Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle

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Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
HALLETHEMA 2020 Medien bewegen
                                 HALLETHEMA 2020

                                 Medien bewegen
                                 Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo
Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
30 JAHRE
                                                                                                                                                         Ihre Immobilie –
                         30 JA HR E
Hallescher Kunstverein e.v.
                                                                                                                                                         Ihre Freiheit.
                                                                                                                                                         Mit „Meine Wohnrente“ verrenten Sie
                                                                                                                                                         Ihre eigenen vier Wände, verbessern
                                                                                                                                                         damit Ihr Einkommen und wohnen
                                                                                                                                                         weiterhin mietfrei in Ihrem Zuhause.
             30 JA HR E

                                                                                                                                                         www.meinewohnrente.de

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                                                                                                                            gebraucht wird, wir sind vor Ort. Auch die Verrentung des selbst be-
                                                                                                                            wohnten Hauses ist möglich, Einmalzahlung oder Rente und Sie bleiben
                                                               Hallescher Kunstverein e. V.
                                                               Böllberger Weg 188, 06110 Halle (Saale)                      wohnen solange Sie möchten. Sprechen Sie mit uns.
                                                               Telefon: (0345) 213 895 32, Fax: (0345) 9 77 33 809
                                                               E-Mail: kontakt@hallescher-kunstverein.de
                                                               www.hallescher-kunstverein.de                                Leben Sie auch im Alter Ihre Wünsche – ich berate Sie kostenlos und
                                                                                                                            unverbindlich.

Werden Sie Mitglied im Halleschen Kunstverein e. V.
                                                                                                                                               Ihre Immobilienexpertin:
Der Kunstverein fördert die Künste, bietet Anregungen          Der Verein arbeitet auf ehrenamtlicher und gemeinnützi-
und Freude. Wir brauchen Ihre Unterstützung. Fördern           ger Basis. Eine kontinuierliche Vereinsarbeit ist nur mög-
auch Sie die zeitgenössische Kunst durch Ihre Mitglied-        lich mit Hilfe von öffentlichen Fördermitteln und privaten                      Ute Liebetrau
schaft und unterstützen Sie durch Ihren Beitrag die Ak-        Spenden. Bereichern auch Sie das kulturelle Angebot der                         gepr. MarktWert-Maklerin
tivitäten des Vereins. Als Mitglied erhalten Sie persönli-     Stadt und der Region, indem Sie die Arbeit des Kunstver-
che Einladungen zu allen Ausstellungen und Veranstal-          eines mit Ihrer Spende unterstützen. Ihre Spenden sind
tungen. Sie haben die Chance, Editionen zu erwerben.           steuerlich voll abzugsfähig.                                                    Tel. 0341/58 31 19-10
Alle Mitgestaltungsmöglichkeiten stehen Ihnen offen.
                                                                                                                                               Mobil 0176/40 10 31 50
Und Sie gewinnen das gute Gefühl, die Kunst und Künst-         Hallescher Kunstverein e. V.
ler sowie die Vielfältigkeit der Kultur in Halle zu fördern.   Saalesparkasse, IBAN: DE 28 8005 3762 0386 3080 5                               ute.liebetrau@garant-immo.de      www.garant-immo.de
Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
Grußwort

Liebe Leserinnen und Leser,
seit Monaten prägt die Corona-Pandemie un-
seren Alltag – ein Zustand, an dem sich wohl
so schnell nichts ändern wird. Das Virus hat
viele Pläne durchkreuzt, auch die Vorberei-
tungen für das neue Halle-Themen-Heft wur-
den durcheinandergebracht. Vor allem hinter
den geplanten Veranstaltungen steht ein Fra-
gezeichen, daher haben wir den entsprechen-
den Abschnitt mit den Ankündigungen dies-
mal gestrichen – über konkrete Termine infor-
mieren die jeweiligen Veranstalter zeitnah
über ihre Kanäle. Gänzlich verzichten wollten
wir auf die seit 2014 erscheinende Publikation
aber keinesfalls, zumal diesmal ein durchaus
brandaktuelles Thema aus ungewöhnlichen
Perspektiven betrachtet wird: Unter dem Titel
»Halle 2020 – Medien bewegen« geht es um         nig bekannte Schätze, auf die die Autorinnen
Themen der Rezeptions- und Wirkungsge-           und Autoren unsere Aufmerksamkeit lenken.
schichte hallescher Medien und deren Über-       Dies ist ja immer ein großer Effekt der The-
lieferungen in Halle (Saale).                    menhefte: Sie fördern so Seltenes wie Kost-
Der Blick wird dabei auf ebenso überraschen-     bares zutage; sie machen neugierig und we-
de wie faszinierende Weise geweitet. Wer         cken Interesse, in die facettenreiche Geschich-
heute von Medien spricht, meint ja in der Re-    te unserer Stadt einzutauchen. In diesem
gel die klassischen Massenmedien: Zeitun-        Sinne danke ich den Autorinnen und Autoren
gen, Radio, Fernsehen und natürlich auch das     und verspreche eine anregende Lektüre.
Internet. Im vorliegenden Themenheft wer-
den Medien in grundsätzlicherem Sinne ver-       Herzlich
standen – nämlich als wie auch immer gear-
tete Kommunikationsmittel. So definiert,         Dr. Bernd Wiegand
bewegen Medien die Menschen seit vielen          Oberbürgermeister
hundert Jahren, und so spannt sich der Bogen
hier »vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo«.
Der tiefste Blick reicht folglich sage und
schreibe 500 Jahre in die Stadtgeschichte zu-
rück, zum ersten bedeutenden Informations-
vermittler der halleschen Historie, eben jenem
Heiltumsbuch. Darüber hinaus sind es oft we-

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Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
Grußwort

Liebe Leserinnen und Leser,
bereits Jahrhunderte vor der industriell be-
stimmten Welt gab es herausragende kultu-
relle Produkte, die weit verbreitet waren
und vor allem auch nichtlesende Schichten
mit ihren bildlichen Inhalten erreichten.
Während der Reformation fanden Einblatt-
drucke ein großes Publikum. Aber auch noch
während Kardinal Albrechts Regierungszeit
wurde für das Hallesche Heiltum als »kata-
logisierte« Volksschrift am Ende des zweiten
Dezenniums des 16. Jahrhunderts für die öf-
fentliche Weisung und den geldwerten Ab-
lass geworben. Nicht weniger populär wa-
ren die Lesestoffe des 18. und 19. Jahrhun-
derts in großen Auflagen für ein nicht mehr
nur bürgerliches Publikum. Mit der Fotogra-
fie und phonetischen Aufnahmemöglichkei-
ten entstehen auch sehr schnell kommerzi-
elle Populärkünste, die auch wachsenden          unser digitales Zeitalter wurden Teil einer
Freizeitansprüchen genügten. Spätestens in       modernen Massenkultur.
der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg lassen         Das Themenheft Halle 2020 widmet sich mit
sich von unterschiedlichen Anbietern stan-       seinen Beiträgen in diesem Zusammenhang
dardisierte Kunstwaren-Angebote einzeln          ausgewählten Überlieferungen der halle-
oder kollektiv konsumieren (Groschenhefte,       schen Mediengeschichte, die zum Teil auf
Trivialromane, Kinos und Schallplatten). Die     neue Weise fortgeschrieben werden. Einiges
für viele Menschen erschwinglichen, auf ih-      davon dürfte überraschend sein. Immerhin:
ren Geschmack und ihre Lebenssituation           Die Stadt Halle kann auf 500 Jahre medialer
zugeschnittenen Massenkünste waren be-           Markierungen zurückblicken. Zudem konn-
müht, die Aufmerksamkeit im zunehmend            ten wieder einige Jubiläen unter »Spurensu-
beschleunigten Alltag auf sich zu ziehen. In     che« im Themenjahr »Medien bewegen –
den schnell wachsenden Städten entstan-          Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo« Er-
den eine nie zuvor gesehene Zeitungsviel-        wähnung finden.
falt (häufig mit Zeitungsromanen), illust-
rierte Presseartikel, Boulevardtheater, Varie-   Ich wünsche Ihnen viel Lesefreude.
tés mit Revuetanz und Artistik, Kabaretts
und Klubs. Neue Drucktechniken und Me-           Dr. Judith Marquardt
dien wie Film, Rundfunk, Fernsehen bis in        Beigeordnete für Kultur und Sport

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Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
Inhalt

Halle 2020 – Medien bewegen

 4    Vor 500 Jahren – das erste Buch           42   Kinostadt Halle?
		    aus Halle                                 		   Orte der Illusion – Unterhaltung –
      Der Katalog des Halleschen Heiltums       		   Belehrung
		    Ulf Dräger                                		   Erik Neumann

 8    Neuigkeiten für jedermann                 52   Alltags-Rat und Bühnen-Tat
      Die Flugblatt-Sammlung des Kunst-              Wie in Halle DDR-Fernsehen
		    museums Moritzburg Halle (Saale)          		   gemacht wurde
		    Dr. Katrin Steller                        		   Dr. Steffi Ebert

 12   Notizen aus der »Blütezeit« des           58   Akademischer Wissenstransfer
		    Thüringisch-Sächsischen Altertums-        		   in Halle
		    vereins                                   		   Die Universität stets medial Avantgarde
      Zum Wirken des Altertumsforschers         		   Dr. Oliver Wings / Dr. Frank Steinheimer
		    Gustav Hertzberg
		    Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann          62   Spurensuche
                                                62   Blick zurück ohne Zorn
20    Das übermalte Bildnis Gustav Hertz-       		   Matthias Huth
		    bergs im hallischen Stadtarchiv           65   »Das bejubelte Ende …«
      Ein künstlerischer Palimpsest             		   Ulf Dräger
		    aus der NS-Zeit                           68   Kunstfreu(n)de
		    Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann /             Ulf Dräger
      Dr. Uwe Meißner                           72   Unsterbliche Knollennasen
                                                		   PD Dr. Thomas Kramer
23    Fotogeschichte(n)                         80   »LA LE LU – nur der Mann im Mond
      Die Fotoliteratur des Wilhelm Knapp       		   schaut zu«
		    Verlages in Halle/S.                      		   Dr. Uwe Meißner
		    Dr. Hans Christian Adam                   84   Wir feiern Händels Opern!
                                                86   Hans-Joachim Mrusek
34    Die Phonetische Sammlung                  		   Dr. Irene Roch-Lemmer
		    der Martin-Luther-Universität             90   Vor 350 Jahren … Zum Erscheinen der
		    Der lange verborgene Schatz der Sprech-   		   »Beschreibung des Saltz=Wercks zu
		    wissenschaft                              		   Halle in Sachsen«
      Dipl.-Ing. Peter Müller                   		   Dr. Uwe Meißner

                                                                                            3
Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
Vor 500 Jahren –
das erste Buch aus Halle
Der Katalog des Halleschen Heiltums
Ulf Dräger

Es sind nur drei Exemplare des ersten in Halle   gänger Ernst von Sachsen (1464–1513) begann,
gedruckten Buches in den Bibliotheken der        353 Reliquiare mit 21.484 Einzelreliquien, dar-
Saalestadt überliefert. Eines in der Universi-   unter 42 sogenannte ganze Körper von Heili-
täts- und Landesbibliothek und zwei vollstän-    gen. Der ideelle und materielle Wert einer der
dige Exemplare in der Marienbibliothek. Un-      größten Sammlungen dieser Art war un-
ter den Heiltumsbüchern ist das hallesche        schätzbar. Nur noch einzelne Objekte sind aus
»nicht nur das umfangreichste, sondern auch      dieser besonderen Sammlung erhalten. Der
das religionsgeschichtlich und politisch bri-    Aschaffenburger Kodex, das persönliche »In-
santeste«, stellte Heinrich Nickel im Nach-      ventar« Albrechts, dokumentiert in fast foto-
wort zum ersten vollständigen Nachdruck im       grafisch genauen farbigen Zeichnungen die
Jahr 2001 fest.                                  unglaubliche Fülle an herausragenden Gold-
Auftraggeber war der Kurfürst, Erzkanzler des    schmiedearbeiten. Der immense Materialwert
Reiches, Kardinal, Erzbischof von Mainz und      und die im Verlauf der Zeit schwindende reli-
Magdeburg und Administrator des Bistums          giöse Bedeutung wurden diesen Kunstwerken
Halberstadt, Albrecht von Brandenburg            zum Verhängnis. In Halle selbst hat sich ledig-
(1490–1545). Er war der höchste kirchliche       lich ein kleiner Perlmuttschnitt erhalten. Das
Würdenträger und eine der einflussreichsten      Relief mit der Darstellung von Christus am
Persönlichkeiten des Deutschen Reiches in        Ölberg gehörte ursprünglich zu einer vergol-
seiner Zeit. Seiner Residenzstadt Halle gab er   deten Miniaturretabel mit den zwölf Passi-
ein neues Gesicht. Für drei Jahrzehnte wur-      onsszenen. Sie enthielt 1.000 Reliquienparti-
den Halle und die Moritzburg zu einem der        kel. Vermutlich diente der zentrale Glaubens-
bedeutendsten Zentren der Frührenaissance.       inhalte darstellende, nur 40 cm hohe Altar der
Das Neue Stift mit dem »Halleschen Heil-         privaten Andacht. Perlmutt war für die Verge-
tum« verliehen der Stadt den Glanz einer gro-    genwärtigung besonders geeignet, da der
ßen Residenz.                                    Werkstoff mit Christus symbolisiert wurde.
Das erst in der Magdalenenkapelle der Mo-        Die Reliquiare des Heiltums wurden in einer
ritzburg aufgestellte und später in den Dom      theatralischen Zeremonie den Pilgern vorge-
überführte Heiltum umfasste nach intensiver      stellt. Es sollte ein Bild eines überirdischen
Sammlung, die bereits durch Albrechts Vor-       und zauberhaften Glanzes bieten und die

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Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
Sinne berauschen. Die Heiltümer versprachen             Für sein Heiltumsbuch, den ersten Buchdruck
Seelenheil und Vorsorge für das Jenseits. Der           in Halle, nahm der Kardinal die Dienste des
Ablass versprach einen guten Platz im Him-              Leipziger Buchdruckers Wolfgang Stöckel (um
mel. Während des achttägigen Festes zur                 1473–um 1541) in Anspruch. Es ist davon auszu-
zweiten »Halleschen Heiltumsweisung« 1521               gehen, dass Stöckel für das Buchprojekt in der
konnte ein Ablass für mehr als 39.200.000               Moritzburg eine Druckerei einrichten musste.
Jahre verkauft werden. Dass der Ablasskauf              Der Buchdrucker, eigentlich Wolfgang Müller,
und der Glanz der Kirche mit Gott versöhnen             begründete 1495 eine eigene Offizin in Leipzig
würde bezweifelte Martin Luther, der mit sei-           und eröffnete später Filialen in Wittenberg,
nen berühmten 95 Thesen über Ablass und                 Grimma, Eilenburg und Halle. Er hatte bis da-
Gnade auf die im Sommer 1517 veröffentlich-             hin vor allem dünne und schlicht gestaltete
ten Ablassinstruktionen Albrechts reagierte.            Bände für die Leipziger Universität verlegt.
Den inflationären Ablasshandel und die da-              Insgesamt sind von ihm rund 500 Drucke, da-
mit verbundene umfangreiche Heiligenver-                runter etwa 120 Inkunabeln bekannt. Das
ehrung verstand er als abergläubische Verfäl-           Heiltumsbuch stellte für ihn zweifellos eine
schung des Evangeliums.                                 komplexe Herausforderung dar.
Reliquiensammlungen gab es im Mittelalter               Das Heiltumsbuch, eigentlich das »Vortzeich-
an vielen Orten. In Wien und Wittenberg wa-             nus und zceigung des hochlobwirdigen hei-
ren Anfang des 16. Jahrhunderts bereits um-             ligthumbs der Stifftkirchen der heiligen Sanct
fangreiche Verzeichnisse erschienen. In Halle           Moritz und Marien zu Halle«, beginnt mit ei-
gab es in dieser Zeit noch keine Druckerei. Für         nem Kupferstich Albrechts, dem sogenannten
amtliche und liturgische Veröffentlichungen             »Kleinen Kardinal« von Albrecht Dürer. Dürer
nutzte der Kardinal die Leipziger Offizin von           hatte den Kirchenfürsten 1518 auf dem Reichs-
Melchior Lotter.                                        tag in Augsburg gezeichnet, als er die Kardi-
                                                        nalsweihe erhielt und 1519 im Alter von 29
                                                        Jahren gestochen. Albrecht schätzte das Port-
                                                        rät, das ihn würdevoll und souverän charakte-
                                                        risierte. Er bestellte eine hohe Auflage von
                                                        Abzügen. Das zweite Blatt zeigt die Stifter des
                                                        Heiltums, Erzbischof Ernst von Sachsen und
                                                        Kardinal Albrecht neben der Magdalenenka-
                                                        pelle der Moritzburg und den Stiftsheiligen.
                                                        Die meisten Illustrationen sind dem Nürnber-
                                                        ger Maler und Zeichner Wolf Traut (um 1485–
                                                        1520) zuzuschreiben, der vermutlich von Dü-
                                                        rer nach Halle empfohlen wurde. Die Reali-
                                                        tätsnähe des überwiegenden Teils der Holz-
                                                        schnitte legt nahe, dass Traut die Zeichnungen
                                                        1519 in Halle direkt nach den Objekten anfer-
Christus am Ölberg, aus dem Halleschen Heiltum,
deutsch, Ende 15. Jahrhundert, Perlmutt, geschnitten,   tigte. Es ist die umfangreichste Holzschnitt-
Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)                    folge seines großen Oeuvres. Das Heiltum

                                                                                                     5
Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
war in neun Abteilungen gegliedert. Wie in          buches nicht selbst. Dort ist lediglich zu le-
einem heutigen reich bebilderten Museums-           sen: »Gedruckt yn der loeblichen stadt halle /
katalog ist jedes Reliquiar mit wenigen Wor-        Nach Christi Vnsers herrn geburt Funfftzehn-
ten beschrieben und wird seine Provenienz           hundert Vnnd Im Zcwenntzigesenn Jhare«.
erläutert. Der sechste Gang ist zum Beispiel        Halle hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht
den Märtyrern, der siebte Gang den heiligen         genug Ressourcen und Anziehungskraft für
Bischöfen und der achte den heiligen Jung-          eine permanent tätige Druckerei, deren An-
frauen gewidmet. Die Verwendung der deut-           siedlung von Albrecht auch nicht forciert wur-
schen Sprache machte die Inhalte einem brei-        de. Insofern ist das Heiltumsbuch eine Aus-
ten Publikum zugänglich. Die Abbildungen            nahme. Der erste wirklich in Halle ansässige
mit ihren erkennbaren Ikonographien waren           Drucker, Hans Frischmut, kam 1542, nach der
auch für Analphabeten erschließbar.                 Durchsetzung der Reformation in die Stadt.
Die Herstellung des Buches erfolgte offenbar        Das Hallesche Heiltumsbuch beendete die
in Eile und in einem sich ständig wandelnden        Tradition dieser speziellen Volksbuchgattung.
Konzept. Bei einigen Holzschnitten wurde das        Doch erlebte es eine interessante Rezeptions-
Kontern der zeichnerischen Vorlagen ver-            geschichte. Im Jahr 1617 erfolgte zum einhun-
säumt, die Paginierungen der Druckbögen er-         dertjährigen Reformationsjubiläum ein erster
folgten unregelmäßig, einige sind nur als hal-      sehr freier Nachdruck in Wittenberg durch
be Bögen gedruckt. Deshalb ist anzunehmen,          den Theologen Wolfgang Franz (1564–1628),
dass es während der Herstellung noch zu in-         der darin die Wittenberger und Halleschen
haltlichen Erweiterungen kam. So stammt der         Heiltümer vereinigte. Johann Christoph von
Stich der an erster Stelle dargestellten päpstli-   Dreyhaupt druckte in seiner berühmten Chro-
chen goldenen Rose, die der Kardinal erst am        nik den Text des Heiltumbuches nach und ließ
25. Oktober 1520 erhalten hatte, nicht mehr         nach den Holzschnitten Kupferstiche anferti-
von Traut, der zu diesem Zeitpunkt bereits in       gen und zu Tafeln zusammenstellen. 1889 ver-
Nürnberg verstorben war.                            öffentliche Richard Muther eine Auswahl von
Das Hallesche Heiltumsbuch zählt zu den äl-         88 Tafeln des Buches. 2001 folgte Heinrich Ni-
testen »Bildbänden« überhaupt. Der Setzer           ckel mit dem ersten vollständigen Nachdruck
konnte den Text nicht fortlaufend herstellen,       und einem ausführlichen Kommentar nach
sondern musste sich nach den Abbildungen            dem Original der Marienbibliothek anlässlich
in unterschiedlichen Formaten richten. Dies         deren 450jährigen Bestehens.
gelang nicht immer, mitunter stehen Bild und        Heute ist das Buch zusammen mit dem
Bildbeschreibung auf unterschiedlichen Sei-         Aschaffenburger Kodex nicht nur ein religions-
ten. Dennoch belegt die notwendig enge Zu-          geschichtliches Zeugnis ersten Ranges, son-
sammenarbeit von Zeichner, Formschneider,           dern auch eine einzigartige kunsthistorische
Setzer und Drucker, dass das Buch in allen sei-     Dokumentation des Kunsthandwerks des spä-
nen Arbeitsschritten in Halle entstand und          ten Mittelalters und der frühen Neuzeit, genau
dokumentiert somit auch die Leistungsfähig-         genommen ist es einer der ersten Kunstkata-
keit der ersten, wenn auch behelfsmäßigen           loge der Welt. Dem Kardinal muss die Doku-
oder mobilen Offizin der Saalestadt. Stöckel        mentation seines Mäzenatentums für die
benannte sich im Impressum des Heiltums-            Kunst und seines unerschütterlichen Vertrau-

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Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
Titelseite des »Hallesches Heiltumsbuchs« Exemplar   glanzvollste und gleichzeitig auch tragischste
von 1520, aus der Bibliothek von Prof. Dr. med.
                                                     Landesherr in Halle. 1541 verließ er mit seinem
Friedrich Hoffmann, Marienbibliothek Halle (Saale)
                                                     Heiltum und seinen Kunstschätzen die Stadt.
ens in die Kraft der Reliquien für die Gnade         Das mit einem glänzenden Aufstieg begon-
Gottes im Jenseits ein wichtiges persönliches        nene Leben endete im Untergang aller seiner
Anliegen gewesen sein. Albrecht war der              Gründungen.

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Neuigkeiten für jedermann
Die Flugblatt-Sammlung
des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale)
Dr. Katrin Steller

Noch nie hatte der Mensch eine solche Fülle     Für die Entstehung und Verbreitung von Flug-
an Informationsangeboten zur Verfügung          blättern war Gutenbergs Erfindung des Drucks
wie heute. Doch das Bedürfnis des Men-          mit beweglichen Lettern Mitte des 15. Jahr-
schen nach Mitteilung und Neuigkeiten ist       hundert von großer Bedeutung. Sie ermöglich-
kein Phänomen des Internet-Zeitalters. Be-      te eine schnelle Produktion großer Stückzah-
reits Mitte des 15. Jahrhunderts hält mit dem   len bei geringen Herstellungskosten.
Flugblatt das erste technisch hergestellte      Das typische Layout eines illustrierten Flug-
Massen-kommunikationsmittel Einzug in           blatts, auch Einblattdruck genannt, war ein
die Gesellschaft.                               hochformatiger, großer Bogen, auf dem sich
                                                oben ein Bild befand mit einem unten ange-
                                                ordneten, oft mehrspaltig gesetzten Text. Im
                                                16. Jahrhundert war das Bild meist ein schwarz-
                                                weißer oder kolorierter Holzschnitt. Um die
                                                Wende des 17. Jahrhunderts wird er abgelöst
                                                von dem immer häufiger auftretenden Kup-
                                                ferstich und der Radierung. Die Erfindung des
                                                Steindrucks (Lithografie) ermöglichte seit dem
                                                Beginn des 19. Jahrhunderts noch günstigere
                                                und größere Auflagen.
                                                Auch die für die frühneuzeitlichen Einblatt-
                                                drucke verwendeten Textsorten waren sehr
                                                variantenreich und deckten fast das gesamte

                                                Jakob van der Heyden, Eigentliche abbildung des
                                                Leuchters wahrer Religion, wie dieselbe in der
                                                Augspurgischen Confession kürtzlich begriffen,/
                                                welche von dem heÿligen Geist angezündet. auff den
                                                Felsen der Propheten und Apostel in Gottes Wort …/
                                                Es dancken dir alle Könige auff Erden., 1630,
                                                Kupferstich, Tusche, 396 x 272 mm

8
Hans Heinrich Glaser, Warhaffte und eigentliche Abbildung/ Des wunder grossen Wallfisches/ und ungehewren
er-/ schroecklichen Meer Monstri/ so 1640. in Prou[v]ancen/ bey dem Closter und/ Capellen S. Tropes
gefangen// und die gebein darvon Ihro Koeniglicher Majestat in Franck=/ reich presentiert und verehret
worden., 1640, Kupferstich, Typendruck, 138 x 189 mm

                                                                                                       9
Deutsch, Abbildung deß unbarmhertzigen/
                                                     abschewlichen/grausam und grewlichen Thiers//
                                                     Welches in wenig Jahren/ den groesten Theil
                                                     Teutsch=/ landes erbaerm= und jaemmerlichen
                                                     verheeret/ außgezehret und verderbet. Beneben
                                                     einem Bericht// Woher dasselbige seinen Ursprung/
                                                     wer solches erzogen/ ernehret/ etc. Endlich durch
                                                     was Mittel/ seiner wider loß zu werden. Maenniglich
                                                     an Tag gegeben., um 1630, Kupferstich, Typendruck,
                                                     159 x 239 mm

                                                      Dadurch wurde auch die Mehrheit der Bevöl-
                                                      kerung angesprochen, die nicht Lesen oder
                                                      Schreiben konnte.
                                                      Im Unterschied zu Flugblättern der heutigen
                                                      Zeit, wurden sie in der Frühen Neuzeit nicht
                                                      kostenlos verteilt, sondern verkauft. Schät-
                                                      zungen gehen davon aus, dass ein Flugblatt
                                                      etwa den Stundenlohn eines Handwerkers
literarische Spektrum der barocken Publizis-          kostete, was etwa dem Preis von zwei Maß
tik ab. So finden sich u. a. Briefe, Erlasse, Bio-   Bier oder einem Dutzend Eiern entsprach.
grafien, Dialoge, Predigten, Gebete oder Lie-        Flugblätter galten daher auch als Statusob-
der. Dabei wurde eine Vielfalt an verschiede-        jekt und wurden gut sichtbar an der Wand
nen Versmaßen, Strophenformen und Metrik             oder am Mobiliar angebracht.
verwendet, wie z. B. Alexandriner und Knittel-       Das Themenspektrum der Flugblätter war
verse.                                               weit gespannt. Über Begebenheiten des all-
An der Entstehung eines Flugblattes konnten          täglichen Lebens wurde ebenso berichtet, wie
bis zu acht Personen tätig sein. Neben dem           über außergewöhnliche Himmelserscheinun-
Zeichner und Stecher, waren auch ein Verle-          gen, Missgeburten, wunderliche Wesen oder
ger, Autor und Drucker, manchmal auch Illu-          Naturkatastrophen. Ab dem 16. Jahrhundert
ministen, Koloristen oder Schablonierer be-          wurde das Flugblatt politischer und damit
teiligt. Hauptsächlich aus Angst vor Zensur          auch aktueller. Schwerpunkte der frühneu-
blieben diese Akteure auf einem Großteil al-         zeitlichen Publizistik bildeten die Reformation,
ler Druckerzeugnisse anonym.                         der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) sowie die
Die Auflagenhöhen dürften zwischen 300               englische Revolution 1648/49. Im 19. Jahrhun-
und 2000 Exemplaren gelegen haben, da die            dert waren vor allem die Ereignisse der bür-
Druckplatten dann häufig ihre Belastungs-            gerlichen Revolution von 1830 und 1848 von
grenze erreicht hatten. Angeboten wurden             besonderem Interesse.
die Flugblätter im Buchhandel und auf Mes-           In der Kunstgeschichte fanden die illustrier-
sen. Hauptsächlich wurden sie aber durch             ten Flugblätter erst seit Ende des 19. Jahr-
fliegende Händler verkauft, die die Drucke an        hunderts Beachtung. Unter dem Architekten,
belebten Orten wie Märkten, Kirchplätzen             Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Her-
oder in Wirtshäusern ausriefen oder sangen.          mann Wäscher (1887–1961), seit 1951 Leiter

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des Grafischen Kabinetts der Staatlichen        aber auch moralsatirische Drucke, sowie Blät-
Galerie Moritzburg, bildete die Gattung der     ter die Sensationen und vermeintliche Wun-
illustrierten Flugblätter einen bedeutenden     der thematisieren.
Sammlungsgegenstand des Museums.                Die Bedeutung der Hallenser Sammlung zeigt
Der größte Teil der Sammlung war in den ers-    sich in der hohen Zahl an Unikaten und selte-
ten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in        nen Exemplaren: Von den circa 1000 Flugblät-
die Moritzburg gekommen. Mit Wäscher ver-       tern des 15. bis 19. Jahrhunderts sind 39 Blät-
größerte sie sich durch Blätter, die im Zuge    ter einzig im Bestand der Moritzburg nach-
der Bodenreform in die Moritzburg gelangt       weisbar, von 44 Blättern gibt es in anderen
waren und durch Ankäufe aus Antiquariaten.      Sammlungen lediglich Varianten.
Zudem überließ er Teile seiner eigenen Flug-    Digital publiziert sind bereits 60 Blätter die-
blatt-Sammlung dem Museum. Mit zwei Pu-         ser Flugblatt-Sammlung auf museum-digital.
blikationen, die 1955 und 1956 erschienen,      Geplant ist, dass dort in Zukunft noch weitere
stellte Hermann Wäscher einen Teil des Be-      Werke dieses kulturhistorisch bedeutsamen
standes erstmals der Öffentlichkeit vor.        Bestandes der interessierten Öffentlichkeit
Im Bestand des Kunstmuseums Moritzburg          präsentiert werden.
Halle (Saale) nehmen die politischen Flug-
blätter den größten Anteil ein. Dabei domi-     https://st.museum-digital.de
nieren vor allem die Ereignisse des Dreißig-
jährigen Krieges, aber auch militärische Kon-   Literatu rauswahl
                                                zu den Flugb l ätter n im Ku nstmuseum
flikte der Türkenkriege, des Spanisch-Nieder-
                                                Mor itzbu rg Halle (Sa ale):
ländischen Krieges (1568–1648) und der
                                                Wäscher, Hermann: Das deutsche illustrierte
Befreiungskriege (1813–1815). Zu finden sind
                                                Flugblatt, 2 Bde., Dresden 1955/1956.

                                                Zausch, Bärbel (Hg.): Frau Hoeffart & Monsieur
                                                Alamode. Modekritik auf illustrierten Flugblättern
                                                des 16. und 17. Jahrhunderts, Halle 1998.

                                                Bake, Kristina (Hg.): Ein neuer Korb voll Venuskinder.
                                                Die Weibermacht auf illustrierten Flugblättern des
                                                16. und 17. Jahrhunderts, Halle 2001.

                                                Pietrzak, Ewa/ Schilling, Michael (Hg.): Deutsche
                                                illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts.
                                                Band IX: Die Sammlung des Kunstmuseums
                                                Moritzburg in Halle a. S., Berlin 2018.

                                                Abraham Aubry,
                                                Der Newer Allamodischer Baum aller Jungen
                                                Cavallieren und Junger gesellenn.,
                                                um 1650, Kupferstich, 273 x 253 mm

                                                                                                         11
Notizen aus der »Blütezeit«
des Thüringisch-Sächsischen
Altertumsvereins
Zum Wirken des Altertumsforschers Gustav Hertzberg
Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann,
Leiter des Archäologischen Museums der MLU Halle-Wittenberg, i. R.

Der »Thüringisch-Sächsische Verein für Erfor-    mit der Person Hertzberg und seiner Rolle im
schung des Vaterländischen Altertums und         Verein zu beschäftigen. Die Biographie dieser
Erhaltung seiner Denkmale« – kurz: Thürin-       hervorstechenden Persönlichkeit erlaubt
gisch-Sächsischer Altertumsverein – und sei-     auch, einen ersten Blick auf seine Zeit in Hal-
ne Bedeutung für unsere Universität und          le, den wichtigen Institutionen sowie Perso-
Stadt ist weitestgehend aus dem kulturellen      nen zu richten, denn in der Person Hertzbergs
Gedächtnis von Halle herausgefallen. Dassel-     bündeln sich unterschiedliche Tätigkeits-
be gilt für Gustav Friedrich Hertzberg (1826–    felder und Aktivitäten im akademisch-städti-
1907, einem renommierten Altertumswissen-        schen Kulturleben der Stadt. Der somit
schaftler und Ehrenbürger der Stadt), obwohl     gewählte Aspekt der personifizierter Ge-
dessen Name und Wirken untrennbar mit der        schichtsdarstellung erleichtert den Einstieg
Blütezeit des Vereins, der Universität und       zum Verständnis der durchaus unterschiedli-
dem Geistesleben in der Stadt verbunden          chen politischen Strömungen unterworfenen
war und bleibt. Dies liegt zum einen daran,      Handlungsweisen des Vereins, dessen Bedeu-
dass heutzutage eher geringschätzig an die       tung weit über die Region der ehem. preußi-
Wilhelminische Zeit zurückgedacht wird.          schen Provinz Sachsen hinausreicht, aber
Doch zum anderen fällt genau in diese Zeit       bislang nicht erforscht ist.
Hertzbergs Wirken für den Altertumsverein.
Im Dreikaiserjahr 1888 wurde er zum Vizeprä-
sidenten des Vereins, also zu ihrem geschäfts-   Gustav Friedrich Hertzberg (1826–1907), Zeichnung
führenden Vorsitzenden, gewählt und füllte       von Ernst Sigmund von Sallwürk (1874–1944), aus:
                                                 Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins
dieses Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1907
                                                 für Erforschung des vaterländischen Altertums und
aus. Es erscheint demnach lohnenswert, sich      Erhaltung seiner Denkmale in Halle a. d. Saale für
näher mit der Vereinsgeschichte wie auch         1907/08, Halle a. Saale 1909, Frontispiz, 1907.

12
13
Doch wirkte der Altertumsverein von 1823 bis      1818; zu deren Ehrenmitgliedern etwa Goe-
1944, also für mehr als 120 Jahre unter dem       the, Schinkel, die Gebrüder Grimm und Hum-
Dach der Universität und prägte dort die Ent-     boldt zählten. Der verwickelten Gründungs-
stehung der Geschichts-, Altertums- und           phase des Vereins galten 2018 und 2019 je-
Kunstwissenschaften mit. Durch seine regel-       weils Tagungen in Schulpforte, die der Lan-
mäßig stattfindenden monatlichen Versamm-         desheimatbund Sachsen-Anhalt zusammen
lungen – jeweils mit Fachvorträgen zu Fragen      mit der Stiftung Schulpforta anlässlich des
der politischen und kulturellen Geschichte,       Jubiläums der Gründung des Vereins vor 200
wie auch der Archäologie und Kunstgeschich-       Jahren organisiert haben.
te von Halle, der Provinz Sachsen sowie Thü-      Es steht nun fest, dass im Herbst 1819 in
ringens – prägte der Verein das kulturelle Le-    Schulpforte die erste Hauptversammlung
ben der Stadt wesentlich mit. Kriegsbedingt       stattfand und dass das Vereinsstatut im Früh-
kam es 1944 zum faktischen Untergang des          jahr 1820 in Naumburg verabschiedet wurde.
Vereins. Nach 1945 sind keine Bemühungen zu       Die Ziele der Gründungsmitglieder, unter ih-
dessen Neubelebung zu erkennen, was aber          nen der Naumburger Landrat Carl Peter Lep-
noch zu prüfen wäre. Das gilt auch für die Zeit   sius und die Rektoren von Schulpforta Karl
nach der »friedlichen Revolution« von 1989, in    David Ilgen und Adolf Gottlob Lange, waren
der es, anders als bei anderen Geschichtsverei-   ambitioniert. Wie im Statut zu lesen steht,
nigungen, für den immerhin seit 1818 existie-     wollte der Verein sowohl die Überreste aus
renden Thüringisch-Sächsischen Altertums-         heidnischer Vorzeit als auch Denkmale alter
verein keinen Neubeginn, etwa als eingetrage-     Kunst und Architektur erforschen. Ein weite-
ner Verein gab, wie das etwa bei dem 1992         rer Punkt war das Sammeln und die Bewah-
wiederbegründeten »Verein für sächsische          rung von Inschriften, Urkunden, Handschrif-
Landesgeschichte – vormals sächsischer Alter-     ten, Chroniken. Und schließlich sollten auch
tumsverein« oder bei der 1990 wiederbegrün-       Lieder und Sagen sowie die Sitten und Ge-
deten »Historischen Kommission für Sachsen-       bräuche der Bevölkerung der Gegend doku-
Anhalt e. V.« der Fall war.                       mentiert werden. Doch der Verein inventari-
                                                  sierte auch Bau- und Kunstdenkmale und
Zur Vorgeschichte und den Zielen des »Thü-        dokumentierte untergegangene Bauten und
ringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung      deren Ruinen, lange bevor eine staatliche
des Vaterländischen Altertums und Erhaltung       Denkmalpflege wirkungsvoll gegen deren
seiner Denkmale«                                  Zerstörung arbeiten konnte.
Da die Geschichte des Vereins weitgehend          Eine wissenschaftliche Fundgrube und wich-
unbekannt ist, hier zunächst einige Bemer-        tige Quellensammlung sind die von 1822 bis
kungen zum Verständnis: Die Vorgeschichte         1940 publizierten Periodika (Mitteilungen,
einer der frühen und wirkungsmächtigen Al-        Jahresberichte etc.), die einen Einblick in die
tertums- und Geschichtsvereine Deutsch-           vielfältigen Forschungsarbeiten in der Provinz
lands beginnt wenige Jahre nach der Nieder-       Sachsen geben. Der erste Band der Schriften
lage Napoleons im Jahre 1815. In dem ehemals      »Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-
sächsischen, nunmehr preußischen Gebiet an        antiquarischer Forschungen« von 1822 erhob
Saale und Unstrut gründete sich der Verein        den historisch-antiquarischen Zugang zum

14
Credo des Vereins. Damit heben sie auf den        kann man den Publikationen des Vereins ent-
bislang kaum thematisierten antiquarischen        nehmen: Aus Inschriften, Reliefs, Skulpturen,
Forschungszugang ab, wobei der Begriff »an-       Münzen und Ruinen etc. versuchen sie die kul-
tiquarisch« zunächst allgemein für Altertums-     turelle Erschließung des historischen Alltags;
forschung steht, doch ist die antiquarische       umfassende Untersuchungen zu Text und Bild
Tätigkeit ein Teilbereich der historischen For-   bzw. Text und archäologisches Fundobjekt er-
schung und der Altertumswissenschaften.           gänzen somit einander. Aber auch topogra-
Allerdings wurden die ›Antiquare‹ bis vor eini-   phische Studien und die funktionale Bestim-
gen Jahren als Sammler von totem Wissen           mung architektonischer Überreste sind er-
belächelt, weil sie angeblich zu keinen über-     probte Arbeitsfelder der antiquarischen Regi-
geordneten Fragen und Synthesen gelangen.         onalforschung. Kurzum das Rückgrat des
Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurde dieser     Vereins bilden einschlägige Untersuchung
wissenschaftlich-historische Zugang bespöt-       und altertumswissenschaftliche Entschlüsse-
telt. Nur exemplarisch sei hier Sir Walter        lung von Realien und Sachaltertümer, die sich
Scotts Roman »The Antiquary« von 1816 er-         auf die archäologische Überlieferung, Texte
wähnt, deren verschrobene Hauptfigur Jona-        und Bilder stützen, wobei epigraphische und
than Oldbuck sich ganz dem Studium und der        literarische Texte sowie archäologische Funde
Sammlung alter Münzen, Bücher und archäo-         und Befunde sich einander ergänzen.
logischer Relikte verschrieben hat.               In den Geschichtswissenschaften der Nach-
Ursprünglich nimmt die antiquarische For-         kriegszeit wurden der sogenannte Antiquari-
schung Impulse aus der Antike auf und setzt       anismus kritisch gesehen, doch durch den
sich mit Aspekten auseinander, die nicht pri-     Aufsatz von Arnaldo Momigliano aus dem
mär zur Ereignisgeschichte gehören. Dabei         Jahre 1950 mit dem Titel »Ancient History
bildet die literarische Überlieferung zunächst    and the Antiquarian« erfuhr die nachfolgen-
die Grundlage ihrer Erkenntnis, die materiel-     de Forschung, besonders in den letzten zwan-
len Überreste und auch die Kunstwerke wer-        zig Jahren einen Aufschwung. Seitdem spielt
den vorrangig, aber nicht nur auf ihren histo-    die »material culture« und auch die Alltags-
rischen Dokumentationswert hin untersucht.        kultur eine größere Rolle und häuft mitnich-
Dieser antiquarische Ansatz betrifft sowohl       ten angebliches totes Sammlerwissen an. Vor
die Philologie als auch die Archäologie, womit    diesem Hintergrund dürfte auch ein Grund
die philologisch-archäologische Vorgehens-        neben anderen zu sehen sein, dass der Thü-
weise wegweisend wird. Das Sammeln von            ringisch-Sächsische Altertumsverein, der fast
verstreutem Material, um über die Vergan-         in Vergessenheit geriet, derzeit über die Be-
genheit durch das Verständnis der Realien         schäftigung mit ihrer Gründung und frühen
und der Sachaltertümer, die den alltäglichen      Phase eine kleine Renaissance erlebt.
Lebensbereich repräsentierten, mehr zu er-
fahren, bilden somit einen Schwerpunkt für        Der Thüringisch-Sächsische Altertumsverein
die Erforschung der Region. Diese einschlägi-     unter Gustav Hertzberg in der Zeit von 1888
gen Untersuchungsbereiche stützen sich auf        bis 1907
die archäologische Überlieferung. Den herme-      Gustav Hertzberg, Altertumsforscher, Univer-
neutischen Gewinn eines solchen Vorgehens         sitätslehrer, Regionalhistoriker, Stadtchronist

                                                                                               15
und Ehrenbürger der Stadt Halle, gehörte,           denen historische Entwicklungen verständlich
wie bereits erwähnt, zu den ungemein viel-          und somit nachvollziehbar gemacht werden.
seitigen Hauptpersonen des Thüringisch-             Bemerkenswert auch seine wissenschaftlichen
Sächsischen Altertumsvereins, der das große         Arbeiten, die im Umfeld des Vereins entstan-
Glück hatte, fast durch die ganze wilhelmini-       den, wie etwa seine Schriften zu Fragen der
sche Ära von dem leistungsstarken Gelehrten         regionalen Geschichte und die seiner Heimat-
geführt zu werden. Lebenslang ist Hertzberg         stadt Halle. Zwischen 1889 und 1893 schrieb er
untrennbar mit Halle verbunden. 1826 in eine        eine bis heute gelobte wissenschaftlich fun-
angesehene Arztfamilie hineingeboren und            dierte Darstellung der hallischen Stadtge-
nach seinem Tode 1907 auf dem heimischen            schichte in drei Bänden. Im Jahre 2002 analy-
Stadtgottesacker beerdigt. Ab 1835 besuchte         sierte Werner Freitag, der damalige Professor
er das Pädagogium der Franckeschen Stiftun-         für die Landesgeschichte Sachsen-Anhalts an
gen, wo er 1843 das Abitur ablegte und an-          der Martin-Luther-Universität Halle-Witten-
schließend hier wie auch in Leipzig Geschich-       berg, in einem Sammelband zu »Halle und die
te, Klassische Philologie und Orientalistik an      deutsche Geschichtswissenschaft um 1900«
der Universität studierte. Nachdem er 1848 in       den ersten Band von Hertzbergs Stadtge-
Halle promoviert worden war, habilitierte er        schichte, wobei er insbesondere dessen wis-
sich bereits 1851 daselbst für das Fachgebiet       senschaftliches Herangehen charakterisierte.
Alte Geschichte; beide Qualifikationsschriften      Die Arbeits- und Sichtweise des Autors war
beschäftigten sich mit Fragen der griechi-          nach Freitag ein gutes Beispiel für die Sinnstif-
schen Geschichte. Ab 1861 erhielt er ein besol-     tung durch Geschichte in Zeiten tiefgreifenden
detes Extraordinariat für Alte Geschichte an        Wandels. Damit erklärt sein Werk auch die Be-
der Universität Halle und 1889 wurde ihm der        ziehungen zwischen Stadtbürgertum und
Titel Ordentlicher Honorarprofessor verlie-         Universität am Ende des 19. Jahrhunderts. Er-
hen, der nicht der Position eines Ordinarius        gänzend zur Stadtgeschichte treten schmalere
gleichkommt und auch nicht heißt, dass da-          Arbeiten Hertzbergs unter anderem zur Ge-
mit ein höheres Gehalt verbunden war.               schichte der Universität und des Waisenhau-
Neben seiner Lehrtätigkeit und der Vereinsar-       ses oder zur Bedeutung des Saaletales.
beit entfaltete Hertzberg eine ungemein             Dabei war Hertzberg mitnichten ein ‚antiqua-
fruchtbare wissenschaftlich-schriftstellerische     rischer‘ Stubenhocker. Vielmehr spielte er im
Tätigkeit etwa zur Landesgeschichte Griechen-       gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt
lands, die er über die Antike hinaus bis in seine   Halle eine herausgehobene Rolle, die zum ei-
Gegenwart verfolgte. Werke zur griechischen,        nen mit seiner Position an der Universität,
römischen und byzantinischen Geschichte ste-        sein Anstellungsverhältnis wäre noch zu un-
hen neben Werken etwa zu den asiatischen            tersuchen, und zum anderen mit seiner Rolle
Feldzügen Alexanders des Großen.                    im Verein zu erklären ist.
Hertzbergs wissenschaftliche Methode war            Hertzberg war lange Jahre Mitglied der histo-
weniger die skrupulöse Interpretation der           rischen Kommission der Provinz Sachsen und
Quellen, sondern die Abfassung auf den Quel-        gehörte zudem seit 1854 auch der Freimau-
len wie auch auf Werken anderer Forscher ba-        rerloge »Zu den Drei Degen« an. Fast müßig
sierender gesättigter Gesamtdarstellungen, in       zu erwähnen, dass aus seiner Feder eine Ge-

16
schichte der Loge stammt. Aktiv war er zu-       Seit 1894 war Hertzberg zudem Herausgeber
dem im Gustav-Adolf-Verein und gab seit          verschiedener Publikationsreihen des Vereins
1879 das Monatsblatt des evangelischen           und schrieb selbst häufig Beiträge und Re-
Hilfswerks heraus. Auch war Hertzberg Mit-       zensionen für die betreffenden Zeitschriften.
glied der Nationalliberalen Partei und wid-      Auf den regelmäßigen Sitzungen des Vereins
mete sich von 1866 bis 1871 zudem der tages-     hielt er oftmals historische Vorträge. Für die
politischen Tätigkeit als Redakteur des natio-   Dauer von 1888 bis 1907 war Hertzberg frag-
nalliberalen Hallischen Tageblattes.             los der kontinuierliche Antrieb und geistige
Zum Ende seines Lebens erfuhr Hertzberg          Mittelpunkt des Vereinslebens. Dieser Blüte-
zahlreiche Ehrungen, ihm wurde der Titel Ge-     zeit des Vereins – nie gab es so viele Mitglie-
heimer Regierungsrat und der Verdienstor-        der, wie in dieser Zeit – geht aber eine bedeu-
den verliehen. 1901 wurde ihm zudem ein          tende und fruchtbare Geschichte des Vereins
besonderes Zeichen der Anerkennung durch         in Halle voraus. Sie begann 1823 mit dem Um-
die Stadt Halle die Ehrenbürgerschaft zuteil.    zug des Vereins von Naumburg nach Halle,
Seit 1833 bis heute wurden lediglich 36 Perso-   genauer gesagt an die Hallenser Universität.
nen das Ehrenbürgerrecht verliehen (wobei        Es gibt bislang zwar keine wissenschaftliche
das für Hindenburg, Hitler und Göring von        Untersuchung zum Wirken des Vereins nach
1933 bis 1991 bestand). Unter ihnen finden       seinem Umzug nach Halle. Fest steht aller-
sich fünf Universitätsangehörige, davon zwei     dings, dass dieser bereits 1822 vom Preußi-
Mediziner (R. v. Volkmann, Th. Weber), ein Mu-   schen Kultusministerium förmlich bewilligt
siker und Komponist (R. Franz), ein Agrarwis-    worden war. Doch obwohl die Universität
senschaftler (J. Kühn) sowie Gustav Herzberg     rechtzeitig Platz für die Sammlungen und die
als Altertumswissenschaftler und Regional-       Bibliothek des Vereins in der Neuen Residenz
historiker. Noch zu seinen Lebzeiten erfolgte    am Domplatz geschaffen hatte, zog sich die
die Benennung einer Straße nach ihm. Gus-        Überführung der Sammlungen, des Archivs
tav Friedrich Hertzberg starb am 16. Novem-      und der Bibliothek längere Zeit hin.
ber 1907 hochbetagt und die Nachrufe bezeu-      Von Anbeginn gehörte das Ausgraben und
gen sein großes Ansehen, das mittlerweile        Sammeln von Artefakten mit dem Ziel der
aber leider verblasst ist.                       Einrichtung eines »vaterländischen Muse-
Nachdem Hertzberg bereits 1855 Mitglied im       ums« zu den Vereinszielen. Die Erforschung
Thüringisch-Sächsischen Altertumsverein ge-      der materiellen Hinterlassenschaften zu der
worden war, übernahm er, wie bereits er-         auch die Denkmalpflege gehörte, wurde nach
wähnt, 1888 im Präsidium des Vereins die         dem Umzug an die Universität in Halle wei-
Position des Vizepräsidenten, die ab 1890        tergeführt. Allerdings weisen die Ausgaben
Zweiter Vorsitzender hieß, was bedeutet, dass    für Ausgrabungen ab 1830 einen deutlichen
er der geschäftsführende Vorsitzender war.       Rückgang auf und ab 1855 sind keine Gra-
Der Vereinspräsident, der seit 1890 den Titel    bungsaktivitäten mehr zu verzeichnen.
Erster Vorsitzender trug, war zugleich der       Die umfangreiche archäologische Sammlung
höchste Beamte des Provinzialverbandes, in       des Vereins konnte in der Neuen Residenz ge-
dieser Zeit der Landeshauptmann W. L. Graf       zeigt werden, wo auch die anderen Samm-
von Wintzingerode.                               lungen des Vereins untergebracht wurden,

                                                                                              17
die Bibliothek und das Archiv mit seinen Be-     schichte und Altertumskunde der Provinz
ständen zu Vereinsangelegenheiten, von Aus-      Sachsen« in den Sammlungsräumen des Ver-
grabungs- und Fundberichten, Dokumentati-        eins in der Neuen Residenz am hallischen
onen, Aufnahmen von Baudenkmälern und            Dom. Die umfangreiche Bibliothek des Ver-
deren Inschriften etc. Bereits Mitte des 19.     eins war bereits 1882 an die Universitätsbib-
Jahrhunderts waren die Sammlungen und            liothek abgegeben worden. Das Archiv blieb
Archivalien des Vereins stark angewachsen,       zwar im Besitz des Vereins doch 1914 gelang-
wie die jährlichen Zugangsverzeichnisse des      te es ins Provinzialmuseum und wurde erst
Vereins zeigen. Diese Verzeichnisse, abge-       1953 vom nunmehrigen Landesmuseum für
druckt in den von 1822 bis 1940 erschienenen     Vorgeschichte in das Archiv der Universität
Vereinsperiodika, sind eine Fundgrube zu Fra-    überführt. In das »Städtische Museums für
gen der Provenienz der Sammlungsobjekte.         Kunst und Kunstgewerbe«, heute Kunstmu-
Die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen          seum Moritzburg Halle, gelangten etwa 500
durch die preußische Regierung führten je-       Werke des Kunsthandwerks sowie Münzen
doch zu einem tiefgreifenden Umbau des           und Medaillen. Somit sind die Sammlungsbe-
Vereins in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-   stände des Vereins heute über Institutionen
derts. Durch die Dotationsgesetze von 1873       in ganz Halle verstreut.
und 1876 wurden Provinzialverbände ge-           Eine Entwicklung, die letztlich Hertzberg mit-
schaffen und 1887 eine neue Provinzialord-       getragen musste. Im Lichte der Zeit der kul-
nung erlassen. Der Landesdirektor der Provinz    turpolitischen Entwicklungen der Gründer-
Sachsen forderte den Verein auf, vor allem die   zeit konnte diese Zerstreuung des Vereinsbe-
prähistorischen und geschichtlichen Gegen-       sitzes über die Stadt nicht verhindert werden,
stände dem Provinzialverband zur Verfügung       obgleich wir sie sammlungsgeschichtlich
zu stellen. Vor diesem Hintergrund fand 1878     heute eher zwiespältig sehen, denn gerade
eine außerordentliche Vereinsversammlung         im Horizont der neuerlichen Aufwertung von
statt, auf der beschlossen wurde, sich von den   Provenienz- und Kontextforschung sowie von
Sammlungen zu trennen. Der Übernahme             historisch-antiquarischen Forschungsansät-
stimmte dann 1882 der Provinziallandtag in-      zen wäre der gewachsene Vereinsbesitz an
folge der Gründungen preußischer Provinzi-       seinem alten Ort in der Neuen Residenz na-
almuseen zu. Bereits 1884 erfolgte die Eröff-    türlich vergleichbar etwa der Wunderkammer
nung des »Museums für heimatliche Ge-            der Franckeschen Stiftung und somit ein kul-
                                                 turhistorisches Kleinod in der Stadt.
                                                 Allein der Vergleich mit der 1801 gegründeten
                                                 »Gesellschaft für nützliche Forschungen zu
                                                 Trier e. V.« verdeutlicht den Verlust. Der Trie-
                                                 rer Verein ist noch heute Eigentümer seiner
                                                 archäologischen und kunstgeschichtlichen
                                                 Sammlungen, wie auch ihrer Bibliothek

                                                 Grabstein von Gustav Herzberg,
                                                 Stadtgottesacker Halle (Saale)

18
sowie des forschungsgeschichtlich wichti-               Ausgewählte Pu b li kation en
gen Archivs mit Dokumenten zur Archäolo-                von Gustav H ertzb erg:

gie des 19. Jahrhunderts in Trier und Umge-             Griechisches Altertum
bung. Bereits 1878 wurde der Vertrag zur                Alkibiades der Staatsmann und Feldherr. Halle 1853.
                                                        Die Asiatischen Feldzüge Alexanders des Großen.
Übergabe der Sammlung an das Rheinische
                                                        2 Bde. Halle 1863–1864.
Provinzialmuseum geschlossen und dieser                 Geschichte von Hellas und Rom. 2 Bde. Berlin 1879.
Vertrag wurde 2011 neuen Ansprüchen ange-               Geschichte der Griechen im Altertum. Berlin 1880.
passt. Heute entfaltet der Verein eine rege             Landesgeschichte Griechenlands von der Zeit als
Tätigkeit und bereichert das kulturelle Leben           römische Provinz (146 v. Chr.) bis zum Berliner Frieden
der Stadt. Dies war dem Thüringisch-Sächsi-             Die Geschichte Griechenlands unter der Herrschaft
                                                        der Römer. Bd. 1–3. Halle 1866–75.
schen Altertumsverein nicht vergönnt, denn
                                                        Neueste Geschichte Griechenlands von der Erhebung
den tiefgreifenden Veränderungen in der                 der Neugriechen gegen die Pforte bis zum Berliner
wilhelminischen Zeit konnten sich weder                 Frieden. Gotha 1879.
Gustav Hertzberg noch die Vereinsorgane                 Geschichte der Byzantiner und des Osmanischen
                                                        Reiches bis gegen Ende des sechszehnten Jahrhun-
entgegenstellen.
                                                        derts. Berlin 1883.

                                                        Regionale Landesgeschichte
Per iodi ka des Th ü r i ngisch-Sächsisch en            Löbejün und Könnern während des dreißigjährigen
Gesch ichts- u n d Altertumsver ei ns                   Krieges. Neujahrsblätter Nr. 6, 1882 der Historische
Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiqua-        Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt.
rischer Forschungen / hrsg. von d. Thüringisch-         Die historische Bedeutung des Saalethales. Neujahrs-
Sächsischen Verein für Erforschung des Vaterländi-      blätter Nr. 19, 1895 der Historische Kommission der
schen Alterthums: Bd. 1–5: 1822–1827.                   Provinz Sachsen und für Anhalt.
                                                        Die Kämpfe in und bei der Stadt Halle am 17. Oktober
Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-           1806. Neujahrsblätter Nr. 31, 1907 der Historischen
antiquarischer Forschungen / im Namen des mit der       Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt.
Königl. Universität Halle-Wittenberg verbundenen
Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des     Lokalgeschichte der Stadt Halle
Vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner         Geschichte der Stadt Halle an der Saale. 3 Bände.
Denkmale hrsg. vom zweiten Vorsitzenden: Bd. 1–24:      Halle 1889–1893.
1834–1910; damit Erscheinen eingestellt.                Geschichte der Freimaurerloge »Zu den drei Degen«
                                                        im Orient von Halle, Festschrift zum 150jährigen
Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichte und   Bestehen der Loge. Halle 1893.
Kunst / im Namen des mit der Martin-Luther-Univer-      Die Stadt und Universität Halle a. S. im Jahre 1794,
sität Halle-Wittenberg verbundenen Thüringisch-         Festschrift des Thür.-Sächsischen Geschichts- und
Sächsischen Geschichtsvereins hrsg. von dem             Altertumsvereins zur zweiten Säkularfeier der
Vorsitzenden: Bd. 1–27: 1911–1940; damit Erscheinen     Universität. Halle 1894.
eingestellt.                                            Kurze Übersicht über die Geschichte der Universität in
Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins       Halle a. S. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Halle 1894.
für Erforschung des Vaterländischen Altertums           August Hermann Francke und sein Hallisches
und Erhaltung seiner Denkmale (Thüringisch-             Waisenhaus. Halle 1898.
Sächsischer Geschichtsverein): 1894/95 bis 1930;
damit Erscheinen eingestellt.

Monatsblätter des Thüringisch-Sächsischen Vereins
für Erforschung des Vaterländischen Alterthums und
Erhaltung seiner Denkmale: Nr. 1–9: 1887–1894 (Halle
1894); damit Erscheinen eingestellt.

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Das übermalte Bildnis
Gustav Hertzbergs
im hallischen Stadtarchiv
Ein künstlerischer Palimpsest aus der NS-Zeit
Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann / Dr. Uwe Meißner

Im Lesesaal des Stadtarchivs Halle, und zwar     Taschenuhr. Auf der unteren linken Seite des
an der Wand gleich neben dem westlichen          Bildes sind schemenhaft einzelne Buchstaben
Fenster, befindet sich ein um 1901 geschaffe-    zu erkennen; doch die verblasst wirkende Sig-
nes Brustbild von Gustav Friedrich Hertzberg     natur ist heute nicht mehr lesbar.
(1826–1907), einem einstmals berühmten           Dass es sich bei dem Gemälde tatsächlich um
und wohlbekannten, doch heute fast verges-       ein Porträt Hertzbergs handelt, wird zweifels-
senen renommierten Altertumswissenschaft-        frei durch eine Zeichnung belegt, die dem
ler, Universitätslehrer, Stadthistoriker und     1908 im Jahresbericht des ThSAV für 1907/08
Ehrenbürger der Stadt Halle. An dem Gemäl-       erschienenen Nekrolog auf Hertzberg voran-
de des Malers Ernst Sigmund von Sallwürk         gestellt worden war. Zudem werden im Text
sind allerdings bei näherer Betrachtung,         das Gemälde und sein Urheber ausdrücklich
nachträglich ausgeführte und eindeutig poli-     erwähnt. Beide Porträts von Herzberg, sowohl
tisch motivierte Veränderungen abzulesen.        die signierte und auf 1907 datierte Zeichnung
Aus dem Ölgemälde heraus schaut uns Hertz-       als auch das im Stadtarchiv befindliche Öl-
berg als ein älterer Mann mit selbstbewusst      gemälde stammen von der Hand des akade-
und zugleich mildem Blick an. Er trägt einen     mischen Kunstmalers Ernst Sigmund von
feierlich wirkenden dunklen Anzug, wohl ei-      Sallwürk (1874–1944). Der heute eher unbe-
nen Frack, mit weißer Hemdbrust sowie wei-       kannte hallische Künstler war Gründungs-
ßer Schleife. Sein linkes Revers schmückt ein    mitglied des bekannten Künstlervereins »Auf
preußischer Kronenorden (III. Klasse) am blau-   dem Pflug«, der sich in dem Gasthof »Der
en Band, der Hertzberg anlässlich seines 50.     Goldene Pflug« 1905 konstituierte und bis
Doktorjubiläums 1898 verliehen worden war.       1940 bestand. Erst die Abbildung des Porträt-
Darunter leuchtet etwa in Höhe der Knopf-        gemäldes Hertzbergs auf der Frontispizseite
leiste etwas goldenes, wohl die Kette seiner     des von ihm selbst verfassten und in seinem

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Gustav Friedrich Hertzberg (1826–1907)                    Gustav Friedrich Hertzberg (1826–1907)
Ernst Sigmund von Sallwürk (1874–1944), Öl auf            Ernst Sigmund von Sallwürk (1874–1944) ursprüng-
Leinwand, 57,5 x 77 cm (Keilrahmen), Stadtarchiv Halle.   licher Zustand, Frontispiz aus G. F. Hertzbergs
Das übermalte Bild ist ursprünglich Eigentum der          Geschichte der Freimaurerloge zu den drei Degen im
Freimaurerloge »Zu den drei Degen« in Halle. Nach         Orient von Halle 1893–1907, Halle 1907.
deren Zwangsauflösung wohl nach 1935 zusammen
mit den Logenbüchern dem Stadtarchiv übergeben.

Todesjahr 1907 erschienenen »Geschichte der               goldenes Winkelmaß herab. Dieser Funkti-
Freimaurerloge »Zu den drei Degen«, erweist               onsanhänger, erweist Hertzberg als »Meister
das Porträtgemälde im Stadtarchiv als nach-               vom Stuhl«, also als den Logenmeister der
träglich verändert.                                       Freimaurerloge »Zu den drei Degen«. Diese
In der Abbildung der ursprünglichen Fassung               Loge war 1743 gestiftet worden und fühlte
des Bildes tritt uns der Altertumsgelehrte                sich wie alle Freimaurerlogen den Idealen der
Hertzberg als Freimaurer, und zwar mit den                europäischen Aufklärung (Freiheit, Toleranz,
üblichen Freimaurerinsignien, entgegen. Er                Brüderlichkeit und Gerechtigkeit) verpflich-
trägt also das aus Edelmetall gefertigte Bijou            tet. Hertzberg wurde 1854 in die Loge aufge-
an einer Schärpe, die um den Hals gelegt ist.             nommen, die seit den 1820er Jahren am Mo-
Im Zentrum des achtzackig geflammten                      ritzburgring residierte. Das Gebäude des ehe-
Sterns wird ein Dreieck mit drei sternförmig              maligen Logenhauses auf dem Jägerberg ist
angeordneten Degen gezeigt, dass von einem                heute übrigens der Sitz der Deutschen Aka-
Ouroboros (eine sich in den Schwanz beißen-               demie der Naturforscher Leopoldina. Hertz-
den Schlange) eingefasst wird. Hier findet                berg übernahm in der Loge vielfältige Positi-
sich auch der Wahlspruch der Loge »Nie ver-               onen; wohl 1905 wurde er schließlich zum
gebens«. Unter dem Logenkleinod hängt ein                 Ehrenobermeister erhoben.

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