"Love makes a family" - Elternthemen im Horoskop

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Christopher A. Weidner                                                Love makes a family
© 2002

„Love makes a family“ – Elternthemen im Horoskop

Kinder haften für ihre Eltern
Kriegen Kinder die Eltern, die sie verdienen? Wir alle kennen die schrecklichen
Geschichten von Missbrauch und Gew alt gegen Kinder, w ie sie in regelmäßigen
Abständen durch die Medien geistern und uns am Guten im Menschen zw eif eln lassen.
Um erschütternder ist es dann, w enn w ir wissen, dass die meisten Gew altverbrechen an
Kindern von den eigenen Familienangehörigen getan w erden: es sind die Mütter, Väter,
Onkel, Tanten, w elche die kindliche Wehrlosigkeit und Angst ausbeuten, ihre eigenen
Kinder prügeln, schlagen, psychisch unterdrücken und sexuell missbrauchen. Der
Vergewaltiger kommt meist aus der eigenen Familie. Kriegen Kinder die Eltern, die sie
verdienen? Unter diesen Gesichtspunkten scheint die Frage an sich schon das Leiden der
Kinder zu verhöhnen.
Und dennoch lesen w ir, man könne „den Eltern nicht w irklich moralische Vorwürfe
machen, w enn Vernachlässigung, Zurückw eisung, Härte, Abw esenheit, dominierendes
Wesen oder Mangel an Verständnis … psychologische Konflikte nach sich gezogen zu
haben scheinen. Solche Faktoren hinterlassen sicherlich ihre Spuren, und oft kommt es
im Namen der Liebe zu großer Brutalität.“ 1 Greene begründet dies damit, dass das Kind
etw as Eigenes in das Leben mitbr ingt und dem Verhalten der Eltern „auf halbem Weg“
entgegenkommt. Tatsächlich erw eckt sie den Eindruck, dass das Kind selbst die Ursache
für die Art und Weise, w ie es behandelt w ird, mitbringt und gew is sermaßen eine
bestimmte Behandlung seitens der Eltern „auslöst“. Anders gesagt: das Kind trägt
zumindest eine Mitschuld an dem, w as ihm angetan w ird.

Selbst w enn Greene nicht bis in das Extrem der Kindesmißhandlung geht, zeigt ihre
Haltung bereits den Kern der gesamten Eltern-Kind- Problematik im Horoskop. Wenn w ir
einen Erw achsenen in der Beratung vor uns haben, ist der Fall w esentlich einfacher: Was
auch immer ihm passiert sein mag, w ir können in seinem Leben Ankerpunkte der
Selbstverantw ortung setzen. Wir können ihm sagen, daß er die Situation, in der er lebt,
vielleicht nicht selbst ausgesucht hat, aber er kann sie ändern, indem er sein Leben selbst
in die Hand nimmt. Und Kinder? Können Kinder ihr Leben selbst in die Hand nehmen?
Wie viel Wahl und freie Entscheidung haben sie? Kann ein Kind seine Eltern abw ählen,

1
    Liz Greene, Kosmos und Seele. Frankfurt/Main 1991. S. 186

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wie w ir unsere Politiker abw ählen können, w enn w ir nicht mit ihnen zufrieden sind? Kann
ein Kind einfach seine Siebensachen packen und sich ein neues Zuhause suchen, so w ie
wir den Wohnort oder den Arbeitsplatz w echseln?

Wir stoßen an eine Grenze der Astrologie: w ir stoßen an die Frage, ob und w ieweit w ir
unser Leben selbst verschuldet haben und eine bestimmte Behandlung sogar nötig
haben. Es ist eine heikle Frage und die berührt die Grundfesten der Horoskopdeutung,
denn das Horoskop ist der deutlichste Beleg dafür, dass wir nicht als unbeschriebenes
Blatt Papier auf die Welt kommen, sondern dass da etw as ist, w as w ir mitgebracht haben
und das nur w ir zu verantw orten haben.

Auch unsere Eltern stehen in unserem Horoskop. Wenn w ir also unser Horoskop in das
Leben mitbr ingen – haben wir dann auch die Eltern bekommen, die wir verdienen?

Eine mögliche Antw ort auf diese Frage hängt im Wesentlichen davon ab, w as w ir uns
darunter vorstellen, w enn w ir sagen, dass wir etwas Eigenes in das Leben mitgebracht
haben. Anhänger der Kar malehre, insbesondere theosophischer Ausprägung, w erden
keine Schw ierigkeiten haben festzustellen, daß Alles, w as wir in diesem Leben ernten, in
einem früheren gesät w orden sein muss – alles Leid, alles Unrecht, das w ir jetzt ertragen
müssen, ist im Grunde selbst geschaffen. Dieser Fatalismus aber w iderspric ht dem
menschlichen Unrechtsempfinden und propagiert in letzter Instanz, sich nicht in das
Schicksal anderer einzumischen, da es sie ja nicht anders gew ollt haben. Welchen Sinn
aber macht dann Astrologie, w enn es soundso kein Entrinnen gibt? Es ist hier nicht die
richtige Stelle, um das Für und Wider von Kar ma zu diskutieren – doch sollten w ir uns
bew usst machen, w as das Postulat des selbst geschaffenen Leidens für die Interpretation
eines Kinderhoroskops bedeutet, und natürlich w elchen Blickw inkel dieses Postulat auf
das Wesen der Eltern öffnet.

Sind wir die Kinder unserer Eltern?
Andererseits gilt aber auch: Sind w ir w ir klich nur die Kinder unserer Eltern? Alle unsere
Probleme und Einstellungen zum Leben gelten zu einem großen Teil als Produkt unserer
Erziehung und damit entspringen w ir nicht nur den Körpern unserer Eltern, sondern auch
ihrem Geist. Doch dies ist nur dann möglich, w enn w ir davon ausgehen, daß ein Kind als
unbeschriebenes Blatt Papier auf die Welt kommt, als "tabula rasa". In dieses ungeprägte
formlose Wesen w ürde dann jeder Einfluß aus der Umw elt seinen Stempel drücken und
so die Bestimmung des w eiteren Lebens bedingen. Diese Vorstellung macht uns zu
wehrlosen Opfern von Prägungen durch unsere Umw elt, und unsere Umw elt,

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insbesondere aber die Mütter, zu Alleinverantw ortlichen für das, was aus uns wird. Viele
Menschen sind heute damit beschäftigt, ihre Eltern als "Schuldige" für unser unglückliches
Leben zu entlarven.

Das Horoskop aber erzählt eine andere Geschichte: das Horoskop entsteht in jenem
Augenblick, an dem w ir das Licht der Welt erblicken – und es ist da, bevor w ir uns
entfalten und bevor w ir uns als unabhängiges Lebew esen von der Umw elt prägen lassen.
Dieses Horoskop zeugt davon, daß w ir nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt
gekommen: w ir bringen etw as Unverw echselbares mit in dieses Leben, w elches sich nicht
passiv den Einflüssen aus seiner Umw elt aussetzt, sondern sich aktiv mit ihnen
auseinandersetzt und seinerseits seinen Stempel der Umw elt aufdrücken möchte.

Der griechische Philosoph Platon erzählt folgenden Mythos:

„Die Seele jedes Menschen bekommt, bevor sie das Licht der Welt erblickt, einen
einzigartigen Daimon als Begleiter, und sie w ählt ein Bild oder ein Muster, nach w elchem
wir auf der Erde leben. Dieser Seelengefährte, der Daimon, führt uns im Leben; im
Prozeß unserer Ankunft vergessen wir jedoch leider alles, w as sich ereignete, und
glauben, daß w ir leer in die Welt kommen. Der Daimon erinnert uns daran, w oraus sich
unser Bild zusammensetzt und w as zu unserem Muster gehört, und daher ist unser
Daimon der Träger unseres Schicksals.“2
Aus der Sichtweise dieses Mythos erhält das Horoskop eine neue Dimension: es ist nichts
anderes als ein Abbild jenes Musters, w elches sich die Seele für ihr Leben ausgesucht
hat. Der Daimon aber ist das Sprachrohr dieses Musters und seine Stimme hören w ir
jedesmal, w enn es darum geht, unseren Auftrag zu erfüllen.

Die Stimme des Daimon und der Plan des Kindes
Der Daimon erhebt seine Stimme schon sehr früh: er äußert sich in den Wünschen und
Träumen der Kindheit, die Erw achsenen manchmal so seltsam und naiv vorkommen.
Dennoch sind es gerade diese merkw ürdigen Begebenheiten, in w elchen Eltern das
eigene Kind ganz fremd vorkommt, in denen der Daimon am deutlichsten auf die
Berufung eines Menschen aufmer ksam machen möchte.

Gerade in der Kindheit, w enn w ir noch so gar keinen Bezug zur Realität besitzen und w ir
noch keine Mittel haben, uns zu verwirklichen, w eil w ir erst werden, was wir sind, kann die
Ausdrucksweise des Daimon schnell von Erw achsenen mißverstanden w erden: dann

2
    James Hillman, Charakter und Bestimmung, Goldmann 1998. S. 21.

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sehen w ir in dem ungew öhnlichen und besonderen Verhalten unserer Kinder eine
Abweichung von der Norm, eine unangenehme Störung. Und doch ist es gerade diese
unerklärliche „Störung“, in der sich oftmals der innere Ruf eines Menschen auf
ungeschickte und naive Weise seinen Weg in die Welt sucht.

Die fatale Konsequenz ist allzu häufig, daß w ir das Außergew öhnliche beschneiden, es
reglementieren und maßregeln, anstatt darin die ersten unbeholfenen Ausdrucksweisen
des Daimon und damit des im Kind angelegten Lebensmusters sehen. Das Horoskop
kann uns helfen, diese Besonderheit zu verstehen: es hilft, uns die Einzigartigkeit des
Kindes vor Augen zu führen und dadurch diese ungew öhnlichen Situationen zu begreifen.
Mit Hilfe des Horoskops sind w ir dann in der Lage, destruktive Äußerungen des Daimon
zu vermeiden, w eil w ir nun die Bedingungen er kennen können, unter denen sich das
Muster des Lebens optimal entfalten kann.

Die Theorie vom Daimon hilft uns zu verstehen, daß Kinder bereits einen Plan verfolgen,
wenn sie auf die Welt kommen. Eltern und Erzieher sind Teil dieses Planes – nicht
umgekehrt das Kind Teil des Planes der Eltern. Daraus darf nicht, w ie eingangs bereits
betont w urde, der Schluß gezogen w erden, Kinder hätten sich ihre Eltern „ausgesucht“ –
und damit ihr möglicherw eise unglückliches Schicksal gew ollt. An dieser Stelle sollten w ir
uns immer vergegenw ärtigen, daß auch für Eltern das Kind eine Herausforderung an die
eigene Persönlichkeit sein muß. Viele Erw achsenen gehen davon aus, daß sie ihren
Kindern etw as beibringen, w ährend sie sich selbst als bereits vollständig entw ickelt sehen
– die ist ein folgenreicher Trugschluß. Die Erfahrung zeigt, daß auch Kinder Lehr meister
für ihre Eltern sind und daß Erziehung ein w echselseitiger Prozeß ist, der beide – Eltern
wie Kinder – verändern w ir d.

Und vergessen w ir nie: Auch Eltern haben einen Daimon, und damit spüren auch sie eine
Kraft in sich etw as ganz Besonderes zu w erden. Elternschaft heißt nicht, den eigenen
Daimon zugunsten des Daimons des Kindes aufgeben zu müssen. Das Kind erfüllt seinen
inneren Ruf, so w ie Eltern dem ihren nachgehen müssen. Viele Eltern haben das Gefühl,
daß sie ihr eigenes Leben für das Glück ihrer Kinder aufgeben müssen. Aus der
Sichtw eise des Horoskops der Eltern ist dies ein Verrat an der eigenen Berufung, w elche
viele Eltern als Belastung erleben und sie von sich selbst entfremdet zurückläßt – auch
hier   hat eine elternzentrierte    Psychologie,       die Vater   und   Mutter   zum allein
verantw ortlichem Glück des Kindes gemacht hat, ihre deutlichen Spuren hinter lassen.
Wenn dann die Kinder das Haus verlassen, erwachsen geworden sind und ihre eigenen
Wege gehen, w ird es den meisten erst bew ußt: der Verlust w ir d als großes Loch im Sinn

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des eigenen Lebens spürbar. Das Kind und sein Daimon hat den eigenen Daimon ersetzt.
Dies kann nicht funktionieren, ebensow enig w ie ein Vater oder eine Mutter den
Lebenssinn des Kindes ersetzen kann. Die Folge: Das Kind w ird sich wehren, weil es zum
Abbild der Berufung seiner Eltern gew orden ist, und die Eltern sind unglücklich, w eil sie
an ihrem eigenen Leben vorbei gelebt haben. Aber vermag das Unglückliche Glück zu
erzeugen?

Das Horoskop kann uns helfen zu verstehen, daß am Ende jeder Mensch sein eigener
Mensch sein muß. Erziehung kann nur dann erfolgreich sein, w enn sow ohl die Eltern als
auch die Kinder einen Gew inn bei der Schöpfung eines eigenen Lebenssinnes erkennen
können.

Die Welt des Kindes im Horoskop
Als Kind w achsen wir im Spannungsfeld zw eier großer Kräfte auf: eine Kraft drängt uns
dazu, das zu werden, w as in uns angelegt ist. Diese Kraft kommt von innen und hört auf
die Stimme des Daimon in uns. Die andere Kraft kommt von außen und manifestiert sich
in der Stimme der Welt, in die w ir hineingeboren w urden. Diese Welt verlangt von uns in
erster Linie Anpassung und ihre ersten Repräsentanten sind in der Regel die Eltern.

Sehen w ir, wie diese Kräfte im Horoskop lokalisiert w erden können:

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Das Horoskop w ird durch die w aagrechte Achse aus Aszendent und Deszendent, dem
Horizont der Geburt, in eine obere und eine untere Hälfte geteilt. Die Horizontachse selbst
spiegelt dabei die Bedingungen, die ich als Mensch benötige, um ein eigenes Leben im
Wechselspiel zw ischen Anlage und Umw elt aufzubauen.3 Die Meridianachse ist in unsrem
Fall die interessantere, denn sie schafft die Dynamik zw ischen der oberen und der
unteren Hälfte, der Welt der Erwachsenen und der Welt des Kindes:

•    Das Imum Cœli ("Himmelstiefe") entspricht dem tiefsten Punkt in unserem Horoskop,
     in dem unser Leben seine Wurzeln findet, und antw ortet auf die Frage: "Woher
     komme ich?".

•    Das Medium Cœli hingegen ("Himmels mitte") steht am höchsten Punkt über dem
     Horizont, auf den hin sich unser entw ickelt, und beantw ortet die Frage: "Wohin gehe
     ich?".

Das Medium Cœli ist mit unserem Lebensziel gleichzusetzen, jenem Punkt im Leben, auf
den w ir zu streben, an dem w ir uns orientieren. Das Imum Cœli aber ist unsere
Startposition im Leben, der Ort, an dem w ir unsere Reise ins Leben beginnen.

Das Medium Cœli steht für die Rolle, die w ir letztlich in der Gesellschaft spielen w erden –
und damit auch für die Art und Weise, w ie w ir mit den gesellschaftlichen Spielregeln und
Wertvorstellungen zurechtkommen. Das Imum Cœli ist ein sehr intimer Teil unseres
Horoskops, an dem w ir so sein dürfen, w ie w ir uns gerade fühlen: mit den Qualitäten an
diesem Punkt des Horoskops können w ir uns gut als Grundlage unserer Persönlichkeit
identifizieren. Das Medium Cœli hingegen verlangt die Ein- und Unterordnung unserer
Persönlichkeit in die bestehenden soziokulturellen Bedingungen.

Werde, was du bist!
Während Erw achsene den Schw erpunkt ihres Leben über dem Horizont haben, leben
Kinder in einer Welt, die hauptsächlich von Kräften bestimmt w ird, die unter dem Horizont
zu finden ist.

In der Welt des Kindes unter dem Horizont haben viele Ideen und Gedanken, die in der
Welt über dem Horizont dominieren, noch keine Bedeutung, z.B. der Platz, den ich in der
Gesellschaft einnehmen oder mit w elchem Menschen ich mein Leben teilen möchte. Hier
herrscht zunächst einmal reine Aufbruchstimmung – alles ist möglich, das Abenteuer

3
    Die Bedeutung der Aszendent/Deszendent-Achse im Horoskop des Kindes bespreche ich
ausführlich in meinem Buch „Kinderhoroskope richtig deuten“, München 2001.

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Leben hat gerade erst begonnen. Unter dem Horizont geht es darum, alles
auszuprobieren und erst einmal herauszufinden: "Wer bin ich eigentlich und was kann ich
hier alles machen?"

Später, in der Welt der Erw achsenen angekommen, verspüren w ir bereits den Wunsch,
uns in der Gesellschaft sinnvoll einzubringen – hier ist unsere große Frage eher: "Was
mache ich nun damit, daß ich so geworden bin, wie ich jetzt bin? Wie finde ich mit meiner
Persönlichkeit einen Platz im großen Ganzen, der mich mit Sinn erfüllt?"

Der Schlüssel zu allen Prozessen der Kindheit ist die Meridianachse von Imum Cœli zum
Medium Cœli: sie ist w ie eine Leiter, die einen Menschen von der Welt der Kindheit in die
Welt der Erw achsenen hinauf führt.

Wir sollten uns immer w ieder vor Augen halten, daß der Übergang von der unteren Hälfte
des Horoskops in die obere Hälfte vergleichbar ist mit einer Ver wandlung, einer
Transformation, die nicht w ieder rückgängig zu machen ist – so w ie aus einer Raupe
unw iderruflich ein Schmetterling w ird. Aber anders als der Raupe geschieht uns diese
Verwandlung nicht einfach, sondern w ir wirken an dieser Transformation aktiv mit. Auch
wenn es bestimmte Stadien gibt, die für alle Menschen gleich ablaufen, ist das Ergebnis
des Prozesses von Anfang an offen und w ird durch die Einflüsse, denen w ir uns
aussetzen und denen w ir ausgesetzt sind, maßgeblich bestimmt.

Menschen w erden nicht als vollständige Wesen in diese Welt hineingeboren – sie müssen
sich in ihr, aus ihr und mit ihr entw ickeln und besitzen deshalb eine hohe
Anpassungsfähigkeit an die Umstände, in die sie hineingeboren w erden: Menschen
lernen. Wir kommen jedoch nicht „blank“ auf die Welt, w ie ein unbeschriebenes Blatt
Papier: jeder Mensch trägt bereits einen Plan in sich, w elcher den Weg seiner
Entw icklung vorzeichnet und mit dem w ir in das Leben geschickt w urden.

Diesen Plan finden w ir am Imum Cœli – mit diesem Plan in der Hand bew egen w ir uns auf
das Medium Cœli zu, w elches der zunehmenden Ver wirklichung des Planes, unserem
Lebensziel, entspricht. Kindheit ist der erste Schritt in diese Richtung: hier sammeln w ir
Erfahrungen im Wechselspiel zw ischen unserer Anlage (Aszendent) und der Umw elt
(Deszendent), lernen unsere Anlagen auf               die   Herausforderungen der   Umw elt
abzustimmen, erleben uns schließlich als Bestandteil der Welt selbst. Das Kind schöpft
sich selbst, indem es diesem inneren Plan verfolgt – es folgt dem unmißverständlichen
Aufruf: "Werde, was du bist!"

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Hilf mir es selbst zu tun!
Wir können uns vorstellen, daß der Weg des Kindes als sein eigener Baumeister genau
jener Pfeilrichtung entspricht, die vom Imum Cœli zum Medium Cœli führt – es gibt jedoch
auch eine gegenläufige Bew egung, und die entspricht genau dem mäßigenden Einfluß
der Moral und der gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die von "oben" aus der Welt der
Erw achsenen auf das Kind einw irken. Der deutlichste Ausdruck dieses Einflusses ist das,
was wir allgemein Erziehung nennen.

Wertfrei formuliert könnte man Erziehung als den Versuch beschreiben, die Maßstäbe der
äußeren Ordnung dem Kind nahezubringen, damit es sich in diese integrieren kann. Das
Ziel der Kindheit ist ja irgendw ann, mich in der Sphäre über dem Horizont
zurechtzufinden, d.h. die eigene Identität sinnvoll im großen Ganzen einzusetzen. Es ist
deshalb von Vorteil, w enn ich als Kind die Gelegenheit bekomme, mich mit den Kriterien,
welche die Welt der Erw achsenen bestimmen, vertraut zu machen.

Aus dieser Perspektive ist Erziehung eher Hilfe zur Orientierung in der Welt, in die ich
hineingeboren w urde. Diese Erziehung ist dann erfolgreich, w enn es ihr gelingt, das Kind
darauf vorzubereiten, w ie man sich an der äußeren Ordnung im Leben orientieren kann,
ohne den Drang zur Selbstschöpfung dadurch zu stören oder gar zu zerstören. Bildhaft
gesprochen sollte Erziehung nicht mehr und nicht w eniger als eine helfende Hand sein,
welche dem Kind Unterstützung beim Aufstieg ins Leben der Erw achsenen anbietet: sie
greift dann ein, w enn das Kind den Halt verlieren könnte und ansonsten nur dann, wenn
das Kind nach Unterstützung verlangt: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Mit diesem einfachen
Grundsatz für eine kindgerechte Erziehung hat Maria Montessori das angemessene
Verhältnis zw is chen Orientierung und Selbstschöpfung einprägsam zusammengefaßt.

Erziehung und Selbstschöpfung sind konträre Bew egungen – aber sie bedingen einander:
die Welt des Kindes braucht die Erziehung als Orientierungshilfe, und die Welt der
Erw achsenen darf die Selbstschöpfung des Kindes nicht unterbinden, denn nur so kann
das Kind ein w irklich eigenes und individuelles Leben aufbauen. Es w ächst zu einem
Menschen heran, der sich den Weg in die Gesellschaft sucht, der seinen inneren Plan
entspricht und nicht nur einem Abziehbild der herrschenden Wertvorstellungen oder
elterlicher Erw artungen. Damit ist jedes Kind, w elches sein eigener Baumeister sein darf,
ein Garant dafür, daß die künftige Welt nicht still stehen w ird, sondern immer Impulse zur
Erneuerung und Verbesserung erfahren kann.

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Die Rolle der Eltern
Das Horoskop ist eine Landkarte zu den Möglichkeiten, den versteckten Reichtümern
unseres Lebens. Jeder Mensch kann sich auf den Weg machen, um diese Schätze zu
bergen und aus seinem Leben das zu machen, w as nur er aus ihm machen kann: etw as
Einzigartiges. Die Kindheit ist vielleicht so etw as w ie ein Vorbereitungsphase für diese
Reise hinaus in das Leben. In dieser Phase stehen uns kompetente Menschen zur Seite,
die uns ihre Erfahrungen mitteilen können – sie können uns aber nicht die eigenen
Erfahrungen abnehmen: jeder Versuch in dieser Richtung w ürde uns von unserem
eigenen inneren Weg abbringen.

Eltern können über das Horoskop ihres Kindes herausfinden, w as von ihnen als Helfer der
Entw icklung des Kindes erw artet wird. Diese im Kind angelegten Bilder können Eltern
motivieren, das Beste von sich zu geben. Was aber ist eigentlich das „Beste“? Aus der
Perspektive des Horoskops ist es nicht mehr das, w as Eltern für das „Beste“ halten,
sondern es ist nur das, was tatsächlich für das Kind auch das Beste ist: es ist genau das,
was das Kind von den Eltern braucht, um seine Anlagen bestmöglich zu verw irklichen. Es
sollte nicht heißen: "Wir w ollen nur dein Bestes!" – es sollte heißen: "Wir geben dir unser
Bestes!"

Das Horoskop des Kindes ist deshalb immer auch eine Herausforderung an die Eltern,
sich selbst zu entwickeln. Erziehung ist unter diesem Gesichtspunkt nur dann möglich,
wenn ich als Erziehender ebenso bereit bin, mich zu verändern, w ie das Kind selbst es
sein muß. Erziehung ist kein einseitiger Prozeß, in w elchem die Eltern dem in passiv
Haltung w artendem Kind Erziehung verabreichen. Kinder selbst sind die Akteure der
Erziehung: sie w achsen aus eigener Kraft heraus in eine Welt hinein, die sich nicht zuletzt
durch den aktiven Einsatz ihrer Fähigkeiten verw andeln w ird. Erw achsene nehmen an
diesem Prozeß teil – und zw ar eher als stumme Beobachter mit w achsamem Augen, die
nur dann eingreifen sollten, w enn das Kind deutliche Signale zeigt, daß es seine
Orientierung in der Welt verloren hat oder w enn es darum bittet.

Vater Mutter Kind?
Welche Rolle kommt nun den Eltern im Einzelnen zu? Was bedeutet es Vater zu sein
oder Mutter? Und: Wie finden w ir uns als Eltern im Horoskop des Kindes w ieder?

Die Zuordnung der Eltern zum Horoskop ist, w ie so vieles, in der Astrologie nicht
eindeutig geklärt und es gibt Variationen von Schule zu Schule. Es geht hier jedoch nicht
darum zu sagen: diese oder jene Methode ist richtig und eine andere Ansicht ist falsch.

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Wir müssen uns immer w ieder vor Augen halten, daß die Zuordnung konkreter Mer kmale
(und Vater und Mutter sind sehr konkrete Entsprechungen im Horoskop) sehr viel mit den
vorherrschenden Ansichten zu diesen Mer kmalen zu tun haben muß: je nachdem unter
welchen Gesichtspunkten ich ein Thema betrachte, w erde ich z.B. das entsprechende
Haus zuordnen, das meine Vorstellungen am besten spiegelt.

Das Bild von Vater und Mutter hat sich immer w ieder stark gew andelt und w eiter
entw ickelt. Wir glauben heute in der Regel nicht mehr den Idealen des letzten
Jahrhunderts, sondern betrachten die Dinge differenzierter, weil sich auch die
gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Mutter und Vater sein stattfinden, anders
gew orden sind. Entsprechend mögen bestimmte Zuordnungen zu ihrer Zeit ihre
Berechtigung gehabt haben, w eil sie die vorherrschende Ansicht am besten
wiedergegeben haben. Umgekehrt bedeutet dies jedoch auch, daß Zuordnungen nicht fix
sein können, sondern sich der allgemeinen menschlichen Entw icklung angleichen
müssen. Ein verändertes Elternbild in der Gesellschaft kann also auch veränderte
Zuordnungen im Horoskop zur Folge haben.

Viele Schulen sehen z.B. die Mutter in Haus [4] und den Vater im gegenüberliegenden
Haus [10] (z.B. Niehenke), manche sehen es sogar umgekehrt (Greene/Sasportas) und
manch andere machen es vom Geschlecht des Kindes abhängig, ob Vater oder Mutter im
vierten oder im zehnten Haus zu finden ist (Döbereiner). Jeder hat seine Begründung
dazu, und die könnten unterschiedlicher nicht ausfallen. Doch eines haben alle
Zuordnungen gemeinsam: sie spiegeln eine bestimmte Grundhaltung zum Thema,
nämlich das Vater und Mutter einerseits antagonistische Prinzipien, andererseits
wechselseitig voneinander abhängig sein müssen: ohne Mann keine Frau, ohne Frau kein
Mann. Das Klischee von der heilen Familie schw ingt hier deutlich mit, w elches davon
ausgeht, daß ein Kind immer sow ohl Vater als auch Mutter benötigt, um sich „gesund“ zu
entw ickeln (w as auch immer das sein mag). Mit diesem Modell bekommen w ir heute arge
Probleme, denn es schließt schon im Ansatz die Vielfalt an Familienformen aus, w ie w ir
sie heute    kennen,     Patchw ork-Familien,   Ein- Eltern-Familien,   gleichgeschlechtliche
Elternpaare. Familie ist heute mehr als nur Vater-Mutter-Kind – ein Klischee, das letztlich
einem Idealbild entspricht, w ie es maßgeblich von Erkenntnissen geprägt w urde wie z.B.
der Psychoanalyse.

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Zwei Eltern – zwei Leben
In der Schule für Transpersonale Astrologie w ird der Mutter Haus [4] und dem Vater [5]
zugeordnet. Dies hat mehrere Vorteile: Vater und Mutter können jetzt als eigenständige
Persönlichkeiten gedeutet w erden, da sie ja oftmals sehr unterschiedliche Lebensstile in
das Leben des Kindes einbringen. Dies drückt sich dadurch aus, daß jetzt jeder eine
eigene Achse im Horoskop „bekommt“: [4] ergänzt sich mit [10], und [5] mit [11] – damit
wird man der Vielschichtigkeit der elterlichen Figuren als Individuen deutlich besser
gerecht. Zusätzlich w ir d klar, daß Mutter [4] und Vater [5] sich ergänzen, und zw ar nicht
im Sinne einer „Schlüssel-Schloß-Metapher“ (Vater und Mutter müssen zusammenpassen
und bilden eine unzertrennliche Einheit), sondern einer Förderung: das mütterliche Pr inzip
geht dem väterlichen voraus und bedingt seine Ausprägung. Andererseits verwirklicht sich
[4] erst über [5], w eil dieses einen Fortschritt in der Entw icklung nach außen bedeutet. 4
In diesem Modell erleben w ir Vater und Mutter nicht mehr als statische Figuren in der
Entw icklung des Kindes, sondern als aktive Teilnehmer, die nicht nur einfach bestimmte
innere Inhalte im Kinde durch ihre Präsenz „triggern“, sondern durch ihr Vorbild
entscheidend auf den Lebensw eg des Kindes Einfluß nehmen, und zw ar als selbständig
handelnde Persönlichkeiten, die auch umgekehrt vom Kind selbst in ihrer Entw icklung
„geformt“ w erden. Das Horoskop des Kindes w ird auch für die Eltern zu einer Aufgabe,
die nicht ohne Effekt auf ihr eigenes Leben sein kann. Zugleich w ird deutlich, daß die
Eltern keine „fertigen“ Persönlichkeiten , sondern ebenfalls im „Werden“ begriffen sind: sie
sind nicht mehr gottgleiche Autorität, sondern Menschen w ie das Kind selbst. Damit
meine ich, ist in dieser Betrachtungsw eise der erste Schritt in Richtung einer respektvollen
Auseinandersetzung mit dem Kind als Partner der Eltern vollzogen.

Vater und Mutter sind nicht mehr nur Gegebenheiten, mit denen sich das Kind abfinden
muß: w ir finden in den Gegenhäusern zu [4] und [5], nämlich in [10] und [11], die sich in
der oberen Hälfte des Horoskops befinden, w elche für das Kind die „Welt der
Erw achsenen“ darstellt, klare Hinw eise, welche Vorbilder das Kind von seinen Eltern
„erw artet“. Aus dieser Kenntnis heraus können nun Eltern ihre eigene Persönlichkeit in
Funktion der w achsenden Persönlichkeit des Kindes deuten. Das heißt aber nichts
anderes, als daß das Kind nicht mehr nur mit den Eltern irgendw ie „fertig w erden“ muß,

4
    Es gibt auch noch einen ganz „klassischen“ Grund für diese Zuordnung: traditionell wird Mond der
Mutter zugeordnet und Sonne dem Vater. Mond wiederum ist eine Entsprechung für [4] und Sonne
für [5]!

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sondern die Eltern auch im Kind eine Herausforderung sehen können, sich selbst zu
verändern.

Vater und Mutter
Bei der Zuordnung der Elternrollen zum Horoskop w erden wir in der Zukunft auf ein
grundsätzliches Problem stoßen, das sich in dieser For m noch vor zehn Jahren nicht
wirklich stellte: die Anbindung von Vaterschaft und Mutterschaft an das biologische
Geschlecht. Die Diskussion um homosexuelle Lebensgemeinschaften, die zunehmende
Akzeptanz und die Möglichkeit der rechtlichen Absicherung durch eheähnliche Verträge
wird über kurz oder lang immer mehr Familien hervorbringen, in denen sich zw ei Männer
oder zw ei Frauen erzieherische Aufgaben teilen. Damit ist ein w eiterer Schritt vollzogen
weg von den Werten der patriarchalischen Kernfamilie. Die Anbindung der Elternrollen an
das biologische Geschlecht ist nicht mehr zw ingend: auch Frauen können Väter sein,
Männer können Mütter sein – oder sogar beides zugleich. Tatsache ist, daß jetzt schon
viele Lesben und Schw ule Eltern sind. Schätzungen zufolge hat jede dritte Lesbe und
jeder fünfte Schwule ein oder mehrere Kinder. Die meisten von ihnen haben ihre Kinder
aus früheren heterosexuellen Ehen oder Beziehungen. Eine kleine, möglicherw eise
zunehmende Zahl von Lesben und Schw ulen entscheidet sich heute bew ußt für ein Kind -
z. B. durch künstliche oder alternative Befruchtung. Manche sorgen für Pflegekinder,
einzelne für Adoptivkinder.

Es geht nicht darum, ob w ir es gut finden oder nicht, w enn zwei sich liebende Männer
oder Frauen eine Familie gründen – es geht darum, w ie w ir als AstrologInnen damit
umgehen w erden, wenn eines Tages Kinder aus solchen Verbindungen vor uns sitzen.
Und diese Zeit w ird kommen – ob w ir das wollen oder nicht. Bis dahin müssen w ir uns
folgende Fragen stellen: Was werden Ihnen erzählen, wenn es um den Einfluss der Eltern
auf ihr Leben geht? Und vor allen Dingen: Sind die Formeln, mit denen wir bislang
Elternthemen im Horoskop aufgespürt haben, überhaupt geeignet, der veränderten
Lebenssituation von Familien gerecht zu werden?

In der Astrologie haben sich bezüglich der Elternrollen viele sexistische Metaphern
erhalten. Nicht selten gelten diese als Archetypen und sind deshalb sakrosankt, d.h. sie
entziehen sich dem menschlichen Einfluss in das Numinose. Ein beliebiges Beispiel 5:

5
    Vgl. Liz Greene, ebd. S. 185

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Mutter – Sie vertritt das Prinzip der Materie und steht für: Erde, Gefühl, dem Zyklus von
Werden und Vergehen, dem Instinktiven im Körper assoziiert.

Vater – Er steht für den Geist und verkörpert Himmel, Feuer, Willen, Zielrichtung,
Ordnung, Struktur und Gesetz.

In der Regel w erden Mutter und Vater zusätzlich mit Mond und Sonne in Verbindung
gebracht – eine sehr alte Zuordnung, die nichtsdestow eniger den Geist patriarchalischer
Wertvorstellungen atmet: der passive Mond, der nicht von sich aus leuchten kann,
empfängt das Licht von der aktiven Sonne.

Es     w ird   deutlich, w ie w enig   gerecht    diese   Zuschreibungen      den    modernen
Familienverhältnissen w erden können. Schlimmer noch: sie suggerieren, daß das Fehlen
eines dieser Prinzipien Störungen in der Entw icklung des Kindes zur Folge haben müsse.
Aus tiefenpsychologischer Sicht hätte dies zur Folge, daß sich das „dunkle Gesicht des
Archteypus“6 zeigt, dessen Anblick für das Kind nur schwer zu kittende Probleme mit sich
bringt.

Was hat es nun aber aus der Sicht der vorgeschlagenen Modells, die Achse [4]/[10] der
Mutter und die Achse [5]/[11] dem Vater zuzuordnen, mit Vater und Mutter sein auf sich?

Mutter sein
Die Mutter erfüllt für jeden Menschen eine zentrale Rolle als derjenige Mensch, der uns
das erste Gefühle von Geborgenheit und Aufgehobensein in dieser Welt ver mittelt. Sie
erzeugt mit ihrer Gegenw art ein emotionales Klima, in dem w ir gedeihen und w achsen.
Wenn man so w ill ist die Mutter der erste Mensch, der uns die Welt als Grundlage unserer
Existenz bereitet.

Im Horoskop finden w ir die Rolle der Mutter in Haus [4], dem Haus, mit dem w ir uns am
stärksten verbunden fühlen, w eil es als tiefster Punkt des Horoskops das Fundament aller
künftigen Entw icklungen darstellt. Identifikation ist der Schlüssel zu [4]: w ir identifizieren
uns mit seinen Eigenschaften, w eil sie uns das Gefühl vermitteln, daß w ir hier unsere
Wurzeln in der Welt zu haben, hier in der Welt beheimatet sind. Das vierte Haus ist
symbiotisch: es zeigt uns, w ovon w ir in unserem Selbstverständnis abhängig sind, an
welcher Nabelschnur w ir hängen.

6
    vgl. Liz Greene, ebd.. S.190

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Das Grundgefühl, auf w elches w ir unser Leben in dieser Welt aufbauen, begegnet uns
zuerst in Gestalt der Mutter: sie ist die erste die uns zeigt, w orauf sich unser Leben
gründen soll, w enn w ir es erfolgreich zur Blüte bringen w ollen.

Wie sie das tut, steht auf einem anderen Blatt geschrieben –w ir können aus dem
Horoskop nicht ablesen, ob sie uns dieses Grundgefühl auf eine positive oder negative
Weise vermitteln w ird: w ir können nur aufzeigen, w o es Schw ierigkeiten geben könnte
und w o sich Chancen ergeben. Es liegt also in der Hand der Mutter, w ie sie die ihr
anvertraute Rolle ausfüllt.

Das Kind bekommt von der Mutter das Grundgefühl für diese Welt vermittelt, dieses w ird
astrologisch durch die Konstellationen rund um [4] dargestellt. Wohlgemer kt: Dieses
Grundgefühl ist bereits als Botschaft im Kind angelegt, doch w ird es durch die
symbiotische Beziehung zur Mutter zum ersten Mal verkörpert und an dieser Beziehung
gew eckt und geprägt.

Was das Kind von der Mutter lernen kann, befindet sich astrologisch gesehen im
gegenüberliegenden Haus [10]: Die Eigenschaften, die dort zu finden sind, beziehen sich
auf die Mutter als Herausforderung – und dies steht diametral dem Gefühl von Sicherheit
und Geborgenheit gegenüber. In [10] geht es um Strukturen und For men – auch hier geht
es um eine Art von Halt im Leben, doch um einen, der sich auf die Rahmenbedingungen
bezieht, w elche uns von außen zur Verfügung gestellt w erden.

Haus [10] ist die Welt, aus w elcher die Mutter auf das Kind zu kommt – es ist die
Verkörperung dessen, w ie mir meine Mutter begegnet. Haus [4] dagegen ist das, w as
Mutter in mir dadurch bewirkt. So gesehen bringt Mutter Struktur und Halt in das
Seelenleben des Kindes, w elches zu Anfang eher einem ungeordneten Pool an Gefühlen
entspricht, von denen keines stabil genug ist, um als Identitätsgrundlage zu dienen. Erst
das verständige Strukturieren dieses Gefühlspotentials (Haus [4]) durch Mutter er möglicht
überhaupt, hier ein Quelle unseres Lebens zu erkennen, aus der w ir die Eigenschaften
unserer Persönlichkeit speisen.

Vater sein
Die Rolle des Vaters w ir d in unserer Kultur oft sekundär betrachtet und w ird in der Regel
an den männlichen Elternteil geknüpft. Diese Rolle ist stärker als die der Mutter dem
Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen unterw orfen, und doch w ird er noch häufig
als Gegenpol zur Mutter empfunden:

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Dort w o Mutter w eich und nachgiebig ist, ist Vater hart und konsequent. Dort w o Mutter
auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes eingeht, verkörpert Vater die überindividuelle
Ordnung der Gesellschaft. Dort w o Mutter sich dem Kind als Mittelpunkt der Familie
zuw endet und es versorgt und nährt, verteidigt Vater mit seiner Stärke und seiner Macht
die Familie nach außen, w ährend er zugleich die Verantw ortung für die Familie gegenüber
der Gesellschaft übernimmt.

Längst sind diese Bilder für viele Menschen in der w estlichen Welt keine Maßstäbe mehr
und sow ohl die Rolle der Mutter als auch des Vaters w ir d nicht mehr genau zw ischen
Mann und Frau aufgeteilt, auch w enn es ein Ungleichgew icht zuungunsten der Frau gibt,
welche immer stärker ihr Recht auf die väterliche Rolle in Anspruch nimmt (z.B. in For m
von Berufstätigkeit) und zugleich unter dem Druck stehen, Mutter zu sein, w ährend
Männer immer noch zu w enig Mutter sein w ollen und dies nach w ie vor Frauen
überlassen. Ursächlich ist hier die tief im gesellschaftlichen verankerte Vorstellung von
der Aufteilung der Rollen unter den Geschlechtern in der Familie, die sich noch immer an
den sehr konservativen Bildern vom „starken Mann“ und der „schwachen Frau“
orientieren.

Die Rolle des Vaters ordnen w ir dem fünften Haus zu. Haus [5] folgt Haus [4], so w ie die
Identifikation mit dem, w as Grundlage unseres Lebens ist, die Voraussetzung dafür ist,
daß w ir eine nach außen sichtbare Persönlichkeit entw ickeln können. Während Mutter
uns die innere Seite unseres Lebens beibringt, uns zeigt, w as wir in uns empfinden,
worauf wir unser Leben emotional gründen können, ist Vater Vorbild für die äußere Seite
unseres Leben: er zeigt uns, w ie w ir uns äußern können und uns aktiv in die Welt
einbringen, und zw ar im Einklang mit unseren inneren Beweggründen ( Haus [4]).

Die Vaterrolle ist der Schlüssel zur Kreativität des Kindes, denn sie unterstützt alle
Prozesse, die das, w as in ihm steckt, nach außen bringen w ollen. Dadurch gew innt das
Kind Selbstbew usstsein und vor sich selbst (und später vor den anderen) ein Profil, eine
Persönlichkeit, mit der es sich identifizieren kann.

Haus [5] gegenüber befindet sich [11]: dieses Haus verkörpert die Qualitäten an unserem
Vater, die w ir als Herausforderung erleben, unsere Persönlichkeit auszudrücken – es ist
die Art und Weise, w ie mir mein Vater begegnet, w ährend [5] das darstellt, w as mein
Vater in mir auslöst.

Haus [11] steht im gesamten Horoskop für meine Fähigkeit, mich mit meiner
Persönlichkeit in der Gesellschaft zu verwurzeln. Darin offenbart sich der Sinn der Achse
[5]/[11]: w ährend [5] uns ein Gefühl von Authentizität unseres Handelns gibt, d.h. daß w ir

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das Gefühl haben, in unseren Handlungen uns selbst zu verw ir klichen, zeigt uns [11] w ie
es uns gelingen kann, uns als Individuum im größeren Ganzen zu verw irklichen, es ist
unsere Fähigkeit zur Individualität.

An dieser Entw icklung hat die Rolle des Vaters maßgeblich teil: w ir müssen uns also
fragen, ob es dem Vater gelingt, durch sein Vorbild eine starke und selbstbew ußte
Persönlichkeit im Kind zu w ecken, die Lust hat sich zu zeigen und schöpferischen Einfluß
auf die Welt zu nehmen. Ähnlich w ie bei der Mutter kann er dies auf der Basis der
Kooperation mit den Anlagen des Kindes tun, oder kann durch sein negatives Beispiel
eine Gegenreaktion provozieren, so daß das Kind seine Authentizität dadurch erlangt,
indem es sich ununterbrochen vom Vater befreien möchte.

Halten w ir fest: Kinder benötigen zw ei Grundimpulse aus der Welt der Erw achsenen –
einen, der ihre Identität stabilisiert und den w ir den mütterlichen Impuls nennen können,
und einen anderen, der diese Identität als Persönlichkeit nach außen verw irklicht und den
wir väterlichen Impuls nennen können. Diese beiden Impulse sind ausschlaggebend für
die Entw icklung des Kindes zu einer stabilen Persönlichkeit.

In unserer und in vielen anderen Kulturen w ird nun davon ausgegangen, daß die Rolle
des Vaters auch vom biologischen Vater übernommen w erden muß, zumindest aber
einem männlichen Stellvertreter, so w ie der mütterliche Impuls am besten von der
biologischen Mutter auszugehen hat. Damit w ird das Bild der typischen „Kernfamilie“ aus
Vater-Mutter-Kind gezeichnet – dieses aber w urde in unserer Gesellschaft in einigen
Teilen bereits über den Haufen gew orfen. Immer mehr Eltern erziehen ihre Kinder alleine,
d.h. ohne Partner, sei es, w eil aufgrund von Scheidung oder auch einer freien
Entscheidung zumeist der Frau, oder auch deshalb, w eil eine Mutter oder ein Vater nach
dem Ableben des Partners nicht w ieder heiratet. Neben dieser Eineltern-Familie stehen
auch andere Modelle zur Diskussion und zeugen davon, daß w ir uns in einem Zeitalter
des Wertew andels befinden: so erhitzt zur Zeit die Frage nach der Möglichkeit eine
gleichgeschlechtlichen Eheform die Gemüter, an die sich die w eitere Frage anschließen
wird, ob zwei als Paar zusammen lebende Frauen oder Männer auch Eltern von (z.B.
adoptierten) Kindern sein können. Weit w eniger drastisch, aber dennoch aktuell in einer
Zeit, in der Frauen immer stärker darauf bestehen, Karriere und Kinder zu vereinen, ist die
Frage, ob Männer auch mütterliche Funktionen übernehmen können – d.h. die Frage
nach dem Vertauschen der traditionellen Rollen.

Hier ist selbstverständlich nicht der Ort, an dem diese w ichtigen Fragen beantw ortet
werden können, doch kann sich eine moderne Astrologie nicht erlauben, sich diesen

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Fragen zu verschließen. So, w ie w ir das Horoskop gerade betrachtet haben, benötigt ein
Kind die Impulse der Häuserachsen [4]/[10] und [5]/[11] – aber das Horoskop macht keine
Aussage darüber, wer diese Impulse erfüllen muß ! Es geht nur darum, daß sie erfüllt
werden. Aus diesem Grund mag es denkbar sein, daß auch eine Frau für die
sogenannten väterlichen Impulse zuständig ist und ein Mann für die sogenannten
mütterlichen – oder zw ei Männer oder zw ei Frauen oder nur ein Mann oder nur eine Frau
oder teils teils …

Können Väter Mütter sein und Mütter Väter?
Wie bereits angesprochen, ist Vater sein und Mutter sein nicht an das biologische
Geschlecht eines Menschen gebunden. Aus der Tatsache, daß Frauen Kinder kriegen
und Männer nur an der Zeugung beteiligt sind, ist kein w ie auch immer gearteter späterer
unterschiedlicher im natürlicher Erziehungsstil abzuleiten.
Dies w ird besonders deutlich am sogenannten „ Mutter-Instinkt“, der                 seit dem
Rousseau’schen Entw urf von der „natürlichen Erziehung“ als unhinterfragte Tatsache in
das feste Repertoire aller pädagogischen Anstrengungen aufgenommen w urde. Tatsache
aber ist, daß bis w eit in das 19. Jahrhundert hinein viele Eltern gerade in den Städten ihre
Neugeborenen aussetzten oder lieber berufsmäßigen Ammen überließen, als diesem
„Instinkt“ Folge zu leisten.

Dennoch scheint es diesen Instinkt zu geben – und zw ar bei allen Säugetieren, und
natürlich auch beim Menschen. Nur: Die bedingungslose „instinktive“ Liebe, die
klischeehaft daran geknüpft w ird, scheint nicht die Regel zu sein. Wie sonst erklären sich
Gew alt und Ungerechtigkeit, die Kindern überall auf der Welt zugefügt w erden –
angefangen bei unmenschlichster Kinderarbeit bis hin zum Kindsmord, sei es als Opfer
für rachsüchtige Götter oder aus Angst vor Schande. Gäbe es einen unvermeidlichen
Instinkt zur Liebe gegenüber den eigenen Kindern, w äre dies alles nicht denkbar.

Der Mutter- oder besser: Eltern-Instinkt entw ickelt sich erst Schritt für Schritt und verstärkt
sich durch äußere Reize, bis aus der anfänglichen Hingabe w irkliche Liebe w ird. Es
werden Hormone freigesetzt, w ie Prolactin und Oxytocin – und zwar nicht nur bei der
Mutter, sondern auch nachw eislich beim Vater. Die Ausschüttung dieser Hor mone bew irkt
jenen Glücksrausch, der „süchtig“ nach der Nähe zum Kind macht – besonders Oxytocin,
ein natürliches Opiat, gilt als „emotionaler Universalkleber“, der Eltern an ihre Kinder
bindet, aber auch Paare zusammenschw eißt. Die Saugbew egungen des Kindes an der

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Brust, aber auch schon die einfache Berührung, ja der bloße Anblick läßt den Körper mit
diesem Hormon überfluten.

Über diese Prozesse werden Eltern konditioniert, ihre Kinder am Leben zu erhalten und
für sie zu sorgen. Voraussetzung ist aber, daß diese Prozesse nach der Geburt in Gang
gesetzt w erden – durch eine erste Zeit intensiver Zuw endung, die Eltern mit ihrem Kind
verbringen. Und: diese Bezugsperson muß nicht unbedingt die Mutter sein – es kann
auch der Vater sein, der ähnlich reagieren w ird, oder sogar irgendeine andere
Bezugsperson, die dem Kinde nahesteht, seien es Großeltern oder ältere Geschw ister.
Der Mensch scheint „kollektive Brutpflege“ zu betreiben: vielleicht entw ickelte er darum
das soziale Netz und w ar die Großfamilie lange Zeit die einzige For m der
Zusammenlebens und ist es teilw eise in vielen Kulturen noch heute.

Aus dieser Perspektive erhalten die sogenannten alternativen Familienformen im
Vergleich zu der konventionellen Zw ei-Eltern-Familie Rückenw ind, denn es w ird erklärbar,
warum entgegen aller theoretischen Einw ände weder die Eineltern-Familie noch das
gleichgeschlechtliche Elternpaar einen w ie auch immer gearteten schädigenden Einfluß
auf die Entw ic klung des Kindes haben müssen.

Nach den neuesten Erkenntnissen beispielsw eise ist davon auszugehen, dass Kinder in
homosexuellen Familien genauso glücklich oder unglücklich sind w ie in heterosexuellen
Familien auch. Kinder, die in schw ulen oder lesbischen Familien aufw achsen, neigen
sogar w eniger als andere Kinder dazu, Geschlechterstereotype aufzugreifen. Denn sie
sehen täglich, dass zw ei Frauen oder zw ei Männer notw endige Arbeiten im Haus nicht als
"Männerarbeit" beziehungsw eise "Frauenarbeit" auf den jew eils anderen Partner
abw älzen können. Mädchen, die zw ei Mütter            haben, entw ickeln auch andere
Berufswünsche als ihre Schulkameradinnen aus heterosexuellen Familien. Töchter
lesbischer Frauen möchten zum Beispiel öfter Ingenieur in, Juristin oder Astronautin
werden. Interessant ist auch die Erkenntnis der Forscher, dass die Homosexualität der
Eltern offenbar nicht "ansteckend" w irkt. Die Kinder w erden hetero- oder homosexuell w ie
andere auch. Homosexualität ist für sie jedoch mehr im Bereich des Möglichen als für
andere Kinder und sie erleben ihre sexuelle Orientierung bew usster. Wenn sie
heterosexuell sind, dann nicht deshalb, w eil es eben so üblich ist, sondern w eil sie sich
wirklich so fühlen.

Aus astrologischer Sicht kann dies leicht in die Deutung integriert w erden, denn so w ie wir
einem Horoskop nicht ansehen können, ob es zu einer Frau oder einem Mann gehört,

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können w ir auch nicht bestimmen, ob der sogenannten väterliche Impuls von einem Mann
und der mütterliche von einer Frau auszugehen hat.

Astrologie sollte stets die Situation der Menschen spiegeln, die w ir in der Wirklichkeit
vorfinden – sie darf niemanden ausschließen, indem sie Nor men aufstellt, nach denen
Menschen zu leben hätten. Wir müssen heute eingestehen, daß es die traditionelle
Familie aus berufstätigem Vater, fürsorglicher Mutter, zw ei Kindern und einem Hund nur
noch in der heilen Welt des Fernsehens gibt. Die Realität ist eine andere: der Begr iff
„Familie“ ist vielfältiger gew orden, die Grenzen fließender und viele For men können heute
von sich behaupten, ebenso so gut für das Wohl der Kinder zu sorgen, w ie das
Klischeebild. Dem muß auch in der Astrologie Rechnung getragen w erden, denn: dieses
Klischee ist nicht Bestandteil der astrologischen Anschauung, sonder einzig und allein ein
sozio-kultureller Wert, der in die Deutung des Horoskops hineingelegt w ird. Künftig gilt:
modernere Konzepte müssen zugrunde gelegt – insbesondere psychoanalytische
Modelle, die noch heute zu einem Großteil auf zw eif elhaften Rollenklischees aufbauen,
müssen hinterfragt w erden (zw eif elhaftes Zauberw ort: „Projektion“). Mit dieser Aufgabe
stehen w ir erst am Anfang.

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