Max-Emanuel Geis Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz Ein symphonischer Werkstattbericht

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Max-Emanuel Geis
                                       Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz
                                       Ein symphonischer Werkstattbericht

I. Präludium, oder: Vorspiel auf diversen Bühnen                    Besagtes Papier wurde in die Bayerische Staatskanzlei
                                                                lanciert und dort zur „Chefsache“ aufgebaut. Insgesamt
Schon 2019 gab es Überlegungen einer umfassenden                blieb der Prozess aber reichlich intransparent: Im Minis-
Reform des bayerischen Hochschulrechts, liegt doch die          terium existierte ein – ständig fortgeschriebenes – Eck-
letzte große Änderung im Jahre 2006 – die durch die             punktepapier, das aber zunächst nur Eingeweihten be-
Föderalismusreform I verursacht wurde – doch schon              kannt war. Es verwundert daher nicht, dass teilweise
eineinhalb Jahrzehnte zurück. Angesichts der seither            wüste Gerüchte über die mutmaßlichen Neuregelungen
massiv voranschreitenden Internationalisierung und              bis hin zum Kahlschlag der Selbstverwaltung kursierten.
Globalisierung soll eine weitere Autonomie vor allem            Dies sorgte zum einen für großen Ärger bei den meisten
durch flexiblere Governancestrukturen, aber auch eine           Hochschulleitungen, die sich nicht als Eingeweihte emp-
weitere Stärkung der Hochschulleitungen die Vorausset-          finden durften, zum anderen zu großen Sorgen insbe-
zungen geschaffen werden, um in einer weltweit immer            sondere bei den Geisteswissenschaften, die sich schon
kompetitiveren Hochschulwelt nicht den Anschluss zu             als Opfer einer neoliberalen Ökonomisierung, eines Ver-
verlieren. Immerhin haben es ja auch die verschiedenen          marktbarkeitsdogmas und als Wissenschaften zweiter
Phasen der Exzellenzinitiative/-strategie nicht wirklich        Klasse, kurz: eines akademischen Kahlschlags sahen.
geschafft, den deutschen Universitäten in den weltweiten        Zudem wurde bekannt, dass die Staatskanzlei offenbar
Rankings Riesensprünge nach vorn zu verschaffen, was            entschlossen war, das Verfahren in größtmöglicher
freilich auch an der „anglophilen“ Rankingmethodik lie-         Schnelle durchzuziehen, idealerweise schon bis zum Jah-
gen mag.                                                        resende. Diese Unruhe, die sich auch in den Medien ab-
    Die Vorarbeiten zum Gesetzesentwurf dümpelten               bildete, führte dazu, dass die Opposition im Oktober
zunächst etwas vor sich hin, nahmen aber dann Mitte             2020 eine Sachverständigenanhörung im Wissenschafts-
2020 massiv an Fahrt auf. Anlass war ein Arbeitspapier          ausschuss erwirkte. Diese Anhörung war in mehrfacher
aus dem Bereich der Technischen Hochschulen, das eine           Hinsicht grotesk: Zum einen existierte ja noch kein Ge-
Gleichstellung des Wissens- und Technologietransfers            setzesentwurf, das Verfahren bewegte sich gerade einmal
mit den Bereichen Forschung und Lehre forderte, eine            noch auf der ministeriellen Referentenebene, so dass die
deutliche (weitere) Stärkung der Hochschulleitung zu            Befassung durch den Wissenschaftsausschuss eigentlich
Lasten der kollegialen Selbstverwaltungsorgane verlang-         zur Unzeit stattfand. Zum anderen wurde den 10 gelade-
te (um angebliche „Blockaden“ der Entscheidungspro-             nen Sachverständigen (die mehrheitlich aus Hochschul-
zesse zu verhindern) und den Hochschulen durch Ein-             präsidenten bestanden) ein Fragenkatalog von 77 Fragen
räumung einer weitgehenden Organisationsautonomie               übermittelt, die Zeit der Anhörung war mit gut drei
die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Binnen-Governance          Stunden recht knapp angesetzt. Allerdings konnte man
auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zuzuschneiden. Auch             aus der Formulierung der Fragen recht eindeutig sowohl
sollten die Hochschulen zu reinen Körperschaften mit            den ungefähren Stand des immer noch apokryphen Eck-
Globalhaushalt umgebaut werden. Diese Ideen sind frei-          punktepapiers als auch der im Hintergrund wirkenden
lich gar nicht so visionär, wie behauptet, wurden sie doch      Ideengeber erraten.
in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen und                    In der Anhörung selbst wurde nicht mit Kritik ge-
auch anderen Bundesländern unter dem Siegel „Unter-             spart, sowohl am dysfunktionalen Verfahren also auch
nehmerische Hochschule“ schon vor knapp 20 Jahren               an den aufgrund der Fragen vermuteten, sich abzeich-
proklamiert (und zwischenzeitlich in Teilen auch wieder         nenden Inhalte. Es fiel sogar das sarkastisch überhöhte
revidiert).                                                     Wort von einer „Einführung des Führerprinzips“ zu

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Gunsten der Hochschulleitungen, was auch in der Presse          6. Die Gleichstellung aller Geschlechter und die tat-
kolportiert wurde und die Gemüter weiter erregte. Kurz             sächliche Gleichstellung der Frauen in der Wissen-
nach der Anhörung wurde dann die finale Fassung des                schaft sind zentrale Querschnittsaufgabe der Hoch-
Eckpunktepapiers ins Netz gestellt. In den Wochen da-              schulen und deren Leitungen.
nach war das Ministerium durch eine vorsorgliche                7. Es muss ausreichend Zeit für Stellungnahmen der
„Charmeoffensive“ erst einmal an einer Deeskalation be-            Betroffenen und ihrer Verbände eingeräumt wer-
müht. Zwischenzeitlich wurden in Gremien, Verbänden                den. Da eine komplette Neufassung des Gesetzes
und sonstigen Gruppen wiederum Ziele und rote Linien               geplant ist, muss auch allen Hochschulorganen aus-
diskutiert, die von der Gesetzgebung beachtet werden               reichend Gelegenheit gegeben werden, eine Position
sollten. Zugleich unternahm das bayerische Wissen-                 zum Gesetzesvorschlag zu entwickeln.
schaftsministerium eine Charmeoffensive, in der der Mi-           Gerade die letzte Forderung erschien besonders
nister und hochrangige Ministerialvertreter sowohl in        wichtig, war doch schon wieder das Gerücht aufgekom-
Online-Foren als auch unter Teilnahme an Hochschul-          men, dass der neue Zeitplan eine Verabschiedung im Ka-
ratssitzungen für das Projekt warben und den oben ge-        binett Anfang März 2021 vorsehe mit einer anschließen-
äußerten Gerüchten und Ängsten entgegenwirkten. Zu-          den 6-wöchigen Frist für die Verbändeanhörung bis
gleich wurde deutlich, dass der anfangs überambitio-         längstens Ende April, so dass das Gesetz noch vor der
nierte Zeitplan nicht einzuhalten sei.                       Sommerpause in Kraft treten könne. Dann wäre aber die
    Mitte Januar 2021 veröffentlichten dann die großen       leidige (wenngleich nicht unbekannte) Situation einge-
Gruppenverbände (Deutscher Hochschulverband,                 treten, dass wegen der in Bayern noch andauernden vor-
Hochschullehrerbund, Landesverband Wissenschaftler           lesungsfreien Zeit eine strukturierte Befassung und Dis-
in Bayern, Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstel-       kussion in den Senaten nahezu unmöglich gewesen
lungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen, Landes-        wäre. Da hierüber auch in der Regierungskoalition un-
Asten-Konferenz) eine gemeinsame Stellungnahme mit           terschiedliche Auffassungen herrschten, wurde der Zeit-
folgenden sieben Kernforderungen:                            plan noch einmal nach hinten verschoben und zwi-
  1. Hochschulauftrag ist Forschung und Lehre, dieser        schenzeitlich im Entwurf noch einmal etliche Detailre-
     muss vollständig staatlich finanziert sein. Hoch-       gelungen verändert.
     schulen sollen nur mit Zustimmung ihrer akademi-
     schen Kollektivorgane reine Körperschaften wer-         II. Exposition, oder: der lang erwartete Gesetzesent-
     den.                                                    wurf
  2. Erhalt von selbstverwalteten, fachlichen Einheiten
     mit eigener selbstgewählter Leitung und Zuständig-      Dann war es soweit: Am 18. Mai 2021 billigte das bayeri-
     keit für Studiengänge; diese haben ein eigenes,         sche Kabinett den Gesetzesentwurf, der am 11.6.2021
     selbstgewähltes Kollektivorgan, in dem alle Status-     sodann ins Netz gestellt wurde. Der Leser erlebt ein
     gruppen vertreten sind (berufliche und studentische     Gesetz, das die interne Organisation und Governance
     Heimat).                                                fast völlig den einzelnen Hochschulen zur Regelung in
  3. Internes, selbstgewähltes Kollektivorgan, in dem alle   der Grundordnung überlassen wird. Lediglich die Drei-
     Statusgruppen vertreten sind (Senat), das Haushalt      heit von Hochschulleitung (Präsidium), zentralem Kol-
     und den Stellenplan beschließt sowie die Leitlinien     lektivorgan (nicht zwingend Senat genannt) und Hoch-
     von Forschung und Lehre und der Hochschulent-           schulrat als internem Aufsichtsorgan sind vorgegeben,
     wicklung bestimmt.                                      nicht dagegen eine Untergliederung in Fakultäten. Ob
  4. Beschränkung der Zuständigkeit der Hochschulräte        und wie eine Hochschule eine „zweite Ebene“ einzieht,
     auf Aufsicht und Beratung. Sicherstellung der fachli-   bleibt ihr überlassen: Sie kann das herkömmliche Fakul-
     chen Eignung seiner externen Mitglieder sowie           tätssystem wählen, aber auch eine moderne Departe-
     Wahl durch Senat und Vorschlagsrecht aller Status-      mentstruktur; auch eine Matrixorganisation ist möglich,
     gruppen.                                                in der nur die Forschung in Departements organisiert
  5. Haushalt mit klarer Mittelzuweisung zu den Aufga-       wird, die Lehre hingegen in einer oder mehreren
     ben der Hochschulen und keine Risiken in den            „Schools“ stattfindet. Die neu zu errichtende TU Nürn-
     Haushalten der Hochschulen, insbesondere einen          berg bietet hierzu in ihrem Errichtungsgesetz den Proto-
     garantierten Aufwuchs bei Kostensteigerungen.           typ, der jetzt auch von anderen Hochschulen übernom-
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men werde können soll. Etwas kryptisch formuliert das              Eine weitere Änderung des Entwurfs sieht vor, den
Gesetz, dass eine zweite Selbstverwaltungsebene eine           Hochschulen die Rechtsform einer reinen Körperschaft
Leitung haben müsse (heiße sie nun Dekan, Dean, Chair          zu ermöglichen, also den Status einer staatlichen Ein-
oder sonstwie). Allerdings verschweigt das Gesetz, wie         richtung zu canceln. War dies im Vorfeld noch als obli-
diese Leitung ins Amt gelangt; theoretisch könnte das          gatorische Konstruktion nach dem Vorbild des nord-
auch ein „von oben“ ohne Wahl eingesetzter Dekan sein.         rhein-westfälischen Hochschulfreiheitsgesetzes 2006 ge-
Dass dies keine völlig abwegige Konstruktion ist, beweist      plant worden, wurde dies nach erheblichem Gegenwind
die jetzige Rechtslage, bei der ein gewählter Dekan durch      im Gesetzesentwurf zu einer Optionsklausel gemacht –
die Hochschulleitung bestätigt werden muss. Auch in            freilich verbunden mit der ebenfalls optionalen Ent-
anderen Bundesländern gab es immer wieder Ansätze,             scheidung für einen Globalhaushalt, was dogmatisch
das Durchregieren einer übermächtigen Hochschullei-            auch durchaus Sinn macht. Allerdings wurde – nach
tung zu ermöglichen.                                           massiven Initiativen – eine wesentliche Komponente
    Eine nach wie vor aktuelle Frage ist, wie der Freistaat    hiervon ausgenommen, nämlich die Dienstherreneigen-
auf den MHH-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts            schaft: Das professorale Personal verbleibt beim Freistaat
vom 24. Juli 2014 (1 BvR 3217/07) reagieren würde. Da-         Bayern und wird definitiv nicht den Hochschulen als
nach ist eine Stärkung der Kompetenzen der Hochschul-          Dienstherren zugeordnet. Hier spiegeln sich Erfahrun-
leitung zulässig, wenn im Gegenzug der Senat reziprok          gen aus der niedersächsischen Hochschulreform 2001,
die Möglichkeit erhält, diese vorzeitig abzuwählen. Tat-       die einen Übergang der Beamten auf die Stiftungsuni-
sächlich hat Bayern – im Unterschied zu den meisten an-        versitäten vorsah, was seinerzeit extremen Ärger infolge
deren Bundesländern – bislang keine rechtlichen Konse-         eines – eher psychologischen – Gefühls der Abgescho-
quenzen aus dieser Entscheidung gezogen. Im jetzt vor-         benheit erzeugte. In mehreren Diskussionsrunden wur-
liegenden Gesetzentwurf ist neben dem schon bisheri-           de daher der ganz überwiegende Wunsch an das Minis-
gen Abwahlrecht des Hochschulrats auch ein                     terium geäußert, dass der Freistaat Dienstherr bleiben
Abwahlrecht durch ein Quorum von 40% der Hoch-                 solle. Dies wurde im Gesetzesentwurf auch aufgenom-
schullehrer und Hochschullehrerinnen selbst vorgese-           men, freilich mit dem Effekt, dass bei einem Wechsel in
hen. Beide Fälle erfüllen die verfassungsgerichtlichen         die reine Körperschaftsform mit dem Personalsektor ein
Vorgaben nicht hinreichend. Zum einen sind nach dem            großer Bereich aus dem Globalhaushalt wieder heraus-
neuen Gesetz – anders als die noch geltende Fassung –          genommen wird und so die angestrebte Flexibilität ver-
die professorale Seite Mitglieder des Hochschulrats nicht      ringert wird.
mehr automatisch Hochschulratsmitglieder, was die Zu-
ständigkeit des kollektiven Selbstverwaltungsorgans aus-       III. Durchführung, oder: Die Anhörung und ihre
höhlt. Zudem hat die professorale Seite auch in diesem         Folgen
Fall keine Mehrheit. Die stattdessen angebotene Ab-
wahlmöglichkeit durch die Professorenschaft ist kaum           Nach der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs im
praktikabel und unrealistisch, da kaum zu erwarten ist,        Kabinett wurde eine weitere 2-tägige Anhörung im Wis-
dass die Professorenschaft, die in der Mittelzuweisung         senschaftsausschuss für den 14./15. Juni 2021 (ursprüng-
letztlich von der Hochschulleitung abhängig sind – v.a.        lich Mai) angesetzt. Diese sprengte die Rekorde: Sie war
an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften –             nicht nur mit zwei vollen Tagen die längste Anhörung in
sich zu einer „Rebellion“ verständigen kann. Außerdem          der Geschichte des Bayerischen Landtags, sie stellte auch
sieht der Entwurf ein außerordentliches Abberufungs-           mit 15 Sachverständigen (!) das bei weitem größten Panel
recht des/der Präsidenten/-in durch den Staatsminister/        aller Zeiten. Deutlich war aber auch hier wieder das
die Staatsministerin vor, wenn diese/r seine/ihre Pflich-      Übergewicht der Funktionsträger und Verbände, die
ten gröblich verletzt oder sich eines außerdienstlichen        vornehmlich die Gruppeninteressen, erst in zweiter
oder wissenschaftlichen Fehlverhaltens schuldig macht.         Linie die (verfassungs-) rechtlichen Probleme artikulier-
Dieses Abberufungsrecht ist allerdings mit dem System          ten. Zum Teil wurden hier auch wieder die seit den 70er
des Beamtenrechts inkompatibel, da jedenfalls bei ver-         Jahren kursierenden Forderungen aufgefrischt. So
beamteten Präsidenten/Präsidentinnen das in diesen             monierten die zahlreich vertretenen Hochschulpräsi-
Fällen eigentlich statthafte, strikt formalisierte Diszipli-   denten, dass die gleich dreifach gegebene Möglichkeit
narrecht schlicht umgangen wird.                               einer vorzeitigen Abberufung den Stellenwert des Amtes
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konterkariere. Die Vertretung des Mittelbaus monierte                 jedoch keine Wiederwahl als Akt der Kontrolle. Daraus
die prekäre Situation der zeitlich befristeten Beschäftig-            kann man die Lehre ziehen, dass der Gesetzgeber selbst
ten, was in der Sache durchaus berechtigt, aber für die               die Länge der Amtsperiode (nicht die Zahl der Amtspe-
große Mehrheit als arbeitsrechtliche Frage gar nicht in               rioden!) bestimmen muss, um nicht durch eine “Putin-
die Landeskompetenz fällt. Die Studierendenvertreter                  Klausel“ die Effektivität der periodischen Kontrollen zu
der LandesAstenkonferenz forderten routinemäßig die –                 unterlaufen.
verfassungsrechtlich nicht begründbare – Viertelparität                   Zweites verfassungsrechtliches Problem ist das im-
ein und nahmen die Gelegenheit wahr, über die neufor-                 mer noch nicht stimmig gelöste Dreiecksverhältnis zwi-
mulierten Hochschulaufgaben der gesellschaftlichen                    schen Hochschulleitung, Senat und Hochschulrat. Der
Relevanz und der Nachhaltigkeit einschließlich des Kli-               Gedanke eines ausgewogenen system of checks and ba-
maschutzes über die Hintertür ein hochschulrechtliches                lances wird nach wie vor durch die versteckte partielle
Mandat in ein allgemeinpolitisches Mandat umzudeuten                  Zirkellegimitation konterkariert: Die Hochschulleitung
– ebenfalls ein altbekanntes Déjavu. Der Verband der                  sucht die externen Mitglieder des Hochschulrats aus, die
Gleichstellungsbeauftragten beschränkte sich auf Gen-                 anschließend bei der Wahl der Mitglieder des Hoch-
der- und Kaskadenfragen.                                              schulrats mitwirken. Dieser – leider bundesweit verbrei-
    Als wirkliches verfassungsrechtliches Problem kris-               tete – Geburtsfehler bei der funktionalen Selbstverwal-
tallisierte sich jedoch immer deutlicher die Frage der                tung wird durch die Zustimmung des Senats und die Be-
Wesentlichkeitstheorie heraus: Was muss der Gesetzge-                 stellung durch den Wissenschaftsminister/die Wissen-
ber selbst regeln, was kann er auf die Satzungsebene de-              schaftsministerin zwar abgeschwächt, aber nicht
legieren? Dieses Grundthema durchzieht letztlich den                  beseitigt.
gesamten Gesetzesentwurf. So sind etwa die Fakultäten,                    Kritisiert wurde auch die Möglichkeit, dass die inter-
deren Relativierung weitgehend beklagt wurde, keines-                 nen Mitglieder des Hochschulrates mit den Senatsmit-
wegs verfassungsfest. Die renommierte, der französi-                  gliedern nicht mehr automatisch identisch sein müssen
schen ENA nachgebildete Deutsche Universität für Ver-                 – eine der wesentlichen Vorgaben, die den Bayerischen
waltungswissenschaften in Speyer hat von vornherein kei-              Verfassungsgerichtshof 2008 veranlasste, die damalige
ne Fakultäten; Matrixorganisationen – wie oben be-                    Regelung als (gerade noch) verfassungsgemäß zu erklä-
schrieben         –      unterliegen        dem        vom            ren. Ungeachtet der Frage, ob dies verfassungsrechtlich
Bundesverfassungsgericht immer wieder betonten Ge-                    noch zulässig ist, ist diese Frage unter Governance-Ge-
staltungsspielraum des Gesetzgebers, der eben keiner                  sichtspunkten höchst zweifelhaft: Es besteht die nicht zu
Bindung an eine althergebrachte Organisationsform un-                 unterschätzende Gefahr, dass die internen Mitglieder
terliegt.1 Anders ist es hingegen mit der Amtszeit des                eine Art Gegensenat oder Parallelsenat bilden, der die
Präsidenten: Nach dem Gesetzesentwurf wird diese                      Entscheidungsabläufe blockiert und die Hochschullei-
durch die Grundordnung festgelegt. Möglich wäre da-                   tungen befähigt, beide „Vertretungen“ gegeneinander
nach auch eine sehr lange Amtsperiode. Dies wider-                    auszuspielen.
spricht aber dem Prinzip demokratischer Legitimation,                     Ganz massiv – allerdings nicht von den präsidentiel-
deren unverzichtbares Pendant die Kontrolle ist. Eine ef-             len Sachverständigen – wurde gefordert, dass die Leitung
fektive Kontrolle kann aber nur stattfinden, wenn die                 der nachgeordneten Selbstverwaltungseinheiten durch
Amtsperioden überschaubar sind, da ansonsten die                      Wahl deren Organe erfolgen muss. Es ist genuiner „Job“
Kontrolle durch das Vergessen und Verblassen überla-                  eines Dekans, die Interessen einer Fakultät auch einmal
gert wird. Dies zeigt ein Blick auf vergleichbare Fälle: Die          gegenüber der zentralen Ebene zu vertreten und vertre-
Amtszeiten der ersten Bürgermeister in Gemeinden                      ten zu müssen. Eine Einsetzung „von oben“ würde dies
(ebenfalls Selbstverwaltungskörperschaften) sind in der               dysfunktional unterlaufen.
Regel auf sechs Jahre limitiert, die längste Amtszeit hat                 Ein weiterer strittiger Punkt ist die Einräumung eines
der Bürgermeister in Baden-Württemberg mit acht Jah-                  (begrenzten) Promotionsrechts an qualifizierte Fach-
ren. Darüber hinaus ist nur noch das Amt eines Bundes-                hochschulen. Die bayerische Gesetzgebung knüpft hier –
verfassungsrichters auf zwölf Jahre befristet, hier gibt es           unter starkem Lobbydruck – an bereits bestehende Par-

1   Das steht schon unmissverständlich im berühmten „1. Hochschu-
    lurteil“ (BVerfGE 35, 79/ 116 ff.) und wurde seitdem gebetsmüh-
    lenhaft wiederholt
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allelvorschriften in Hessen, Nordrhein-Westfalen und                    sprechende        Stellungnahme        objektiv      und
Schleswig-Holstein an; weitere Bundesländer schicken                    wissenschaftsadäquat abzugeben vermag. Auch ist der
sich an, zu folgen. Allerdings ist unübersehbar, dass der               wesentliche Inhalt der Stellungnahme im Sinne größt-
Gesetzesentwurf die Voraussetzungen für die temporäre                   möglicher Transparenz nach Art. 94 Satz 2 BayHIG-E zu
Einräumung des Promotionsrechts deutlich abschwächt.                    veröffentlichen; ergänzend wird auf Art. 87 Abs. 2 bis 4
Vergleicht man die gesetzlichen Voraussetzungen mit                     HIG verwiesen.
den Anforderungen, die etwa der Wissenschaftsrat an                         Vergleicht man nun Art. 93 Abs. 2 und
die Verleihung eines Promotionsrechts an private Hoch-                  Art. 80 Abs. 7 BayHIG-E, so ist die Diskrepanz zwischen
schulen stellt.2 Zwar haben die Empfehlungen und Leit-                  den Anforderungen sofort greifbar: Bei den Hochschul-
fäden des Wissenschaftsrats keine unmittelbare norma-                   formen für angewandte Wissenschaften (HaW) soll – le-
tive Wirkung, gleichwohl genießen sie ein erhebliches                   diglich – eine „angemessene Forschungsstärke“ und die
wissenschaftsrechtliches und -politisches Renommée.                     Einbettung in eine grundständige akademische Lehre
Daher hat die Kultusministerkonferenz durch Beschluss                   ausreichend sein; weder kommt es auf ein erkennbares
vom 13.02.2020 einen Musterparagraphen (KMK-MP)                         wissenschaftliches Profil noch auf eine Anschlussfähig-
geschaffen, in dem die wesentlichen Vorgaben der Insti-                 keit der Hochschule an. Die herausragenden Leistungen
tutionellen Akkreditierung nichtstaatlicher Hochschu-                   der Professorinnen und Professoren in der anwendungs-
len normativiert wurden.3 Darin setzt auf der Grundlage                 bezogenen Lehre sollen nach Art. 80 Abs. 7 Satz 2 Zf. 1
der o.g. Kriterien in § 1 Abs. 4 KMK-MP die Verleihung                  BayHIG-E höchstens fünf Jahre zurückliegen dürfen;
des Promotionsrechts an eine Hochschule als rechtliche                  das liest sich zunächst achtbar, schließt aber nicht aus,
Mindestkriterien voraus, dass                                           dass eben in den letzten fünf Jahren keine substantiellen
   (1) sie auf der Grundlage von Forschungsschwerpunk-                  Forschungsergebnisse erbracht wurden. Im Falle der
      ten ein erkennbares wissenschaftliches Profil entwi-              nicht-staatlichen Hochschulen wäre das ein K.-o.-Krite-
      ckelt hat, das an andere Hochschulen anschlussfähig               rium. Auch die weiteren Maßgaben des Wissenschafts-
      ist,                                                              rats werden nicht hinreichend aufgenommen und durch
   (2) die an der Hochschule erbrachten Forschungsleis-                 weit vagere Regelungen ersetzt. Desgleichen sind Aussa-
      tungen der Professoren sowie die Forschungsbasie-                 gen zu dem Begutachtungsverfahren ganz auf die in-
      rung der Studiengänge den für promotionsberech-                   transparente Rechtsverordnungsebene verschoben. Der
      tigte staatlichen Hochschulen geltenden Maßstäben                 Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses versuchte
      entsprechen und                                                   dies in der Anhörung damit zu rechtfertigen, dass es ja
   (3) die Hochschule über ein geregeltes, transparentes                beim Wissenschaftsrat „immer so lang dauere“. Gleich-
      Promotionsverfahren verfügt.                                      wohl ist im Sinne der Qualitätssicherung und Gleichbe-
   		 Diese Kriterien werden als unabdingbar gesehen,                   handlung zu fordern, dass das vorgesehene Begutach-
      um die Qualitätssicherung der Promotionsverfah-                   tungsverfahren – wie bei den nichtstaatlichen Hoch-
      ren zu garantieren.                                               schulen – ebenfalls nur durch den Wissenschaftsrat oder
    Der Entwurf des BayHIG hat die Regelungen des                       vergleichbare Akkreditierungseinrichtungen (die es –
KMK-MP in Art. 93 Abs. 2 wörtlich übernommen: Als                       wie erwähnt – derzeit nicht gibt) durchgeführt werden
zwingende Voraussetzung verlangt Art. 93 Abs. 4 Satz 1                  dürfen bzw. sollen, um auszuschließen, dass eine (wo-
BayHIG-E eine gutachterliche Stellungnahme des Wis-                     möglich adhoc und ergebnisorientiert zusammengestell-
senschaftsrats oder einer vergleichbaren Akkreditie-                    te) Feld-Wald-und-Wiesen-Kommission das gewünsch-
rungseinrichtung zur Überprüfung der in Art. 93 Abs. 2                  te Ergebnis „herbeigutachtet“. Diese Anforderungen
genannten Kriterien. Die Formulierung ist so gewählt,                   müssen analog Art. 93 Abs. 4 BayHIG ebenfalls auf der
um – auch aus europarechtlichen Gründen – keine Mo-                     formalgesetzlichen Ebene geregelt werden. Insgesamt
nopolstellung des Wissenschaftsrats zu begründen. Un-                   zeigt sich hier eine ganz massive Schwachstelle des Ge-
geachtet dessen dürfte der Wissenschaftsrat derzeit auf-                setzes. Dass sich hier die Fachhochschullobby systema-
grund seiner langjährig gewachsenen, institutionalisier-                tisch in Salamitaktik zum uneingeschränkten Promoti-
ten Sachkunde die einzige Einrichtung sein, die eine ent-               onsrecht vorarbeitet, zeigt im Übrigen der Blick nach

2   Wissenschaftsrat, Leitfaden der institutionellen Akkreditierung        der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutsch-
    nichtstaatlicher Hochschulen v. 30.1.2015, Drs. 4395-15, sub B V,      land, Graurheindorfer Str. 157, 53117. Seltsamerweise wurde der
    S. 39 ff.                                                              Beschluss nicht – wie ansonsten viele andere – auf www.kmk.org
3   Erhältlich postalisch beim Sekretariat der Ständigen Konferenz         oder an einer andere Stelle einsehbar ins Netz gestellt
216                  O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 1 - 2 1 6

Hessen, wo gerade stillklammheimlich der Übergang                      Rahmen dieser Hochschulreform an den Telos des Bay-
von der temporären Ausnahmeregelung zu einer Verste-                   HIG-E angepasst würden, hätte dieses tatsächlich die
tigung geplant ist.4                                                   Chance auf einen „großen Wurf “; anderenfalls bringt
                                                                       der kreißende Berg wieder einmal mehr nur ein Mäus-
IV. Coda, oder: Wie geht es weiter?                                    chen hervor. Allerdings scheint sich die Endfassung des
                                                                       Gesetzesentwurfs deutlich in den Herbst 2021 zu verla-
Eine Zwischenbilanz zeigt: Wesentliche grundsätzliche                  gern. Jedenfalls insofern ist von einem bombastischen
Vorbehalte gegen das BayHIG konnten in der Tat ent-                    Schnellschuss keine Rede mehr. Ungeachtet dessen dürf-
schärft werden, es kommt jetzt vornehmlich auf die                     ten die Popularklagen vor dem Bayerischen Verfassungs-
Feinabstimmung an. Dabei hat die letzte Anhörung                       gerichtshof erwartbar sein.
durchaus effektiv gewirkt: So sollen dem Vernehmen
nach wieder die Senatsmitglieder im Hochschulrat sein.
Auch ist das Sonderabberufungssrecht des Ministers im                               Prof. Dr. Max-Emanuel Geis
Bezug auf den Präsidenten offenbar wieder gestrichen                                Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
worden. Zwingend ist es auch, das Gesetz mit den beam-                              Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und
tenrechtlichen Normen zu harmonisieren. So sind z.B.                                Hochschulrecht

die Regelungen über die Forcierung des Wissens- und                                 Lehrstuhl für Deutschen und Bayerisches Staats- und
Technologietransfers weitgehend konterkariert, wenn                                 Verwaltungsrecht an der Friedrich-Alexander-Universi-
                                                                                    tät Erlangen-Nürnberg
nicht im gleichen Zug eine fundamentale Liberalisie-
rung insbesondere des beamtenrechtlichen Nebentätig-                                Landesvorsitzender Bayern des Deutschen Hochschul-
keitsrechts erfolgt, insbesondere hinsichtlich der Abfüh-                           verbandes

rungspflicht. Wenn die zahlreichen, bislang unter dem
Radar bleibenden, beamtenrechtlichen Regelungen, im

4   Vgl. dazu die – natürlich positive – Stellungnahme des CHE als
    Influencer auf www.che.de (der derzeitige Chef des CHE, Frank
    Ziegele, ist Professor an einer niedersächsischen Hochschule für
    angewandte Wissenschaften)..
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