Max-Emanuel Geis Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz Ein symphonischer Werkstattbericht
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Max-Emanuel Geis Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz Ein symphonischer Werkstattbericht I. Präludium, oder: Vorspiel auf diversen Bühnen Besagtes Papier wurde in die Bayerische Staatskanzlei lanciert und dort zur „Chefsache“ aufgebaut. Insgesamt Schon 2019 gab es Überlegungen einer umfassenden blieb der Prozess aber reichlich intransparent: Im Minis- Reform des bayerischen Hochschulrechts, liegt doch die terium existierte ein – ständig fortgeschriebenes – Eck- letzte große Änderung im Jahre 2006 – die durch die punktepapier, das aber zunächst nur Eingeweihten be- Föderalismusreform I verursacht wurde – doch schon kannt war. Es verwundert daher nicht, dass teilweise eineinhalb Jahrzehnte zurück. Angesichts der seither wüste Gerüchte über die mutmaßlichen Neuregelungen massiv voranschreitenden Internationalisierung und bis hin zum Kahlschlag der Selbstverwaltung kursierten. Globalisierung soll eine weitere Autonomie vor allem Dies sorgte zum einen für großen Ärger bei den meisten durch flexiblere Governancestrukturen, aber auch eine Hochschulleitungen, die sich nicht als Eingeweihte emp- weitere Stärkung der Hochschulleitungen die Vorausset- finden durften, zum anderen zu großen Sorgen insbe- zungen geschaffen werden, um in einer weltweit immer sondere bei den Geisteswissenschaften, die sich schon kompetitiveren Hochschulwelt nicht den Anschluss zu als Opfer einer neoliberalen Ökonomisierung, eines Ver- verlieren. Immerhin haben es ja auch die verschiedenen marktbarkeitsdogmas und als Wissenschaften zweiter Phasen der Exzellenzinitiative/-strategie nicht wirklich Klasse, kurz: eines akademischen Kahlschlags sahen. geschafft, den deutschen Universitäten in den weltweiten Zudem wurde bekannt, dass die Staatskanzlei offenbar Rankings Riesensprünge nach vorn zu verschaffen, was entschlossen war, das Verfahren in größtmöglicher freilich auch an der „anglophilen“ Rankingmethodik lie- Schnelle durchzuziehen, idealerweise schon bis zum Jah- gen mag. resende. Diese Unruhe, die sich auch in den Medien ab- Die Vorarbeiten zum Gesetzesentwurf dümpelten bildete, führte dazu, dass die Opposition im Oktober zunächst etwas vor sich hin, nahmen aber dann Mitte 2020 eine Sachverständigenanhörung im Wissenschafts- 2020 massiv an Fahrt auf. Anlass war ein Arbeitspapier ausschuss erwirkte. Diese Anhörung war in mehrfacher aus dem Bereich der Technischen Hochschulen, das eine Hinsicht grotesk: Zum einen existierte ja noch kein Ge- Gleichstellung des Wissens- und Technologietransfers setzesentwurf, das Verfahren bewegte sich gerade einmal mit den Bereichen Forschung und Lehre forderte, eine noch auf der ministeriellen Referentenebene, so dass die deutliche (weitere) Stärkung der Hochschulleitung zu Befassung durch den Wissenschaftsausschuss eigentlich Lasten der kollegialen Selbstverwaltungsorgane verlang- zur Unzeit stattfand. Zum anderen wurde den 10 gelade- te (um angebliche „Blockaden“ der Entscheidungspro- nen Sachverständigen (die mehrheitlich aus Hochschul- zesse zu verhindern) und den Hochschulen durch Ein- präsidenten bestanden) ein Fragenkatalog von 77 Fragen räumung einer weitgehenden Organisationsautonomie übermittelt, die Zeit der Anhörung war mit gut drei die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Binnen-Governance Stunden recht knapp angesetzt. Allerdings konnte man auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zuzuschneiden. Auch aus der Formulierung der Fragen recht eindeutig sowohl sollten die Hochschulen zu reinen Körperschaften mit den ungefähren Stand des immer noch apokryphen Eck- Globalhaushalt umgebaut werden. Diese Ideen sind frei- punktepapiers als auch der im Hintergrund wirkenden lich gar nicht so visionär, wie behauptet, wurden sie doch Ideengeber erraten. in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen und In der Anhörung selbst wurde nicht mit Kritik ge- auch anderen Bundesländern unter dem Siegel „Unter- spart, sowohl am dysfunktionalen Verfahren also auch nehmerische Hochschule“ schon vor knapp 20 Jahren an den aufgrund der Fragen vermuteten, sich abzeich- proklamiert (und zwischenzeitlich in Teilen auch wieder nenden Inhalte. Es fiel sogar das sarkastisch überhöhte revidiert). Wort von einer „Einführung des Führerprinzips“ zu Ordnung der Wissenschaft 2021, ISSN 2197-9197
212 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 1 - 2 1 6 Gunsten der Hochschulleitungen, was auch in der Presse 6. Die Gleichstellung aller Geschlechter und die tat- kolportiert wurde und die Gemüter weiter erregte. Kurz sächliche Gleichstellung der Frauen in der Wissen- nach der Anhörung wurde dann die finale Fassung des schaft sind zentrale Querschnittsaufgabe der Hoch- Eckpunktepapiers ins Netz gestellt. In den Wochen da- schulen und deren Leitungen. nach war das Ministerium durch eine vorsorgliche 7. Es muss ausreichend Zeit für Stellungnahmen der „Charmeoffensive“ erst einmal an einer Deeskalation be- Betroffenen und ihrer Verbände eingeräumt wer- müht. Zwischenzeitlich wurden in Gremien, Verbänden den. Da eine komplette Neufassung des Gesetzes und sonstigen Gruppen wiederum Ziele und rote Linien geplant ist, muss auch allen Hochschulorganen aus- diskutiert, die von der Gesetzgebung beachtet werden reichend Gelegenheit gegeben werden, eine Position sollten. Zugleich unternahm das bayerische Wissen- zum Gesetzesvorschlag zu entwickeln. schaftsministerium eine Charmeoffensive, in der der Mi- Gerade die letzte Forderung erschien besonders nister und hochrangige Ministerialvertreter sowohl in wichtig, war doch schon wieder das Gerücht aufgekom- Online-Foren als auch unter Teilnahme an Hochschul- men, dass der neue Zeitplan eine Verabschiedung im Ka- ratssitzungen für das Projekt warben und den oben ge- binett Anfang März 2021 vorsehe mit einer anschließen- äußerten Gerüchten und Ängsten entgegenwirkten. Zu- den 6-wöchigen Frist für die Verbändeanhörung bis gleich wurde deutlich, dass der anfangs überambitio- längstens Ende April, so dass das Gesetz noch vor der nierte Zeitplan nicht einzuhalten sei. Sommerpause in Kraft treten könne. Dann wäre aber die Mitte Januar 2021 veröffentlichten dann die großen leidige (wenngleich nicht unbekannte) Situation einge- Gruppenverbände (Deutscher Hochschulverband, treten, dass wegen der in Bayern noch andauernden vor- Hochschullehrerbund, Landesverband Wissenschaftler lesungsfreien Zeit eine strukturierte Befassung und Dis- in Bayern, Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstel- kussion in den Senaten nahezu unmöglich gewesen lungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen, Landes- wäre. Da hierüber auch in der Regierungskoalition un- Asten-Konferenz) eine gemeinsame Stellungnahme mit terschiedliche Auffassungen herrschten, wurde der Zeit- folgenden sieben Kernforderungen: plan noch einmal nach hinten verschoben und zwi- 1. Hochschulauftrag ist Forschung und Lehre, dieser schenzeitlich im Entwurf noch einmal etliche Detailre- muss vollständig staatlich finanziert sein. Hoch- gelungen verändert. schulen sollen nur mit Zustimmung ihrer akademi- schen Kollektivorgane reine Körperschaften wer- II. Exposition, oder: der lang erwartete Gesetzesent- den. wurf 2. Erhalt von selbstverwalteten, fachlichen Einheiten mit eigener selbstgewählter Leitung und Zuständig- Dann war es soweit: Am 18. Mai 2021 billigte das bayeri- keit für Studiengänge; diese haben ein eigenes, sche Kabinett den Gesetzesentwurf, der am 11.6.2021 selbstgewähltes Kollektivorgan, in dem alle Status- sodann ins Netz gestellt wurde. Der Leser erlebt ein gruppen vertreten sind (berufliche und studentische Gesetz, das die interne Organisation und Governance Heimat). fast völlig den einzelnen Hochschulen zur Regelung in 3. Internes, selbstgewähltes Kollektivorgan, in dem alle der Grundordnung überlassen wird. Lediglich die Drei- Statusgruppen vertreten sind (Senat), das Haushalt heit von Hochschulleitung (Präsidium), zentralem Kol- und den Stellenplan beschließt sowie die Leitlinien lektivorgan (nicht zwingend Senat genannt) und Hoch- von Forschung und Lehre und der Hochschulent- schulrat als internem Aufsichtsorgan sind vorgegeben, wicklung bestimmt. nicht dagegen eine Untergliederung in Fakultäten. Ob 4. Beschränkung der Zuständigkeit der Hochschulräte und wie eine Hochschule eine „zweite Ebene“ einzieht, auf Aufsicht und Beratung. Sicherstellung der fachli- bleibt ihr überlassen: Sie kann das herkömmliche Fakul- chen Eignung seiner externen Mitglieder sowie tätssystem wählen, aber auch eine moderne Departe- Wahl durch Senat und Vorschlagsrecht aller Status- mentstruktur; auch eine Matrixorganisation ist möglich, gruppen. in der nur die Forschung in Departements organisiert 5. Haushalt mit klarer Mittelzuweisung zu den Aufga- wird, die Lehre hingegen in einer oder mehreren ben der Hochschulen und keine Risiken in den „Schools“ stattfindet. Die neu zu errichtende TU Nürn- Haushalten der Hochschulen, insbesondere einen berg bietet hierzu in ihrem Errichtungsgesetz den Proto- garantierten Aufwuchs bei Kostensteigerungen. typ, der jetzt auch von anderen Hochschulen übernom-
Geis · Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz 213 men werde können soll. Etwas kryptisch formuliert das Eine weitere Änderung des Entwurfs sieht vor, den Gesetz, dass eine zweite Selbstverwaltungsebene eine Hochschulen die Rechtsform einer reinen Körperschaft Leitung haben müsse (heiße sie nun Dekan, Dean, Chair zu ermöglichen, also den Status einer staatlichen Ein- oder sonstwie). Allerdings verschweigt das Gesetz, wie richtung zu canceln. War dies im Vorfeld noch als obli- diese Leitung ins Amt gelangt; theoretisch könnte das gatorische Konstruktion nach dem Vorbild des nord- auch ein „von oben“ ohne Wahl eingesetzter Dekan sein. rhein-westfälischen Hochschulfreiheitsgesetzes 2006 ge- Dass dies keine völlig abwegige Konstruktion ist, beweist plant worden, wurde dies nach erheblichem Gegenwind die jetzige Rechtslage, bei der ein gewählter Dekan durch im Gesetzesentwurf zu einer Optionsklausel gemacht – die Hochschulleitung bestätigt werden muss. Auch in freilich verbunden mit der ebenfalls optionalen Ent- anderen Bundesländern gab es immer wieder Ansätze, scheidung für einen Globalhaushalt, was dogmatisch das Durchregieren einer übermächtigen Hochschullei- auch durchaus Sinn macht. Allerdings wurde – nach tung zu ermöglichen. massiven Initiativen – eine wesentliche Komponente Eine nach wie vor aktuelle Frage ist, wie der Freistaat hiervon ausgenommen, nämlich die Dienstherreneigen- auf den MHH-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts schaft: Das professorale Personal verbleibt beim Freistaat vom 24. Juli 2014 (1 BvR 3217/07) reagieren würde. Da- Bayern und wird definitiv nicht den Hochschulen als nach ist eine Stärkung der Kompetenzen der Hochschul- Dienstherren zugeordnet. Hier spiegeln sich Erfahrun- leitung zulässig, wenn im Gegenzug der Senat reziprok gen aus der niedersächsischen Hochschulreform 2001, die Möglichkeit erhält, diese vorzeitig abzuwählen. Tat- die einen Übergang der Beamten auf die Stiftungsuni- sächlich hat Bayern – im Unterschied zu den meisten an- versitäten vorsah, was seinerzeit extremen Ärger infolge deren Bundesländern – bislang keine rechtlichen Konse- eines – eher psychologischen – Gefühls der Abgescho- quenzen aus dieser Entscheidung gezogen. Im jetzt vor- benheit erzeugte. In mehreren Diskussionsrunden wur- liegenden Gesetzentwurf ist neben dem schon bisheri- de daher der ganz überwiegende Wunsch an das Minis- gen Abwahlrecht des Hochschulrats auch ein terium geäußert, dass der Freistaat Dienstherr bleiben Abwahlrecht durch ein Quorum von 40% der Hoch- solle. Dies wurde im Gesetzesentwurf auch aufgenom- schullehrer und Hochschullehrerinnen selbst vorgese- men, freilich mit dem Effekt, dass bei einem Wechsel in hen. Beide Fälle erfüllen die verfassungsgerichtlichen die reine Körperschaftsform mit dem Personalsektor ein Vorgaben nicht hinreichend. Zum einen sind nach dem großer Bereich aus dem Globalhaushalt wieder heraus- neuen Gesetz – anders als die noch geltende Fassung – genommen wird und so die angestrebte Flexibilität ver- die professorale Seite Mitglieder des Hochschulrats nicht ringert wird. mehr automatisch Hochschulratsmitglieder, was die Zu- ständigkeit des kollektiven Selbstverwaltungsorgans aus- III. Durchführung, oder: Die Anhörung und ihre höhlt. Zudem hat die professorale Seite auch in diesem Folgen Fall keine Mehrheit. Die stattdessen angebotene Ab- wahlmöglichkeit durch die Professorenschaft ist kaum Nach der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs im praktikabel und unrealistisch, da kaum zu erwarten ist, Kabinett wurde eine weitere 2-tägige Anhörung im Wis- dass die Professorenschaft, die in der Mittelzuweisung senschaftsausschuss für den 14./15. Juni 2021 (ursprüng- letztlich von der Hochschulleitung abhängig sind – v.a. lich Mai) angesetzt. Diese sprengte die Rekorde: Sie war an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften – nicht nur mit zwei vollen Tagen die längste Anhörung in sich zu einer „Rebellion“ verständigen kann. Außerdem der Geschichte des Bayerischen Landtags, sie stellte auch sieht der Entwurf ein außerordentliches Abberufungs- mit 15 Sachverständigen (!) das bei weitem größten Panel recht des/der Präsidenten/-in durch den Staatsminister/ aller Zeiten. Deutlich war aber auch hier wieder das die Staatsministerin vor, wenn diese/r seine/ihre Pflich- Übergewicht der Funktionsträger und Verbände, die ten gröblich verletzt oder sich eines außerdienstlichen vornehmlich die Gruppeninteressen, erst in zweiter oder wissenschaftlichen Fehlverhaltens schuldig macht. Linie die (verfassungs-) rechtlichen Probleme artikulier- Dieses Abberufungsrecht ist allerdings mit dem System ten. Zum Teil wurden hier auch wieder die seit den 70er des Beamtenrechts inkompatibel, da jedenfalls bei ver- Jahren kursierenden Forderungen aufgefrischt. So beamteten Präsidenten/Präsidentinnen das in diesen monierten die zahlreich vertretenen Hochschulpräsi- Fällen eigentlich statthafte, strikt formalisierte Diszipli- denten, dass die gleich dreifach gegebene Möglichkeit narrecht schlicht umgangen wird. einer vorzeitigen Abberufung den Stellenwert des Amtes
214 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 1 - 2 1 6 konterkariere. Die Vertretung des Mittelbaus monierte jedoch keine Wiederwahl als Akt der Kontrolle. Daraus die prekäre Situation der zeitlich befristeten Beschäftig- kann man die Lehre ziehen, dass der Gesetzgeber selbst ten, was in der Sache durchaus berechtigt, aber für die die Länge der Amtsperiode (nicht die Zahl der Amtspe- große Mehrheit als arbeitsrechtliche Frage gar nicht in rioden!) bestimmen muss, um nicht durch eine “Putin- die Landeskompetenz fällt. Die Studierendenvertreter Klausel“ die Effektivität der periodischen Kontrollen zu der LandesAstenkonferenz forderten routinemäßig die – unterlaufen. verfassungsrechtlich nicht begründbare – Viertelparität Zweites verfassungsrechtliches Problem ist das im- ein und nahmen die Gelegenheit wahr, über die neufor- mer noch nicht stimmig gelöste Dreiecksverhältnis zwi- mulierten Hochschulaufgaben der gesellschaftlichen schen Hochschulleitung, Senat und Hochschulrat. Der Relevanz und der Nachhaltigkeit einschließlich des Kli- Gedanke eines ausgewogenen system of checks and ba- maschutzes über die Hintertür ein hochschulrechtliches lances wird nach wie vor durch die versteckte partielle Mandat in ein allgemeinpolitisches Mandat umzudeuten Zirkellegimitation konterkariert: Die Hochschulleitung – ebenfalls ein altbekanntes Déjavu. Der Verband der sucht die externen Mitglieder des Hochschulrats aus, die Gleichstellungsbeauftragten beschränkte sich auf Gen- anschließend bei der Wahl der Mitglieder des Hoch- der- und Kaskadenfragen. schulrats mitwirken. Dieser – leider bundesweit verbrei- Als wirkliches verfassungsrechtliches Problem kris- tete – Geburtsfehler bei der funktionalen Selbstverwal- tallisierte sich jedoch immer deutlicher die Frage der tung wird durch die Zustimmung des Senats und die Be- Wesentlichkeitstheorie heraus: Was muss der Gesetzge- stellung durch den Wissenschaftsminister/die Wissen- ber selbst regeln, was kann er auf die Satzungsebene de- schaftsministerin zwar abgeschwächt, aber nicht legieren? Dieses Grundthema durchzieht letztlich den beseitigt. gesamten Gesetzesentwurf. So sind etwa die Fakultäten, Kritisiert wurde auch die Möglichkeit, dass die inter- deren Relativierung weitgehend beklagt wurde, keines- nen Mitglieder des Hochschulrates mit den Senatsmit- wegs verfassungsfest. Die renommierte, der französi- gliedern nicht mehr automatisch identisch sein müssen schen ENA nachgebildete Deutsche Universität für Ver- – eine der wesentlichen Vorgaben, die den Bayerischen waltungswissenschaften in Speyer hat von vornherein kei- Verfassungsgerichtshof 2008 veranlasste, die damalige ne Fakultäten; Matrixorganisationen – wie oben be- Regelung als (gerade noch) verfassungsgemäß zu erklä- schrieben – unterliegen dem vom ren. Ungeachtet der Frage, ob dies verfassungsrechtlich Bundesverfassungsgericht immer wieder betonten Ge- noch zulässig ist, ist diese Frage unter Governance-Ge- staltungsspielraum des Gesetzgebers, der eben keiner sichtspunkten höchst zweifelhaft: Es besteht die nicht zu Bindung an eine althergebrachte Organisationsform un- unterschätzende Gefahr, dass die internen Mitglieder terliegt.1 Anders ist es hingegen mit der Amtszeit des eine Art Gegensenat oder Parallelsenat bilden, der die Präsidenten: Nach dem Gesetzesentwurf wird diese Entscheidungsabläufe blockiert und die Hochschullei- durch die Grundordnung festgelegt. Möglich wäre da- tungen befähigt, beide „Vertretungen“ gegeneinander nach auch eine sehr lange Amtsperiode. Dies wider- auszuspielen. spricht aber dem Prinzip demokratischer Legitimation, Ganz massiv – allerdings nicht von den präsidentiel- deren unverzichtbares Pendant die Kontrolle ist. Eine ef- len Sachverständigen – wurde gefordert, dass die Leitung fektive Kontrolle kann aber nur stattfinden, wenn die der nachgeordneten Selbstverwaltungseinheiten durch Amtsperioden überschaubar sind, da ansonsten die Wahl deren Organe erfolgen muss. Es ist genuiner „Job“ Kontrolle durch das Vergessen und Verblassen überla- eines Dekans, die Interessen einer Fakultät auch einmal gert wird. Dies zeigt ein Blick auf vergleichbare Fälle: Die gegenüber der zentralen Ebene zu vertreten und vertre- Amtszeiten der ersten Bürgermeister in Gemeinden ten zu müssen. Eine Einsetzung „von oben“ würde dies (ebenfalls Selbstverwaltungskörperschaften) sind in der dysfunktional unterlaufen. Regel auf sechs Jahre limitiert, die längste Amtszeit hat Ein weiterer strittiger Punkt ist die Einräumung eines der Bürgermeister in Baden-Württemberg mit acht Jah- (begrenzten) Promotionsrechts an qualifizierte Fach- ren. Darüber hinaus ist nur noch das Amt eines Bundes- hochschulen. Die bayerische Gesetzgebung knüpft hier – verfassungsrichters auf zwölf Jahre befristet, hier gibt es unter starkem Lobbydruck – an bereits bestehende Par- 1 Das steht schon unmissverständlich im berühmten „1. Hochschu- lurteil“ (BVerfGE 35, 79/ 116 ff.) und wurde seitdem gebetsmüh- lenhaft wiederholt
Geis · Das neue bayerische Hochschulinnovationsgesetz 215 allelvorschriften in Hessen, Nordrhein-Westfalen und sprechende Stellungnahme objektiv und Schleswig-Holstein an; weitere Bundesländer schicken wissenschaftsadäquat abzugeben vermag. Auch ist der sich an, zu folgen. Allerdings ist unübersehbar, dass der wesentliche Inhalt der Stellungnahme im Sinne größt- Gesetzesentwurf die Voraussetzungen für die temporäre möglicher Transparenz nach Art. 94 Satz 2 BayHIG-E zu Einräumung des Promotionsrechts deutlich abschwächt. veröffentlichen; ergänzend wird auf Art. 87 Abs. 2 bis 4 Vergleicht man die gesetzlichen Voraussetzungen mit HIG verwiesen. den Anforderungen, die etwa der Wissenschaftsrat an Vergleicht man nun Art. 93 Abs. 2 und die Verleihung eines Promotionsrechts an private Hoch- Art. 80 Abs. 7 BayHIG-E, so ist die Diskrepanz zwischen schulen stellt.2 Zwar haben die Empfehlungen und Leit- den Anforderungen sofort greifbar: Bei den Hochschul- fäden des Wissenschaftsrats keine unmittelbare norma- formen für angewandte Wissenschaften (HaW) soll – le- tive Wirkung, gleichwohl genießen sie ein erhebliches diglich – eine „angemessene Forschungsstärke“ und die wissenschaftsrechtliches und -politisches Renommée. Einbettung in eine grundständige akademische Lehre Daher hat die Kultusministerkonferenz durch Beschluss ausreichend sein; weder kommt es auf ein erkennbares vom 13.02.2020 einen Musterparagraphen (KMK-MP) wissenschaftliches Profil noch auf eine Anschlussfähig- geschaffen, in dem die wesentlichen Vorgaben der Insti- keit der Hochschule an. Die herausragenden Leistungen tutionellen Akkreditierung nichtstaatlicher Hochschu- der Professorinnen und Professoren in der anwendungs- len normativiert wurden.3 Darin setzt auf der Grundlage bezogenen Lehre sollen nach Art. 80 Abs. 7 Satz 2 Zf. 1 der o.g. Kriterien in § 1 Abs. 4 KMK-MP die Verleihung BayHIG-E höchstens fünf Jahre zurückliegen dürfen; des Promotionsrechts an eine Hochschule als rechtliche das liest sich zunächst achtbar, schließt aber nicht aus, Mindestkriterien voraus, dass dass eben in den letzten fünf Jahren keine substantiellen (1) sie auf der Grundlage von Forschungsschwerpunk- Forschungsergebnisse erbracht wurden. Im Falle der ten ein erkennbares wissenschaftliches Profil entwi- nicht-staatlichen Hochschulen wäre das ein K.-o.-Krite- ckelt hat, das an andere Hochschulen anschlussfähig rium. Auch die weiteren Maßgaben des Wissenschafts- ist, rats werden nicht hinreichend aufgenommen und durch (2) die an der Hochschule erbrachten Forschungsleis- weit vagere Regelungen ersetzt. Desgleichen sind Aussa- tungen der Professoren sowie die Forschungsbasie- gen zu dem Begutachtungsverfahren ganz auf die in- rung der Studiengänge den für promotionsberech- transparente Rechtsverordnungsebene verschoben. Der tigte staatlichen Hochschulen geltenden Maßstäben Vorsitzende des Wissenschaftsausschusses versuchte entsprechen und dies in der Anhörung damit zu rechtfertigen, dass es ja (3) die Hochschule über ein geregeltes, transparentes beim Wissenschaftsrat „immer so lang dauere“. Gleich- Promotionsverfahren verfügt. wohl ist im Sinne der Qualitätssicherung und Gleichbe- Diese Kriterien werden als unabdingbar gesehen, handlung zu fordern, dass das vorgesehene Begutach- um die Qualitätssicherung der Promotionsverfah- tungsverfahren – wie bei den nichtstaatlichen Hoch- ren zu garantieren. schulen – ebenfalls nur durch den Wissenschaftsrat oder Der Entwurf des BayHIG hat die Regelungen des vergleichbare Akkreditierungseinrichtungen (die es – KMK-MP in Art. 93 Abs. 2 wörtlich übernommen: Als wie erwähnt – derzeit nicht gibt) durchgeführt werden zwingende Voraussetzung verlangt Art. 93 Abs. 4 Satz 1 dürfen bzw. sollen, um auszuschließen, dass eine (wo- BayHIG-E eine gutachterliche Stellungnahme des Wis- möglich adhoc und ergebnisorientiert zusammengestell- senschaftsrats oder einer vergleichbaren Akkreditie- te) Feld-Wald-und-Wiesen-Kommission das gewünsch- rungseinrichtung zur Überprüfung der in Art. 93 Abs. 2 te Ergebnis „herbeigutachtet“. Diese Anforderungen genannten Kriterien. Die Formulierung ist so gewählt, müssen analog Art. 93 Abs. 4 BayHIG ebenfalls auf der um – auch aus europarechtlichen Gründen – keine Mo- formalgesetzlichen Ebene geregelt werden. Insgesamt nopolstellung des Wissenschaftsrats zu begründen. Un- zeigt sich hier eine ganz massive Schwachstelle des Ge- geachtet dessen dürfte der Wissenschaftsrat derzeit auf- setzes. Dass sich hier die Fachhochschullobby systema- grund seiner langjährig gewachsenen, institutionalisier- tisch in Salamitaktik zum uneingeschränkten Promoti- ten Sachkunde die einzige Einrichtung sein, die eine ent- onsrecht vorarbeitet, zeigt im Übrigen der Blick nach 2 Wissenschaftsrat, Leitfaden der institutionellen Akkreditierung der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutsch- nichtstaatlicher Hochschulen v. 30.1.2015, Drs. 4395-15, sub B V, land, Graurheindorfer Str. 157, 53117. Seltsamerweise wurde der S. 39 ff. Beschluss nicht – wie ansonsten viele andere – auf www.kmk.org 3 Erhältlich postalisch beim Sekretariat der Ständigen Konferenz oder an einer andere Stelle einsehbar ins Netz gestellt
216 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 4 ( 2 0 2 1 ) , 2 1 1 - 2 1 6 Hessen, wo gerade stillklammheimlich der Übergang Rahmen dieser Hochschulreform an den Telos des Bay- von der temporären Ausnahmeregelung zu einer Verste- HIG-E angepasst würden, hätte dieses tatsächlich die tigung geplant ist.4 Chance auf einen „großen Wurf “; anderenfalls bringt der kreißende Berg wieder einmal mehr nur ein Mäus- IV. Coda, oder: Wie geht es weiter? chen hervor. Allerdings scheint sich die Endfassung des Gesetzesentwurfs deutlich in den Herbst 2021 zu verla- Eine Zwischenbilanz zeigt: Wesentliche grundsätzliche gern. Jedenfalls insofern ist von einem bombastischen Vorbehalte gegen das BayHIG konnten in der Tat ent- Schnellschuss keine Rede mehr. Ungeachtet dessen dürf- schärft werden, es kommt jetzt vornehmlich auf die ten die Popularklagen vor dem Bayerischen Verfassungs- Feinabstimmung an. Dabei hat die letzte Anhörung gerichtshof erwartbar sein. durchaus effektiv gewirkt: So sollen dem Vernehmen nach wieder die Senatsmitglieder im Hochschulrat sein. Auch ist das Sonderabberufungssrecht des Ministers im Prof. Dr. Max-Emanuel Geis Bezug auf den Präsidenten offenbar wieder gestrichen Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs worden. Zwingend ist es auch, das Gesetz mit den beam- Direktor der Forschungsstelle für Wissenschafts- und tenrechtlichen Normen zu harmonisieren. So sind z.B. Hochschulrecht die Regelungen über die Forcierung des Wissens- und Lehrstuhl für Deutschen und Bayerisches Staats- und Technologietransfers weitgehend konterkariert, wenn Verwaltungsrecht an der Friedrich-Alexander-Universi- tät Erlangen-Nürnberg nicht im gleichen Zug eine fundamentale Liberalisie- rung insbesondere des beamtenrechtlichen Nebentätig- Landesvorsitzender Bayern des Deutschen Hochschul- keitsrechts erfolgt, insbesondere hinsichtlich der Abfüh- verbandes rungspflicht. Wenn die zahlreichen, bislang unter dem Radar bleibenden, beamtenrechtlichen Regelungen, im 4 Vgl. dazu die – natürlich positive – Stellungnahme des CHE als Influencer auf www.che.de (der derzeitige Chef des CHE, Frank Ziegele, ist Professor an einer niedersächsischen Hochschule für angewandte Wissenschaften)..
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