Massen-Coming-out in der katholischen Kirche

Die Seite wird erstellt Lina Ziegler
 
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24.1.2022
                     Massen-Coming-out in der katholischen Kirche
In einer beispiellosen Aktion haben sich über 120 Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche
im deutschsprachigen Raum als queer geoutet und fordern ein Ende ihrer Diskriminierung.

                            Das hat es in vergleichbarer Form weltweit noch nie gegeben: Mit der Ini-
                            tiative #OutInChurch und im Rahmen einer TV-Dokumentation haben sich
                            am Montag, 24. Januar 2022, 122 queere Personen, die haupt- oder eh-
                            renamtlich in der römisch-katholischen Kirche tätig sind, als queer geoutet.
                            Unter ihnen sind Priester, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen, Religi-
                            onslehrer*innen, aber auch Mitarbeiter*innen aus der kirchlichen Verwal-
                            tung. Sie sind im gesamten deutschen Sprachraum zuhause, zum gröss-
                            ten Teil jedoch in Deutschland.

"Viel zu oft wird abstrakt über die Betroffenen gesprochen", erklärte Initiator Jens Ehebrecht-
Zumsande, Referent im Generalvikariat des Erzbistums Hamburg, zur Gründung. "Mit #OutInChurch
werden diejenigen, um die es geht, in der Kirche selbst hörbar und sichtbar." Man wolle zur "Erneu-
erung der Glaubwürdigkeit und Menschenfreundlichkeit der katholischen Kirche beitragen", heisst es
ergänzend in einer Pressemitteilung. Inspiriert wurde die Initiative durch die Aktion #ActOut, bei der
sich vor einem Jahr zahlreiche queere Schauspieler*innen outeten.

Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts gefordert

#OutInChurch (Untertitel: "Für eine Kirche ohne Angst") fordert u.a. eine Änderung des kirchlichen
Arbeitsrechts, so dass die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität künftig kein Kündi-
gungsgrund mehr sind. Ausserdem sollen diffamierende Aussagen zu Geschlechtlichkeit und Sexua-
lität aus der kirchlichen Lehre gestrichen werden. Der Zugang zu den katholischen Sakramenten und
zu allen Berufsfeldern der Kirche dürfe ihnen nicht mehr vorenthalten werden.

Das neue Netzwerk will die Öffentlichkeit gegen solchen Druck von Seiten der Kirche mobilisieren
und ruft alle LGBTI, die haupt- oder ehrenamtlich für die katholische Kirche tätig sind, dazu auf, sich
ihm anzuschliessen. Die Bischöfe und alle, die in der Kirche Verantwortung tragen, die Kirchenge-
meinden, Verbände und Ordensgemeinschaften wurden aufgefordert, ihre Unterstützung für das
Manifest öffentlich zu erklären.

Unmittelbar mit Beginn haben sich bereits zwei Dutzend katholische Verbände und Initiativen hinter
#OutInChurch gestellt. Ein Coming-out in diesem Rahmen sei "ein mutiger und für viele sicherlich
kein einfacher Schritt", heisst es in der Erklärung "Für Diversität in der katholischen Kirche!", die auch
vom Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken unterzeichnet wurde. "Mit der Stärke
unserer gemeinsamen Stimme solidarisieren wir uns mit den mutigen Personen – auch in unseren
Reihen – und unterstützen ihre Forderungen."

HuK befürchtet arbeitsrechtliche Konsequenzen

"Dies ist ein Freudentag für die Kirche", erklärte Thomas Pöschl, Vorstandsmitglied der Ökumeni-
schen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK), zum Massen-Coming-out. "Wir beglückwün-
schen alle zu diesem mutigen Schritt." Der "starke Impuls" trage hoffentlich dazu bei, dass sich die
Haltung der katholischen Kirche gegenüber LGBTI ändere.

Allerdings sei auch zu befürchten, dass Mitglieder von #OutInChurch arbeitsrechtliche Konsequenzen
erleiden müssten, warnte die HuK. Zwischen den Texten des kirchlichen Arbeitsrechts und der Praxis

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in vielen Diözesen klaffe eine grosse Kluft, die zu einem Zustand der Rechtsunsicherheit geführt
habe. Der Verein hat daher eine Orientierungshilfe erarbeitet, die praktische Hinweise und Informatio-
nen zum Verständnis der "Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsver-
hältnisse" enthält.

"Mit unserer Orientierungshilfe informieren wir über das, was sich in unserer Kirche schon bewegt
hat, was wir erreichen konnten", sagte Markus Gutfleisch, der Autor des Leitfadens. "In Deutschland
arbeiten schätzungsweise über 30’000 queere Menschen bei der katholischen Kirche. Ohne uns wür-
den Caritas, kirchliche Krankenhäuser, Pflege- und Bildungseinrichtungen und die gesamte Seelsor-
ge untergehen."

In der Video-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" von Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal
und Peter Wozny treten Teilnehmer*innen von #OutInChurch zum ersten Mal vor die Kamera und
berichten von dem oft jahrelangen Versteckspiel und der Angst vor dem Coming-out.

                                              25.1.2022
               Queere Kirchenangestellte wagen Massen-Coming-out

Über 120 Angestellte der römisch-katholischen Kirche outen sich gemeinsam – und trotzen
damit der Gefahr einer Entlassung. Sie brechen ein Tabu, das auch in der Schweiz noch weit
verbreitet ist.

"#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst" heisst die Aktion. 120 römisch-katholische Priester,
Seelsorgerinnen, Religionslehrer, Angestellte von christlichen Hilfswerken und Spitälern outen sich
am Montag als homosexuell oder trans.

"Ich könnte dafür meine Missio verlieren und damit die Erlaubnis zu unterrichten", sagt Religionsleh-
rerin Lisa Redding im Film der ARD, der die Aktion begleitet. "Doch es ist wichtig, unser Gesicht zu
zeigen und unsere Stimme zu erheben und damit zu sagen: Wir sind da!"

Im besten Fall wird weggeschaut

Homosexuell zu sein und für die römisch-katholische Kirche zu arbeiten, ist auch heute noch ein
Problem. Im besten Fall wird weggeschaut. Im schlechtesten Fall fühlen sich queere Kirchenange-
stellte gezwungen, ihre sexuelle Orientierung zu verheimlichen – aus Angst, ihre Stelle zu verlieren.
Das gilt für Deutschland – und, etwas abgeschwächt, auch für die Schweiz.

Hier sind es die Kantonalkirchen, die die Seelsorgerinnen, Pfarrer und Religionslehrerinnen anstellen.
Kantonalkirchen, die offener sind gegenüber homosexuellen Angestellten. Doch auch in der Schweiz
benötigen viele kirchliche Angestellte für ihren Job bei der römisch-katholischen Kirche eine soge-
nannte Missio vom zuständigen Bischof.

Grosse Akzeptanz an der Basis

Das könne für Homosexuelle zum Problem werden, bestätigt Meinrad Furrer, der sich bei der römisch-
katholischen Kirche der Stadt Zürich für queere Menschen einsetzt und im letzten Jahr mit der öffent-
lichen Segnung von homosexuellen Paaren für Aufsehen gesorgt hat.

"An der Kirchenbasis gibt es eine grosse Akzeptanz gegenüber queeren Menschen, auch queeren
Pfarrern oder Seelsorgerinnen", sagt Meinrad Furrer. Anders weiter oben in der Hierarchie: "Viele
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Bischöfe sind in der Zwickmühle, sie sind der Lehrmeinung verpflichtet, den Vorgaben aus dem Vati-
kan, auch wenn sie persönlich sehr offen sind." Und diese Lehrmeinung besagt, dass gelebte Homo-
sexualität und der Dienst in der römisch-katholischen Kirche unvereinbar sind.

Mutig ein Zeichen setzen

Als "unglaublich homophob" bezeichnet Pierre Stutz die Doktrin aus dem Vatikan. Der ehemalige
Priester hat sich 2002 geoutet, lebt heute als Autor in Deutschland und engagiert sich in der Aktion
#OutInChurch. "Ich habe in dieser Initiative viele junge Menschen kennengelernt, die wie ich damals
in Angst leben, ihren Job zu verlieren. Das erschüttert mich und macht mich wütend."

                                               25.1.2022
Deutsche Bischofskonferenz begrüsst Coming-out von Kirchenmitarbeitenden

Im Namen der Bischofskonferenz fordert der Aachener Bischof ein "Klima der Angstfreiheit"
in der Kirche auch für queere Menschen.

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat das Coming-out von 125 queeren Beschäftigten in der
Initiative #OutInChurch begrüsst. "Ich möchte das im Namen der Deutschen Bischofskonferenz be-
grüssen als ein Zeichen dafür, dass wir daran arbeiten, dass ein solches Klima der Angstfreiheit in
unserer Kirche herrschen muss und entstehen muss", sagte am Montag der Aachener Bischof Helmut
Dieser am Rande von Beratungen des Ständigen Rates der Bischofskonferenz in Würzburg.

Niemand dürfe wegen seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert,
abgewertet oder kriminalisiert werden, so der Bischof. Beides sei Teil der individuellen Persönlichkeit.
"Wir haben ein Menschenbild, das uns sagt, dass die Person unbedingt von Gott geliebt ist." Die
Aussage des Bischofs wurde auf den Seiten der Deutschen Bischofskonferenz in sozialen Medien
veröffentlicht.

Dieser hatte bereits in einem am Montag veröffentlichten Artikel als erster katholischer Oberhirte ein
Schuldbekenntnis seiner Kirche gegenüber Lesben und Schwulen gefordert. "Ich glaube schon, dass
wir es mit Diskriminierung zu tun haben", sagte Dieser. Homosexuelle Menschen seien auch durch
die Kirche "abgewertet und kriminalisiert" worden.

Chef der Deutschen Bischofskonferenz ist der relativ liberale Limburger Bischof Georg Bätzing. Er
hat immer wieder in Aussicht gestellt, dass Homosexuelle auch in der katholischen Kirche akzeptiert
werden könnten, selbst wenn sie nicht keusch lebten. Allerdings verhielt sich die Konferenz auch
immer wieder LGBTI-feindlich: So vergab sie letztes Jahr ihren Kinderbuchpreis nicht, weil im Gewin-
nerbuch eine trans-Figur auftauchte.

Die Initianten von #OutInChurch empfinden die Diskriminierung als Verrat am Evangelium, welche
den Auftrag der Kirche konterkariert. Dieser bestünde darin, Zeichen und Werkzeug für die innigste
Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit zu sein.

Die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sowie das Bekenntnis hierzu wie auch das
Eingehen einer nicht-heterosexuellen Beziehung oder Ehe sollten niemals als Loyalitätsverstoss gel-
ten und folglich Einstellungshindernis oder Kündigungsgrund sein. LGBTI+ Personen müssten freien
Zugang zu allen pastoralen Berufen erhalten.

                                               Seite 3 von 8
27.1.2022
                        Bischofs-Lob für #OutInChurch-Initiative

Die Reaktion auf #OutInChurch ist auch in der katholischen Kirche sehr positiv. Mehrere
Bischöfe fordern, dass queere Mitarbeitende nicht länger wegen ihrer sexuellen Orientierung
diskriminiert werden sollten.

Einige deutsche Bischöfe und Generalvikare haben sich lobend über das Coming-out von mehr als
120 Mitarbeitenden im Rahmen der Initiative #OutInChurch geäussert, andere wollten sie nicht bewer-
ten. Die Aktion war von einer Video-Dokumentation begleitet worden, in der Mitarbeitende über Diskri-
minierung bis hin zur Entlassung durch die katholische Obrigkeit berichteten – eine Paderborner
Dekanatsreferentin erzählte in der Sendung etwa davon, wie sie wegen ihrer Lebenspartnerschaft mit
einer Frau mitten in der Schwangerschaft – zwei Wochen vor Beginn ihres Mutterschutzes – nach 13
Jahren gefeuert wurde.

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode erklärte in einer Mitteilung, er halte Änderungen in der
Sexualmoral der Kirche und im kirchlichen Arbeitsrecht für überfällig. "In der Beteiligung an der Kam-
pagne '#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst' sehen wir einen mutigen Schritt von 125 queeren
Mitarbeitenden der katholischen Kirche aus dem ganzen Land", teilte der Bischof mit. "Zugleich
mahnen diese Zeugnisse eine längst überfällige Debatte an." Derzeit gebe es eine "mehr als unbe-
friedigende Situation" für queere Mitarbeitende.

                         Auch der Hildesheimer Bischof Wilmer betonte laut NDR, der wertschätzen-
                         de Umgang mit homosexuellen Menschen sei "völlig zu Recht ein wichtiges
                         Thema des synodalen Weges". Die bislang vom Vatikan verbotene Segnung
                         gleichgeschlechtlicher Paare sollte nicht tabuisiert, sondern weiter diskutiert
                         werden. Er verwies darauf, dass die Kirche gleichgeschlechtliche Lebensge-
                         meinschaften würdigen müsse, allerdings dürfe dadurch das Sakrament der
                         (heterosexuellen) Ehe nicht infrage gestellt werden.

Bereits zuvor hatte der Hamburger Erzbischof Stefan Hesse Respekt für die Aktion geäussert, der
Aachener Bischof Helmut Dieser lobte sie sogar im Namen der Deutschen Bischofskonferenz.

Bistum Essen verspricht "keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen" für Homosexualität

In mehreren Bistümern äusserten sich Generalvikare als Stellvertreter der Bischöfe lobend zur Aktion.
"Ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität hat in unserem Bistum keine arbeitsrechtlichen Konse-
quenzen", betonte etwa der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer in einem vom Bistum in sozialen
Netzwerken verbreiteten Zitat.

Der Trierer Generalvikar Ulrich von Plettenburg erklärte: ""Die Aktion zeigt die Wirklichkeit von sexu-
eller Vielfalt in der Kirche und unter den kirchlichen Mitarbeitenden auf." Queere Menschen sollten "in
unserer Kirche natürlich eine Heimat haben und keine Repressionen fürchten müssen".

In manchen Regionen wurden aber auch Bedingungen für homosexuelle Mitarbeiter genannt. Gegen-
über der "Main Post" erklärte Bernhard Schwessinger, der Sprecher des Bistums Würzburg, dass die
Homosexualität von zwei Priestern, die sich im Rahmen der Kampagne geoutet hatten, bekannt sei;
er betonte dabei, dass er von jedem Priester erwarte, "dass er sein Zölibatsversprechen hält".

Eigentlich untersagt der Vatikan, dass schwule Männer Priester werden können – auch Papst Franzis-
kus hatte das Verbot bekräftigt. So sagte er 2018 laut "La Stampa", dass Priesterseminare Männer

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abweisen sollten, wenn es nur "den geringsten Zweifel" an der Heterosexualität eines Bewerbers
gebe.

Mehrere Diözesen wollten #OutInChurch nicht bewerten – laut Bayerischem Rundfunk etwa die Bis-
tümer Regensburg und Passau. Das Erzbistum Köln des queerfeindlichen Erzbischofs Rainer Maria
Woelki, dem der Papst wegen seiner Reaktion auf einen Missbrauchsskandal bis März eine "geistli-
che Auszeit" verordnet hatte, äusserte sich in sozialen Netzwerken nicht direkt zur #OutInChurch-
Kampagne – am Folgetag der Aktion veröffentlichte es jedoch den Text: "Vom Saulus zum Paulus
werden. Sich vom Schlechten ab- und zum Guten hinwenden" mit einem Daumen-hoch-Symbol.

Aus Politik und Unterhaltung kommt viel Rückhalt für die Aktion. Kulturstaatsministerin Claudia Roth
(Grüne) bezeichnete die Aktion etwa als "ein Beben, ein so mutiges, ein wichtiges und starkes Mani-
fest für Veränderung".

Dragqueen und Dschungelshow-Aftershowmoderatorin Olivia Jones kommentierte die Aktion in
Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal mit den Worten: "Es wird Zeit, dass auch der Vatikan
aufwacht und 'aufmacht'. Sonst werden sich seine Schafe bald andere Hirten suchen."

                                             28.1.2022
                   Mehrere Bischöfe unterstützen grosse Reformen

Erzbischof Koch stellt das Zölibat in Frage, Kardinal Marx leitet einen Queer-Gottesdienst.
Nach dem Massen-Coming-out vor einer Woche kommt Bewegung in die katholische Kirche.
Weitere deutsche Bischöfe fordern öffentlich grundlegende Reformen.

In der katholischen Kirche in Deutschland überschlagen sich die Forderungen nach massiven Refor-
men. Der Erzbischof des Erzbistums Berlin, Heiner Koch, stellte als Reaktion auf die Initiative
#OutInChurch sogar das Zölibat auf den Prüfstand. Ehelosigkeit sei zwar ein "starkes Glaubens-
zeugnis", müsse aber "nicht der ausschliessliche Weg zum priesterlichen Dienst sein", sagte Koch
am Wo¬chen¬ende dem "Tagesspiegel". Er wisse, "wie stark die Glaubens- und Verkündi-gungskraft
vieler Verheirateter ist, die auch im priesterlichen Leitungsdienst eine Bereicherung wären".

Die Online-Petition "#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst" haben mittlerweile bereits über
79’000 Menschen unterschrieben.

Koch: Umgang mit Homosexualität "eines der grossen Probleme"

"Ich bedauere, dass sie offensichtlich in der Kirche, in ihren Gemeinden und in ihren Gemeinschaften
nicht die Offenheit gefunden haben, darüber zu sprechen", kommentierte Erzbischof Koch das Mas-
sen-Coming-out. Der Umgang der Kirche mit Homosexualität sei "eines der grossen Probleme". In
der katholischen Weltkirche gebe es "nach wie vor abwertende Positionen zur Homosexualität". Für
die Kirche in Deutschland sei das Coming-out "auch ein dringender Anstoss, den ich ausdrücklich
unterstütze, die Grundordnung, das kirchliche Arbeitsrecht, zu evaluieren".

Der Würzburger Bischof Franz Jung glaubt indes nicht an eine schnelle Reform des katholischen
Arbeitsrechts. "Ob sich das in diesem Jahr ändert, das weiss ich nicht", sagte er am Freitag in der
Sendung "Bayern 2 debattiert". In diesem Zusammenhang seien "unendlich komplizierte Diskus-
sionen" zu erwarten.

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Insgesamt sieht Jung einen grossen "Umdenkungsprozess" in der katholischen Kirche im Umgang
mit LGBTI. "Wir müssen auf die Wirklichkeit schauen, wie sie ist, die Menschen so annehmen, wie
sie sind, und mit ihnen zusammen einen Weg gehen", so der Bischof in der Radiosendung. Eine
Aufrechterhaltung der Fassade der Kirche, die wichtiger sei als das wirkliche Leben, dürfe es in
Zukunft nicht mehr geben – weder beim Thema Missbrauch noch beim Thema Homosexualität. "Es
kann keine Lehre geben, wo man die Wirklichkeit ausblendet."

Erzbischof Schick: Niemandem wird gekündigt

Für Veränderungen in der katholischen Kirche sprach sich auch der Bamberger Erzbischof Ludwig
Schick aus. "Bei Problemen bezüglich sexueller Orientierung, Scheidung und Wiederverheiratung etc.
haben wir immer versucht, Lösungen zu finden. Das werden wir auch in Zukunft fortsetzen", sagte
Schick gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur. Wenn queere kirchliche Mitarbeiter*innen
sich outeten, hätten sie nicht mit Kündigung zu rechnen.

Der Kardinal und Erzbischof von München, Reinhard Marx, hatte sich bereits am Donnerstag für die
Zulassung von schwulen Männern zum Priesteramt ausgesprochen. Nun wurde bekannt, dass er am
13. März 2022 erstmals eine LGBTI-Messe leiten wird. Der Queer-Gottesdienst in der Paulskirche an
der Theresienwiese findet bereits seit 20 Jahren statt – immer am zweiten Sonntag im Monat um
18.30 Uhr. Zum Jubiläum hatte die Gemeinde den Kardinal angefragt, der überraschend zusagte.

                                             28.1.2022
                       Magdeburger Bischof gibt Missstände zu

Bischof Gerhard Feige hat die Initiative #OutInChurch begrüsst: "Im Bistum Magdeburg müssen Mitar-
beitende, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen
fürchten", sagte Feige am Donnerstag.

"Gut, dass inzwischen immer offener über Missstände und Ungereimtheiten in unserer Kirche gespro-
chen werden kann und dabei niemand mehr Angst zu haben braucht." Feige betonte zudem: "Es darf
nicht sein, dass jemand wegen seiner sexuellen Orientierung oder seiner geschlechtlichen Identität
diskriminiert oder herabgesetzt wird."

Innerhalb der katholischen Kirche gibt es bislang fast ausschliesslich positive Äusserungen zu #Out-
InChurch. Kritik wird eher angedeutet – etwa mit dem Hinweis, dass für homosexuelle Priester das
Zölibat gelte. Rechtsradikale Medien machen dagegen Stimmung gegen die Aktion. "Die Freie Welt",
eine von der von der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch und ihrem Mann betriebener Propaganda-
Seite, erklärte etwa, #OutinChurch sei ein "Angriff auf die Kirche".

                                             29.1.2022
            Dresdner Bischof fordert Überwindung von Ausgrenzungen

Der katholische Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers forderte seine Kirche dazu auf,
Akzeptanz für queere Menschen zu entwickeln. In seinem Bistum hätten queere Mitarbeitende
keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu fürchten.

Der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers begrüsst die Aktion #OutInChurch von queeren Men-

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schen in der katholischen Kirche. "Es ist mir ein Anliegen, dass wir in unseren Gemeinden wie in der
ganzen Kirche in unserem Umgang mit der Gruppe der queeren Menschen Akzeptanz und Toleranz
entwickeln und stärken", sagte er am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Dresden. "Bisher ist
uns das zu wenig gelungen."

Die Kirche habe homosexuelle Partnerschaften, Transgeschlechtlichkeit und Diversität "häufig falsch
beurteilt", aber man suche sich seine Sexualität nicht aus. Auch im Bistum Dresden-Meissen seien
diese Menschen oft alleingelassen oder de facto ins Abseits gestellt worden. "Mit Blick auf heutige
Erkenntnisse der Sexualwissenschaft müssen wir diese Fragen neu bewerten", sagte Timmerevers
und versicherte zugleich: "Menschen müssen wegen ihrer sexuellen Orientierung in unserem Bistum
keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen befürchten."

Humanwissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen

Die Katholische Kirche sollte mit Blick auf die Sexualmoral humanwissenschaftliche Erkenntnisse und
auch pastorale Notwendigkeiten berücksichtigen, sagte der Bischof des Bistums Dresden-Meissen.
Dazu gehöre auch die Frage nach der Möglichkeit zu Segenshandlungen für gleichgeschlechtliche
Paare.

"Unsere Kirche sollte Ausgrenzungen überwinden und die Möglichkeit bieten, alle Menschen seel-
sorglich zu begleiten und zu integrieren", sagte Timmerevers. Er wünsche sich eine Haltung, "die den
anderen annimmt, so wie auch Gott jeden Menschen trotz und mit allem annimmt – jeden Menschen."
Bereits im vergangenen Jahr hatte sich der 69-Jährige für die Segnung von lesbischen und schwulen
Paaren ausgesprochen.

                                             29.1.2022
            Besonders viele Coming-outs im Nordwesten Deutschlands

Queer sein und für die katholische Kirche arbeiten – das erlaubt die Lehre nicht. Aber es gibt
diese Menschen im Kirchendienst. Im Nordwesten von Deutschland haben besonders viele ihr
Coming-out gewagt.

Ann-Cathrin Röttger muss sich erst noch daran gewöhnen, frei über ihre Liebe sprechen zu können.
Die 43-Jährige leitet die Arbeitsstelle Freiwilligendienste im katholischen Bistum Osnabrück. Ihr
Arbeitsplatz liegt am Dom im Generalvikariat, in dem man auch dem Bischof über den Weg läuft.
Röttger gehört zu den 125 kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Priestern und engagierten
Laien in Deutschland, die in der Aktion #OutInChurch ihr Queersein öffentlich gemacht haben.

Vorher hätten nur zwei oder drei enge Kolleginnen und Kollegen gewusst, dass sie lesbisch ist, sagte
Röttger der Deutschen Presse-Agentur. "Auch im direkten Team war das nicht bekannt." Dabei habe
sie auf wohlmeinende Fragen, wie es ihr alleinstehend im Corona-Lockdown geht, die Antwort auf
der Zunge gehabt: Ich bin nicht allein und mir geht es gut.

Doch gleichgeschlechtliche Beziehungen sind mit Lehre und Dienstrecht der katholischen Kirche nicht
vereinbar, sie können zur Kündigung führen. "Ich wünsche mir eine Kirche, in der ich auch als Haupt-
amtliche meine sexuelle Orientierung und meine Partnerschaft nicht verstecken muss", sagte Röttger
für #OutInChurch. Und sie hofft, dass sich durch die Kampagne am kirchlichen Arbeitsrecht etwas
ändert.

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Die Aktion vereint Menschen aus ganz Deutschland, aber gerade im norddeutschen Bistum Osna-
brück haben viele Kirchenmitarbeiter das Coming-out gewagt. Ein Pastoralassistent gehört dazu, eine
Theologiestudentin und Leiterin der katholischen Pfadfinderschaft, zwei schwule Gemeindemitglieder
aus Freren im Emsland.

"Es hat mit der Stimmung im Bistum zu tun, dass es Vertrauen gibt", sagte der Jugendreferent Sven
Diephaus (40) aus Haselünne. Bei ihm wisse die Gemeinde schon lange, dass er schwul sei. "Da bin
ich akzeptiert, so wie ich bin." Bevor die Aktion durch den ARD-Film "Wie Gott uns schuf" öffentlich
wurde, sprachen Röttger und Diephaus mit Bischof Franz-Josef Bode. Er habe Verständnis gezeigt,
berichten beide. Kündigungen stehen nicht im Raum.

Öffentlich nannte der Bischof die Debatte längst überfällig. Die Loyalität kirchlicher Mitarbeiter und
Mitarbeiterinnen werde arbeitsrechtlich eng an die Lebensform gebunden. Zwar könne man im Einzel-
fall Regelungen finden, aber diese schafften zugleich Unsicherheiten. "Es ist dringend notwendig, für
alle Seiten verlässliche Lösungen zu finden." Daran arbeite der Reformprozess Synodaler Weg, sagte
Bode.

"Solange die rechtliche Grundlage sich nicht ändert, bleiben wir 125 Einzelfälle", sagt auch der Bre-
mer Gemeindeassistent Manuel Rios Juárez (29). Die drei Gemeinden im Norden der Hansestadt
und in Schwanewede (Kreis Osterholz), in denen er arbeitet, gehören zum Bistum Hildesheim. Des-
sen Oberhirte Heiner Wilmer zeigte ebenfalls Verständnis: "Es geht darum, die heutigen Lebenswirk-
lichkeiten von gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften zu würdigen, ohne damit das Sakrament der
Ehe zwischen Mann und Frau in Frage zu stellen."

Bei Rios Juárez erfuhr die Gemeinde erst durch #OutInChurch, dass er schwul ist und einen Freund
hat. Aber er ist froh über den Schritt: "Es ist eine zutiefst christliche Haltung, mit der Wahrheit ans
Licht zu gehen." Die ersten Reaktionen seien "durchweg positiv" gewesen, berichtet er, und so war
es auch für Röttger und Diephaus.

Aber sie rechnen damit, dass sich auch Widerstand formieren wird. Die drei Verfechter von #OutIn-
Church gehen davon aus, dass die deutschen Bischöfe ein neues Dienstrecht beschliessen könnten,
ohne auf die Weltkirche zu warten. "Ich denke, die Kirche in Deutschland oder Westeuropa müsste
mutige Schritte gehen, um der gesellschaftlichen Realität Rechnung zu tragen", sagt Röttger.

Als die drei in den kirchlichen Dienst traten, haben sie den möglichen Konflikt mit dem Arbeitsrecht in
Kauf genommen – gerade aus Zuneigung zur Kirche. "Mir war im Vorfeld bewusst: Du entsprichst
nicht dieser Norm", sagt Diephaus. "Es ist eine Berufung, die einen in die Kirche bringt", sagt Rios
Juárez. Röttger sagt, sie habe immer auf Änderungen gehofft. Denn Kirche habe trotz Missbrauch-
Skandals und anderer negativer Erscheinungen etwas zu geben. "Ich finde, wir haben die grosse
Gabe, Menschen einfach annehmen zu können".

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