen der neuen Rahmenbedingun- Versorgungssicherheit bestehen häufig gen für die Netze anerkennen müssen. Konflikte. Diese Konflikte haben unmit- telbar Auswirkungen auf die Strompreise. Im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungs- Im Zusammenhang mit dem Ziel der Wirt- sicherheit spielt sich auch die Diskussion schaftlichkeit sollen niedrige Strompreise über die Höhe der Strompreise ab. Die die Wettbewerbsfähigkeit der Kunden, vor unterschiedlichen und zum Teil sich wi- allem der energieintensiven Industrien, för- dersprechenden Aussagen des Bundes- dern und damit auch den Wirtschafts- wirtschaftsministers, des Umweltminis- standort Deutschland konkurrenzfähiger ters, der Industrieverbände, der Verbrau- machen. Dies war ein wesentliches Ziel, cher- und Umweltorganisationen und der das mit der Liberalisierung der Energie- Stromwirtschaft sind Ausdruck der beste- märkte verfolgt wurde. Niedrige Preise henden Zielkonflikte. sind auch das wesentliche Kriterium der Großkunden bei der Wahl ihres Stromver- * Dr. Eberhard Meller, Hauptgeschäftsführer des Ver- sorgers. Die Strompreise setzen Wettbe- bands der Elektrizitätswirtschaft – VDEW – e.V., werbssignale. Berlin. 58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005
4 Zur Diskussion gestellt Sinkende Strompreise mit Beginn der etabliert. So wird Strom sowohl in bilateralen Geschäften Liberalisierung (OTC: Over the Counter) als auch über Strombörsen gehan- delt; dies am Spotmarkt (Lieferung i.d.R. am nächsten Tag) Mit der Liberalisierung des deutschen Strommarkts in 1998 und am Forwardmarkt (Lieferung z.B. für Folge-Monat, sind sowohl die Strompreise für die Industrie als auch für die -Quartal, -Jahr). Seit den neunziger Jahren wurden in vielen Haushalte zunächst signifikant gefallen. Im Jahr 2000 zahl- europäischen Ländern Strombörsen als unabhängige Han- te die mittelständische Industrie im Durchschnitt 40% we- delsplattform eingerichtet. niger für den Strom als zwei Jahre zuvor. Die Preise für die Haushalte verminderten sich um knapp ein Fünftel. Diese Den Spotmarkt nutzen die Stromversorger im Wesentlichen Entwicklung war zum einen das Ergebnis der Rationalisie- zur kurzfristigen Optimierung, z.B. zur Anpassung an die rungsmaßnahmen auf Seiten der Stromversorger, zum an- Witterung oder um Kraftwerksausfälle zu kompensieren. deren spiegelte sich der massive Preiskampf in der Anfangs- Über den Terminmarkt hingegen beschaffen sich die Strom- phase des Wettbewerbs wider. Um Kunden zu binden, wur- versorger die Strommengen für ihre Stromlieferverträge der den teilweise Angebote unter dem Niveau der kurzfristigen nächsten Jahre bzw. sichern ihre Preisrisiken ab; somit ist Grenzkosten gemacht. Auf Dauer widerspricht dies aller- dieser auch für die Endkunden relevant. Allerdings schla- dings einem ökonomisch sinnvollen Handeln. gen sich die Terminpreise nicht eins zu eins in den Verbrau- cherpreisen nieder, da die Beschaffungskosten nur einen Teil Seit 2001 steigen die Strompreise auf dem Endkundenmarkt der gesamten Stromrechnung ausmachen (im Haushaltbe- wieder. Hierbei ist ein großer Teil des Anstiegs auf die zu- reich rund 20%). nehmenden staatlichen Belastungen der Preise zurückzu- führen, aber auch auf steigende Beschaffungskosten auf Die Preise an den Terminmärkten für Strom haben für die dem Großhandelsmarkt. Bezugsverträge der Industrie und der Weiterverteiler-Un- ternehmen eine Indikatorfunktion. Dort steigende oder sin- kende Trends zeigen sich mit einer gewissen Zeitverzöge- Staatliche Belastungen stark gestiegen rung in den Bezugspreisen. Damit verändern sich die Be- schaffungskosten der Vertriebsbereiche der Stromversor- Vom Strompreis, den ein durchschnittlicher Drei-Personen- ger; der Stromhandelsmarkt ist somit auch Referenz für Ver- Haushalt mit 3 500 Kilowattstunden Jahresverbrauch zahlen triebsprodukte. muss, entfallen etwa 40% auf Steuern, Abgaben und Umla- gen. 1998 betrug der Steuer- und Abgabenanteil lediglich 25%. Das ist der wesentliche Grund, warum dieser Haushalt im Jahr Ähnliche Entwicklung an europäischen 2004 rund 5% mehr für den Strom zahlen musste als zu Be- Strombörsen ginn der Liberalisierung 1998. Zwar ist auch der Betrag ge- stiegen, den die Stromversorger für Erzeugung bzw. Beschaf- Insgesamt ist an den europäischen, insbesondere den kon- fung, Verteilung und Vertrieb von Strom erheben. Die Strom- tinentalen Strombörsen ein Trend zu steigenden Preisen zu preise für die Haushalte wären jedoch ohne die gestiegenen beobachten. Staatslasten 2004 immer noch um 16% günstiger als 1998. Bei der Entwicklung der Preise an den Terminmärkten ist Für die Industrie ist die staatliche Belastung prozentual ge- beispielsweise für den Jahresfuture Grundlastlieferung 2006 sehen zwar geringer, doch hat sich der Staatsanteil (ohne eine Konvergenz der Preisentwicklung an den europäischen Stromsteuer) seit 1998 von 2 auf 9% erhöht. Dennoch zahl- Strombörsen zu beobachten. Gegebenheiten und Ereig- te die mittelständische Industrie 2004 im Durchschnitt noch nisse z.B. in Südeuropa haben auch Auswirkungen auf etwa ein Fünftel weniger für Strom als 1998. die Preisentwicklungen an den anderen Börsenplätzen. So führten etwa die ausgebliebenen Niederschläge im ersten Seit 1998 haben sich die absoluten Staatslasten auf den Halbjahr 2005 zu einem steigenden Importbedarf der spa- Strompreis insgesamt verfünffacht. 2004 bezahlten die Strom- nischen Stromwirtschaft. Bei gleich bleibendem Angebot kunden für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das hat dies steigende Preise an den europäischen Märkten Kraft-Wärmekopplungs-Gesetz (KWKG), die Konzessionsab- zur Folge. gabe und die Stromsteuer fast 12 Mrd. €. Darüber hinaus fallen noch die Ausgaben für die Mehrwertsteuer an. So ist an der Leipziger Strombörse EEX das Produkt »Cal 06 base« (Jahresfuture Grundlastlieferung 2006) seit Januar 2004 von rund 34 € pro MWh auf knapp über 40 € Stromhandel funktioniert pro MWh im Juni 2005 gestiegen; dies ist ein Anstieg von Seit der Liberalisierung der europäischen Strommärkte hat rund 20%. Diese Entwicklungen sind auch an den anderen sich in den Mitgliedstaaten ein Großhandelsmarkt für Strom europäischen Forwardmärkten zu beobachten. So stieg ifo Schnelldienst 19/2005 – 58. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 5 im gleichen Zeitraum der Jahresfuture Grundlastlieferung deutlich über ihren langjährigen Mitteln. Die Bedeutung die- 2006 in Skandinavien um 27% und in den Niederlanden um ser beiden Energieträger für die Stromerzeugung ist aller- 29% an. dings geringer als die der Steinkohle. Einflussparameter auf Stromhandelspreise Handel mit Emissionsberechtigungen Die Preise auf den Großhandelsmärkten unterliegen zahl- Am 1. Januar 2005 wurde ein EU-weites System zum Han- reichen fundamentalen Einflussparametern. del mit Emissionsberechtigungen eingeführt. Grundlagen sind die Richtlinie zum Emissionsrechtehandel der Euro- – Kraftwerkskapazitäten: Seit Beginn der Liberalisierung päischen Union sowie deren nationale Umsetzung in das sind die vorhandenen Kraftwerkskapazitäten wesentlich Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission reduziert worden. So haben die großen Stromerzeuger von Treibhausgasen (TEHG) sowie in das Zuteilungsgesetz in den letzten Jahren zahlreiche Kraftwerke, angekündigt (ZuG 2007). waren bis zu 10 000 Megawatt, stillgelegt oder einge- mottet. Dadurch haben sich die Angebots-Nachfrage- Nachdem die Preise für die Berechtigungen zwischenzeit- Relationen verändert mit entsprechenden Auswirkun- lich auf knapp 30 €/t CO2 im Juli gestiegen waren, ist eine gen auf die Preise. Dieser Effekt wird z.B. durch die ein- teilweise sehr emotionale Debatte um diese Preisentwick- geschränkten Kraftwerksverfügbarkeiten aufgrund von lungen aufgekommen. Vor dem Hintergrund der angestie- Wettereinflüssen verstärkt. genen Strompreise wurde insbesondere die Preiswirksam- keit zum zentralen Diskussionspunkt. Allerdings ist hier fest- Insgesamt sind wetterbedingte Einflüsse signifikante Para- zustellen, dass in dieser Diskussion die ökonomischen As- meter für die Spotpreise an den Strombörsen. Dazu gehö- pekte oft zu kurz gekommen sind. ren u.a.: Die Politik hat sich für Maßnahmen zur Reduktion von CO2- – Temperatur: Raumheizung, Nutzung von Klimaanlagen, Emissionen entschieden, um damit einen Beitrag zum Kli- – Niederschlag: Reservoirstände in den Speicherkraftwer- maschutz zu leisten. Diese sind mit Mehrkosten verbunden ken, Flusswasserstände für Laufkraftwerke, Kühlwasser- und führen damit zu einer Verteuerung von Produkten und mengen, Gütern. Der Emissionsrechtehandel ist Teil dieser Maßnah- – Wind: Verfügbarkeit von Windstrom, men. Er ist ein marktwirtschaftliches Instrument zur Klima- – Helligkeit: Einsatz von Beleuchtung. vorsorge, das dem Anlagenbetreiber erlaubt, durch eine ho- he Entscheidungsflexibilität kostenoptimal zur CO2-Emissi- Natürlich spielen auch die Reaktionen der Marktteilnehmer onsreduktion beizutragen. an den Börsen eine gewichtige Rolle, abhängig von den primären Zielen des einzelnen sowie den internen Vorga- Der Handel mit Emissionsberechtigungen erfolgt in einem ben der beteiligten Unternehmen selbst, z.B. aus dem Ri- europäischen Markt. Innerhalb der EU-25 können Emissi- sikomanagement heraus (»stop-loss«-Transaktionen). Spe- onsberechtigungen ohne Restriktionen gehandelt werden. kulative Aspekte sind, wie an allen Börsenplätzen, ebenso Allerdings sind derzeit erst in elf EU-Mitgliedstaaten entspre- bedeutsam wie markt-psychologische Effekte (Panik-Reak- chende Register eingerichtet. Dennoch gibt es bereits eine tionen). Vielzahl von Marktteilnehmern, die sich aktiv am Handel mit Emissionsberechtigungen beteiligen. Derzeit findet der Han- Während die Spotmärkte im Wesentlichen von den verfüg- del über sechs Börsen sowie über Broker statt. Dabei ist baren Kraftwerkskapazitäten und der Witterung beeinflusst eine stetig anwachsende Liquidität an den Handelsplätzen werden, hängt die Entwicklung auf dem Terminmarkt u.a. zu beobachten. von den Preisen der Kraftwerksbrennstoffe ab. Bei Stein- kohle kam es in den letzten Jahren zu erheblichen Preis- Das europaweite System des Emissionshandel basiert auf steigerungen. Der durchschnittliche Einfuhrpreis für Stein- einer systemimmanenten Unterausstattung mit Emissions- kohle ist allein von Anfang 2004 bis Mitte 2005 um ein Drit- berechtigungen (»cap and trade«). Der sich am Markt bil- tel auf 65 €/t SKE gestiegen. Dieser Preisanstieg ist zum ei- dende Preis für Emissionsberechtigungen wird europaweit nen auf die stärkere weltweite Nachfrage nach Kraftwerks- durch Angebot und Nachfrage bestimmt und ist daher eu- kohle zurückzuführen. Zum anderen sind auch die Fracht- ropaweit gleich. Insbesondere die aktuelle Stromnachfra- kosten auf einem hohen Niveau, was u.a. auf die starke In- ge (u.a. determiniert durch Wettereinflüsse, Kraftwerksver- anspruchnahme der weltweiten Frachtkapazitäten durch die fügbarkeiten sowie die Entwicklung der Brennstoffpreise) Rohstoff-Importe in Südostasien, besonders China, zurück- hat hierbei bestimmenden Einfluss auf den Preis für Emis- geht. Auch die Öl- und Gaspreise liegen seit zwei Jahren sionsberechtigungen. Darüber hinaus wirken sich auch po- 58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005
6 Zur Diskussion gestellt litische Entscheidungen, wie die Möglichkeit einer Nutzung und es mit jedem weiteren Register, das in Betrieb geht, zu von JI/CDM (i.d.R. preisgünstige Maßnahmen), auf den Preis einer weiteren Vervollständigung des Marktes kommen wird, von Emissionsberechtigungen aus. insbesondere aufgrund steigender Teilnehmerzahlen und Liquidität. In Deutschland unterliegt eine große Zahl von Anlagenbe- treibern gemäß den Regelungen des Zuteilungsgesetzes mit Auf der anderen Seite ist seit Mitte Juli 2005 in Großbritan- ihren Kraftwerken zusätzlich, d.h. über die Kürzung infolge nien ein Absinken der Gaspreise und ein gleichzeitiges Sin- des so genannten ersten Erfüllungsfaktors hinaus, auch ken des Preises für Emissionsberechtigungen zu verzeich- der »anteiligen Kürzung« (dem sog. zweiten Erfüllungsfak- nen; gleiches gilt für den Großhandelspreis im deutschen tor). Damit wurde die unentgeltlich erfolgte Zuteilung der Stromspotmarkt. Diese Preisentwicklungen zeigen, dass die Emissionsberechtigungen insgesamt um ca. 7,5% gegen- Märkte für Energie und Emissionsberechtigungen ebenso über dem angemeldeten Bedarf reduziert. Hinzu kommt, gut funktionieren wie die Kapitalmärkte oder andere Wa- dass im Vergleich zum historischen Stromverbrauch der Jah- renmärkte. re 2000 bis 2002, der bei der Festlegung des Emissions- budgets herangezogen wurde, auch der wachsende euro- Die in jüngster Zeit europaweit beobachteten Strompreisan- päische Strombedarf, z.B. durch den vermehrten Einsatz stiege sind auf eine Reihe Faktoren zurückzuführen. Neben von Klimaanlagen, zu einem Mehrbedarf an Emissionsbe- den zuvor genannten Einflussparametern, sind sowohl im rechtigungen über die erfolgte Zuteilung hinaus führt. Ein Spot- als auch im Terminmarkt für Strom Einflüsse des Prei- Ausgleich dieser Differenz führt zu einer dem Emissionshan- ses für Emissionsberechtigungen auf den Strompreis zu delssystem inhärenten Mehrbelastung durch den Erwerb zu- erkennen. Die Berücksichtigung der Kosten von Maßnah- sätzlicher Berechtigungen oder durch technische Minde- men zur Klimavorsorge stellt eine logische und insoweit in rungsstrategien wie Brennstoffwechsel oder Wirkungsgrad- Kauf genommene Konsequenz für das Funktionieren des steigerungen. Emissionsrechtehandels dar. Sie ist zwingend notwendig, wenn das System die gewünschten Anreize zur Emissions- Hinsichtlich der Entwicklung der Brennstoffpreise im ersten minderung liefern soll (Internalisierung der externen Kosten Halbjahr 2005 ist zu bemerken, dass der Erdgaspreis stär- der CO2-Emissionsminderung), d.h. Umsteuerung auf CO2- ker als der Steinkohlepreis gestiegen ist, was den Stein- ärmere, aber ggf. teurere Stromerzeugungsformen. Eine kohleeinsatz in der Stromerzeugung preislich begünstigt. Preiswirksamkeit ist somit betriebswirtschaftlich notwendig, Dies hat zur Folge, dass trotz des hohen Preises für Emis- um die Wirkung des Emissionshandelssystems für die Emis- sionsberechtigungen der politisch gewünschte »fuel switch« sionsminderung zu gewährleisten. Die exakte Höhe dieses nicht eingetreten ist. Durch den verstärkten Einsatz von Koh- Effekts kann jedoch nicht belastbar quantifiziert werden, da le als Brennstoff kam es zu einer zusätzlichen Nachfrage eine Vielzahl weiterer Einflussgrößen diesen überlagern. nach CO2-Berechtigungen. Diese Entwicklung ist insbeson- dere in Großbritannien zu beobachten, woraus derzeit eine Hierzu der im Auftrag der Bundesregierung erstellte entsprechend hohe Nachfrage nach Emissionsberechtigun- PROGNOS/EWI-Energiereport IV »Die Entwicklung der gen resultiert. Energiemärkte bis zum Jahr 2030«: Im Emissionshandelsmarkt ist bislang noch eine relativ star- »Wenn ein Kraftwerksbetreiber Emissionsrechte kostenlos re Angebotsstruktur zu beobachten, welche angesichts der zugeteilt erhält, unabhängig davon, welche Investitions- und vorhandenen Nachfrage zusätzlich zu einem Anstieg der Betriebsentscheidungen er später trifft (unbedingte oder Ex- Preise für Emissionsberechtigungen führen kann. Dies ist ante-Zuteilung von Emissionsrechten), verursacht die spä- u.a. darauf zurückzuführen, dass bisher nur ein begrenzter tere Nutzung der kostenfrei zugeteilten Emissionsrechte Teil der dem Emissionshandel unterliegenden Anlagenbe- zur Stromerzeugung Opportunitätskosten: durch ihre Nut- treiber europaweit tatsächlich schon im Emissionshandel zung zur Stromerzeugung entgehen dem Kraftwerksbetrei- aktiv ist. In einigen Ländern, z.B. Polen und Italien, ist die ber Erlöse, die er bei emissionsärmerer Stromerzeugung Zuteilung von Emissionsberechtigungen noch nicht abge- durch den Verkauf der kostenfrei zugeteilten Emissionsrech- schlossen, und nur 11 von 25 Ländern haben bislang ein te am Markt hätte erzielen können. Die Kraftwerksbetreiber funktionierendes Register eingerichtet, d.h. es besteht noch berücksichtigen die Opportunitätskosten der Nutzung der eine mangelnde Struktur der Registrierungen in den jewei- (kostenfrei zugeteilten) Emissionsrechte zur Stromerzeugung ligen Ländern. Des Weiteren haben zahlreiche potentielle bei Investitions- und Betriebsentscheidungen. Die Emissi- Marktteilnehmer, vor allem außerhalb der Energiewirtschaft, onsrechte werden kosten- und preiswirksam, auch wenn sie noch keinen vollständig operativen Marktzugang aufgebaut. kostenfrei zugeteilt worden sind.« Auch unter den o.g. noch unvollkommenen Gegebenheiten, Eine Verbesserung der Angebotsseite am Emissionshan- ist darauf hinzuweisen, dass der Markt bereits funktioniert delsmarkt würde zu einer nachhaltigen Entspannung der Si- ifo Schnelldienst 19/2005 – 58. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 7 tuation führen. Insoweit sollten sich kurzfristig alle vom Han- Bundesamtes machen sie im Durchschnitt rund 1% der del mit Emissionsberechtigungen erfassten Marktteilnehmer Gesamtkosten aus. Einzelne energieintensive Produktio- intensiv im Handelsgeschäft engagieren. Hier scheinen sich nen wie Stahl, NE-Metalle oder Zement sind allerdings in potentielle Marktteilnehmer – vor allem außerhalb der Ener- hohem Maße von steigenden Energiepreisen betroffen. giewirtschaft – noch nicht ausreichend mit dem System aus- Zum Teil ist das gegenwärtige Preisniveau standortgefähr- einander gesetzt und sich noch keine Marktmeinung gebil- dend. Und dies, obwohl die Industrie bereits Ermäßigun- det zu haben. Allerdings ist auch zu bemerken, dass vieler- gen bei Steuern und Abgaben in Anspruch nehmen kann, orts die notwendige Infrastruktur noch im Aufbau ist; ins- wie etwa: besondere ist eine zügige Einrichtung der noch fehlenden nationalen Register erforderlich. – niedrigere Ökosteuersätze, – geringere Umlagen beim Kraft-Wärme-Kopplungs-Ge- Als weiterer Aspekt sollte eine Angebotserweiterung durch setz, Ausweitung des Handels mit Emissionsberechtigungen über – Härtefallregelung beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, die EU-Grenzen hinaus erfolgen und eine unbürokratische – die Möglichkeit individuelle Netznutzungsentgelte zu ver- Umsetzung von JI/CDM-Projekten sowie eine Sicherstellung einbaren (bis zur Halbierung). des Rückflusses der Berechtigungen aus der sog. Ex-post- Anpassung angestrebt werden. Die Entwicklungen am deutschen Strommarkt sind nicht isoliert zu betrachten; sie sind vielmehr zunehmend in ei- Hilfreich wäre ferner die Option, Berechtigungen aus dem nem europäischen Kontext zu sehen. Trotzdem sind die Budget einer auf den aktuellen Handelszeitraum folgen- deutschen Stromversorger in hohem Maße daran interes- den Handelsperiode entnehmen zu können (Borrowing). siert, dass die wichtigen Kunden wie die energieintensiven Darüber hinaus ist die Politik aufgefordert, die Wirkungs- Industrien weiter am Standort Deutschland ansässig sind mechanismen des Handels mit Emissionsberechtigungen und weiterhin adäquate Produktionsbedingungen finden kritisch daraufhin zu überprüfen, ob die beabsichtigten können. Steuerungswirkungen erreicht werden und die Redukti- onsziele richtig gesetzt sind. Verschärfte Maßnahmen wie etwa Eingriffe in die rechtlichen Grundlagen des gerade erst begonnenen Handels sind dagegen als kontraproduk- tiv abzulehnen. Situation der Industrie Dass die Industrie und die Verbraucherverbände über die seit 2001 wieder zunehmenden Strompreise klagen, ist für sich genommen verständlich. Es besteht aber jedoch doch ein seltsames Wettbewerbsverständnis, wenn gefor- dert wird, dass in einem liberalisierten Markt die Preise nicht steigen dürfen, sondern – auch bei veränderten Rahmen- bedingungen – sinken müssen. Wettbewerb ist keine Ein- bahnstraße zu immer niedrigeren Preisen. Eine Subven- tionierung von Strompreisen, wie vereinzelt die energiein- tensive Industrie für sich fordert, ist im liberalisierten Markt nicht mehr möglich. Dies wäre gegen jedes ökonomische Verständnis. Strompreise sind Marktpreise. Anders als in früheren Mo- nopolzeiten kommen sie nach den Regeln eines wettbe- werblichen Markts zustande, nämlich als Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Eingriffe in den Markt, um bestimmte Kundengruppen zu subventionieren, dürfen nicht stattfinden. Die Bedeutung der Stromkosten für die Industrie ist ins- gesamt eher gering. Nach Erhebungen des Statistischen 58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005
8 Zur Diskussion gestellt dings geschieht dies in einer von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommenen Form. In der Folge aber zerstört dieser Prozess sehr einschneidend und endgültig die industrielle Basis des Standortes Deutschland. Der davon direkt und in- direkt verursachte Arbeitsplatzabbau ist eine ganz wesent- liche Größe und trägt erheblich zur traurigen Arbeitslosen- statistik Deutschlands bei. Dabei gibt die Industrie alles andere als schnell und leich- ten Herzens ihre Produktionen in Deutschland auf. Deutsch- land hat weiterhin wichtige und entscheidende Pluspunkte zu bieten – sicherlich gehört dazu auch ein großes Maß an Energieversorgungssicherheit. Und so geht auch der Kampf Alfred Richmann* etwa um den Aluminiumstandort Hamburg weiter. Allerdings: Den Schluss daraus zu ziehen, es sei doch nicht so schlimm wie häufig verlautet, wäre mehr als fahrlässig! Viel wichtiger wäre der Schluss: Es lohnt sich für die gesamte Volkswirt- Energiepreise auf Spitzenniveau – schaft, die Energierahmenbedingungen für die Industrie end- Standortnachteile für die deutsche lich wettbewerbsgemäß zu gestalten! Industrie Wenigstens in Bezug auf die Netzentgelte ist auch Hoffnung Statistische Daten lassen keinen Zweifel aufkommen: Das da. Das novellierte Energiewirtschaftsgesetz hat die Basis deutsche Energiepreisniveau ist ein gravierender Standort- dafür gelegt, dass der regulatorische Druck auf die Entgel- nachteil für die Industrie. Mit den zweithöchsten Preisen in te in absehbarer Zukunft seine Wirkung zeigen kann. Die Deutschland für Strom genauso wie für Gas zeichnen die Daten von Eurostat im EU-Vergleich ein alarmierendes Bild Abb. 1 (vgl. Abb. 1 und 2). Industrieunternehmen mit einem hohen EU - Industrie - Strompreisvergleich Strom- und Gasverbrauch werden bei Standortentscheidun- Preise einschließlich Steuern ohne MwSt. gen unter dem Thema Energie deshalb immer wieder ein Preisstand: 01.01.2005 gewichtiges Minuszeichen bei deutschen Standorten set- Lettland 3.29 zen müssen. 50 GWh / 5 000 h/a Estland 3.62 Schweden 3.82 Zu dieser Situation tragen die verschiedenen Elemente des Strom- und Gaspreises im Zusammenspiel bei. Überhöhte Finnland 4.70 Netzentgelte, die noch keinen regulativen Effizienzschub ge- Norwegen 4.80 sehen haben, staatliche Abgaben und Steuern, die trotz Här- Tschechien 4.88 tefallregelungen hohe Zusatzbelastungen für die Industrie Polen 4.92 bedeuten, und – nicht zuletzt – Strom- und Gas-Produkt- Litauen 5.03 preise, die im Wesentlichen durch fehlenden Wettbewerb Griechenland 5.07 und Intransparenz in immer neue Höhen schnellen – alles Ungarn 5.26 zusammen ein Preiscocktail, an dem die energieintensiven Portugal 5.53 Industrien in Deutschland sehr schwer zu schlucken haben und einige von ihnen zu ersticken drohen. Belgien 5.58 Niederlande 5.73 So ist von den fünf Aluminiumhütten in Deutschland die Spanien 6.10 Schließung der einen beschlossene Sache, zwei weitere ste- Slowakei 6.33 hen sehr ernsthaft zur Disposition. Und dies ist nur die Spit- Österreich 6.82 ze eines Eisbergs, der nicht erst seit dem vergangenen Jahr Irland 7.61 in den deutschen Gewässern herumschwimmt. Schleichen- Deutschland 8.40 de Deinvestitionen in Unternehmen der energieintensiven Italien 9.18 Branchen, gepaart mit ausbleibenden Neuinvestitionen an den deutschen Standorten sind seit Jahren Realität. Aller- 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ct/kWh Für Dänemark, Frankreich, Vereinigtes Königreich und Slowenien lagen keine Angaben vor. * Dr. Alfred Richmann ist Geschäftsführer des VIK Verbandes der Industriel- len Energie- und Kraftwirtschaft. Quelle: Eurostat, VIK. ifo Schnelldienst 19/2005 – 58. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 9 Abb. 2 Weniger verantwortungsbewusst als bei den Netzentgelten EU - Industrie - Erdgaspreisvergleich zeigt sich der Staat, wenn es um seinen eigenen Anteil an Preise einschließlich Steuern ohne MwSt. den Energiepreisen geht. Das zeigen zum Beispiel die im- Preisstand: 01.01.2005 mer weiter steigenden EEG-Abgaben und eine EEG-Härte- Estland 0.87 fallregelung, die nicht weit genug greift. Für viele besonders 250 Tage Lettland 1.20 4 000 h energieintensive Betriebe hat die neue Härtefallregelung in Litauen 1.22 116.3 GWh diesem Jahr sogar Verschlechterungen gegenüber dem Vor- jahr gebracht. Durch die Deckelung (maximal 10% Mehr- Portugal 1.49 belastung für die Nichtbegünstigten) lässt sie Planungssi- Luxemburg 1.54 cherheit für die Betroffenen vermissen. Die Konzessions- Niederlande 1.55 abgabeverordnung, die nach Anhebung der Stromsteuer für Belgien 1.56 das produzierende Gewerbe im Jahr 2003 ganz im Sinne Großbritannien 1.58 eines Schneeballeffekts für viele Unternehmen gleich noch Spanien 1.58 zusätzlich die Konzessionsabgabepflicht nach sich zog, ist seit Jahren dringend renovierungsbedürftig. Sie wird den- Polen 1.63 noch nicht angefasst. Die EU-Richtlinie zur Harmonisierung Tschechien 1.75 der Energiesteuern eröffnet zwar Chancen zur wettbewerbs- Ungarn 1.75 gerechten Energiebesteuerung in der Industrie. Deutschland Slowakei 1.76 hat sich bisher jedoch noch nicht dazu entscheiden können, Finnland 1.84 die in der Richtlinie enthaltenen Ermächtigungen zuguns- Slowenien 1.98 ten der energiekostensensiblen Industrien rechtssicher zu regeln. Frankreich 1.99 Deutschland 2.04 Soweit zu einigen Rädchen aus dem Bereich Steuern und Dänemark 2.10 Abgaben, an denen der Staat beim Energiepreis im Sinne 0.0 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5 einer fördernden Politik für den Industriestandort Deutsch- ct/kWh land drehen könnte. Für Griechenland, Österreich, Italien, Spanien und Irland lagen keine Angaben vor. Aber auch dieser Bereich ist – entgegen den Unkenrufen der Quelle: Eurostat, VIK. Versorgungswirtschaft – in den vergangenen Jahren nicht der schmerzhafteste Stachel im Fleisch der energieverbrau- Kombination aus der Genehmigung kostenbasierter Entgel- chenden Industrie gewesen. Die stärksten Preisschübe re- te in der ersten Phase und einem schnellen Übergang zu sultieren ganz ohne Frage aus den Entwicklungen am Groß- einem Anreizregulierungssystem in der zweiten Phase ist handelsmarkt Strom sowie am Ölmarkt. Letzterer belastet sicher die sachgerechte Basis, um Höhe und Spreizung über die Ölpreisbindung und die Art ihrer Verankerung in der Netzentgelte auf ein angemesseneres Maß zu reduzie- Gaslieferverträgen den Gasverbrauch der Industrie in KWK- ren. In diesem Bereich hat sich die Politik ihrer Verantwor- Anlagen, Öfen etc. in erheblichem Maße. tung gestellt und dazu beigetragen, ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen den Interessen der Versorgungswirt- Seit 2003 steigen die Strompreise auf dem Großhandels- schaft und den Netznutzern zu schaffen. markt in rasantem Tempo. In diesem Jahr in der Spitze be- reits um ca. 12 €/MWh auf 45 €/MWh und damit um ca. Dieser Ausgleich im Bereich der Netzentgelte allein wird al- 36% (vgl. Abb. 3). Und das ist nicht nur eine bloße Fortset- lerdings nicht zu einem wirklich wettbewerbsgemäßen Ni- zung der besorgniserregenden Preisentwicklung, die der VIK veau der Strom- und Gaspreise führen. Der Anteil der Netz- schon seit mehr als zwei Jahren als nicht hinreichend fun- entgelte am Strompreis eines Industrieunternehmens liegt damental kritisiert, sondern die Folge der starken Domi- in einem Bereich zwischen 20 und 30%. Der Anteil an den nanz einer marktmächtigen Gruppe von Erzeugern. Heute Gaspreisen kann bei der heutigen Informationslage der Netz- haben wir es mit einer ganz neuen Dimension dieses Pro- nutzer überhaupt noch nicht eingeschätzt werden. Die ver- blems zu tun. Einhellig sprechen auch die Versorger von den öffentlichten Entgelte jedenfalls geben kein realistisches Bild Auswirkungen des CO2-Emissionshandels als Grund für ab. Denn betrachtet man die oft ungemein geringe Differenz die Strompreisentwicklung 2005. Ohne Frage ist dies ein zwischen veröffentlichten Netzentgelten und Gesamtprei- Faktor, der den Erzeugern tatsächlich Kosten verursacht. sen der Kunden, so kann nur der Schluss gezogen wer- Die Reduktionsverpflichtungen für CO2-Emissionen gegen- den: Diese veröffentlichten Entgelte sind schlicht zu hoch über dem Basiszeitraum liegen in Deutschland bei etwa 3 bis und sollen allein die Durchleitung und damit Lieferungen 7%. Diese Mindermengen müssen bei gleich bleibender Pro- durch Dritte verhindern. duktion zugekauft bzw. durch entsprechende Effizienzstei- 58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005
10 Zur Diskussion gestellt Abb. 3 und bestürzt. Das sei damals nicht die poli- EEX-Terminmarkt tische Geschäftsgrundlage gewesen, heißt Preis für das rollierende Folgejahr es aus entscheidenden politischen Kreisen. €/MWh 65 60 Tatsache allerdings ist, dass die Politik sich 55 53.07 der Wirkungen des Emissionshandels, so wie 49.10 sie sich jetzt einstellen, durchaus hätte be- 50 wusst sein müssen. Die gefährliche Wir- 43.61 45 kungsweise des Opportunitätskostenprin- 39.09 40 zips und die erwartete Einpreisung auch der 34.57 35 33.48 geschenkten Zertifikate waren von Wissen- 28.03 schaftlern und Verbänden – auch vom VIK – 30 23.75 im Vorfeld deutlich prognostiziert worden. 25 20 Sept Jetzt ist die Wirkung da und führt zu einer 2002 2003 2004 2005 enormen Vermögensumverteilung von den Baseload Peakload Jahresdurchschnitt Baseload Jahresdurchschnitt Peakload Verbrauchern zu den Versorgern. Denn wäh- Quelle: VIK. rend ein Erzeuger beim derzeitigen CO2-Zer- tifikatspreisniveau von ca. 22 €/t CO2 für gerungsmaßnahmen eingespart werden. Die Kostenwirk- 1 MWh Kohlestrom tatsächliche Kosten von samkeit dieser Reduktionsverpflichtungen und deren Wei- etwa 1,1 € hat (5% des CO2-Gehaltes einer MWh Kohle- tergabe an die Stromverbraucher wäre in keiner Weise ei- strom von ca. 0,9 t), erzielt er beim Verkauf am Großhan- ne Überraschung. delsmarkt derzeit einen Preis von ca. 43 €/MWh. Darin sind sicher nicht weniger als 10 €/MWh der Einpreisung der CO2- Was die Realität aber tatsächlich zeigt, ist ein vielfach stär- Zertifikatswerte zuzuschreiben. Diese Lage ist nicht nur aus kerer Einfluss auf den Strompreis. Die RWE Trading sprach Sicht der industriellen Verbraucher vollkommen inakzepta- öffentlich von einer Strompreissteigerung um mindestens bel, sie bildet eine ganz reale Existenzgefahr. 0,49 Ct/MWh als Folge jeden Euros Verteuerung des Rechts auf Emission einer Tonne CO2. Das entspricht recht genau Dieser Entwicklung muss schnell gegengesteuert werden. dem durchschnittlichen CO2-Gehalt einer in Deutschland Dem dient die Beschwerde, die der VIK beim Bundeskar- produzierten MWh Strom. Allerdings sind 93 bis 97% da- tellamt eingebracht hat und auf deren Grundlage nunmehr von den Erzeugern zur Schonung der Verbraucher staatli- der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der cherseits bewusst kostenlos zugeteilt worden. Hat also großen Erzeuger geprüft wird. Zudem muss aber auch das der Verbraucher dennoch nun den Wert dieser Geschen- Emissionshandelssystem so geändert werden – schließlich ke zu bezahlen? Aus der Stromindustrie wird diese Frage befinden wir uns in der Erprobungsphase – dass es seine inzwischen ganz offen mit »ja« beantwortet, »Windfall Pro- klimapolitischen Ziele erreichen kann, ohne diese ungemein fits« durchaus eingestanden und darauf verwiesen, dass starken volkswirtschaftlichen Verwerfungen hervorzurufen. genau dies dem politischen Willen und einer ökonomischen Der VIK arbeitet an Lösungsmöglichkeiten und ist in stän- Logik entspräche. Nur auf dieser Basis komme kohlendi- diger Diskussion mit der Politik. Der Emissionshandel muss oxydintensive Verstromung unter Druck und werde zurück- und kann besser funktionieren, ohne zu Windfall Profits der gedrängt. Elektrizitätswirtschaft zu führen. Dazu kann eine an die tat- sächliche Produktion gebundene, ex post korrigierte Zutei- Das ist eine sehr bemerkenswerte Interpretation! Denn über- lung der Emissionsrechte beitragen. Die vollkommen freie setzt heißt das: Die Politik hat die Windfall Profits der Strom- Verwendung der Zertifikate wäre so eingeschränkt und da- mit auch die Option zum freien Verkauf sowie die Basis für erzeuger im Rahmen des Emissionshandelssystems be- die Anwendung des Opportunitätskostenprinzips. Sollte ei- wusst vorgesehen, damit diese in die Lage versetzt wer- ne solche Reparatur des Systems im Rahmen der Weiter- den, ihre Effizienzverbesserungsmaßnahmen durchführen entwicklung des Emissionshandelsrechts allerdings nicht zu können. Die anderen am Emissionshandel beteiligten In- gelingen, wird sofort die Frage auftauchen, wie mit den Wind- dustrien aber sollen ohne jegliche Windfall Profits ihren Ver- fall Profits der Versorger umzugehen ist. Denn die zu beob- pflichtungen – erstens – ebenfalls nachkommen und – zwei- achtende Einkommens- und Vermögensumverteilung nur in tens – obendrein die Windfall Profits der Stromerzeuger be- Richtung der Versorger liegt nicht im Interesse des Stand- zahlen. ortes Deutschland. Auch die Politik scheint von diesem ihr unterstellten Willen Neben den Strompreisen haben auch die Gaspreise die Ver- nichts zu wissen, sondern zeigt sich überwiegend erstaunt braucher in diesem Jahr nicht ruhen lassen. Als Folge der ifo Schnelldienst 19/2005 – 58. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 11 Ölpreisbindung mussten auch hier Steigerungen im zwei- Die Energiepreise in Deutschland sind im Jahr 2005 für die stelligen Prozentbereich hingenommen werden. Die Ölpreis- Industrie mehr denn je zu einer immensen Bedrohung ge- bindung in Gaslieferverträgen wird heute wettbewerbsver- worden. Energieunternehmen auf der anderen Seite erzie- zerrend missbraucht. Die Gasversorger können mit der vor- len immer weiter steigende Rekordgewinne. Die Folge sind geblichen Weitergabe der Kosten aus Vorlieferverträgen ein Einkommens- und Vermögensumverteilungen, die volkswirt- sehr einseitiges Spiel mit den Kunden treiben und die Preis- schaftlich enormen Schaden anrichten. Zwar kann sich differenz zwischen Gas und Öl sowie deren Volatilitäten im- Deutschland – vielleicht – mit globalen Energiechampions mer wieder sehr stark zum Nachteil des Abnehmers aus- schmücken, doch um welchen Preis? Um wichtige ener- gestalten. Die Ölpreisbindung diente bei ihrer Einführung vor gieintensive Industrien und deren Arbeitsplätze halten zu 40 Jahren dazu, dem Erdgas gegen das Heizöl seinen Platz können, müssen die Rahmenbedingungen dringend in Rich- im Energiemarkt zu verschaffen. Das hierzu von der Gas- tung mehr Fairness und Marktmacht-Ausgleich verändert wirtschaft entwickelte Anlegbarkeitsprinzip ist durch zwei werden. Sollte die Reparatur politischer Fehllenkungen (wie wesentliche Merkmale gekennzeichnet: Erstens soll der Gas- im Emissionshandel) nicht schnell genug greifen und sollte preis dem Preis einer Referenzölnotierung synchron, in de- vor allem nicht bald ein einigermaßen wettbewerblich funk- finiertem zeitlichem Abstand und in geglätteter Form fol- tionierender Strom- und Gasmarkt zu erreichen sein, wer- gen. Zweitens soll sich der Gaspreis in seiner Höhe ange- den sicherlich weitergehende Korrekturforderungen schnell messen am Referenzölpreis orientieren. auf die Tagesordnung gelangen. Einfluss auf die Höhe des Gaspreises hat damit zum einen die Wahl der Referenzölsorte, aber auch die Differenz, die sich zwischen dem zu zahlenden Gaspreis und dem ange- legten Ölpreis gemäß der vertraglich vereinbarten Preisfor- meln und Vertragsbedingungen ergibt. Alle diese Einfluss- größen auf den zu zahlenden Preis wären unter wettbewerb- lichen Bedingungen Verhandlungssache zwischen den Ver- tragsparteien. Der bisher noch nicht hinreichend wirksame Wettbewerb im deutschen Erdgasmarkt aber verhindert den Marktzutritt neuer Gasanbieter. Wirklich wettbewerbliches Agieren deut- scher Gasanbieter blieb damit bisher aus. Dadurch sind auch heute noch zahlreiche industrielle und gewerbliche Erdgas- kunden zur Unterzeichnung von Gaslieferverträgen genö- tigt, die eine ungünstige Ölpreisbindung für den Kunden vor- sehen. Zudem kann bei der bestehenden Intransparenz der Verdacht nicht ausgeräumt werden, dass auch Netzentgel- te als Teil des Bruttogaspreises mit an den Ölpreis gekop- pelt sind. So führt das Anlegbarkeitsprinzip bei fehlendem Wettbewerb zu Preisen, die im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsgerecht sind. Die globalen Märkte für Primärenergieträger sind sicher in vielfältiger Weise miteinander verknüpft, so dass auch Gas- preise ohne Ölkopplung nicht völlig unbeeinflusst von den Preisen anderer Energieträger sein würden. Jedoch darf eine Preiskopplung den Wettbewerb nicht verzerren. Ge- nau dafür aber sorgt heute in Deutschland die Art und Wei- se, wie die Ölpreisbindung in Gaslieferverträgen Anwen- dung findet. Eine stärkere Unabhängigkeit vom Ölpreis oder zumindest Bindungsarten, die im funktionierenden Wettbe- werb vertraglich mit dem Kunden ausgehandelt werden, gepaart mit mehr Transparenz, sind deshalb wichtige For- derungen für die Zukunft. Kartellamt und Netzregulierer gemeinsam haben die Chance, sich dieser Aufgabe anzu- nehmen. 58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005
12 Zur Diskussion gestellt Jahr 1976. Dies ist zum einen auf einen sparsameren Um- gang mit Energie zurückzuführen, was beispielsweise auf die Verringerung des Flottenverbrauchs der PKW, auf den Einsatz effizienterer Brenner in Heizungen oder auch auf ei- ne verbesserte Wärmeisolierung zurückzuführen war. Alles getreu dem Motto der siebziger Jahre »Energiesparen ist un- sere beste Energiequelle«. Zum anderen hat sich der Ener- giemix spürbar verändert. So hat sich von 1975 bis 2002 der Anteil der Elektrizitätserzeugung durch Ölverbrennung in Deutschland von 8,2 auf 0,8%, in den USA von 15,4 auf 2,5% und in Japan von 63,8 auf 13,4% verringert. Diese Entwicklung war in erster Linie auf den verstärkten Einsatz anderer Energieträger, allen voran der Kernenergie, zurück- Andreas Scheuerle* zuführen. Deren Anteil an der Stromerzeugung stieg in Deutschland seit 1975 von 7% auf 29% im Jahr 2002 an, weltweit nahm ihr Anteil von 2,1% (1971) auf 16,6% (2002) zu. Hinzu kommt, dass mit dem Strukturwandel von der In- Ölpreisentwicklung allein führt nicht zu dustrie- zur Dienstleistungsgesellschaft Energieträger als einer Rezession Produktionsfaktoren an Bedeutung verloren haben. So stieg der Anteil der Dienstleistungsbereiche an der gesamtwirt- Vier der sechs Nachkriegsrezessionen fielen zeitlich mit ei- schaftlichen Wertschöpfung von rund 55% im Jahr 1975 auf nem spürbaren Anstieg des Ölpreises zusammen. Das weckt knapp 70% im Jahr 2004. Da die Dienstleister – mit weni- derzeit Sorgen, ob das zart aufkeimende Konjunkturpflänz- gen Ausnahmen wie Verkehrsdienstleistungen – zur Erstel- chen in Deutschland wieder verdorren wird. Bei genaue- lung ihrer Produkte weniger Energie benötigen, hat sich der rem Hinsehen wird jedoch sehr schnell deutlich, dass eine gesamtwirtschaftliche Energiebedarf entsprechend verrin- ungeprüfte Übertragung der Erfahrungen der Vergangenheit gert. Öl hat also in den letzten 30 Jahren einen guten Teil auf die Gegenwart zu Fehlschlüssen führen kann. Zum ei- seiner Bedeutung im Wirtschaftsprozess verloren, und die nen können nämlich die schweren Rezessionen Mitte der Weltwirtschaft hat an Widerstandskraft hinzugewonnen. siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jahre nicht allein auf die Ölpreisentwicklungen zurückgeführt werden. Zum Ein wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Erfahrun- anderen fielen zwar die beiden schwachen Rezessionen der gen offenbart sich bei einer genaueren Betrachtung des Jahre 2003 und 2004 mit Ölpreissteigerungen zusammen. Ölmarktes. In den siebziger Jahren handelte es sich um ei- Zu anderen Zeitpunkten aber hätten diese zu keiner rezes- ne »künstliche« Verknappung des Angebots an Öl. Nach- siven Entwicklung geführt, sie waren sogar geringer als der dem die USA sich während des Jom-Kippur-Krieges 1973 Ölpreisanstieg 1999/2000, der in das dynamischste Kon- offen auf die Seite Israels gestellt hatten, drehten die arabi- junkturjahr seit der Wiedervereinigung fiel. Allein daran mag schen Förderländer den Ölhahn zu. »Öl als Waffe« war da- man schon erkennen, dass der Zusammenhang zwischen mals die Parole. Die Weltwirtschaft und mit ihr Deutschland der Entwicklung des Ölpreises und der Konjunktur nicht so schlitterten in eine spürbare Rezession. Heute ergibt sich zwangsläufig ist, wie gelegentlich unterstellt wird. Unabhän- die Verknappung von Rohöl aus einer hohen weltwirtschaft- gig davon muss man konstatieren, dass sich seit der ers- lichen Nachfrage in Verbindung mit nahezu voll ausgereiz- ten Ölpreisrezession Mitte der siebziger Jahre vieles verän- ten Produktionsmöglichkeiten. Nach einer langen Phase der dert hat, was die Übertragung der Erfahrungen der Vergan- Investitionszurückhaltung der Ölförderländer sind kurzfris- genheit auf die Gegenwart zumindest erschwert. tig kaum Angebotserweiterungen möglich. Gleichzeitig wächst der Energiehunger der aufstrebenden Volkswirtschaf- ten, allen voran Chinas, unaufhaltsam. Wichtiger aber: Er Rege Weltmarktentwicklung belastet den Ölpreis ist noch lange nicht gestillt. Das mag man daran erkennen, dass der Ölverbrauch pro Kopf in China gerade einmal ein Was hat sich seither verändert? Zunächst einmal hat die Ab- Achtel des deutschen und ein Sechzehntel des US-ameri- hängigkeit vom Öl als Energieträger und Rohstoff abgenom- kanischen Verbrauchs beträgt. Im Umkehrschluss all des- men. Weltweit sank die Energieintensität seit der ersten Öl- sen bedeutet diese Erkenntnis, dass die florierende Welt- preiskrise. So betrug der Energieverbrauch in Relation zum wirtschaft zu dem starken Ölpreisanstieg beigetragen hat. Bruttoinlandsprodukt im Jahre 2002 in Deutschland und in Die Belastungen vom Ölpreis gehen daher mit einer regen den Vereinigten Staaten nur noch 60% des Wertes aus dem Welthandelsentwicklung einher, so dass ihnen auch gute Ex- portgeschäfte gegenüberstehen. Die Bedeutung solcher * Dr. Andreas Scheuerle ist Volkswirt bei der DEKABank, Frankfurt. kompensierender Effekte wird deutlich, wenn man die bei- ifo Schnelldienst 19/2005 – 58. Jahrgang
Zur Diskussion gestellt 13 den jüngsten Rezessionen betrachtet. Der reale Ölpreisan- den Unternehmen, sich darauf einzustellen. Auch wenn ener- stieg in heimischer Währung um 39% (Februar 2003) be- giesparende Maßnahmen nicht von heute auf morgen um- ziehungsweise 64% (Oktober 2004) im Vergleich zum Vor- setzbar sind und die Kostenbelastung damit kaum zu um- jahr führte vor allem deshalb zu einem wirtschaftlichen Ein- gehen ist, so werden immerhin die negativen psychologischen bruch, weil gleichzeitig die zentrale Stütze des deutschen Effekte abgeschwächt. Unterstützend kommt hinzu, dass die Wirtschaft schwächelte: der Export. Anders dagegen im Jahr Unternehmen in der nunmehr fünf Jahre andauernden Schwä- 2000, in dem der Ölpreisanstieg in der Spitze bei knapp chephase der deutschen Binnenkonjunktur ihre Hausaufga- 180% lag. Dieser fiel in eine Zeit, in der der Export die wirt- ben erledigt haben. Kräftige Restrukturierungsmaßnahmen schaftliche Entwicklung kräftig anschob und auch die Bin- haben die Kostenbelastung gesenkt. So konnten die Unter- nennachfrage ihren Wachstumsbeitrag leistete. nehmen die steigenden Rohstoff- und Energiekosten kom- pensieren, ja sogar ihre Gewinne steigern. In den siebziger Verstärkt wird derzeit der kompensierende Effekt der welt- Jahren sah das noch anders aus. Überzogene Tarifabschlüs- wirtschaftlichen Grunddynamik von den Rückflüssen der se hatten die Arbeits- und Lohnstückkosten in die Höhe Petrodollars. Schon seit jeher zählten europäische und vor schnellen lassen. Zwar waren diese im Vorfeld der Ölkrise allem auch deutsche Unternehmen, insbesondere des In- noch von hohen Gewinnen begleitet worden, doch in der vestitionsgütergewerbes, zu den Nutznießern steigender Öl- Rezession brachen sie ein. einnahmen in den OPEC-Ländern. Doch während diese ih- re zusätzlichen Einnahmen in früheren Jahren oftmals zur Die überzogene Tariflohnentwicklung war auch der Grund, Schuldentilgung verwendet hatten, scheinen die OPEC-Staa- warum die Deutsche Bundesbank schon im Vorfeld der ers- ten derzeit willens zu sein, in ihre Zukunft zu investieren. So ten Ölkrise kräftig auf die Zinsbremse stieg. Um ölpreisbe- kommen Studien wie die des britischen Wirtschaftsfor- dingte Zweitrundeneffekte über die Löhne abzuwehren, schal- schungsinstituts National Institute for Economic and Social tete die Geldpolitik auf restriktiv. Das gleiche Muster ergab Research (NIESR) zu dem Ergebnis, dass sich die Rück- sich auch bei der zweiten Ölkrise Anfang der achtziger Jah- flussgeschwindigkeit der zusätzlichen Einnahmen aus den re. Heute sieht die Situation anders aus. Die Europäische höheren Ölpreisen seit 1985 verdoppelt hat. Damit kommt Zentralbank hält die Leitzinsen auf einem historisch niedri- die deutsche Industrie früher als in den vergangenen Pha- gen Niveau und sichert so maßgeblich die wirtschaftliche Ent- sen steigender Rohölpreise in den Genuss zusätzlicher Ex- wicklung ab. Dies ist auch deshalb möglich, weil die Gefahr portaufträge. Diese Entwicklung hat sich schon im vergan- von Zweitrundeneffekten vergleichsweise gering ist. Denn die genen Jahr in den deutschen Ausfuhrzahlen gezeigt: Wäh- Unternehmen besitzen im Zeitalter der Globalisierung und in rend die Ausfuhr im Jahresdurchschnitt um 9,1% zulegte, einer Phase der Konsumzurückhaltung nur sehr eingeschränkt wurden in die OPEC-Staaten 24,3% und nach Russland die Möglichkeit, die zusätzlichen Kosten weiterzuwälzen. 36,3% mehr Güter exportiert. Doch es sind nicht allein die Gleichzeitig diszipliniert die hohe Arbeitslosigkeit in Deutsch- Petrodollars, die zurückfließen und die Exporte anregen, es land die Tarifpartner, die Löhne nicht zu schnell und zu stark ist auch zunehmend die internationale Nachfrage nach Gü- anzuheben. Da ferner die Inflationserwartungen bislang weit- tern, die einer energieeffizienteren Produktion oder der Er- gehend auf einem niedrigen Niveau verharrten, kamen die schließung erneuerbarer Energien dienen. In diesen Berei- Gewerkschaften von dieser Seite auch nicht unter Zugzwang. chen bietet Deutschland Spitzentechnologie an, die beson- ders dann nachgefragt wird, wenn der Rohölpreis hoch ist. Beunruhigende Preissteigerungen bei Ölprodukten Keine Entspannung am Ölmarkt All diese Faktoren machen deutlich, dass die Ölpreisentwick- Ein anderer Unterschied betrifft das Tempo und die Vorher- lung für sich genommen wohl zu keinem Absturz in die Re- sehbarkeit des Ölpreisanstiegs. In den ersten beiden Ölpreis- zession führen wird. Dennoch hat sie Bremsspuren hinter- krisen Mitte der siebziger Jahre und Anfang der achtziger Jah- lassen und wird dies auch in der Zukunft tun. Viel mehr aber re erfolgten die Preissteigerungen schneller und überraschen- als die Entwicklung des Ölpreises beunruhigen derzeit die der als zuletzt. Auch wenn seit dem Jahr 2003 nahezu jeder Preissteigerungen bei Ölprodukten wie Benzin oder Heizöl. Analyst von den verschiedenen Ölpreisschüben überrascht Denn gegenwärtig scheint das Rohöl nicht einmal so sehr der wurde, so blieb immerhin die Zeit, die Ölpreisprognosen an- Engpassfaktor zu sein, sondern die Möglichkeit, es zu raffi- zupassen, wenngleich meist zu spät und zu defensiv. Heute nieren. Mit den Wirbelstürmen in den Vereinigten Staaten scheint klar, dass die Phase hoher Ölpreise keine kurze Epi- haben sich die ohnehin knappen Raffinierungskapazitäten sode sein wird. Analysten und internationale Organisationen nochmals verringert. Jetzt rächt sich, dass über Jahrzehnte wie der Internationale Währungsfonds prognostizieren auf lan- vor allem in den Vereinigten Staaten zu wenig Geld in den Bau ge Zeit keine Entspannung am Ölmarkt. Diese größere Vor- oder die Erweiterung von Raffinerien geflossen ist. Angesichts hersehbarkeit erlaubte es den Haushalten, aber mehr noch einer Ausreifungszeit von bis zu sieben Jahren von der Pro- 58. Jahrgang – ifo Schnelldienst 19/2005
14 Zur Diskussion gestellt jektierung bis zur Inbetriebnahme wird uns dieser Engpass- ren. Allein die politisch verursachten Kosten der Energieträ- faktor tendenziell noch lange erhalten bleiben. Damit nicht ge- ger lassen sich so umgehen. Im Bereich der Strompreise nug sind die Heizöltanks der deutschen Haushalte nach dem bedeutet dies beispielsweise, dass die Förderung alternati- Preisanstieg im vergangenen Winter seither in der Hoffnung ver Energien – wenn man sie für unumgänglich hält – über auf fallende Preise überwiegend nicht mehr befüllt worden. das Steuersystem und nicht über den Energieverbrauch fi- Diese Hoffnungen sind enttäuscht worden, und mit dem her- nanziert werden sollte. Wenn man gar zu der Erkenntnis annahenden Winter werden die Haushalte gezwungen sein, kommt, dass diese alternativen Energieformen mittelfristig das Heizöl zu noch höheren Preisen einzukaufen. Gleichzei- nicht zu einem wettbewerbsfähigen Angebot führen, muss tig nutzen die Anbieter von Gas und Elektrizität die Gunst die gesamte Subventionierung auf den Prüfstand. Im Be- der Stunde, um die Preise zu erhöhen. Somit kommen die reich der Elektrizitätserzeugung aus Biogas zeigt sich die Haushalte und Unternehmen möglicherweise von dieser Sei- Diskrepanz zur Wirtschaftlichkeit besonders deutlich: Wäh- te unter Druck. So werden Gaspreissteigerungen zum 1. Ja- rend an der Strombörse eine Kilowattstunde mit 4,5 Cent nuar 2006 von bis 15% erwartet, weitere Erhöhungen sind gehandelt wird, beträgt der Einspeisungspreis von Biogas- nicht ausgeschlossen. Für die Unternehmen sind insbeson- strom 11,5 Cent. Angesichts der hohen Subventionierung dere die Strompreise von großer Bedeutung. Immerhin ma- muss die Wirtschaftlichkeit solcher Formen der Energieer- chen sie rund zwei Drittel der industriellen Energiekosten aus. zeugung derzeit in Frage gestellt werden. Ferner ist eine kon- Von Januar 2002 bis Juli 2005 sind die Strompreise – gemes- sequente Deregulierung des Netzleitungsoligopols von Nö- sen am VIK-Strompreisindex um über 50% gestiegen. An die- ten. Dies verringert die Preise unmittelbar infolge geringerer ser Entwicklung haben in erster Linie die gestiegenen Kos- Netzdurchleitungsgebühren, aber auch mittelbar über mehr ten für die Energieträger Schuld, für die insgesamt im inter- Wettbewerb. Schließlich sind Subventionen alles andere nationalen Vergleich hohen Strompreise ist die Politik verant- als das Gebot der Stunde. Vielmehr muss es das Ziel der wortlich. Zum einen verteuerte sie den Strompreis durch die Politik sein, Subventionen abzubauen, damit der Staat wie- Ökosteuer sowie durch Beiträge zur Förderung der Kraft-Wär- der seine finanzielle Handlungsfähigkeit zurückgewinnt. me-Kopplung und von erneuerbaren Energien, zum ande- ren unterblieb nach der Liberalisierung des Strommarktes Doch auch auf anderen Gebieten wird derzeit die Politik ak- eine strikte Regulierung, anders als zuvor im Bereich der Te- tiv. In einigen Ländern wie Österreich oder Frankreich wurden lekommunikation. Daher konnte das Oligopol der vier gro- die Mineralölfirmen gezwungen, die Benzinpreise zu senken ßen Versorger durch eine Politik der hohen Netzdurchleitungs- beziehungsweise starke Preisanstiege nicht sofort, Preissen- gebühren sukzessive den Wettbewerb ausschalten. Der An- kungen aber sehr schnell an die Verbraucher weiterzureichen. stieg der Energiekosten ist zwar beunruhigend, doch im Auch hier stellt sich die Sinnfrage, denn die Margen der Mi- Durchschnitt liegt der Anteil des Energieverbrauchs nur bei neralölfirmen waren in diesem Bereich im Durchschnitt der 1,5% des Bruttoproduktionswerts der Unternehmen, wäh- letzten Jahre ohnehin schon ausgesprochen gering. Die jetzt rend die Arbeitskosten immerhin 21,4% ausmachen. In ein- höheren Margen sind auf längere Zeit notwendig, um Anrei- zelnen Branchen wie beispielsweise der Metallerzeugung und ze für die dringend benötigten Investitionen in die Raffinierung -bearbeitung oder dem Papiergewerbe liegt der Energiekos- hochwertiger Ölprodukte wie Benzin zu geben. Zwingt man tenanteil aber immerhin bei 5,9 bzw. 4,3%. die Unternehmen, die Margen zu verringern, läuft man Ge- fahr, dass diese Investitionen unterbleiben. Keine Subventionen für energieintensive Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die deutsche Volkswirt- Branchen schaft wohl mit einem oder zwei blauen Augen davon kom- men wird. Nach vier Jahren mit Zuwachsraten des Brutto- Damit stellt sich wieder einmal die Frage, wie mit solchen inlandsprodukts unterhalb des Potentialwachstums ist das energieintensiven Branchen umzugehen ist. Soll ihrer Be- aber nur ein schwacher Trost. Und ganz gebannt ist die sonderheit Rechnung getragen werden und sollen deshalb Gefahr eines Rückfalls in eine rezessive Entwicklung nicht, sollten die ohnehin kaum konsumwilligen Haushalte sich entsprechende Entlastungen von staatlicher Seite gewährt durch die Energiepreisentwicklung weiter verunsichern las- werden? Nein! Würde auf jede Besonderheit einer Branche sen. Eines ist klar: Das Beste, was die Politik in dieser Si- Rücksicht genommen, so müsste man beispielsweise auch tuation leisten kann, ist es, schnell zur Tagesordnung über- in Zeiten stark steigender Arbeitskosten die Förderung ar- zugehen und durch überzeugende Reformvisionen und Ta- beitsintensiver Branchen in Erwägung ziehen. Es gehört nun ten Zuversicht zu erzeugen. Der Rückgriff auf Subventio- einmal zum Strukturwandel, dass sich Unternehmen den nen und Interventionen jedenfalls vermag dies nicht. sich ändernden Gegebenheiten anpassen oder anderenfalls untergehen. Zudem ist der Anstieg der Rohstoff- und Ener- giepreise ein internationales Phänomen, so dass Abwan- derungsmöglichkeiten aus Kostengründen – anders als mit Blick auf die Arbeitskosten – nur eingeschränkt zum Ziel füh- ifo Schnelldienst 19/2005 – 58. Jahrgang
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