Medikamenten-abhängigkeit - Österreichische Ärztezeitung

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Medikamenten-abhängigkeit - Österreichische Ärztezeitung
S TAT E O F T H E A R T

                                Medikamenten-
                                  abhängigkeit
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Medikamenten-abhängigkeit - Österreichische Ärztezeitung
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T

Die Medikamentenabhängigkeit gehört zu den Suchtformen, die am schwersten erkennbar ist,
da der Konsum meist im Verborgenen stattfindet und darüber hinaus sehr häufig auch eine
Niedrigdosis-Abhängigkeit besteht. Während es umfangreiche wissenschaftliche Literatur zu
Alkohol- oder Drogenabhängigkeit gibt, liegen zur Medikamentenabhängigkeit relativ
wenige Forschungsergebnisse vor.

Michael Musalek und Roland Mader*

Einleitung                                                  oder beziehen sich auf die Häufigkeit von Verschrei-
                                                            bungen oder von Krankenhausaufenthalten in Folge von
Dass Menschen von Medikamenten abhängig sind, bleibt        Medikamentenzwischenfällen.
oft über Jahre oder auch Jahrzehnte unbemerkt. Sie fallen
nicht auf, sie werden selten kriminell und es gibt kaum     In Österreich gibt es rund 340.000 Menschen, die Alkohol-
mediale Berichterstattung über Medikamentenabhän-           abhängig sind, ungefähr 30.000 Menschen sind Drogen-
gige. Deshalb wird diese Suchterkrankung gerne als die      abhängig und geschätzte 150.000 Österreicher sind von
„stille Sucht“ bezeichnet, obwohl die Zahl der davon Be-    Arzneimitteln abhängig. Aufgrund der vermutlich sehr
troffenen wahrscheinlich fast im Bereich der Alkoholab-     hohen Dunkelziffer liegt die Zahl der Medikamentenab-
hängigen liegt. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass       hängigen aber wesentlich höher. Schätzungen zufolge
vor allem eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen eine        könnten es bis zu 300.000 Personen sein. Eine genaue
massive körperliche Abhängigkeit mit lebensgefährlichen     Angabe ist hier schwer möglich, da die Medikamenten-
Entzugssymptomen verursachen kann, ist es außer-            abhängigkeit wie keine andere Suchterkrankung im Ver-
ordentlich wichtig, künftig diesem Thema mehr Bedeu-        borgenen stattfindet und die Betroffenen sehr lange sozial
tung beizumessen. So sollten genügend Forschungsmit-        unauffällig bleiben. Auch Aufnahmen in Krankenhäusern
tel bereitgestellt sowie spezifische Behandlungseinrich-    weisen darauf hin, dass es bei Medikamenten ein Pro-
tungen gefördert werden.                                    blem gibt. So werden in Österreich jährlich 30.000 statio-
                                                            näre Aufnahmen wegen Medikamentenzwischenfällen
Von Medikamentenabhängigkeit sind Frauen doppelt so         registriert. Meist handelt es sich dabei um Intoxikationen.
häufig betroffen wie Männer; im Gegensatz zu anderen        Darüber hinaus sind auch jedes Jahr 1.600 bis 2.400 Medi-
Suchtformen steigt hier die Gefährdung mit dem Alter.       kamenten-assoziierte Todesfälle zu verzeichnen.
Jede zehnte Frau über 70 Jahre konsumiert regelmäßig
Benzodiazepine. Da rund zehn Prozent aller Arzneimit-       Bei Patienten, die an gynäkologischen und chirurgischen
tel über ein gewisses Suchtpotential verfügen, sollte die   Abteilungen in Österreich stationär behandelt wurden,
Medikation von verschreibenden Ärzten stets geprüft und     zeigte sich bei einer Untersuchung der verordneten Me-
die Indikation kontrolliert werden.                         dikamente, dass 15,9 Prozent der Patienten regelmäßig
                                                            Benzodiazepine einnahmen. In Frankreich wurde bei
Epidemiologie                                               einer ähnlichen Untersuchung sogar eine Rate von 23,6
                                                            Prozent ermittelt.
Bezüglich der Häufigkeit von Medikamentenabhängigen
liegen deutlich weniger Daten vor als für Alkohol- oder     Den weitaus größten Anteil von problematisch verwen-
Drogenabhängige. Da sich diese Suchterkrankung sehr         deten Medikamenten nehmen Benzodiazepine und An-
häufig in einer Niedrigdosisabhängigkeit zeigt, bei der     algetika ein. Eine deutsche Studie, die die Verschreibungs-
Betroffene lediglich eine geringe Dosis von beispiels-      zahlen als Grundlage hatte, zeigte, dass in Deutschland
weise Benzodiazepinen einnehmen, und dies häufig ohne       mehr als eine Millionen Menschen von Benzodiazepinen
Dosissteigerung oft über Jahrzehnte hinweg, werden Be-      oder auch von den sogenannten „Z-Drugs“ (Zolpidem)
troffene in epidemiologischen Untersuchungen kaum er-       abhängig sind und 300.000 bis 400.000 von anderen Arz-
fasst. So bleiben die angeführten Zahlen oft Schätzungen    neimitteln, hier vorrangig von Schmerzmitteln.                »

5 | 10. März 2019 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG                                                                                23
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Medikamentenabhängigkeit

» Ursachen und Verlauf                                              drucksenkung und Koordinationsstörungen kommen. Auch ist
                                                                    die muskelrelaxierende Wirkung von Benzodiazepinen nicht zu
  Die Ursachen sowie die Entstehung einer Medikamenten-             unterschätzen, die zu Stürzen und in der Folge etwa zu Schen-
  abhängigkeit sind mannigfaltig und meist multifaktoriell. Die     kelhalsfrakturen führen kann. Ältere Menschen verlieren oft den
  soziale Entwicklung eines Menschen ist hier von großer Bedeu-     Überblick über die verordneten Medikamente. Daraus resultiert
  tung. Die Vorbildwirkung der Eltern im Umgang mit Medika-         die Gefahr, dass sie die Medikamente unkontrolliert oder in
  menten oder auch familiäre Krisen oder fehlende „Ich-Stärkung“    falscher Dosierung einnehmen. Eine Entzugsbehandlung kann
  können entscheidend sein. Auch ein fehlender psychosozialer       auch bei älteren Menschen notwendig werden und sollte daher
  Ausgleich bei hoher Arbeitsbelastung oder familiärer Belastung    immer erwogen werden.
  kann den Griff zur scheinbar helfenden Tablette beschleunigen.
  Bei älteren Menschen ist oft Multimorbidität der Grund. Es wer-   Häufig missbrauchte Medikamente
  den viele Medikamente wie zum Beispiel Schmerz- oder Beru-
  higungsmittel verordnet, woraus bei fehlender Kontrolle eine      Analgetika
  Sucht entstehen kann.                                             Schmerzmittel werden laut WHO in drei Gruppen eingeteilt:
                                                                    Nichtopioid-Analgetika wie zum Beispiel Paracetamol, Acetyl-
  Medikamente erfüllen auch durch ihre unterschiedlichen Wir-       salicylsäure oder Diclofenac, niederpotente Opioide wie zum
  kungen den Wunsch nach der „jederzeit steuerbaren Befind-         Beispiel Codein oder Tramadol und stark wirksame Opioide mit
  lichkeit“. Werden zum Beispiel bei Unruhe Beruhigungsmittel       Morphin als Leitsubstanz. Nichtopioid-Analgetika sind die am
  und bei Abgeschlagenheit aufputschende Mittel eingenommen,        häufigsten verkauften Medikamente in der Apotheke, wobei so-
  kann dieser verführende Effekt schließlich zum problema-          gar zwei Drittel davon ohne vorhergehenden Arztbesuch erwor-
  tischen Gebrauch und in der Folge auch zur Abhängigkeit füh-      ben werden. 85 Prozent des Schmerzmittelgebrauchs erfolgen
  ren. Oft werden die konsumierten Medikamente direkt ohne          wegen Kopfschmerzen. Eine der häufigsten Ursachen hierfür
  Rezept in der Apotheke besorgt und immer häufiger werden          ist der Analgetika-Kopfschmerz, das heißt der Kopfschmerz,
  sie in Online-Apotheken bestellt. Da viele der später übermäßig   der erst durch die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln
  verwendeten Medikamente zu Beginn ärztlich verordnet wur-         entsteht oder verstärkt wird. Hier wäre ein rasches Absetzen der
  den, wird die Medikamentenabhängigkeit auch gerne als „weiße      Schmerzmedikation angezeigt.
  Sucht“ bezeichnet.
                                                                    Opioide
  Tablettensucht = Frauensucht?                                     Opioide sind hinsichtlich ihres Abhängigkeitspotentials sehr
                                                                    gut untersuchte Substanzen. Neurobiologisch dafür hauptver-
  Frauen sind doppelt so häufig von einer Medikamentenabhän-        antwortlich dürfte die durch das Opioid-Endorphin-System ver-
  gigkeit betroffen wie Männer. Dies mag zum einen mit einem        mittelte Ausschüttung von Dopamin im limbischen System sein.
  immer noch weit verbreiteten Rollenbild der Frau zu tun haben:    Die dadurch erzeugte euphorisierende psychotrope Wirkung
  Die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt und versucht,        kann eine hohe psychische und physische Abhängigkeit verur-
  etwaige Belastungen mit Medikamenten zu bekämpfen, um             sachen. In den USA haben der problematische Gebrauch und
  eine Fassade der Normalität länger aufrechterhalten zu kön-       die Abhängigkeit von Opioiden in den letzten Jahren dramatisch
  nen. Zum anderen gehen Frauen bei Beschwerden häufiger            zugenommen. Interessant ist, dass die Gabe von Opioiden als
  zum Arzt – 78 Prozent aller Arztbesuche entfallen auf Frauen      reine Schmerzmedikation wie zum Beispiel bei malignen Er-
  - und erhalten ein Medikament verschrieben. Auch findet man       krankungen selten eine Abhängigkeit hervorruft. Die Gabe von
  bei Frauen meist sogenannte „sekundäre Abhängigkeiten“, da        Opioiden als Schmerzmedikation sollte nicht erfolgen, wenn ein
  Frauen öfter unter Depressionen, Unruhe und Angst leiden und      problematischer Gebrauch anderer Substanzen wie Alkohol,
  Psychopharmaka weitaus häufiger einnehmen als Männer.             Drogen oder anderer Medikamente vorliegt oder auch bei
                                                                    somatoformen Schmerzen oder bei mangelnder Compliance.
  Sucht im Alter
                                                                    Nicht-steroidale Analgetika
  Einen sehr großen Anteil an Medikamenten-Abhängigen fin-          Viele Medikamente aus dieser Gruppe werden ohne Rezept als
  det man bei alten Menschen. Ein Drittel der über 70-Jährigen      sogenannte „Over the Counter“-Medikamente in der Apotheke
  erhält psychotrope Substanzen; diese werden oft über längere      abgegeben. Der Verkauf wird zusätzlich durch aktive Werbung
  Zeit ohne weitere Indikationsprüfung verordnet. Da älteren        in Apotheken und Medien gefördert. Auf Grund der leichten
  Menschen oft mehrere unterschiedliche Medikamente verord-         Verfügbarkeit, des Werbeeffektes und natürlich auch wegen der
  net werden, besteht auch die Gefahr einer Medikamenteninter-      guten analgetischen Wirksamkeit gehören Ibuprofen, Paraceta-
  aktion. Hier kann es zur Beeinträchtigung der Vigilanz, Blut-     mol, Diclofenac und Acetylsalicylsäure zu den am häufigsten

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Medikamentenabhängigkeit

 Tab. 1: Benzodiazepine – Halbwertszeit und Metaboliten

                                     Beispiele                  HWZ in                  Zeit bis zur max. Plasma-                 Aktive
 Wirkstoff
                                     Handelsnamen               Stunden (h)             konzentration in Stunden (h)              Metaboliten
 Alprazolam                          Xanor®                     12–15 h                 1–2 h                                     Ja
 Bromazepam                          Lexotanil      ®
                                                                10–20 h                 1–2 h                                     Ja
 Clobazam                            Frisium®                   36–79 h                 0,5–4 h                                   Ja
 Clonazepam                          Rivotril   ®
                                                                30–40 h                 1–4 h                                     Nein
                                     Gewacalm®                  1. Phase: 1 h,
 Diazepam                                                                               0,5–1 h                                   Ja
                                     Psychopax-Tropfen®         2. Phase: 20–100 h
                                     Rohypnol®,
 Flunitrazepam                                                  16–35 h                 0,75–2 h                                  Ja
                                     Somnubene®
 Lorazepam                           Temesta®                   12–16 h                 1–2,5 h                                   Nein
 Lormetazepam                        Noctamid       ®
                                                                13,6 h                  1,5 h                                     Nein
 Nitrazepam                          Mogadon®                   30–40 h                 38 min–2 h                                Ja
 Oxazepam                            Anxiolit , Praxiten
                                                ®           ®
                                                                8h                      forte: 2 h retard: 6 h                    Nein
 Triazolam                           Halcion®                   2,7 ± 0,5 h             1,5 ± 0,7 h                               Nein
 Zolpidem                            Ivadal , Zoldem , Mon-
                                           ®            ®
                                                                0,7–3,5 h               0,5–3 h                                   Nein
 (Benzodiazepin-ähnlich)             deal®

Quelle: Austria-Codex Fachinformation (Stand 2016)

verabreichten Medikamenten. Bei chronischer Einnahme                        Der Analgetika-Kopfschmerz tritt bei dauerhafter Einnah-
können diese Medikamente einen Gewöhnungseffekt erzeu-                      me von Schmerzmitteln oder auch nach dem Absetzen einer
gen, sodass immer höhere Dosen notwendig werden, um eine                    Dauermedikation auf und ist der dritthäufigste Kopfschmerz.
Schmerzlinderung zu erreichen. Schließlich kann ein problema-               Frauen sind hier fünf- bis zehnmal häufiger betroffen als Män-
tischer Gebrauch von Analgetika auch Schmerzen unterhalten                  ner. Die Symptome treten zwei bis drei Stunden nach der Ein-
und zu verminderter Leistungsfähigkeit, Depressionen und häu-               nahme, das heißt noch während der Wirkdauer, auf oder nach
figen Arbeitsausfällen führen.                                              dem totalen Absetzen der Medikation und die Kopfschmerzen
                                                                            halten bis zu zehn Tage an. Häufig begleitet werden die Schmer-
Eine hohe Verantwortung, um den problematischen Gebrauch                    zen von vegetativen Begleitsymptomen wie Schwindel, Übelkeit,
und die Abhängigkeit von Medikamenten zu verhindern, liegt                  Herzrasen oder innerer Unruhe. Der Schmerz lokalisiert sich in
bei den verschreibenden Ärzten und auch bei Apothekern, die                 beiden Seiten des Kopfes, dies wechselnd oder auch beidsei-
häufig wiederkehrende Kunden erkennen können. Kontrollie-                   tig, ist dumpf bis stechend, hält den ganzen Tag an und steigert
ren verschreibende Ärzte nur unzureichend, ob die Indikation                sich bei körperlicher Belastung. Bei der Behandlung empfiehlt
zur Einnahme weiterhin gegeben ist, kann Missbrauch gefördert               man das sofortige Absetzen der Schmerzmedikation und alter-
werden. Besonders gefährdet sind Personen mit Suchtanam-                    native, Schmerz-reduzierende Maßnahmen wie Infiltrationen,
nese, chronischen Kopfschmerzen und langer Schmerzdauer.                    Entspannungstechniken sowie Anti-Emetika und eventuell eine
                                                                            antidepressive Medikation mit Duloxetin.
Kopfschmerzen sind in 75 Prozent der Fälle Ursache für eine
Analgetika-Abhängigkeit; sie werden oft durch nicht-steroidale              Entzugsbehandlung von Analgetika
Analgetika aufrechterhalten. Einen besonders hohen Anteil                   Bis zum Beginn des Entzuges soll das Analgetikum weiter ver-
haben hier Kombinationspräparate, die das Gewöhnungsrisi-                   ordnet werden und die Einnahme (Frequenz und Dosis) pro-
ko erhöhen. So kann es beispielsweise vorkommen, dass das                   tokolliert werden. Vor der Behandlung muss der Betroffene
in diversen Medikamenten enthaltene Coffein durch eine oft                  über die Behandlung und vor allem über die zu erwartenden
übersehene psychotrope Wirkung eine Rolle spielt. Auch über-                Schmerzen aufgeklärt werden. Für viele Patienten ist ein statio-
schreiten Kopfschmerz-Patienten oft Schwellendosierungen,                   närer Entzug - am besten in einer spezifischen Suchteinrich-
was wiederum zu chronischen Kopfschmerzen führen kann.                      tung - die sicherste Behandlung und am aussichtsreichsten im

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DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T

Hinblick auf den Erfolg. Ein stationärer Entzug sollte vor allem   ten jedoch zur Dauereinnahme und führen zur raschen Gewöh-
bei ausgeprägten psychiatrischen Komorbiditäten, bei langjäh-      nung und ausgeprägten Entzugserscheinungen beim Absetzen.
rigem Medikamenten-induziertem Kopfschmerz, nach mehre-            Benzodiazepine werden generell nicht zu häufig, sondern oft
ren erfolglosen ambulanten Entzügen und bei Missbrauch an-         nur zu lange verordnet.
derer Substanzen wie beispielsweise Alkohol, Benzodiazepinen
und Opioiden erfolgen.                                             Benzodiazepine
                                                                   1960 wurde Chlordiatepoxid (Librium®) als erstes Benzodiaze-
Nach dem Absetzen von Analgetika leiden die Betroffenen in den     pin auf den Markt gebracht, 1963 folgte Diazepam (Gewacalm®,
ersten zwei bis sechs Tagen typischerweise an zunehmenden          Valium®), das auch heute noch weit verbreitet ist. Die abhängig
Kopfschmerzen, Übelkeit, Unruhe und Schlaflosigkeit. Ab dem        machende Wirkung dieser Substanzen wurde aber erst in den
sechsten Tag ist normalerweise mit einem deutlichen Nachlas-       1970er Jahren bekannt.
sen der Symptomatik zu rechnen. Die Prognose für einen erfolg-
reichen Entzug ist relativ gut. 70 Prozent der Betroffenen haben   Bezüglich ihrer Wirkdauer haben Benzodiazepine sehr unter-
nach dem Entzug keine Dauerkopfschmerzen mehr.                     schiedliche Halbwertszeiten. Außerdem bilden viele Substan-
                                                                   zen im Abbau aktive Metaboliten, die manchmal bis zu 200
Neben der medizinischen Entzugsbehandlung ist eine beglei-         Stunden wirksam sind. Bei langer Halbwertszeit ergibt sich das
tende psychologisch/psychotherapeutische Behandlung un-            Problem eines „Hangover“ beziehungsweise der Kumulation
abdingbar. Dabei steht zu Beginn die ausführliche Information      der Medikamentenwirkung. Bei kürzerer Halbwertszeit kann
über „Medikamentenabusus und Dauerkopfschmerz“; dann               rascher ein Entzugssyndrom entstehen.
werden gemeinsam individuelle Ziele bezüglich des Umgangs
mit Medikamenten festgelegt. In der Folge sollen äußere Ein-       Bei rasch anflutenden Substanzen - vor allem bei Flunitrazepam
flüsse für den Gebrauch bewusst gemacht werden wie etwa die        - besteht ein deutlich erhöhtes Suchtrisiko, weshalb die Gabe
Verfügbarkeit von Schmerzmitteln. Innere Einflüsse werden          dieser Substanzen vermieden werden soll.
beleuchtet wie beispielsweise die gelernte Unbedenklichkeit
gegenüber der Einnahme und iatrogene Risikofaktoren wie            Die Entwicklung einer Abhängigkeit kann durch eine strenge
„Doctor-hopping“ sollen thematisiert werden. Dies kann und         Indikationsstellung, eine möglichst niedrige Dosierung und
soll sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting erfolgen.        eine begrenzte Verschreibungsdauer von nicht länger als vier
Die Gruppe bildet hier ein ideales Reflexionsfeld, um auch aus     Wochen vorgebeugt werden. Gefährdet für eine Abhängigkeits-
den Erfahrungen von anderen Betroffenen zu lernen. Eine Be-        entwicklung sind vor allem Personen, die von einer anderen
handlung muss jedenfalls in ein gesamttherapeutisches Setting      Substanz abhängig sind wie etwa von Alkohol oder Drogen,
eingebettet sein, bei dem neben medizinischen, psychothera-        körperlich chronisch kranke Menschen - vor allem mit einer
peutischen und soziotherapeutischen Maßnahmen auch eine            Schmerzsymptomatik, Patienten mit einer ausgeprägten Per-
Phase der Lebensneugestaltung wichtig ist. Dabei sollen alte       sönlichkeitsstörung oder Angststörung und Personen mit chro-
oder auch neue Lebensinteressen (wieder-)entdeckt werden           nischen Schlafstörungen.
können, um so der Verlockung des Suchtmittels zukünftig bes-
ser entgegenwirken zu können.                                      Die „low-dose-dependence“ (Niedrigdosis-Abhängigkeit) ist
                                                                   eine Besonderheit der Benzodiazepine. Hier kommt es bei der
Psychopharmaka                                                     längeren Gabe von Dosen, die sich im therapeutischen Bereich
Psychische Störungen sind häufige Ursachen für einen Arzt-         befinden, bei fehlender Dosissteigerung trotzdem zur Abhän-
besuch. Weltweit gesehen leider jeder Vierte, der einen Arzt       gigkeit und zu Entzugssymptomen beim Absetzen. Häufig findet
aufsucht, an einer psychischen Störung. Viele psychische           man diese bei älteren Menschen. Die Verordnung erfolgt meist
Störungen können jedoch auch erfolgreich mit psychothera-          durch den Arzt oft ohne weitere Indikationsprüfung; so kommt
peutischen Maßnahmen oder Entspannungstechniken be-                es dann zur Einnahme über Monate oder auch Jahre. Demge-
handelt werden. Psychopharmaka sollten am besten unter             genüber ist eine „high-dose-dependence“ (Hochdosis-Abhän-
fachärztlicher Diagnostik und Beratung und nur in einem um-        gigkeit) viel seltener und findet sich häufig bei Mehrfachabhän-
fassenden Behandlungskonzept eingesetzt werden. Benzo-             gigen. Hier entsteht über eine Toleranzentwicklung eine rasche
diazepine stellen die am häufigsten problematisch gebrauchten      Dosissteigerung und schließlich eine massive psychische und
Psychopharmaka dar. Weltweit sind diese Mittel die mit Ab-         auch körperliche Abhängigkeit mit schweren Entzugssymp-
stand am meisten verordneten Schlaf- und Beruhigungsmittel.        tomen beim Absetzen. Typisch ist eine starke Fixierung auf die
                                                                   verwendeten Medikamente, ein heimlicher Konsum, „Doctor-
Sie wirken rasch und effektiv bei der Behandlung von Unruhe,       hopping“ und eine Indikationserweiterung. Die Medikamente
Angst und Schlafstörungen. Diese positiven Wirkungen verlei-       werden für oder gegen die unterschiedlichsten Befindlichkeiten     »

5 | 10. März 2019 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG                                                                                  27
Medikamentenabhängigkeit

»   eingenommen. Durch einen Langzeitkonsum kommt                       häufig in Grippemittel zu finden ist. Typisch für den Entzug
    es neben der Gewöhnung zu einem Wirkungsver-                        dieser Substanzen sind depressive Verstimmungen, Dysphorie
    lust oder auch zu einer Wirkumkehr sowie zu zu-                     und ein starkes Craving. Es gibt nach wie vor keine Evidenz-
    nehmenden kognitiven Beeinträchtigungen und zu                      basierten pharmakologischen Strategien zur Entzugsbehand-
    einem erhöhten Sturzrisiko durch die muskel-rela-                   lung von Psychostimulantien. Wegen der klinischen Sympto-
    xierende Wirkung der Benzodiazepine.                                matik haben sich zumindest Antidepressiva gut bewährt. Am
                                                                        Beginn des Psychostimulantien-Entzugs braucht es in der Regel
    Entzugsbehandlung von Benzodiazepinen                               stationäre Behandlungssettings, denen eine ambulante Lang-
    Alle Benzodiazepine - auch die sogenannten                          zeitbehandlung zu folgen hat.
    „Z-Drugs“ (Zolpidem) - können bei längerfri-
    stiger Anwendung zur körperlichen und psy-                          Laxantien
    chischen Abhängigkeit führen. Die Entzugssym-                       Obstipation stellt für viele Menschen ein Tabuthema dar, wo-
    ptome beim Absetzen sind meist sehr ausgeprägt                      durch viele Betroffene versuchen, ihre Beschwerden selbst mit
    und können über Wochen bis Monate andauern. Typische                unterschiedlichen Medikamenten zu behandeln. Der längere
    Entzugssymptome sind Unruhezustände, Schlafstörungen,               Gebrauch von Abführmittel führt jedoch zur Gewöhnung und
    Muskelschmerzen, Zittern, Schwitzen bis hin zu deliranten           zur verstärkten Obstipation. Aufgrund der in der Regel fehlend
    Zustandsbildern und epileptischen Entzugsanfällen. Auch             psychotropen Wirkung von Laxantien kann hier nicht von
    treten häufig Angstzustände und depressive Verstimmungen            einer Suchtentwicklung im engeren Sinne gesprochen werden.
    während der Entzugsphase auf. Aufgrund der Schwere                  Der problematische Gebrauch kann hier bei einer bis zur 100-
    der Entzugssymptomatik sollte ein Benzodiazepin-Entzug              fachen Tagesdosis liegen. Diese Präparate sollten in der Aus-
    unter stationären Bedingungen - vorzugsweise in einer spe-          schleichphase maximal zweimal pro Woche verwendet wer-
    zifischen Suchteinrichtung - durchgeführt werden. Eine am-          den und alternativ sollte auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr,
    bulante Entzugsbehandlung sollte - wenn überhaupt - nur bei         Ballaststoff-reiche Ernährung und viel Bewegung geachtet
    einer Niedrigdosis-Abhängigkeit und bei guter Compliance an-
    gedacht werden. Hier soll die Benzodiazepin-Reduktion lang-
                                                                        werden.  ◉
    fristig, schrittweise und nur unter ärztlicher Kontrolle durchge-   Zusammenfassung
    führt werden. Klinisch bewährt hat sich die Umstellung auf eher
    lang wirksame Substanzen wie Diazepam, weil kurz wirksame           Die Medikamentenabhängigkeit stellt eine eine äußerst kom-
    Benzodiazepine subjektiv wahrnehmbare Entzugssymptome               plexe und häufige Suchterkrankung dar, die meist lange uner-
    verursachen können. Bei einer starken psychischen Fixierung         kannt bleibt. Häufig findet sich eine Niedrigdosis-Abhängigkeit.
    der Patienten auf die zu entziehende Substanz wäre eine „Blind-     Vor allem bei älteren Patienten ist eine wiederholte Indikations-
    gabe“ mit Benzodiazepinen in Tropfenform möglich.                   prüfung angezeigt, um der Entwicklung einer möglichen Ab-
                                                                        hängigkeit vorzubeugen.
    Um Entzugsanfällen vorzubeugen, soll eine antiepileptische
    Abschirmung erfolgen, die nach vollendetem Benzodiazepin-           Literatur bei den Verfassern
    Entzug wieder ausgeschlichen wird. Auch gibt es für Pregaba-
    lin beim Benzodiazepin-Entzug als unterstützende Medikation         *) Univ. Prof. Dr. Michael Musalek, Dr. Roland Mader; beide:
    erste positive Ergebnisse. Neben der Entzugsbehandlung muss         Anton Proksch Institut, Gräfin Zichy Straße 4-6, 1230 Wien;
    eine Diagnostik und Behandlung von komorbiden psychischen           Tel.: 01/88010-101; E-Mail: michael.musalek@api.or.at
    Störungen erfolgen; ebenso die therapeutische Arbeit an Sucht-
    auslösenden und Sucht-erhaltenden Faktoren.                         Lecture Board
                                                                        Univ. Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer,
    Psychostimulantien                                                  Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische
    Psychostimulantien wirken generell anregend, Appetit-hem-           Medizin, Medizinische Universität Graz
    mend, erzeugen ein vermindertes Schlafbedürfnis und schaf-          Univ. Prof. Dr. Christian Haring, Landeskrankenhaus Hall,
    fen Wohlgefühl bis hin zur euphorischen Stimmungslage.              Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie B
       Dazu gehören Medikamente zur Behandlung von ADHS
                wie Methylphenidat, aber auch Coffein in Arz-           Fortbildungsanbieter
                            neimitteln sowie Ephedrin, das              Medizinische Universität Graz, Universitätsklinik für Psychiatrie
                                                                        und Psychotherapeutische Medizin

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DFP-Literaturstudium:
                       Medikamentenabhängigkeit

Im Rahmen des Diplom-Fortbildungs-
Programms der Österreichischen Ärztekammer                                                             1) Was ist typisch für eine Niedrigdosis-
ist es möglich, durch das Literaturstudium in                                                          abhängigkeit? (zwei Antworten richtig)
der ÖÄZ zwei Punkte für das DFP zu erwerben.                                                                a)    Häufig bei jüngeren Menschen

Insgesamt müssen vier von sechs Fragen richtig                                                              b)    Fehlende Dosissteigerung
beantwortet sein. Eine Frage gilt als korrekt                                                               c)    Häufig bei älteren Menschen
beantwortet, wenn alle möglichen richtigen
                                                                                                       2) Welche Medikamente werden für einen
Antworten markiert sind.
                                                                                                       Benzodiazepin-Entzug vorzugsweise verwendet?
Schicken Sie diese Seite bis 26. April 2019 an:                                                        (eine Antwort richtig)
Verlagshaus der Ärzte GmbH, z. Hd. Claudia Chromy                                                           a)    Lang wirksame Substanzen wie Diazepam
Nibelungengasse 13, 1010 Wien,
                                                                                                            b)    Kurz wirksame Substanzen wie Triazolam
Faxnummer: 01/376 44 86
E-Mail: c.chromy@aerzteverlagshaus.at                                                                             Mehrere Substanzen unterschiedlicher Wirk-
                                                                                                            c)
                                                                                                                  dauer gleichzeitig

                                                                                                       3) Was sind typische Entzugssymptome eines
         www.aerztezeitung.at/DFP-Literaturstudium
                                                                                                       Benzodiazepin-Entzugs? (zwei Antworten richtig)

                                                                                                            a)    Unruhezustände
Bitte deutlich ausfüllen, da sonst die Einsendung
nicht berücksichtigt werden kann!                                                                           b)    Schlafstörungen

                                                                                                            c)    Manisches Zustandsbild
Name:
                                                                                                       4) Welche Medikamente haben sich bei einem
                                                                                                       Benzodiazepin-Entzug zusätzlich bewährt?
ÖÄK-Arztnummer:                                                                                        (zwei Antworten richtig)

                                                                                                            a)    Antiepileptika
Adresse:
                                                                                                            b)    Analgetika

                                                                                                            c)    Pregabalin

                                                                                                       5) Was sind die Charakteristiken des Analgetika-
E-Mail-Adresse:                                                                                        Kopfschmerzes? (zwei Antworten richtig)

                                                                                                                  Kopfschmerz nach erstmaliger Einnahme
                                                                                                            a)
                                                                                                                  eines Analgetikums

Zutreffendes bitte ankreuzen:                                                                                     Begleitsymptome wie Schwindel, Übelkeit,
                                                                                                            b)
  Turnusarzt/Turnusärztin                                                                                         innere Unruhe
                                                        Zwei Drittel der Fragen richtig beantwortet:

  Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin                                                                                Kopfschmerz bei dauerhafter Einnahme von
  Facharzt/Fachärztin für                                                                                   c)    Schmerzmittel oder nach dem Absetzen einer
                                                                                                                  Dauermedikation

                                                                                                       6) Wie hoch ist in etwa der Frauenanteil bei der
  Ich besitze ein gültiges DFP-Diplom.
                                                                                                       Medikamentensucht in Prozent? (eine Antwort richtig)
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                                                                                                            b)    Doppelt so hoch wie bei Männern
Altersgruppe:
                                                                                                            c)    Halb so hoch wie bei Männern
  < 30     31–40        41–50       51–60        > 60

5 | 10. März 2019 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG                                                                                                                 29
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