Medien bewegen Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo - HALLETHEMA 2020 - Stadt Halle
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Grußwort Liebe Leserinnen und Leser, seit Monaten prägt die Corona-Pandemie un- seren Alltag – ein Zustand, an dem sich wohl so schnell nichts ändern wird. Das Virus hat viele Pläne durchkreuzt, auch die Vorberei- tungen für das neue Halle-Themen-Heft wur- den durcheinandergebracht. Vor allem hinter den geplanten Veranstaltungen steht ein Fra- gezeichen, daher haben wir den entsprechen- den Abschnitt mit den Ankündigungen dies- mal gestrichen – über konkrete Termine infor- mieren die jeweiligen Veranstalter zeitnah über ihre Kanäle. Gänzlich verzichten wollten wir auf die seit 2014 erscheinende Publikation aber keinesfalls, zumal diesmal ein durchaus brandaktuelles Thema aus ungewöhnlichen Perspektiven betrachtet wird: Unter dem Titel »Halle 2020 – Medien bewegen« geht es um nig bekannte Schätze, auf die die Autorinnen Themen der Rezeptions- und Wirkungsge- und Autoren unsere Aufmerksamkeit lenken. schichte hallescher Medien und deren Über- Dies ist ja immer ein großer Effekt der The- lieferungen in Halle (Saale). menhefte: Sie fördern so Seltenes wie Kost- Der Blick wird dabei auf ebenso überraschen- bares zutage; sie machen neugierig und we- de wie faszinierende Weise geweitet. Wer cken Interesse, in die facettenreiche Geschich- heute von Medien spricht, meint ja in der Re- te unserer Stadt einzutauchen. In diesem gel die klassischen Massenmedien: Zeitun- Sinne danke ich den Autorinnen und Autoren gen, Radio, Fernsehen und natürlich auch das und verspreche eine anregende Lektüre. Internet. Im vorliegenden Themenheft wer- den Medien in grundsätzlicherem Sinne ver- Herzlich standen – nämlich als wie auch immer gear- tete Kommunikationsmittel. So definiert, Dr. Bernd Wiegand bewegen Medien die Menschen seit vielen Oberbürgermeister hundert Jahren, und so spannt sich der Bogen hier »vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo«. Der tiefste Blick reicht folglich sage und schreibe 500 Jahre in die Stadtgeschichte zu- rück, zum ersten bedeutenden Informations- vermittler der halleschen Historie, eben jenem Heiltumsbuch. Darüber hinaus sind es oft we- 1
Grußwort Liebe Leserinnen und Leser, bereits Jahrhunderte vor der industriell be- stimmten Welt gab es herausragende kultu- relle Produkte, die weit verbreitet waren und vor allem auch nichtlesende Schichten mit ihren bildlichen Inhalten erreichten. Während der Reformation fanden Einblatt- drucke ein großes Publikum. Aber auch noch während Kardinal Albrechts Regierungszeit wurde für das Hallesche Heiltum als »kata- logisierte« Volksschrift am Ende des zweiten Dezenniums des 16. Jahrhunderts für die öf- fentliche Weisung und den geldwerten Ab- lass geworben. Nicht weniger populär wa- ren die Lesestoffe des 18. und 19. Jahrhun- derts in großen Auflagen für ein nicht mehr nur bürgerliches Publikum. Mit der Fotogra- fie und phonetischen Aufnahmemöglichkei- ten entstehen auch sehr schnell kommerzi- elle Populärkünste, die auch wachsenden unser digitales Zeitalter wurden Teil einer Freizeitansprüchen genügten. Spätestens in modernen Massenkultur. der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg lassen Das Themenheft Halle 2020 widmet sich mit sich von unterschiedlichen Anbietern stan- seinen Beiträgen in diesem Zusammenhang dardisierte Kunstwaren-Angebote einzeln ausgewählten Überlieferungen der halle- oder kollektiv konsumieren (Groschenhefte, schen Mediengeschichte, die zum Teil auf Trivialromane, Kinos und Schallplatten). Die neue Weise fortgeschrieben werden. Einiges für viele Menschen erschwinglichen, auf ih- davon dürfte überraschend sein. Immerhin: ren Geschmack und ihre Lebenssituation Die Stadt Halle kann auf 500 Jahre medialer zugeschnittenen Massenkünste waren be- Markierungen zurückblicken. Zudem konn- müht, die Aufmerksamkeit im zunehmend ten wieder einige Jubiläen unter »Spurensu- beschleunigten Alltag auf sich zu ziehen. In che« im Themenjahr »Medien bewegen – den schnell wachsenden Städten entstan- Vom Heiltumsbuch zum Digitalvideo« Er- den eine nie zuvor gesehene Zeitungsviel- wähnung finden. falt (häufig mit Zeitungsromanen), illust- rierte Presseartikel, Boulevardtheater, Varie- Ich wünsche Ihnen viel Lesefreude. tés mit Revuetanz und Artistik, Kabaretts und Klubs. Neue Drucktechniken und Me- Dr. Judith Marquardt dien wie Film, Rundfunk, Fernsehen bis in Beigeordnete für Kultur und Sport 2
Inhalt Halle 2020 – Medien bewegen 4 Vor 500 Jahren – das erste Buch 42 Kinostadt Halle? aus Halle Orte der Illusion – Unterhaltung – Der Katalog des Halleschen Heiltums Belehrung Ulf Dräger Erik Neumann 8 Neuigkeiten für jedermann 52 Alltags-Rat und Bühnen-Tat Die Flugblatt-Sammlung des Kunst- Wie in Halle DDR-Fernsehen museums Moritzburg Halle (Saale) gemacht wurde Dr. Katrin Steller Dr. Steffi Ebert 12 Notizen aus der »Blütezeit« des 58 Akademischer Wissenstransfer Thüringisch-Sächsischen Altertums- in Halle vereins Die Universität stets medial Avantgarde Zum Wirken des Altertumsforschers Dr. Oliver Wings / Dr. Frank Steinheimer Gustav Hertzberg Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann 62 Spurensuche 62 Blick zurück ohne Zorn 20 Das übermalte Bildnis Gustav Hertz- Matthias Huth bergs im hallischen Stadtarchiv 65 »Das bejubelte Ende …« Ein künstlerischer Palimpsest Ulf Dräger aus der NS-Zeit 68 Kunstfreu(n)de Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann / Ulf Dräger Dr. Uwe Meißner 72 Unsterbliche Knollennasen PD Dr. Thomas Kramer 23 Fotogeschichte(n) 80 »LA LE LU – nur der Mann im Mond Die Fotoliteratur des Wilhelm Knapp schaut zu« Verlages in Halle/S. Dr. Uwe Meißner Dr. Hans Christian Adam 84 Wir feiern Händels Opern! 86 Hans-Joachim Mrusek 34 Die Phonetische Sammlung Dr. Irene Roch-Lemmer der Martin-Luther-Universität 90 Vor 350 Jahren … Zum Erscheinen der Der lange verborgene Schatz der Sprech- »Beschreibung des Saltz=Wercks zu wissenschaft Halle in Sachsen« Dipl.-Ing. Peter Müller Dr. Uwe Meißner 3
Vor 500 Jahren – das erste Buch aus Halle Der Katalog des Halleschen Heiltums Ulf Dräger Es sind nur drei Exemplare des ersten in Halle gänger Ernst von Sachsen (1464–1513) begann, gedruckten Buches in den Bibliotheken der 353 Reliquiare mit 21.484 Einzelreliquien, dar- Saalestadt überliefert. Eines in der Universi- unter 42 sogenannte ganze Körper von Heili- täts- und Landesbibliothek und zwei vollstän- gen. Der ideelle und materielle Wert einer der dige Exemplare in der Marienbibliothek. Un- größten Sammlungen dieser Art war un- ter den Heiltumsbüchern ist das hallesche schätzbar. Nur noch einzelne Objekte sind aus »nicht nur das umfangreichste, sondern auch dieser besonderen Sammlung erhalten. Der das religionsgeschichtlich und politisch bri- Aschaffenburger Kodex, das persönliche »In- santeste«, stellte Heinrich Nickel im Nach- ventar« Albrechts, dokumentiert in fast foto- wort zum ersten vollständigen Nachdruck im grafisch genauen farbigen Zeichnungen die Jahr 2001 fest. unglaubliche Fülle an herausragenden Gold- Auftraggeber war der Kurfürst, Erzkanzler des schmiedearbeiten. Der immense Materialwert Reiches, Kardinal, Erzbischof von Mainz und und die im Verlauf der Zeit schwindende reli- Magdeburg und Administrator des Bistums giöse Bedeutung wurden diesen Kunstwerken Halberstadt, Albrecht von Brandenburg zum Verhängnis. In Halle selbst hat sich ledig- (1490–1545). Er war der höchste kirchliche lich ein kleiner Perlmuttschnitt erhalten. Das Würdenträger und eine der einflussreichsten Relief mit der Darstellung von Christus am Persönlichkeiten des Deutschen Reiches in Ölberg gehörte ursprünglich zu einer vergol- seiner Zeit. Seiner Residenzstadt Halle gab er deten Miniaturretabel mit den zwölf Passi- ein neues Gesicht. Für drei Jahrzehnte wur- onsszenen. Sie enthielt 1.000 Reliquienparti- den Halle und die Moritzburg zu einem der kel. Vermutlich diente der zentrale Glaubens- bedeutendsten Zentren der Frührenaissance. inhalte darstellende, nur 40 cm hohe Altar der Das Neue Stift mit dem »Halleschen Heil- privaten Andacht. Perlmutt war für die Verge- tum« verliehen der Stadt den Glanz einer gro- genwärtigung besonders geeignet, da der ßen Residenz. Werkstoff mit Christus symbolisiert wurde. Das erst in der Magdalenenkapelle der Mo- Die Reliquiare des Heiltums wurden in einer ritzburg aufgestellte und später in den Dom theatralischen Zeremonie den Pilgern vorge- überführte Heiltum umfasste nach intensiver stellt. Es sollte ein Bild eines überirdischen Sammlung, die bereits durch Albrechts Vor- und zauberhaften Glanzes bieten und die 4
Sinne berauschen. Die Heiltümer versprachen Für sein Heiltumsbuch, den ersten Buchdruck Seelenheil und Vorsorge für das Jenseits. Der in Halle, nahm der Kardinal die Dienste des Ablass versprach einen guten Platz im Him- Leipziger Buchdruckers Wolfgang Stöckel (um mel. Während des achttägigen Festes zur 1473–um 1541) in Anspruch. Es ist davon auszu- zweiten »Halleschen Heiltumsweisung« 1521 gehen, dass Stöckel für das Buchprojekt in der konnte ein Ablass für mehr als 39.200.000 Moritzburg eine Druckerei einrichten musste. Jahre verkauft werden. Dass der Ablasskauf Der Buchdrucker, eigentlich Wolfgang Müller, und der Glanz der Kirche mit Gott versöhnen begründete 1495 eine eigene Offizin in Leipzig würde bezweifelte Martin Luther, der mit sei- und eröffnete später Filialen in Wittenberg, nen berühmten 95 Thesen über Ablass und Grimma, Eilenburg und Halle. Er hatte bis da- Gnade auf die im Sommer 1517 veröffentlich- hin vor allem dünne und schlicht gestaltete ten Ablassinstruktionen Albrechts reagierte. Bände für die Leipziger Universität verlegt. Den inflationären Ablasshandel und die da- Insgesamt sind von ihm rund 500 Drucke, da- mit verbundene umfangreiche Heiligenver- runter etwa 120 Inkunabeln bekannt. Das ehrung verstand er als abergläubische Verfäl- Heiltumsbuch stellte für ihn zweifellos eine schung des Evangeliums. komplexe Herausforderung dar. Reliquiensammlungen gab es im Mittelalter Das Heiltumsbuch, eigentlich das »Vortzeich- an vielen Orten. In Wien und Wittenberg wa- nus und zceigung des hochlobwirdigen hei- ren Anfang des 16. Jahrhunderts bereits um- ligthumbs der Stifftkirchen der heiligen Sanct fangreiche Verzeichnisse erschienen. In Halle Moritz und Marien zu Halle«, beginnt mit ei- gab es in dieser Zeit noch keine Druckerei. Für nem Kupferstich Albrechts, dem sogenannten amtliche und liturgische Veröffentlichungen »Kleinen Kardinal« von Albrecht Dürer. Dürer nutzte der Kardinal die Leipziger Offizin von hatte den Kirchenfürsten 1518 auf dem Reichs- Melchior Lotter. tag in Augsburg gezeichnet, als er die Kardi- nalsweihe erhielt und 1519 im Alter von 29 Jahren gestochen. Albrecht schätzte das Port- rät, das ihn würdevoll und souverän charakte- risierte. Er bestellte eine hohe Auflage von Abzügen. Das zweite Blatt zeigt die Stifter des Heiltums, Erzbischof Ernst von Sachsen und Kardinal Albrecht neben der Magdalenenka- pelle der Moritzburg und den Stiftsheiligen. Die meisten Illustrationen sind dem Nürnber- ger Maler und Zeichner Wolf Traut (um 1485– 1520) zuzuschreiben, der vermutlich von Dü- rer nach Halle empfohlen wurde. Die Reali- tätsnähe des überwiegenden Teils der Holz- schnitte legt nahe, dass Traut die Zeichnungen 1519 in Halle direkt nach den Objekten anfer- Christus am Ölberg, aus dem Halleschen Heiltum, deutsch, Ende 15. Jahrhundert, Perlmutt, geschnitten, tigte. Es ist die umfangreichste Holzschnitt- Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) folge seines großen Oeuvres. Das Heiltum 5
war in neun Abteilungen gegliedert. Wie in buches nicht selbst. Dort ist lediglich zu le- einem heutigen reich bebilderten Museums- sen: »Gedruckt yn der loeblichen stadt halle / katalog ist jedes Reliquiar mit wenigen Wor- Nach Christi Vnsers herrn geburt Funfftzehn- ten beschrieben und wird seine Provenienz hundert Vnnd Im Zcwenntzigesenn Jhare«. erläutert. Der sechste Gang ist zum Beispiel Halle hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht den Märtyrern, der siebte Gang den heiligen genug Ressourcen und Anziehungskraft für Bischöfen und der achte den heiligen Jung- eine permanent tätige Druckerei, deren An- frauen gewidmet. Die Verwendung der deut- siedlung von Albrecht auch nicht forciert wur- schen Sprache machte die Inhalte einem brei- de. Insofern ist das Heiltumsbuch eine Aus- ten Publikum zugänglich. Die Abbildungen nahme. Der erste wirklich in Halle ansässige mit ihren erkennbaren Ikonographien waren Drucker, Hans Frischmut, kam 1542, nach der auch für Analphabeten erschließbar. Durchsetzung der Reformation in die Stadt. Die Herstellung des Buches erfolgte offenbar Das Hallesche Heiltumsbuch beendete die in Eile und in einem sich ständig wandelnden Tradition dieser speziellen Volksbuchgattung. Konzept. Bei einigen Holzschnitten wurde das Doch erlebte es eine interessante Rezeptions- Kontern der zeichnerischen Vorlagen ver- geschichte. Im Jahr 1617 erfolgte zum einhun- säumt, die Paginierungen der Druckbögen er- dertjährigen Reformationsjubiläum ein erster folgten unregelmäßig, einige sind nur als hal- sehr freier Nachdruck in Wittenberg durch be Bögen gedruckt. Deshalb ist anzunehmen, den Theologen Wolfgang Franz (1564–1628), dass es während der Herstellung noch zu in- der darin die Wittenberger und Halleschen haltlichen Erweiterungen kam. So stammt der Heiltümer vereinigte. Johann Christoph von Stich der an erster Stelle dargestellten päpstli- Dreyhaupt druckte in seiner berühmten Chro- chen goldenen Rose, die der Kardinal erst am nik den Text des Heiltumbuches nach und ließ 25. Oktober 1520 erhalten hatte, nicht mehr nach den Holzschnitten Kupferstiche anferti- von Traut, der zu diesem Zeitpunkt bereits in gen und zu Tafeln zusammenstellen. 1889 ver- Nürnberg verstorben war. öffentliche Richard Muther eine Auswahl von Das Hallesche Heiltumsbuch zählt zu den äl- 88 Tafeln des Buches. 2001 folgte Heinrich Ni- testen »Bildbänden« überhaupt. Der Setzer ckel mit dem ersten vollständigen Nachdruck konnte den Text nicht fortlaufend herstellen, und einem ausführlichen Kommentar nach sondern musste sich nach den Abbildungen dem Original der Marienbibliothek anlässlich in unterschiedlichen Formaten richten. Dies deren 450jährigen Bestehens. gelang nicht immer, mitunter stehen Bild und Heute ist das Buch zusammen mit dem Bildbeschreibung auf unterschiedlichen Sei- Aschaffenburger Kodex nicht nur ein religions- ten. Dennoch belegt die notwendig enge Zu- geschichtliches Zeugnis ersten Ranges, son- sammenarbeit von Zeichner, Formschneider, dern auch eine einzigartige kunsthistorische Setzer und Drucker, dass das Buch in allen sei- Dokumentation des Kunsthandwerks des spä- nen Arbeitsschritten in Halle entstand und ten Mittelalters und der frühen Neuzeit, genau dokumentiert somit auch die Leistungsfähig- genommen ist es einer der ersten Kunstkata- keit der ersten, wenn auch behelfsmäßigen loge der Welt. Dem Kardinal muss die Doku- oder mobilen Offizin der Saalestadt. Stöckel mentation seines Mäzenatentums für die benannte sich im Impressum des Heiltums- Kunst und seines unerschütterlichen Vertrau- 6
Titelseite des »Hallesches Heiltumsbuchs« Exemplar glanzvollste und gleichzeitig auch tragischste von 1520, aus der Bibliothek von Prof. Dr. med. Landesherr in Halle. 1541 verließ er mit seinem Friedrich Hoffmann, Marienbibliothek Halle (Saale) Heiltum und seinen Kunstschätzen die Stadt. ens in die Kraft der Reliquien für die Gnade Das mit einem glänzenden Aufstieg begon- Gottes im Jenseits ein wichtiges persönliches nene Leben endete im Untergang aller seiner Anliegen gewesen sein. Albrecht war der Gründungen. 7
Neuigkeiten für jedermann Die Flugblatt-Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg Halle (Saale) Dr. Katrin Steller Noch nie hatte der Mensch eine solche Fülle Für die Entstehung und Verbreitung von Flug- an Informationsangeboten zur Verfügung blättern war Gutenbergs Erfindung des Drucks wie heute. Doch das Bedürfnis des Men- mit beweglichen Lettern Mitte des 15. Jahr- schen nach Mitteilung und Neuigkeiten ist hundert von großer Bedeutung. Sie ermöglich- kein Phänomen des Internet-Zeitalters. Be- te eine schnelle Produktion großer Stückzah- reits Mitte des 15. Jahrhunderts hält mit dem len bei geringen Herstellungskosten. Flugblatt das erste technisch hergestellte Das typische Layout eines illustrierten Flug- Massen-kommunikationsmittel Einzug in blatts, auch Einblattdruck genannt, war ein die Gesellschaft. hochformatiger, großer Bogen, auf dem sich oben ein Bild befand mit einem unten ange- ordneten, oft mehrspaltig gesetzten Text. Im 16. Jahrhundert war das Bild meist ein schwarz- weißer oder kolorierter Holzschnitt. Um die Wende des 17. Jahrhunderts wird er abgelöst von dem immer häufiger auftretenden Kup- ferstich und der Radierung. Die Erfindung des Steindrucks (Lithografie) ermöglichte seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts noch günstigere und größere Auflagen. Auch die für die frühneuzeitlichen Einblatt- drucke verwendeten Textsorten waren sehr variantenreich und deckten fast das gesamte Jakob van der Heyden, Eigentliche abbildung des Leuchters wahrer Religion, wie dieselbe in der Augspurgischen Confession kürtzlich begriffen,/ welche von dem heÿligen Geist angezündet. auff den Felsen der Propheten und Apostel in Gottes Wort …/ Es dancken dir alle Könige auff Erden., 1630, Kupferstich, Tusche, 396 x 272 mm 8
Hans Heinrich Glaser, Warhaffte und eigentliche Abbildung/ Des wunder grossen Wallfisches/ und ungehewren er-/ schroecklichen Meer Monstri/ so 1640. in Prou[v]ancen/ bey dem Closter und/ Capellen S. Tropes gefangen// und die gebein darvon Ihro Koeniglicher Majestat in Franck=/ reich presentiert und verehret worden., 1640, Kupferstich, Typendruck, 138 x 189 mm 9
Deutsch, Abbildung deß unbarmhertzigen/ abschewlichen/grausam und grewlichen Thiers// Welches in wenig Jahren/ den groesten Theil Teutsch=/ landes erbaerm= und jaemmerlichen verheeret/ außgezehret und verderbet. Beneben einem Bericht// Woher dasselbige seinen Ursprung/ wer solches erzogen/ ernehret/ etc. Endlich durch was Mittel/ seiner wider loß zu werden. Maenniglich an Tag gegeben., um 1630, Kupferstich, Typendruck, 159 x 239 mm Dadurch wurde auch die Mehrheit der Bevöl- kerung angesprochen, die nicht Lesen oder Schreiben konnte. Im Unterschied zu Flugblättern der heutigen Zeit, wurden sie in der Frühen Neuzeit nicht kostenlos verteilt, sondern verkauft. Schät- zungen gehen davon aus, dass ein Flugblatt etwa den Stundenlohn eines Handwerkers literarische Spektrum der barocken Publizis- kostete, was etwa dem Preis von zwei Maß tik ab. So finden sich u. a. Briefe, Erlasse, Bio- Bier oder einem Dutzend Eiern entsprach. grafien, Dialoge, Predigten, Gebete oder Lie- Flugblätter galten daher auch als Statusob- der. Dabei wurde eine Vielfalt an verschiede- jekt und wurden gut sichtbar an der Wand nen Versmaßen, Strophenformen und Metrik oder am Mobiliar angebracht. verwendet, wie z. B. Alexandriner und Knittel- Das Themenspektrum der Flugblätter war verse. weit gespannt. Über Begebenheiten des all- An der Entstehung eines Flugblattes konnten täglichen Lebens wurde ebenso berichtet, wie bis zu acht Personen tätig sein. Neben dem über außergewöhnliche Himmelserscheinun- Zeichner und Stecher, waren auch ein Verle- gen, Missgeburten, wunderliche Wesen oder ger, Autor und Drucker, manchmal auch Illu- Naturkatastrophen. Ab dem 16. Jahrhundert ministen, Koloristen oder Schablonierer be- wurde das Flugblatt politischer und damit teiligt. Hauptsächlich aus Angst vor Zensur auch aktueller. Schwerpunkte der frühneu- blieben diese Akteure auf einem Großteil al- zeitlichen Publizistik bildeten die Reformation, ler Druckerzeugnisse anonym. der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) sowie die Die Auflagenhöhen dürften zwischen 300 englische Revolution 1648/49. Im 19. Jahrhun- und 2000 Exemplaren gelegen haben, da die dert waren vor allem die Ereignisse der bür- Druckplatten dann häufig ihre Belastungs- gerlichen Revolution von 1830 und 1848 von grenze erreicht hatten. Angeboten wurden besonderem Interesse. die Flugblätter im Buchhandel und auf Mes- In der Kunstgeschichte fanden die illustrier- sen. Hauptsächlich wurden sie aber durch ten Flugblätter erst seit Ende des 19. Jahr- fliegende Händler verkauft, die die Drucke an hunderts Beachtung. Unter dem Architekten, belebten Orten wie Märkten, Kirchplätzen Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Her- oder in Wirtshäusern ausriefen oder sangen. mann Wäscher (1887–1961), seit 1951 Leiter 10
des Grafischen Kabinetts der Staatlichen aber auch moralsatirische Drucke, sowie Blät- Galerie Moritzburg, bildete die Gattung der ter die Sensationen und vermeintliche Wun- illustrierten Flugblätter einen bedeutenden der thematisieren. Sammlungsgegenstand des Museums. Die Bedeutung der Hallenser Sammlung zeigt Der größte Teil der Sammlung war in den ers- sich in der hohen Zahl an Unikaten und selte- ten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in nen Exemplaren: Von den circa 1000 Flugblät- die Moritzburg gekommen. Mit Wäscher ver- tern des 15. bis 19. Jahrhunderts sind 39 Blät- größerte sie sich durch Blätter, die im Zuge ter einzig im Bestand der Moritzburg nach- der Bodenreform in die Moritzburg gelangt weisbar, von 44 Blättern gibt es in anderen waren und durch Ankäufe aus Antiquariaten. Sammlungen lediglich Varianten. Zudem überließ er Teile seiner eigenen Flug- Digital publiziert sind bereits 60 Blätter die- blatt-Sammlung dem Museum. Mit zwei Pu- ser Flugblatt-Sammlung auf museum-digital. blikationen, die 1955 und 1956 erschienen, Geplant ist, dass dort in Zukunft noch weitere stellte Hermann Wäscher einen Teil des Be- Werke dieses kulturhistorisch bedeutsamen standes erstmals der Öffentlichkeit vor. Bestandes der interessierten Öffentlichkeit Im Bestand des Kunstmuseums Moritzburg präsentiert werden. Halle (Saale) nehmen die politischen Flug- blätter den größten Anteil ein. Dabei domi- https://st.museum-digital.de nieren vor allem die Ereignisse des Dreißig- jährigen Krieges, aber auch militärische Kon- Literatu rauswahl zu den Flugb l ätter n im Ku nstmuseum flikte der Türkenkriege, des Spanisch-Nieder- Mor itzbu rg Halle (Sa ale): ländischen Krieges (1568–1648) und der Wäscher, Hermann: Das deutsche illustrierte Befreiungskriege (1813–1815). Zu finden sind Flugblatt, 2 Bde., Dresden 1955/1956. Zausch, Bärbel (Hg.): Frau Hoeffart & Monsieur Alamode. Modekritik auf illustrierten Flugblättern des 16. und 17. Jahrhunderts, Halle 1998. Bake, Kristina (Hg.): Ein neuer Korb voll Venuskinder. Die Weibermacht auf illustrierten Flugblättern des 16. und 17. Jahrhunderts, Halle 2001. Pietrzak, Ewa/ Schilling, Michael (Hg.): Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. Band IX: Die Sammlung des Kunstmuseums Moritzburg in Halle a. S., Berlin 2018. Abraham Aubry, Der Newer Allamodischer Baum aller Jungen Cavallieren und Junger gesellenn., um 1650, Kupferstich, 273 x 253 mm 11
Notizen aus der »Blütezeit« des Thüringisch-Sächsischen Altertumsvereins Zum Wirken des Altertumsforschers Gustav Hertzberg Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann, Leiter des Archäologischen Museums der MLU Halle-Wittenberg, i. R. Der »Thüringisch-Sächsische Verein für Erfor- mit der Person Hertzberg und seiner Rolle im schung des Vaterländischen Altertums und Verein zu beschäftigen. Die Biographie dieser Erhaltung seiner Denkmale« – kurz: Thürin- hervorstechenden Persönlichkeit erlaubt gisch-Sächsischer Altertumsverein – und sei- auch, einen ersten Blick auf seine Zeit in Hal- ne Bedeutung für unsere Universität und le, den wichtigen Institutionen sowie Perso- Stadt ist weitestgehend aus dem kulturellen nen zu richten, denn in der Person Hertzbergs Gedächtnis von Halle herausgefallen. Dassel- bündeln sich unterschiedliche Tätigkeits- be gilt für Gustav Friedrich Hertzberg (1826– felder und Aktivitäten im akademisch-städti- 1907, einem renommierten Altertumswissen- schen Kulturleben der Stadt. Der somit schaftler und Ehrenbürger der Stadt), obwohl gewählte Aspekt der personifizierter Ge- dessen Name und Wirken untrennbar mit der schichtsdarstellung erleichtert den Einstieg Blütezeit des Vereins, der Universität und zum Verständnis der durchaus unterschiedli- dem Geistesleben in der Stadt verbunden chen politischen Strömungen unterworfenen war und bleibt. Dies liegt zum einen daran, Handlungsweisen des Vereins, dessen Bedeu- dass heutzutage eher geringschätzig an die tung weit über die Region der ehem. preußi- Wilhelminische Zeit zurückgedacht wird. schen Provinz Sachsen hinausreicht, aber Doch zum anderen fällt genau in diese Zeit bislang nicht erforscht ist. Hertzbergs Wirken für den Altertumsverein. Im Dreikaiserjahr 1888 wurde er zum Vizeprä- sidenten des Vereins, also zu ihrem geschäfts- Gustav Friedrich Hertzberg (1826–1907), Zeichnung führenden Vorsitzenden, gewählt und füllte von Ernst Sigmund von Sallwürk (1874–1944), aus: Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins dieses Amt bis zu seinem Tode im Jahre 1907 für Erforschung des vaterländischen Altertums und aus. Es erscheint demnach lohnenswert, sich Erhaltung seiner Denkmale in Halle a. d. Saale für näher mit der Vereinsgeschichte wie auch 1907/08, Halle a. Saale 1909, Frontispiz, 1907. 12
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Doch wirkte der Altertumsverein von 1823 bis 1818; zu deren Ehrenmitgliedern etwa Goe- 1944, also für mehr als 120 Jahre unter dem the, Schinkel, die Gebrüder Grimm und Hum- Dach der Universität und prägte dort die Ent- boldt zählten. Der verwickelten Gründungs- stehung der Geschichts-, Altertums- und phase des Vereins galten 2018 und 2019 je- Kunstwissenschaften mit. Durch seine regel- weils Tagungen in Schulpforte, die der Lan- mäßig stattfindenden monatlichen Versamm- desheimatbund Sachsen-Anhalt zusammen lungen – jeweils mit Fachvorträgen zu Fragen mit der Stiftung Schulpforta anlässlich des der politischen und kulturellen Geschichte, Jubiläums der Gründung des Vereins vor 200 wie auch der Archäologie und Kunstgeschich- Jahren organisiert haben. te von Halle, der Provinz Sachsen sowie Thü- Es steht nun fest, dass im Herbst 1819 in ringens – prägte der Verein das kulturelle Le- Schulpforte die erste Hauptversammlung ben der Stadt wesentlich mit. Kriegsbedingt stattfand und dass das Vereinsstatut im Früh- kam es 1944 zum faktischen Untergang des jahr 1820 in Naumburg verabschiedet wurde. Vereins. Nach 1945 sind keine Bemühungen zu Die Ziele der Gründungsmitglieder, unter ih- dessen Neubelebung zu erkennen, was aber nen der Naumburger Landrat Carl Peter Lep- noch zu prüfen wäre. Das gilt auch für die Zeit sius und die Rektoren von Schulpforta Karl nach der »friedlichen Revolution« von 1989, in David Ilgen und Adolf Gottlob Lange, waren der es, anders als bei anderen Geschichtsverei- ambitioniert. Wie im Statut zu lesen steht, nigungen, für den immerhin seit 1818 existie- wollte der Verein sowohl die Überreste aus renden Thüringisch-Sächsischen Altertums- heidnischer Vorzeit als auch Denkmale alter verein keinen Neubeginn, etwa als eingetrage- Kunst und Architektur erforschen. Ein weite- ner Verein gab, wie das etwa bei dem 1992 rer Punkt war das Sammeln und die Bewah- wiederbegründeten »Verein für sächsische rung von Inschriften, Urkunden, Handschrif- Landesgeschichte – vormals sächsischer Alter- ten, Chroniken. Und schließlich sollten auch tumsverein« oder bei der 1990 wiederbegrün- Lieder und Sagen sowie die Sitten und Ge- deten »Historischen Kommission für Sachsen- bräuche der Bevölkerung der Gegend doku- Anhalt e. V.« der Fall war. mentiert werden. Doch der Verein inventari- sierte auch Bau- und Kunstdenkmale und Zur Vorgeschichte und den Zielen des »Thü- dokumentierte untergegangene Bauten und ringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung deren Ruinen, lange bevor eine staatliche des Vaterländischen Altertums und Erhaltung Denkmalpflege wirkungsvoll gegen deren seiner Denkmale« Zerstörung arbeiten konnte. Da die Geschichte des Vereins weitgehend Eine wissenschaftliche Fundgrube und wich- unbekannt ist, hier zunächst einige Bemer- tige Quellensammlung sind die von 1822 bis kungen zum Verständnis: Die Vorgeschichte 1940 publizierten Periodika (Mitteilungen, einer der frühen und wirkungsmächtigen Al- Jahresberichte etc.), die einen Einblick in die tertums- und Geschichtsvereine Deutsch- vielfältigen Forschungsarbeiten in der Provinz lands beginnt wenige Jahre nach der Nieder- Sachsen geben. Der erste Band der Schriften lage Napoleons im Jahre 1815. In dem ehemals »Mittheilungen aus dem Gebiet historisch- sächsischen, nunmehr preußischen Gebiet an antiquarischer Forschungen« von 1822 erhob Saale und Unstrut gründete sich der Verein den historisch-antiquarischen Zugang zum 14
Credo des Vereins. Damit heben sie auf den kann man den Publikationen des Vereins ent- bislang kaum thematisierten antiquarischen nehmen: Aus Inschriften, Reliefs, Skulpturen, Forschungszugang ab, wobei der Begriff »an- Münzen und Ruinen etc. versuchen sie die kul- tiquarisch« zunächst allgemein für Altertums- turelle Erschließung des historischen Alltags; forschung steht, doch ist die antiquarische umfassende Untersuchungen zu Text und Bild Tätigkeit ein Teilbereich der historischen For- bzw. Text und archäologisches Fundobjekt er- schung und der Altertumswissenschaften. gänzen somit einander. Aber auch topogra- Allerdings wurden die ›Antiquare‹ bis vor eini- phische Studien und die funktionale Bestim- gen Jahren als Sammler von totem Wissen mung architektonischer Überreste sind er- belächelt, weil sie angeblich zu keinen über- probte Arbeitsfelder der antiquarischen Regi- geordneten Fragen und Synthesen gelangen. onalforschung. Kurzum das Rückgrat des Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurde dieser Vereins bilden einschlägige Untersuchung wissenschaftlich-historische Zugang bespöt- und altertumswissenschaftliche Entschlüsse- telt. Nur exemplarisch sei hier Sir Walter lung von Realien und Sachaltertümer, die sich Scotts Roman »The Antiquary« von 1816 er- auf die archäologische Überlieferung, Texte wähnt, deren verschrobene Hauptfigur Jona- und Bilder stützen, wobei epigraphische und than Oldbuck sich ganz dem Studium und der literarische Texte sowie archäologische Funde Sammlung alter Münzen, Bücher und archäo- und Befunde sich einander ergänzen. logischer Relikte verschrieben hat. In den Geschichtswissenschaften der Nach- Ursprünglich nimmt die antiquarische For- kriegszeit wurden der sogenannte Antiquari- schung Impulse aus der Antike auf und setzt anismus kritisch gesehen, doch durch den sich mit Aspekten auseinander, die nicht pri- Aufsatz von Arnaldo Momigliano aus dem mär zur Ereignisgeschichte gehören. Dabei Jahre 1950 mit dem Titel »Ancient History bildet die literarische Überlieferung zunächst and the Antiquarian« erfuhr die nachfolgen- die Grundlage ihrer Erkenntnis, die materiel- de Forschung, besonders in den letzten zwan- len Überreste und auch die Kunstwerke wer- zig Jahren einen Aufschwung. Seitdem spielt den vorrangig, aber nicht nur auf ihren histo- die »material culture« und auch die Alltags- rischen Dokumentationswert hin untersucht. kultur eine größere Rolle und häuft mitnich- Dieser antiquarische Ansatz betrifft sowohl ten angebliches totes Sammlerwissen an. Vor die Philologie als auch die Archäologie, womit diesem Hintergrund dürfte auch ein Grund die philologisch-archäologische Vorgehens- neben anderen zu sehen sein, dass der Thü- weise wegweisend wird. Das Sammeln von ringisch-Sächsische Altertumsverein, der fast verstreutem Material, um über die Vergan- in Vergessenheit geriet, derzeit über die Be- genheit durch das Verständnis der Realien schäftigung mit ihrer Gründung und frühen und der Sachaltertümer, die den alltäglichen Phase eine kleine Renaissance erlebt. Lebensbereich repräsentierten, mehr zu er- fahren, bilden somit einen Schwerpunkt für Der Thüringisch-Sächsische Altertumsverein die Erforschung der Region. Diese einschlägi- unter Gustav Hertzberg in der Zeit von 1888 gen Untersuchungsbereiche stützen sich auf bis 1907 die archäologische Überlieferung. Den herme- Gustav Hertzberg, Altertumsforscher, Univer- neutischen Gewinn eines solchen Vorgehens sitätslehrer, Regionalhistoriker, Stadtchronist 15
und Ehrenbürger der Stadt Halle, gehörte, denen historische Entwicklungen verständlich wie bereits erwähnt, zu den ungemein viel- und somit nachvollziehbar gemacht werden. seitigen Hauptpersonen des Thüringisch- Bemerkenswert auch seine wissenschaftlichen Sächsischen Altertumsvereins, der das große Arbeiten, die im Umfeld des Vereins entstan- Glück hatte, fast durch die ganze wilhelmini- den, wie etwa seine Schriften zu Fragen der sche Ära von dem leistungsstarken Gelehrten regionalen Geschichte und die seiner Heimat- geführt zu werden. Lebenslang ist Hertzberg stadt Halle. Zwischen 1889 und 1893 schrieb er untrennbar mit Halle verbunden. 1826 in eine eine bis heute gelobte wissenschaftlich fun- angesehene Arztfamilie hineingeboren und dierte Darstellung der hallischen Stadtge- nach seinem Tode 1907 auf dem heimischen schichte in drei Bänden. Im Jahre 2002 analy- Stadtgottesacker beerdigt. Ab 1835 besuchte sierte Werner Freitag, der damalige Professor er das Pädagogium der Franckeschen Stiftun- für die Landesgeschichte Sachsen-Anhalts an gen, wo er 1843 das Abitur ablegte und an- der Martin-Luther-Universität Halle-Witten- schließend hier wie auch in Leipzig Geschich- berg, in einem Sammelband zu »Halle und die te, Klassische Philologie und Orientalistik an deutsche Geschichtswissenschaft um 1900« der Universität studierte. Nachdem er 1848 in den ersten Band von Hertzbergs Stadtge- Halle promoviert worden war, habilitierte er schichte, wobei er insbesondere dessen wis- sich bereits 1851 daselbst für das Fachgebiet senschaftliches Herangehen charakterisierte. Alte Geschichte; beide Qualifikationsschriften Die Arbeits- und Sichtweise des Autors war beschäftigten sich mit Fragen der griechi- nach Freitag ein gutes Beispiel für die Sinnstif- schen Geschichte. Ab 1861 erhielt er ein besol- tung durch Geschichte in Zeiten tiefgreifenden detes Extraordinariat für Alte Geschichte an Wandels. Damit erklärt sein Werk auch die Be- der Universität Halle und 1889 wurde ihm der ziehungen zwischen Stadtbürgertum und Titel Ordentlicher Honorarprofessor verlie- Universität am Ende des 19. Jahrhunderts. Er- hen, der nicht der Position eines Ordinarius gänzend zur Stadtgeschichte treten schmalere gleichkommt und auch nicht heißt, dass da- Arbeiten Hertzbergs unter anderem zur Ge- mit ein höheres Gehalt verbunden war. schichte der Universität und des Waisenhau- Neben seiner Lehrtätigkeit und der Vereinsar- ses oder zur Bedeutung des Saaletales. beit entfaltete Hertzberg eine ungemein Dabei war Hertzberg mitnichten ein ‚antiqua- fruchtbare wissenschaftlich-schriftstellerische rischer‘ Stubenhocker. Vielmehr spielte er im Tätigkeit etwa zur Landesgeschichte Griechen- gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt lands, die er über die Antike hinaus bis in seine Halle eine herausgehobene Rolle, die zum ei- Gegenwart verfolgte. Werke zur griechischen, nen mit seiner Position an der Universität, römischen und byzantinischen Geschichte ste- sein Anstellungsverhältnis wäre noch zu un- hen neben Werken etwa zu den asiatischen tersuchen, und zum anderen mit seiner Rolle Feldzügen Alexanders des Großen. im Verein zu erklären ist. Hertzbergs wissenschaftliche Methode war Hertzberg war lange Jahre Mitglied der histo- weniger die skrupulöse Interpretation der rischen Kommission der Provinz Sachsen und Quellen, sondern die Abfassung auf den Quel- gehörte zudem seit 1854 auch der Freimau- len wie auch auf Werken anderer Forscher ba- rerloge »Zu den Drei Degen« an. Fast müßig sierender gesättigter Gesamtdarstellungen, in zu erwähnen, dass aus seiner Feder eine Ge- 16
schichte der Loge stammt. Aktiv war er zu- Seit 1894 war Hertzberg zudem Herausgeber dem im Gustav-Adolf-Verein und gab seit verschiedener Publikationsreihen des Vereins 1879 das Monatsblatt des evangelischen und schrieb selbst häufig Beiträge und Re- Hilfswerks heraus. Auch war Hertzberg Mit- zensionen für die betreffenden Zeitschriften. glied der Nationalliberalen Partei und wid- Auf den regelmäßigen Sitzungen des Vereins mete sich von 1866 bis 1871 zudem der tages- hielt er oftmals historische Vorträge. Für die politischen Tätigkeit als Redakteur des natio- Dauer von 1888 bis 1907 war Hertzberg frag- nalliberalen Hallischen Tageblattes. los der kontinuierliche Antrieb und geistige Zum Ende seines Lebens erfuhr Hertzberg Mittelpunkt des Vereinslebens. Dieser Blüte- zahlreiche Ehrungen, ihm wurde der Titel Ge- zeit des Vereins – nie gab es so viele Mitglie- heimer Regierungsrat und der Verdienstor- der, wie in dieser Zeit – geht aber eine bedeu- den verliehen. 1901 wurde ihm zudem ein tende und fruchtbare Geschichte des Vereins besonderes Zeichen der Anerkennung durch in Halle voraus. Sie begann 1823 mit dem Um- die Stadt Halle die Ehrenbürgerschaft zuteil. zug des Vereins von Naumburg nach Halle, Seit 1833 bis heute wurden lediglich 36 Perso- genauer gesagt an die Hallenser Universität. nen das Ehrenbürgerrecht verliehen (wobei Es gibt bislang zwar keine wissenschaftliche das für Hindenburg, Hitler und Göring von Untersuchung zum Wirken des Vereins nach 1933 bis 1991 bestand). Unter ihnen finden seinem Umzug nach Halle. Fest steht aller- sich fünf Universitätsangehörige, davon zwei dings, dass dieser bereits 1822 vom Preußi- Mediziner (R. v. Volkmann, Th. Weber), ein Mu- schen Kultusministerium förmlich bewilligt siker und Komponist (R. Franz), ein Agrarwis- worden war. Doch obwohl die Universität senschaftler (J. Kühn) sowie Gustav Herzberg rechtzeitig Platz für die Sammlungen und die als Altertumswissenschaftler und Regional- Bibliothek des Vereins in der Neuen Residenz historiker. Noch zu seinen Lebzeiten erfolgte am Domplatz geschaffen hatte, zog sich die die Benennung einer Straße nach ihm. Gus- Überführung der Sammlungen, des Archivs tav Friedrich Hertzberg starb am 16. Novem- und der Bibliothek längere Zeit hin. ber 1907 hochbetagt und die Nachrufe bezeu- Von Anbeginn gehörte das Ausgraben und gen sein großes Ansehen, das mittlerweile Sammeln von Artefakten mit dem Ziel der aber leider verblasst ist. Einrichtung eines »vaterländischen Muse- Nachdem Hertzberg bereits 1855 Mitglied im ums« zu den Vereinszielen. Die Erforschung Thüringisch-Sächsischen Altertumsverein ge- der materiellen Hinterlassenschaften zu der worden war, übernahm er, wie bereits er- auch die Denkmalpflege gehörte, wurde nach wähnt, 1888 im Präsidium des Vereins die dem Umzug an die Universität in Halle wei- Position des Vizepräsidenten, die ab 1890 tergeführt. Allerdings weisen die Ausgaben Zweiter Vorsitzender hieß, was bedeutet, dass für Ausgrabungen ab 1830 einen deutlichen er der geschäftsführende Vorsitzender war. Rückgang auf und ab 1855 sind keine Gra- Der Vereinspräsident, der seit 1890 den Titel bungsaktivitäten mehr zu verzeichnen. Erster Vorsitzender trug, war zugleich der Die umfangreiche archäologische Sammlung höchste Beamte des Provinzialverbandes, in des Vereins konnte in der Neuen Residenz ge- dieser Zeit der Landeshauptmann W. L. Graf zeigt werden, wo auch die anderen Samm- von Wintzingerode. lungen des Vereins untergebracht wurden, 17
die Bibliothek und das Archiv mit seinen Be- schichte und Altertumskunde der Provinz ständen zu Vereinsangelegenheiten, von Aus- Sachsen« in den Sammlungsräumen des Ver- grabungs- und Fundberichten, Dokumentati- eins in der Neuen Residenz am hallischen onen, Aufnahmen von Baudenkmälern und Dom. Die umfangreiche Bibliothek des Ver- deren Inschriften etc. Bereits Mitte des 19. eins war bereits 1882 an die Universitätsbib- Jahrhunderts waren die Sammlungen und liothek abgegeben worden. Das Archiv blieb Archivalien des Vereins stark angewachsen, zwar im Besitz des Vereins doch 1914 gelang- wie die jährlichen Zugangsverzeichnisse des te es ins Provinzialmuseum und wurde erst Vereins zeigen. Diese Verzeichnisse, abge- 1953 vom nunmehrigen Landesmuseum für druckt in den von 1822 bis 1940 erschienenen Vorgeschichte in das Archiv der Universität Vereinsperiodika, sind eine Fundgrube zu Fra- überführt. In das »Städtische Museums für gen der Provenienz der Sammlungsobjekte. Kunst und Kunstgewerbe«, heute Kunstmu- Die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen seum Moritzburg Halle, gelangten etwa 500 durch die preußische Regierung führten je- Werke des Kunsthandwerks sowie Münzen doch zu einem tiefgreifenden Umbau des und Medaillen. Somit sind die Sammlungsbe- Vereins in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- stände des Vereins heute über Institutionen derts. Durch die Dotationsgesetze von 1873 in ganz Halle verstreut. und 1876 wurden Provinzialverbände ge- Eine Entwicklung, die letztlich Hertzberg mit- schaffen und 1887 eine neue Provinzialord- getragen musste. Im Lichte der Zeit der kul- nung erlassen. Der Landesdirektor der Provinz turpolitischen Entwicklungen der Gründer- Sachsen forderte den Verein auf, vor allem die zeit konnte diese Zerstreuung des Vereinsbe- prähistorischen und geschichtlichen Gegen- sitzes über die Stadt nicht verhindert werden, stände dem Provinzialverband zur Verfügung obgleich wir sie sammlungsgeschichtlich zu stellen. Vor diesem Hintergrund fand 1878 heute eher zwiespältig sehen, denn gerade eine außerordentliche Vereinsversammlung im Horizont der neuerlichen Aufwertung von statt, auf der beschlossen wurde, sich von den Provenienz- und Kontextforschung sowie von Sammlungen zu trennen. Der Übernahme historisch-antiquarischen Forschungsansät- stimmte dann 1882 der Provinziallandtag in- zen wäre der gewachsene Vereinsbesitz an folge der Gründungen preußischer Provinzi- seinem alten Ort in der Neuen Residenz na- almuseen zu. Bereits 1884 erfolgte die Eröff- türlich vergleichbar etwa der Wunderkammer nung des »Museums für heimatliche Ge- der Franckeschen Stiftung und somit ein kul- turhistorisches Kleinod in der Stadt. Allein der Vergleich mit der 1801 gegründeten »Gesellschaft für nützliche Forschungen zu Trier e. V.« verdeutlicht den Verlust. Der Trie- rer Verein ist noch heute Eigentümer seiner archäologischen und kunstgeschichtlichen Sammlungen, wie auch ihrer Bibliothek Grabstein von Gustav Herzberg, Stadtgottesacker Halle (Saale) 18
sowie des forschungsgeschichtlich wichti- Ausgewählte Pu b li kation en gen Archivs mit Dokumenten zur Archäolo- von Gustav H ertzb erg: gie des 19. Jahrhunderts in Trier und Umge- Griechisches Altertum bung. Bereits 1878 wurde der Vertrag zur Alkibiades der Staatsmann und Feldherr. Halle 1853. Die Asiatischen Feldzüge Alexanders des Großen. Übergabe der Sammlung an das Rheinische 2 Bde. Halle 1863–1864. Provinzialmuseum geschlossen und dieser Geschichte von Hellas und Rom. 2 Bde. Berlin 1879. Vertrag wurde 2011 neuen Ansprüchen ange- Geschichte der Griechen im Altertum. Berlin 1880. passt. Heute entfaltet der Verein eine rege Landesgeschichte Griechenlands von der Zeit als Tätigkeit und bereichert das kulturelle Leben römische Provinz (146 v. Chr.) bis zum Berliner Frieden der Stadt. Dies war dem Thüringisch-Sächsi- Die Geschichte Griechenlands unter der Herrschaft der Römer. Bd. 1–3. Halle 1866–75. schen Altertumsverein nicht vergönnt, denn Neueste Geschichte Griechenlands von der Erhebung den tiefgreifenden Veränderungen in der der Neugriechen gegen die Pforte bis zum Berliner wilhelminischen Zeit konnten sich weder Frieden. Gotha 1879. Gustav Hertzberg noch die Vereinsorgane Geschichte der Byzantiner und des Osmanischen Reiches bis gegen Ende des sechszehnten Jahrhun- entgegenstellen. derts. Berlin 1883. Regionale Landesgeschichte Per iodi ka des Th ü r i ngisch-Sächsisch en Löbejün und Könnern während des dreißigjährigen Gesch ichts- u n d Altertumsver ei ns Krieges. Neujahrsblätter Nr. 6, 1882 der Historische Mittheilungen aus dem Gebiet historisch-antiqua- Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt. rischer Forschungen / hrsg. von d. Thüringisch- Die historische Bedeutung des Saalethales. Neujahrs- Sächsischen Verein für Erforschung des Vaterländi- blätter Nr. 19, 1895 der Historische Kommission der schen Alterthums: Bd. 1–5: 1822–1827. Provinz Sachsen und für Anhalt. Die Kämpfe in und bei der Stadt Halle am 17. Oktober Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch- 1806. Neujahrsblätter Nr. 31, 1907 der Historischen antiquarischer Forschungen / im Namen des mit der Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt. Königl. Universität Halle-Wittenberg verbundenen Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des Lokalgeschichte der Stadt Halle Vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Geschichte der Stadt Halle an der Saale. 3 Bände. Denkmale hrsg. vom zweiten Vorsitzenden: Bd. 1–24: Halle 1889–1893. 1834–1910; damit Erscheinen eingestellt. Geschichte der Freimaurerloge »Zu den drei Degen« im Orient von Halle, Festschrift zum 150jährigen Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichte und Bestehen der Loge. Halle 1893. Kunst / im Namen des mit der Martin-Luther-Univer- Die Stadt und Universität Halle a. S. im Jahre 1794, sität Halle-Wittenberg verbundenen Thüringisch- Festschrift des Thür.-Sächsischen Geschichts- und Sächsischen Geschichtsvereins hrsg. von dem Altertumsvereins zur zweiten Säkularfeier der Vorsitzenden: Bd. 1–27: 1911–1940; damit Erscheinen Universität. Halle 1894. eingestellt. Kurze Übersicht über die Geschichte der Universität in Jahresbericht des Thüringisch-Sächsischen Vereins Halle a. S. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Halle 1894. für Erforschung des Vaterländischen Altertums August Hermann Francke und sein Hallisches und Erhaltung seiner Denkmale (Thüringisch- Waisenhaus. Halle 1898. Sächsischer Geschichtsverein): 1894/95 bis 1930; damit Erscheinen eingestellt. Monatsblätter des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des Vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale: Nr. 1–9: 1887–1894 (Halle 1894); damit Erscheinen eingestellt. 19
Das übermalte Bildnis Gustav Hertzbergs im hallischen Stadtarchiv Ein künstlerischer Palimpsest aus der NS-Zeit Prof. Dr. habil. Stephan Lehmann / Dr. Uwe Meißner Im Lesesaal des Stadtarchivs Halle, und zwar Taschenuhr. Auf der unteren linken Seite des an der Wand gleich neben dem westlichen Bildes sind schemenhaft einzelne Buchstaben Fenster, befindet sich ein um 1901 geschaffe- zu erkennen; doch die verblasst wirkende Sig- nes Brustbild von Gustav Friedrich Hertzberg natur ist heute nicht mehr lesbar. (1826–1907), einem einstmals berühmten Dass es sich bei dem Gemälde tatsächlich um und wohlbekannten, doch heute fast verges- ein Porträt Hertzbergs handelt, wird zweifels- senen renommierten Altertumswissenschaft- frei durch eine Zeichnung belegt, die dem ler, Universitätslehrer, Stadthistoriker und 1908 im Jahresbericht des ThSAV für 1907/08 Ehrenbürger der Stadt Halle. An dem Gemäl- erschienenen Nekrolog auf Hertzberg voran- de des Malers Ernst Sigmund von Sallwürk gestellt worden war. Zudem werden im Text sind allerdings bei näherer Betrachtung, das Gemälde und sein Urheber ausdrücklich nachträglich ausgeführte und eindeutig poli- erwähnt. Beide Porträts von Herzberg, sowohl tisch motivierte Veränderungen abzulesen. die signierte und auf 1907 datierte Zeichnung Aus dem Ölgemälde heraus schaut uns Hertz- als auch das im Stadtarchiv befindliche Öl- berg als ein älterer Mann mit selbstbewusst gemälde stammen von der Hand des akade- und zugleich mildem Blick an. Er trägt einen mischen Kunstmalers Ernst Sigmund von feierlich wirkenden dunklen Anzug, wohl ei- Sallwürk (1874–1944). Der heute eher unbe- nen Frack, mit weißer Hemdbrust sowie wei- kannte hallische Künstler war Gründungs- ßer Schleife. Sein linkes Revers schmückt ein mitglied des bekannten Künstlervereins »Auf preußischer Kronenorden (III. Klasse) am blau- dem Pflug«, der sich in dem Gasthof »Der en Band, der Hertzberg anlässlich seines 50. Goldene Pflug« 1905 konstituierte und bis Doktorjubiläums 1898 verliehen worden war. 1940 bestand. Erst die Abbildung des Porträt- Darunter leuchtet etwa in Höhe der Knopf- gemäldes Hertzbergs auf der Frontispizseite leiste etwas goldenes, wohl die Kette seiner des von ihm selbst verfassten und in seinem 20
Gustav Friedrich Hertzberg (1826–1907) Gustav Friedrich Hertzberg (1826–1907) Ernst Sigmund von Sallwürk (1874–1944), Öl auf Ernst Sigmund von Sallwürk (1874–1944) ursprüng- Leinwand, 57,5 x 77 cm (Keilrahmen), Stadtarchiv Halle. licher Zustand, Frontispiz aus G. F. Hertzbergs Das übermalte Bild ist ursprünglich Eigentum der Geschichte der Freimaurerloge zu den drei Degen im Freimaurerloge »Zu den drei Degen« in Halle. Nach Orient von Halle 1893–1907, Halle 1907. deren Zwangsauflösung wohl nach 1935 zusammen mit den Logenbüchern dem Stadtarchiv übergeben. Todesjahr 1907 erschienenen »Geschichte der goldenes Winkelmaß herab. Dieser Funkti- Freimaurerloge »Zu den drei Degen«, erweist onsanhänger, erweist Hertzberg als »Meister das Porträtgemälde im Stadtarchiv als nach- vom Stuhl«, also als den Logenmeister der träglich verändert. Freimaurerloge »Zu den drei Degen«. Diese In der Abbildung der ursprünglichen Fassung Loge war 1743 gestiftet worden und fühlte des Bildes tritt uns der Altertumsgelehrte sich wie alle Freimaurerlogen den Idealen der Hertzberg als Freimaurer, und zwar mit den europäischen Aufklärung (Freiheit, Toleranz, üblichen Freimaurerinsignien, entgegen. Er Brüderlichkeit und Gerechtigkeit) verpflich- trägt also das aus Edelmetall gefertigte Bijou tet. Hertzberg wurde 1854 in die Loge aufge- an einer Schärpe, die um den Hals gelegt ist. nommen, die seit den 1820er Jahren am Mo- Im Zentrum des achtzackig geflammten ritzburgring residierte. Das Gebäude des ehe- Sterns wird ein Dreieck mit drei sternförmig maligen Logenhauses auf dem Jägerberg ist angeordneten Degen gezeigt, dass von einem heute übrigens der Sitz der Deutschen Aka- Ouroboros (eine sich in den Schwanz beißen- demie der Naturforscher Leopoldina. Hertz- den Schlange) eingefasst wird. Hier findet berg übernahm in der Loge vielfältige Positi- sich auch der Wahlspruch der Loge »Nie ver- onen; wohl 1905 wurde er schließlich zum gebens«. Unter dem Logenkleinod hängt ein Ehrenobermeister erhoben. 21
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