Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen
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Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen Karfreitag, 02. April 2021 Beginn vor dem Rathaus, Ende Kalmenhof, Direktorenwiese Auftakt vor dem Rathaus Die Pax Christi Gruppe Idstein begrüßt Sie heute herzlich als Initiatorin und Vorbereiterin des Idsteiner Kreuzwegs der Schöpfung. Bedingt durch Corona und den Appell, dass alle möglichst daheim bleiben sollen, bieten wir diesen Kreuzweg in diesem Jahr nicht als gemeinschaftlichen Kreuzweg in Präsenz an, sondern als Begleittext für einen individuellen Laufweg oder auch zur persönlichen Meditation. Der Laufweg startet vor dem Idsteiner Rathaus, König-Adolf-Platz. Danach werden fünf Orte in unserer Stadt aufgesucht, an denen Themen der bedrohten Schöpfung Bedeutung haben; der vorgeschlagene Laufweg dauert ca. 1,5 Stunden.
„Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“ steht als Leitwort über unserem Kreuzweg. Wir werden diesen Text am Beginn jeder Station wiederholen. Dieser Satz ist der Beginn eines gregorianischen Chorals auf Lateinisch, der von Luther in ein deutsches Lied übersetzt wurde. Er drückt die uralte Erfahrung aus, dass das eigentlich als Paradies geschaffene Leben mit dem Menschen als „Krone der Schöpfung“ durch sündhaft ausbeuterisches Verhalten bedroht ist bis hin zur tödlichen Zerstörung. Der Idsteiner Kreuzweg der Schöpfung beginnt vor dem Rathaus. Das Rathaus: ein Ort der Politik. Politik leitet sich ab von „Polis“: die Stadt. Polis und Politeia gehören zusammen, und auch die Bürgerinnen und Bürger gehören dazu. An Ostern pflegt der Papst in Rom seit dem 13. Jahrhundert den Segen „Urbi et Orbi“, den Segen für die Stadt und für den ganzen Erdkreis, zu erteilen. Ja, das war auch Ausdruck eines weltumspannenden Machtanspruchs. Vielleicht ließe es sich aber auch als eine „Frühform“ von „Global denken, lokal handeln“ verstehen. Und, apropos Macht: Auch in der Politik geht es immer um Macht – es fragt sich nur, wozu diese „Macht“ eingesetzt wird: zum Wohl oder zum Schaden. Kreuzweg der Schöpfung – Auch der Kreuzweg Jesu begann an einem Ort der Politik: Im Prätorium des römischen Statthalters Pontius Pilatus. Der Ort der Politik: der Ort der Macht. Jesu Leidensweg, sein Kreuzweg, begann mit einer politischen Entscheidung, entscheidend beeinflusst durch das Geschrei der Massen, durch die Macht der Menge. Auch das Leiden der Schöpfung wurzelt in politischen (und ökonomischen) Entscheidungen – Entscheidungen von politischen Mandatsträgern und Mandatsträgerinnen, auf kommunaler (von uns gerade frisch gewählt), nationaler und internationaler Ebene, ebenso aber auf Entscheidungen eines jeden einzelnen Bürgers und einer jeden einzelnen Bürgerin. Nur wenn diese Entscheidungen, sowohl der Politikerinnen und Politiker als auch der Bürger und Bürgerinnen „gute Entscheidungen“ zum Segen für die Schöpfung sind, kann die Schöpfung auch uns zum Segen werden. „Urbi et Orbi“, für die Stadt und für den ganzen Erdkreis, brauchen wir gute Entscheidungen: Was und wie wir produzieren, was und wie wir konsumieren, was und wie wir investieren – es liegt in unserer Macht. Die Passion Jesu, der Leidensweg Jesu, ist gekennzeichnet von Haltungen, die sich in biblisch überlieferten Aussagen und Taten zeigen. Diese Haltungen werden an unseren Stationen der bedrohten Schöpfung als Bezugspunkte zu Jesu Leidens- geschichte aufgegriffen: der Verrat (des Judas), die Verleug- nung (durch Petrus), die Verdrängung (des Pilatus, die Hände in Unschuld zu waschen), die Schuldzuweisung (der Menge im Schrei „Kreuzige ihn!“), der nationale Egoismus (der Soldaten in der Aufforderung Jesu, doch selbst vom Kreuz abzusteigen) und der Schrei der Schöpfung (Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“) Auf unserem Weg – aktuell nur virtuell – tragen wir, wie Jesus, ein Kreuz mit uns. Es symbolisiert die vom Tod bedrohte Schöpfung und der Geschöpfe selbst. Und gleichzeitig ist es eine Planke der Hoffnung.
Dieses Kreuz hat der italienische Schreiner Francesco Tuccio aus Trümmern eines Flüchtlingsbootes, das vor Lampedusa gekentert ist, gebaut. Er sagt dazu: „Die Motivation ist aus dem Leiden geboren, das ich in diesen erloschenen und müden Augen gesehen habe, in denen gleichzeitig ein Hoffnungsschimmer liegt. Denn sie sehen, dass sie in einem Land angekommen sind, das für sie das Verheißene sein könnte.“ Gehen Sie den Idsteiner Kreuzweg der Schöpfung, der Armen und der Erde. Brechen Sie auf zu Orten und Themen, die Anlass sowohl zur Sorge als auch zu Hoffnung im Blick auf die „gefangene, gegeißelte und gekreuzigte“ Schöpfung geben. Wir laden Sie ein, diesen Kreuzweg in gedenkender Stille zu gehen. Am Ende einer jeden Station können Sie eine Minute des Schweigens halten, bevor Sie zur Folgestation aufbrechen. Wir gehen nun in die Weiherwiese 11 zum Unverpackt-Laden „freiTag“. Fußweg vom König-Adolf-Platz zur Weiherwiese 11 1. Station: „Plastik – auf den Unterschied kommt es an“ Ort: Idstein, Weiherwiese 11, vor dem Unverpackt-Laden „freiTag“ Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen Plastik – ist praktisch, leicht und billig. Was will man mehr? Wie lange lebt Plastik? Ist Plastik langlebig? Lebt Plastik überhaupt? Wie und wo berührt Plastik das Leben der Menschen? Plastik, umgangssprachlich Kunststoff, bestehend aus Makromolekülen, entsteht in einem synthe- tischen Prozess aus Erdöl, einem organischen Rohstoff. Durch das hohe Maß an Funktionalität und Vielseitigkeit ist Plastik das Material der Wahl: bei Verpackungen gegen Transportschäden, zur Frischhaltung von Lebensmitteln oder als Baumaterial, um Autos leichter zu bauen und so Sprit zu sparen. Auch wenn Kunststoffe aus organischem Material hergestellt werden, ist Kunststoff nicht biologisch abbaubar, denn Kunststoffe verrotten nicht. Ist Plastik einmal hergestellt, bleibt es für immer da.
Das wird zum Problem. Ein Beispiel: eine Plastikflasche bleibt mindestens 450 Jahre im Meer, bis sie sich zu kleinerem Mikroplastik zersetzt hat. Mittlerweile gelangen jedes Jahr circa 8 Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer. Hochrechnungen besagen, dass bis 2025 mehr Plastikmüll im Meer sein wird, als es Fische im Meer gibt. Unser hoher Lebensstandard, von größer werdender Kaufkraft und Schnelllebigkeit geprägt, benötigt nicht nur viele Ressourcen, sondern hat auch diesen Preis: Wohin mit den immer größeren Abfallbergen? Nur eine möglichst vollständige Kreislaufwirtschaft nutzt einmal der Erde entnommene Schätze am besten. Das schont die Güter der Erde. Ein zweites Beispiel: Die Firma Werner & Mertz mit ihrer Marke FROSCH hat durch mechanisches Recycling bereits 400 Millionen Flaschen aus 100% Recyclat hergestellt. In Corona-Zeit sind die Ölpreise gesunken, das macht Rohölplastik günstiger als in Kreislaufwirtschaft hergestelltes Recyclat. Das wiederum mindert die Konkurrenzfähigkeit solcher recycelter Produkte. Es ist letztlich auch politisch begründet, denn neues Rohölplastik ist zudem von der Mineralölsteuer befreit. Dieser Rahmen ist skandalös, aber nicht nachhaltig! Wir trennen Abfall, jedoch auch beim Gelben Sack bleiben Teile übrig, die nicht recycelbar sind. Dieser Rest wird verbrannt, auf die Müllhalden anderer Länder verschifft oder landet schlicht in der Natur. Zur Auslastung der Müllverbrennungsanlagen wird mehr Plastikabfall verbrannt als wirklich nötig. Dokumentationen berichten, dass in Indonesien oder Malaysia unser dorthin verschiffter Plastikabfall zwar auch sortiert wird, aber in wachsenden Mengen enddeponiert in der Landschaft liegen bleibt, trotz Protest der Bevölkerung. Plastikerzeugung, Wiederverwendung und Endverbleib hat Profiteure und Verlierer, wirtschaftlich, humanitär und in der Schöpfung Gottes. Plastik berührt das Leben auf dieser Erde, bei uns, in anderen Ländern, im Meer. Papst Franziskus sagt in seinem Schreiben Laudato Si (21): „Die Erde, unser Haus, scheint sich immer mehr in eine unermesslich Mülldeponie zu verwandeln“. Wir fragen: • Warum findet die Forderung nach einer Besteuerung von Rohölplastik keinen prominenten Zuspruch? • Warum gibt es keine Quote zur Verwendung von Recyclat bei Plastikprodukten? • Warum richten wir unsere Wirtschaftsweise so gering auf Kreislaufwirtschaft aus? • Wie gelingt es uns, unser monatliches Volumen der Gelben Säcke zu verkleinern? • Was tun wir unserem Planeten, Gottes Schöpfung, an? • Waschen wir unsere Hände in Unschuld wie Pilatus, der Jesus dem Volk freigibt: „Dann kreuzigt ihn“? Es geht! Anders. • „freiTag“ gibt dem Un-Verpackt-leben ein sichtbares Beispiel. • Mit Einkaufsnetzen bleiben Tüten im Markt links liegen. • Mehrweg statt Einweg trägt ressourcenschonend zu geschlos- senen Kreisläufen der Wirtschaft bei. • Biologisch-abbaubare Stoffe schonen den Planeten. • Die Steuervergünstigung für Rohölplastik kann bei politischem Willen gestrichen werden und eine steigende Quote zur Verwendung von Recyclat einge- führt werden. • Upcycling ver-wert-et neu, was Wert hat und setzt Kreativität keine Grenzen.
Schweigeminute Wir gehen nun über den Zuckerberg, Kaffeegasse, queren den Löherplatz, über Schultze- Delitzsch-Straße, Rodergasse, Limburger Straße, Wagenerstraße zur 2. Station an der DHL- Packstation, Im Hopfenstück 7 2. Station: „Heute hier – morgen dort....: Rohstoffe und Waren weltweit unterwegs auf Kosten der Schöpfung Ort: DHL-Packstation, Im Hopfenstück Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen Wir stehen an der DHL-Packstation, vorletzte Station zahlloser Pakete und Päckchen auf ihrem Weg zu uns nachhause. Ihre anderen „Geschwister“ haben mehr CO2 im Gepäck, wenn sie mit dem LKW direkt beim Empfänger abgeliefert und manchmal mehrfach zugestellt werden müssen. Unsere kleine DHL-Station ist Teil der weltumspannenden Logistiksysteme, mit denen wir Rohstoffe und Fertigwaren rund um die Welt transportieren lassen. Nach Energie – und Wärme- erzeugung (42%) ist Transport weltweit der zweitgrößte CO2- Emittent mit einem Anteil von 25%. Das war nicht immer so. Vor der Erfindung der Dampfmaschine zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat man Wind, Wasser und Muskelkraft von Mensch und Tier genutzt, um Dinge in Bewegung zu bringen. Menge und Radius waren begrenzt, Exotisches teuer. Mit der Einführung der Dampfmaschine in der industriellen Revolution begann das Zeitalter der globalen Erwärmung. Damals wurde es möglich, die Produktion dorthin zu verlegen, wo Arbeitskraft billig ist, günstige klimatische Bedingungen herrschen und Rohstoffe hingebracht werden können, um dann die Produkte zu den Konsum-Metropolen zurückzubringen. Heute machen das riesige Containerschiffe und gewaltige Rechnerleistungen zur Planung und
Koordination der Umschlagsleistungen möglich. Vorbei ist die Zeit, in der große Entfernungen für den Welthandel eine Art Einfuhrzoll darstellten. Während noch Ende der 50er Jahre die Transportkosten bei manchen Importwaren bis zu 25% des Endpreises ausmachten, kostet heute z.B. der Transport von Turnschuhen per Containerschiff von Shanghai nach Rotterdam pro Paar Schuhe nur noch wenige Cents. Das europäische Umweltamt erwartet, dass die globale Logistik 2050 bis zu 40% der weltweiten CO2-Emissionen verursachen wird, wenn keine wirkungsvollen Maßnahmen dagegen ergriffen werden. Blitzlichter aus dem weltweiten Transportwesen – Alles unbegrenzt, zu jeder Zeit, billig und mit hohem Gewinn 2018 hat DHL ca. 12 Millionen Päckchen und Pakete verschickt, mit einem durchschnittlichen CO2- Gepäck von 500 g pro Stück, bei einmaliger Zustellung. Amazon hat allein in Deutschland seinen Umsatz in 2020 um ein Drittel erhöht. Beide Unternehmen versprechen Initiativen bis hin zur Klimaneutralität, unklar ist, mit welchen Maßnahmen über Kompensation durch Umweltprojekte hinaus. • Jeder Mensch in Deutschland isst pro Jahr ca. 100 kg Gemüse; der einheimische Gemü- seanbau deckt aktuell aber nur noch ein Drittel unseres Bedarfs. Zwei Drittel werden impor- tiert, meist aus europäischen Nachbarländern. Vor allem Gemüse für die Lebensmittelin- dustrie kommt jedoch mit gekühlten Seecontainern aus Südamerika. Aus China erhalten wir jährlich Nahrungs- und Genussmittel im Wert von 1,5 Milliarden Euro, täglich durchschnitt- lich 6.800 Container im Hamburger Hafen, 10% Steigerung im Jahr. 50% aller weltweit ge- ernteten Äpfel kommt aus China, Deutschland ist ihr Hauptimporteur. 1 kg verschifftes Ge- müse bringt soviel CO2 mit sich wie 11 kg aus der EU importiertes, im Durchschnitt bedeu- tet der Import die zwei- bis dreifache Belastung wie bei Inlandsgemüse. • Die Stadt Hamburg prüft zurzeit ein Projekt, von der namibischen Regierung Busch- Biomasse in Form von Holzpellets zu kaufen, um damit im Heizkraftwerk Tiefstack Erdgas zu ersetzen und so CO2 zu sparen. Inklusive Transport emittieren Pellets 13 kg CO2 gegen- über 250 kg CO2 von Erdgas. Das Projekt wird von sozialen Bewegungen heftig kritisiert. Die niedrigen Transportkosten verlocken, dem namibischen Holz den Vorzug vor teurerem deutschen Holz zu geben, das wegen der Trockenheit in Mengen zur Verfügung steht. Wir fragen: • Es ist offensichtlich, dass unsere Wirtschaft sich auch durch private Gewinne und öffentlich zu tragende Lasten, wie den CO2-Ausstoß der Distribution, organisiert. Warum können wir uns ein Ende der Welt eher vorstellen als ein Ende des Kapitalismus? • Die Corona-Pandemie hat unseren persönlichen Radius eingeschränkt. Und dennoch: Wir stellen fest, was alles da ist, was wir besitzen. Warum zurück zu „alles unbegrenzt, zu jeder Zeit und billig“? Es geht! Anders: • Wer saisonal und regional Lebensmittel einkauft, kann bis zu 90% des für den Import an- fallenden CO2 einsparen. • Die ideale Lebensweise: Alles, was wir zum Leben brauchen, ist in zwei Kilometer Umkreis fußläufig zu erreichen und zu beschaffen. • Das Herkunftsland muss auch für die Bestandteile von Lebensmittelprodukten angegeben werden, damit Verbraucher*innen entscheiden können, nicht nur für Frischware. • Die Preise aller importierten Waren müssen die ökologische Wahrheit sagen. Dazu gehört auch, eine sehr viel höhere CO2 -Bepreisung einzuführen, als sie laut Beschluss mit 25 € pro t CO2 ab 2021 eingeführt wird. Vorgeschlagen waren 120 € pro Tonne. • Das Lieferkettengesetz ist ein Schritt in Richtung Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbe- dingungen weltweit. Es führt zur Verteuerung von Importen, die damit auf Dauer unattrakti- ver werden. Schweigeminute
Fußweg von Im Hopfenstück über Bahnhofstraße aufwärts, Franz-Vietor-Straße in die Wiesbadener Straße, abwärts bis Brauereiweg 3. Station: „Immer online, voll gestreamt ... Unser Energieverbrauch auf Kosten der Schöpfung“ Ort: Brauereiweg, Ecke Wiesbadener Straße 39, neben Süwag-Gebäude Wir stehen hier in unmittelbarer Nähe zum SÜWAG- Gebäude, dem Ort, von dem aus die Versorgung von mehr als 150.000 Menschen in unserer Region mit Strom und Gas koordiniert wird. Energieversorgung ist ein hoch- komplexes Thema. Klar ist, dass irgendwo Energie produ- ziert und irgendwo auch wieder verbraucht wird – doch viel zu wenig bedenken wir, woher Strom und Gas kom- men und wofür wir welche Mengen verbrauchen. Unser verändertes Leben in Corona-Zeiten ist mehr denn je abhängig von der Nutzung des Internets – Homeoffice statt Arbeitsplatz im Büro, Online-Lernen statt Unterricht in der Schule, Kontakthalten per Skype oder Zoom statt per- sönlicher Gespräche. Wir haben uns gefragt, welche Auswirkungen das für den Energieverbrauch und so entstehende Emissionen hat. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen In einer Modellstudie haben US-Forscher berechnet, dass die weltweite Internetnutzung im Verlauf der Corona-Pandemie um 15 bis 40 Prozent gestiegen ist. Der damit verbundene zusätzliche Energieaufwand in den Rechenzentren und für die Datenübertragung sei für bis zu 3,2 Millionen zusätzliche Tonnen CO2 -Äquivalente verantwortlich. Beeindruckende Zahlen – denn das ist mehr, als ein komplettes kleines Land wie Montenegro pro Jahr ausstößt. Während der Pandemie ist das Homeoffice der Arbeitsplatz geworden und ZOOM der Konferenz- Raum. So konnten etliche gefahrene Kilometer eingespart werden und das schlägt in der Klima- Bilanz 2020 positiv zu Buche. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes hätte es auch ohne Corona eine deutliche Minderung gegeben, aber nicht genug, um die Klimaziele zu erreichen. Dazu ist es dringender denn je nötig, mehr CO2 zu vermeiden, zu reduzieren und auch zu kom- pensieren. Die gemeinnützige Organisation Klimakollekte schlägt deshalb in Erweiterung ihrer bisherigen Angebote vor, nicht nur Reisen mit Flugzeug oder Auto zu kompensieren, sondern auch durch Streamen emittierte Treibhausgase deutlicher zu reduzieren und alternativ kompensieren. Man arbeitet daran, die Verbräuche z.B. von Videokonferenzen zu berechnen. Auch Streaming-Dienste hatten durch unser Zu-Hause-Bleiben einen enormen Zuwachs – aber Serien, Filme, Songs kosten nicht nur Strom, wenn wir sie anschauen oder anhören – ihre Daten müssen auf Servern gespeichert werden und die benötigen Strom, viel Strom! Die gesamte Netzinfrastruktur in Deutschland verschlingt im Jahr etwa 55 Terawatt-Stunden und die zu erzeugen werden 10 mittlere Kraftwerke benötigt! Ein Drittel der Energie geht übrigens für
die notwendigen Klima-Anlagen drauf, die dafür sorgen müssen, dass die Rechenzentren nicht überhitzen. Natürlich zählen nicht nur Streaming-Dienste oder Video-Konferenzen zur Netzinfrastruktur, alles Lesen und Surfen im Internet benötigt Energie, doch das Streamen der vielen Zoom-Konferenzen, des Online-Unterrichts, des Kontakthaltens trotz Abstand per Skype, macht einen sehr, sehr gro- ßen Teil aus – man hat errechnet, dass der globale Datenverkehr zu 80% aus Video-Dateien besteht! In den letzten 6 Jahren ist das Datenaufkommen insgesamt um das 6,5-fache gestiegen. Und gleichzeitig ist die Hälfte der Menschheit noch offline – es ist eine privilegierte Frage: „Hält meine Internetverbindung dem Datenverkehr stand?“ 3,5 Milliarden Menschen hatten in der Pandemie noch gar nicht die Möglichkeit, reale Kontakte durch virtuellen Austausch zu ersetzen. Das ändert sich gerade: Durch die Verbreitung von Smart- phones und die immer günstigeren Verbrauchspreise ist die Zahl der Internetnutzer auf über 4,1 Mrd. gestiegen. Und damit steigt der Datenverbrauch und mit ihm die Klimabelastung weiter ... Nicht nur das aktuelle Geschehen beim Surfen und Streamen belastet, auch gespeicherte Daten verbrauchen Energie. Weil Speicher so billig ist, löscht niemand mehr Fotos, Videos, Dokumente. Der Berg an Datenmüll wird immer größer und frisst in einem Jahr mittlerweile so viel Strom wie halb Berlin. Wir fragen: • Wie gedankenlos genießen wir den Komfort der ständigen Verfügbarkeit von Information und Unterhaltung? • Welche Rolle spielen stromverbrauchende Geräte in unserem Alltag – brauchen wir sie wirklich? • Bedenken wir, dass unser Verhalten nachfolgende Generationen belasten wird und heute schon zahlreiche Menschen bei uns und besonders im globalen Süden benachteiligt? Es geht! Anders. • weniger ist mehr, es muss nicht HD-Qualität gewählt werden • weniger ist mehr, beim Streamen bewusst auswählen und bewusst zuschauen • weniger ist mehr, bei Konferenzen die Kamera je nach Situation auch mal ausschalten • weniger ist mehr, Daten gezielt speichern und so Datenmüll vermeiden Schweigeminute Wir gehen weiter zum Vincenz von Paul- Haus: Fußweg die Wiesbadener Straße hoch, Querung des Hit-Parkplatz, Stettiner Straße bis vor das Seniorenzentrum (Hausnummer 22)
4. Station: „Mich dürstet“ – Wasser…. Ort: Wiese bzw. Platz vor dem Vincenz-von-Paul-Haus, Stettiner Straße 22 Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen Hitzealarm: In den vergangenen Jahren nahm die Zahl der Hitzewarnungen des Deutschen Wetter-dienstes an die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen kontinuierlich zu. Diese Hitzewarnungen lösen den internen Notfallplan der Einrichtungen aus. Vordringliche Aufgabe: Sicherstellung einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr für PatientInnen und BewohnerInnen. An heißen Tagen steigt die Sterbequote um ca. 10 Prozent. Im sogenannten „Jahrhundert- sommer“ 2003 starben europaweit ca. 70.000 Menschen an der Hitzewelle; in Deutschland waren es rund 7.000 Menschen. In Paris starben so viele Menschen an der Hitze, dass im Süden der Stadt ein großes Lebensmittel-Kühllager zur Leichenhalle umfunktioniert wurde: Vokabeln, Zahlen und Bilder, die uns „seit Corona“ nur zu vertraut sind. Hitze und Wassermangel Folgen: Jährlich sterben ca. 3 Millionen Menschen, weil sie entweder überhaupt keinen Zugang zu Wasser haben oder nur zu unsauberem Wasser. Aufgrund der Klimakatastrophe werden in 50 Jahren 3,5 Milliarden Menschen in Weltregionen mit großer Hitze und keinem bis wenig Zugang zu Wasser leben. Pro Grad Anstieg der globalen Mitteltemperatur nimmt die Zahl der Menschen, die in Hitzegebieten leben würden, um eine Milliarde zu. Die „ökologische Überlebensnische“ des Menschen hinsichtlich Hitzetoleranz und Wasserbedarf wird sich räumlich in Richtung der kühleren Pole verschieben. Die Folgen: Verdursten, Verhungern, Flucht. Schon jetzt gelten 20 Prozent des EU-Gebietes als „zu trocken“. Privatisierung von Wasser: Die weltweit größten Hersteller von Mineralwasser und Limonaden, darunter Coca-Cola, Nestlé und Danone, greifen zunehmend auf die weltweiten Wasserreserven zu. Sie kaufen Wasserrechte, pumpen Grundwasser ab, um es in Flaschen teuer wieder zu verkaufen. Dadurch sinkt der Grundwasserspiegel, Brunnen trocknen aus. Nestlé profitiert, die Armen dürsten.
Virtuelles Wasser: 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs werden in der Landwirtschaft verbraucht, 20 Prozent in der Industrie, 10 Prozent in Kommunen und Haushalten. Jede/r Deutsche verbraucht täglich rund 120 Liter Brauchwasser und darüber hinaus 4000 Liter virtuelles Wasser. Virtuelles Wasser ist unsichtbar, wird aber zur Herstellung landwirtschaftlicher und industrieller Produkte benötigt: 1 kg Rindfleisch benötigt 16.000 Liter Wasser; 1 kg Weizen 1300 Liter; 1 kg Kartoffeln 220 Liter; ein Computer 20.000 Liter. Jeder im Lebensmittel-Einzelhandel umgesetzte Euro hat einen virtuellen Wasser-Fußabdruck von rund 47 Litern. Wir fragen: In der Passion Jesu nach dem Johannesevangelium spricht Jesus am Kreuz den Satz: „Mich dürstet!“ (Johannes 19,28). Das Matthäusevangelium macht die Sorge für die Dürstenden zum Kriterium eines guten Lebens für Alle und lässt Jesus sagen: „Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben.“ (Matthäus 25,35). In der Enzyklika Laudato Si (30) formuliert Papst Franziskus: „Diese Welt lädt eine schwere soziale Schuld gegenüber den Armen auf sich, die keinen Zugang zum Trinkwasser haben, denn das bedeutet, ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist.“ • Wie sorgsam oder verschwenderisch gehen wir mit realem und mit virtuellem Wasser um? • Welche Schritte können wir tun, um „gutes Wasser für alle“ Wirklichkeit werden zu lassen? Es geht! Anders. • Öle und Fette gehören nicht in das Spülwasser oder in die Toilette • Wasch- und Reinigungsmittel können sparsam und angemessen verwendet werden • Durchflussbegrenzer, Einhandhebelmischer und Sparspülungen verringern den Wasserverbrauch • Regenwasser kann in Wassertonnen aufgefangen werden für trockenere Zeiten • Die gezielte Unterstützung von Wasserprojekten in der „Dritten Welt“ ist vielfältig möglich. Schweigeminute Wir gehen nun weiter zum Kalmenhof. Fußweg über Stettiner Straße, In der Ritzbach, Grunerstraße, Veitenmühlweg 10, Direktorenwiese vor dem Hauptgebäude
5. Station: „Ausgrenzung – Wir zuerst, auf Kosten anderer“ Ort: Kalmenhof, Direktorenwiese, Veitenmühlweg 10 Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen Wir sind hier an der letzten Station angekommen, dem Kalmenhof. Seit rund 130 Jahren haben im Kalmenhof behinderte und sozial benachteiligte Menschen ein Zuhause und können am gesell- schaftlichen Leben teilhaben. Die pädagogische Arbeit, eine Grundhaltung der Wertschätzung und die gelebte Inklusion machen den Kalmenhof zu einer vorbildlichen Einrichtung. Zu seiner Geschichte gehört aber auch, dass in den Jahren des Euthanasieprogramms hier so genanntes unwertes Leben ausgelöscht wurde. • Wilfried Bender, geb. am 27.08.1934 in Wettenberg bei Gießen, umgekommen mit 8½ Jahren am 12.02.1943 in Idstein, 3 Tage nachdem er als „geheilt“ aus der Anstalt Scheuern bei Nassau entlassen und in den Kalmenhof ver- • legt wurde. • Klaus Dieter Braasch geb. am 10.10.39 in Hamburg, umge- kommen am 11.11.1943 in Idstein, wenige Wochen nach sei- nem 4. Geburtstag, 2 Monate nach seiner Verlegung aus den • Alsterdorfer Anstalten in Hamburg in den Kalmenhof. • Ruth Pappenheimer, geb. am 08.11.1925 in Frankfurt, in Fürsorgeerziehung u.a. im Kalmen- hof, mit knapp 19 Jahren am 20.10.1944 ermordet durch zwei Morphiumspritzen im Kranken- haus des Kalmenhofs.
Lasst uns heute dieser beiden Kinder und dieser jungen Frau gedenken, die damals nicht für wert genug gehalten wurden, weiterzuleben. Stellvertretend für die vielen hundert Menschen, die im Kalmenhof-Krankenhaus um ihr Leben gebracht wurden. Wir wollen heute hier den Blick werfen auf den Umgang der Menschen untereinander und auf die Rolle des Menschen als Teil der Schöpfung. Oft halten wir uns Menschen für die Krone der Schöp- fung, weil vernunftbegabt, aus der Vergangenheit lernend und auf die Zukunft planend, sich orien- tierend an ethischen und moralischen Werten. Dabei haben wir den göttlichen Schöpfungsauftrag: „Mach dir die Erde untertan“ gründlich missverstanden, indem wir sie rücksichtlos ausbeuten und Mitgeschöpfe missachten. Der zweite Schöpfungsbericht beschreibt Gottes Auftrag an den Men- schen aber so, dass sie die Erde bebauen und hüten mögen. Bei den großen Zeitaltern der Erdge- schichte sprechen wir heute vom Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Die drei aktuellen globalen Krisen der Menschheit, die Pandemie, die Klimakrise und die großen Fluchtbewegungen sind auch menschengemachte Katastrophen: • Die Tiernutzung, unsere globalisierte, auf Wachstum getrimmte Wirtschaft, die dichte Be- siedelung und das Bereisen der letzten Winkel der Erde geben dem Virus erst den richtigen Nährboden. • Die Erzeugung von Kohlendioxid, das hauptverantwortlich ist für die Erderwärmung geht vorrangig auf unseren industrialisierten Norden der Erde und dessen Wohlstandskonsum zurück. Zu leiden haben zuerst Menschen im Süden der Erdhalbkugel, in dem sich z.B. Wüsten ausbreiten und küstennahe Länder überflutet werden. Die Klimakrise wird Kriege und Konflikte um bewohnbares und fruchtbares Land, Wasser und andere natürliche Res- sourcen massiv verstärken, u.a. wird die Migration zu nehmen. • Und – fast vergessen! – gleichzeitig leistet es sich Europa, das auf die Proklamation der Menschrechte so stolz ist, dass flüchtende Menschen im Mittelmeer ertrinken und in zugi- gen Zelten auf griechischen Inseln oder draußen in bosnischen Wäldern im Schnee den Winter verbringen. Wir fragen: Es mag nicht angemessen sein, die Hinrichtung Jesu und die Ideologie vom so genannten unwer- ten Leben und die Tötungsmaschinerie des Holocaust und des Euthanasieprogramms mit unserer heutigen Situation zu vergleichen. Und doch sind dieser Karfreitag und dieser Ort geeignet, nach- zudenken über menschliche Haltungen von Verrat, Verleugnung, Verdrängung, der Suche nach minder-wertigen Geschöpfen und Sündenböcken, die geopfert werden. • Können wir überhaupt von dem Menschen oder auch von den Menschen reden? • Gab und gibt es nicht auch heute in unserem Wirtschaftssystem und unserer konsum- orientierten Lebensweise gewaltige Unterschiede zwischen Gewinnern und Verlierern, Etablierten und Ausgegrenzten? • Wer sind die Verursacher*innen, Profiteur*innen, Privilegierten, mächtigen Auftraggebern, willigen Tatausführenden, eingebundenen Mitlaufenden und vielen passiv Zu- und verleug- nend Wegschauenden? • Und wer sind die Betroffenen, Benachteiligten und die oft hinter Zahlen versteckten, aber doch namentlich und konkret zu benennenden Opfer? • In welcher Rolle befinden wir uns selbst heute und hier in Idstein? Es geht! Anders. Luisa Neubauer, die junge Klimaaktivistin, hat am zweiten Fastensonntag im Berliner Dom eine beeindruckende Predigt gehalten. Es ging dabei um den Bibeltext, in dem Jesus uns rät, uns nicht so viel Sorgen darum zu machen, was wir zu essen haben und was wir anziehen. Neubauer schlug in ihrer Predigt vor, die uns erdrückende Sorgen-Starre umzuwandeln in eine Haltung der Vor-Sorge und Für-Sorge.
• Vor-Sorge in dem Sinne, dass wir mit Mut und Elan an der Zukunft künftiger Generationen bauen und z.B. persönlich und politisch alles dafür tun, um den CO²-Ausstoß zu minimieren und unser Wissen und unsere Fähigkeiten dafür einsetzen, gute Alternativen zu finden. • Und Für-Sorge in dem Sinne, dass wir uns mit aktiver und kluger Solidarität um die Rechte derer kümmern, die sozial und wirtschaftlich abgehängt werden und die Opfer des Klima- wandels und seiner Folgen sind -auf der ganzen Welt und hier bei uns. In diesem Sinne lasst uns vor-sorgen für den Erhalt der Schöpfung und für-sorgen für Menschen, die heute aus-ge-grenzt werden. Schweigeminute Abschluss Wir schließen hier den Kreuzweg ab mit einer Einladung zu einem persönlichen Fürbittgebet. Wir sind heute in Idstein den Kreuzweg der Schöpfung gegangen, haben innegehalten an Orten, die für unsere verwundete Welt stehen, haben versucht in den Blick zu nehmen, was geht – ANDERS, haben die Haltungen bedacht, durch die Jesu Leiden und sein Tod möglich wurden, und die auch heute unser aller Zusammenleben belasten: VERDRÄNGUNG unserer Beteiligung VERLEUGNUNG unserer Möglichkeiten VERRAT an den Mitgeschöpfen SCHULDZUWEISUNG an die Anderen, an die da oben BERECHNUNG nur für unseren kurzfristigen Vorteil NATIONALER EGOISMUS besonders an Europas Außengrenzen Jesu letzte Worte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ haben wir mit dem heutigen SCHREI DER SCHÖPFUNG verbunden. Als Christen glauben wir, dass der Tod nicht das letzte Wort ist. Wir glauben, dass Gott uns nicht dem Tod überlässt, sondern neues Leben schenkt, uns im Einsatz für die Bewahrung der Schöpfung nicht im Stich lässt. Deshalb ist das Kreuz vom Symbol des Leidens auch zur Planke der Hoffnung und zum Zeichen des Trostes geworden. In diesem Glauben wollen wir gemeinsam beten – jede und jeder nach dem eigenen Glauben in respektvoller Stille. PAX CHRISTI lädt Sie dazu ein, abschließend das VATERUNSER oder ihr persönliches Gebet zu sprechen. Unser Kreuzweg endet hier. Der Besuch des Gräberfelds am alten Kalmenhofkrankenhaus am Veitenmühlberg, in dem viele der hier ums Leben Gebrachten namenlos verscharrt wurden, kann heute nicht empfohlen werden. Dort finden derzeit umfangreiche Erdarbeiten statt. Das Ziel dieser Arbeiten ist, die Lage der Gräber genau zu dokumentieren und einen würdigeren Gedenkrahmen zu schaffen. ________________________________________________________________________ Der Idsteiner Kreuzweg wurde von der Pax Christi Gruppe Idstein (Christopher Cullinane, Günter Harmeling, Winfried Montz, Ute Schäfer, Hanne Vogel, Marin Weichlein) erarbeitet. Kontakt: Pax Christi Idstein, Ute Schäfer, Mail: ute.schaef@gmx.de, T. 06126-57422.
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