Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi

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          02|2020
Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
| MAMMUTPROJEKT

In dieser                                                                                                  Eine ganze Oberstufe
Ausgabe                   Liebe Leserinnen, liebe Leser                                                    sagt Rassismus den Kampf an
                                                                                                           Christian Possa

| MAMMUTPROJEKT           Ich könnte auch «Liebe LeserInnen»                                               Das Schulhaus Lindenbüel Volketswil beschreitet neue Wege: Erstmals
                          schreiben. Oder «Leser*innen»? «Le­                                              thematisiert eine gesamte erste Oberstufe im Kinderdorf Pestalozzi die
Eine ganze Oberstufe      serïnnen» habe ich schon gesehen,                                                verschiedenen Aspekte des friedlichen Zusammenlebens und setzt damit
                          «Lesende» wäre auch eine Option.                                                 ein starkes Zeichen gegen Rassismus im Schulalltag.
sagt Rassismus den        Nein, ich bleibe bei «Liebe Leserin­
Kampf an                 nen, liebe Leser», denn ich möchte Sie
                          ja als Person ansprechen.
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                          Die Zeiten, in denen man nur die «Lie­
                          ben Leser» ansprach und die Frauen
| LIVEZEIT                «mitmeinte», sind Gott sei Dank vor­
                          bei. Das schreibe ich heute aus tie­
Kinder im Erlimatt-       fer Überzeugung. Am Anfang meines
schulhaus erkunden        Berufslebens in der Kommunikation
                          schrieb ich durchaus noch Sätze wie
Radio und Rechte          «Wir verwenden in unserem Jahres­
Seite 6                   bericht aus Gründen der Lesbarkeit nur
                          die männliche Form eines Begriffs –
                          Frauen sind immer mitgemeint.»           Zugang ist es jedoch nicht getan,
| ERBEN & VERERBEN                                                 denn die Bildung muss sich inhaltlich
                          Immer mehr Menschen bemühen              verbessern und dazu beitragen, dass
In Frieden (st)erben      sich, zu «gendern», Frauen und Men­      stereotype Rollenzuschreibungen im
                          schen, die sich nicht klar einem Ge­     Klassenzimmer keinen Platz mehr
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                          schlecht zugehörig fühlen, nicht ein­    haben. Mädchen können werfen und
                          fach sprachlich auszugrenzen. Wenn       Buben haben Gefühle.
                          wir als Stiftung so kommunizieren,
| AUSTAUSCH               tun wir das, weil wir es für wichtig     Wir haben «Gender» zum Jahresmotto
                          halten. Gendergerechte Texte unter­      erkoren, in dieser Ausgabe des Maga­
Kulturschock macht        stützen gesellschaftliche Veränderun­    zins finden Sie Beispiele, wie dieses
Bock auf mehr –           gen, denn Sprache und Denken sind        Thema in unseren Projekten umge­
                          eng miteinander verknüpft. Unsere        setzt wird. Danke, dass Sie uns dabei
Betreuerin Yllza im       Vorstellungen und Denkweisen be­         unterstützen!                           Schülerinnen aus Volketswil kommen sich während einer Aufwärmübung näher.
Porträt                   einflussen unsere Schreibweise. Und
                          umgekehrt: Wenn weibliche Bezeich­       Herzlich, Ihr                           Es ist ein Herbsttag wie im Bilderbuch,                                                  rinnen und Schülern will der Pädagoge
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                          nungen in Bereichen vorkommen, die                                               als Mitte September zwei Reisecars             «Normale Schule                           herausfinden, was es für ein friedliches
                          als Männerdomäne gelten, wird die                                                130 Jugendliche samt Gepäck und                bedeutet hinsetzen,                       Zusammenleben braucht. Dazu taucht
                          weibliche Präsenz in diesen Berei­                                               Lehrpersonen neben dem Sportplatz                                                        die Gruppe in verschiedene Themen
| MEDIENPÄDAGOGIK         chen vorstellbar und irgendwann auch                                             im Kinderdorf Pestalozzi ausspucken.           zuhören, lernen. Hier                     wie Identität, Vertrauen und Kooperati­
                          selbstverständlich.                                                              Sechs Schulklassen, bunt zusammen­             kann man Spass haben                      on, Vorurteile und Diskriminierung oder
Einen Gegenpol zur                                                 Thomas Witte                            gewürfelt, bereit, die nächsten drei           und mitfühlen. Durch                      Kooperation und Spiel ein.
digitalen Welt aufbauen   Ganz offensichtlich ist die Gleichbe­    Leiter Marketing & Kommunikation        Jahre gemeinsam zu bestreiten. Und             die Spiele versteht man
                          rechtigung von Männern und Frauen                                                dieser Weg – so das Ziel der Projekt­                                                    Die erste Kennenlernübung – ein Ba­
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                          noch nicht erreicht. Sie kennen alle                                             tage – soll von gegenseitigem Ver­             es besser.»                               lanceakt, bei dem sich die Schüle­
                                                                                                                                                                                        Jamie, 13
                          Beispiele, ich erspare uns hier eine                                             ständnis und Offenheit, anstatt von                                                      rinnen und Schüler auf Stühlen ste­
                          Auflistung. Wir wollen dazu beitragen,                                           Ausgrenzung und Vorurteilen gesäumt                                                      hend entsprechend ihrem Vornamen
                          dass sich das ändert. Deshalb zielen                                             sein. Es ist das erste Mal, dass eine                                                    anordnen müssen – verrät trotz ihrer
                          unsere Projekte darauf ab, benachtei­                                            ganze Oberstufe Herausforderungen              Mit Kopf, Herz und Hand                   Einfachheit eine zentrale Arbeitsweise
                          ligten Kindern – sehr häufig sind das                                            wie Mobbing oder Rassismus gleich              Die Klasse von Sonja Fröhlich wird die    im Kinderdorf. «Bei uns geht es im­
                          Mädchen – einen besseren Zugang                                                  zu Beginn des Schuljahres im Keim zu           kommenden Tage von Julian Friedrich       mer auch ums Machen», erklärt Julian
                          zu Bildung zu verschaffen. Mit dem                                               ersticken versucht.                            begleitet. Gemeinsam mit den Schüle­      Friedrich den Gästen aus Volketswil

2                                                                                                                                                                                                                                         3
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und ergänzt: «Was ihr dazulernen wollt,                                                                                                            man selber zum Täter geworden? Die               machte und wie ernsthaft sie sich mit            mit Pädagoge Julian Friedrich hätten
entscheidet ihr selber. Ihr müsst für                                                                                                              Diskussion innerhalb der Klasse führt            den Themen auseinandersetzte. Das                jedoch rasch sein Interesse geweckt.
euer Verhalten selber Verantwortung                                                                                                                zu einer wichtigen Erkenntnis: Viel zu           Fazit der Jugendlichen fällt ebenfalls           «Er hat das ziemlich gut gemacht», fin­
übernehmen.»                                                                                                                                       häufig lacht man mit, anstatt Nein zu            positiv aus. «Ich finde, dass ich viel           det er. Und noch wichtiger für den Ju­
                                                                                                                                                   sagen. Dies führt dazu, dass Täterinnen          darüber gelernt habe, wie man sich               gendlichen: «Man kann ihm vertrauen.»
Nach weiteren Aufwärmspielen geht                                                                                                                  oder Täter das Gefühl haben, alles sei           fühlt und wie man sich mitteilen kann»,
es ernster zur Sache. Auf farbigen Zet­                                                                                                            lediglich ein Spiel. «Sagt, was ihr fühlt,       erzählt die 13-jährige Kyoko. Ihre Kol­
teln notieren sich die Schülerinnen und                                                                                                            was euch weh tut», ermutigt Julian               legin Shenaya nimmt zwei wichtige                «Ich habe erfahren,
Schüler, was sie sich von der Woche                                                                                                                Friedrich die Jugendlichen. «Habt keine          Erkenntnisse aus den Workshops mit:              dass es im Leben
erhoffen, was gar nicht passieren soll                                                                                                             Angst davor, Spielverderber zu sein.»            «Dass es im Leben wichtig ist, dass
                                                                                                                                                                                                                                                     wichtig ist, dass man
oder was sie sich von der Klasse für                                                                                                                                                                man auch Nein sagen kann. Und dass
die nächsten drei Jahre wünschen.                                                                                                                  Sonja Fröhlich hat den Workshops                 man seine Meinung haben kann, ohne               auch Nein sagen kann.
Sonja Fröhlich verrät in der Nachmit­                                                                                                              ihrer Klasse oft nur als stille Beob­            sich dafür zu schämen.» Die 13-Jährige           Und dass man seine
tagspause ebenfalls, was sie sich von                                                                                                              achterin beigewohnt. Dies sei für sie            glaubt auch, dass sich die Schulklasse           Meinung haben kann,
der Projektwoche verspricht: «Dass                                                                                                                 äusserst spannend gewesen. «Diese                in der Zeit im Kinderdorf besser ken­
                                                                                                                                                                                                                                                     ohne sich dafür zu
der Austausch die Klassenbildung und                                                                                                               Aussensicht verlieh mir persönlich eine          nengelernt hat und sich dadurch nä­
den gegenseitigen Respekt fördert.»                                                                                                                neue und andere Perspektive auf mei­             hergekommen ist. Jamie gibt zu, dass             schämen.»
Die Lehrerin zeigt sich begeistert von                                                                                                             ne Klasse.» Zudem habe es sie sehr               er der Projektwoche anfangs eher kri­                                         Shenaya, 13
den Möglichkeiten, welche die Dorf­                                                                                                                gefreut, wie motiviert die Klasse mit­           tisch gegenüberstand. Die Workshops
infrastruktur bietet. «Es ist mega cool,
mit einer neuen Klasse in einem Haus
zu wohnen und gemeinsam zu essen.
Man ist für sich, und trotzdem sind
die anderen Jahrgangsklassen, die
die kommenden drei Jahre so wichtig            Für eine gute Zeit an der Oberstufe ist es zentral, sich auf seine Mitschülerinnen und Mitschüler
sind, überall hier.» Als Lehrperson er­        verlassen zu können – Kursteilnehmende während der Vertrauensübung par excellence.
hofft sie sich zudem, mit neuen Ideen
ins Klassenzimmer zurückzukehren.              Einige plaudern, andere kichern. Rasch              Da Identität viel mit Selbstbewusstsein
                                               haben sich die Jugendlichen an die                  zu tun habe, sei es wichtig, zu sich sel­
                                               spielerische Herangehensweise in den                ber zu stehen.
«Es ist mega cool,                             Workshops gewöhnt. Oder um es mit
mit einer neuen                                den Worten von Jamie auszudrücken:                  Am Nachmittag folgt die Vertrauens­
                                               «Normale Schule bedeutet hinsetzen,                 übung par excellence. Doch sich mit
Klasse gemeinsam                               zuhören, lernen. Hier kann man Spass                verbundenen Augen fallen zu lassen,
in einem Haus zu                               haben und mitfühlen. Durch die Spiele               ist nicht so einfach, wie es scheint,
wohnen. Man ist für                            versteht man es besser.»                            vor allem, wenn die Übung klassen­
sich, und trotzdem                                                                                 übergreifend stattfindet. Innerhalb der
                                               Kurz nach Kursbeginn lüftet sich auch               Gruppen wird viel gelacht, und doch
sind die anderen                               das Geheimnis der bunten Kartonkiste.               kommt es vereinzelt vor, dass Jugend­
Jahrgangsklassen, die                          Nacheinander öffnen die Schülerinnen                liche etwas unsanft auf dem Boden
die kommenden drei                             und Schüler die Kiste und beschrei­                 landen. Julian Friedrich zieht Parallelen
Jahre so wichtig sind,                         ben den Inhalt, wie von Julian Fried­               zum Schulalltag: «Nehmt die Übung
                                               rich angewiesen, mit Adjektiven. Es                 ernst und traut euch zu sagen, was ihr
überall hier.»                                 fallen Begriffe wie seltsam, ok, über­              von den anderen braucht.»
                    Sonja Fröhlich, Lehrerin
                                               raschend, gruselig oder komisch. Die
                                               Unsicherheit, die sich wie ein Lauffeuer            Mit Erfahrungen zur Erkenntnis
                                               im Zimmer verbreitet hat, kommt nicht               Der dritte Workshoptag steht ganz
Mit Vertrauen zum Miteinander                  von ungefähr: In der Kartonkiste liegt              im Zeichen des Mobbings. In den
Tag zwei: Die Klasse aus Volketswil            ein Spiegel – die Jugendlichen muss­                verschiedenen Übungen können die
sitzt im Kreis. In der Mitte des Raumes        ten sich selber beschreiben. «Häufig                Schülerinnen und Schüler eigene Er­
steht eine farbige Kartonkiste, die von        hat man ein eher negatives Bild von                 fahrungen sammeln. Wie fühlt es sich
grossformatigen Fotos des Vortages             sich selber», erklärt der Pädagoge in               an, von anderen ausgegrenzt und
umringt ist. Die Stimmung ist gelassen.        der anschliessenden Besprechung.                    schikaniert zu werden? Und warum ist            Um sich gegenseitig den Rücken zu stärken, schreiben sich die Mädchen und Jungen gegenseitig positive Eigenschaften auf.

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Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
| LIVEZEIT

Kinder im Erlimattschulhaus
erkunden Radio und Rechte
Milena Palm

Zwischen dem 20. und 30. November war das Radiomobil der Stiftung Kinderdorf
Pestalozzi mit seiner «Livezeit» auf Kinderrechtstour. Vorab verloste die Stiftung kostenlose
Teilnahmen für dieses Projekt. Zu den zwölf Gewinnern zählt auch die Schule Erlimatt in
Pratteln (BL).

                                                                                                                                                Dann geht es los: «Hallo! Mein Name
                                                                                                                                                ist Rebecca, mein Name ist Mara, und
                                                                                                                                                wir sind im Radio Pestalozziii», eröffnen
                                                                                                                                                sie die Sendung. Als die Mädchen fer­
                                                                                                                                                tig sind, macht die Anspannung einem
                                                                                                                                                stolzen Lächeln im Gesicht Platz.

                                                                                                                                                Die Kinder bilanzieren
                                                                                                                                                Von der angespannten Stimmung im
                                                                                                                                                Bus ist draussen wenig zu spüren. Wäh­
                                                                                                                                                rend den Pausen schwirren die anderen
                                                                                                                                                Kinder um das Radiomobil wie die Bie­
                                                                                                                                                nen um ihren Stock. Laufen Beiträge,
                                                                                                                                                hören sie aufgeregt zu, ein «psst» hier,
                                                                                                                                                ein «psst» da. Spielt zwischen den Bei­
                                                                                                                                                trägen die Musik, wird mitgewippt und
                                                                                                                                                mitgesungen. Die gute Stimmung reisst
                                                                                                                                                auch die angespannten Radiomodera­
                                                                                                                                                torInnen spätestens dann mit, wenn sie
                                                                                                                                                grinsend aus dem Bus steigen.

                                                                                                                                                «Jeder Mensch ist
                                                                                                                                                gleich und soll das
                                                                                                                                                Gleiche lernen.»
                                                                                                                                                                             Alicia, 12 Jahre

Heute senden die Kinder ihre selbst erarbeiteten Beiträge zu einem Kinderrecht aus dem Radio.
                                                                                                                                                So geht es auch Alisha. «Wir waren
                                                                                                                                                im Radio – wow!», sagt sie strahlend.
Einer der ersten Beiträge der Kinder             welche Sprache es spricht. Denn nicht             Auf los geht’s los                           Ernster wird ihr Gesicht, als sie erzählt,
aus dem Erlimattschulhaus ist ihr ge­            diskriminiert zu werden, ist eines jeden          Gleich ist es so weit – Mara und Re­         wieso sie Kinderrechte wichtig findet:
meinsames Schullied: «[...]Ob gross              Kindes Recht. Das wissen die Kinder               becca gehen auf Sendung. Die Bei­            «Es gibt viele Kinder, die keine schöne
oder chli oder dick oder dünn. Ob                am Erlimatt spätestens, seit sie sich für         träge, die sie live senden, haben sie in     Kindheit haben, weil sie zum Beispiel
schnäll oder langsam isch egal. Ob               das Projekt vorbereitet haben.                    der Klasse erarbeitet. Die Klasse hat        nicht in die Schule gehen können.» Da­
türkisch, englisch, serbisch, italienisch                                                          im Vorfeld ein Kinderrecht zugeteilt be­     rum sollten Kinder ihre Rechte kennen
und dütsch – mier alli verstönd eus                                                                kommen, dass die Kinder in den Beiträ­       und sich für diese starkmachen. Etwa
glich. Denn mier sind e Schuel, mier              «Auch wenn die Eltern                            gen unterschiedlich aufgreifen. Gerüs­       das Recht der Kinder, ihre Meinung zu
gsehnd uns jede Tag. Mier gönd mi­                mal Nein sagen, sollen                           tet mit Textblättern und sichtlich nervös,   sagen. «Auch wenn die Eltern mal Nein
tenand durch dick und dünn.» Leiden­                                                               warten sie im Bus auf ihren grossen          sagen, sollen Kinder sich trauen zu
                                                  Kinder sich trauen zu
schaftlich singen sie von ihrem Zusam­                                                             Auftritt. Sie gehen die Texte und den        sprechen», findet die 10-Jährige.
menhalt und davon, dass jedes Kind                sprechen.»                                       Ablauf nochmals gemeinsam durch,
Teil der Gemeinschaft sein darf. Egal,                                          Alisha, 10 Jahre   beides sitzt. Ihre letzten Vorbereitungen    Die 12-jährige Alicia hat im Unter­
woher es kommt, wie es aussieht oder                                                               bringen dennoch kaum Entspannung.            richt recherchiert, wie unterschiedlich         Alisha findet es wichtig, dass die Kinder ihre Rechte kennen und sich für diese stark machen.

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Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
| LIVEZEIT                                                                                                                               | GLEICHHEIT

                                                                                                                                         «Ob wir weiblich oder männlich sind,
                                                                                                                                         ist nur ein Teil unserer Identität»
                                                                                                                                         Veronica Gmünder

Schulsysteme sind. In ihrem Bericht             genommen und dazu eine Schweizer            dersetzung sehr wertvoll, denn nun           Das Thema Gender und Gleichberechtigung ist aktueller denn je. Längst überfällig ist eine tatsächliche
hat sie schliesslich das Schulwesen             Influencerin interviewt. Fokus war der      sind die Kinder für ihre Rechte besser       Gleichbehandlung aller Menschen, egal, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Die Stiftung
des Irans vertieft. Kinder seien bis zu         Artikel 6 der UN-Kinderrechtskonven­        sensibilisiert.                              Kinderdorf Pestalozzi hat sich dieses Thema daher zum Jahresschwerpunkt gesetzt. Doch was bedeutet
ihrem elften Lebensjahr schulpflichtig.         tion, der die Vertragsstaaten verpflich­                                                 Gender überhaupt und wie wird es in den Projekten in der Schweiz bereits heute umgesetzt?
Danach entscheiden die Eltern und               tet, das angeborene Recht jedes Kin­        Die Klasse hat im Projekt auch viel
nehmen vor allem Mädchen oft aus                des auf Leben zu wahren.                    über die Möglichkeiten des Mediums           Das Wort Gender kann sich auf das
der Schule. «Ich finde das nicht gut.                                                       Radio erfahren. Ein wichtiger Schritt        biologische oder das gesellschaftliche
Jeder Mensch ist gleich und soll das            Lehrerin Antje Kern hat beobachtet,         war, herauszufinden, worüber die Kin­        Geschlecht beziehen oder auf dessen
Gleiche lernen.»                                dass die Kinder vieles verstanden und       der berichten möchten und wie sie die        soziale Dimension. Damit sind unter
                                                in den Alltag übernommen haben.             Beiträge gestalten. «Wir haben viel Zeit     anderem die Rollen, Erwartungen,
                                                «Wenn die Kinder diskutieren, habe          investiert. Auch weil es uns Lehrperso­      Werte und Ordnungen gemeint, die an
«Die Klassen haben                              ich auch schon gehört ‹Hei, kannst du       nen und den Kindern wichtig war, in die      ein Geschlecht geknüpft sind.
sich intensiv mit                               aufhören? Ich habe ein Recht auf mei­       Radiowelt einzutauchen», erklärt Antje
                                                ne Meinung und darf sie sagen›.» Die        Kern. Die Lehrerin ist stolz: «Alle Kinder   Unser aller Vorurteile
den komplizierten
                                                Lehrerin findet, dass die Kinder die        waren mutig genug, vor das Mikrofon          Im vergangenen Jahr hat die Stif­
Kinderrechtsartikeln                            neu erlernten Rechte bisher unterein­       zu treten.» Es sei bereits ein langer        tung eine Gender-Richtlinie erlassen,
auseinandergesetzt und                          ander dem Sinn entsprechend umset­          Weg, sich Gedanken zu machen und             die zukünftig auf die Projekte im In-
diese verinnerlicht.»                           zen. Spannende Debatten seien auch          zu entscheiden, was man in die Welt          und Ausland Auswirkungen hat. Ei­
     Samantha Kuster, Pädagogin Radioprojekte
                                                während der intensiven Vorbereitun­         tragen wolle, findet Antje Kern. «Das        nen Schwerpunkt setzt die Stiftung
                                                gen entstanden, etwa über Demokra­          haben die Kinder verantwortungsvoll          Kinderdorf Pestalozzi dabei auf die
                                                tie. Antje Kern findet diese Auseinan­      und toll gemeistert.»                        Gleichstellung der Geschlechter. Dies
                                                                                                                                         bedeutet, dass Frauen und Männer,
Auch für Adem ist klar, dass Bildung                                                                                                     Mädchen und Jungen gleiche Bedin­
wichtig ist und jedes Kind zur Schu­                                                                                                     gungen, Behandlung und Chancen
le gehen soll. Er hat herausgefunden,
                                                 Was ist eigentlich «ida on air»?                                                        haben, ihr volles Potenzial zu entfal­
dass in Ghana zwei Drittel der Kinder                                                                                                    ten sowie das Leben mit allen Rech­
                                                 Im Radioprojekt «ida on air» gestalten Jugendliche ihre eigenen Radiosendungen
nicht zur Schule gehen können. «Das                                                                                                      ten und in Würde zu verwirklichen.
                                                 zu Gender und interreligiösen Themen. Dabei setzen sie sich mit Rollenbildern
finde ich überhaupt nicht gut», sagt der                                                                                                 «Gleichstellung ist ein zentrales The­
                                                 auseinander und reflektieren eigene sowie andere Weltanschauungen und
11-Jährige. Ohne Bildung bekomme                                                                                                         ma, das in unseren Workshops immer
                                                 Religionen. Das Projekt findet in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum
man schliesslich keinen Job. «In der                                                                                                     mitläuft», erklärt Pädagogin Barba­
                                                 Integration und Gleichstellung des Kantons St. Gallen statt und ist somit
Schweiz haben wir es auf jeden Fall                                                                                                      ra Germann. So spricht sie mit den
                                                 subventioniert.
besser.» Auch für Iso, Kevin und Rehad                                                                                                   Kindern und Jugendlichen beispiels­        Barbara Germann fördert in ihren Workshops die Vielfalt.
war das die Erkenntnis ihrer Radiore­                                                                                                    weise darüber, welche Vorurteile sie
                                                 «ida on air» geht Fragen rund um Homophobie und Transphobie, Identität
cherche: «Wir sollten es wertschätzen,                                                                                                   sogenannten Stereotypen gegenüber          Bewegungen zu beobachten; egal,                   Sie zeigt auf, wie das gesellschaftli­
                                                 und Werte, Gleichberechtigung und Diskriminierung, Stereotypen und Vielfalt,
in der Schweiz zu leben und zur Schule                                                                                                   haben. Dürfen sich nur Mädchen die         welchem Land oder welcher Kultur die              che Bild im Erwachsenenalter geprägt
                                                 Vorschriften und Rituale oder Religion und Weltanschauungen direkt an.
gehen zu können.»                                                                                                                        Fingernägel lackieren? Finden sie es       Jugendlichen angehören. «Mädchen                  wird.»
                                                 Damit trifft das Projekt den Kern der Zeit.
                                                                                                                                         fair, dass Jungen ihre Gefühle nicht       werden als hilflose, schwache, fast ein
Kinderrechte im Alltag                                                                                                                   offen zeigen sollten?                      bisschen dümmliche Wesen darge­                   Barbara Germann freut sich, wenn
                                                 Nicht nur das eigenständige Denken der Jugendlichen wird gefördert, sondern
Bilanz zieht auch die Radiopädagogin                                                                                                                                                stellt», sagt Barbara Germann.                    sich die Jugendlichen danach Ge­
                                                 auch ihre Sensibilität für gesellschaftliche Vielfalt und unterschiedliche
Samantha Kuster: «Die Klassen ha­                                                                                                        Rennen wie ein Mädchen                                                                       danken machen und Diskussionen
                                                 Lebensmodelle. Durch das Medium Radio übernehmen die Jugendlichen zudem
ben sich intensiv mit den komplizier­                                                                                                    In einem weiteren Schritt machen die       Das anschliessend gezeigte Video                  entstehen. Die starren, oftmals un­
                                                 Verantwortung für ihre Beiträge und erhalten eine Plattform, ihre Meinung zu
ten Kinderrechtsartikeln auseinander­                                                                                                    pädagogischen Fachkräfte sichtbar,         verdeutlicht diese oftmals unbewuss­              bewussten Meinungen werden so
                                                 äussern.
gesetzt und sie auch verinnerlicht.»                                                                                                     wie viel Einfluss die Vorurteile auf den   te Vorstellung vom Frausein noch­                 aufgeweicht und hinterfragt. Mit ihrer
So hätten sich einige Kinder mit dem                                                                                                     Selbstwert haben. Eine Übung be­           mals. Zudem wird ersichtlich, dass                Arbeit zeige sie auf, dass es in Ord­
                                                 Teilnehmen können Schulklassen, Gruppen der ausserschulischen Jugendarbeit,
Recht auf Freizeit beschäftigt und                                                                                                       steht darin, dass die Jugendlichen         bei jüngeren Kindern diese Bilder im              nung ist, verschiedene Aspekte zuzu­
                                                 Jugendverbände, Jugendorganisationen oder Kulturvereine aus dem Kanton
dieses mit den Gefahren von Online­                                                                                                      angeleitet werden, sich in bestimm­        Kopf meist noch nicht existieren: Für             lassen und auszuprobieren. «Wir sind
                                                 St. Gallen.
games in Zusammenhang gebracht.                                                                                                          ter Weise im Raum zu bewegen. Zum          sie bedeutet «wie ein Mädchen» noch               alle unterschiedlich und brauchen
Eine Gruppe Mädchen hat sich den                                                                                                         Beispiel zu rennen oder zu werfen wie      nichts; weder etwas Gutes noch et­                verschiedene Dinge. Ob wir weiblich
                                                 Mehr unter: pestalozzi.ch/ida-on-air
Themen       Teenieschwangerschaften                                                                                                     ein Mädchen. Es sei immer wieder er­       was Schlechtes. «Es ist eine sehr                 oder männlich sind, ist nur ein Teil un­
und Schwangerschaftsabbruch an­                                                                                                          staunlich, praktisch genau die gleichen    gute Übung für beide Geschlechter.                serer Identität.»

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Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
| ERBEN & VERERBEN

In Frieden (st)erben
Veronica Gmünder

Béatrice Heinzen Humbert ist Rechtsanwältin und Stiftungsrätin der Stiftung
Kinderdorf Pestalozzi. Sie berät in ihrem Alltag Klientinnen und Klienten
zum Thema Erben und Vererben. Im Interview gibt sie einen Einblick in ihre
Arbeit.

                                                                                         geht das Vermögen an den Kanton            Beweggründe sind unterschiedlich.            Testament oder Erbvertrag bedacht                                  Wo wird die Nachlasserklärung am
                                                                                         über. Konkubinatspartner gelten nicht      Es fällt jedoch auf, dass regelmäs­          werden. Ohne entsprechende Anord­                                  besten aufbewahrt?
                                                                                         als gesetzliche Erben.                     sig Institutionen begünstigt werden,         nungen gehen sie leer aus.                                         Es ist nicht empfehlenswert, ein Testa­
                                                                                                                                    mit deren Themen sich der Erblasser                                                                             ment zu Hause oder aber im eigenen
                                                                                         Welche Vorkehrungen können                 zu Lebzeiten bereits auseinanderge­          Der Bundesrat möchte im Rahmen                                     Bankschliessfach aufzubewahren. Je­
                                                                                         getroffen werden, damit nicht die          setzt hat.                                   der laufenden Erbrechtsrevision                                    der Kanton hat von Gesetzes wegen
                                                                                         gesetzliche Erbfolge angewandt                                                          die Pflichtteile reduzieren. Würde                                 eine Behörde bestimmt, die verpflichtet
                                                                                         wird?                                                                                   sich dadurch die Situation für                                     ist, das Testament zur Aufbewahrung
                                                                                         Ein Erblasser hat verschiedene Mög­        «Bei komplexen                               Konkubinatspaare verbessern?                                       zu übernehmen. In diversen Kantonen
                                                                                         lichkeiten, den Nachlass zu regeln.        Sachverhalten                                Mit der Revision des Erbrechts sollen                              ist es die Wohnsitzgemeinde.
                                                                                         Er kann mit einem Ehevertrag, einem                                                     die Pflichtteile für die Kinder reduziert
                                                                                         Erbvertrag, einem Testament, einer
                                                                                                                                    empfiehlt es sich,                           werden und jene der Eltern wegfallen.                              Was empfiehlst du unseren
                                                                                         lebzeitigen Schenkung oder einer Be­       eine Fachperson                              Dies hat zur Folge, dass mit der Re­                               Spendenden?
                                                                                         günstigung durch Versicherungen von        beizuziehen, um                              vision des Erbrechtes Konkubinats­                                 Das Testament sollte klar und einfach
                                                                                         der gesetzlichen Erbfolge abweichen.       so sicherzugehen,                            partner im Rahmen der freien Quote                                 formuliert sein. Es ist ferner wichtig,
                                                                                         Der Pflichtteil ist dabei jedoch zu res­                                                stärker begünstigt werden können.                                  die Formvorschriften zu beachten. Bei
                                                                                         pektieren.
                                                                                                                                    dass der letzte Wille                        Dabei gilt jedoch zu beachten, dass                                komplexen Sachverhalten empfiehlt es
                                                                                                                                    nach dem Tod auch                            Begünstigungen an den Konkubinats­                                 sich, eine Fachperson beizuziehen, um
                                                                                         Was bedeutet das?                          umgesetzt wird.»                             partner der Erbschaftssteuer unter­                                so sicherzugehen, dass der letzte Wille
                                                                                         Wer stirbt, kann nicht völlig frei ent­                      Béatrice Heinzen Humbert
                                                                                                                                                                                 liegen.                                                            nach dem Tod auch umgesetzt wird.
                                                                                         scheiden, was nach dem Tod mit sei­
                                                                                         nem Vermögen geschehen soll. Das
                                                                                         Erbrecht schützt die direkten Nach­
                                                                                         kommen, den überlebenden Ehegatten         Was ist der Unterschied zwischen
                                                                                         und bei Kinderlosigkeit die Eltern des     einem Testament und einem
                                                                                         Erblassers. Der Gesetzgeber schreibt       Legat?
                                                                                         vor, dass diesen Pflichtteil geschützten   Mit einem Legat wendet der Erblas­
                                                                                         Erben eine bestimmte Erbquote zuzu­        ser einem Bedachten, wie beispiels­
                                                                                                                                                                                                                            Ja, ich bestelle unverbindlich ein kostenloses
                                                                                         weisen ist (Ausnahme Enterbung). Mit       weise der Stiftung Kinderdorf Pesta­
                                                                                                                                                                                                                          Exemplar des Nachlassratgebers
                                                                                         einer letztwilligen Verfügung beispiels­   lozzi, einen bestimmten Sach- oder
                                                                                         weise kann der Erblasser diese Erben       Vermögenswert zu. Der Legatnehmer
                                                                                                                                                                                                                          Viele Menschen bedenken die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi in ihrem
                                                                                         auf das gesetzliche Minimum setzen.        ist nicht Erbe und damit nicht Teil der
                                                                                                                                                                                                                          letzten Willen. Dafür sind wir ausserordentlich dankbar.
                                                                                                                                    Erbengemeinschaft. Er hat gegen­
                                                                                         Wann ist es sinnvoll, ein Testament        über der Erbengemeinschaft einen
                                                                                         zu schreiben?                              Anspruch auf Herausgabe des Le­
Béatrice Heinzen Humbert berät Klientinnen und Klienten zum Thema Erben und Vererben.    Will der Erblasser von der gesetzli­       gats. Im Gegensatz zu den Erbinnen                Vorname
                                                                                         chen Erbfolge abweichen, braucht es        und Erben haftet der Legatnehmer
Béatrice, wie sieht die gesetzliche               der Erblasser keinen Ehepartner be­    zwingend eine letztwillige Verfügung       nicht für die Schulden des Verstor­               Name
Erbfolge aus?                                     ziehungsweise eingetragene Partner­    oder aber einen Erbvertrag.                benen.
Die Hinterbliebenen erben nach ei­                Innen und/oder Nachkommen, erben                                                                                                    Strasse, Nr.
ner vom Gesetz vorgeschriebenen                   die Eltern und/oder ihre Nachkom­      In der Schweiz werden in diesem            Wie können sich unverheiratete                    PLZ, Ort
Reihenfolge. An erster Stelle treten              men. Existieren auch sie nicht, kom­   Jahr 95 Milliarden Franken vererbt.        Paare schützen?
der überlebende Ehepartner oder                   men die Grosseltern und/oder deren     Ein Teil davon geht an Stiftungen.         Konkubinatspartner sind keine ge­                 Telefon, E-Mail
die eingetragenen PartnerInnen und/               Nachkommen zum Zuge. Wenn keine        Was sind die Gründe dafür?                 setzlichen Erben und erben daher
oder die Nachkommen. Hinterlässt                  dieser Verwandten vorhanden sind,      Das ist schwierig zu beantworten. Die      nur, wenn sie beispielsweise in einem            Einsenden an: Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, Spenderservice, Kinderdorfstrasse 20, 9043 Trogen

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Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
| AUSTAUSCH

Kulturschock macht Lust auf mehr
Christian Possa

Zuerst ist sie überfordert, dann will sie nicht mehr nach Hause zurück. Yllza besuchte
2017 das Summer Camp im Kinderdorf und hat dort zwei Wochen erlebt, die ihr Leben
verändert haben. Drei Jahre später kehrt die 19-Jährige als Betreuerin einer Gruppe
nach Trogen zurück.

Yllza wächst in Pershefce auf. Das Dorf          sich mit anderen Nationalitäten auszu­    beflügelt vom Austausch mit den ande­      denken, findet Metin Muaremi. «Vor­          Kinderdorf in ihre Arbeit einfliessen     teilnehmen. Dies habe sie vorgängig
im Nordwesten Nordmazedoniens liegt              tauschen. Als Yllza 2017 am Summer        ren Jugendlichen und der vertrauens­       her war sie jemand, der sich um nichts       lassen. «Die Zeit hier hat mir gehol­     natürlich schon beschäftigt, jedoch
keine zehn Kilometer Luftlinie von Koso­         Camp teilnimmt, ist sie anfangs von       vollen Beziehung zu den Pädagoginnen       kümmerte und einfach genoss. Jetzt           fen, da ich am eigenen Leibe erfuhr,      sei sie von der Gruppe gut akzeptiert.
vo entfernt. 99 Prozent der Bevölkerung          der Vielfalt im Kinderdorf überfordert.   und Pädagogen – eine beeindruckende        ist sie viel verantwortungsbewusster.»       wie man mit Kindern umgehen kann.»        Metin Muaremi erklärt, dass man den
sind Albanerinnen und Albaner. Umge­             «Als ich ankam, weinte ich und wollte     Kehrtwende hin. Sie öffnete sich, wur­     Diese Einschätzung teilt die 19-Jährige      Blickt die junge Erwachsene auf ihren     Teilnehmenden bewusst nicht nur eine
ben von dieser ethnischen Homoge­                nach Hause zurück», erinnert sie sich.    de gesprächiger und lernte viel darüber,   und ergänzt: «Ich habe viel mehr posi­       Aufenthalt in Trogen zurück, kommt        Perspektive des Lernens oder einen
nität und aufgewachsen in einem sehr             Ihr heutiger Chef Metin Muaremi spricht   mit Konflikten umzugehen und Lösun­        tive Energie und ich habe viel weniger       sie immer wieder auf die Menschen zu      Ansatz, Dinge zu regeln, zeigen wolle.
konservativen Elternhaus, bieten sich            gar von einem Kulturschock. Doch          gen zu finden. Sie habe sich komplett      Vorurteile gegenüber Menschen, die ich       sprechen, die sie so unerwartet offen     «Ich bin vielleicht autoritärer, aber sie
der Jugendlichen kaum Möglichkeiten,             schon nach wenigen Tagen legte sie –      verändert, gerade auch in ihrer Art zu     nicht kenne.»                                empfangen haben. Und sie schwärmt         ist freundlicher, und dadurch werden
                                                                                                                                                                                   von der positiven Energie, die ihr da­    ihr die Kinder mehr erzählen als mir.»
                                                                                                                                      Abschied und Neuanfang                       maliges noch kindliches und naives
                                                                                                                                      Je näher das Ende des Summer Camp            Ich so beflügelt hat. «Ich will diesen
                                                                                                                                      rückte, desto mehr widerstrebte Yllza        Pestalozzi-Spirit in meinem Herzen        «60 bis 70 Prozent
                                                                                                                                      die Vorstellung, nach Hause zurück­          behalten.»                                der Jugendlichen
                                                                                                                                      kehren zu müssen. Metin Muaremi, Di­
                                                                                                                                                                                                                             werden zu Hause
                                                                                                                                      rektor der Partnerorganisation Center        Bewährungsprobe bestanden
                                                                                                                                      for Education and Development (CED),         Als Direktor von CED erlebt Metin         aktive Bürgerinnen
                                                                                                                                      weilte in jenem Jahr nicht als Begleiter     Muaremi aus unmittelbarer Nähe,           und Bürger und führen
                                                                                                                                      in Trogen, hatte aber bemerkt, dass          wie sich Yllza persönlich weiterent­      Organisationen an.»
                                                                                                                                      Yllza die Heimkehr schwerfiel. Als sich      wickelt – wie sie zusammen mit zwei
                                                                                                                                                                                                                                              Metin Muaremi, Direktor CED
                                                                                                                                      die Jugendliche an die nordmaze­             Freiwilligen ein ganzes Sommercamp
                                                                                                                                      donische Organisation wendete, bot           durchführt, wie sie mit den Menschen
                                                                                                                                      er ihr an, als Freiwillige mitzuwirken.      umgeht. Sie sehe die Welt jetzt an­       Einig sind sich die beiden auch da­
                                                                                                                                      «Das Summer Camp wird zu Ende ge­            ders, findet er. «Mit der Arbeit in der   rin, dass die Austauschprojekte im
                                                                                                                                      hen, aber du kannst eine andere Art          Organisation und durch ihre neue          Kinderdorf eine nachhaltige Wirkung
                                                                                                                                      finden, um damit fortzufahren: hier in       Art zu denken und Dinge zu verste­        im Heimatland entfalten. Die Projekte
                                                                                                                                      Nordmazedonien.»                             hen, hat sie auch ihre Gesellschaft       würden die Art zu denken verändern,
                                                                                                                                                                                   beeinflusst.» Aus der schüchternen        sagt Yllza. «Als ich zurückkehrte, hat­
                                                                                                                                                                                   Jugendlichen ist eine selbstbewusste      te ich viele Ideen, was ich tun oder
                                                                                                                                      «Ich will diesen                             junge Erwachsene geworden, die ih­        wie ich arbeiten wollte.» CED bringt
                                                                                                                                      Pestalozzi-Spirit                            rem Ziel, ins Kinderdorf zurückzukeh­     seit zehn Jahren jährlich 40 Jugendli­
                                                                                                                                                                                   ren, ein grosses Stück näher gerückt      che für einen Austausch nach Trogen.
                                                                                                                                      in meinem Herzen                             ist. «Als ich 2017 nach Hause ging,       «Die Erfahrung zeigt, dass 60 bis 70
                                                                                                                                      behalten.»                                   sagte ich: Ich will wieder nach Trogen    Prozent zu Hause aktive Bürgerinnen
                                                                                                                                                                           Yllza   gehen, wieder und wieder.» Dass es        und Bürger werden und Organisatio­
                                                                                                                                                                                   jetzt so weit ist, freut sie ungemein.    nen anführen», so Metin Muaremi. Als
                                                                                                                                                                                   Gross ist auch ihre Begeisterung, Da­     Beispiel nennt er nationale, ethnisch
                                                                                                                                      Yllza kniet sich bei CED voll rein und       niel und Pascal wiederzutreffen. Jene     gemischte Studentenorganisationen,
                                                                                                                                      steigt von der freiwilligen Mitarbeiterin    Pädagogen, die damals dafür gesorgt       Leseclubs oder Webradios. «Wenn je­
                                                                                                                                      zur Jugendkoordinatorin auf. In dieser       hätten, dass sie sich so willkommen       mand, der ein Teil von uns war, etwas
                                                                                                                                      Funktion ist sie Ansprechpartnerin für       gefühlt habe.                             weitermacht und die Arbeit auf eine
                                                                                                                                      alle ehrenamtlichen Helferinnen und                                                    andere Art fortführt, motiviert mich
                                                                                                                                      Helfer. Da CED auch Camps für Kin­           Mit ihren 19 Jahren ist Yllza nur we­     das sehr.»
                                                                                                                                      der und Jugendliche anbietet, kann           nig älter als die Jugendlichen, die
2017 noch Teilnehmerin, 2020 bereits Betreuerin: Yllza aus Nordmazedonien.                                                            Yllza eigene Erfahrungen aus dem             am Austauschprojekt im Kinderdorf

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Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
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                                                                                                                                                                                                                             | AGENDA
Einen Gegenpol zur digitalen Welt aufbauen
Lina Ehlert
                                                                                                                                                                                                                             Veranstaltungen
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An der Fachtagung für Medienpädagogik im Kinderdorf Pestalozzi
haben sich Fachpersonen über Medienkompetenz im Unterricht                                                                                                                                                                   Öffentliche Führungen
ausgetauscht. Florian Karrer, Leiter der Fachtagung, spricht im                                                                                                                                                              Jeweils am ersten Sonntag des Monats,
Interview über Herausforderungen, Gefahren und Lösungsansätze.                                                                                                                                                               14.00 bis 15.00 Uhr

                                                                                                                                 kompetenz proaktiv anzugehen. Und         phone fehlt, geht es meistens um die              Nächste Daten:
                                                                                                                                 zu guter Letzt: Das Internet ist auch     gleichen Themen: Identität, Selbst­               5. April und 3. Mai
                                                                                                                                 ein Ort mit nicht adäquaten Inhalten,     wertgefühl und Ängste. «Ich höre                  weitere Führungen auf Anfrage
                                                                                                                                 vor denen Kinder und Jugendliche          meine Freunde nicht, ich bin nicht im
                                                                                                                                 geschützt werden müssen. Dafür            Chat, ich kriege das nicht mit.»                  Öffnungszeiten
                                                                                                                                 müssen sowohl Erwachsene als auch                                                           Montag bis Freitag    8.00 bis 12.00 Uhr
                                                                                                                                 Kinder und Jugendliche sensibilisiert     Ähnliche Übungen machst Du                                             13.00 bis 17.00 Uhr
                                                                                                                                 werden.                                   auch während der Radioprojekte                    Sonntag              10.00 bis 16.30 Uhr
                                                                                                                                                                           mit den Kindern. Woran merkst
                                                                                                                                 Was sind das für Gefahren?                Du, dass sie ihr Medienverhalten                  Eintrittspreise
                                                                                                                                 Referentin Maya Götz, Medienwissen­       verändern?                                        Erwachsene CHF 8.–
                                                                                                                                 schaftlerin und Medienpädagogin am        Bei einem solchen gemeinsamen Aus­                Gruppen ab 10 Erwachsenen CHF 6.–
                                                                                                                                 internationalen Zentralinstitut für das   tausch in der Gruppe passiert ganz                AHV/Studierende/Lernende CHF 6.–
                                                                                                                                 Jugend- und Bildungsfernsehen in          viel. Es entsteht ein Bewusstsein für             Kinder ab 8 Jahren CHF 3.–
                                                                                                                                 München, hat an der Fachtagung sehr       die eigene Mediennutzung und deren                Familien CHF 20.–
                                                                                                                                 eindrücklich über die von den Medien      Wirkung auf das eigene Leben. Die
                                                                                                                                 vermittelten Rollenbilder gesprochen.     Kinder beginnen zu reflektieren, und              Kostenlos für Mitglieder des
                                                                                                                                 Dabei geht es zum Beispiel um ver­        sie bemerken, dass die anderen Kin­               Freundeskreises, des Corti-Kreises,
                                                                                                                                 zerrte weibliche und männliche Kör­       der mit ähnlichen Herausforderungen,              für Patinnen und Paten der Stiftung
                                                                                                                                 perbilder, die vor allem in Serien und    Problemen und Ängsten in Zusam­                   Kinderdorf Pestalozzi, für Raiffeisen-
                                                                                                                                 Filmen propagiert werden. Normale         menhang mit Medien zu kämpfen ha­                 Mitglieder sowie NutzerInnen der
                                                                                                                                 Menschen können die dargestellten         ben. Schliesslich gehen sie mit einer             KulturLegi.
                                                                                                                                 Körperproportionen gar nicht erfüllen,    neuen Perspektive aus den Übungen
                                                                                                                                 das wäre krankhaft. Dennoch werden        und nutzen Smartphones und Medien                 Kontakt
                                                                                                                                 sie in den Medien als Idealbild darge­    allgemein bewusster.                              www.pestalozzi.ch/besucherzentrum
                                                                                                                                 stellt. Auf der psychologischen Ebene                                                       Tel. +41 71 343 73 12
                                                                                                                                 geben diese Körperbilder den jun­                                                           besucherzentrum@pestalozzi.ch
                                                                                                                                 gen Menschen ein ständiges Gefühl,
                                                                                                                                 nicht zu genügen. Zudem kann man                                                            Sonderausstellung
                                                                                                                                 auf den sozialen Medien sehr schnell                                                        «Frieden in 17 globalen Zielen»
Podiumsgespräch mit Maya Götz, Sarah Genner, Nina Waldhier und Martin Hofmann.                                                   jemanden blossstellen. Verletzungen                                                         27. Mai bis 27. September 2020
                                                                                                                                 werden breitenwirksam in die Masse
Florian, warum braucht es die                   schaft auseinandersetzen. Mit der      phone sollte sinnvoll in den Unterricht   gestreut. Und das Netz vergisst nicht.                                                      17 globale Ziele der UNO (SDGs) werden
Fachtagung Medienpädagogik                      Fachtagung wollen wir Sensibilisie­    integriert sein, und es sollte Regeln                                                                                                 in 17 kreativ und kunstvoll arrangierten
überhaupt?                                      rungsarbeit leisten. Und somit auch    geben, welche das Miteinander för­        Wie können Lehrpersonen die                                                                 Anschauungsbildern des jungen Luzerner
Wir haben in den Radioprojekten an              die Kinder schützen.                   dern. Häufig wissen die Kinder und        Medienkompetenz im Unterricht                                                               Fotografen Dario Lanfranconi dargestellt.
den Schulen gemerkt, dass die Lehr­                                                    Jugendlichen auch schon viel mehr         fördern?
personen mit den sozialen Medien                Welche Herausforderung bringen         über den Gebrauch des Smartphones         Lehrpersonen können versuchen,
sehr gefordert sind. Die Kinder ha­             digitale Medien für Lehrpersonen       als die Erwachsenen. Viele Lehrper­       einen analogen Gegenpol zur digita­
ben immer früher digitale Geräte im             mit sich?                              sonen sind damit überfordert.             len Welt aufzubauen. Zum Beispiel in
Unterricht dabei. Das beeinflusst den           Die grösste Herausforderung ist wohl                                             Form eines Experiments, bei dem die
Schulalltag massiv. 90 Prozent der              die Omnipräsenz des Smartpho­          Kommt an dieser Stelle die                ganze Klasse bewusst eine Woche auf
Jugendlichen sind zudem mehrere                 nes, vor allem ab der Oberstufe. Die   Fachtagung ins Spiel?                     das Smartphone verzichtet. Die Er­
Stunden am Tag im Netz. Mit dieser              Lehrpersonen sind gefordert, einen     An der Fachtagung wollen wir die          fahrungen können dann gemeinsam
Realität müssen wir uns als Gesell­             Umgang damit zu finden. Das Smart­     Lehrpersonen ermutigen, Medien­           reflektiert werden. Wenn das Smart­       Florian Karrer, Leiter Kinder- und Jugendradio.

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Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
| KURZ VOR SCHLUSS

                                                                                                 Während des bald 75-jährigen Bestehens der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi sind viele                    Wortsuchspiel
                                                                                                 Kinderzeichnungen entstanden. Einen dieser Archivschätze stellen wir Ihnen an dieser                    Finden Sie die zehn Wörter und gewinnen
                                                                                                 Stelle vor.                                                                                             Sie mit etwas Glück eine Virtual-Reality-
                                                                                                                                                                                                         Brille der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi.
                                                                                                                                                                                                         Unter allen richtigen Einsendungen
                                                                                                                                                                                                         werden drei Brillen verlost.

                                                                                                                                                                                                         Gesucht sind:
                                                                                                                                                                                                         CHANCEN, BIENEN, GENDER, IDA,
                                                                                                                                                                                                         VERTRAUEN, NEUGIERDE, GEHEIMNIS,
                                                                                                                                                                                                         ERBE, ENERGIE, FRÜHLING

                                                                                                                                                                                                          G    E    N    D     E    R    B    G    N    C
                                                                                                                                                                                                          M    Z    E    A     R    E    L    E    T    H
                                                                                                                                                                                                          G    L    U    C     B    R    U    H    E    A
                                                                                                                                                                                                          N    E    A    A     E    G    N    E    I    N
                                                                                                                                                                                                          I    L    R    U     I    E    N    I    G    C
                                                                                                                                                                                                          L    E    T    E     D    E    S    M    R    E
                                                                                                                                                                                                          H    C    R    U     B    I    E    N    E    N
                                                                                                                                                                                                          Ü    D    E    G     F    D    S    I    N    I
                                                                                                                                                                                                          E    N    V    E     Y    A    T    S    E    T
                                                                                                                                                                                                          F    R    Ü    H     L    I    N    G    C    S
                                                                                                 Chimi
                                                                                                                                                                                                         Teilnahmeschluss ist der 30. April 2020.
                                                                                                                                                                                                         ­E insendungen an: Stiftung Kinderdorf Pestalozzi,
                                                                                                 | AUS DEN MEDIEN                                                                                         Wortsuchspiel, Kinderdorfstrasse 20, 9043 Trogen.
                                                                                                                                                                                                          Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

                                                                                                                                                                            Gemeindeblatt Speicher, publiziert am 23.12.2019

                                                                                                   Laptops & Co.
                                                                                                                                                                       nicht mehr verwenden? Dann
                                                                                                   Haben Sie einen Laptop, ein Smartphone oder Tablet, welche s Sie
                                                                                                                                                                  funktio nstüchtig und reicht sie an
                                                                                                   spende n Sie es! Labdoo macht ausgediente Geräte wieder
                                                                                                                                                            n so einen besser  en Zugang zu Bildung.
                                                                                                   Kinder in Entwicklungsländern weiter. Die Kinder erhalte
                                                                                                                                                              um, Kinder dorfstr asse 20, 9043 Trogen.
                                                                                                   Abgabestelle Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Besucherzentr

                                                                                                   Ja, ich übernehme eine Patenschaft für das Kinderdorf Pestalozzi!                                      | IMPRESSUM
Einsenden an: Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, Patenschaften, Kinderdorfstrasse 20, 9043 Trogen

                                                                                                                                                                                                           Herausgeberin:
                                                                                                 Ja, ich übernehme eine Patenschaft für das Kinderdorf Pestalozzi in Trogen. Kinder und Jugend-            Stiftung Kinderdorf Pestalozzi,
                                                                                                 liche aus der Schweiz und dem Ausland kommen hier in interkulturellen Austauschprojekten                  Kinderdorfstrasse 20, 9043 Trogen
                                                                                                                                                                                                           Telefon: +41 71 343 73 29, info@pestalozzi.ch
                                                                                                 zusammen. Dank pädagogisch begleiteten Begegnungen setzen sich die jungen Menschen mit                    Redaktion: Lina Ehlert, Veronica Gmünder,
                                                                                                 wichtigen Themen wie Gleichstellung, Diskriminierung, Anti-Rassismus, Zivilcourage oder Kin-              Carolin Hofmann, Milena Palm, Christian
                                                                                                 derrechten auseinander. Dabei lernen sie, Menschen anderer Herkunft offener zu begegnen,                  Possa, Thomas Witte
                                                                                                                                                                                                           Bildnachweis: Archiv Stiftung Kinderdorf
                                                                                                 Vorurteile zu überdenken und Konflikte friedlich und mit dem nötigen Respekt zu lösen.                    Pestalozzi
                                                                                                                                                                                                           Gestaltung und Satz: one marketing, Zürich
                                                                                                                                                                                                           Druck: CH Media Print AG
                                                                                                                                                                                                           Ausgabe: 02/2020
                                                                                                   Als Patin oder Pate überweise ich jährlich den Betrag von mindestens CHF 180.–.                         Erscheint: viermal jährlich
                                                                                                                                                                                                           Auflage: 50 000 (geht an alle SpenderInnen)
                                                                                                   Mein freiwillig höherer Beitrag: CHF                                                                    Abo-Beitrag: CHF 5.– (wird mit der Spende
                                                                                                                                                                                                           verrechnet)
                                                                                                 Vorname, Name

                                                                                                 Strasse, Nr.

                                                                                                 PLZ, Ort

                                                                                                 Telefon, E-Mail
Magazin - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
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