Medikamenten-abhängigkeit - Österreichische Ärztezeitung
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S TAT E O F T H E A R T Medikamenten- abhängigkeit © APA, picturedesk.com 22 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 5 | 10. März 2019
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T Die Medikamentenabhängigkeit gehört zu den Suchtformen, die am schwersten erkennbar ist, da der Konsum meist im Verborgenen stattfindet und darüber hinaus sehr häufig auch eine Niedrigdosis-Abhängigkeit besteht. Während es umfangreiche wissenschaftliche Literatur zu Alkohol- oder Drogenabhängigkeit gibt, liegen zur Medikamentenabhängigkeit relativ wenige Forschungsergebnisse vor. Michael Musalek und Roland Mader* Einleitung oder beziehen sich auf die Häufigkeit von Verschrei- bungen oder von Krankenhausaufenthalten in Folge von Dass Menschen von Medikamenten abhängig sind, bleibt Medikamentenzwischenfällen. oft über Jahre oder auch Jahrzehnte unbemerkt. Sie fallen nicht auf, sie werden selten kriminell und es gibt kaum In Österreich gibt es rund 340.000 Menschen, die Alkohol- mediale Berichterstattung über Medikamentenabhän- abhängig sind, ungefähr 30.000 Menschen sind Drogen- gige. Deshalb wird diese Suchterkrankung gerne als die abhängig und geschätzte 150.000 Österreicher sind von „stille Sucht“ bezeichnet, obwohl die Zahl der davon Be- Arzneimitteln abhängig. Aufgrund der vermutlich sehr troffenen wahrscheinlich fast im Bereich der Alkoholab- hohen Dunkelziffer liegt die Zahl der Medikamentenab- hängigen liegt. Wenn man darüber hinaus bedenkt, dass hängigen aber wesentlich höher. Schätzungen zufolge vor allem eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen eine könnten es bis zu 300.000 Personen sein. Eine genaue massive körperliche Abhängigkeit mit lebensgefährlichen Angabe ist hier schwer möglich, da die Medikamenten- Entzugssymptomen verursachen kann, ist es außer- abhängigkeit wie keine andere Suchterkrankung im Ver- ordentlich wichtig, künftig diesem Thema mehr Bedeu- borgenen stattfindet und die Betroffenen sehr lange sozial tung beizumessen. So sollten genügend Forschungsmit- unauffällig bleiben. Auch Aufnahmen in Krankenhäusern tel bereitgestellt sowie spezifische Behandlungseinrich- weisen darauf hin, dass es bei Medikamenten ein Pro- tungen gefördert werden. blem gibt. So werden in Österreich jährlich 30.000 statio- näre Aufnahmen wegen Medikamentenzwischenfällen Von Medikamentenabhängigkeit sind Frauen doppelt so registriert. Meist handelt es sich dabei um Intoxikationen. häufig betroffen wie Männer; im Gegensatz zu anderen Darüber hinaus sind auch jedes Jahr 1.600 bis 2.400 Medi- Suchtformen steigt hier die Gefährdung mit dem Alter. kamenten-assoziierte Todesfälle zu verzeichnen. Jede zehnte Frau über 70 Jahre konsumiert regelmäßig Benzodiazepine. Da rund zehn Prozent aller Arzneimit- Bei Patienten, die an gynäkologischen und chirurgischen tel über ein gewisses Suchtpotential verfügen, sollte die Abteilungen in Österreich stationär behandelt wurden, Medikation von verschreibenden Ärzten stets geprüft und zeigte sich bei einer Untersuchung der verordneten Me- die Indikation kontrolliert werden. dikamente, dass 15,9 Prozent der Patienten regelmäßig Benzodiazepine einnahmen. In Frankreich wurde bei Epidemiologie einer ähnlichen Untersuchung sogar eine Rate von 23,6 Prozent ermittelt. Bezüglich der Häufigkeit von Medikamentenabhängigen liegen deutlich weniger Daten vor als für Alkohol- oder Den weitaus größten Anteil von problematisch verwen- Drogenabhängige. Da sich diese Suchterkrankung sehr deten Medikamenten nehmen Benzodiazepine und An- häufig in einer Niedrigdosisabhängigkeit zeigt, bei der algetika ein. Eine deutsche Studie, die die Verschreibungs- Betroffene lediglich eine geringe Dosis von beispiels- zahlen als Grundlage hatte, zeigte, dass in Deutschland weise Benzodiazepinen einnehmen, und dies häufig ohne mehr als eine Millionen Menschen von Benzodiazepinen Dosissteigerung oft über Jahrzehnte hinweg, werden Be- oder auch von den sogenannten „Z-Drugs“ (Zolpidem) troffene in epidemiologischen Untersuchungen kaum er- abhängig sind und 300.000 bis 400.000 von anderen Arz- fasst. So bleiben die angeführten Zahlen oft Schätzungen neimitteln, hier vorrangig von Schmerzmitteln. » 5 | 10. März 2019 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 23
Medikamentenabhängigkeit » Ursachen und Verlauf drucksenkung und Koordinationsstörungen kommen. Auch ist die muskelrelaxierende Wirkung von Benzodiazepinen nicht zu Die Ursachen sowie die Entstehung einer Medikamenten- unterschätzen, die zu Stürzen und in der Folge etwa zu Schen- abhängigkeit sind mannigfaltig und meist multifaktoriell. Die kelhalsfrakturen führen kann. Ältere Menschen verlieren oft den soziale Entwicklung eines Menschen ist hier von großer Bedeu- Überblick über die verordneten Medikamente. Daraus resultiert tung. Die Vorbildwirkung der Eltern im Umgang mit Medika- die Gefahr, dass sie die Medikamente unkontrolliert oder in menten oder auch familiäre Krisen oder fehlende „Ich-Stärkung“ falscher Dosierung einnehmen. Eine Entzugsbehandlung kann können entscheidend sein. Auch ein fehlender psychosozialer auch bei älteren Menschen notwendig werden und sollte daher Ausgleich bei hoher Arbeitsbelastung oder familiärer Belastung immer erwogen werden. kann den Griff zur scheinbar helfenden Tablette beschleunigen. Bei älteren Menschen ist oft Multimorbidität der Grund. Es wer- Häufig missbrauchte Medikamente den viele Medikamente wie zum Beispiel Schmerz- oder Beru- higungsmittel verordnet, woraus bei fehlender Kontrolle eine Analgetika Sucht entstehen kann. Schmerzmittel werden laut WHO in drei Gruppen eingeteilt: Nichtopioid-Analgetika wie zum Beispiel Paracetamol, Acetyl- Medikamente erfüllen auch durch ihre unterschiedlichen Wir- salicylsäure oder Diclofenac, niederpotente Opioide wie zum kungen den Wunsch nach der „jederzeit steuerbaren Befind- Beispiel Codein oder Tramadol und stark wirksame Opioide mit lichkeit“. Werden zum Beispiel bei Unruhe Beruhigungsmittel Morphin als Leitsubstanz. Nichtopioid-Analgetika sind die am und bei Abgeschlagenheit aufputschende Mittel eingenommen, häufigsten verkauften Medikamente in der Apotheke, wobei so- kann dieser verführende Effekt schließlich zum problema- gar zwei Drittel davon ohne vorhergehenden Arztbesuch erwor- tischen Gebrauch und in der Folge auch zur Abhängigkeit füh- ben werden. 85 Prozent des Schmerzmittelgebrauchs erfolgen ren. Oft werden die konsumierten Medikamente direkt ohne wegen Kopfschmerzen. Eine der häufigsten Ursachen hierfür Rezept in der Apotheke besorgt und immer häufiger werden ist der Analgetika-Kopfschmerz, das heißt der Kopfschmerz, sie in Online-Apotheken bestellt. Da viele der später übermäßig der erst durch die regelmäßige Einnahme von Schmerzmitteln verwendeten Medikamente zu Beginn ärztlich verordnet wur- entsteht oder verstärkt wird. Hier wäre ein rasches Absetzen der den, wird die Medikamentenabhängigkeit auch gerne als „weiße Schmerzmedikation angezeigt. Sucht“ bezeichnet. Opioide Tablettensucht = Frauensucht? Opioide sind hinsichtlich ihres Abhängigkeitspotentials sehr gut untersuchte Substanzen. Neurobiologisch dafür hauptver- Frauen sind doppelt so häufig von einer Medikamentenabhän- antwortlich dürfte die durch das Opioid-Endorphin-System ver- gigkeit betroffen wie Männer. Dies mag zum einen mit einem mittelte Ausschüttung von Dopamin im limbischen System sein. immer noch weit verbreiteten Rollenbild der Frau zu tun haben: Die dadurch erzeugte euphorisierende psychotrope Wirkung Die Frau kümmert sich um Kinder und Haushalt und versucht, kann eine hohe psychische und physische Abhängigkeit verur- etwaige Belastungen mit Medikamenten zu bekämpfen, um sachen. In den USA haben der problematische Gebrauch und eine Fassade der Normalität länger aufrechterhalten zu kön- die Abhängigkeit von Opioiden in den letzten Jahren dramatisch nen. Zum anderen gehen Frauen bei Beschwerden häufiger zugenommen. Interessant ist, dass die Gabe von Opioiden als zum Arzt – 78 Prozent aller Arztbesuche entfallen auf Frauen reine Schmerzmedikation wie zum Beispiel bei malignen Er- - und erhalten ein Medikament verschrieben. Auch findet man krankungen selten eine Abhängigkeit hervorruft. Die Gabe von bei Frauen meist sogenannte „sekundäre Abhängigkeiten“, da Opioiden als Schmerzmedikation sollte nicht erfolgen, wenn ein Frauen öfter unter Depressionen, Unruhe und Angst leiden und problematischer Gebrauch anderer Substanzen wie Alkohol, Psychopharmaka weitaus häufiger einnehmen als Männer. Drogen oder anderer Medikamente vorliegt oder auch bei somatoformen Schmerzen oder bei mangelnder Compliance. Sucht im Alter Nicht-steroidale Analgetika Einen sehr großen Anteil an Medikamenten-Abhängigen fin- Viele Medikamente aus dieser Gruppe werden ohne Rezept als det man bei alten Menschen. Ein Drittel der über 70-Jährigen sogenannte „Over the Counter“-Medikamente in der Apotheke erhält psychotrope Substanzen; diese werden oft über längere abgegeben. Der Verkauf wird zusätzlich durch aktive Werbung Zeit ohne weitere Indikationsprüfung verordnet. Da älteren in Apotheken und Medien gefördert. Auf Grund der leichten Menschen oft mehrere unterschiedliche Medikamente verord- Verfügbarkeit, des Werbeeffektes und natürlich auch wegen der net werden, besteht auch die Gefahr einer Medikamenteninter- guten analgetischen Wirksamkeit gehören Ibuprofen, Paraceta- aktion. Hier kann es zur Beeinträchtigung der Vigilanz, Blut- mol, Diclofenac und Acetylsalicylsäure zu den am häufigsten 24 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 5 | 10. März 2019
Medikamentenabhängigkeit Tab. 1: Benzodiazepine – Halbwertszeit und Metaboliten Beispiele HWZ in Zeit bis zur max. Plasma- Aktive Wirkstoff Handelsnamen Stunden (h) konzentration in Stunden (h) Metaboliten Alprazolam Xanor® 12–15 h 1–2 h Ja Bromazepam Lexotanil ® 10–20 h 1–2 h Ja Clobazam Frisium® 36–79 h 0,5–4 h Ja Clonazepam Rivotril ® 30–40 h 1–4 h Nein Gewacalm® 1. Phase: 1 h, Diazepam 0,5–1 h Ja Psychopax-Tropfen® 2. Phase: 20–100 h Rohypnol®, Flunitrazepam 16–35 h 0,75–2 h Ja Somnubene® Lorazepam Temesta® 12–16 h 1–2,5 h Nein Lormetazepam Noctamid ® 13,6 h 1,5 h Nein Nitrazepam Mogadon® 30–40 h 38 min–2 h Ja Oxazepam Anxiolit , Praxiten ® ® 8h forte: 2 h retard: 6 h Nein Triazolam Halcion® 2,7 ± 0,5 h 1,5 ± 0,7 h Nein Zolpidem Ivadal , Zoldem , Mon- ® ® 0,7–3,5 h 0,5–3 h Nein (Benzodiazepin-ähnlich) deal® Quelle: Austria-Codex Fachinformation (Stand 2016) verabreichten Medikamenten. Bei chronischer Einnahme Der Analgetika-Kopfschmerz tritt bei dauerhafter Einnah- können diese Medikamente einen Gewöhnungseffekt erzeu- me von Schmerzmitteln oder auch nach dem Absetzen einer gen, sodass immer höhere Dosen notwendig werden, um eine Dauermedikation auf und ist der dritthäufigste Kopfschmerz. Schmerzlinderung zu erreichen. Schließlich kann ein problema- Frauen sind hier fünf- bis zehnmal häufiger betroffen als Män- tischer Gebrauch von Analgetika auch Schmerzen unterhalten ner. Die Symptome treten zwei bis drei Stunden nach der Ein- und zu verminderter Leistungsfähigkeit, Depressionen und häu- nahme, das heißt noch während der Wirkdauer, auf oder nach figen Arbeitsausfällen führen. dem totalen Absetzen der Medikation und die Kopfschmerzen halten bis zu zehn Tage an. Häufig begleitet werden die Schmer- Eine hohe Verantwortung, um den problematischen Gebrauch zen von vegetativen Begleitsymptomen wie Schwindel, Übelkeit, und die Abhängigkeit von Medikamenten zu verhindern, liegt Herzrasen oder innerer Unruhe. Der Schmerz lokalisiert sich in bei den verschreibenden Ärzten und auch bei Apothekern, die beiden Seiten des Kopfes, dies wechselnd oder auch beidsei- häufig wiederkehrende Kunden erkennen können. Kontrollie- tig, ist dumpf bis stechend, hält den ganzen Tag an und steigert ren verschreibende Ärzte nur unzureichend, ob die Indikation sich bei körperlicher Belastung. Bei der Behandlung empfiehlt zur Einnahme weiterhin gegeben ist, kann Missbrauch gefördert man das sofortige Absetzen der Schmerzmedikation und alter- werden. Besonders gefährdet sind Personen mit Suchtanam- native, Schmerz-reduzierende Maßnahmen wie Infiltrationen, nese, chronischen Kopfschmerzen und langer Schmerzdauer. Entspannungstechniken sowie Anti-Emetika und eventuell eine antidepressive Medikation mit Duloxetin. Kopfschmerzen sind in 75 Prozent der Fälle Ursache für eine Analgetika-Abhängigkeit; sie werden oft durch nicht-steroidale Entzugsbehandlung von Analgetika Analgetika aufrechterhalten. Einen besonders hohen Anteil Bis zum Beginn des Entzuges soll das Analgetikum weiter ver- haben hier Kombinationspräparate, die das Gewöhnungsrisi- ordnet werden und die Einnahme (Frequenz und Dosis) pro- ko erhöhen. So kann es beispielsweise vorkommen, dass das tokolliert werden. Vor der Behandlung muss der Betroffene in diversen Medikamenten enthaltene Coffein durch eine oft über die Behandlung und vor allem über die zu erwartenden übersehene psychotrope Wirkung eine Rolle spielt. Auch über- Schmerzen aufgeklärt werden. Für viele Patienten ist ein statio- schreiten Kopfschmerz-Patienten oft Schwellendosierungen, närer Entzug - am besten in einer spezifischen Suchteinrich- was wiederum zu chronischen Kopfschmerzen führen kann. tung - die sicherste Behandlung und am aussichtsreichsten im 26 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 5 | 10. März 2019
DFP-Literaturstudium S T A T E O F T H E A R T Hinblick auf den Erfolg. Ein stationärer Entzug sollte vor allem ten jedoch zur Dauereinnahme und führen zur raschen Gewöh- bei ausgeprägten psychiatrischen Komorbiditäten, bei langjäh- nung und ausgeprägten Entzugserscheinungen beim Absetzen. rigem Medikamenten-induziertem Kopfschmerz, nach mehre- Benzodiazepine werden generell nicht zu häufig, sondern oft ren erfolglosen ambulanten Entzügen und bei Missbrauch an- nur zu lange verordnet. derer Substanzen wie beispielsweise Alkohol, Benzodiazepinen und Opioiden erfolgen. Benzodiazepine 1960 wurde Chlordiatepoxid (Librium®) als erstes Benzodiaze- Nach dem Absetzen von Analgetika leiden die Betroffenen in den pin auf den Markt gebracht, 1963 folgte Diazepam (Gewacalm®, ersten zwei bis sechs Tagen typischerweise an zunehmenden Valium®), das auch heute noch weit verbreitet ist. Die abhängig Kopfschmerzen, Übelkeit, Unruhe und Schlaflosigkeit. Ab dem machende Wirkung dieser Substanzen wurde aber erst in den sechsten Tag ist normalerweise mit einem deutlichen Nachlas- 1970er Jahren bekannt. sen der Symptomatik zu rechnen. Die Prognose für einen erfolg- reichen Entzug ist relativ gut. 70 Prozent der Betroffenen haben Bezüglich ihrer Wirkdauer haben Benzodiazepine sehr unter- nach dem Entzug keine Dauerkopfschmerzen mehr. schiedliche Halbwertszeiten. Außerdem bilden viele Substan- zen im Abbau aktive Metaboliten, die manchmal bis zu 200 Neben der medizinischen Entzugsbehandlung ist eine beglei- Stunden wirksam sind. Bei langer Halbwertszeit ergibt sich das tende psychologisch/psychotherapeutische Behandlung un- Problem eines „Hangover“ beziehungsweise der Kumulation abdingbar. Dabei steht zu Beginn die ausführliche Information der Medikamentenwirkung. Bei kürzerer Halbwertszeit kann über „Medikamentenabusus und Dauerkopfschmerz“; dann rascher ein Entzugssyndrom entstehen. werden gemeinsam individuelle Ziele bezüglich des Umgangs mit Medikamenten festgelegt. In der Folge sollen äußere Ein- Bei rasch anflutenden Substanzen - vor allem bei Flunitrazepam flüsse für den Gebrauch bewusst gemacht werden wie etwa die - besteht ein deutlich erhöhtes Suchtrisiko, weshalb die Gabe Verfügbarkeit von Schmerzmitteln. Innere Einflüsse werden dieser Substanzen vermieden werden soll. beleuchtet wie beispielsweise die gelernte Unbedenklichkeit gegenüber der Einnahme und iatrogene Risikofaktoren wie Die Entwicklung einer Abhängigkeit kann durch eine strenge „Doctor-hopping“ sollen thematisiert werden. Dies kann und Indikationsstellung, eine möglichst niedrige Dosierung und soll sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting erfolgen. eine begrenzte Verschreibungsdauer von nicht länger als vier Die Gruppe bildet hier ein ideales Reflexionsfeld, um auch aus Wochen vorgebeugt werden. Gefährdet für eine Abhängigkeits- den Erfahrungen von anderen Betroffenen zu lernen. Eine Be- entwicklung sind vor allem Personen, die von einer anderen handlung muss jedenfalls in ein gesamttherapeutisches Setting Substanz abhängig sind wie etwa von Alkohol oder Drogen, eingebettet sein, bei dem neben medizinischen, psychothera- körperlich chronisch kranke Menschen - vor allem mit einer peutischen und soziotherapeutischen Maßnahmen auch eine Schmerzsymptomatik, Patienten mit einer ausgeprägten Per- Phase der Lebensneugestaltung wichtig ist. Dabei sollen alte sönlichkeitsstörung oder Angststörung und Personen mit chro- oder auch neue Lebensinteressen (wieder-)entdeckt werden nischen Schlafstörungen. können, um so der Verlockung des Suchtmittels zukünftig bes- ser entgegenwirken zu können. Die „low-dose-dependence“ (Niedrigdosis-Abhängigkeit) ist eine Besonderheit der Benzodiazepine. Hier kommt es bei der Psychopharmaka längeren Gabe von Dosen, die sich im therapeutischen Bereich Psychische Störungen sind häufige Ursachen für einen Arzt- befinden, bei fehlender Dosissteigerung trotzdem zur Abhän- besuch. Weltweit gesehen leider jeder Vierte, der einen Arzt gigkeit und zu Entzugssymptomen beim Absetzen. Häufig findet aufsucht, an einer psychischen Störung. Viele psychische man diese bei älteren Menschen. Die Verordnung erfolgt meist Störungen können jedoch auch erfolgreich mit psychothera- durch den Arzt oft ohne weitere Indikationsprüfung; so kommt peutischen Maßnahmen oder Entspannungstechniken be- es dann zur Einnahme über Monate oder auch Jahre. Demge- handelt werden. Psychopharmaka sollten am besten unter genüber ist eine „high-dose-dependence“ (Hochdosis-Abhän- fachärztlicher Diagnostik und Beratung und nur in einem um- gigkeit) viel seltener und findet sich häufig bei Mehrfachabhän- fassenden Behandlungskonzept eingesetzt werden. Benzo- gigen. Hier entsteht über eine Toleranzentwicklung eine rasche diazepine stellen die am häufigsten problematisch gebrauchten Dosissteigerung und schließlich eine massive psychische und Psychopharmaka dar. Weltweit sind diese Mittel die mit Ab- auch körperliche Abhängigkeit mit schweren Entzugssymp- stand am meisten verordneten Schlaf- und Beruhigungsmittel. tomen beim Absetzen. Typisch ist eine starke Fixierung auf die verwendeten Medikamente, ein heimlicher Konsum, „Doctor- Sie wirken rasch und effektiv bei der Behandlung von Unruhe, hopping“ und eine Indikationserweiterung. Die Medikamente Angst und Schlafstörungen. Diese positiven Wirkungen verlei- werden für oder gegen die unterschiedlichsten Befindlichkeiten » 5 | 10. März 2019 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 27
Medikamentenabhängigkeit » eingenommen. Durch einen Langzeitkonsum kommt häufig in Grippemittel zu finden ist. Typisch für den Entzug es neben der Gewöhnung zu einem Wirkungsver- dieser Substanzen sind depressive Verstimmungen, Dysphorie lust oder auch zu einer Wirkumkehr sowie zu zu- und ein starkes Craving. Es gibt nach wie vor keine Evidenz- nehmenden kognitiven Beeinträchtigungen und zu basierten pharmakologischen Strategien zur Entzugsbehand- einem erhöhten Sturzrisiko durch die muskel-rela- lung von Psychostimulantien. Wegen der klinischen Sympto- xierende Wirkung der Benzodiazepine. matik haben sich zumindest Antidepressiva gut bewährt. Am Beginn des Psychostimulantien-Entzugs braucht es in der Regel Entzugsbehandlung von Benzodiazepinen stationäre Behandlungssettings, denen eine ambulante Lang- Alle Benzodiazepine - auch die sogenannten zeitbehandlung zu folgen hat. „Z-Drugs“ (Zolpidem) - können bei längerfri- stiger Anwendung zur körperlichen und psy- Laxantien chischen Abhängigkeit führen. Die Entzugssym- Obstipation stellt für viele Menschen ein Tabuthema dar, wo- ptome beim Absetzen sind meist sehr ausgeprägt durch viele Betroffene versuchen, ihre Beschwerden selbst mit und können über Wochen bis Monate andauern. Typische unterschiedlichen Medikamenten zu behandeln. Der längere Entzugssymptome sind Unruhezustände, Schlafstörungen, Gebrauch von Abführmittel führt jedoch zur Gewöhnung und Muskelschmerzen, Zittern, Schwitzen bis hin zu deliranten zur verstärkten Obstipation. Aufgrund der in der Regel fehlend Zustandsbildern und epileptischen Entzugsanfällen. Auch psychotropen Wirkung von Laxantien kann hier nicht von treten häufig Angstzustände und depressive Verstimmungen einer Suchtentwicklung im engeren Sinne gesprochen werden. während der Entzugsphase auf. Aufgrund der Schwere Der problematische Gebrauch kann hier bei einer bis zur 100- der Entzugssymptomatik sollte ein Benzodiazepin-Entzug fachen Tagesdosis liegen. Diese Präparate sollten in der Aus- unter stationären Bedingungen - vorzugsweise in einer spe- schleichphase maximal zweimal pro Woche verwendet wer- zifischen Suchteinrichtung - durchgeführt werden. Eine am- den und alternativ sollte auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr, bulante Entzugsbehandlung sollte - wenn überhaupt - nur bei Ballaststoff-reiche Ernährung und viel Bewegung geachtet einer Niedrigdosis-Abhängigkeit und bei guter Compliance an- gedacht werden. Hier soll die Benzodiazepin-Reduktion lang- werden. ◉ fristig, schrittweise und nur unter ärztlicher Kontrolle durchge- Zusammenfassung führt werden. Klinisch bewährt hat sich die Umstellung auf eher lang wirksame Substanzen wie Diazepam, weil kurz wirksame Die Medikamentenabhängigkeit stellt eine eine äußerst kom- Benzodiazepine subjektiv wahrnehmbare Entzugssymptome plexe und häufige Suchterkrankung dar, die meist lange uner- verursachen können. Bei einer starken psychischen Fixierung kannt bleibt. Häufig findet sich eine Niedrigdosis-Abhängigkeit. der Patienten auf die zu entziehende Substanz wäre eine „Blind- Vor allem bei älteren Patienten ist eine wiederholte Indikations- gabe“ mit Benzodiazepinen in Tropfenform möglich. prüfung angezeigt, um der Entwicklung einer möglichen Ab- hängigkeit vorzubeugen. Um Entzugsanfällen vorzubeugen, soll eine antiepileptische Abschirmung erfolgen, die nach vollendetem Benzodiazepin- Literatur bei den Verfassern Entzug wieder ausgeschlichen wird. Auch gibt es für Pregaba- lin beim Benzodiazepin-Entzug als unterstützende Medikation *) Univ. Prof. Dr. Michael Musalek, Dr. Roland Mader; beide: erste positive Ergebnisse. Neben der Entzugsbehandlung muss Anton Proksch Institut, Gräfin Zichy Straße 4-6, 1230 Wien; eine Diagnostik und Behandlung von komorbiden psychischen Tel.: 01/88010-101; E-Mail: michael.musalek@api.or.at Störungen erfolgen; ebenso die therapeutische Arbeit an Sucht- auslösenden und Sucht-erhaltenden Faktoren. Lecture Board Univ. Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer, Psychostimulantien Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Psychostimulantien wirken generell anregend, Appetit-hem- Medizin, Medizinische Universität Graz mend, erzeugen ein vermindertes Schlafbedürfnis und schaf- Univ. Prof. Dr. Christian Haring, Landeskrankenhaus Hall, fen Wohlgefühl bis hin zur euphorischen Stimmungslage. Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie B Dazu gehören Medikamente zur Behandlung von ADHS wie Methylphenidat, aber auch Coffein in Arz- Fortbildungsanbieter neimitteln sowie Ephedrin, das Medizinische Universität Graz, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin 28 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 5 | 10. März 2019
DFP-Literaturstudium: Medikamentenabhängigkeit Im Rahmen des Diplom-Fortbildungs- Programms der Österreichischen Ärztekammer 1) Was ist typisch für eine Niedrigdosis- ist es möglich, durch das Literaturstudium in abhängigkeit? (zwei Antworten richtig) der ÖÄZ zwei Punkte für das DFP zu erwerben. a) Häufig bei jüngeren Menschen Insgesamt müssen vier von sechs Fragen richtig b) Fehlende Dosissteigerung beantwortet sein. Eine Frage gilt als korrekt c) Häufig bei älteren Menschen beantwortet, wenn alle möglichen richtigen 2) Welche Medikamente werden für einen Antworten markiert sind. Benzodiazepin-Entzug vorzugsweise verwendet? Schicken Sie diese Seite bis 26. April 2019 an: (eine Antwort richtig) Verlagshaus der Ärzte GmbH, z. Hd. Claudia Chromy a) Lang wirksame Substanzen wie Diazepam Nibelungengasse 13, 1010 Wien, b) Kurz wirksame Substanzen wie Triazolam Faxnummer: 01/376 44 86 E-Mail: c.chromy@aerzteverlagshaus.at Mehrere Substanzen unterschiedlicher Wirk- c) dauer gleichzeitig 3) Was sind typische Entzugssymptome eines www.aerztezeitung.at/DFP-Literaturstudium Benzodiazepin-Entzugs? (zwei Antworten richtig) a) Unruhezustände Bitte deutlich ausfüllen, da sonst die Einsendung nicht berücksichtigt werden kann! b) Schlafstörungen c) Manisches Zustandsbild Name: 4) Welche Medikamente haben sich bei einem Benzodiazepin-Entzug zusätzlich bewährt? ÖÄK-Arztnummer: (zwei Antworten richtig) a) Antiepileptika Adresse: b) Analgetika c) Pregabalin 5) Was sind die Charakteristiken des Analgetika- E-Mail-Adresse: Kopfschmerzes? (zwei Antworten richtig) Kopfschmerz nach erstmaliger Einnahme a) eines Analgetikums Zutreffendes bitte ankreuzen: Begleitsymptome wie Schwindel, Übelkeit, b) Turnusarzt/Turnusärztin innere Unruhe Zwei Drittel der Fragen richtig beantwortet: Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin Kopfschmerz bei dauerhafter Einnahme von Facharzt/Fachärztin für c) Schmerzmittel oder nach dem Absetzen einer Dauermedikation 6) Wie hoch ist in etwa der Frauenanteil bei der Ich besitze ein gültiges DFP-Diplom. Medikamentensucht in Prozent? (eine Antwort richtig) Ich nutze mein DFP-Fortbildungskonto. Bitte die DFP-Punkte automatisch buchen. a) Gleich hoch wie bei Männern b) Doppelt so hoch wie bei Männern Altersgruppe: c) Halb so hoch wie bei Männern < 30 31–40 41–50 51–60 > 60 5 | 10. März 2019 ÖSTERREICHISCHE ÄRZTEZEITUNG 29
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