Mediation Storytelling - Deutsche Stiftung Mediation
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Storytelling in der Mediation 12 Geschichten aus der Welt der Konfliktlösung M e d i a t i o n s k a l e n d e r 2021
Januar Die Gabe Einmal ging ein Mann zu einem Meister und fing an, ihn laut zu beschimpfen. Er schimpfte eine, zwei, drei Stunden lang, bis es dunkel wurde. Als die Nacht hereinbrach, wollte er gehen. Da sagte der Meister zu ihm: „Nun lieber Freund, sag mir noch eins.“ Der Mann hielt inne und der Meister fuhr fort: „Wenn einer einem anderen eine Gabe bringt und dieser sie nicht annimmt, bei wem verbleibt sie dann?“ Der Mann antwortete: „Bei dem, der sie gebracht hat.“ „Gut“, erwiderte der Meister, „ich nehme diese Gabe, die du mir gebracht hast, nicht an.“ 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Februar Das Schicksal von Kamel und Maus Ein Kamel und eine Maus waren sich einig: „Das elitäre Denken der heutigen Zeit ist es, das das Zusammenleben stört. Gleiches Recht für alle! Gleiches für alle!“ Dafür waren sie auch bereit, sich mit Wort und Tat einzusetzen. Als eines Tages beide gleichzeitig Durst hatten, gab man ihnen Wasser. Beide starben. Das Kamel, weil es die Wasserration der Maus erhalten hatte. Die Maus, weil sie in der Wasserration des Kamels ertrank. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 00
Gesunder Menschenverstand Albert Einstein hielt einen anspruchsvollen Vortrag über das Verhältnis von Raum und Zeit. Als er fertig war, stand ein Zuhörer auf und widersprach: „Was Sie hier aus- geführt haben, ist mir viel zu spekulativ. Wir sind doch nicht in der Kirche! Nach meinem gesunden Menschenverstand kann es nur das geben, was man sehen und überprüfen kann.“ Einstein lächelte und antwortete: „Dann kommen Sie doch bitte nach vorn und legen Ihren gesunden Menschenverstand hier auf den Tisch.“ März 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
An dir liegt es Der Meister hatte mit seinen jungen Schülern einen Ausflug gemacht. Zur Rast setzten sie sich an das Ufer eines Flusses, das steil nach unten abfiel. Einer der Schüler fragte den Meister: „Wenn ich nun abrutsche und in den Fluss stürze, müsste ich dann ertrinken?“ „Nein“, antwortet der Meister, „du ertrinkst nicht, wenn du in den Fluss fällst. Du ertrinkst nur, wenn du darin bleibst.“ April 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Sooooooo anstrengend! Ein Schüler kam zum Meister: „Ach Meister“, stöhnte er, „um deinen Lehren zu folgen, ist so viel Veränderung nötig; das ist mir eigentlich alles viel zu anstrengend. Ich glaube, ich werde das Studium hier beenden.“ Da schaute der Meister traurig auf seinen Schüler und fragte: “Kennst du die Geschichte von der Raupe?“ Der Schüler verneinte. Und der Meister begann zu erzäh- len: „Es war einmal eine Raupe, die das Gefühl hatte, dass die Metamorphose zum Schmetterling zu anstrengend sei. Also beschloss sie, eine Raupe zu bleiben. Und während sie mühsam und langsam durchs Leben kroch, schaute sie immer mal wieder hinauf zu all den Schmetterlingen, die im Sommer- wind von Blume zu Blume tanzten. Nun überlege wohl, ob Mai der scheinbar einfachere Weg auch tatsächlich der leichtere ist.“ 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Juni Play it again Eine Theaterliebhaberin ging einmal in eine Theateraufführung am Broadway. In der Pause ging sie ins Foyer, um einen Whisky zu trinken. Das Foyer war voller Menschen, die rauchten, redeten und tranken. Ein Pianist spielte, doch niemand achtete auf die Musik. Die Dame nippte an ihrem Drink und sah den Musiker an. Er schien gelangweilt, wirkte so, als würde er nur spielen, weil er musste, und als könnte er das Ende der Pause kaum erwarten. Sie ging auf ihn zu und sagte: „Sie sind eine Nerven- säge! Warum spielen Sie denn nicht für sich selbst?“ Der Pianist blickte sie erstaunt an und begann sofort Stücke zu spielen, die ihm gefielen. Darauf wurde es still im Foyer. Als der Pianist geendet hatte, applaudierten alle begeistert. 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Zwei Wölfe Ein Großvater sprach mit seiner Enkelin über seine Gefühle angesichts eines kürzlich erlebten persönlichen Schicksals. Er sagte: „Es ist so, als ob zwei Wölfe in meinem Herz miteinander kämpfen. Einer der Wölfe ist rachsüchtig, wütend und gewalttätig. Der andere ist eher traurig, liebevoll und voller Mitgefühl.“ Die Enkelin war aufgeregt und fragte: „Aber Großvater, welcher Wolf wird den Kampf in deinem Herzen gewinnen?“ Der Großvater lächelte und sagte: „Derjenige, den ich füttere.“ Juli 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
5. Recht haben Recht haben Eine Rabbi hält in seinem Dorf Gericht. Da steht Samu- Ein Rabbi hältund el auf in seinem Dorf Fall trägt seinen Gericht. vor: Da steht Samuel auf und trägt seinen Fall vor: „Verehrter Rabbi, „Verehrte Rabbi, Isaak treibt seine Isaak treibt Schafe seine jeden TagSchafe jeden Tag überüber meinmein LandLand undund verdirbtmir er verdirbt mirsosodie dieErnte. Ernte.EsEsistist mein mein Land.Land; Was er tut, ist nicht Recht. Der was er tut, ist nicht Recht.“ Rabbi spricht: „Da hast du Recht.“ Da erhebt sich Isaak und Der Rabbi spricht: „Da hast du Recht.“ protestiert: „Aber Rabbi, über sein DaLand führt erhebt sichder einzige Isaak und Weg für meine protestiert: „AberSchafe zum Rabbi, See, über wo sie seintrinken Land führtkönnen. der Ohne einzigedas WegWasser müssen für meine sie elendig Schafe zum verdursten. See, woSeitsieJahrhunderten trinken können. genießen die Schäfer Ohne das das Wege- Wasser müssen siedas recht über elendig Landverdursten. um den SeeSeit Jahrhunderten herum, und so steht genießt es auchdiemir Schäfer das Wegerecht über das Land um den zu.“ Und der Rabbi sagt: „Da hast du Recht.“ Da sagte die Ehefrau See her- um, und so steht des es auch mirdie Rabbi, zu.“ bei Gericht zugegen war: Und der Rabbi sagt: „Da hast du Recht.“ „Aber Rabbi, es können doch Da sagte die Ehefrau des Rabbi,nicht die bei beideGericht Rechtzugegen haben!“ war: „Aber Rabbi, es können dich nicht Da beide sagte Recht der Rabbi: haben.“ „Da hast du Recht.“ Da sagte der Rabbi: „Da hast du Recht.“ August 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Innere Freiheit Ein Mann, der einen langen spirituellen Weg gegangen war und sich irgendwann für erleuchtet hielt, sprach zu seinem Freund: „Ich bin innerlich so frei und losgelöst, dass ich nie an mich selbst denken muss. Das brauche ich nicht. Ich denke nur an andere.“ Der Freund schwieg einen Moment und entgegnete dann: „Ich bin innerlich so frei, dass ich mich wie eine andere Person betrachten und behandeln kann, wie jede andere; so kann ich es mir leisten, auch an mich selbst zu denken.“ September 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Oktober Der Zauberzwerg Eine Frau geht im Wald spazieren, als sie plötzlich ein Jammern und zorniges Schreien vernimmt. Sie geht dem Geräusch nach und trifft auf einen Zwerg, dessen Bart in einem Baumstumpf eingeklemmt ist. Er kann sich nicht aus eigener Kraft befreien und bittet sie, ihm zu helfen. Die Dame hilft ihm aus seiner Zwangslage und erlöst den armen Zwerg. Dieser bedankt sich herzlich und gibt sich als Zauberzwerg zu erkennen. Da sie ihm geholfen hat, habe sie einen Wunsch frei. Die Dame überlegt nicht lange: Sie ist ihre Arbeit leid und hat schon lange finanzielle Sorgen. Sie wünscht sich 10 Millionen Euro auf ihrem Konto. „Geht in Ordnung“, sagt der Zwerg, „bekommst du. Allerdings habe ich ein Detail vergessen zu erwähnen: Ich kann dir jeden Wunsch erfüllen, aber dein ärgster Feind bekommt jeweils das Doppelte davon.“ Diesmal überlegt die Dame deutlich länger, zögert, denkt nach und meint schließlich zum Zwerg: „Ja wenn das so ist, dann wünsche ich mir, auf einem Auge blind zu sein!“ 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Mit freundlichen Grüßen Der berühmte Clown Grock erhielt eines Tages einen Brief, der voll von falschen Behauptungen und schlimmen Beschuldigungen war und - am schlimmsten - dass er als Clown überhaupt nicht lustig sei. Seine Freunde rieten ihm, den Absender des Briefes zu verklagen. Denn schließlich könne auch ein Clown nicht immer nur lustig sein. Aber Grock winkte ab. „Ich möchte das anders regeln“, sagt der Clown. Er schickte also den Brief zurück an den Absender und schrieb dazu: „Diesen unverschämten Brief habe ich erhalten. Ich schicke ihn nun an Sie, damit Sie wissen, dass irgendjemand in Ihrem Namen beleidigende Briefe verschickt. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Clown Grock“ November 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Dezember Was siehst du? Ein Lehrer war mit einem Schüler unterwegs in den Bergen. Als es dämmerte, errichteten sie ihr Zelt und fielen müde in den Schlaf. Vor dem Morgengrauen wachte der Lehrer auf und weckte seinen Schüler. „Öffne deine Augen“, sagte er, „und schau hinauf zum Himmel. Was siehst du?“ „Ich sehe Sterne“, antwortete der schlaftrunken. „Unendlich viele Sterne.“ „Und was sagt dir das?“, fragt der Lehrer. Der Schüler dachte einen Augenblick nach. „Dass das große Weltall mit all seinen Sternen unendlich scheint, und ich schaue hinauf in den Himmel und fühle mich dankbar und demütig angesichts dieser unendlichen Weiten. Wie klein ist doch der Mensch.“„Ach, Junge“, stöhnte der Lehrer. „Mir sagt es, dass jemand unser Zelt gestohlen hat!“ 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31
Quellen: Januar: „Die Gabe“, nach: „Geh langsam, wenn Du es eilig hast“ (Zen), August: „Recht haben“, Verf. unbekannt, angelehnt an „Alle sollen Coppenrath Verlag, # Beziehungs-/Sachebene # Selbstwertschätzung siegen – Geschichten aus der Welt der Konfliktlösung“, Concadora Verlag Februar: „Das Schicksal von Kamel und Maus“, nach: Kambiz Poostchi, # Allparteilichkeit # Ambiguitätstoleranz # Wahrnehmung # Gerechtigkeit „Storytelling – Konflikte lösen mit Herz und Verstand“, Metzner Verlag, September: „Innere Freiheit“, Verf. unbekannt, angelehnt an # Gerechtigkeit # Bedürfnisse # Kulturunterschiede # Gleichheit „Storytelling – Konflikte lösen mit Herz und Verstand“, Metzner Verlag, März: „Gesunder Menschenverstand“ Verf. unbekannt, angelehnt an # Perspektivwechsel # Selbstwert # Freiheit # Altruismus # Selbstliebe „Typisch! – Kleine Geschichten für andere Zeiten“, Andere Zeiten e.V. Oktober: „ Der Zauberzwerg“, nach: Ed Watzke, angelehnt an # Deeskalierend agieren # Hinschauen # Klarheit # Wahrheit „Storytelling – Konflikte lösen mit Herz und Verstand“, Metzner Verlag April: „An dir liegt es“, nach „Geh langsam, wenn Du es eilig hast“ # Eskalationsstufen # Selbstschädigung # Rache # Tunnelblick (Zen), Coppenrath Verlag, # Eigenanteil/ -initiative # Courage # Weisheit November: „Mit freundlichen Grüßen“, Verf. unbekannt, angelehnt an Mai: „Soooo anstrengend“, nach „Geh langsam, wenn Du es eilig hast“ „Typisch! – Kleine Geschichten für andere Zeiten“, Andere Zeiten e.V. (Zen), Coppenrath Verlag, # Motivation, # Zuversicht, # Relativität # Mediative Haltung # Selbstvertrauen # Selbstwert # Freiheit # Selbstverantwortung Dezember: „Was siehst du?“, Verf. unbekannt, angelehnt an Juni: „Play it again“, nach: Paulo Coelho, angelehnt an „Geh langsam, „Typisch! – Kleine Geschichten für andere Zeiten“, Andere Zeiten e.V. wenn Du es eilig hast“, Coppenrath Verlag, # Selbstwirksamkeit # Selbst- # Blickwinkel # Perspektivwechsel, # Selektive Wahrnehmung mitteilung # Kommunikation #Tunnelblick Juli: „Zwei Wölfe“, indianische Weisheit, frei nacherzählt, # Angst Hinweis: Wir waren bemüht, jeweils die genaue Quelle anzugeben. Trotz intensiver # Liebe # Zuversicht # Perspektive # Selbstkritik # Selbstverantwortung Recherche war dies nicht in allen Fällen möglich. Für Hinweise sind wir dankbar. Impressum: Redaktion: Claudia Lutschewitz, Leiterin Bildungsprojekt „Mediation als Haltung“ Illustrationen und Layout: Ruth Birkenfeld (www.abbybo.de) Herausgeber: Deutsche Stiftung Mediation Viktor Müller (Vorstandsvorsitzender) Arastr. 20, 85579 Neubiberg Telefon: 089 | 60013989, E-Mail: info@stiftung-mediation.de
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