Medikamente und Long-QT Syndrom

 
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Vol. 19 No. 4 2008                                       Fortbildung / Formation continue

                                                                                                       und Adoleszenten unter Medikation mit Psy-
Medikamente und Long-QT Syndrom                                                                        chopharmaka publiziert2). Seither wurden
                                                                                                       viele neue Wirkstoffe eingeführt, die einen
Nicole Sekarski, Tatiana Boulos, Stefano Di Bernardo                                                   potentiellen Einfluss auf das QT-Intervall
Pädiatrische Kardiologie, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne                           nehmen. In zeitlichem Zusammenhang damit
Übersetzung: R. von Vigier, Bern                                                                       konnte eine Häufung von Fallberichten über
                                                                                                       toxische Nebenwirkung beobachtet werden.
                                                                                                       Eine Verlängerung der QT-Zeit stellt derzeit
Einleitung                                              Ionenkanäle verantwortlich für die myokar-     die häufigste Ursache von Anwendungs­
                                                        diale Repolarisation. Dazu gehören vor al-     einschränkungen sowie für den Rückzug
Eine medikamentös bedingte Verlängerung                 lem Antiarrhythmika, Antihistaminika, Anti-    von Medikamenten vom Markt dar. Zu den
der QT-Zeit im EKG wurde erstmals in den                biotika, Malariamittel und Psychopharmaka.     aktuellsten Beispielen gehören Wirkstoffe
60er Jahren unter antiarrhythmischer Be-                Die Anwendung psychotroper Wirkstoffe hat      wie Cisaprid, Terfenadin, Droperidol und
handlung mit Chinidin beobachtet. Seither               in der Pädiatrie während der letzten Jahre     Sertindol3).
wurde eine Vielzahl von Wirkstoffen mit die-            deutlich zugenommen. Sie werden in erster
ser elektrokardiographischen Anomalie as-               Linie durch Pädiater, Allgemeinpraktiker und   Physiologie
soziiert, wobei einige davon auch bei pädia-            Kinderpsychiater verschrieben, wobei diese
trischen Patienten zum Einsatz kommen.                  bisweilen nur über mangelnde Kenntnisse,       Das Aktionspotential des Myokards wird
Eine Verlängerung des QT-Intervalls kann zu             insbesondere betreffend die Sicherheit der     durch die komplexe Interaktion verschie-
ventrikulären Arrhythmien und letztlich zum             entsprechenden Wirkstoffe, verfügen1). Im      dener Ionenströme über die Zellmembran
plötzlichen Herztod führen. Gemeinsamkeit               Jahre 1999 wurden Empfehlungen der Ame-        bestimmt (Abbildung 1). Die Depolarisation
der Wirkstoffe, die eine Verlängerung der               rican Heart Association (AHA) betreffend die   erfolgt aufgrund des raschen Einstromes
QT-Zeit bewirken, ist deren Einfluss auf die            kardiovaskuläre Überwachung von Kindern        von Na+ und Ca++ (Phase 0). Die Repolarisa-
                                                                                                       tion beginnt mit einem kurzen Austritt von
                                                                                                       K+ (Phase 1), die Plateauphase (Phase 2)
                                                                                                       wird durch einen prolongierten Einstrom von
                                                                                                       Ca++ und verschiedene Ausströme von K+
                                                                                                       bestimmt. Diese Kaliumkanäle sind letztlich
                                                                                                       für die Repolarisation verantwortlich und
                                                                                                       werden aufgrund der Geschwindigkeit ihrer
                                                                                                       Aktivierung sowie ihrer Leitfähigkeit in «sehr
                                                                                                       schnell» (IKur, «ultra rapid»), «schnell» (IKr, «ra-
                                                                                                       pid») und «langsam» (IKs, «slow») unterteilt.
                                                                                                       Der Kanal IKr wird durch verschiedene Wirk­
                                                                                                       stoffklassen blockiert, was zu einer Verlang-
                                                                                                       samung des Ausstromes von Kalium nach
                                                                                                       extrazellulär und dadurch zu einer Verlän-
                                                                                                       gerung der Repolarisation führt. Die grosse
Abb. 1:   Aktionspotential des Herzmuskels
                                                                                                       Affinität dieser Wirkstoffe für besagten Ino-
                                                                                                       nenkanal (IKr) wird durch dessen chemische
                                                                                                       und strukturelle Besonderheiten erklärt4).
                                                                                                       Derselbe Ionenkanal ist beim LQTS2, der
                                                                                                       häufigsten Form des kongenitalen Long-QT
                                                                                                       Syndrom, impliziert.
                                                                                                       Im Oberflächen-Elektrokardiogramm (EKG)
                                                                                                       entsprechen der QRS-Komplex der Depola­
                                                                                                       risation und die T-Welle der Repolarisation
                                                                                                       des Herzmuskels. Entsprechend führt eine
                                                                                                       Verzögerung der myokardialen Repolarisa-
                                                                                                       tion zu einer Verlängerung des QT-Intervalls
                                                                                                       (Abbildung 2). Bei verzögerter Repolarisa-
                                                                                                       tion kommt es gehäuft zum Auftreten ven-
                                                                                                       trikulärer Rhythmusstörungen, insbesonde-
                                                                                                       re der sogenannten «Torsade de pointes» als
                                                                                                       charakteristische Arrhythmie beim Long-QT
                                                                                                       Syndrom. Dabei handelt es sich um eine po-
Abb. 2: Elektrokardiogramm: QT-Verlängerung bei 9jährigem Kind unter Risperidon und                    lymorphe, ventrikuläre Tachykardie, welche
zusätzlich Erythromycin bei Mykoplasmen- Pneumonie                                                     durch wellenförmige Kammerkomplexe mit

                                                                            37
Fortbildung / Formation continue                                                                                          Vol. 19 No. 4 2008

                                                  kardiovaskulär                 Amiodaron                 Epinephrin/Norepinephrin
                                                                                 Disopyramid               Flecainid
                                                                                 Dobutamin                 Midodrin
                                                                                 Dopamin                   Sotalol
                                                                                 Ephedrin
Abb. 3: Torsade de pointes: 14-jährige Pati-
entin mit dilatativer Kardiomyopathie bei         psychotrop                     Amitryptilin              Methadon
Myokarditis; Behandlung mit Amiodaron,                                           Chloralhydrat             Methylphenidat
Dopamin und Domperidon                                                           Chlorpromazin             Nortriptylin
                                                                                 Clozapin                  Olanzapin
                                                                                 Fluoxetin                 Risperidon
                                                                                 Haloperidol               Sertralin
                                                                                 Imipramin
                                                  gastro-intestinal              Domperidon                Ondansetron
                                                                                 Octreotid
                                                  pulmonal                       Salbutamol                Terbutalin
                                                                                 Salmeterol
                                                  antimikrobiell                 Erythromycin               Levofloxacin
                                                                                 Clarithromycin             Moxifloxacin
                                                                                 Azithromycin               Trimethoprim-Sulfamethoxazol
                                                                                 Ciprofloxacin
      Elektrokardiogramm: Bestimmung
Abb. 4:                                           antiviral                      Amantadin                  Foscarnet
von QT und QTc                                    antiparasitär                  Chloroquin                 Pentamidin
                                                                                 Mefloquin
                                                  antimykotisch                  Fluconazol                 Ketoconazol
variabler Amplitude und Rotation der QRS-                                        Itraconazol
Achse gekennzeichnet ist (Abbildung 3).
                                                  Varia                          Phenylephrin               Tacrolimus
Klinisch imponiert diese meist selbstlimitie-
                                                                                 Phenylpropanolamin
rende Rhythmusstörung mit Palpitationen,
Schwindel, Synkopen und Krampfanfällen.
                                                 Tabelle 1: Liste der wichtigsten Wirkstoffe mit QT-Verlängerung
In 10–17% der Fälle kann eine Torsade de         (adaptiert nach www.qtdrugs.org)
pointes-Tachykardie jedoch zum Kammer-
flimmern und plötzlichen Herztod führen.         chen Vermeiden von Messfehlern sollte            gung und den Mahlzeiten. Eine QTc > 500
                                                 das QT-Intervall stets in den Ableitungen II     msec. sowie eine Verlängerung der QTc >
EKG-Auswertung                                   oder V5 bestimmt werden. Automatisierte          60 msec. im Vergleich zu einer Voruntersu-
                                                 Elektrokardiographen bestimmen meist die         chung vor Einführen einer medikamentösen
Das QT-Intervall reicht vom Beginn der Q-        Intervalle QT und QTc; angesichts der stark      Therapie haben jedoch beide prädiktiven
Zacke bis zum Ende der T-Welle (Abbildung        variablen Form der T-Welle empfiehlt es sich     Wert für das Auftreten von Torsade de poin-
4). Fehlmessungen der QT-Zeit beruhen            jedoch diese Intervalle manuell zu kon­trol­     tes-Tachykardien8), 9).
meist auf der Schwierigkeit, das Ende der        lieren. Die am häufigsten verwendete Formel
T-Welle genau zu bestimmen, insbesondere         zur Berechnung der frequenzkorrigierten QT-      Risikofaktoren
falls diese flach ist oder beim Vorliegen        Zeit (QTc) ist jene nach Bazett (Abbildung
einer U-Welle. Der Schnittpunkt einer Tan-       4), welche jedoch bei Herzfrequenzen über        Genetik
gente am absteigenden Schenkel der T-            100/min. die QTc überschätzt.                    Mehrere Gene wurden mit dem konge-
Welle mit der isoelektrischen Linie gilt dabei                                                    nitalen Long-QT Syndrom in Verbindung
grundsätzlich als Endpunkt der T-Welle. Falls    Normwerte                                        gebracht, wobei drei Loci für die Mehrheit
die T- in eine U-Welle übergeht ohne zuvor                                                        der beschriebenen Fälle verantwortlich
die isoelektrische Linie zu erreichen, so ist    Der obere Grenzwert der QTc beträgt 450          sind: LQTS1 (Chromosom 11p15.5), LQTS2
diese zum QT-Intervall dazugehörend zu           msec. für Männer beziehungsweise 460             (Chromosom 7q35-36) und LQTS3 (Chro-
rechnen6). Die Dauer der QT-Zeit ändert sich     msec. für Frauen8). Die Beziehung zwischen       mosom 3q21-24). Klinisch werden zwei
mit der altersabhängigen Ruheherzfrequenz.       Dauer der QTc und dem Auftreten von Torsa-       Phänotypen unterschieden, das rezessiv
Deshalb wird bevorzugt eine rechnerisch für      de de pointes-Tachykardien ist jedoch nicht      vererbte Jerwell-Lange-Nielson Syndrom
die Herzfrequenz korrigierte QT-Zeit (QTc)       linear. Beim kongenitalen Long-QT Syndrom        (assoziiert mit Schwerhörigkeit) sowie das
angewendet, welche eine Beurteilung des          werden grosse intrafamiliäre Variationen         dominant vererbte Romano-Ward Syndrom
QT-Intervalls unabhängig von der Herzfre-        der QTc beobachtet. Weiterhin ist die QTc        ohne Hör­störung. Diese Syndrome äussern
quenz erlaubt, ohne dass ein Nomogramm           alters- und geschlechtsabhängig und variiert     sich durch Synkopen, unerklärte Krampfan-
verwendet werden muss. Zum bestmögli-            mit der Tageszeit, mit körperlicher Anstren-     fälle und plötzliche Todesfälle, ausgelöst

                                                                      38
Vol. 19 No. 4 2008                                       Fortbildung / Formation continue

      Inhibitor       Substrat		                 Inhibitor                                                       Substrat

 1A2  Cimetidin       Theophyllin      2D6      		                                                               Dextromethorphan
      Fluoroquinolon  Clozapin		                		                                                               Flecainid
      Fluvoxamin      Imipramin		               		                                                               Mexiletin
 		                   Mexiletin		               		                                                               Ondansetron
 		                   Naproxen		                		                                                               Tramadol
                                                		                                                               Venlafaxin
 2C9  Amiodaron       Diclofenac		              		                                                               Paracetamol
      Fluconazol      Ibuprofen		               		                                                               Ethanol
      Isoniazid       Piroxicam		               		                                                               Nortriptyline
 		                   Tolbutamid
 		                   Glipizid         3A4,5,7		Delaviridin		                                                    Clarithromycin
 		                   Irbesartan		              Indinavir		                                                      Erythromycin
 		                   Celecoxib		               Nelfinavir		                                                     Quinidin
 		                   Fluvastatin		             Ritonavir		                                                      Alprazolam
 		                   Naproxen		                Saquinavir		                                                     Diazepam
 		                   Phenytoin		               Amiodaron		                                                      Midazolam
 		                   Sulfamethoxazol		         Cimetidin		                                                      Cyclosporin A
 		                   Warfarin		                Clarithromycin		                                                 Tacrolimus
                                                Diltiazem		                                                      Indivavir
 2C19 Fluoxetin       Progesteron               Erythromycin		                                                   Ritonavir
      Fluvoxamin      Omeprazol		               Fluvoxamin		                                                     Saquinavir
      Ketoconazol     Lansoprazol		             Itraconazo		                                                     Chlorpheniramin
      Lansoprazol     Pantoprazol		             Ketoconazol		                                                    Amlodipin
      Omeprazol       Diazepam		                Verapamil		                                                      Diltiazem
 		                   Phenytoin		               		                                                               Felodipin
 		                   Phenobarbital		           		                                                               Nifedipin
 		                   Amitryptilin		            		                                                               Verapamil
 		                   Clomipramin		             		                                                               Atrovastatin
 		                   Cyclophosphamid					                                                                       Simvastatin
 2D6  Amiodaron       Metoprolol					                                                                            Buspiron
      Chlorpheniramin Propafenon					                                                                            Haloperidol
      Cimetidin       Timolol					                                                                               Methadon
      Clomipramin     Amitryptilin					                                                                          Pimozid
      Fluoxetin       Clomipramin					                                                                           Sildenafil
      Haloperidol     Desipramin					                                                                            Trazodon
      Methadon        Imipramin					                                                                             Vincristin
      Paroxetin       Paroxetin
      Quinidin        Haloperidol
      Ranitidin       Risperidon
      Ritonavir       Thioridazin
      Disulfiram      Codein

Tabelle 2:   Wirkstoffe abhängig von CYP450

durch Angst, laute Geräusche, körperliche        hypertropher und dilatativer Kardiomyopa-     Co-Medikation
Anstrengung, Schwimmen und Bradykar-             thie. Bei diesen Patienten ist entsprechend   Das Risiko von Torsade de pointes-Tachy-
dien. Bei Kindern mit kongenitalem Long-         besondere Vorsicht bei der Anwendung von      kardien kumuliert bei Assoziation verschie-
QT Syndrom können Wirkstoffe, die eine           Wirkstoffen mit potentieller Verlängerung     dener Wirkstoffe (zum Beispiel Neuroleptika
zusätzliche Verlängerung des QT-Intervalls       des QT-Intervalls geboten.                    und Antidepressiva), die auch isoliert das
bewirken, das Auftreten von Torsade de                                                         QT-Intervall verlängern12).
pointes auslösen.                                Elektrolytstörungen
                                                 Hypokaliämie und Hypomagnesiämie ge-          Cytochrom P450 (CYP450)
Geschlecht                                       hören zu den Risikofaktoren für das Auf-      Dieses System ist für die Oxidation und
Medikamentös induzierte Torsade de pointes-­     treten von Torsade de pointes. Bereits        den Metabolismus von mehr als 90% der
Tachykardien treten beim weiblichen Gesch­       Kalium-Werte im unteren Normbereich           verwendeten Medikamente verantwortlich.
lecht gehäuft auf. Die Ursache ist bislang un-   verringern den transmembranären Kalium-       Es existieren viele Iso-Enzyme von CYP450,
geklärt, wobei hormonelle Einflussfaktoren       Austausch und prädisponieren damit zum        wobei 3A4, 2C19, 1A2, 2C9 und 2D6 die fünf
vermutet wurden10).                              Blockieren des Kanales IKr. In Situationen    wichtigsten Vertreter darstellen13). Die Mehr-
                                                 mit erhöhtem Risiko für das Auftreten         zahl der Psychopharmaka sowie Makrolide,
Angeborene Herzvitien                            von Elektrolytstörungen – wie zum Beis-       Antimykotika und antiretrovirale Wirkstoffe
Die Prävalenz von Reizleitungsstörungen          piel Erbrechen und Durchfall, Therapie        werden durch die hepatischen Iso-Enzyme
ist bei Patienten mit kongenitalen Vitien        mit Diuretika, reno-­tubuläre Azidose und     3A4 und 2D6 metabolisiert. Durch Kombi-
(korrigiert und unkorrigiert) erhöht. Das        Anorexia mentalis – ist deshalb auch be-      nation verschiedener Wirkstoffe, die durch
Risiko ventrikulärer Arrhythmien ist am          sondere Vorsicht bei der Anwendung von        dieselben Stoffwechselwege abgebaut wer-
höchsten bei Patienten mit Fallot-Tetralo-       Wirkstoffen mit potentieller Verlängerung     den, kann es zu kompetitiver Hemmung mit
gie, mit univentrikulären Herzen sowie mit       des QT-Intervalls geboten11).                 konsekutiver Kumulation und Verlängerung

                                                                     39
Fortbildung / Formation continue                                                                                              Vol. 19 No. 4 2008

des QT-Intervalls kommen. Eine Aufzählung        hoher Plasma-Spiegel begünstigt. Rhythmus-­        Hyperaktivitätsstörungen werden in der Be-
der häufigsten verwendeten Wirkstoffe, die       störungen (Torsade de pointes) unter Metha-        völkerung, vom medizinischen Fachpersonal
von CYP450 abhängig sind findet sich in          don sind oft durch gleichzeitige Verabrei-         und in der Literatur kontrovers diskutiert26).
Tabelle 2.                                       chung mehrerer Wirkstoffe mit Einfluss auf         Die Diagnose «Aufmerksamkeitsdefizit/-Hy-
                                                 die QT-Zeit bedingt17).                            peraktivitätsstörung» wird zunehmend häufig
Medikamente                                                                                         gestellt und verschiedene Studien zeigten
                                                 Psychopharmaka                                     eine erhöhte Prävalenz bei Kindern mit kardia-
Eine Vielzahl von Medikamenten kann zur          Die Anwendung von Psychopharmaka hat in            len Erkrankungen27)–29). Die Furcht vor schwe-
Verlängerung der QT-Zeit führen (Tabelle 1),     der Pädiatrie während der letzten Jahre deut-      rwiegenden Nebenwirkungen, Berichte von
wobei das «University of Arizona Center for      lich zugenommen. Sie werden nicht nur zur          plötzlichen Todesfällen, sowie Warnungen der
Education and Research on Therapeutics»          Behandlung von Psychosen, sondern auch             Pharmaindustrie und der FDA unterstützen
eine Datenbank zum Thema etabliert hat           bei anderen Erkrankungen wie Autismus,             diese kontroverse Diskussion. Deshalb hat
(www.torsades.org und www.qtdrugs.org).          Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperaktivitätss-          sich die American Heart Association noch-
Die Verlängerung der QT-Zeit und damit           törungen, Gemütsstörungen und Verhalten-           mals mit dem Thema aus­einandergesetzt und
das Risiko für das Auftreten von Rhythmus­       sauffälligkeiten eingesetzt18)–20). Neuroleptika   kürzlich Empfehlungen betreffend die kardiale
störungen ist zumeist dosisabhängig, wobei       können zu einer Verlängerung der QT-Zeit           Überwachung von Kindern unter Behandlung
das Auftreten einer verzögerten Repola-          führen. Insbesondere Phenothiazine, Buty-          mit Stimulantien herausgegeben26).
risation oft bereits bei normalen Plasma-        rophenone und Pimozid sowie die atypis-
Spiegeln beobachtet werden kann.                 chen Neuroleptika wie Risperidon, Olanza-          Klinisches Vorgehen
                                                 pin, Chlorpromazin und Clozapin sind dafür
Antiarrhythmika                                  bekannt21). Wenngleich weniger häufig bei          Vor dem Verschreiben von Wirkstoffen mit
Die arrhythmogene Nebenwirkung dieser            pädiatrischen Patienten eingesetzt, wurden         EKG-Veränderungen als potentielle Ne-
Wirkstoffe ist seit langer Zeit bekannt14),      trizyklische Antidepressiva wie Desipramin,        benwirkung sind einige Vorsichtsmassnah-
wobei davon vor allem Antiarrhythmika der        Amitryptilin, Nortryptilin und Imipramin auch      men empfohlen (Tabelle 3).
Klassen IA (Chinidin, Ajmalin), III (Sotalol,    mit QT-Verlängerung und Torsade de pointes-
Amiodaron) und seltener IC (Propafenon,          Tachykardien in Verbindung gebracht. Ausser        Anamnese
Flecainid) betroffen sind. Bei pädiatrischen     bei gleichzeitigem Vorliegen weiterer Risiko-      Eine ausführliche Anamneseerhebung ist
Patienten werden ausschliesslich Antiarrhy­      faktoren, ist die Gefahr von Rhythmusstörun-       unabdingbar, wobei ein Schwergewicht dem
thmika der Klassen III und IC verwendet.         gen unter selektiven Serotonin-Wiederaufna-        Vorkommen von Synkopen, Unwohlsein,
                                                 hmehemmern (Sertralin, Fluoxetin) geringer.        Pal­pi­tationen, Krampfanfällen, Rhythmus­
Antihistaminika                                  Deshalb sind diese Wirkstoffe geeigneter zur       stör­ungen, Herzmissbildungen und Elektro­
Fälle von Torsade de pointes wurden im Zu-       Behandlung von Depressionen bei Patienten          lytstörungen zukommen muss. Die Familien­
sammenhang mit Terfenadin und Astemizol          mit kardialen Erkrankungen22), 23). Obwohl Li-     anamnese – insbesondere betreffend Schwer-­
beschrieben. Die neuen Wirkstoffe wie Ceti-      thium verschiedene Arrhythmien auszulösen          hörigkeit, Herzrhythmusstörungen und
rizin und Fexofenadin haben dagegen keine        vermag, wurden bislang keine Fälle einer           plötz­licher Todesfälle – ist ebenfalls bedeu-
arrhythmogene Nebenwirkung15).                   signi­fikanten Verlängerung des QT-Intervalls      tungsvoll. Weiterhin ist die Einnahme sonsti-
                                                 beobachtet22).                                     ger Medikamente genau zu erfragen.
Antimikrobielle Wirkstoffe
Gewisse Antibiotika, Antimykotika (Keto-         Stimulantien                                       Körperliche Untersuchung
conazol, Fluconazol), Malariamittel (Chlo-       Keiner der aktuell gebräuchlichen Arznei­          Diese umfasst insbesondere die Messung
roquin) und Proteaseinhibitoren (antiretro-      stoffe mit stimulierender Wirkung (Methyl-         der Herzfrequenz und des arteriellen Blut­
virale Wirkstoffe) können das QT-Intervall       phenidat, (Dextro-)amphetamin, Pemolin)            druckes sowie die Untersuchung betreffend
verlängern. Bei den Antibiotika sind es vor      führt zur QT-Verlängerung oder Torsade de          klinischer Zeichen, hinweisend auf das Vor-
allem Erythromycin gefolgt von Clarithromy-      pointes-Tachykardien. Trotzdem können diese        liegen einer Herzmissbildung.
cin, die das QT-Intervall verlängern. Azithro-   Wirkstoffe verschiedene kardiale Neben­
mycin dagegen hat nur einen geringen Ein­-       wirkungen auslösen, insbesondere supra-            Elektrokardiogramm
fluss und wurde bisher nie mit dem Auftre-       ventrikuläre Arrhythmien wie Sinusbrady-           Bei Behandlung mit Wirkstoffen, die ent­
ten von Torsade de pointes-Tachykardien in       und -tachykardien sowie weiterhin Auffällig­       weder eine Verlängerung des QT-Intervalls
Verbindung gebracht16).                          keiten des ST-Segmentes und in gewissen            bewirken können oder die mit dem Auftre-
                                                 Fällen eine arterielle Hypertonie24), 25).         ten von Torsade de pointes-Tachykardien in
Methadon                                         Im Jahre 1999 wurden Empfehlungen der              Verbindung gebracht wurden, ist vor Beginn
Dieses synthetische Opiat wird zur Schmerz­      American Heart Association (AHA) betref-           der Therapie und bei letztgenannten zusätz-
therapie und zur Behandlung beim Entzugs-        fend die kardiovaskuläre Überwachung von           lich auch nach Erreichen des steady-state
syndrom eingesetzt. Im Gegensatz zu Mor-         Kindern und Adoleszenten unter Medikation          ein EKG abzuleiten. Diese Untersuchung ist
phin, kann Methadon zu einer Verzögerung         mit Psychopharmaka publiziert2). Dabei wur-        weiterhin bei allen Patienten mit vorbeste-
der Repolarisation führen. Methadon wird         den keinerlei Massnahmen beim Einsatz von          henden Risikofaktoren notwendig3), 22), 23), 30).
hepatisch (CYP450 3A4) metabolisiert, wo-        Stimulantien empfohlen. Die Wirkstoffe zur         Die AHA empfiehlt nun auch eine EKG-Un-
bei die lange Halbwertszeit das Auftreten        Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit/-            tersuchung vor der Behandlung von Patien-

                                                                       40
Vol. 19 No. 4 2008                                     Fortbildung / Formation continue

ten mit Aufmerksamkeitsdefizit/-Hyperak-         Mehrere Studien im Zusammenhang mit          Brugada Syndrom und eine hypertrophe
tivitätsstörungen mit Stimulantien. Dadurch      plötzlichen Todesfällen kamen zur Schluss-   Kardiomyopathie entdeckt werden26).
sollen jene Faktoren erkannt werden, die ei-     folgerung, dass mittels EKG-Untersuchung     Bei Vorliegen von auffälligen Befunden ist
nerseits mit plötzlichem Todesfall assoziiert    eine signifikante Anzahl von Erkrankungen    eine Beurteilung durch einen Kinderkardio-
sein können, andererseits aber anamnes-          wie ein kongenitales Long-QT Syndrom,        logen empfohlen (Abbildung 5).
tisch und klinisch nicht entdeckt werden.        ein Wolff-Parkinson-White Syndrom, ein
                                                                                              Nachkontrollen
                                                                                              Anlässlich der Folgeuntersuchungen sind
                                                                                              das Auftreten von Symptomen, die Ein-
                                                                                              nahmen zusätzlicher Medikamente sowie
                                                                                              allfällige Dosisänderungen zu erfragen und
                                                                                              bei Bedarf eine elektrokardiographische
                                                                                              Verlaufsuntersuchung zu veranlassen.

                                                                                              Schlussfolgerungen

                                                                                              Viele bei Kindern zum Einsatz kommende –
                                                                                              insbesondere auch psychotrope – Medika-
                                                                                              mente können potentiell schwerwiegende
                                                                                              kardiovaskuläre Nebenwirkungen hervor-
                                                                                              rufen. Vor dem Beginn einer derartigen
                                                                                              Therapie müssen das Risiko einer QT-Ver-
                                                                                              längerung eingeschätzt, die Kombination
                                                                                              von solchen Wirkstoffen vermieden und
                                                                                              gegebenenfalls elektrokardiographische
                                                                                              Folgeuntersuchungen organisiert werden.
                                                                                              Soweit möglich sollen derartige Wirkstoffe
                                                                                              nur als zweite oder dritte Wahl eingesetzt
Abb. 5:   Algorithmus zur Verschreibung psychotroper Medikamente in der Pädiatrie
                                                                                              werden. Patienten, Familien und verschrei-
                                                                                              bende Ärzte müssen die potentiellen Risiken
                                                                                              und die entsprechenden Vorsichtsmass­
 Persönliche Anamnese          Unwohlsein, Synkopen (vor allem anstrengungsinduziert)
                                                                                              nahmen kennen.
                               Krampfanfälle
                               Thoraxschmerz, Anstrengungsdyspnoe
                                                                                              Referenzen:
                               Anstrengungsintoleranz
                                                                                              Siehe französischer Text.
                               Palpitationen, Arrhythmien
                               Arterielle Hypertonie
                                                                                              Korrespondenzadrese:
                               Herzgeräusch
                                                                                              Dr. Nicole Sekarski, PD et MER
                               Thoraxschmerzen / Palpitationen bei viraler Erkrankung
                                                                                              Cardiologie pédiatrique
                               Medikamente
                                                                                              CHUV
                               Nahrungszusätze
                                                                                              1011 Lausanne
 Familienanamnese              Plötzlicher oder unerklärter Todesfall in jungem Alter         Nicole.Sekarski@chuv.ch
                               Plötzlicher Todesfall oder Myokardinfarkt < 35 Jahre
                               Plötzlicher Todesfall, anstrengungsinduziert
                               Arrhythmien
                               Hypertrophe oder dilatative Kardiomyopathie, rechts­-
                               ventrikuläre Dysplasie
                               Long-QT Syndrom, Short-QT Syndrom, Brugada Syndrom
                               Wolff-Parkinson-White Syndrom
                               Synkope, reanimationsbedürftig
                               Marfan Syndrom
 Klinische Untersuchung        Pathologisches Herzgeräusch
                               Arterielle Hypertonie
                               Arrhythmie
                               Phänotyp vereinbar mit Marfan Syndrom
 EKG                           Pathologische Befunde

Tabelle 3:   Klinisches Vorgehen für Patienten unter psychotroper Medikation

                                                                    41
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