"Love makes a family" - Elternthemen im Horoskop
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Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 „Love makes a family“ – Elternthemen im Horoskop Kinder haften für ihre Eltern Kriegen Kinder die Eltern, die sie verdienen? Wir alle kennen die schrecklichen Geschichten von Missbrauch und Gew alt gegen Kinder, w ie sie in regelmäßigen Abständen durch die Medien geistern und uns am Guten im Menschen zw eif eln lassen. Um erschütternder ist es dann, w enn w ir wissen, dass die meisten Gew altverbrechen an Kindern von den eigenen Familienangehörigen getan w erden: es sind die Mütter, Väter, Onkel, Tanten, w elche die kindliche Wehrlosigkeit und Angst ausbeuten, ihre eigenen Kinder prügeln, schlagen, psychisch unterdrücken und sexuell missbrauchen. Der Vergewaltiger kommt meist aus der eigenen Familie. Kriegen Kinder die Eltern, die sie verdienen? Unter diesen Gesichtspunkten scheint die Frage an sich schon das Leiden der Kinder zu verhöhnen. Und dennoch lesen w ir, man könne „den Eltern nicht w irklich moralische Vorwürfe machen, w enn Vernachlässigung, Zurückw eisung, Härte, Abw esenheit, dominierendes Wesen oder Mangel an Verständnis … psychologische Konflikte nach sich gezogen zu haben scheinen. Solche Faktoren hinterlassen sicherlich ihre Spuren, und oft kommt es im Namen der Liebe zu großer Brutalität.“ 1 Greene begründet dies damit, dass das Kind etw as Eigenes in das Leben mitbr ingt und dem Verhalten der Eltern „auf halbem Weg“ entgegenkommt. Tatsächlich erw eckt sie den Eindruck, dass das Kind selbst die Ursache für die Art und Weise, w ie es behandelt w ird, mitbringt und gew is sermaßen eine bestimmte Behandlung seitens der Eltern „auslöst“. Anders gesagt: das Kind trägt zumindest eine Mitschuld an dem, w as ihm angetan w ird. Selbst w enn Greene nicht bis in das Extrem der Kindesmißhandlung geht, zeigt ihre Haltung bereits den Kern der gesamten Eltern-Kind- Problematik im Horoskop. Wenn w ir einen Erw achsenen in der Beratung vor uns haben, ist der Fall w esentlich einfacher: Was auch immer ihm passiert sein mag, w ir können in seinem Leben Ankerpunkte der Selbstverantw ortung setzen. Wir können ihm sagen, daß er die Situation, in der er lebt, vielleicht nicht selbst ausgesucht hat, aber er kann sie ändern, indem er sein Leben selbst in die Hand nimmt. Und Kinder? Können Kinder ihr Leben selbst in die Hand nehmen? Wie viel Wahl und freie Entscheidung haben sie? Kann ein Kind seine Eltern abw ählen, 1 Liz Greene, Kosmos und Seele. Frankfurt/Main 1991. S. 186 - Seite 1 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 wie w ir unsere Politiker abw ählen können, w enn w ir nicht mit ihnen zufrieden sind? Kann ein Kind einfach seine Siebensachen packen und sich ein neues Zuhause suchen, so w ie wir den Wohnort oder den Arbeitsplatz w echseln? Wir stoßen an eine Grenze der Astrologie: w ir stoßen an die Frage, ob und w ieweit w ir unser Leben selbst verschuldet haben und eine bestimmte Behandlung sogar nötig haben. Es ist eine heikle Frage und die berührt die Grundfesten der Horoskopdeutung, denn das Horoskop ist der deutlichste Beleg dafür, dass wir nicht als unbeschriebenes Blatt Papier auf die Welt kommen, sondern dass da etw as ist, w as w ir mitgebracht haben und das nur w ir zu verantw orten haben. Auch unsere Eltern stehen in unserem Horoskop. Wenn w ir also unser Horoskop in das Leben mitbr ingen – haben wir dann auch die Eltern bekommen, die wir verdienen? Eine mögliche Antw ort auf diese Frage hängt im Wesentlichen davon ab, w as w ir uns darunter vorstellen, w enn w ir sagen, dass wir etwas Eigenes in das Leben mitgebracht haben. Anhänger der Kar malehre, insbesondere theosophischer Ausprägung, w erden keine Schw ierigkeiten haben festzustellen, daß Alles, w as wir in diesem Leben ernten, in einem früheren gesät w orden sein muss – alles Leid, alles Unrecht, das w ir jetzt ertragen müssen, ist im Grunde selbst geschaffen. Dieser Fatalismus aber w iderspric ht dem menschlichen Unrechtsempfinden und propagiert in letzter Instanz, sich nicht in das Schicksal anderer einzumischen, da es sie ja nicht anders gew ollt haben. Welchen Sinn aber macht dann Astrologie, w enn es soundso kein Entrinnen gibt? Es ist hier nicht die richtige Stelle, um das Für und Wider von Kar ma zu diskutieren – doch sollten w ir uns bew usst machen, w as das Postulat des selbst geschaffenen Leidens für die Interpretation eines Kinderhoroskops bedeutet, und natürlich w elchen Blickw inkel dieses Postulat auf das Wesen der Eltern öffnet. Sind wir die Kinder unserer Eltern? Andererseits gilt aber auch: Sind w ir w ir klich nur die Kinder unserer Eltern? Alle unsere Probleme und Einstellungen zum Leben gelten zu einem großen Teil als Produkt unserer Erziehung und damit entspringen w ir nicht nur den Körpern unserer Eltern, sondern auch ihrem Geist. Doch dies ist nur dann möglich, w enn w ir davon ausgehen, daß ein Kind als unbeschriebenes Blatt Papier auf die Welt kommt, als "tabula rasa". In dieses ungeprägte formlose Wesen w ürde dann jeder Einfluß aus der Umw elt seinen Stempel drücken und so die Bestimmung des w eiteren Lebens bedingen. Diese Vorstellung macht uns zu wehrlosen Opfern von Prägungen durch unsere Umw elt, und unsere Umw elt, - Seite 2 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 insbesondere aber die Mütter, zu Alleinverantw ortlichen für das, was aus uns wird. Viele Menschen sind heute damit beschäftigt, ihre Eltern als "Schuldige" für unser unglückliches Leben zu entlarven. Das Horoskop aber erzählt eine andere Geschichte: das Horoskop entsteht in jenem Augenblick, an dem w ir das Licht der Welt erblicken – und es ist da, bevor w ir uns entfalten und bevor w ir uns als unabhängiges Lebew esen von der Umw elt prägen lassen. Dieses Horoskop zeugt davon, daß w ir nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt gekommen: w ir bringen etw as Unverw echselbares mit in dieses Leben, w elches sich nicht passiv den Einflüssen aus seiner Umw elt aussetzt, sondern sich aktiv mit ihnen auseinandersetzt und seinerseits seinen Stempel der Umw elt aufdrücken möchte. Der griechische Philosoph Platon erzählt folgenden Mythos: „Die Seele jedes Menschen bekommt, bevor sie das Licht der Welt erblickt, einen einzigartigen Daimon als Begleiter, und sie w ählt ein Bild oder ein Muster, nach w elchem wir auf der Erde leben. Dieser Seelengefährte, der Daimon, führt uns im Leben; im Prozeß unserer Ankunft vergessen wir jedoch leider alles, w as sich ereignete, und glauben, daß w ir leer in die Welt kommen. Der Daimon erinnert uns daran, w oraus sich unser Bild zusammensetzt und w as zu unserem Muster gehört, und daher ist unser Daimon der Träger unseres Schicksals.“2 Aus der Sichtweise dieses Mythos erhält das Horoskop eine neue Dimension: es ist nichts anderes als ein Abbild jenes Musters, w elches sich die Seele für ihr Leben ausgesucht hat. Der Daimon aber ist das Sprachrohr dieses Musters und seine Stimme hören w ir jedesmal, w enn es darum geht, unseren Auftrag zu erfüllen. Die Stimme des Daimon und der Plan des Kindes Der Daimon erhebt seine Stimme schon sehr früh: er äußert sich in den Wünschen und Träumen der Kindheit, die Erw achsenen manchmal so seltsam und naiv vorkommen. Dennoch sind es gerade diese merkw ürdigen Begebenheiten, in w elchen Eltern das eigene Kind ganz fremd vorkommt, in denen der Daimon am deutlichsten auf die Berufung eines Menschen aufmer ksam machen möchte. Gerade in der Kindheit, w enn w ir noch so gar keinen Bezug zur Realität besitzen und w ir noch keine Mittel haben, uns zu verwirklichen, w eil w ir erst werden, was wir sind, kann die Ausdrucksweise des Daimon schnell von Erw achsenen mißverstanden w erden: dann 2 James Hillman, Charakter und Bestimmung, Goldmann 1998. S. 21. - Seite 3 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 sehen w ir in dem ungew öhnlichen und besonderen Verhalten unserer Kinder eine Abweichung von der Norm, eine unangenehme Störung. Und doch ist es gerade diese unerklärliche „Störung“, in der sich oftmals der innere Ruf eines Menschen auf ungeschickte und naive Weise seinen Weg in die Welt sucht. Die fatale Konsequenz ist allzu häufig, daß w ir das Außergew öhnliche beschneiden, es reglementieren und maßregeln, anstatt darin die ersten unbeholfenen Ausdrucksweisen des Daimon und damit des im Kind angelegten Lebensmusters sehen. Das Horoskop kann uns helfen, diese Besonderheit zu verstehen: es hilft, uns die Einzigartigkeit des Kindes vor Augen zu führen und dadurch diese ungew öhnlichen Situationen zu begreifen. Mit Hilfe des Horoskops sind w ir dann in der Lage, destruktive Äußerungen des Daimon zu vermeiden, w eil w ir nun die Bedingungen er kennen können, unter denen sich das Muster des Lebens optimal entfalten kann. Die Theorie vom Daimon hilft uns zu verstehen, daß Kinder bereits einen Plan verfolgen, wenn sie auf die Welt kommen. Eltern und Erzieher sind Teil dieses Planes – nicht umgekehrt das Kind Teil des Planes der Eltern. Daraus darf nicht, w ie eingangs bereits betont w urde, der Schluß gezogen w erden, Kinder hätten sich ihre Eltern „ausgesucht“ – und damit ihr möglicherw eise unglückliches Schicksal gew ollt. An dieser Stelle sollten w ir uns immer vergegenw ärtigen, daß auch für Eltern das Kind eine Herausforderung an die eigene Persönlichkeit sein muß. Viele Erw achsenen gehen davon aus, daß sie ihren Kindern etw as beibringen, w ährend sie sich selbst als bereits vollständig entw ickelt sehen – die ist ein folgenreicher Trugschluß. Die Erfahrung zeigt, daß auch Kinder Lehr meister für ihre Eltern sind und daß Erziehung ein w echselseitiger Prozeß ist, der beide – Eltern wie Kinder – verändern w ir d. Und vergessen w ir nie: Auch Eltern haben einen Daimon, und damit spüren auch sie eine Kraft in sich etw as ganz Besonderes zu w erden. Elternschaft heißt nicht, den eigenen Daimon zugunsten des Daimons des Kindes aufgeben zu müssen. Das Kind erfüllt seinen inneren Ruf, so w ie Eltern dem ihren nachgehen müssen. Viele Eltern haben das Gefühl, daß sie ihr eigenes Leben für das Glück ihrer Kinder aufgeben müssen. Aus der Sichtw eise des Horoskops der Eltern ist dies ein Verrat an der eigenen Berufung, w elche viele Eltern als Belastung erleben und sie von sich selbst entfremdet zurückläßt – auch hier hat eine elternzentrierte Psychologie, die Vater und Mutter zum allein verantw ortlichem Glück des Kindes gemacht hat, ihre deutlichen Spuren hinter lassen. Wenn dann die Kinder das Haus verlassen, erwachsen geworden sind und ihre eigenen Wege gehen, w ird es den meisten erst bew ußt: der Verlust w ir d als großes Loch im Sinn - Seite 4 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 des eigenen Lebens spürbar. Das Kind und sein Daimon hat den eigenen Daimon ersetzt. Dies kann nicht funktionieren, ebensow enig w ie ein Vater oder eine Mutter den Lebenssinn des Kindes ersetzen kann. Die Folge: Das Kind w ird sich wehren, weil es zum Abbild der Berufung seiner Eltern gew orden ist, und die Eltern sind unglücklich, w eil sie an ihrem eigenen Leben vorbei gelebt haben. Aber vermag das Unglückliche Glück zu erzeugen? Das Horoskop kann uns helfen zu verstehen, daß am Ende jeder Mensch sein eigener Mensch sein muß. Erziehung kann nur dann erfolgreich sein, w enn sow ohl die Eltern als auch die Kinder einen Gew inn bei der Schöpfung eines eigenen Lebenssinnes erkennen können. Die Welt des Kindes im Horoskop Als Kind w achsen wir im Spannungsfeld zw eier großer Kräfte auf: eine Kraft drängt uns dazu, das zu werden, w as in uns angelegt ist. Diese Kraft kommt von innen und hört auf die Stimme des Daimon in uns. Die andere Kraft kommt von außen und manifestiert sich in der Stimme der Welt, in die w ir hineingeboren w urden. Diese Welt verlangt von uns in erster Linie Anpassung und ihre ersten Repräsentanten sind in der Regel die Eltern. Sehen w ir, wie diese Kräfte im Horoskop lokalisiert w erden können: - Seite 5 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Das Horoskop w ird durch die w aagrechte Achse aus Aszendent und Deszendent, dem Horizont der Geburt, in eine obere und eine untere Hälfte geteilt. Die Horizontachse selbst spiegelt dabei die Bedingungen, die ich als Mensch benötige, um ein eigenes Leben im Wechselspiel zw ischen Anlage und Umw elt aufzubauen.3 Die Meridianachse ist in unsrem Fall die interessantere, denn sie schafft die Dynamik zw ischen der oberen und der unteren Hälfte, der Welt der Erwachsenen und der Welt des Kindes: • Das Imum Cœli ("Himmelstiefe") entspricht dem tiefsten Punkt in unserem Horoskop, in dem unser Leben seine Wurzeln findet, und antw ortet auf die Frage: "Woher komme ich?". • Das Medium Cœli hingegen ("Himmels mitte") steht am höchsten Punkt über dem Horizont, auf den hin sich unser entw ickelt, und beantw ortet die Frage: "Wohin gehe ich?". Das Medium Cœli ist mit unserem Lebensziel gleichzusetzen, jenem Punkt im Leben, auf den w ir zu streben, an dem w ir uns orientieren. Das Imum Cœli aber ist unsere Startposition im Leben, der Ort, an dem w ir unsere Reise ins Leben beginnen. Das Medium Cœli steht für die Rolle, die w ir letztlich in der Gesellschaft spielen w erden – und damit auch für die Art und Weise, w ie w ir mit den gesellschaftlichen Spielregeln und Wertvorstellungen zurechtkommen. Das Imum Cœli ist ein sehr intimer Teil unseres Horoskops, an dem w ir so sein dürfen, w ie w ir uns gerade fühlen: mit den Qualitäten an diesem Punkt des Horoskops können w ir uns gut als Grundlage unserer Persönlichkeit identifizieren. Das Medium Cœli hingegen verlangt die Ein- und Unterordnung unserer Persönlichkeit in die bestehenden soziokulturellen Bedingungen. Werde, was du bist! Während Erw achsene den Schw erpunkt ihres Leben über dem Horizont haben, leben Kinder in einer Welt, die hauptsächlich von Kräften bestimmt w ird, die unter dem Horizont zu finden ist. In der Welt des Kindes unter dem Horizont haben viele Ideen und Gedanken, die in der Welt über dem Horizont dominieren, noch keine Bedeutung, z.B. der Platz, den ich in der Gesellschaft einnehmen oder mit w elchem Menschen ich mein Leben teilen möchte. Hier herrscht zunächst einmal reine Aufbruchstimmung – alles ist möglich, das Abenteuer 3 Die Bedeutung der Aszendent/Deszendent-Achse im Horoskop des Kindes bespreche ich ausführlich in meinem Buch „Kinderhoroskope richtig deuten“, München 2001. - Seite 6 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Leben hat gerade erst begonnen. Unter dem Horizont geht es darum, alles auszuprobieren und erst einmal herauszufinden: "Wer bin ich eigentlich und was kann ich hier alles machen?" Später, in der Welt der Erw achsenen angekommen, verspüren w ir bereits den Wunsch, uns in der Gesellschaft sinnvoll einzubringen – hier ist unsere große Frage eher: "Was mache ich nun damit, daß ich so geworden bin, wie ich jetzt bin? Wie finde ich mit meiner Persönlichkeit einen Platz im großen Ganzen, der mich mit Sinn erfüllt?" Der Schlüssel zu allen Prozessen der Kindheit ist die Meridianachse von Imum Cœli zum Medium Cœli: sie ist w ie eine Leiter, die einen Menschen von der Welt der Kindheit in die Welt der Erw achsenen hinauf führt. Wir sollten uns immer w ieder vor Augen halten, daß der Übergang von der unteren Hälfte des Horoskops in die obere Hälfte vergleichbar ist mit einer Ver wandlung, einer Transformation, die nicht w ieder rückgängig zu machen ist – so w ie aus einer Raupe unw iderruflich ein Schmetterling w ird. Aber anders als der Raupe geschieht uns diese Verwandlung nicht einfach, sondern w ir wirken an dieser Transformation aktiv mit. Auch wenn es bestimmte Stadien gibt, die für alle Menschen gleich ablaufen, ist das Ergebnis des Prozesses von Anfang an offen und w ird durch die Einflüsse, denen w ir uns aussetzen und denen w ir ausgesetzt sind, maßgeblich bestimmt. Menschen w erden nicht als vollständige Wesen in diese Welt hineingeboren – sie müssen sich in ihr, aus ihr und mit ihr entw ickeln und besitzen deshalb eine hohe Anpassungsfähigkeit an die Umstände, in die sie hineingeboren w erden: Menschen lernen. Wir kommen jedoch nicht „blank“ auf die Welt, w ie ein unbeschriebenes Blatt Papier: jeder Mensch trägt bereits einen Plan in sich, w elcher den Weg seiner Entw icklung vorzeichnet und mit dem w ir in das Leben geschickt w urden. Diesen Plan finden w ir am Imum Cœli – mit diesem Plan in der Hand bew egen w ir uns auf das Medium Cœli zu, w elches der zunehmenden Ver wirklichung des Planes, unserem Lebensziel, entspricht. Kindheit ist der erste Schritt in diese Richtung: hier sammeln w ir Erfahrungen im Wechselspiel zw ischen unserer Anlage (Aszendent) und der Umw elt (Deszendent), lernen unsere Anlagen auf die Herausforderungen der Umw elt abzustimmen, erleben uns schließlich als Bestandteil der Welt selbst. Das Kind schöpft sich selbst, indem es diesem inneren Plan verfolgt – es folgt dem unmißverständlichen Aufruf: "Werde, was du bist!" - Seite 7 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Hilf mir es selbst zu tun! Wir können uns vorstellen, daß der Weg des Kindes als sein eigener Baumeister genau jener Pfeilrichtung entspricht, die vom Imum Cœli zum Medium Cœli führt – es gibt jedoch auch eine gegenläufige Bew egung, und die entspricht genau dem mäßigenden Einfluß der Moral und der gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die von "oben" aus der Welt der Erw achsenen auf das Kind einw irken. Der deutlichste Ausdruck dieses Einflusses ist das, was wir allgemein Erziehung nennen. Wertfrei formuliert könnte man Erziehung als den Versuch beschreiben, die Maßstäbe der äußeren Ordnung dem Kind nahezubringen, damit es sich in diese integrieren kann. Das Ziel der Kindheit ist ja irgendw ann, mich in der Sphäre über dem Horizont zurechtzufinden, d.h. die eigene Identität sinnvoll im großen Ganzen einzusetzen. Es ist deshalb von Vorteil, w enn ich als Kind die Gelegenheit bekomme, mich mit den Kriterien, welche die Welt der Erw achsenen bestimmen, vertraut zu machen. Aus dieser Perspektive ist Erziehung eher Hilfe zur Orientierung in der Welt, in die ich hineingeboren w urde. Diese Erziehung ist dann erfolgreich, w enn es ihr gelingt, das Kind darauf vorzubereiten, w ie man sich an der äußeren Ordnung im Leben orientieren kann, ohne den Drang zur Selbstschöpfung dadurch zu stören oder gar zu zerstören. Bildhaft gesprochen sollte Erziehung nicht mehr und nicht w eniger als eine helfende Hand sein, welche dem Kind Unterstützung beim Aufstieg ins Leben der Erw achsenen anbietet: sie greift dann ein, w enn das Kind den Halt verlieren könnte und ansonsten nur dann, wenn das Kind nach Unterstützung verlangt: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Mit diesem einfachen Grundsatz für eine kindgerechte Erziehung hat Maria Montessori das angemessene Verhältnis zw is chen Orientierung und Selbstschöpfung einprägsam zusammengefaßt. Erziehung und Selbstschöpfung sind konträre Bew egungen – aber sie bedingen einander: die Welt des Kindes braucht die Erziehung als Orientierungshilfe, und die Welt der Erw achsenen darf die Selbstschöpfung des Kindes nicht unterbinden, denn nur so kann das Kind ein w irklich eigenes und individuelles Leben aufbauen. Es w ächst zu einem Menschen heran, der sich den Weg in die Gesellschaft sucht, der seinen inneren Plan entspricht und nicht nur einem Abziehbild der herrschenden Wertvorstellungen oder elterlicher Erw artungen. Damit ist jedes Kind, w elches sein eigener Baumeister sein darf, ein Garant dafür, daß die künftige Welt nicht still stehen w ird, sondern immer Impulse zur Erneuerung und Verbesserung erfahren kann. - Seite 8 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Die Rolle der Eltern Das Horoskop ist eine Landkarte zu den Möglichkeiten, den versteckten Reichtümern unseres Lebens. Jeder Mensch kann sich auf den Weg machen, um diese Schätze zu bergen und aus seinem Leben das zu machen, w as nur er aus ihm machen kann: etw as Einzigartiges. Die Kindheit ist vielleicht so etw as w ie ein Vorbereitungsphase für diese Reise hinaus in das Leben. In dieser Phase stehen uns kompetente Menschen zur Seite, die uns ihre Erfahrungen mitteilen können – sie können uns aber nicht die eigenen Erfahrungen abnehmen: jeder Versuch in dieser Richtung w ürde uns von unserem eigenen inneren Weg abbringen. Eltern können über das Horoskop ihres Kindes herausfinden, w as von ihnen als Helfer der Entw icklung des Kindes erw artet wird. Diese im Kind angelegten Bilder können Eltern motivieren, das Beste von sich zu geben. Was aber ist eigentlich das „Beste“? Aus der Perspektive des Horoskops ist es nicht mehr das, w as Eltern für das „Beste“ halten, sondern es ist nur das, was tatsächlich für das Kind auch das Beste ist: es ist genau das, was das Kind von den Eltern braucht, um seine Anlagen bestmöglich zu verw irklichen. Es sollte nicht heißen: "Wir w ollen nur dein Bestes!" – es sollte heißen: "Wir geben dir unser Bestes!" Das Horoskop des Kindes ist deshalb immer auch eine Herausforderung an die Eltern, sich selbst zu entwickeln. Erziehung ist unter diesem Gesichtspunkt nur dann möglich, wenn ich als Erziehender ebenso bereit bin, mich zu verändern, w ie das Kind selbst es sein muß. Erziehung ist kein einseitiger Prozeß, in w elchem die Eltern dem in passiv Haltung w artendem Kind Erziehung verabreichen. Kinder selbst sind die Akteure der Erziehung: sie w achsen aus eigener Kraft heraus in eine Welt hinein, die sich nicht zuletzt durch den aktiven Einsatz ihrer Fähigkeiten verw andeln w ird. Erw achsene nehmen an diesem Prozeß teil – und zw ar eher als stumme Beobachter mit w achsamem Augen, die nur dann eingreifen sollten, w enn das Kind deutliche Signale zeigt, daß es seine Orientierung in der Welt verloren hat oder w enn es darum bittet. Vater Mutter Kind? Welche Rolle kommt nun den Eltern im Einzelnen zu? Was bedeutet es Vater zu sein oder Mutter? Und: Wie finden w ir uns als Eltern im Horoskop des Kindes w ieder? Die Zuordnung der Eltern zum Horoskop ist, w ie so vieles, in der Astrologie nicht eindeutig geklärt und es gibt Variationen von Schule zu Schule. Es geht hier jedoch nicht darum zu sagen: diese oder jene Methode ist richtig und eine andere Ansicht ist falsch. - Seite 9 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Wir müssen uns immer w ieder vor Augen halten, daß die Zuordnung konkreter Mer kmale (und Vater und Mutter sind sehr konkrete Entsprechungen im Horoskop) sehr viel mit den vorherrschenden Ansichten zu diesen Mer kmalen zu tun haben muß: je nachdem unter welchen Gesichtspunkten ich ein Thema betrachte, w erde ich z.B. das entsprechende Haus zuordnen, das meine Vorstellungen am besten spiegelt. Das Bild von Vater und Mutter hat sich immer w ieder stark gew andelt und w eiter entw ickelt. Wir glauben heute in der Regel nicht mehr den Idealen des letzten Jahrhunderts, sondern betrachten die Dinge differenzierter, weil sich auch die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Mutter und Vater sein stattfinden, anders gew orden sind. Entsprechend mögen bestimmte Zuordnungen zu ihrer Zeit ihre Berechtigung gehabt haben, w eil sie die vorherrschende Ansicht am besten wiedergegeben haben. Umgekehrt bedeutet dies jedoch auch, daß Zuordnungen nicht fix sein können, sondern sich der allgemeinen menschlichen Entw icklung angleichen müssen. Ein verändertes Elternbild in der Gesellschaft kann also auch veränderte Zuordnungen im Horoskop zur Folge haben. Viele Schulen sehen z.B. die Mutter in Haus [4] und den Vater im gegenüberliegenden Haus [10] (z.B. Niehenke), manche sehen es sogar umgekehrt (Greene/Sasportas) und manch andere machen es vom Geschlecht des Kindes abhängig, ob Vater oder Mutter im vierten oder im zehnten Haus zu finden ist (Döbereiner). Jeder hat seine Begründung dazu, und die könnten unterschiedlicher nicht ausfallen. Doch eines haben alle Zuordnungen gemeinsam: sie spiegeln eine bestimmte Grundhaltung zum Thema, nämlich das Vater und Mutter einerseits antagonistische Prinzipien, andererseits wechselseitig voneinander abhängig sein müssen: ohne Mann keine Frau, ohne Frau kein Mann. Das Klischee von der heilen Familie schw ingt hier deutlich mit, w elches davon ausgeht, daß ein Kind immer sow ohl Vater als auch Mutter benötigt, um sich „gesund“ zu entw ickeln (w as auch immer das sein mag). Mit diesem Modell bekommen w ir heute arge Probleme, denn es schließt schon im Ansatz die Vielfalt an Familienformen aus, w ie w ir sie heute kennen, Patchw ork-Familien, Ein- Eltern-Familien, gleichgeschlechtliche Elternpaare. Familie ist heute mehr als nur Vater-Mutter-Kind – ein Klischee, das letztlich einem Idealbild entspricht, w ie es maßgeblich von Erkenntnissen geprägt w urde wie z.B. der Psychoanalyse. - Seite 10 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Zwei Eltern – zwei Leben In der Schule für Transpersonale Astrologie w ird der Mutter Haus [4] und dem Vater [5] zugeordnet. Dies hat mehrere Vorteile: Vater und Mutter können jetzt als eigenständige Persönlichkeiten gedeutet w erden, da sie ja oftmals sehr unterschiedliche Lebensstile in das Leben des Kindes einbringen. Dies drückt sich dadurch aus, daß jetzt jeder eine eigene Achse im Horoskop „bekommt“: [4] ergänzt sich mit [10], und [5] mit [11] – damit wird man der Vielschichtigkeit der elterlichen Figuren als Individuen deutlich besser gerecht. Zusätzlich w ir d klar, daß Mutter [4] und Vater [5] sich ergänzen, und zw ar nicht im Sinne einer „Schlüssel-Schloß-Metapher“ (Vater und Mutter müssen zusammenpassen und bilden eine unzertrennliche Einheit), sondern einer Förderung: das mütterliche Pr inzip geht dem väterlichen voraus und bedingt seine Ausprägung. Andererseits verwirklicht sich [4] erst über [5], w eil dieses einen Fortschritt in der Entw icklung nach außen bedeutet. 4 In diesem Modell erleben w ir Vater und Mutter nicht mehr als statische Figuren in der Entw icklung des Kindes, sondern als aktive Teilnehmer, die nicht nur einfach bestimmte innere Inhalte im Kinde durch ihre Präsenz „triggern“, sondern durch ihr Vorbild entscheidend auf den Lebensw eg des Kindes Einfluß nehmen, und zw ar als selbständig handelnde Persönlichkeiten, die auch umgekehrt vom Kind selbst in ihrer Entw icklung „geformt“ w erden. Das Horoskop des Kindes w ird auch für die Eltern zu einer Aufgabe, die nicht ohne Effekt auf ihr eigenes Leben sein kann. Zugleich w ird deutlich, daß die Eltern keine „fertigen“ Persönlichkeiten , sondern ebenfalls im „Werden“ begriffen sind: sie sind nicht mehr gottgleiche Autorität, sondern Menschen w ie das Kind selbst. Damit meine ich, ist in dieser Betrachtungsw eise der erste Schritt in Richtung einer respektvollen Auseinandersetzung mit dem Kind als Partner der Eltern vollzogen. Vater und Mutter sind nicht mehr nur Gegebenheiten, mit denen sich das Kind abfinden muß: w ir finden in den Gegenhäusern zu [4] und [5], nämlich in [10] und [11], die sich in der oberen Hälfte des Horoskops befinden, w elche für das Kind die „Welt der Erw achsenen“ darstellt, klare Hinw eise, welche Vorbilder das Kind von seinen Eltern „erw artet“. Aus dieser Kenntnis heraus können nun Eltern ihre eigene Persönlichkeit in Funktion der w achsenden Persönlichkeit des Kindes deuten. Das heißt aber nichts anderes, als daß das Kind nicht mehr nur mit den Eltern irgendw ie „fertig w erden“ muß, 4 Es gibt auch noch einen ganz „klassischen“ Grund für diese Zuordnung: traditionell wird Mond der Mutter zugeordnet und Sonne dem Vater. Mond wiederum ist eine Entsprechung für [4] und Sonne für [5]! - Seite 11 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 sondern die Eltern auch im Kind eine Herausforderung sehen können, sich selbst zu verändern. Vater und Mutter Bei der Zuordnung der Elternrollen zum Horoskop w erden wir in der Zukunft auf ein grundsätzliches Problem stoßen, das sich in dieser For m noch vor zehn Jahren nicht wirklich stellte: die Anbindung von Vaterschaft und Mutterschaft an das biologische Geschlecht. Die Diskussion um homosexuelle Lebensgemeinschaften, die zunehmende Akzeptanz und die Möglichkeit der rechtlichen Absicherung durch eheähnliche Verträge wird über kurz oder lang immer mehr Familien hervorbringen, in denen sich zw ei Männer oder zw ei Frauen erzieherische Aufgaben teilen. Damit ist ein w eiterer Schritt vollzogen weg von den Werten der patriarchalischen Kernfamilie. Die Anbindung der Elternrollen an das biologische Geschlecht ist nicht mehr zw ingend: auch Frauen können Väter sein, Männer können Mütter sein – oder sogar beides zugleich. Tatsache ist, daß jetzt schon viele Lesben und Schw ule Eltern sind. Schätzungen zufolge hat jede dritte Lesbe und jeder fünfte Schwule ein oder mehrere Kinder. Die meisten von ihnen haben ihre Kinder aus früheren heterosexuellen Ehen oder Beziehungen. Eine kleine, möglicherw eise zunehmende Zahl von Lesben und Schw ulen entscheidet sich heute bew ußt für ein Kind - z. B. durch künstliche oder alternative Befruchtung. Manche sorgen für Pflegekinder, einzelne für Adoptivkinder. Es geht nicht darum, ob w ir es gut finden oder nicht, w enn zwei sich liebende Männer oder Frauen eine Familie gründen – es geht darum, w ie w ir als AstrologInnen damit umgehen w erden, wenn eines Tages Kinder aus solchen Verbindungen vor uns sitzen. Und diese Zeit w ird kommen – ob w ir das wollen oder nicht. Bis dahin müssen w ir uns folgende Fragen stellen: Was werden Ihnen erzählen, wenn es um den Einfluss der Eltern auf ihr Leben geht? Und vor allen Dingen: Sind die Formeln, mit denen wir bislang Elternthemen im Horoskop aufgespürt haben, überhaupt geeignet, der veränderten Lebenssituation von Familien gerecht zu werden? In der Astrologie haben sich bezüglich der Elternrollen viele sexistische Metaphern erhalten. Nicht selten gelten diese als Archetypen und sind deshalb sakrosankt, d.h. sie entziehen sich dem menschlichen Einfluss in das Numinose. Ein beliebiges Beispiel 5: 5 Vgl. Liz Greene, ebd. S. 185 - Seite 12 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Mutter – Sie vertritt das Prinzip der Materie und steht für: Erde, Gefühl, dem Zyklus von Werden und Vergehen, dem Instinktiven im Körper assoziiert. Vater – Er steht für den Geist und verkörpert Himmel, Feuer, Willen, Zielrichtung, Ordnung, Struktur und Gesetz. In der Regel w erden Mutter und Vater zusätzlich mit Mond und Sonne in Verbindung gebracht – eine sehr alte Zuordnung, die nichtsdestow eniger den Geist patriarchalischer Wertvorstellungen atmet: der passive Mond, der nicht von sich aus leuchten kann, empfängt das Licht von der aktiven Sonne. Es w ird deutlich, w ie w enig gerecht diese Zuschreibungen den modernen Familienverhältnissen w erden können. Schlimmer noch: sie suggerieren, daß das Fehlen eines dieser Prinzipien Störungen in der Entw icklung des Kindes zur Folge haben müsse. Aus tiefenpsychologischer Sicht hätte dies zur Folge, daß sich das „dunkle Gesicht des Archteypus“6 zeigt, dessen Anblick für das Kind nur schwer zu kittende Probleme mit sich bringt. Was hat es nun aber aus der Sicht der vorgeschlagenen Modells, die Achse [4]/[10] der Mutter und die Achse [5]/[11] dem Vater zuzuordnen, mit Vater und Mutter sein auf sich? Mutter sein Die Mutter erfüllt für jeden Menschen eine zentrale Rolle als derjenige Mensch, der uns das erste Gefühle von Geborgenheit und Aufgehobensein in dieser Welt ver mittelt. Sie erzeugt mit ihrer Gegenw art ein emotionales Klima, in dem w ir gedeihen und w achsen. Wenn man so w ill ist die Mutter der erste Mensch, der uns die Welt als Grundlage unserer Existenz bereitet. Im Horoskop finden w ir die Rolle der Mutter in Haus [4], dem Haus, mit dem w ir uns am stärksten verbunden fühlen, w eil es als tiefster Punkt des Horoskops das Fundament aller künftigen Entw icklungen darstellt. Identifikation ist der Schlüssel zu [4]: w ir identifizieren uns mit seinen Eigenschaften, w eil sie uns das Gefühl vermitteln, daß w ir hier unsere Wurzeln in der Welt zu haben, hier in der Welt beheimatet sind. Das vierte Haus ist symbiotisch: es zeigt uns, w ovon w ir in unserem Selbstverständnis abhängig sind, an welcher Nabelschnur w ir hängen. 6 vgl. Liz Greene, ebd.. S.190 - Seite 13 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Das Grundgefühl, auf w elches w ir unser Leben in dieser Welt aufbauen, begegnet uns zuerst in Gestalt der Mutter: sie ist die erste die uns zeigt, w orauf sich unser Leben gründen soll, w enn w ir es erfolgreich zur Blüte bringen w ollen. Wie sie das tut, steht auf einem anderen Blatt geschrieben –w ir können aus dem Horoskop nicht ablesen, ob sie uns dieses Grundgefühl auf eine positive oder negative Weise vermitteln w ird: w ir können nur aufzeigen, w o es Schw ierigkeiten geben könnte und w o sich Chancen ergeben. Es liegt also in der Hand der Mutter, w ie sie die ihr anvertraute Rolle ausfüllt. Das Kind bekommt von der Mutter das Grundgefühl für diese Welt vermittelt, dieses w ird astrologisch durch die Konstellationen rund um [4] dargestellt. Wohlgemer kt: Dieses Grundgefühl ist bereits als Botschaft im Kind angelegt, doch w ird es durch die symbiotische Beziehung zur Mutter zum ersten Mal verkörpert und an dieser Beziehung gew eckt und geprägt. Was das Kind von der Mutter lernen kann, befindet sich astrologisch gesehen im gegenüberliegenden Haus [10]: Die Eigenschaften, die dort zu finden sind, beziehen sich auf die Mutter als Herausforderung – und dies steht diametral dem Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit gegenüber. In [10] geht es um Strukturen und For men – auch hier geht es um eine Art von Halt im Leben, doch um einen, der sich auf die Rahmenbedingungen bezieht, w elche uns von außen zur Verfügung gestellt w erden. Haus [10] ist die Welt, aus w elcher die Mutter auf das Kind zu kommt – es ist die Verkörperung dessen, w ie mir meine Mutter begegnet. Haus [4] dagegen ist das, w as Mutter in mir dadurch bewirkt. So gesehen bringt Mutter Struktur und Halt in das Seelenleben des Kindes, w elches zu Anfang eher einem ungeordneten Pool an Gefühlen entspricht, von denen keines stabil genug ist, um als Identitätsgrundlage zu dienen. Erst das verständige Strukturieren dieses Gefühlspotentials (Haus [4]) durch Mutter er möglicht überhaupt, hier ein Quelle unseres Lebens zu erkennen, aus der w ir die Eigenschaften unserer Persönlichkeit speisen. Vater sein Die Rolle des Vaters w ir d in unserer Kultur oft sekundär betrachtet und w ird in der Regel an den männlichen Elternteil geknüpft. Diese Rolle ist stärker als die der Mutter dem Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen unterw orfen, und doch w ird er noch häufig als Gegenpol zur Mutter empfunden: - Seite 14 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Dort w o Mutter w eich und nachgiebig ist, ist Vater hart und konsequent. Dort w o Mutter auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes eingeht, verkörpert Vater die überindividuelle Ordnung der Gesellschaft. Dort w o Mutter sich dem Kind als Mittelpunkt der Familie zuw endet und es versorgt und nährt, verteidigt Vater mit seiner Stärke und seiner Macht die Familie nach außen, w ährend er zugleich die Verantw ortung für die Familie gegenüber der Gesellschaft übernimmt. Längst sind diese Bilder für viele Menschen in der w estlichen Welt keine Maßstäbe mehr und sow ohl die Rolle der Mutter als auch des Vaters w ir d nicht mehr genau zw ischen Mann und Frau aufgeteilt, auch w enn es ein Ungleichgew icht zuungunsten der Frau gibt, welche immer stärker ihr Recht auf die väterliche Rolle in Anspruch nimmt (z.B. in For m von Berufstätigkeit) und zugleich unter dem Druck stehen, Mutter zu sein, w ährend Männer immer noch zu w enig Mutter sein w ollen und dies nach w ie vor Frauen überlassen. Ursächlich ist hier die tief im gesellschaftlichen verankerte Vorstellung von der Aufteilung der Rollen unter den Geschlechtern in der Familie, die sich noch immer an den sehr konservativen Bildern vom „starken Mann“ und der „schwachen Frau“ orientieren. Die Rolle des Vaters ordnen w ir dem fünften Haus zu. Haus [5] folgt Haus [4], so w ie die Identifikation mit dem, w as Grundlage unseres Lebens ist, die Voraussetzung dafür ist, daß w ir eine nach außen sichtbare Persönlichkeit entw ickeln können. Während Mutter uns die innere Seite unseres Lebens beibringt, uns zeigt, w as wir in uns empfinden, worauf wir unser Leben emotional gründen können, ist Vater Vorbild für die äußere Seite unseres Leben: er zeigt uns, w ie w ir uns äußern können und uns aktiv in die Welt einbringen, und zw ar im Einklang mit unseren inneren Beweggründen ( Haus [4]). Die Vaterrolle ist der Schlüssel zur Kreativität des Kindes, denn sie unterstützt alle Prozesse, die das, w as in ihm steckt, nach außen bringen w ollen. Dadurch gew innt das Kind Selbstbew usstsein und vor sich selbst (und später vor den anderen) ein Profil, eine Persönlichkeit, mit der es sich identifizieren kann. Haus [5] gegenüber befindet sich [11]: dieses Haus verkörpert die Qualitäten an unserem Vater, die w ir als Herausforderung erleben, unsere Persönlichkeit auszudrücken – es ist die Art und Weise, w ie mir mein Vater begegnet, w ährend [5] das darstellt, w as mein Vater in mir auslöst. Haus [11] steht im gesamten Horoskop für meine Fähigkeit, mich mit meiner Persönlichkeit in der Gesellschaft zu verwurzeln. Darin offenbart sich der Sinn der Achse [5]/[11]: w ährend [5] uns ein Gefühl von Authentizität unseres Handelns gibt, d.h. daß w ir - Seite 15 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 das Gefühl haben, in unseren Handlungen uns selbst zu verw ir klichen, zeigt uns [11] w ie es uns gelingen kann, uns als Individuum im größeren Ganzen zu verw irklichen, es ist unsere Fähigkeit zur Individualität. An dieser Entw icklung hat die Rolle des Vaters maßgeblich teil: w ir müssen uns also fragen, ob es dem Vater gelingt, durch sein Vorbild eine starke und selbstbew ußte Persönlichkeit im Kind zu w ecken, die Lust hat sich zu zeigen und schöpferischen Einfluß auf die Welt zu nehmen. Ähnlich w ie bei der Mutter kann er dies auf der Basis der Kooperation mit den Anlagen des Kindes tun, oder kann durch sein negatives Beispiel eine Gegenreaktion provozieren, so daß das Kind seine Authentizität dadurch erlangt, indem es sich ununterbrochen vom Vater befreien möchte. Halten w ir fest: Kinder benötigen zw ei Grundimpulse aus der Welt der Erw achsenen – einen, der ihre Identität stabilisiert und den w ir den mütterlichen Impuls nennen können, und einen anderen, der diese Identität als Persönlichkeit nach außen verw irklicht und den wir väterlichen Impuls nennen können. Diese beiden Impulse sind ausschlaggebend für die Entw icklung des Kindes zu einer stabilen Persönlichkeit. In unserer und in vielen anderen Kulturen w ird nun davon ausgegangen, daß die Rolle des Vaters auch vom biologischen Vater übernommen w erden muß, zumindest aber einem männlichen Stellvertreter, so w ie der mütterliche Impuls am besten von der biologischen Mutter auszugehen hat. Damit w ird das Bild der typischen „Kernfamilie“ aus Vater-Mutter-Kind gezeichnet – dieses aber w urde in unserer Gesellschaft in einigen Teilen bereits über den Haufen gew orfen. Immer mehr Eltern erziehen ihre Kinder alleine, d.h. ohne Partner, sei es, w eil aufgrund von Scheidung oder auch einer freien Entscheidung zumeist der Frau, oder auch deshalb, w eil eine Mutter oder ein Vater nach dem Ableben des Partners nicht w ieder heiratet. Neben dieser Eineltern-Familie stehen auch andere Modelle zur Diskussion und zeugen davon, daß w ir uns in einem Zeitalter des Wertew andels befinden: so erhitzt zur Zeit die Frage nach der Möglichkeit eine gleichgeschlechtlichen Eheform die Gemüter, an die sich die w eitere Frage anschließen wird, ob zwei als Paar zusammen lebende Frauen oder Männer auch Eltern von (z.B. adoptierten) Kindern sein können. Weit w eniger drastisch, aber dennoch aktuell in einer Zeit, in der Frauen immer stärker darauf bestehen, Karriere und Kinder zu vereinen, ist die Frage, ob Männer auch mütterliche Funktionen übernehmen können – d.h. die Frage nach dem Vertauschen der traditionellen Rollen. Hier ist selbstverständlich nicht der Ort, an dem diese w ichtigen Fragen beantw ortet werden können, doch kann sich eine moderne Astrologie nicht erlauben, sich diesen - Seite 16 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Fragen zu verschließen. So, w ie w ir das Horoskop gerade betrachtet haben, benötigt ein Kind die Impulse der Häuserachsen [4]/[10] und [5]/[11] – aber das Horoskop macht keine Aussage darüber, wer diese Impulse erfüllen muß ! Es geht nur darum, daß sie erfüllt werden. Aus diesem Grund mag es denkbar sein, daß auch eine Frau für die sogenannten väterlichen Impulse zuständig ist und ein Mann für die sogenannten mütterlichen – oder zw ei Männer oder zw ei Frauen oder nur ein Mann oder nur eine Frau oder teils teils … Können Väter Mütter sein und Mütter Väter? Wie bereits angesprochen, ist Vater sein und Mutter sein nicht an das biologische Geschlecht eines Menschen gebunden. Aus der Tatsache, daß Frauen Kinder kriegen und Männer nur an der Zeugung beteiligt sind, ist kein w ie auch immer gearteter späterer unterschiedlicher im natürlicher Erziehungsstil abzuleiten. Dies w ird besonders deutlich am sogenannten „ Mutter-Instinkt“, der seit dem Rousseau’schen Entw urf von der „natürlichen Erziehung“ als unhinterfragte Tatsache in das feste Repertoire aller pädagogischen Anstrengungen aufgenommen w urde. Tatsache aber ist, daß bis w eit in das 19. Jahrhundert hinein viele Eltern gerade in den Städten ihre Neugeborenen aussetzten oder lieber berufsmäßigen Ammen überließen, als diesem „Instinkt“ Folge zu leisten. Dennoch scheint es diesen Instinkt zu geben – und zw ar bei allen Säugetieren, und natürlich auch beim Menschen. Nur: Die bedingungslose „instinktive“ Liebe, die klischeehaft daran geknüpft w ird, scheint nicht die Regel zu sein. Wie sonst erklären sich Gew alt und Ungerechtigkeit, die Kindern überall auf der Welt zugefügt w erden – angefangen bei unmenschlichster Kinderarbeit bis hin zum Kindsmord, sei es als Opfer für rachsüchtige Götter oder aus Angst vor Schande. Gäbe es einen unvermeidlichen Instinkt zur Liebe gegenüber den eigenen Kindern, w äre dies alles nicht denkbar. Der Mutter- oder besser: Eltern-Instinkt entw ickelt sich erst Schritt für Schritt und verstärkt sich durch äußere Reize, bis aus der anfänglichen Hingabe w irkliche Liebe w ird. Es werden Hormone freigesetzt, w ie Prolactin und Oxytocin – und zwar nicht nur bei der Mutter, sondern auch nachw eislich beim Vater. Die Ausschüttung dieser Hor mone bew irkt jenen Glücksrausch, der „süchtig“ nach der Nähe zum Kind macht – besonders Oxytocin, ein natürliches Opiat, gilt als „emotionaler Universalkleber“, der Eltern an ihre Kinder bindet, aber auch Paare zusammenschw eißt. Die Saugbew egungen des Kindes an der - Seite 17 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 Brust, aber auch schon die einfache Berührung, ja der bloße Anblick läßt den Körper mit diesem Hormon überfluten. Über diese Prozesse werden Eltern konditioniert, ihre Kinder am Leben zu erhalten und für sie zu sorgen. Voraussetzung ist aber, daß diese Prozesse nach der Geburt in Gang gesetzt w erden – durch eine erste Zeit intensiver Zuw endung, die Eltern mit ihrem Kind verbringen. Und: diese Bezugsperson muß nicht unbedingt die Mutter sein – es kann auch der Vater sein, der ähnlich reagieren w ird, oder sogar irgendeine andere Bezugsperson, die dem Kinde nahesteht, seien es Großeltern oder ältere Geschw ister. Der Mensch scheint „kollektive Brutpflege“ zu betreiben: vielleicht entw ickelte er darum das soziale Netz und w ar die Großfamilie lange Zeit die einzige For m der Zusammenlebens und ist es teilw eise in vielen Kulturen noch heute. Aus dieser Perspektive erhalten die sogenannten alternativen Familienformen im Vergleich zu der konventionellen Zw ei-Eltern-Familie Rückenw ind, denn es w ird erklärbar, warum entgegen aller theoretischen Einw ände weder die Eineltern-Familie noch das gleichgeschlechtliche Elternpaar einen w ie auch immer gearteten schädigenden Einfluß auf die Entw ic klung des Kindes haben müssen. Nach den neuesten Erkenntnissen beispielsw eise ist davon auszugehen, dass Kinder in homosexuellen Familien genauso glücklich oder unglücklich sind w ie in heterosexuellen Familien auch. Kinder, die in schw ulen oder lesbischen Familien aufw achsen, neigen sogar w eniger als andere Kinder dazu, Geschlechterstereotype aufzugreifen. Denn sie sehen täglich, dass zw ei Frauen oder zw ei Männer notw endige Arbeiten im Haus nicht als "Männerarbeit" beziehungsw eise "Frauenarbeit" auf den jew eils anderen Partner abw älzen können. Mädchen, die zw ei Mütter haben, entw ickeln auch andere Berufswünsche als ihre Schulkameradinnen aus heterosexuellen Familien. Töchter lesbischer Frauen möchten zum Beispiel öfter Ingenieur in, Juristin oder Astronautin werden. Interessant ist auch die Erkenntnis der Forscher, dass die Homosexualität der Eltern offenbar nicht "ansteckend" w irkt. Die Kinder w erden hetero- oder homosexuell w ie andere auch. Homosexualität ist für sie jedoch mehr im Bereich des Möglichen als für andere Kinder und sie erleben ihre sexuelle Orientierung bew usster. Wenn sie heterosexuell sind, dann nicht deshalb, w eil es eben so üblich ist, sondern w eil sie sich wirklich so fühlen. Aus astrologischer Sicht kann dies leicht in die Deutung integriert w erden, denn so w ie wir einem Horoskop nicht ansehen können, ob es zu einer Frau oder einem Mann gehört, - Seite 18 -
Christopher A. Weidner Love makes a family © 2002 können w ir auch nicht bestimmen, ob der sogenannten väterliche Impuls von einem Mann und der mütterliche von einer Frau auszugehen hat. Astrologie sollte stets die Situation der Menschen spiegeln, die w ir in der Wirklichkeit vorfinden – sie darf niemanden ausschließen, indem sie Nor men aufstellt, nach denen Menschen zu leben hätten. Wir müssen heute eingestehen, daß es die traditionelle Familie aus berufstätigem Vater, fürsorglicher Mutter, zw ei Kindern und einem Hund nur noch in der heilen Welt des Fernsehens gibt. Die Realität ist eine andere: der Begr iff „Familie“ ist vielfältiger gew orden, die Grenzen fließender und viele For men können heute von sich behaupten, ebenso so gut für das Wohl der Kinder zu sorgen, w ie das Klischeebild. Dem muß auch in der Astrologie Rechnung getragen w erden, denn: dieses Klischee ist nicht Bestandteil der astrologischen Anschauung, sonder einzig und allein ein sozio-kultureller Wert, der in die Deutung des Horoskops hineingelegt w ird. Künftig gilt: modernere Konzepte müssen zugrunde gelegt – insbesondere psychoanalytische Modelle, die noch heute zu einem Großteil auf zw eif elhaften Rollenklischees aufbauen, müssen hinterfragt w erden (zw eif elhaftes Zauberw ort: „Projektion“). Mit dieser Aufgabe stehen w ir erst am Anfang. - Seite 19 -
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