Military Power Revue der Schweizer Armee de l'Armée suisse of the Swiss Armed Forces - ETH Zürich
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Herausgeber: Chef der Armee Nr. 2 / 2016 Beilage zur ASMZ 12 / 16 und RMS 6 / 16 Military Power Revue der Schweizer Armee de l’Armée suisse of the Swiss Armed Forces
Der Chef der Armee ist Herausgeber der Herstellung: Redaktionskommission: Military Power Revue. Zentrum elektronische Medien ZEM, Divisionär Urs Gerber Stauffacherstrasse 65 / 14 Chefredaktor MILITARY POWER REVUE Die Military Power Revue erscheint zweimal 3003 Bern jährlich (Ende Mai und Ende November). 058 464 65 00 Oberst i Gst Daniel Krauer Leiter Militärdoktrin Die hier dargelegten Analysen, Meinungen, Druck: (Armeestab) Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind galledia ag ausschliesslich die Ansichten der Autoren. Burgauerstrasse 50, Oberst i Gst Stephan Kuhnen Sie stellen nicht notwendigerweise den Stand- 9230 Flawil Chef Heeresdoktrin und Redaktor Bereich Heer punkt des Eidgenössischen Departementes Tel. 058 344 96 96 für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Oberst i Gst Wolfgang Hoz (VBS) oder einer anderen Organisation dar. Chefredaktion Military Power Revue: Chef Doktrin, Luftwaffe und Redaktor Bereich Divisionär Urs Gerber Luftwaffe Die Artikel der Military Power Revue können EDA-Kuriersektion unter Angabe der Quelle frei kopiert und wieder- Panmunjom – Korea gegeben werden. Ausnahmen gelten dort, wo 3003 Bern explizit etwas anderes gesagt wird. Tel. +82 503 334 83 07 E-Mail: urs.gerber@vtg.admin.ch Die Military Power Revue ist Beiheft der Allgemeinen Militärzeitschrift ASMZ und der Chefredaktion ASMZ: Revue Militaire Suisse (RMS). Divisionär Andreas Bölsterli Verlag: ASMZ, Brunnenstrasse 7, 8604 Volketswil. Verlag ASMZ Brunnenstr. 7 8604 Volketswil Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 5 Daniel Krauer, Anita Noli-Kilchenmann Im Fokus: Die Bereitschaft der künftigen Schweizer Armee 24 Jean-Marc Halter, Hanspeter Aellig Ausbildungskonzeption der Zukunft 38 Daniel Baumgartner 20 Jahre Schweizer Beteiligung an der Partnerschaft für den F rieden 49 und ihr Nutzen für die WEA Ueli Lang, Michael Freudweiler und Guido Mülhaupt Bereitschaft von Kampfflugzeugflotten 57 Peter Bruns Contexte international et r enseignement militaire 68 Alain Vuitel Klimawandel und schwindende Ressourcen – 73 interagierende Bedrohungen mit Folgen für die Streitkräfteentwicklung Martin Krummenacher, Daniel Krauer Kommentar85 Buchbesprechungen 87 Titelbild Die WEA misst der Verbesserung der Kaderausbildung hohe Bedeutung zu. (© VBS/DDPS)
Vorwort 3 Vorwort Geschätzte Leserinnen und Leser der «Military Power Revue» Zuerst einmal gratuliere ich Divisionär Philippe Rebord Der Artikel «Militärdoktrin» berücksichtigt insbesondere ganz herzlich zu seiner Ernennung durch den Bundesrat auch die erweiterte Auslegung des Verteidigungsbegrif- zum künftigen Chef der Armee. Ab dem 1. Januar 2017 fes. So muss dieser heute auf eine Kategorie von Bedro- wird er die Pflicht und das Privileg haben, unsere Milizar- hungen ausgerichtet werden, die nicht durch einen ab- mee und damit unsere Bürgerinnen und Bürger in Uniform rupten, sondern durch einen kontinuierlichen Übergang zu führen. Er wird dabei auf jenen soliden Grundlagen auf- in den Verteidigungsfall charakterisiert ist. Letztlich geht bauen können, an denen er bereits seit mehreren Jahren es darum zu entscheiden, wann es sich (noch) um einen als Mitglied der Armeeführung mitgearbeitet hat. Die Wei- subsidiären Einsatz handelt und ab wann ein Engagement chen, Sie wissen es, wurden vom Parlament mit der beauf- zu einem Armeeeinsatz im Rahmen der originären Vertei- tragten Weiterentwicklung der Armee (WEA) und dem da- digungsaufgabe wird. Die Armee muss also in der Lage zugehörigen Budget sehr deutlich gestellt. sein, sowohl auf reguläre (staatliche) als auch auf irregu- läre (nicht-staatliche) Akteure reagieren zu können. Neh- Die aktuelle Nummer der «Military Power Revue» («MPR») men Sie das Beispiel der Abwehr einer hybriden Bedro- steht im Zeichen der WEA; es ist in der Tat so, dass wir hung. Eine solche erfordert ein enges Zusammenwirken einen erheblichen Teil unserer Arbeitszeit dafür aufwen- aller zivilen und militärischen Organe. Es ist also unab- den, die bestmöglichen Voraussetzungen für die Umset- dingbar, mit sämtlichen Partnern des Sicherheitsverbun- zung der WEA zu schaffen. Diese Voraussetzungen werden des Schweiz hinsichtlich Aufgaben und Zuständigkeiten aber auch durch unser tägliches Wirken in Schulen und einen tragfähigen Grundkonsens zu finden. Kursen geschaffen. Intensive, zielgerichtete Arbeit von uns allen sorgt nicht zuletzt für Kontinuität und schafft damit Schliesslich zeigt der Artikel über den Militärischen Nach- das für die Umsetzung der WEA notwendige Vertrauen. richtendienst (MND) auf, dass sich das internationale Si- cherheitsumfeld in den vergangenen Jahren rapide ent- Lesenswerte Artikel beleuchten die Themen Bereitschaft, wickelt und verschlechtert hat. Und es ist klar, dass die Ausbildungskonzeption, Militärdoktrin 17 und die Arbeit Qualität der Erkenntnisse des MND letztlich dazu beiträgt, des Militärischen Nachrichtendienstes im internationalen dass wir heute und morgen die richtigen Schlüsse ziehen Kontext. Gerade die Bereitschaft der künftigen Schweizer – in Bezug auf Bereitschaft, Ausbildung, Doktrin und Aus- Armee ist ein zentraler kritischer Erfolgsfaktor für die er- rüstung. Auch das ist ein kritischer Erfolgsfaktor. Ich wün- folgreiche Umsetzung. Im Rahmen der Bereitschaft sind sche Ihnen eine spannende Lektüre! System, Planung und Fähigkeit zur Mobilmachung inklu- sive der dazugehörenden führungsmässigen und materi- Mit der Ernennung zum Chef der Armee wird Divisionär ellen Vorbereitungen entscheidend dafür, dass die Armee Philippe Rebord ab dem 1. Januar 2017 auch als Heraus- die nötige Einsatzfähigkeit erlangt. geber der «Military Power Revue» amten. Ich freue mich, wenn Sie der «MPR» in Zukunft auch weiterhin Ihre ge- Die Teilstrategie Ausbildung wiederum schafft für sämtli- schätzte Aufmerksamkeit schenken. che Bereiche günstige Voraussetzungen, damit die Ausbil- dung effizient und wo erforderlich einheitlich umgesetzt Ihnen danke ich für Ihr Interesse sowie die Unterstützung wird. Dabei wird das Prinzip der Auftragstaktik nicht in unserer Milizarmee – für Sicherheit und Freiheit. Frage gestellt. Konkret hat die Armeeführung zehn Leitli- nien erarbeitet, welche die Stossrichtung der Ausbildungs- Mit den besten Wünschen und Grüssen, strategie WEA darstellen. Dazu kommen verschiedenen Massnahmen zur Steigerung der Attraktivität der militä- rischen Ausbildung. Diesbezüglich dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, wollen wir punkto qua- litativ und quantitativ genügendem Kadernachwuchs Er- Chef der Armee folg haben. KKdt André Blattmann Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
4 Editorial Editorial Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Military Power Review An dieser Stelle möchte ich mich beim scheidenden Chef internationalen Kooperation ist nicht überall und jederzeit der Armee, Korpskommandant André Blattmann, ganz auf grosse Begeisterung gestossen, hat sich aber insbeson- herzlich für seine über achtjährige Unterstützung und sei- dere auch für die Armee im Rahmen ihrer Möglichkeiten nen persönlichen Einsatz als Herausgeber der «Military als nützlich und sinnvoll erwiesen. Darauf aufbauend zeigt Power Review» bedanken. Er hat sich nicht nur nachhaltig der Beitrag in dieser Nummer auf, dass sich auch im Rah- für «seine» Publikation eingesetzt, sondern hat auch aktiv men der Umsetzung der WEA bestehende und zusätzliche Einfluss genommen, dass für ihn wichtige Themen oder Kooperationsmöglichkeiten ergeben, welche die Schwei- Messages über die MPR an ein interessiertes Publikum ver- zer Armee nutzen kann, aber nicht muss. breitet worden sind. Gerade auch die vorliegende Ausgabe hat in seiner Thematik einem klar geäusserten Wunsch Die tragischen Ereignisse der Schweizer Luftwaffe in des Herausgebers Blattmann entsprochen. Er hätte sich jüngster Zeit sind uns leider noch stark präsent. Dabei sind natürlich gewünscht, dass die Weiterentwicklung der Ar- auch immer wieder Fragen der Verfügbarkeit bei offen- mee (WEA) in einer der früheren Ausgaben hätte darge- sichtlich sinkendem Gesamtbestand aufgekommen. Zu- stellt werden können. Bekanntlich haben aber dann die dem sind die Arbeiten für die nächste Ersatzbeschaffung etwas länger als geplant anhaltende parlamentarische durch den Vorsteher des VBS bereits ausgelöst worden. Vor Debatte und das für geraume Zeit als möglich erachtete diesem Hintergrund zeigt der Artikel zur Flottenverfüg- Referendum dazu den Zeitpunkt hinausgeschoben. barkeit des FA/-18 nicht nur interessante und relevante Erkenntnisse zum IST-Zustand, sondern vermag auch ge- Rückblickend kann man aber durchaus sagen, dass sich wisse Hinweise zu den Herausforderungen der Zukunft der Einsatz und die Geduld auf allen Stufen gelohnt haben. darzustellen. Letztere werden ohne Zweifel auch in kom- Die klaren Entscheide des Parlaments und das Nichtzu- menden Ausgaben der MPR thematisiert werden. standekommen des Referendums können als klar positive Voten für das vorliegende Gesamtpaket der WEA gewertet Mit dem Sicherheitspolitischen Bericht 2016 erhalten auch werden. Dass der Chef der Armee darin eine entscheidende Herausforderungen mehr Platz, welche im klassischen Schlüsselrolle bezüglich inhaltlicher Schwergewichte wie Verständnis nicht als militärisch relevante Bedrohungen auch an der immer wichtigeren Schnittstelle zwischen Ar- perzipiert werden. Auch der Ausblick der Herausforderun- mee und Politik eingenommen hat, ist undiskutabel. gen des Artikels zur Bedrohung weist darauf hin. Der Bei- trag zum Klimawandel und schwindenden Ressourcen Es freut mich deshalb ganz besonders, dass die letzte MPR zeigt einerseits den erweiterten Beurteilungskontext auf für Korpskommandant Blattmann als Herausgeber die und verweist auf mittel- bis langfristige negative wie auch WEA als das wohl komplexeste und auch erfolgreiche Pro- möglicherweise positive Implikationen auf die Streitkräf- jekt in seiner Amtszeit als Chef der Armee als Schwerge- teentwicklung hin. Eine zeitgerechte Bewusstseinsbildung wichtsthema aufnehmen und quasi aus Sicht der Armee- scheint nicht erst seit der Sicherheitsverbundsübung 14 führung in seinen wichtigsten Bereichen einem weiteren (SVU 14) angezeigt. Publikum zugänglich machen kann. Zum Schluss möchte ich es nicht unterlassen, den Chef der Der Begriff «Armeeführung» ist hier sicher nicht zu hoch Armee ab 10.01.2017, Divisionär Philippe Rebord, herzlich gegriffen, stammen doch die Beiträge zur WEA ganz oder als neuen Herausgeber der MPR zu begrüssen. Ich freue teilweise aus der Feder der für das entsprechende Projekt mich auf eine zielgerichtete und konstruktive Zusammen- zuständige Mitglied der Armeeführung oder ist wie im Be- arbeit und auf seine Unterstützung. reich Doktrin durch den Chef des Armeestabs eng beglei- tet worden. Dies ermöglicht es Ihnen, sehr geehrte Lese- In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, geschätzte Leserin- rinnen und Leser, einen Einblick im wahrsten Sinne «aus nen und Leser, eine anregende und hoffentlich interes- erster Hand» zu erhalten. sante Lektüre und freue mich auf allfällige Rückäusserun- gen und Anregungen. Die von der Projetleitung ausgewählten vier Schlüsselbe- reiche Bedrohung, Doktrin, Bereitschaft und Ausbildung Mit freundlichen Grüssen sind vom CdA in seinem Vorwort bereits aufgenommen Der Chefredaktor der Military Power Review und eingeführt worden. Dem gibt es nichts beizufügen. 2016 ist es 20 Jahre her, dass die Schweiz der Partner- schaft für den Frieden (PfP) der NATO beigetreten ist. Diese sicherheitspolitische und militärische Plattform der Divisionär Urs Gerber Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 5 Die Militärdoktrin 17 (MD 17) Im Rahmen des Projektes «Weiterentwicklung der Armee » wurde die Militärdoktrin grundlegend überarbeitet und die Konzepte den künftigen Herausforderungen angepasst. Die Publikation wurde durch ein Autorenkollektiv 1 des Bereichs Militärdoktrin und den Doktrin-Chefs der Sphärenverantwortlichen DU CdA ausgearbeitet und abgestimmt. Zentrale Aspekte der Militärdoktrin 17 wurden bereits in verschiedenen anderen MPR- Artikeln behandelt 2. Der vorliegende Artikel ergänzt die vorgängigen Artikel bezüglich der Aspekte der hybriden Bedrohung, der Operationssphären und der fähigkeitsorientierten Streitkräfteentwicklung. Ein besonderes Augenmerk wird der erweiterten Auslegung des Verteidigungsbegriffs gewidmet. Daniel Krauer, Anita Noli-Kilchenmann 12 Einleitung Die Militärdoktrin liefert fundamentale Prinzipien, nach die Weiterentwicklung der Armee, indem sie – unter Be- denen die Armee oder Teile davon ihre Aufgaben zur Er- rücksichtigung der Rahmenbedingungen – vorgibt, wel- reichung der sicherheitspolitischen und militärstrategi- che Fähigkeiten zur Erreichung der langfristig angelegten schen Ziele erfüllen sollen. Diese Prinzipien sind bindend, Ziele aufgebaut, erhalten oder abgebaut werden müssen. bedürfen aber in der praktischen Umsetzung der situati- Die Militärdoktrin beschreibt jedoch nicht, welche Sys- ven Überprüfung. teme die Armee dazu benötigt, sondern über welche ope- rationellen Fähigkeiten die Armee verfügen muss. Die Mi- Die Bundesverfassung und weitere Rechtsgrundlagen so- litärdoktrin liefert Vorgaben für die Doktringrundlagen der wie der Sicherheitspolitische Bericht bilden die Basis, aus Operationssphären, die Einsatzverfahren, die Operations- welcher die Militärdoktrin abgeleitet wird. Weiter beein- und Einsatzkonzepte, die Ausbildung, das Material und flussen die Antizipation, die Technologieentwicklung, das viele weitere Bereiche. aktuelle sicherheitspolitische Umfeld, die daraus abgelei- tete Sicherheitspolitik und die vorhandenen Ressourcen Die «Militärdoktrin 17 – Doktringrundlagen der Armee» die Doktrinentwicklung. Die Militärdoktrin beschreibt bilden den militärstrategisch-operativen Rahmen für die letztendlich, wie die Armee die Aufgaben 3 Doktringrundlagen Nachrichtendienst, Luft, Boden, Elek- tromagnetischer und Cyber-Raum. Zusammen sind die –– Verteidigung, Doktringrundlagen als «Militärdoktrin 17» die Basis für –– Wahrung der Lufthoheit, die Ableitung der Operationellen Fähigkeiten. –– Unterstützung der zivilen Behörden und –– Friedensförderung Die Militärdoktrin liefert Vorgaben für die erfüllt und welche Fähigkeiten dazu notwendig sind, d. h. Doktringrundlagen der Operationssphären, die was die Armee können muss. Dabei hat die Militärdoktrin eine zweiteilige Aufgabe: einerseits beschreibt sie im Hier Einsatzverfahren, die Operations- und Einsatz- und Heute, wie die aktuell vorhandenen Mittel eingesetzt konzepte, die Ausbildung, das Material und werden, andererseits wird sie zum treibenden Faktor für viele weitere Bereiche. 1 Oberstlt i Gst Thomas Dal Pian, Dr. Martin Krummenacher, Wilfried Düggelin, Marc-André Ryter. 2 Siehe: MPR 1/2013: Doctrine de l’Armée: état des travaux et perspectives; Col Rahmenbedingungen EMG Sylvain Curtenaz, Col EMG Laurent Currit, Lt col EMG Christian Lanz, Dr. David Rieder et Lt col EMG Christoph Abegglen; MPR 1/2013 Seiten 27–38. Die Schweiz liegt in militärischer Hinsicht inmitten ei- MPR 2/2013: Militärdoktrin der Schweizer Armee: Stand der Arbeiten und ner der sichersten Regionen der Welt. Gegenwärtig ist Perspektiven; Col EMG Sylvain Curtenaz, Col EMG Laurent Currit, Lt col EMG Christian Lanz, Dr. David Rieder und Oberstlt i Gst Christoph Abegglen; MPR eine militärische Bedrohung der Schweiz durch reguläre 2/2013 Seiten 53–63. Streitkräfte wenig wahrscheinlich – unabhängig davon, MPR 2/2015: Verteidigung und Unterstützung der zivilen Behörden – Armee- aufgaben im Wandel der Zeit; Dr. Martin Krummenacher, Col EMG Laurent ob diese direkt gegen das Land gerichtet wäre oder indi- Currit; MPR 2/2015 Seiten 6–14. rekt erfolgen könnte, z. B. als Folge bewaffneter Konflikte 3 Aufgaben gemäss dem Militärgesetz MG Art 1 (NEU per 01.01.2018). Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
6 Die Militärdoktrin 17 (MD 17) mil strat Militärdoktrin 17 Doktringrundlagen der Armee operativ Militärdoktrin 17 Militärdoktrin 17 Militärdoktrin 17 Militärdoktrin 17 Militärdoktrin 17 DG ND DG Luft DG Boden DG Em Rm DG Cyber Rm taktisch Abb. 1 Architektur der Militärdoktrin 17 (Militärdoktrin/ASTAB). Weltall Weltraum Raum Elektromagnetischer Luft Luft Informationsraum Elektromagnetischer Raum Cyber Raum Boden Boden Maritimer Raum Abb. 2 Die Operationssphären Weltraum, Luft, Boden, Maritimer Raum, Elektromagnetischer Raum, Cyber-Raum und Informations- raum (Militärdoktrin/ASTAB, Prinzipdarstellung) innerhalb oder zwischen anderen Staaten. Dennoch darf pol B 2016) 4 auch Auswirkungen auf die Schweiz. Verun- die Möglichkeit eines bewaffneten Konfliktes wegen den sicherung entsteht somit nicht alleine aufgrund der ter- vorhandenen Potentialen und der enormen Konsequen- roristischen Bedrohung und der zunehmenden Migration. zen für die Schweiz nicht ignoriert werden. Im Falle eines Auch das Verhältnis zwischen Russland und Westeuropa bewaffneten Angriffs ist die Armee das entscheidende si- und die Risiken im Cyber-Raum verunsichern die Bevöl- cherheitspolitische Instrument. kerung. Das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz wird von Globalisierung, Urbanisierung und die zunehmende Vernet- Faktoren bestimmt, die an Vielfalt, Komplexität und ge- zung von Dienstleistungen aller Art machen moderne Ge- genseitigen Interaktionen zugenommen haben und sich sellschaften wie diejenige der Schweiz stark von kritischen stetig verändern. Die Veränderungen in jüngster Zeit ha- ben gemäss dem Sicherheitspolitischen Bericht 2016 (Si- 4 Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom 24.08.2016; Sipol B 2016. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 7 Infrastrukturen abhängig, insbesondere im Energiebereich, ten und wurde deshalb im Sicherheitspolitischen Bericht wo bereits eine grosse Abhängigkeit vom Ausland besteht. 2010 fallengelassen. Im Rahmen der Weiterentwicklung Deren Funktionieren ist zunehmend gefährdet u.a. durch der Armee soll nun generell auf die Festlegung vordefinier- Naturkatastrophen und Notlagen. Dies stellt den Sicher- ter Operationstypen verzichtet werden. Operationen sind heitsverbund Schweiz (SVS) vor grosse Herausforderungen. charakterisiert als Kombination unterschiedlicher takti- scher Handlungen. Ihre konkrete Ausprägung ist abhän- Die Schweiz ist ein wichtiges Durchgangsland sowohl für gig von den zu bewältigenden Bedrohungen und Gefahren, den Strassen- und Schienenverkehr als auch den Luftver- von den zu erreichenden militärstrategischen und operati- kehr. Entlang der Hauptverkehrsachsen lebt und arbeitet ven Zielen sowie den von der politischen Stufe vorgegebe- der überwiegende Teil der Bevölkerung. Bei Armeeeinsät- nen Einsatzregeln. Aufgrund dieser Parameter besitzt jede zen in diesen urbanen Räumen muss deshalb eine Vielzahl Operation einen spezifischen Charakter, der sich nicht in von Akteuren, die Zivilbevölkerung, die Wirkung der Me- vordefinierte Typen fassen lässt, sondern sich in Aktionen dien und die Komplexität der rechtlichen Lage beachtet in verschiedenen Operationssphären wiederspiegelt. werden. Das Landes- und das Völkerrecht bilden Grund- lage und Schranke für das Handeln (Legalitätsprinzip) der Doktringrundlagen der Operationssphären und Schweizer Armee. Im Konfliktfall kommt zusätzlich das des Nachrichtendienstes Kriegsvölkerrecht zum Tragen. Operationssphären 5 beinhalten u.a. Operationsräume 6 in oder aus welchen Streitkräfte Wirkung erzielen. Die ope- Weiter bilden die Transformation der Streitkräfte (Trend, rativen Faktoren Kraft, Zeit und Information spielen eine für den konkreten Einsatz gegliederte Verbände anstelle ebenso grosse Rolle in den Operationssphären wie Planung von artreinen Truppengattungsverbänden zusammenzu- und Unterstützung. Zudem haben die Operationssphären stellen; Aktionen in allen Operationssphären) und die Ent- einen grossen Einfluss auf die Streitkräfteentwicklung. wicklungen im Bereich der Technologie (Technologiescan- ning und Technologiemonitoring) Rahmenbedingungen Militärische Operationen spielen sich nicht nur am Boden für die Doktrinentwicklung. Technologie und Militärdokt- oder in der Luft ab. Immer mehr an Bedeutung gewinnen rin stehen in einem engen wechselseitigen Verhältnis, eine u.a. aufgrund der hybriden Bedrohung der Elektromagne- technologische «Revolution» führte meist auch zu wesent- tische, der Weltraum, der Cyber- und der Informations- lichen Anpassungen der Militärdoktrin. Während die Dok- raum. In modernen Konflikten finden Aktionen gleichzei- trin aufzeigt, wie Streitkräfte eingesetzt werden, zeigt die tig in all diesen Operationssphären statt. Technologie Lösungen auf, womit, d. h. mit welchen Mit- teln sie dies tun können. Diese Tatsache ist keineswegs neu, trotzdem hat die Militärdoktrin der Schweizer Armee Eine integrale, streitkräftegemeinsame in den vergangenen Jahrzehnten tiefgreifende Verände- (international «joint») räumlich-zeitliche rungen erfahren. Synchronisation und Koordination von Rückblick Sensoren und Effektoren in allen Operations- Die sogenannte «Abwehr»-Doktrin der Armee 61 war sphären ist deshalb eine unabdingbare durch ein flächendeckendes, sich über das gesamte Staats- Voraussetzung für jegliche erfolgreiche gebiet der Schweiz ausbreitendes Verteidigungsdisposi- tiv charakterisiert. Die Infanterie hatte die Aufgabe, Stütz- militärische Operationsführung. punkte zu halten und Engnisse zu sperren, während me- chanisierte Kräfte Gegenschläge gegen durchgebrochene Nicht alle diese Räume sind für die Schweizer Armee auch Gegner führen sollten. Das Ziel bestand in der Abnützung als aktive Wirkungsräume von Bedeutung. Wird jedoch eines zahlenmässig überlegenen Gegners auf dem ganzen vom Gegner daraus Wirkung erzielt, so ist die Schweizer Staatsgebiet. Mit der Armee 95 fand im Bereich der Ver- Armee direkt oder zumindest indirekt von diesen Wir- teidigung ein Umdenken hin zur dynamischen Raumver- kungen betroffen, auch ohne dass sie selber in ihnen tätig teidigung statt; dies, u.a. als Folge der Reduktion des Ar- würde. 7 Die meisten Operationssphären überschneiden meebestandes und der veränderten sicherheitspolitischen sich gegenseitig und stehen in Wechselwirkung zueinan- Lage nach der strategischen Wende von 1989. Neue Auf- der. Eine integrale, streitkräftegemeinsame 8 (internatio- gaben wie beispielsweise operative Sicherungs- und Exis- nal «joint») räumlich-zeitliche Synchronisation und Ko- tenzsicherungsaufgaben kamen hinzu. ordination von Sensoren und Effektoren in allen Operati- Im Rahmen der Weiterentwicklung der Armee 5 Operationssphäre: In der Streitkräfteentwicklung spricht man vom Modellan- satz der Operationssphäre, wobei Operationssphären mehrere Faktoren be- soll nun generell auf die Festlegung vordefi- inhalten: Operationsräume, Kraft, Zeit, Planung, Entwicklung, Information und Unterstützung. nierter Operationstypen verzichtet werden. 6 Operationsraum: Ein Operationsraum ist ein Raum, in dem Streitkräfte Akti- onen durchführen können. 7 Der maritime Raum ist für die Schweiz von untergeordneter Bedeutung. Der Einsatz seegestützter Lenkwaffen ab Schiffen ist für die Schweiz eine Bedro- Das breite Spektrum von Bedrohungen und Gefahren hung aus dem Luftraum. Man beachte, dass die Landesgrenze der Schweiz führte in der Armee XXI zur Unterscheidung verschiede- lediglich 180 Kilometer Luftlinie vom Golf von Genua entfernt liegt. 8 Streitkräftegemeinsame Aktionen sind das auf ein einheitliches Ziel ausge- ner Operationstypen wie Verteidigungs-, Raumsicherungs-, richtete, zeitlich und räumlich abgestimmte, sich gegenseitig ergänzende und unterstützende Zusammenwirken von mindestens zwei Teilen der Streit- Existenzsicherungs- und Friedensförderungsoperation. kräfte auf operativer Stufe. Teile der Streitkräfte sind das Heer, die Luftwaffe, Der Operationstyp Raumsicherung war von jeher umstrit- die Logistikbasis der Armee und die Führungsunterstützungsbasis der Armee. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
8 Die Militärdoktrin 17 (MD 17) onssphären ist deshalb eine unabdingbare Voraussetzung für jegliche erfolgreiche militärische Operationsführung. Doktringrundlagen Nachrichtendienst 9 2009 hat das Parlament den Nachrichtendienst auf Bun- desebene neu geregelt. Die zivilen Nachrichtendienste Aufgaben des Nachrichtendienstes wurden im Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zusam- mengefasst. Beim Militär wurde mit dem Nachrichten- ND im F ührungsprozess ND Produkte und Leistungen dienst der Armee (NDA) 10 erstmals eine Gesamtorganisa- tion geschaffen, welche von der Stufe Truppe bis zum Mi- ND ND Organe und Mittel Prozesse litärischen Nachrichtendienst (MND) der Armeeführung reicht, sowie Sensoren und Nachrichtenzentren unter ei- NDOrgane ND Bereichsordnung und Mittel nem Dach vereinigt. Die Armee hat die Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit sowie die Nachvollziehbarkeit ND NDGrundtätigkeiten Organisation aller nachrichtendienstlichen Aktivitäten sicherzustellen; das Parlament hat dies entsprechend unterstrichen. Die neue ND Doktrin legt im Gesamtrahmen von Politik, Rechtsetzung, Kultur, Strategie, Mittelansatz, Armeeauf- trag und Armeekonfiguration fest, wie die Armee aktuell Abb. 3 Der Würfel der Nachrichtendienstdoktrin (MND/FST A) und in Zukunft Nachrichtendienst zu betreiben hat. Die ND Doktrin identifiziert die Leistungsanforderungen an den Nachrichtendienst, definiert Standardprodukte, Dank den technischen Fortschritten bringt die neue ND legt fest, mit welchen Prozessen diese erstellt werden, wel- Doktrin die früher getrennt eingesetzten Sensoren für La- che Mittel dafür zum Einsatz kommen und wie diese or- geaufklärung und Zielaufklärung zusammen und bringt ganisiert werden. sie nun polyvalent für die Überwachung, die Aufklärung und Erkundung sowie die Zielortung und Zielverfolgung Das Ziel der ND Doktrin ist es, den Nachrichtendienst so zum Einsatz. aufzustellen, dass er effizient und im Falle einer Mobili- sierung von Truppen, aus dem Stand seine Leistungen Der Nachrichtenverbund als organisations- und hierar- zugunsten der Führung mit der geforderten Qualität und chieübergreifendes Netzwerk des Nachrichtendienstes über den notwendigen Zeitraum erbringen kann. bleibt ein schweizerischer Ansatz zur Kompensation recht- licher, materieller, personeller und ausbildungsmässiger Nachrichtendienst ist heute eine entscheidende Vorausset- Einschränkungen. In der normalen Lage ist der NDA auf zung für den Erfolg von modernen Streitkräften in einem die Unterstützung seiner zivilen Partner angewiesen. In volatilen Umfeld und einer diffusen Bedrohung. «Just-in- der besonderen Lage ist er mit seinen Mitteln, der einheit- time» und «just-in-case» fordern die Streitkräfte auf meh- lichen Ausrichtung und den klaren Abläufen eine Stütze reren Ebenen. Eine frühzeitige Antizipation armeerelevan- des Sicherheitsverbundes. ter Entwicklungen, die genaue Kenntnis der Lage sowie das «Targeting» für präzise Wirkmittel sind entscheidend. Ohne Informatik lassen sich heute die anfallenden Infor- mationsmengen nicht mehr verarbeiten, bewirtschaf- ten und übertragen. Die Informatik ist für den NDA eine Als Konsequenz beschränkter Ressourcen, Schlüsseltechnologie und damit ein Entwicklungsschwer- gewicht in den nächsten Jahren. politischer Einschränkungen und fehlender Permanenz steht beim NDA ein Vorgehen von der Nachrichtendienst ist auch bei anderen Akteuren der These zum Sensoreinsatz bzw. von der gegneri- erste Ansatz für künftige Aktivitäten. Damit diese früh- schen Einsatzdoktrin zu feststellbaren Aktivitä- zeitig entdeckt und bekämpft werden kann, sind präven- tiver Schutz der Armee und Cyber-Abwehr zum ND kom- ten im Vordergrund (deduktives Vorgehen). plementäre Tätigkeiten. Über die Identifikation von mög- lichen Angreifern und gemeinsam genutzte Sensoren sind Der NDA arbeitet bedarfsgesteuert nach Auftrag und sie eng mit dem ND verbunden. Nachrichtenbedürfnissen der Führung. Die Produktion dieser Nachrichten steht im Zentrum seiner Aktivitäten. Operationssphäre Weltraum Als Konsequenz beschränkter Ressourcen, politischer Ein- Der Weltraum, der völkerrechtlich hoheitsfrei 11 ist, bildet schränkungen und fehlender Permanenz steht beim NDA über alle Lagen eine Quelle sicherheitsrelevanter Heraus- ein Vorgehen von der These zum Sensoreinsatz bzw. von forderungen und Risiken. Er wird für die Nachrichtenbe- der gegnerischen Einsatzdoktrin zu feststellbaren Aktivi- täten im Vordergrund (deduktives Vorgehen). 11 Hoheitsfrei – völkerrechtlich relevant für die Abgrenzung des der Lufthoheit unterliegenden Luftraumes vom hoheitsfreien Weltraum – heisst für die Mi- 9 Beitrag durch Autorenkollektiv MND. litärdoktrin, dass ein Akteur bereits in der normalen Lage, ohne Hoheits- 10 Militärgesetz, Art 99 und Verordnung über den Nachrichtendienst der Armee, rechte eines Staates zu verletzen, seine nachrichtendienstlichen Anstren- V-NDA, Art 2. gungen vorantreiben kann. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 9 ND Leistungen im Sensor to effector intelligence Rahmen von ver- netzter Führung Lageverfolgung, -beurteilung und Alarmierung für die Einsatzplanung und -Fhr Grundlagen und Nachrichten für das Erstellen der Einsatzbereitschaft Grundlagen, Lageverfolgung und -beurteilung für die Bereitschaftssteuerung ND Grundlagen und Beurteilungen für Ausbildung und Planung ND Grundlagen und Beurteilungen für Unternehmensentwicklung inkl Aufwuchs Abb 4 Leistungen des Nachrichtendienstes (MND/FST A) schaffung 12 , die Frühwarnung 13, die Zeitsynchronisation, nehmender Nutzung von Weltraumtechnologien wachsen die Navigation und die Kommunikation genutzt. Kennt auch Abhängigkeiten und Verletzlichkeiten. Die Schweiz man z. B. Umlaufbahnen von gegnerischen Aufklärungs- ist stark von der störungsfreien Nutzung des Weltraums satelliten, können die eigenen Truppen vor der gegneri- abhängig. Die Schweizer Armee nutzt Navigationssignale schen satellitengestützten Nachrichtenbeschaffung insbe- aus dem Weltraum, kommerziell verfügbare Satellitenbil- sondere durch Tarnung und Täuschung geschützt werden. der und Satellitenkommunikation. 14 Der Weltraum entwickelt sich immer mehr zum Schlüssel- Bezeichnend für den Weltraum, ebenso wie für die ande- raum für Fähigkeiten in den anderen Operationssphären. ren Räume ist auch die dual-use Problematik. So können z. B. Navigationssatelliten sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden. Der Weltraum entwickelt sich immer mehr zum Der Weltraum wird in den Doktringrundlagen der Opera- Schlüsselraum für Fähigkeiten in den anderen tionssphäre Luft berücksichtigt, da Luft- und Weltraum Operationssphären. durch ihre gemeinsamen räumlichen Dimensionen und Grenzen charakterisiert sind und zahlreiche Verwandt- schaften aufweisen. In den letzten Jahren hat die Zahl der Weltraumakteure stark zugenommen. Das Weltall ist nicht mehr aus- Doktringrundlagen der Operationssphäre Luft 15 schliesslich Domäne der Grossmächte; heute unterhalten Aktuelle Konflikte zeigen, dass beteiligte Kräfte vielfach über fünfzig Staaten Weltraumprogramme. von Grundeigenschaften der Operationssphäre Luft pro- fitieren: Höhe erlaubt von Hindernissen und Topographie Der Sipol B 2016 unterstreicht die zunehmende Wichtig- unbehinderte Bewegung, Reichweite ermöglicht Wirkung keit des Weltraums auch für die Sicherheitspolitik. Mit zu- in der Tiefe, auch über Grenzen hinweg und Geschwin- digkeit ermöglicht an beliebigen Orten reaktionsschnell 12 Die satellitengestützte Nachrichtenbeschaffung erlaubt es, auf Distanz In- formationen über Ziele zu beschaffen. Beim Einsatz von Marschflugkörpern und überraschend zu wirken sowie sich nur kurz zu ex- auf grosse Distanz ist die satellitengestützte Nachrichtenbeschaffung für ponieren. Diese drei Grundeigenschaften kombiniert mit die Ziel- und Wirkungsanalyse notwendig. 13 Satellitengestützte Frühwarnung ist bei der Abwehr ballistischer Lenkwaf- fen mittlerer bis interkontinentaler Reichweite notwendig. Mittels der Früh- 14 Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz vom warndaten können die Flugbahnen berechnet und das Abwehrdispositiv ent- 24.08.2016; Sipol B 2016. sprechend ausgerichtet werden. 15 Beitrag von Oberst i Gst Wolfgang Hoz, Chef Luftwaffendoktrin. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
10 Die Militärdoktrin 17 (MD 17) Abb 5 Bodentruppen kämpfen, schützen, helfen (Heeresdoktrin/Heer) der Präzision moderner Luft-Boden-Waffen verleihen Luft- Doktringrundlagen der Operationssphäre Boden 19 streitkräften eine bedeutende Kampfkraft. Der Boden ist durch den geographischen Raum mit sei- nen topographischen Elementen (Geländetyp, Wasser- Entwicklungstendenzen ausländischer Luftstreitkräfte be- läufe, von Natur und Wetter gegebene Grenzen) und des- treffen auch die Schweiz direkt oder indirekt. Im «Konzept sen Umfeld (Bevölkerung, Besiedlung, Infrastruktur, po- zur langfristigen Sicherung des Luftraumes» 16 äussert der litische Grenzen) sowie die kulturellen, wirtschaftlichen Bundesrat seine Absicht, Fähigkeiten zum Schutz vor geg- und sozialen Dimensionen bestimmt. Militärische Opera- nerischer Wirkung aus der Luft als auch zur eigenen Wir- tionen finden heute meist in urbanen Räumen (überbau- kung in und aus der Luft zu erhalten und weiterzuentwi- tes Gelände) am Boden statt. Daher sind besondere Vor- ckeln. Er definiert dazu vier Aufgaben für die Luftwaffe: kehrungen zum Eigenschutz, zur eigenen Mobilität, zum Schutz der Bevölkerung, zur präzisen Kraftanwendung 1. Schutz des Luftraums (Wahrung der Lufthoheit und und die Fähigkeit zum Kampf im überbauten Gelände er- Luftverteidigung); forderlich. 2. Luftmobilität; 3. Nachrichtenbeschaffung und 4. Erdkampf. Die Verfügbarkeit gut ausgebildeter, ausgerüs- teter Bodentruppen bleibt für Verteidigung, Die Luftwaffe erbringt in praktisch allen Armeeaufgaben im Verbund mit anderen Verbänden der Armee 17 oder zivi- Sicherung und Stabilisierung, für die Bewälti- len Organen 18 Leistungen, sei es als eigenständige hoheit- gung von Katastrophen sowie für den Eigen- liche Aufgabe oder zur Unterstützung anderer. Der Schutz schutz unerlässlich. des Luftraums steht allerdings im Zentrum. Ohne Schutz des Luftraums können militärische Aktionen am Boden und in der Luft höchstens in Ausnahmefällen erfolgreich Bodentruppen werden für alle Armeeaufgaben eingesetzt. durchgeführt werden. Die Verfügbarkeit gut ausgebildeter, ausgerüsteter Boden- truppen bleibt für Verteidigung, Sicherung und Stabili- 16 Schweizer Bundesrat, 27.08.2014; «Konzept zur langfristigen Sicherung des sierung, für die Bewältigung von Katastrophen sowie für Luftraumes – Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats Galladé 12.4130 vom 12.12.2012». den Eigenschutz unerlässlich. Aktionen im Rahmen der 17 Zum Beispiel Führungsunterstützungsbasis, Logistikbasis der Armee und Mi- litärpolizei. 18 Vor allem Skyguide, MeteoSchweiz und RUAG. 19 Beitrag von Oberst i Gst Stephan Kuhnen, Chef Heeresdoktrin. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 11 Abb 6. Der Elektromagnetische Raum: Zentral erkennbar sind Abb. 7 Funktionen der EKF mit den zwei unterschiedlichen die beiden physisch greifbaren und militärisch entscheidenden Werkzeugengruppen EKF Sensorik und EKF Effektorik (ZEO/FUB) Operationsräume Boden und Luft. Von den Seiten und von unten angedeutet, das Einwirken der physisch nicht greifbaren Opera- tionsräume Elektromagnetischer, Cyber- und Informationsraum, welche wesentliche Effekte für den Erfolg einer militärischen Operation beitragen können. (ZEO/FUB) (originär geführten) Verteidigung (bekämpfen bewaff- Doktringrundlagen der Operationssphäre neter Gruppen und abwehren begrenzter Angriffsaktio- Elektromagnetischer Raum 20 nen) stellen die herausfordernde Aufgabe dar. Da sie jedem Der Elektromagnetische Raum ist mit den menschlichen Gegner verhältnismässig entgegentreten können müssen, Sinnen nicht wahrnehmbar, deshalb soll ein Modell hel- sind sie solide und den militärischen Erfordernissen in al- fen, ihn in seiner militärischen Bedeutung zu verstehen. len Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgebildet sowie voll- Es stellt den Elektromagnetischen Raum mit den übrigen ständig ausgerüstet. Die Möglichkeiten und Erscheinungs- Räumen militärischer Kraftanwendung deckungsgleich formen des Gegners verlangen, dass Bodentruppen ihre dar. Das Spektrum des Elektromagnetischen Raums bein- Mittel lage- und auftragsgerecht zusammenstellen («ein- haltet alle Frequenzen, mit Ausnahme von Wärme, Licht satzgegliederte Verbände»). Sie führen in allen Lagen das und höherer Frequenzen. Gefecht der verbundenen Waffen bzw. den Einsatz der ver- bundenen Mittel. Wären die elektromagnetischen Vorgänge im Elektroma- gnetischen Raum wahrnehmbar, könnte man vermutlich Bodentruppen wirken, indem sie eine grosse Anzahl an elektromagnetischen Wellen unter- schiedlichster Wellenlängen beobachten, sowohl innerhalb –– kämpfen (begrenzte, militärisch geführte Angriffe ab- wie auch zwischen den unterschiedlichen Operationsräu- wehren, Zugänge sperren, militärisch wichtige Objekte men. Entsprechend dient der Elektromagnetische Raum im bewachen), Wesentlichen der funkbasierten Kommunikations- und Da- –– schützen (Objekte, Räume, Achsen, Infrastruktur, unter tenübertragung sowie der Anwendung von Radar. ziviler Verantwortung aber unter militärischer Führung bewachen, sichern, überwachen), Um den verschiedenartigen elektromagnetischen Aus- –– helfen (zivile Behörden bei Schutzaufgaben unterstüt- sendungen im Elektromagnetischen Raum Informationen zen/Katastrophenhilfe leisten). entziehen oder diese beeinflussen zu können, setzt die Ar- mee als militärisches Werkzeug die Elektronische Krieg- Bodentruppen sind ein entscheidendes Mittel des souve- führung (EKF) ein. Diese verfügt grundsätzlich über zwei ränen Staates. Bodentruppen halten die benötigten Fähig- unterschiedliche Werkzeuggruppen, die EKF Sensorik und keiten zur Führung des modernen Gefechts der verbunden die EKF Effektorik. Waffen und das Zusammenwirken mit Luftwaffe, Elektro- nischer Kriegführung, Spezialkräften und weiteren Mit- 20 Beitrag von Oberst i Gst Ernst Grossenbacher, Chef Militärische Operationen teln im Rahmen einer streitkräftegemeinsamen («joint») und Doktrin im Zentrum elektronische Operationen der Führungsunterstüt- Operation aufrecht und entwickeln diese weiter. zungsbasis. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
12 Die Militärdoktrin 17 (MD 17) Abb 8 Der Cyber-Raum: ein künstlicher Raum, welcher Aktionen aufgrund von Daten auslöst. Wer ein Teil dieses künstlichen Raumes erfolgreich stört/zerstört, verhindert die Aktion. (Cyber-Defence/FST A) Abb 9 Militärische Massnahmen in der Operationssphäre Cyber-Raum und deren Rechtslage (Cyber-Defence/FST A) Die weitreichenden Sensorensysteme der EKF ermöglichen systemen bzw. Funkempfangssystemen oder Radar-Emp- die funkelektronische Aufklärung von Sender-, Netz- und fängern anderer entfalten. Kommunikationsparametern und die Echtzeit-Überwa- chung sowie die rückwirkende Überwachung relevanter Aufgrund des fortlaufenden Erkenntnisgewinns durch die Nutzinformationen und Adressierungselemente und deren Sensorik, sowie der gezielten Einflussnahme der Effekto- Auswertung nach unterschiedlichen Kriterien. rik im Einsatz- und Interessenraum, ist die EKF ein wich- tiges Mittel für die Gestaltung von Operationen. Auf operativer Stufe steht die Erarbeitung des elektro- magnetischen Lagebildes im Vordergrund, welches ein Wegen den in unserem Gelände zahlreich vorkommen- weitreichendes, tages- und wetterunabhängiges Nach- den Überhöhungen, welche eine grosse elektromagneti- richtenbeschaffungsmittel rund um die Uhr ist. Auf tak- sche Tiefe ermöglichen können, ist der Einsatz der eigenen tischer Stufe stehen Zielaufklärung, Zielzuweisung und EKF gegen auf Funk angewiesene Akteure auch auf grosse Wirkungskontrolle für die Führung der EKF Effektorik Distanzen sehr erfolgversprechend. im Vordergrund. Die EKF gelangt sehr früh zum Einsatz, entsprechend ist Die Effektorensysteme der EKF bestehen aus elektromagne- eine enge Koppelung an die operative Stufe unabding- tisch aktiven Systemen, die durch eine absichtliche Aus- bar. Die für die fachliche Führung von EKF Einsätzen und strahlung von eigenen elektromagnetischen Funksignalen Operationen zuständige Einsatzstelle EKF der Armee ist eine oder mehrere gewollte Wirkungen in den Fernmelde- physisch im Zentrum elektronische Operationen der FUB Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 13 angesiedelt, im Rahmen der Aktionsplanungs- und La- suchen in geschützte Systeme einzudringen, dort Werte gekontrollprozesse Stufe Armee jedoch permanent dem und Informationen zu entwenden, Daten zu verfälschen Führungsstab der Armee, ab 2018 dem Kommando Ope- oder Sabotage durchzuführen. Zuletzt stehen jene Staats- rationen zur Zusammenarbeit zugewiesen. akteure, welche über die Möglichkeit verfügen, weltweit kommerziell erhältliche Systeme vorgängig zu den eige- Doktringrundlagen der Operationssphäre Cyber-Raum 21 nen Gunsten zu beeinflussen. Der Cyber-Raum bezeichnet jene Operationssphäre, in welcher Daten erfasst, gespeichert, verarbeitet und über- Das Schweizer Dispositiv zum Schutz vor Cyber-Risiken mittelt werden. Sie reicht weit über die reine Informa- ist in der Nationalen Cyber-Strategie (NCS) von 2012 22 tik hinaus. Hardware, Software, Infrastruktur (insbeson- beschrieben. Diese fokussiert jedoch auf den Friedens- dere Strom) sowie Personen und Daten bilden ein komple- fall und schliesst den Kriegsfall explizit aus. Cyber-Risi- xes und dynamisches System, dass in alle Bereiche des ken sollen frühzeitig erkannt und bewertet, die Resilienz menschlichen Handelns eindringt. Für die Streitkräfte ist von kritischen Infrastrukturen erhöht und Voraussetzun- dieser Raum zu einer vollständigen Operationssphäre ge- gen für eine wirksame Reduktion von Cyber-Risiken ge- worden. Entsprechend verfügen bereits viele Streitkräfte schaffen werden. über eine Cyber-Teilstreitkraft, planen diese oder stehen kurz vor deren Umsetzung. Auch die NATO unterstützt diese Entwicklung bei ihren Mitgliedern. Das Schweizer Dispositiv zum Schutz vor Cyber-Risiken ist in der Nationalen Cyber- Die Eigenschaften des Cyber-Raums, welche viele neue Ri- siken beinhalten, sind: Strategie (NCS) von 2012 beschrieben. –– Komplexität und Interdependenzen: Rechenleistung, Die Mittel der Armee werden primär für den Schutz der Übertragungskapazität und die damit einhergehende eigenen IKT sowie für die Wahrung ihrer Handlungsfä- Vernetzung, alles in ungeahntem Tempo sich entwi- higkeit in allen Lagen eingesetzt. Gestützt auf die NCS ckelnd, führen mit ihrer Komplexität und Interdepen- und deren Umsetzungsplan vom 2013 23 wird erwartet, denz zu neu ausnutzbaren Schwachstellen. dass die Armee zivile Behörden subsidiär bei Cyber-An- –– Ungebundenheit von Raum und Zeit: Aufgrund der stän- griffen (z. B. zugunsten der kritischen Infrastrukturen) dig steigenden technologischen Leistungsfähigkeiten unterstützt. sind Informationsverarbeitung und -übertragung heute unabhängig von Zeit und Raum. Die Armee unterscheidet zwischen mehreren Begriffen, –– Anonymität und Attribution: Der Cyber-Raum erlaubt es, welche unterschiedlichen juristischen Vorgaben unterlie- anonym und unerkannt zu handeln. Entsprechend wird gen: Cyber-Sicherheit umfasst die Gesamtheit aller Mass- die Zurückverfolgung eines Angriffes zu einem Akteur nahmen zum Schutz der IKT-Infrastrukturen und Sys- (Attribution) stark erschwert, oft sogar verunmöglicht. teme gegen Cyber-Risiken; Unter Cyber-Verteidigung ver- –– Dissymetrie und Asymmetrie: Da Verteidiger immer alles steht man das Aufspüren, die Identifikation, den Schutz permanent schützen müssen, kann der Angreifer den und die Abwehr von erkannten gegnerischen Cyber-Ope- genauen Angriffspunkt bestimmen. Dadurch entsteht rationen; Cyber-Aufklärung verfolgt das Ziel, Informati- eine Dissymetrie zwischen Angriff und Verteidigung. onen im Cyber-Raum zu gewinnen, während Cyber-An- Zudem unterstehen unsere Kräfte juristischen Vorga- griffe zur Störung oder Zerstörung gegnerischer Systeme ben, währenddessen Angreifer fast uneingeschränkt dienen. operieren können, was zu einer Asymmetrie der Mög- lichkeiten führt. Operationssphäre Maritimer Raum Die Erdoberfläche ist zu 70 % durch den maritimen Raum Die Bedrohungs- und Gefährdungslage für staatliche Insti- bedeckt. Er wird von immer mehr Akteuren als Einsatz- tutionen, für die Wirtschaft und für Privatpersonen reicht und Bewegungsraum genutzt. Die weitreichenden Wirk- vom leicht auszuführenden Vandalismus und Aktivismus mittel können ausgehend von schwimmenden oder Unter- über Kriminalität bis hin zu Terrorismus oder bewaffne- wasser-Plattformen eingesetzt werden. tem Konflikt. Konstanter Vorreiter und Begleiter dieser Ak- tivitäten ist die ständige Informationsbeschaffung, sei es Die Schweizer Armee erzielt keine Wirkung im- und durch frei verfügbare Informationen oder durch Spionage aus dem maritimen Raum. Nichtsdestotrotz könnte die mit Eindringen in Systeme. Schweiz ein Ziel von Wirkmitteln werden, die aus dem maritimen Raum abgefeuert werden. Da diese Wirkmit- Die Bandbreite der dahinter agierenden Akteure ist gross, tel durch die Operationssphäre Luft in die Schweiz gelan- die Trennung zwischen den einzelnen Kategorien flie- gen, werden diese Auswirkungen in der Operationssphäre ssend. Neugierige Amateure mit Hacking-Tools aus dem Luft berücksichtigt. Internet stehen am Anfang, gefolgt von motivierten Ha- ckern mit Abenteuerlust. Wesentlich gravierender sind professionelle Cyber-Kriminelle oder gar staatlich unter- stützte, nicht erkennbare Bedrohungsagenten. Diese ver- 22 Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken vom 19.06.2012. 21 Beitrag von Michael Gyarmati; Wissenschaftlicher Mitarbeiter Cyber-Defence 23 Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken; Umsetzungs- im Führungsstab der Armee. plan NCS, 15. Mai 2013. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
14 Die Militärdoktrin 17 (MD 17) Abb 10 Akteure und Handlungsweisen in einem hybriden Konfliktumfeld (MND/FST A) Operationssphäre Informationsraum Im Informationsraum können folgende Aktionen durch- Der Informationsraum 24 hat in den vergangenen Jahren geführt werden: stark an Bedeutung gewonnen. Die Wichtigkeit von glo- bal verbreiteten Informationen, die Geschwindigkeit, mit –– Unterstützung beinhaltet die Fähigkeit, zielgruppenori- welcher Information verbreitet wird, die Rolle von «Social entierte Medienprodukte zu erarbeiten; Media» und die Verlässlichkeit von Informationssystemen –– im Bereich des Schutzes geht es darum, Massnahmen wi- haben dazu geführt, dass durch die jeweiligen Verant- der gegnerische psychologische Kampfführung einzu- wortlichen keine Entscheide gefällt oder Aktionen ange- leiten; ordnet werden können, ohne deren allfällige Auswirkun- –– Intervention beinhaltet die Fähigkeit, Einsätze medien- gen auf den Informationsraum zu berücksichtigen. gerecht zu unterstützen oder zu verstärken. Während sich Streitkräfte bisher auf die Einflussnahme Im Informationszeitalter ist die strategische, herkömmlicher Medien und des öffentlichen Raumes be- operative und taktische Stufe häufig kaum schränkten, sind analog zum Fähigkeitsaufbau im Cyber- Raum Bemühungen vorhanden, dass militärische Orga- voneinander zu trennen. nisationen gezielt, permanent und systematisch Einfluss über individuelle Informationsaustauschplattformen (So- Im Informationszeitalter ist die strategische, operative ziale Netzwerke, Medien und Blogs) auf Individuen neh- und taktische Stufen häufig kaum voneinander zu tren- men. Die Wichtigkeit des Informationsraumes hat zudem nen. Deshalb ist Information Sache des Bundesrates, der im Licht der hybriden Bedrohung zunehmend an Bedeu- dafür von der Bundeskanzlei unterstützt wird. Die Armee tung gewonnen. leistet Beiträge. Hybride Bedrohung 24 Der Informationsraum besteht aus der Information an sich, dem Einzelnen Infolge der zunehmenden globalen Machtpolitik hat das bzw. der Gruppe/Organisation oder dem System, welches Empfänger, Ver- mittler oder Verarbeiter dieser Information ist sowie dem kognitiven, virtu- Bedrohungspotential ausgehend von staatlichen Akteu- ellen und realen Raum, in welchem die Information entsteht. ren auch in Europa wieder zugenommen. Parallel zu dieser Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
Die Militärdoktrin 17 (MD 17) 15 Entwicklung haben sich die Bedrohungspotentiale, welche –– Aufgrund des verdeckten und indirekten Vorgehens, von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, mehrfach bestä- sind Herkunft und Ausmass der Bedrohung oft nicht tigt. Bedrohungen gehen von Akteuren aus, die durch ihr rechtzeitig sowie vollständig erkennbar und bleiben dif- Handeln die Sicherheit, Souveränität oder territoriale Inte- fus. Dadurch kann die Wahrnehmung von Bevölkerung grität und damit die Handlungsfreiheit eines Staates bzw. und Führung zusätzlich beeinflusst werden. Der Infor- seiner Gesellschaft gefährden. mations- und Cyber-Raum gewinnen dabei an Bedeu- tung, da in diesen Räumen weitgehend anonym agiert Grundsätzliches werden kann. Aktuelle Bedrohungen zeichnen sich dadurch aus, dass sich mehrere gegnerische Akteure in einem Konfliktum- Zwischenstaatliche Konfliktaustragung feld gleichzeitig aufhalten und zur Durchsetzung ihrer In- Im sicherheitsrelevanten Umfeld der Schweiz trachten teressen ein breites Spektrum von Macht- und Gewaltins- Staaten grundsätzlich danach, ihre strategischen Ziele trumenten zur Anwendung bringen. Die sich daraus erge- gegenüber einem anderen Staat ohne die offene Anwen- bende mehrdimensionale Bedrohung, wird aufgrund ihrer dung bewaffneter Gewalt zu erreichen. Damit wollen Staa- Vielschichtigkeit auch als hybrid bezeichnet. ten ihre volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kos- ten gering halten und/oder verhindern, dass sie als Ag- Die hybride Bedrohung ist hinsichtlich der gleichzeitigen gressor eindeutig identifiziert werden und Gefahr laufen, Anwesenheit von Akteuren und deren Handlungen kein durch die internationale Staatengemeinschaft verurteilt grundlegend neues Phänomen. Schon immer haben Kon- bzw. sanktioniert zu werden. fliktakteure sämtliche ihnen zur Verfügung stehenden Macht- und Gewaltmittel zur Erreichung ihrer Ziele ein- gesetzt und diese bei Bedarf auch gegenseitig koordiniert. Im sicherheitsrelevanten Umfeld der Schweiz Mit dem Hinweis auf die Hybridität einer Bedrohung wird trachten Staaten grundsätzlich danach, ihre der Fokus neu auf das Zusammenwirken und die Wech- selwirkung von bisher isoliert betrachteten Bedrohungs- strategischen Ziele gegenüber einem anderen formen und Akteuren gelegt. Staat ohne die offene Anwendung bewaffneter Gewalt zu erreichen. Eine hybride Bedrohung kann sich jedoch auch Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden werden ver- aus den Handlungen mehrerer Akteure erge- wischt, indem ein staatlicher Akteur so lange wie mög- ben, welche unkoordiniert erfolgen und unter- lich versuchen dürfte, mit einem breiten Spektrum von of- schiedlichen Zielen dienen. fenen zivilen Machtinstrumenten, verdeckter staatlicher Macht- und Gewaltausübung, inklusive Instrumentali- sierung nicht-staatlicher Gruppen oder durch Androhung Folgende Merkmale kennzeichnen im Wesentlichen die staatlicher bewaffneter Gewaltanwendung seine Ziele zu hybride Bedrohung: erreichen. –– Vielfalt und Anzahl der an einem Konflikt beteiligten Verschiedenste Machtinstrumente können dabei zeitlich staatlichen und nicht-staatlichen Akteure nehmen ten- und räumlich aufeinander abgestimmt zum Einsatz ge- denziell zu. Ein Akteur agiert als Drahtzieher und bringt bracht werden: die verfügbaren Macht- und Gewaltinstrumente in ei- nem zeitlich/räumlich koordinierten Zusammenhang –– Nachrichtenbeschaffung (inklusive verbotener Nach- zielgerichtet zur Anwendung. Eine hybride Bedrohung richtendienst und Spionage); kann sich jedoch auch aus den Handlungen mehrerer –– Aktionen im Informationsraum zur Wahrung der Infor- Akteure ergeben, welche unkoordiniert erfolgen und un- mationsüberlegenheit und Deutungshoheit (Manipula- terschiedlichen Zielen dienen; tion und Bewirtschaftung von Medien); –– Ein breites Spektrum an zivilen, politischen, wirt- –– Präventive, manipulative und destruktive Massnahmen schaftlichen, informellen, humanitären sowie militä- im Cyber-Raum; rischen Macht- und Gewaltinstrumenten wird zum Ein- –– Wirtschaftliche und politische Druckmassnahmen (z. B. satz gebracht. In Folge der zunehmenden Vernetzung, Sanktionen); des technologischen Fortschritts sowie der damit ver- –– Verdeckte bewaffnete Gewaltanwendung durch Sonde- bundenen Verletzlichkeit von Staaten und Gesellschaf- roperationskräfte, z. B. durch Sabotage an kritischer In- ten, wird das Handlungsspektrum dabei laufend erwei- frastruktur (Objekte, Prozesse); tert. Entsprechend entwickelt sich auch die hybride Be- –– Unterstützung und Instrumentalisierung nicht-staatli- drohung weiter; cher Akteure (Beratung, Ausbildung, Finanzierung, Be- –– Das Handlungsspektrum kann sowohl reguläre als waffnung, Führung); auch irreguläre, offene und verdeckte sowie konventi- –– Androhung bewaffneter Gewalt, Aufbau einer glaub- onelle und unkonventionelle Methoden umfassen. Da- würdigen militärischen Drohkulisse. bei wird erkannt, dass neben nicht-staatlichen Akteu- ren auch Staaten vermehrt verdeckt, unkonventionell Die mehrdimensionale Vorgehensweise begünstigt dabei sowie ausserhalb geltender Gesetze und Konventionen die Verschleierung der Identität des Aggressors sowie des- (irregulär) agieren; sen Absichten. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 2/2016
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