MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe

 
WEITER LESEN
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
SOZIALBAROMETER
                                            Umfrage zum Thema Arbeit

                                                  KINDERARMUT
                                          Volkshilfe gewinnt SozialMarie

                                                             PFLEGE
                                                 Ideen für Pflegereform

MEHR ARMUT?
                                                                           © Bilanol/Freepik

Corona als Brandbeschleuniger

                                MAGAZIN FÜR MENSCHEN 2/2020
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
2
    Anzeige   Anzeige
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
EDITORIAL

GERECHTIGKEIT IN DER KRISE
Wie geht’s den Menschen in der Krise wirklich?

Corona stellt die Verteilungsfrage neu. Ungleich-
heiten und Armut nehmen zu. Der Rückgang der
Wirtschaftsleistung um 7,2 Prozent, wie von der Na-
tionalbank prognostiziert, wäre durchaus verkraftbar,
wären die Lasten des Lock-Downs nicht so ungleich
verteilt. Sie treffen vor allem Niedrigverdiener*innen,
Menschen in Teilzeitarbeit, Arbeitslose, Pensionist*
innen. Die Krise verstärkt Ungleichheiten und macht
die Verdienste und Versäumnisse unseres Sozialstaats
sichtbar. In diesen Zeiten wollen wir als Volkshilfe
besonders genau hinsehen, besonders kritisch ana-
lysieren und besonders nachdrücklich mehr Vertei-
lungsgerechtigkeit fordern.

Mehr Armut?                                                          Prof. Ewald Sacher           Erich Fenninger
                                                                Präsident der Volkshilfe    Direktor der Volkshilfe
Um die Auswirkungen der Krise wirklich verstehen
                                                                             Österreich                 Österreich
zu können, geben wir uns nicht mit Expert*innen-
Schätzungen und Wirtschaftsprognosen zufrieden.           Überlebenskrise
Wir fragen die Betroffenen selbst. Eine Umfrage zu        Die Gesundheitskrise wird für immer mehr
den finanziellen und emotionalen Auswirkungen von         Österreicher*innen zur Überlebenskrise, wie die stei-
Corona, findet sich auch in diesem Magazin (S. 5).        genden Arbeitslosenzahlen belegen. An Vermögens-
Weil wir Veränderung aktiv leben wollen, haben wir        steuern zur finanziellen Bewältigung der Situation
letztes Jahr begonnen, die Volkshilfe-Kindergrundsi-      und einer „Taskforce soziale Absicherung“ zur Koor-
cherung umzusetzen. Wir freuen uns sehr, dass unser       dinierung der sozialen Maßnahmen führt kein Weg
Projekt zur Bekämpfung der Kinderarmut mit dem 2.         vorbei (S. 13).
Preis der SozialMarie 2020 ausgezeichnet wurde (S.
7).                                                       Protest
                                                          Natürlich hat die Pandemie die Schlagzeilen der
Sozialbarometer                                           vergangenen Monate beherrscht. Trotzdem dürfen
Vor allem die chronisch unterfinanzierte Sozi-            wir nicht vergessen, dass weltweit fast 80 Millionen
albranche hat sich in den letzten Monaten als sys-        Menschen auf der Flucht sind. Darauf haben wir am
temrelevant und menschenrettend erwiesen. Die             Weltflüchtlingstag aufmerksam gemacht (S. 29). Au-
Österreicher*innen sehen das genauso: Die große           ßerdem ist mit „Black Lives Matter!“ auch eine neue
Mehrheit ist für eine bessere Entlohnung im Gesund-       internationale Protestbewegung entstanden. Wir
heits- und Sozialbereich (S. 10).                         waren und sind mit dabei: gegen Rassismus und Po-
                                                          lizeigewalt – für ein menschenwürdiges und solidari-
                                                          sches Miteinander (S. 28).
                                                                                                                      Anzeige

                                                                                                                 3
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
www.volkshilfe.at                                                                                           INHALT

                                                               INHALT
                                                               07     Auszeichnung.
                                                                      SozialMarie für Volkshilfe-Projekt.

07                                 16                          08     Kinderarmut.
                                                                      Volkshilfe-Expertin Judith Ranftler im Interview.

                                                               10     Sozialbarometer.
                                                                      Neue Umfrage zum Thema Arbeit.

                                                               16     Spenden.
                                                                      Vermächtnis für den guten Zweck.
08                                 22
                                                               22     ErVolkshilfe.
                                                                      Zwei Volkshelferinnen im Porträt.

                                                               27     Pflege.
                                                                      Volkshilfe fordert Pflegereform.

                                                               29     Asyl.
10                                 29                                 Demo zum Weltflüchtlingstag.

                          < Volkshilfe Österreich
    Auerspergstraße 4, 1010 Wien
                                                               KURZMELDUNGEN

                                                                                                                  © Johannes Wahl
    Telefon: 01 402 62 09
    www.volkshilfe.at

             facebook.com/volkshilfe

             twitter.com/volkshilfe

             youtube.com/volkshilfeosterreich
                                                               Patti Smith in Wien
             instagram.com/volkshilfe                          Am 16. Juli 2021 spielt die amerikanische Punk-
                                                               Legende Patti Smith bei der Volkshilfe-„Nacht gegen
                                                               Armut“ in der Arena Wien. Der Reinerlös kommt
                                                               armutsbetroffenen Kindern und Jugendlichen in Ös-
Impressum                                                      terreich zugute. Das Benefizkonzert der „Godmother
Herausgeberin: Volkshilfe Österreich                           of Punk“ ist zwar erst nächstes Jahr, trotzdem emp-
1010 Wien, Auerspergstraße 4                                   fiehlt es sich, jetzt schon Karten zu sichern.
Tel.: 01/402 62 09, Fax: 01/408 58 01
E-Mail: office@volkshilfe.at, www.volkshilfe.at                Alle Infos: www.oeticket.com

Redaktion: Matthias Hütter, Erwin Berger, Ruth Schink,         Charity-Kunstauktion
Hanna Lichtenberger, Lisa Peres
                                                               Am 25. November 2020 lädt die Volkshilfe zur drit-
Medieninhaber, Verleger, Anzeigenverkauf, Layout und           ten Charity-Kunstauktion gegen Armut in Österreich.
Produktion: Die Medienmacher GmbH, Oberberg 128, 8151          In der Wiener Galerie Amart gelangen mehr als 100
Hitzendorf, Filiale:Römerstr. 8, 4800 Attnang, office@dieme-
dienmacher.co.at, www.diemedienmacher.co.at                    Kunstwerke zur Versteigerung. Zahlreiche namhafte
                                                               Künstler*innen stellen ihre Werke zur Verfügung.
Druckerei: Euro-Druckservice GmbH                              Der Reinerlös unterstützt die Arbeit der Volkshilfe
Bildnachweis: Volkshilfe Österreich oder wie angegeben         bei der Armutsbekämpfung in Österreich. Schwer-
                                                               punkte werden damit im Bereich Kinder, Familien,
Neubestellung? Umgezogen? Abbestellung?                        Alleinerzieher*innen, bedürftigen alten Menschen,
Wenn Sie Fragen oder Wünsche haben, wenden Sie sich bitte
an die Volkshilfe Bundesgeschäftsstelle, Auerspergstraße 4,    erkrankten Menschen und Obdachlosen gesetzt.
1010 Wien unter 01/402 62 09 oder office@volkshilfe.at         Alle Infos: www.charity-kunstauktion.at
4
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
ARMUT
© veresproduction/Freepik

CORONA UND ARMUT
Volkshilfe-Umfrage zeigt eklatante Verschlechterung der Lebens-
qualität von armutsbetroffenen Familien in Zeiten der Pandemie.

Die Volkshilfe hat im Juni eine Umfrage unter ar-         rung, die ein bezeichnender Gradmesser für den ver-
mutsbetroffenen Familien in ganz Österreich durch-        stärkten Benachteiligungseffekt von armutsbetroffe-
geführt. „Wir wollten wissen, wie es armutsbetrof-        nen Kindern in der Krise ist.
fenen Familien und ihren Kindern gerade geht. Wie
schlecht sie ihre eigene Lebenssituation seit Corona      Sorgen um die Zukunft
einstufen, hat selbst uns erschüttert“, sagt Erich        Mehr als Dreiviertel aller Befragten (79 %) gab an, sich
Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich. Die        jetzt noch mehr Sorgen über die Zukunft zu machen.
Ergebnisse zeigen, wie sehr diese verletzlichen Fami-     Über die Hälfte (55 %) sorgen sich auch, dass ihre
lien unter den finanziellen und emotionalen Mehr-         Kinder in der Schule nicht gut abschließen werden.
belastungen durch die Krise leiden. Die Stimmen der       Auf die Hälfte der befragten Familien (51 %) hat sich
Betroffenen bestätigen übereinstimmend das nega-          die Corona-Krise finanziell negativ ausgewirkt. Ein
tive Bild, das Expert*innen in den letzten Wochen für     recht hoher Prozentsatz, wenn man bedenkt, dass ihr
armutsbetroffene Kinder gezeichnet haben.                 Einkommensniveau schon vor Corona unter der Ar-
                                                          mutsgefährdungsschwelle lag.
Kennzahlen zur Umfrage
100 Haushalte mit Kindern und einem Einkommen             Kinder sind trauriger
unter der Armutsschwelle wurden österreichweit            Auf die Frage, ob und wie sich die Emotionalität ihrer
befragt. Die Armutsschwelle liegt aktuell bei 1.636       Kinder in der Corona-Krise verändert hat, gaben je-
Euro für einen Haushalt mit einem Erwachsenen und         weils mehr als die Hälfte der Eltern an, dass ihre Kin-
einem Kind. Für jedes weitere Kind sind 377 Euro, für     der trauriger (74 %), einsamer (57 %) oder aggressiver
jeden weiteren Erwachsenen 629 Euro hinzuzurech-          (53 %) waren als zuvor. Spannend auch: Rund ein
nen. Die Umfrage wurde via Telefon durchgeführt.          Viertel der Kinder (23 %) waren erleichtert, dass sie
                                                          nicht in die Schule mussten. Und ein Fünftel (20 %)
Lebensqualität in Schulnoten                              war fröhlicher, weil für sie schwierige Situationen wie
50 % der Befragten haben ihre aktuelle Lebensquali-       etwa Mobbing endlich weggefallen sind.
tät in Zeiten von COVID mit der negativen Schulnote
4 bis 5 beurteilt. Vor Corona hat keine dieser Familien   Erleichterung durch Schulschließung
ihre Lebenssituation mit einem Fünfer bewertet und        Aus der Kinderarmutsforschung ist bekannt, dass
nur 7 % mit einem Vierer. Eine enorm hohe Steige-         armutsgefährdete Kinder multiple Benachteiligun-
                                                                                                                5
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
www.volkshilfe.at                                                                                      ARMUT

gen erfahren. Sie haben weniger soziale Kontakte,         Verbesserung der Lebenssituation
sind häufiger psychisch belastet und erleben den          „Die Maßnahmen der Regierung – wie die Einführung
Schulbetrieb als herausfordernd. Das bestätigen auch      der Sozialhilfe neu sowie die geplante Änderung
die Ergebnisse der Umfrage der Volkshilfe: Rund ein       des Familienbonus Plus – sorgen de facto leider für
Viertel der Kinder (23 %) waren erleichtert, dass sie     schlechtere Lebensbedingungen von hunderttausen-
nicht in die Schule mussten. Und ein Fünftel (20 %)       den Familien in Österreich“, kritisiert Fenninger. Auch
war fröhlicher, weil für sie schwierige Situationen wie   der beschlossene Bonus von 360 Euro für jedes Kind,
etwa Mobbing endlich weggefallen sind.                    sei als Einmalzahlung für armutsgefährdete Famili-
                                                          en vollkommen unzureichend. Die versprochenen
Home Schooling                                            weiteren 30 Mio. Euro aus dem Familienhärtefonds,
Rund zwei Drittel aller Betroffenen, die befragt wur-     seien eine wichtige akute Hilfe für Familien in Not,
den, beschrieb die Situation, dass ihre Kinder wäh-       ließen aber ebenso eine regelmäßige und dadurch
rend der Krise nicht mehr in die Schule beziehungs-       nachhaltige Unterstützung für armutsbetroffene Fa-
weise den Kindergarten gehen konnten, als sehr bis        milien vermissen. „Kurzarbeit, Rekordarbeitslosigkeit
ziemlich belastend. Viele berichten von finanziellen      und die neue Sozialhilfe stellen einen gefährlichen
Problemen, wegen der Mehrkosten durch das Home            Brandbeschleuniger für die Ausbreitung von Kinder-
Schooling. Neben den bekannten Herausforderun-            armut in Österreich dar. Einmalzahlungen können
gen, wie fehlenden Laptops oder Internetzugang,           diesen Brand nicht stoppen. Dazu braucht es nach-
sowie Mangels an Lernraum, nannten die Meisten (58        haltige Unterstützung.“
%), dass ihnen das Wissen fehle, um ihren Kindern bei
den Aufgaben helfen zu können. Auch der Mangel            Kindergrundsicherung
an Zeit, um den Kindern zu helfen wurde als häufiges      Die Volkshilfe fordert daher die Implementierung
Problem genannt (38 %).                                   einer armutssensiblen Pädagogik in Kindergärten und
                                                          Schulen, um alle Kinder zu erreichen und spezifische
Kinder mit besonderen Bedürfnissen                        Angebote setzen zu können. Weitere Vorschläge zur
Bei den geführten Interviews klagten mehrere El-          Bekämpfung von Kinderarmut sind inklusive Angebo-
tern, dass auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen         te im Herbst, um die Zementierung der Bildungsun-
vergessen werde. Mütter und Väter berichteten von         gleichheit zu verhindern, die Garantie des mittleren
ihren Kindern, die unter Lernschwächen, ADHS, Leg-        Bildungsabschlusses für alle Kinder, der bundesweite
asthenie oder Dyskalkulie leiden, durch die das Home      Ausbau von Schulsozialarbeit und die Einführung
Schooling deutlich erschwert wurde. Hier wurden           einer staatlichen Kindergrundsicherung.
Kinder und Eltern zurückgelassen.

6
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
ARMUT

                          V.l.n.r.: Wanda Moser-Heindl (Stifterin Unruhe Privatstiftung), Erich Fenninger (Volkshilfe-Direktor) und
                                       Judith Ranftler (Volkshilfe-Projektleiterin „Kinderarmut abschaffen“) bei der Preisübergabe.

SOZIALMARIE
Die Volkshilfe-Kindergrundsicherung wurde mit
dem 2. Preis der SozialMarie 2020 ausgezeichnet.

Am 1. Mai wurde zum 16. Mal der Preis „SozialMarie –
Prize for Social Innovation“ an innovative Sozialpro-            Kindergrundsicherung
jekte verliehen. Aus fast 300 international eingereich-          Die Idee des Volkshilfe-Modellprojekts ist es, Kin-
ten Sozialprojekten wurden 15 Projekte prämiert. Die             derarmut in Österreich abzuschaffen. Das Neue
Gala im Radiokulturhaus fand dieses Jahr nicht statt,            dabei: Selbstermächtigung der Familien anstatt
die Unruhe Privatstiftung verkündete die Preisträger             Sachleistungen. Armutsbetroffene Familien erhalten
stattdessen in einem Video.                                      eine monatliche kindbezogene Leistung, gestaffelt
                                                                 nach Einkommen (max. 625 Euro). Sie entscheiden
10.000 Euro Preisgeld                                            gemeinsam mit ihren Kindern, wie sie deren soziale
Den Hauptpreis gewann das slowakische Sozial-                    Teilhabe sichern. Ziel ist es, dass die Kindergrundsi-
projekt „project home“, das die Lebenssituation der              cherung als staatliche Leistung eingeführt und auf
Roma-Bevölkerung, die häufig in illegalen Hütten in              ganz Österreich ausgebreitet wird. Das Modell ist auf
slum-ähnlichen Verhältnissen wohnt, verbessern will.             ganz Österreich übertragbar und auch sozial leistbar.
Die Kindergrundsicherung der Volkshilfe Österreich,
ein Projekt das Kinderarmut in Österreich abschaffen             Benachteiligung beenden
will, erhielt den mit 10.000 Euro dotierten zweiten              In der Würdigung der Expert*innen-Jury heißt es:
Preis.                                                           „Hier werden erstmals die Folgen einer plötzlichen
                                                                 Aufhebung der Armut durch eine finanzielle Grund-
Soziale Innovation                                               sicherung aus der Sicht des Kindes wissenschaftlich
Die SozialMarie ist der Oscar für soziale Innovati-              aufgezeigt. Das Projekt verknüpft einen experi-
on. Von Beginn an international ausgeschrieben, ist              mentellen Ansatz und konkrete Hilfe mit politischer
die SozialMarie mittlerweile nicht nur in Österreich,            Lobbyarbeit. Die sich über Generationen hinweg
Ungarn, Tschechien, in der Slowakei und in Kroatien              vererbende gesellschaftliche Benachteiligung durch
ausgezeichnet verankert, sondern auch in Slowenien,              Armut soll beendet werden. Der sozial innovative
Deutschland und Polen bekannt. Neben dem Preis-                  Hebel ist einzigartig (und) groß. Die Grundannahmen
geld von 54.000 Euro bietet die SozialMarie Projek-              haben sich bestätigt: Arme Kinder und ihre Familien
ten eine Bühne, die mit neuen Denkansätzen kreative              wissen genau, wofür sie das zusätzliche Geld ausge-
Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen                ben müssen. Die Wirkung tritt rasch ein. Und es ist
geben.                                                           finanzierbar.“
                                                                                                                                 7
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
www.volkshilfe.at                                                                                    ARMUT

„WIR KÖNNEN UNS DAS
GAR NICHT VORSTELLEN“
Die Volkshilfe-Projektleiterin Judith Ranftler über Kinderarmut,
Soziale Arbeit und die Utopie als reale Möglichkeit.
Judith Ranftler leitet das Volkshilfe-Projekt „Kinder-   Erlebnisse, die besonders herausfordernd sind. In der
armut Abschaffen“, das heuer mit der renommierten        Corona-Zeit zum Beispiel das Wissen um ganz enge
SozialMarie ausgezeichnet wurde. Gemeinsam mit           Wohnräume. Wo es für mich manchmal wirklich
ihrer Kollegin Katayun Adib betreut sie österreichweit   schwer vorstellbar ist, wie Familien auf so beengtem
23 Kinder und Jugendliche, die an der Volkshilfe-        Wohnraum zusammenleben können. Das nimmt
Kindergrundsicherung teilnehmen, und arbeitet die        mich schon mit. Ein anderes Beispiel ist auch über
Ergebnisse wissenschaftlich auf. Die 35-Jährige ge-      besondere Belastungen in Familien zu wissen. Wenn
bürtige Niederösterreicherin arbeitet zudem als Do-      es Elternteile gibt, die psychisch krank oder an De-
zentin für Soziale Arbeit an der FH Campus Wien.         pressionen erkrankt sind oder die einfach materiell
                                                         extrem benachteiligt sind. Diese Sorgen im Alltag zu
Magazin für Menschen: Wann wurdest du zu zum             hören und zu wissen und gleichzeitig die Erfahrung
ersten Mal mit Kinderarmut konfrontiert?                 zu haben, dass wir zwar unterstützen können, aber
                                                         dass wir die Armut in Österreich nicht einfach aufhe-
Judith Ranftler: Nach meinem Studium der Sozialen        ben können momentan – das ist schon nimmer wie-
Arbeit habe ich in unterschiedlichen Berufsfeldern       der herausfordernd, diese Machtlosigkeit zu erleben,
gearbeitet. Im Flüchtlingsbereich und in der Kinder-     in ganz konkreten Situationen auszuhalten. Oft habe
und Jugendhilfe. Über diese Arbeit bin ich dann erst     ich das Gefühl, wir können uns das gar nicht vorstel-
auf das Thema Kinderarmut gekommen. Dort war             len, wie sich die eigentliche Situation gestaltet.
das so ein Thema, das mich permanent begleitet und
beschäftigt hat. Ich konnte aber nicht den Hauptfo-      Was bedeutet für dich „Erfolg“?
kus darauf legen.
                                                         Für mich ist es schön zu sehen, dass wir mit unserer
Du erlebst die Härte von Kinderarmut täglich mit –       Idee der Kindergrundsicherung tatsächlich die Le-
wie hält man das aus?                                    benssituation nachhaltig verändern können, so dass
                                                         armutsgefährdete Familien ein Stück weit ihre Le-
Das ist tatsächlich eine Herausforderung, weil wir       benswelt erweitern können. Das ist wirklich ein gro-
sehr nah dran sind und sehr viel wissen. Mit wel-        ßer Erfolg. Zu sehen, dass sich auch die Wünsche und
chen Problemen die Betroffenen zu kämpfen haben          Vorstellungen der Kinder und ihrer Eltern erweitern
usw. Wir versuchen auf unterschiedlichen Ebenen          können, und dass sie über die alltäglichen Herausfor-
zu unterstützen. Gleichzeitig ist es oft auch nur ein    derungen hinaus Pläne schmieden und ihre Zukunft
Tropfen auf den heißen Stein. Es gibt manchmal so        selbst in die Hand nehmen können. Auf der Ebene
8
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
ARMUT

                                                       Judith Ranftler leitet das Volkshilfe-Projekt „Kinderarmut Abschaffen“.

der politischen Arbeit, sehe ich es auch als Erfolg,        Der Idealzustand: Österreich in 10 Jahren?
dass unser Konzept als interessant betrachtet wird
und dass es ein immer größer werdendes Interesse            Klarerweise ist die Kindergrundsicherung dann schon
daran gibt, mehr darüber zu erfahren.                       länger Realität geworden. Vielleicht auch schon eva-
                                                            luiert und verbessert. Und wir arbeiten daran, dass
Worum geht es im Projekt „Kinderarmut Abschaffen“           die Absicherung nicht nur Kinder betrifft, sondern
– in einem Satz?                                            sich insgesamt auf Armutsbetroffene erweitert.

Es geht darum, die Situation von armutsbetroffenen          Und die Kinder aus deinem Projekt in 10 Jahren?
Kindern in Österreich – und da geht es um jedes
fünfte Kind – nachhaltig zu verbessern, um ihnen            Ich glaube, dass das für die Kinder tatsächlich eine
Chancen zu ermöglichen, damit sie ihr Leben selbst          einschneidende Wende in ihrem Leben sein kann. Sie
in die Hand nehmen können.                                  haben durch das Projekt erfahren, wie sich der Aus-
                                                            bruch aus Armut anfühlt. Sie haben Pläne geschmie-
Was sind deine Wünsche an die Politiker*innen?              det, sie haben auch Dinge ausprobieren können. Und
                                                            ich glaube, dass das für sie von essentieller Bedeu-
Ich wünsche mir, dass die politische Arbeit, die wir        tung sein kann und sie auch motiviert, in Zukunft
mit den Ergebnissen des Projekts machen, noch stär-         für armutsbetroffene Menschen einzutreten. Dafür,
ker aufgegriffen wird. Dass es nicht als Utopie abge-       dass Armutsbetroffenheit nicht als etwas gesehen
stempelt, sondern als reale Lösungsmöglichkeit in           wird, woran man selbst schuld ist, sondern worauf
Erwägung gezogen wird.                                      es einfach eine politische Antwort braucht, um diese
                                                            Ungleichheit in Österreich zu beenden.
                                                                                                                            9
MEHR ARMUT? Corona als Brandbeschleuniger - SOZIALBAROMETER KINDERARMUT - Volkshilfe
www.volkshilfe.at                                                                                    ARMUT

SOZIALBAROMETER ARBEIT
Große Mehrheit für bessere Entlohnung im Sozialbereich.

Im Auftrag der Volkshilfe hat das Institut SORA die      lastung, um mehr Menschen für den Sozialbereich zu
Menschen in Österreich über ihre Einstellungen zu        gewinnen“, kommentiert Fenninger das Ergebnis.
einigen aktuellen Themen rund um den Arbeitsmarkt
befragt. „Manche strukturellen Probleme wurden in        Arbeitslosengeld
der Corona-Krise sichtbarer, wie durch eine Lupe         Laut einer aktuellen Studie der Universität Wien, pu-
vergrößert“, so Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger      bliziert von Politologin Barbara Prainsack, berichten
bei der Präsentation der Umfrageergebnisse Ende          vor allem arbeitslose Menschen und Personen in der
April.                                                   Mindestsicherung von einer Zunahme existenzieller
                                                         Ängste. „Dies stellen wir auch bei Kindern fest. Die
Bessere Entlohnung                                       Sorgen und finanziellen Probleme der Eltern werden
Die Krise hat gezeigt, dass eine bessere Entlohnung      zu Ängsten der Kinder“, so Fenninger. Daher hat die
von systemrelevanten Gesundheits- und Sozial-            Volkshilfe gefragt, wie die Menschen zu Bezugssper-
dienstleistungen dringend notwendig ist. Eine große      ren des Arbeitslosengeldes stehen. Die meisten Men-
Mehrheit von 87% der Menschen in Österreich befür-       schen in Österreich (59%) wollen keine Kürzungen
worten das. „Die unterfinanzierte Branche hat sich als   oder Sperren bei den wichtigsten sozialen Absiche-
systemerhaltend und menschenrettend erwiesen, das        rungssystemen, wie dem Arbeitslosengeld oder der
erkennen die Menschen“, so Fenninger.                    Notstandshilfe.

35-Stunden-Woche                                         Mindestlohn
Es stimmen sieben von zehn Befragten der Forderung       Eine große Mehrheit von 87% der österreichischen
nach einer generellen 35-Stunden-Woche zu. „Die          Bevölkerung spricht sich für höhere Mindestlöhne
Belastung für die Beschäftigten ist auch außerhalb       aus. Derzeit liegen viele systemrelevante Branchen
von Krisenzeiten sehr hoch, daher braucht es die Ent-    wie Handel oder Reinigung noch deutlich darunter.
10
ARMUT

Eine Erhöhung der Mindestlöhne würde auch eine          Obwohl dies den Frauen ein leicht größeres Anlie-
bessere Absicherung im Fall einer Arbeitslosigkeit      gen ist (70%), ist auch die Mehrheit der Männer dafür
bringen.                                                (63%).

12-Stunden Tag                                          Soziale Absicherung
Der gegen großen Widerstand eingeführte 12-Stun-        „Zusammenfassend sieht man deutlich, dass sich die
den-Tag stößt in der Bevölkerung auf wenig Zu-          Menschen eine bessere soziale Absicherung wün-
stimmung: Rund 6 von 10 Menschen sprechen sich          schen. Daher erneuere ich meine Forderung nach ei-
dezidiert für seine Abschaffung aus. Die Regelung ist   ner dringenden Anhebung der Nettoersatzrate beim
eindeutig nicht im Sinne der Mehrheit der Arbeitneh-    Arbeitslosengeld auf mindestens 70%, auch über die
merInnen.                                               Krise hinaus. Denn vor allem Niedrigverdiener kön-
                                                        nen vom derzeitigen Arbeitslosengeld nicht leben.
Elternkarenz                                            Und zur Koordinierung der Maßnahmen braucht es
Insgesamt sprechen sich rund zwei Drittel (67%) der     eine Taskforce soziale Sicherung. Denn Wirtschafts-
Menschen in Österreich für eine gleiche Verteilung      rettungsschirme ersetzen keine Menschenrettungs-
der Elternkarenz zwischen den Geschlechtern aus.        ringe“, so Fenninger abschließend.
© migueltamayofotografia/Freepik

                                                                                                           11
www.volkshilfe.at                                                              ARMUT

SYMPOSIUM
Volkshilfe-Tagung zum Thema Kinderarmut und Bildung.
                                 Die Bekämpfung von Kinderarmut in Österreich ist ein
                                 zentrales Anliegen der Volkshilfe. Wir zeigen Wege
                                 auf, wie Österreich das erste Land werden könnte, das
                                 Kinderarmut beendet. Wir stehen dafür, allen Kindern
                                 gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit zu
                                 bieten.

                                 12. Oktober 2020
                                 Dazu veranstalten wir jährlich ein Symposium zum
                                 Thema Kinderarmut. Heuer geht es dabei um den
                                 Zusammenhang von Kinderarmut und Bildung. Die
                                 Veranstaltung findet am 12. Oktober in der Brotfabrik
                                 Wien statt, die Teilnahme ist kostenlos. Wir freuen uns
                                 auf Ihr Kommen!

                                                                < Anmeldung:
                                   Bis zum 30. September 2020 per E-Mail an
                                   veranstaltungen@volkshilfe.at oder per
                                   Telefon unter +43 1 402 62 09.

12
ARMUT

ARBEITSLOSIGKEIT
Erhöhung des Arbeitslosengeldes – Gebot der Stunde!

                                                                                                            © bannafarsai/Freepik
Ende April waren 571.477 Personen in Arbeitslosigkeit     Vermögenssteuern
oder in Schulung. Das sind um 58,2 % Personen mehr        Schon in der Frühphase der Corona-Krise wies die
als im Vorjahr. „Wir müssen jetzt an die Sorgen und       Wissenschaft darauf hin, dass erste Einkommensein-
Nöte dieser hunderttausenden Menschen denken.             bußen im Kontext der Corona-Krise ungleich verteilt
Sie haben Familien, Kinder und wissen nicht, wie es       sind. Haushalte, die bereits zuvor geringe Einkom-
weitergeht. Geringverdiener*innen können von              men hatten, sind deutlich mehr betroffen. Gleichzei-
55 % ihres Gehalts nicht leben, so hoch ist näm-          tig wissen wir, dass die Beiträge von Vermögenden
lich das Arbeitslosengeld. Daher fordern wir erneut       zum Steueraufkommen in Österreich unter dem
dringend eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf         OECD-Schnitt liegen, und zwar an drittletzter Stel-
mindestens 70 % des Letztgehalts. Denn diese Netto-       le. Neben einer einmaligen Solidaritätsabgabe, die
ersatzrate ist in Österreich beschämend niedrig“, so      Soforthilfe leisten kann, darf man auch die Besteue-
Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich.      rung von Vermögen nicht auf später vertagen. Eine
                                                          Schätzung des Aufkommenspotentials unterschied-
Überlebenskrise                                           licher Vermögenssteuermodelle zeigt, dass diese bis
Hinter den Zahlen stehen Menschen, denen nun              zu 8,3 Milliarden Euro jährlich einbringen könnte.
55 % des monatlichen Einkommens fehlen. Denkt             „Wenn sich an unserem Steuersystem nichts ändert,
man daran, dass viele von ihnen Familien haben,           werden die mittleren und niedrigen Einkommen für
erhöht sich die Zahl der Menschen, die nun in Un-         die Krise bezahlen.“ Da derzeit 80 % aus Steuern auf
sicherheit leben noch einmal. „Aus unserer tagtäg-        Arbeitseinkommen und Konsum kommen, werden
lichen Arbeit mit den Menschen vor Ort wissen wir,        die Arbeitnehmer*innen auch den Löwenanteil der
dass die Gesundheitskrise jetzt für einige zur Überle-    Kosten der Krise schultern.
benskrise wird. Wir müssen hinter die Zahlen blicken,
dann sehen wir, wie die Corona-Krise auf die Lebens-      Taskforce soziale Absicherung
lagen der Menschen wirkt. Zum Beispiel unterstützen       Für viele Menschen in unserem Land ist die Gesund-
wir in unserem Kindergrundsicherungsprojekt eine          heitskrise längst zur Überlebenskrise geworden. Da-
Familie mit drei Kindern. Die Mutter ist Alleinerziehe-   her fordert Fenninger erneut eine „Taskforce soziale
rin und kämpfte sich schon vor der Krise mit einem        Absicherung“, um die Bedürfnisse der Menschen im
Job in der Gastronomie durch. Während der Krise ist       Blick zu haben und alle Maßnahmen zu koordinieren,
sie arbeitslos geworden – für die Familie, die vorher     die jenen umfassend und gezielt helfen, die hinter
schon jeden Cent zweimal umgedreht hat, ist das           den Arbeitslosen-Rekordzahlen stehen.
eine Katastrophe“, erzählt Fenninger.
                                                                                                            13
www.volkshilfe.at                                                                            ANZEIGEN

                                                                                                                  Anzeige
           Wir danken den nachfolgenden Firmen und Institutionen für einen Druckkostenbeitrag:
                                                                    HOTEL ALTSTADT VIENNA, 1070 Wien

                       Ihre Agentur wenn‘s um Drucksorten geht.
                                 Preiswert und kompetent!
Anzeige

          Oberberg 128, A-8151 Hitzendorf | Filiale: Römerstraße 8, A-4800 Attnang-Puchheim
          +43 (0)7674.62900.0 | office@diemedienmacher.co.at | www.diemedienmacher.co.at
Anzeige

                                                                                                                  Anzeige

          14
SPENDEN & HILFE

„HALLO, WIR SIND
VON DER VOLKSHILFE“
Volkshilfe-Botschafter*innen leben Solidarität und
sind unterwegs in ganz Österreich.

Die Botschafter*innen der Volkshilfe setzen auf di-       genannt werden, sind Menschen, denen Solidarität
rekte Kommunikation. Sie gehen von Haus zu Haus           wichtig ist und den Menschen in Not helfen wollen.
und informieren viele Menschen nicht nur über die         Man erkennt sie an den roten Volkshilfe-Jacken,
vielfältigen humanitären Hilfsleistungen im Kampf         T-Shirts und dem I-Pad.
gegen Armut, sondern bitten die Bevölkerung um
direkte Mithilfe. Denn es sind die regelmäßigen           Dankeschön!
Spender*innen, die die Arbeit der Volkshilfe dauerhaft    Die Volkshilfe bedankt sich bei all jenen Menschen,
und nachhaltig ermöglichen.                               die Ihre Türe und Ihr Herz schon bisher geöffnet ha-
                                                          ben. Bitte helfen Sie der Volkshilfe auch in Zukunft,
Warum so persönlich?                                      damit wir bestmöglich für die Gesellschaft tätig sein
… weil die Volkshilfe für die Projekte in der Armutsbe-   können.
kämpfung auf private Unterstützer*innen angewiesen
ist, sprechen wir mit den Menschen von Angesicht zu                                    < Weitere Infos:
Angesicht. Fragen wie: Was macht die Volkshilfe kon-        In 2.100 österreichischen Gemeinden gibt es
kret um Menschen zu helfen? Wie werden die Spen-            rund 120.000 gemeinnützige Organisationen, die
den eingesetzt? Welche Angebote gibt es von der             Arbeitgeber für etwa 236.000 Menschen sind.
Volkshilfe? Diese und viele andere Fragen können die        (Von ähnlich großer wirtschaftlicher Bedeutung
Botschafter*innen der Volkshilfe direkt beantworten         ist der gesamte Transport- und Tourismussek-
und so Menschen für die Arbeit der Volkshilfe begeis-       tor.) Spenden und Mitgliedsbeiträge sind für
tern. Auch wenn nicht jeder Kontakt in eine Spende          gemeinnützige Organisationen zur Umsetzung
mündet, ist es dennoch von großer Bedeutung, mit            ihrer gesellschaftlich wichtigen Projekte zentral.
den Menschen ins persönliche Gespräch zu kommen             Unterstützer*innen, die an der Haustüre und auf
und sie um ihre Mithilfe zu bitten. Jede monatliche         öffentlichen Plätzen gewonnen werden, leisten
regelmäßige Unterstützung – und sei sie noch so             damit einen maßgeblichen Beitrag dazu, dass
klein – kann unseren Armutsfonds stetig füllen, so-         die Organisationen ihren wohltätigen Aufga-
dass wir rasch und fast unbürokratisch in der Lage          ben nachgehen können. Schon über 100.000
sind, zu helfen.                                            Österreicher*innen nutzen jährlich diese un-
                                                            mittelbare Form des Spendens. 80% von ihnen
Solidarität                                                 werden langfristige Spender*innen.
Unsere Botschafter*innen, die auch Dialoger*innen
                                                                                                              15
www.volkshilfe.at                                                                       SPENDEN & HILFE

GEBEN MACHT GLÜCKLICH
Vermächtnis für den guten Zweck.

Wer seinen Nachlass geregelt hat, kann mit mehr         „Ohne Musik kann ich mir mein Leben gar nicht
Sicherheit und Gelassenheit in die Zukunft schauen.     vorstellen“, sagt die agile Seniorin. Seit ihr Ehe-
Die meisten von uns wollen auch über das eigene         mann – „Er war eher ein Musical-Fan“ – verstorben
Leben hinaus die eigene Familie und oftmals auch        ist, besitzt die Wienerin ein Abo im Konzerthaus.
enge Freunde abgesichert und gut versorgt wissen.       Die Aufführungen besucht sie gemeinsam mit einer
Zusätzlich entscheiden sich aber immer mehr Men-        Schulfreundin.
schen zu einem Vermächtnis für den guten Zweck.
                                                        Leidenschaft für fremde Länder
Silvia P. lebt Solidarität und Verantwortung            Solange die Corona-bedingten Reise-Einschränkun-
Was von uns bleibt, ist die Erinnerung an unsere Per-   gen andauern, zehrt Silvia P. von ihren Erinnerungen,
sönlichkeit, unser Wirken, unser Umgang mit anderen     etwa an die Städtetrips in Paris und Lissabon, ihren
Menschen und unsere guten Taten. Silvia P. liebt die    Aufenthalt in Israel oder an die Südzypern-Reise im
Sonne – und das Leben. Weil sie möchte, dass es         vergangenen September zusammen mit einer christ-
auch anderen gut geht, widmet sie ihren Nachlass        lichen Reisegruppe: „Dort hat mir alles gefallen, das
benachteiligten Menschen. Silvia P. genießt ihre Pen-   Hotel, die Bootsausflüge an der Küste, die Felshöh-
sion in vollen Zügen: Jeden Tag freut sich die Früh-    len, die freundlichen Leute.“ Ihr Interesse an fremden
aufsteherin über die ersten Sonnenstrahlen am Bal-      Ländern kennt dabei keine Grenzen: „Mich interes-
kon ihrer Wohnung in Wien-Donaustadt. Später hält       siert alles, was ich noch nicht gesehen habe.“ Dass
sich die 69-Jährige auf ihrem Hometrainer fit. Oder     Silvia P. bei all diesen Aktivitäten auch ein großes
sie greift zur Violine – „sehr zum Leidwesen meiner     Herz für andere hat, hängt mit ihrem Weltbild zusam-
Nachbarn“, wie sie nicht ganz ernst feststellt.         men. „Ich bin ein gläubiger Mensch. Und ich denke,
16
SPENDEN & HILFE

wir haben die Erde von Gott anvertraut bekommen,           Wie verfasse ich ein gültiges Testament? Wie viele
damit wir verantwortungsvoll mit ihr umgehen.“ Dazu        Zeugen braucht es für ein fremdhändiges Testament?
gehört für sie, benachteiligten Menschen zu helfen         Wie ist die gesetzliche Erbfolge in Österreich neu
und die Umwelt zu schützen.                                geregelt? Diese Fragen und mehr werden in unserer
                                                           Broschüre beantwortet.
Nachlass für den guten Zweck
Ein besonderes Anliegen sind ihr etwa alleinerziehen-
de Mütter und geflüchtete Menschen. Aus diesem
Grund hat die kinderlose Witwe vor einigen Jahren
ihren Nachlass der „Volkshilfe Solidarität“ und ande-
ren gemeinnützigen Organisationen gewidmet: „Ich
möchte die Welt ein klein wenig besser machen“.
Damit alles seine Richtigkeit hat, und ihr letzter Wille
auch im Testamentsregister aufscheint, zog sie einen
Notar zu Rate. „Es ist ein befreiendes Gefühl, alles
geregelt zu haben. Und ich kann ruhigen Gewissens
verreisen“, freut sich Silva P. Wann sie wieder ihren
Koffer packen kann, steht zwar noch nicht fest. Das
Ziel ihrer nächsten größeren Reise allerdings schon:
„Es soll in den Iran gehen. Das muss ein wunderschö-
nes Land sein.“

Wirken über den Tod hinaus
Und wenn wir fleißig waren und Glück hatten im Le-
ben, bleibt auch etwas Materielles zurück. Das wol-
len wir weitergeben – warum eigentlich nicht auch
etwas davon an eine Organisation, die unsere Vor-
stellung von dem, was uns auf der Welt wichtig ist,
weiterführt. Ein Vermächtnis zugunsten der Volkshil-
fe hinterlässt etwas Nachhaltiges – eine gerechtere
Zukunft für Menschen, die Hilfe bitter nötig haben!
Mit einem Testament für den guten Zweck können
Sie über das eigene Leben hinaus Gutes tun und da-
mit für ein Anliegen, das Ihnen schon zu Lebzeiten                                       < Alle Infos:
wichtig war, weiterwirken.                                   Gerne senden wir Ihnen Ihren persönlichen
                                                             Testaments-Ratgeber kostenlos und unverbind-
Volkshilfe-Broschüre „Zukunft gestalten“                     lich zu. Kostenlos anfordern unter:
Sie haben offene Fragen zum Thema Erbschaft und              E-Mail: renate.ungar@volkshilfe.at
Testament? In unserer Broschüre finden Sie Vorla-            Tel.: +43 (1) 402 62 09
gen zum eigen- und fremdhändigen Testament, eine             Handy: +43 676 83 402 227
Checkliste und eine Vermögensaufstellung als Vorbe-          Web: www.volkshilfe-mein-erbe-hilft.at
reitung für die Erstellung eines Testaments.

                                                                                                            17
18
19
20
SPENDEN & HILFE

20.000 EURO FÜR KINDER IN NOT
Der Wiener Städtische Versicherungsverein unterstützt
armutsbetroffene Kinder in der Krise.

Für viele notleidende Familien und Alleinerziehende

                                                          © Wiener Städtische Versiche-
                                                           rungsverein / Ludwig Schedl
hat sich die ohnehin angespannte Situation durch die
Corona-Krise deutlich verschärft. „Die Schwächsten
unserer Gesellschaft trifft es in Krisenzeiten beson-
ders hart. Deswegen stellen wir zusätzliche 20.000
Euro zur Verfügung, um armutsbetroffene Kinder
und ihre Familien während der Pandemie finanziell
unterstützen zu können“, betont Dr. Günter Geyer,
Vorstandsvorsitzender des Wiener Städtischen Ver-
sicherungsvereins und Hauptaktionär der Vienna
Insurance Group (VIG – Wiener Versicherung Grup-
pe). Damit setzt der VIG-Hauptaktionär zusätzlich zu                                      Dr. Günter Geyer, Vorstandsvorsitzender des
                                                                                              Wiener Städtischen Versicherungsvereins
seiner bestehenden Kooperation mit der Volkshilfe
ein wichtiges Zeichen gegen Kinderarmut in Öster-
reich. „Als langjähriger Partner der Volkshilfe greifen   Viele, die schon vorher nicht viel hatten, sind akut
wir auch in Krisenzeiten bedürftigen Kindern und          von der Krise betroffen, viele Kinder leiden. Diesen
ihren Familien unter die Arme.“                           Familien werden wir helfen. Ich bedanke mich bei
                                                          Vorstandsvorsitzenden Dr. Günter Geyer für die lang-
Herzlichen Dank!                                          jährige und die zusätzliche aktuelle Unterstützung.
Für Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger kommt die         Der Wiener Städtische Versicherungsverein ist ein
Unterstützung zur rechten Zeit: „Die Volkshilfe errei-    Partner, auf den man sich auch in der Krise verlassen
chen sehr viele Ansuchen um Unterstützung.                kann, das ist besonders viel wert. Herzlichen Dank.“

                                                          SPENDEN STATT
                                                          BLUMEN
                                                          In Gedenken an einen geliebten
                                                          Menschen soziale Gerechtigkeit
                                                          fördern.

                                                          Von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen
                                                          ist eine der großen Herausforderungen, die das Le-
                                                          ben an uns stellt. Viele Hinterbliebene finden Trost
                                                          darin, in der Zeit des Abschieds ein Zeichen der Hoff-
                                                          nung zu setzen – im Namen des geliebten Menschen
                                                          etwas Gutes tun und die Erinnerung an sie oder ihn
                                                          auf Dauer zu bewahren. Dank der Kondolenzspenden
                                                          kann die Volkshilfe von Armut betroffenen Menschen
                                                          helfen. Jede Spende – ob groß oder klein – hilft
                                                          Menschen in Not.

                           < Kontakt & Infos:             Um Sie bestmöglich zu unterstützen, übermitteln wir
  E-Mail: renate.ungar@volkshilfe.at                      Ihnen gerne einen Info-Folder bzw. Broschüren der
  Tel: +43 (1) 402 62 09 21                               Volkshilfe oder des erwählten Volkshilfe-Projektes.
  Mobil: +43 (0) 676 834 02 221                           Wenn Sie Fragen haben rufen Sie uns gerne an oder
                                                          schreiben Sie eine E-Mail.
                                                                                                                                  21
www.volkshilfe.at                                                                            ERVOLKSHILFE

EIGENER LADEN
Silvia Bubendorfer arbeitet in der Beratungsstelle „Volkshilfe
perConsult-Arbeitsintegration“ in Salzburg. Sie erzählt die
ErVolksgeschichte des Herrn Dieter.

Herr Dieter ist ein junger Mann mit einer Ausbildung      Auf die Füße stellen
als Medienfachmann. Ein sehr sympathischer Mann.          Doch er hat sich gegen uns auf die Füße gestellt,
Einer Arbeit hatte er psychischer Störungen wegen         gegen alle Expert*innen. Und er fand selbst den rich-
über einen längeren Zeitraum hinweg nicht nachge-         tigen Betrieb, einen, in dem er sich sehr wohl gefühlt
hen können. Als er zu uns kam hat relativ rasch alles     hat. Daraufhin vereinbarten wir, dass er das Probe-
gut ausgesehen. Privat ist mit einer neuen Beziehung      monat macht, aber dann setzen wir uns wieder alle
alles rund gelaufen. Und von den Medikamenten her         zusammen. Es hat super geklappt. Der war gleich mal
war er gut eingestellt. Das Gröbste hat er ohnehin        der Ober-Macher in dem Betrieb. Aber es kam der
selbst geregelt, wir haben strukturiert und ein Gerüst    Punkt, an dem der Klient uns besuchte und meinte,
um ihn herum gebildet, ihm ein paar bürokratische         es reiche ihm, er werde ausgenutzt. Und es gab da
Aufgaben abgenommen und ihn ermuntert, damit er           tatsächlich mehr als fragliche Stundenabrechnungen.
wieder Zugriff auf seinen Mut bekam.
                                                          Selbstständigkeit
Prioritäten setzen                                        Inzwischen hat er sich im Einzelhandel selbstständig
Er hat zu viele Sachen auf einmal vorgehabt, Arbeit       gemacht. Er ist voll eingestiegen. Auf unser Anraten
und neue Wohnung suchen, Führerschein machen              hat er beim AMS eine Förderung zur Unternehmens-
und dies und das. Da haben wir darauf gedrängt Pri-       gründung beantragt, die ihm dank eines guten Kon-
oritäten zu setzen: Schritt eins, Schritt zwei, Schritt   zepts gewährt wurde. Jetzt hat er einen eigenen klei-
drei. Wir haben intensiv mit den anderen Behörden         nen Laden in der Stadt, der gut läuft. Ich glaube die
zusammengearbeitet und geschaut, in welche Rich-          Selbstständigkeit war immer schon sein eigentliches
tung wir ihn unterstützen. Er selbst wollte immer in      Ziel, von dem er aber früher nicht einmal zu träumen
die Werbung zurück, aber der Psychiater und alle          gewagt hatte.
haben gemeint: „Bitte langsam“. Da ist einfach ein
40-Stunden-Job in der Praxis kein 40-Stunden-Job.
22
ERVOLKSHILFE

SICHERHEIT
Senada Dautovic ist Pflegerin in Niederösterreich. Sie erzählt von Ihrer
Klientin Frau Heller, die fast alles alleine kann – wenn jemand da ist.

Frau Heller lebt in einem Dorf hier in der Nähe. Vori-    Lebenswille
ges Jahr habe ich sie kennen gelernt. Vor 10 Jahren       Zehn Jahre nach dem Schlaganfall geht es ihr super.
– jetzt ist sie 85 – hat sie einen Schlaganfall gehabt.   Sie kann reden. Sie kann lesen. Mit ihrem Nachbarn
Einen sehr starken Schlaganfall. Sie ist gelegen und      macht sie Smalltalk auf Türkisch, wenn sie zum Ein-
konnte nicht einmal reden oder lesen. Nix. Zuvor hat      kaufen vorbei geht. Mir hat sie ihre kroatischen Wör-
sie als Dolmetscherin in einem Handelsunternehmen         terbücher gezeigt. Sie will unbedingt kroatisch mit
gearbeitet. Türkisch, jugoslawisch, slowakisch und        mir reden. Sie erinnert sich tatsächlich an alles, die
deutsch. Sie hat ein wunderschönes Haus, das Geld         kroatischen Worte oder die Orte an denen sie war.
ist bei ihr und die Familienangehörigen kümmern           Vor zwei Monaten sagte sie zu mir, jetzt gehen wir
sich.                                                     in den Handarbeitsladen. Da sind wir hin und sie hat
                                                          Garn eingekauft. Jetzt hat sie schon die zweite Decke
Mut                                                       gehäkelt.
Die Frau Heller hat so viel Mut gehabt. Sie hat alleine
wieder angefangen sich zu bewegen. Als es besser          Unterstützung
wurde, hat sie der Doktor zur Therapie geschickt. Da      Sie hat einfach den Lebenswillen. Wir sind dreimal
war sie drei Wochen und schon konnte man Fort-            am Tag bei ihr, aber sie macht alles selbst. In der
schritte beobachten. Damit war sie nicht zufrieden.       Früh helfen wir ihr bei der Körperpflege. Aber nur
Über ihren Sohn hat sie gleich nochmals einen An-         Unterstützung. Auch das Essen müssen wir ihr nur
trag gestellt und nach einem Tag wurde sie erneut in      aufwärmen. Am Abend sind wir da beim Ausziehen.
der Reha aufgenommen. Ich musste lachen, als sie          Sie hat einfach Angst, sie könnte stürzen, weil ihr
mir folgendes erzählt hat: Die anderen Patient*innen      plötzlich schwindlig wird. Unsere Anwesenheit bietet
haben eine Pause gemacht, um Karten zu spielen.           ihr Sicherheit. Sie braucht uns, damit sie alles selbst
Frau Heller ist dann zusätzlich statt einer anderen       machen kann.
Dame in die Bewegungstherapie gegangen und hat
das doppelte Pensum erfüllt. Das ist typisch für sie.
                                                                                                               23
24
THARA

DIE ROMA-COMMUNITY HILFT
THARA leistet rasche Hilfe in der Corona-Krise.
© Freepik

Wie gesellschaftliche Partizipation in Zeiten der     zu einer drohenden Delogierung. Einen Anspruch auf
Corona-Krise aussehen kann, zeigt eine beeindru-      Zuwendungen aus dem Familienhärtefond gab es in
ckende Hilfsaktion der Wiener Roma-Community. Als     diesen Fällen nicht.
exemplarischer Gegenentwurf zu gängigen Stereoty-
pen helfen Roma unabhängig von Geschlecht, Her-       Überforderung
kunft, Hautfarbe und Religion allen Benachteiligten   In einer Zeit wie dieser, in der Unsicherheit und
mit Lebensmittelpaketen und Artikeln des täglichen    Ängste wachsen, benötigt man nicht viel Phantasie
Bedarfs. Gegeben wird jeder Person, die durch die     um sich vorzustellen, wie überfordert Menschen aus
Corona-Krise in existenzbedrohliche Situationen       der Roma Community, die mit marginalen Deutsch-
gebracht wurde.                                       kenntnissen und geringem Bildungsniveau zu
                                                      kämpfen haben, mit digitalisierten Amtswegen sind.
Unkomplizierte Hilfe                                  Online-Anträge zur Arbeitslosenhilfe, Visaverlänge-
Eine Frage, die sich im Zusammenhang damit gestellt   rungen, Online-Wohnsitzmeldungen etc. führen zu
hat, war die Tatsache, dass ausgerechnet die margi-   weitreichenden und folgeschweren Problemen.
nalisierte Gruppe der Roma eine der ersten Hilfsak-
tionen in Wien gestartet hat. Nach umfangreichen      Online-Beratung
Gesprächen mit Unterstützer*innen der Hilfsaktion,    Durch den Ausbau der Online-Beratung während des
hat sich die Vermutung bestätigt: Viele der bereits   Lockdowns konnten gezielt rasche Hilfe in Krisen-
etablierten Roma und Romnja haben nicht verges-       situationen angeboten werden, was auch weiterhin
sen, dass sich Armut und Ausgrenzung einst auch in    ausgebaut werden wird. Es ist zu wünschen, dass die
ihrer eigenen Geschichte niederschrieb. Der Drang,    Solidarität und Empathie mit den Schwächsten in un-
schnelle und unkomplizierte Hilfe zu leisten stand    serer Gesellschaft wächst und gerade in Krisenzeiten
somit im Vordergrund.                                 zeigt, wozu wir als Menschen fähig sind.

Krise trifft die Schwächsten
In der täglichen Arbeit beobachten, dass die                                   < Infos & Kontakt:
Krise die Schwächsten trifft. Konkret bedeu-            THARA Romani Zor!
tet das zum Beispiel, dass viele Arbeitslose und        Arbeitsmarktpolitisches Projekt für Romnja/
Notstandsbezieher*innen ihre geringfügigen Tätig-
keiten verloren haben und ihr Einkommen nun oft-        Roma und Sintize/Sinti
mals nicht ausreichte, um die laufenden Kosten zu       Große Sperlgasse 26, 1020 Wien
decken. Die Frage, ob nun in einem Monat die Miete      Tel.: 01 402 62 09
bezahlt werden soll oder das Geld für Essensvorräte     www.facebook.com/roma.thara
und Medikamente verwendet wird, führte schluss-         www.volkshilfe.at/thara-romani-zor
endlich zu Mietschulden und in einigen Fällen auch
                                                                                                       25
26
PFLEGE
© migueltamayofotografia/Freepik

PFLEGEREFORM
Die seit langem fällige Pflegereform darf nicht wegen
der Corona-Krise verschoben werden.

2020 wurde von der Regierung als Jahr der Pfle-         Betreuungs- und Entlastungsangebote, die Ausrol-
ge ausgerufen. Inklusive großer geplanter Reform        lung der Demenzstrategie und den Rechtsanspruch
in vielen wichtigen Bereichen. Dann kam Corona.         auf Pflege- und Betreuungsleistungen sowie Anwe-
Doch gerade die Krise zeigt, wie wichtig eine rasche    senheitsdienste.
Umsetzung der Forderungen ist. „Ohne eine weitrei-
chende Pflegereform werden wir uns in der nächs-        Pflegereform …
ten Krise nicht mehr auf die Pflege stützen können“,    Eine solch grundlegende Reform des Pflegesektors
mahnt Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Öster-   könne nur mit der Einbindung von Expert*innen ge-
reich.                                                  plant und umgesetzt werden. Bisher habe es seitens
                                                        des Ministeriums noch keinen konkreten Terminvor-
Trotz Corona!                                           schlag für die Einbindung einer solchen Taskforce
Wohlwissend, dass im Gesundheitsministerium             gegeben. „Eine Pflegereform braucht die Erfahrung
derzeit rund um die Uhr an Maßnahmen gegen die          und das Wissen der am Gemeinwohl orientierten
Corona-Krise gearbeitet wird, fordert Fenninger die     freien Trägerorganisationen der mobilen und stati-
angekündigte Pflegereform wie geplant anzuge-           onären Pflege sowie der unterschiedlichen Betreu-
hen. „Die Pflegerinnen und Pfleger, aber auch die       ungsdienstleistungen“, so Fenninger. „Unsere Hand
Gepflegten selbst, haben es sich verdient, dass die     zur Zusammenarbeit ist ausgestreckt.“
lang fällige Pflegereform trotz, oder gerade wegen
Corona, jetzt nicht verschoben wird. Für die Pfle-      … mit Einbindung der Expert*innen
ge gab es kein Homeoffice, Schutzausrüstung war         Die Pandemie zeigt uns, dass gut ausgebildete Fach-
Mangelware. Dennoch haben diese Menschen in den         kräfte im Pflegebereich eine überlebenswichtige
letzten Monaten ihre Arbeit fortgesetzt. Jetzt muss     Ressource sind, die ein System zum Kippen bringen
aus den Danksagungen von Politik und Öffentlichkeit     kann. Pflege ist daher kein Thema, das man auf später
eine nachhaltige Pflegereform werden“, so Fenninger     vertagen darf, warnt auch Ewald Sacher, Präsident
weiter. Die Volkshilfe Österreich fordert seit Jahren   der Volkshilfe Österreich: „Wenn wir nur zehn Jah-
eine grundlegende Reform des Pflegesektors und          re in die Zukunft schauen, braucht Österreich über
bekräftigt einmal mehr die Forderungen nach Ausbau      70.000 Menschen mehr in der Pflege. Worauf wollen
der flächendeckenden, leistbaren (teil-)stationären     wir noch warten?“
                                                                                                          27
www.volkshilfe.at                                                                 MENSCHENRECHTE

#BLACKLIVESMATTER
Demo gegen Rassismus und Polizeigewalt.
Am 4. Juni haben in Wien rund 50.000 Menschen ge-    Zustrom begeistert.
gen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Auch   „Wir sehen, dass Polizeigewalt, Rassismus und Racial
in anderen europäischen Ländern gingen zahlreiche    Profiling auch in Österreich an der Tagesordnung
Menschen der Black-Lives-Matter-Bewegung auf die     stehen“, heißt es im Aufruf zur Kundgebung. „Wir
Straße. Auslöser war der Tod des US-Amerikaners      wehren uns bedingungslos gegen jegliche rassis-
George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minnea-     tische Mobilmachung und jegliches Wording, das
polis. Die Wiener Demo führte vom Platz der Men-     meint, Polizisten hätten aus Notwehr gehandelt!
schenrechte zum Karlsplatz. Die Proteste verliefen   Polizeigewalt gegen People of Color existiert und wir
friedlich, viele Teilnehmer*innen zeigten sich vom   stellen uns laut dagegen!“

28
ASYL
© Murtaza Elham

                        Rund 2.000 Menschen marschierten vom Karlplatz über die Operngasse und den Ring zum Heldenplatz.

WELTFLÜCHTLINGSTAG
Demo für Menschenrechte und Asyl in Wien.
Die Pandemie hat die Schlagzeilen der vergangenen
                                                             © Murtaza Elham

Monate beherrscht. Doch nur, weil das Thema aus
dem Blick der Öffentlichkeit verschwunden ist, än-
dert das leider nichts daran, dass weltweit rund 80
Millionen Menschen auf der Flucht sind. Am 20. Juni,
dem Weltflüchtlingstag, gingen in Wien nun rund
2.000 Menschen auf die Straße, um wieder auf die-
se weltweite Tragödie aufmerksam zu machen. Die
Demo startete am Karlsplatz und führte über Opern-
gasse und Ring zur Schlusskundgebung am Helden-
platz. Die Volkshilfe war mit dabei.
                                                                                   Erich Fenninger bei seiner Demo-Rede.
Menschlichkeit über Populismus!
„Wir dürfen nicht aufhören, auf den Skandal von             nien müssten von einer internationalen Kommission
Moria in Griechenland hinzuweisen, wo Menschen              untersucht werden. „Aufgrund der geschlossenen
im Flüchtlingscamp auf wenigen Quadratmetern ihr            Grenzen schaffen es auch unbegleitete minderjäh-
kümmerliches Dasein fristen müssen und in jeder             rige Flüchtlinge nicht mehr nach Österreich, für sie
Hinsicht schlecht versorgt sind“, sagt Volkshilfe-          ist die Situation noch dramatischer. Daher braucht es
Direktor Erich Fenninger. Dass Österreich nicht             eine gezielte Aufnahme der Kinder und Jugendlichen
bereit sei, zumindest Kinder und Jugendliche aus            nach Österreich.“
dieser Hölle zu befreien werfe international ein sehr
schlechtes Licht auf unser Land. „Ich appelliere noch       Einsatz für Solidarität
einmal an die Bundesregierung, Menschlichkeit über          Die Volkshilfe ist seit Jahrzehnten in der Betreuung
Populismus zu stellen und sich an den internationa-         und Unterstützung von Flüchtlingen in Österreich
len Aktivitäten zur Evakuierung von Moria zu beteili-       aktiv, vor allem in Oberösterreich und in Wien. Aber
gen“, so Fenninger.                                         auch in internationalen Projekten wie im Libanon
                                                            oder in der Ukraine werden schutzsuchende Men-
Aufnahme geflüchteter Kinder                                schen von der Volkshilfe betreut, die aus ihrer Hei-
Auch die Situation von geflüchteten Menschen                mat fliehen mussten. Der Einsatz für Solidarität mit
in Kroatien verdiene mehr Aufmerksamkeit. „Das              allen Menschen in Not sei die Gründungs-DNA der
Zurückschieben von Menschen, oft mit brutaler               Volkshilfe, so Fenninger. „Wir müssen die enorme
Polizeigewalt, verstößt eindeutig gegen geltendes           Ungleichheit in der Welt bekämpfen, denn damit
europäisches Recht und darf nicht einfach hinge-            werden auch die Fluchtursachen bekämpft. Und wir
nommen werden“, sagt Fenninger. Die von Amnesty             brauchen mehr internationale Gerechtigkeit, damit
aufgezeigten Gewaltaktionen an der Grenze zu Bos-           alle Menschen in Frieden und Freiheit leben können.“
                                                                                                                     29
30
Anzeige

31
     Anzeige   Anzeige
Österreichische Post AG / P.b.b, GZ 05Z036106 S
Erscheinungsort, Verlagspostamt 4800 Attnang-Puchheim - Titel: Volkshilfe
Retouren an Postfach 555, 1008 Wien

                                                                            Anzeige
                                                                            Anzeige
Sie können auch lesen