Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...

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Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...
Modul 1
                               People of Color in Deutschland:
                               Vom Kaiserreich (1871–1918)
                               zur Weimarer Republik
                               (1918–1933)
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Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...
MODUL          1

                               D1    D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R

                                    >> Für Multiplikator*innen

                                    Im Mittelpunkt von Modul 1 stehen die in                 Vermittlungsziele zu A1 –
                                    Deutschland verbreiteten Stereotype gegenüber      Grundlegende und vertiefende
                                    deutschen und französischen Kolonialsoldaten       Unterrichtseinheiten
                                    („treuer Askari“ bzw. „Schwarze Schmach“)
                                    und deren Einsatz in Propaganda-Kampagnen.         ■   Die Zielgruppen erkennen koloniale
                                    Während das Stereotyp des „treuen Askari“              Stereotype („treuer Askari“ vs. „Schwarze
                                    kaum noch bekannt ist, lebt die sexistische            Schmach“) und deren ambivalente Funkti-
                                    und rassistische Bildsprache der „Schwarze             onsweisen und Effekte.
                                    Schmach“-Propaganda bis in die Gegenwart
                                    fort. Wie das Beispiel der Berichterstattung       ■   Die Lernenden setzen sich mit dem
                                    über die „Kölner Silvesternacht 2015“ veran-           historischen Schwarzen Alltag und Wider-
                                    schaulicht, wird sie in anderen Kontexten              stand auseinander und stellen ihn den Propa-
                                    aktualisiert. Der Abdruck eines offenen Briefes        ganda-Botschaften der „Schwarze Schmach“-
                                    des Afrikanischen Hilfsvereins von 1921 gegen          Kampagne gegenüber.
                                    die „Schwarze Schmach“-Propaganda stellt der
                                    mit den rassistischen Stereotypen verbundenen
                                    Objektifizierung Schwarzer Menschen ein                   Vermittlungsziele zu A1 –
                                    Beispiel von Handlungsmacht und Widerstand         Vertiefende Unterrichtseinheit 2, F1 Fokus
                                    der Diskriminierten entgegen. Darüber hinaus
                                    macht diese Quelle das komplexe Verhältnis         ■   Die Zielgruppen diskutieren am Beispiel der
                                    zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung                 Berichterstattung zur „Kölner Silvesternacht
                                    Schwarzer Menschen in Deutschland deutlich.            2015“ Kontinuitäten von rassistischen und
                                    Da Modul 1 auf Stereotype fokussiert, die sich         sexistischen Bildern.
                                    in Bild und Sprache ausdrücken, sollte in der
                                    Arbeit mit den Materialien darauf geachtet
                                    werden, die rassistischen und sexistischen               Anmerkungen zu vertiefender
                                    Botschaften kritisch zu reflektieren bzw. zu       Unterrichtseinheit 2
                                    brechen. Dazu kann eine Auseinandersetzung
                                    mit dem Brief des Afrikanischen Hilfsvereins,      ■   Die Lebensgeschichte von Hans Hauck
                                    verbunden mit der Frage nach den darin ent-            (M1.g), erzählt aus seiner eigenen Perspek-
                                    haltenen Fremd- und Selbstbezeichnungen                tive, findet sich in Ehricht, Franziska/
                                    (M1.f), oder auch eine Beschäftigung mit der           Gryglewski, Elke 2009. Der deutsche
                                    Lebensgeschichte von Hans Hauck (M1.g)                 Staatsangehörige A.A. ist unfruchtbar
                                    dienen. Allgemein ist zu empfehlen, sich im            zu machen: die Zwangssterilisation der
                                    Vorfeld mit rassismuskritischen Umgangsweisen          Rheinlandkinder, in: Dies. Geschich-
                                    bezüglich rassistischer Text- und Bildquellen zu       ten teilen: Dokumentenkoffer für
                                    befassen (siehe Literaturempfehlungen in E0).          eine interkulturelle Pädagogik zum
                                                                                           Nationalsozialismus, hg. von Miphgash/
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                                                                                           Begegnung e.V. und Gedenk- und
                                                                                           Bildungsstätte Haus der Wannsee-
                                                                                           Konferenz. Berlin.

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Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...
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                                                                D I DA K T IS CHE R KO M M E NTA R                                     D1
                                                                                  Grosse, Pascal 2003. Zwischen Privatheit
                                                                                  und Öffentlichkeit: Kolonialmigration in
                                     Anmerkungen zu vertiefender                  Deutschland, 1900–1940, in: Kundrus, Birthe
                               Unterrichtseinheit 2, F1 Fokus                     (Hg.). Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte
                                                                                  des deutschen Kolonialismus. Frankfurt am
                               ■   Die Thematisierung der „Kölner Silvester-      Main/New York, S. 91–109.
                                   nacht 2015“ in der schulischen und außer-
                                   schulischen Bildungsarbeit kann Vorurteile     Gründer, Horst 2012. Geschichte der deutschen
                                   gegen Geflüchtete aufrufen und bedarf          Kolonien. 6. Auflage. Paderborn/München/
                                   daher sorgsamer Kontextualisierung und         Wien/Zürich.
                                   fundierter rassismuskritischer Herangehens-
                                   weise. Der Gegenwartsbezug in der              Höpp, Gerhard (Hg.) 1996. Fremde
                                   Aufgabe F1 zielt nicht auf die Ereignisse      Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in
                                   der „Kölner Silvesternacht 2015“ an sich,      Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis
                                   sondern vielmehr auf die Kontinuitäten von     1945. Berlin.
                                   Stereotypen und Wahrnehmungsmustern im
                                   Bildinventar, das in der medialen Berichter-   Koller, Christian 2001. „Von Wilden aller Rassen
                                   stattung zu finden ist, sowie auf den daraus   niedergemetzelt“: Die Diskussion um die
                                   ersichtlichen „Gedächtnisschwund“              Verwendung von Kolonialtruppen in Europa
                                   (Mecheril/van der Hagen-Wulff 2016: 124).      zwischen Rassismus, Militär- und Kolonialpolitik
                                                                                  (1914–1930). Stuttgart.

                                      Weiterführende                              Laak, Dirk van 2003. „Ist je ein Reich, das es
                               Literaturempfehlungen zu Modul 1                   nicht gab, so gut verwaltet worden?“ Der
                                                                                  imaginäre Ausbau der imperialen Infrastruktur
                               Aitken, Robbie/Rosenhaft, Eve 2013. Black          in Deutschland nach 1918, in: Kundrus, Birthe
                               Germany: The Making and Unmaking of a              (Hg.). Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte
                               Diaspora Community, 1884–1960. Cambridge.          des deutschen Kolonialismus. Frankfurt am
                                                                                  Main/New York, S. 71–90.
                               Amenda, Lars 2006. Fremde – Hafen – Stadt.
                               Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung         Lüsebrink, Hans-Jürgen 1994. Die marokkani-
                               in Hamburg 1897–1972. Hamburg/München.             schen Kolonialsoldaten (Tirailleurs) in Deutsch-
                                                                                  land 1919–1923, in: Popp, Herbert (Hg.).
                               El-Tayeb, Fatima 2001. Schwarze Deutsche:          Die Sicht des Anderen – Das Marokkobild
                               der Diskurs um „Rasse“ und nationale Identität     der Deutschen, das Deutschlandbild der
                               1890–1933. Frankfurt am Main/New York.             Marokkaner. Passau, S. 53–64.

                               Gesemann, Frank/Höpp, Gerhard/Sweis,               Martin, Peter/Alonzo, Christine (Hg.) 2004.
                               Haroun 2002. Araber in Berlin. 2. Auflage.         Zwischen Charleston und Stechschritt.
                               Berlin.                                            Schwarze im Nationalsozialismus. Hamburg/
                                                                                  München.
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                               Grosse, Pascal 2000. Kolonialismus, Eugenik
                               und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland        Maß, Sandra 2006. Weiße Helden, Schwarze
                               1850–1918. Frankfurt am Main/New York.             Krieger: Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit
                                                                                  in Deutschland 1918–1964. Köln.

                                                                                                                                27
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                               D1    D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R

                                    Oesterheld, Joachim/Günther, Lothar 1997.           der Fachtagung zum 25-jährigen Jubiläum des
                                    Inder in Berlin. Berlin.                            Informations- und Dokumentationszentrums für
                                                                                        Antirassismusarbeit (IDA e. V.) am 27. und 28.
                                    Pommerin, Reiner 1979. Sterilisierung der           November 2015 in der Berliner Stadtmission.
                                    Rheinlandbastarde. Das Schicksal einer farbigen     Düsseldorf, S. 76–81. https://www.idaev.de/
                                    deutschen Minderheit 1918–1937. Düsseldorf.         fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/
                                                                                        Reader/2016_IDA_Rassismuskritik.pdf
                                    Reed-Anderson, Paulette 2000. Rewriting the         (Zugriff: 15.11.2017).
                                    Footnotes. Berlin und die afrikanische Diaspora
                                    – Berlin and the African Diaspora. Berlin.          Mecheril, Paul/van der Hagen-Wulff, Monica
                                                                                        2016. Bedroht, angstvoll, wütend. Affektlogik
                                    Rosenhaft, Eve 2003. Afrikaner und „Afrikaner“      der Migrationsgesellschaft, in: Castro Varela,
                                    im Deutschland der Weimarer Republik.               María do Mar/Mecheril, Paul (Hg.). Die
                                    Antikolonialismus und Antirassismus zwischen        Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik
                                    Doppelbewusstsein und Selbsterfindung, in:          der Gegenwart. Bielefeld, S. 119–141.
                                    Kundrus, Birthe (Hg.). Phantasiereiche. Zur
                                    Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus.       Mecheril, Paul/Messerschmidt, Astrid 2016. Die
                                    Frankfurt am Main/New York, S. 282–301.             Sexualisierung der Anderen. Globale Kontexte
                                                                                        und Perspektiven solidarischer Bildung, in:
                                    Weiss, Holger 2014. Framing a Radical African       Widersprüche 9, S. 147–158.
                                    Atlantic. African American Agency, West
                                    African Intellectuals and the International Trade
                                    Union Committee of Negro Workers. Leiden/
                                    Boston.

                                    Wigger, Iris 2006. Die ‚Schwarze Schmach am
                                    Rhein‘. Rassistische Diskriminierung zwischen
                                    Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse. Münster.

                                    Zimmerer, Jürgen 2004. Deutsche Herrschaft
                                    über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und
                                    Wirklichkeit im kolonialen Namibia. 3. Auflage.
                                    Münster/Hamburg/London.

                                           Weiterführende
                                    Literaturempfehlungen zu F1

                                    Mecheril, Paul 2016. Flucht, Sex und Diskurse.
                                    Gastrede im Rahmen des Neujahrsempfangs der
                                    Stadt Bremen am 13. Januar 2016, in: Detzner,
Onlineversion, Stand 01/2019

                                    Milena/Drücker, Ansgar/Seng, Sebastian (Hg.).
                                    Rassismuskritik. Versuch einer Bilanz über
                                    Fehlschläge, Weiterentwicklungen, Erfolge
                                    und Hoffnungen. Erweiterte Dokumentation

                                    28
Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...
MOD UL          1

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                               Grundlegende Unterrichtseinheit 1
                               >> Zeitaufwand: 90 Minuten
                               >> Niveau: ab Oberstufe
                               >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 7 Personen

                               PEOPLE OF COLOR IN DEUTSCHLAND:
                               VOM KAISERREICH (1871–1918) ZUR WEIMARER REPUBLIK (1918–1933)

                                      A1.a                                               A1.c
                               Zu Hintergrundtext H1                              Propagandabilder des „treuen Askari“
                                                                                  und der „Schwarzen Schmach“
                               Aufteilung der 7 Abschnitte des Hintergrund-
                               textes H1 in Kleingruppen von mindestens           Zu Materialien M1.c–e
                               1 Person. Lesen Sie den Text und stellen Sie die
                               zentralen Punkte anschließend in der Gesamt-       1.
                               gruppe vor.                                        Vergleichen Sie die Soldaten im Propagandabild
                                                                                  des „treuen Askari“ und in den Propaganda-
                                                                                  bildern zur „Schwarzen Schmach“ (M1.c–e).
                                     A1.b                                         Überlegen Sie, welche Eigenschaften ihnen
                               Die Erzählung von der „kolonialen                  jeweils zugeschrieben werden. Diskutieren Sie,
                               Schuldlüge“ und die Figur des                      in welchem Verhältnis die Bilder zueinander
                               „treuen Askari“                                    stehen und welches Bild der Deutschen dabei
                                                                                  (direkt oder indirekt) gezeichnet wird.
                               Zu Materialien M1.a+b
                                                                                  2.
                               1.                                                 Erläutern Sie, warum die Stationierung französi-
                               Lesen Sie die Auszüge aus den Veröffentli-         scher Kolonialsoldaten im Rheinland von deut-
                               chungen von Heinrich Schnee und Paul von           scher Seite als demütigend angesehen wurde.
                               Lettow-Vorbeck (M1.a+b).

                               2.                                                       A1.d
                               Skizzieren Sie zentrale Merkmale der propa-        Schwarze Stimmen
                               gandistischen Erzählungen von der „kolonialen      gegen die „Schwarze Schmach“
                               Schuldlüge“ und von den „treuen Askari“.
                                                                                  Zu Material M1.f
                               3.
                               Erörtern Sie, inwiefern diese beiden Erzählun-     Lesen Sie den offenen Brief des Afrikanischen
                               gen in der Zeit der Weimarer Republik              Hilfsvereins (M1.f). Erläutern Sie, worüber sich
                               zusammenhängen.                                    der Verfasser beklagt und wie er seinen Forde-
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                                                                                  rungen Nachdruck verleiht. Berücksichtigen
                                                                                  Sie dabei, wie er auf die Propagandabilder vom
                                                                                  „treuen Askari“ und der „Schwarzen Schmach“
                                                                                  Bezug nimmt (M1.c–e).

                                                                                                                               29
Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...
MODUL          1

                               A1    AUF G A B EN

                                    Vertiefende Unterrichtseinheit 2
                                    >> Zeitaufwand: 90 Minuten
                                    >> Niveau: ab Oberstufe
                                    >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 7 Personen

                                    RASSISTISCHE UND SEXISTISCHE ZUSCHREIBUNGEN
                                    GEGENÜBER SCHWARZEN MENSCHEN

                                           A1.e                                       c. Berücksichtigen Sie, welche Rolle der Körper
                                    Propaganda versus Lebensrealitäten                   der „weißen Frau“ dabei spielt.

                                    Zu Materialien M1.g+h                             2.
                                                                                      Zu Materialien M1.j–l
                                    Vergleichen Sie die Bilder und Informationen zu
                                    Hans Hauck sowie zur „Schwarze Schmach“-          Lesen Sie die Stellungnahme der Süddeutschen
                                    Propaganda (M1.g+h). Arbeiten Sie heraus,         Zeitung (M1.k) zur Kritik an den Illustrationen
                                    welche Unterschiede zwischen der Familien-        in der Berichterstattung zu den Ereignissen der
                                    geschichte von Hans Hauck und der propa-          Kölner Silvesternacht 2015 (M1.j).
                                    gandistischen „Schwarze Schmach“-Kampagne
                                    bestehen und was diese Unterschiede               a. Nehmen Sie Stellung zu dem Vorwurf, die
                                    bedeuten.                                            Illustration auf dem Titelblatt der Süddeut-
                                                                                         schen Zeitung sei rassistisch und sexistisch.

                                           F1 Fokus                                   b. Lesen Sie das Zitat von Paul Mecheril und
                                    Vergleich der „Schwarze Schmach“-                    Monica van der Haagen-Wulff (M1.l) und
                                    Propaganda mit der medialen Berichter-               formulieren Sie dessen zentrale Aussage in
                                    stattung zur „Kölner Silvesternacht 2015“            eigenen Worten.

                                    1.                                                c. Diskutieren Sie, ob und wie sich die mediale
                                    Zu Materialien M1.i+j                                und öffentliche Debatte verändern könnte,
                                                                                         wenn historische Zusammenhänge – wie
                                    a. Vergleichen Sie die Karikatur von 1923            hier zur „Schwarze Schmach“-Kampagne –
                                       (M1.i) mit der Beschreibung des Aufma-            berücksichtigt würden.
                                       chers der Süddeutschen Zeitung am
                                       Wochenende (M1.j) zu den Ereignissen der
                                       Kölner Silvesternacht 2015. Arbeiten Sie die
                                       Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den
                                       Darstellungen heraus.
Onlineversion, Stand 01/2019

                                    b. Zeigen Sie dabei, wie die Darstellungen des
                                       „Eigenen“ und „Fremden“ jeweils zusammen-
                                       hängen.

                                    30
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                                                                                        HINT E RGRU NDT E XT                             H1
                                1   >> Für Multiplikator*innen und Zielgruppen

                                  PEOPLE OF COLOR IN DEUTSCHLAND:
                                5 VOM KAISERREICH (1871–1918) ZUR WEIMARER REPUBLIK (1918–1933)

                                           H1.a                                               H1.b
                                    Die Kolonialzeit (1884–1919)                       Migration aus den Kolonien nach
                               10                                                 55   Deutschland und Gegenmaßnahmen
                                  Bereits vor 1884 waren Deutsche direkt oder
                                  auch indirekt am europäischen Kolonialismus          Im Zuge der Errichtung deutscher Kolonial-
                                  beteiligt. Die Zeit der formalen deutschen           herrschaft über außereuropäische Regionen
                                  Kolonialherrschaft über außereuropäische             wanderten nicht nur Deutsche in die Kolonien
                               15 Regionen war im Vergleich zu anderen euro-      60   aus, es kamen auch Menschen aus den koloni-
                                  päischen Kolonialmächten aber kurz. Das 1871         sierten Gebieten nach Deutschland. Die meis-
                                  geeinte Deutsche Kaiserreich erklärte ab 1884        ten von ihnen waren junge Männer aus den
                                  verschiedene Gebiete in West-, Südwest- und          westafrikanischen Kolonien Kamerun und Togo.
                                  Ostafrika, in China sowie im pazifischen Raum        Einige – darunter die Familie Bruce (B3.a,
                               20 zu seinem Kolonialbesitz. Im deutschen          65   M3.a+k–m) aus Togo – wurden in „Völker-
                                  Kolonialreich lebten etwa 12 Millionen Men-          schauen“ vor europäischem Publikum
                                  schen auf einer Fläche von insgesamt 2,6             in stereotyper Weise als Angehörige von
                                  Millionen Quadratkilometer Land, mehr als die        „Naturvölkern“ präsentiert. Bessergestellte
                                  siebenfache Größe der heutigen Bundes-               westafrikanische Familien schickten ihre Söhne
                               25 republik.                                       70   auch zur Ausbildung nach Deutschland.
                                                                                       Weitere Kolonisierte kamen als Bedienstete
                                  Die kurze Episode der deutschen Kolonialzeit         deutscher Kolonialbeamter ins Kaiserreich. Wie-
                                  war von massiver Gewalt geprägt. Die deutsche        der andere heuerten als Seeleute oder Heizer
                                  Kolonialarmee – auch „Schutztruppe“ genannt –        auf Schiffen an und setzten sich in deutschen
                               30 beging zwischen 1904 und 1908 in „Deutsch-    75     Häfen ab. Einzelne machten sich im Auftrag
                                  Südwestafrika“ (heute Namibia) einen Völker-         lokaler afrikanischer Eliten auf den Weg nach
                                  mord an den Herero und Nama, dem zwischen            Deutschland, um dort gegen das Vorgehen
                                  75.000 und 100.000 Menschen (50–80 %) zum            der deutschen Kolonialverwaltung in ihren
                                  Opfer fielen; und der „Maji-Maji-Krieg“ in           Herkunftsländern Beschwerde einzulegen.
                               35 „Deutsch-Ostafrika“ (heute Ruanda, Burundi    80
                                  und Tansania ohne Sansibar) kostete rund         Insgesamt lebten vor dem Ersten Weltkrieg
                                  300.000 Afrikaner*innen das Leben.               schätzungsweise nur einige Hundert
                                                                                   Migrant*innen aus den deutschen Kolonien im
                                  Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg      Kaiserreich. Zusätzlich befand sich eine nicht
                               40 (1914–1918) hatte das Ende der deutschen      85 näher bekannte Zahl weiterer Migrant*innen
                                  Kolonialherrschaft zur Folge. 1919 wurden        aus anderen außereuropäischen Regionen in
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                                  die deutschen Kolonien gemäß des Versailler      Deutschland. Die heterogene Gruppe der im
                                  Friedensvertrags als Mandatsgebiete vom          deutschen Kaiserreich lebenden People of
                                  Völkerbund an die Siegermächte – darunter        Color umfasste vermutlich mehrere Tausend
                               45 Großbritannien und Frankreich – verteilt.     90 Personen – die genaue Zahl ist unbekannt, da

                                                                                                                                   31
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                               H1         H I NT E RG RU N DT EXT

                                     1 Hautfarbe bzw. „Rasse“ kein behördliches         sollten so verhindert werden. In einigen deut-
                                       Erfassungskriterium darstellten. Aufgrund        schen Kolonien wurden solche Ehen auch
                                       des Rassismus in Deutschland konnten viele       verboten. Eheschließungen zwischen weißen
                                       People of Color keine bürgerlichen Berufe        Frauen und Männern aus der kolonisierten
                                     5 ausüben. Verhältnismäßig viele von ihnen      50 Bevölkerung kamen in den Kolonien aufgrund
                                       arbeiteten im Unterhaltungsgewerbe und in der    rassistischer Vorbehalte dagegen ohnehin nicht
                                       Dienstleistungsbranche, wo sie wegen ihres       vor. In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden
                                       „exotischen“ Äußeren nachgefragt waren –         „Rassenmischehen“ sogar rückwirkend für
                                       darunter Kwassi Bruce (B3.a), Thea Leyseck       ungültig erklärt. Den Ehefrauen und Kindern
                                    10 (B3.b) und Bayume Mohamed Husen (B4.b). 55 aus bereits geschlossenen Ehen wurde infolge
                                                                                        dessen die deutsche Staatsbürgerschaft
                                                                                        entzogen. Kinder aus solchen Verbindungen
                                               H1.c                                     wurden abwertend als „Mischlinge“
                                       Koloniale „Rassenpolitik“                        bezeichnet.
                                    15                                                 60
                                       Den deutschen Behörden war die Migration aus        Befürworter*innen einer strikten Trennung
                                       den deutschen Kolonien bald ein Dorn im Auge.       zwischen Schwarzen und Weißen – unter
                                       Dass Angehörige der kamerunischen Elite             ihnen Angehörige deutscher Kolonialvereine –
                                       politische Vertreter nach Deutschland schickten,    versuchten im Jahre 1913 ein solches Ehe-
                                    20 um gegen die deutsche Kolonialherrschaft zu      65 verbot auch in Deutschland einzuführen und
                                       protestieren, und einige Migranten mit              die Kategorie „Rasse“ damit im deutschen
                                       weißen deutschen Frauen Ehen schlossen,             Staatsbürgerschaftsrecht zu verankern – jedoch
                                       Familien gründeten und sich vereinzelt erfolg-      ohne Erfolg. Weil ihre deutsche Staatsange-
                                       reich einbürgern ließen, widersprach der            hörigkeit in Deutschland selbst rechtlich nicht
                                    25 herrschenden Vorstellung einer kolonialen        70 in Frage stand, gingen einige von kolonialen
                                       Ordnung, die auf einer klaren rassistischen         „Mischehen“-Verboten Betroffene aus den
                                       Trennung zwischen Kolonisierenden (Weiße)           Kolonien ins Kaiserreich – darunter Angehörige
                                       und Kolonisierten („Eingeborene“) beruhte.          der miteinander verwandten Missionarsfamilien
                                       Als Gegenmaßnahme wurde die Einreise von            Kleinschmidt, Baumann und Hegner (B2).
                                    30 Kolonisierten nach Deutschland verschärft        75 Allerdings bemühten sich die Behörden, die
                                       kontrolliert und vielfach verboten.                 nach rassistischen Vorstellungen gezogenen
                                                                                           Grenzen der kolonialen Ordnung auch innerhalb
                                       Vor dem Hintergrund des wachsenden anti-            Deutschlands zu sichern. So versuchten sie die
                                       kolonialen Widerstands in den kolonisierten         Einbürgerung von Menschen aus deutschen
                                    35 Gebieten Anfang des 20. Jahrhunderts nahm        80 Kolonien sowie Eheschließungen zwischen
                                       der koloniale Rassismus deutlich zu. Unter          Kolonialmigranten und weißen deutschen
                                       anderem setzten sich koloniale Frauenvereine        Frauen im Kaiserreich auch ohne gesetzliche
                                       im Kaiserreich dafür ein, weiße deutsche            Grundlage nach Möglichkeit zu verhindern.
                                       Frauen in die Kolonien zu schicken. Diese
                                    40 sollten dort weiße deutsche Siedler heiraten     85
                                       und „deutsche Kultur“ in den Kolonien                       H1.d
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                                       verbreiten. Beziehungen und vor allem Ehe-          Der Erste Weltkrieg (1914–1918)
                                       schließungen zwischen deutschen Siedlern
                                       und einheimischen Frauen, die abfällig als          Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurden
                                    45 „Rassenmischehen“ bezeichnet wurden,             90 viele Menschen aus Kolonien der gegnerischen

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                                                                                            HINT E RGRU NDT E XT                            H1
                                1 Staaten im Deutschen Kaiserreich interniert.           das Deutsche Reich, bei den gegnerischen
                                  Migrant*innen aus den deutschen Kolonien               Kolonialtruppen kämpfende Muslime dazu
                                  konnten Deutschland nicht ohne Weiteres                zu bewegen, auf die Seite des mit Deutschland
                                  verlassen und erst recht nicht in ihre Herkunfts-      verbündeten Osmanischen Reichs überzu-
                                5 länder zurückreisen, da die meisten deutschen       50 laufen. So wurde Propaganda verbreitet, die
                                  Kolonien bereits kurz nach Kriegsbeginn von            sich gezielt an muslimische Soldaten der Kriegs-
                                  den gegnerischen Entente-Mächten besetzt               gegner richtete. Auch erhielten Muslime in den
                                  wurden.                                                deutschen Kriegsgefangenenlagern gewisse
                                                                                         Vergünstigungen. Tatsächlich hatte die deut-
                               10 People of Color in Deutschland erlebten im          55 sche Propaganda in einigen Fällen Erfolg.
                                  Krieg zunehmend rassistische Anfeindungen.
                                  Angesichts ihrer schwierigen Lebenssituation
                                  gründete eine Reihe Schwarzer Menschen                         H1.e
                                  im letzten Kriegsjahr 1918 den Afrikanischen           Nach dem Ersten Weltkrieg:
                               15 Hilfsverein. Zweck des Vereins war es,              60 Kolonialrevisionismus und die propagandis-
                                  Schwarzen Menschen in Deutschland Gemein-              tische Erzählung von den „treuen Askari“
                                  schaft und gegenseitige Unterstützung zu
                                  bieten. Der Verein stand ausdrücklich auch               Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg
                                  Schwarzen Menschen offen, die nicht aus deut-            hatte nicht nur das Ende des Kaiserreichs,
                               20 schen Kolonien kamen.                               65   sondern auch der deutschen Kolonialherrschaft
                                                                                           zur Folge. Gemäß des Versailler Friedensver-
                                  Die Verschärfung der Lebenssituation von                 trags musste Deutschland seine Kolonien
                                  People of Color während des Ersten Weltkrieges           an den Völkerbund abgeben, der sie als
                                  hatte insbesondere mit der rassistischen deut-           Mandatsgebiete an die Siegermächte verteilte.
                               25 schen Kriegspropaganda zu tun, die sich gegen 70         Zur Begründung wurde unter anderem ange-
                                  den Einsatz von Kolonialtruppen der Kriegs-              führt, die Deutschen hätten sich durch
                                  gegner Frankreich und Großbritannien in Europa           Grausamkeiten gegenüber ihren Kolonisierten
                                  richtete. Die Propaganda stellte die gegneri-            als „unfähig“ zum Kolonisieren erwiesen. Von
                                  schen Kolonialsoldaten in rassistischer Weise            deutscher Seite wurde dieser Vorwurf als
                               30 als „schwarze Bestien“ dar und warf ihnen vor, 75        „koloniale Schuldlüge“ abgewehrt. Es entstand
                                  deutsche Soldaten brutal zu verstümmeln und              eine kolonialrevisionistische Bewegung, die
                                  Kriegsgefangene zu ermorden. Der Einsatz                 nachdrücklich die Rückgabe der ehemaligen
                                  von Kolonialtruppen gegen weiße deutsche                 Kolonien forderte. Auch die Weimarer Außen-
                                  Soldaten wurde als Bruch des internationalen             politik verfolgte das Ziel, die ehemaligen
                               35 Kriegsrechts gewertet und diesen Einheiten der 80        Kolonien zurückzuerlangen. Allerdings hatte
                                  Status regulärer Truppen abgesprochen. Der               dies im Vergleich zu anderen Forderungen eine
                                  Einsatz wurde von deutscher Seite zugleich als           vergleichsweise geringe Dringlichkeit.
                                  Gefahr für die kolonialen Machtverhältnisse
                                  verurteilt.                                       Um zu beweisen, dass Deutschland eine
                               40                                                85 „fähige“ Kolonialmacht gewesen sei, verwiesen
                                  Die deutsche Kriegspropaganda und das             Kolonialvereine und andere Akteur*innen der
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                                  politische und militärische Vorgehen gegenüber    kolonialrevisionistischen Bewegung darauf, dass
                                  Kolonialsoldaten der gegnerischen Seite           die Askari genannten afrikanischen Kolo-
                                  waren jedoch widersprüchlich. Zeitgleich          nialsoldaten in „Deutsch-Ostafrika“ (heute
                               45 zur rassistischen Propaganda bemühte sich      90 Ruanda, Burundi und Tansania ohne Sansibar)

                                                                                                                                      33
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                               H1         H I NT E RG RU N DT EXT

                                     1   im Ersten Weltkrieg „treu bis in den Tod“              unterstellt, massenhaft deutsche Frauen zu
                                         auf deutscher Seite gekämpft hätten. Die               vergewaltigen und dabei „Mischlinge“ zu
                                         mehrheitlich aus Askari bestehenden                    zeugen – dies ließ sich durch behördliche
                                         deutschen Kolonialtruppen unter dem Befehl             Untersuchungen allerdings nicht nachweisen.
                                     5   des Generals Paul von Lettow-Vorbeck hatten         50 Durch die Stationierung der Soldaten of Color
                                         tatsächlich bis über den Waffenstillstand hinaus       auf deutschem Boden würde, so die Propa-
                                         gegen die Briten gekämpft. Allerdings hatte im         ganda, die deutsche Nation gedemütigt; auch
                                         Kriegsverlauf eine wachsende Zahl der afrikani-        geriete die Reinheit der „weißen Rasse“ in
                                         schen Soldaten und Träger Fahnenflucht                 Gefahr. In großer Zahl brachte die Kampagne
                                    10   begangen. Die propagandistischen Erzählungen        55 rassistische Bilder in Umlauf, die Szenen der
                                         von den „treuen Askari“ waren Teil des                 Versklavung und Vergewaltigung von Deut-
                                         kolonialrevisionistischen Kampfes um die               schen durch französische Kolonialsoldaten
                                         Rückgabe der ehemaligen Kolonien. Die damit            zeigten. Mit Bildern dieser Art wurde die Be-
                                         verbundene Bekräftigung der militärischen              setzung Deutschlands durch Kolonialtruppen
                                    15   Stärke und kolonialen Leistungen Deutsch-           60 gewissermaßen als eine Umkehrung der
                                         lands diente zugleich einer nationalen Selbstver-      kolonialen Machtverhältnisse gedeutet.
                                         gewisserung angesichts der Kriegsniederlage,
                                         die von vielen Deutschen als eine Demütigung
                                         der deutschen Nation empfunden wurde. Die                       H1.g
                                    20   Vereinnahmung der Askari für politische Zwecke      65   Zur Situation von People of Color in der
                                         führte allerdings nicht zu einer politischen             Weimarer Republik
                                         und gesellschaftlichen Anerkennung dieser
                                         ehemaligen Kolonialsoldaten.                             Die Situation von People of Color und vor allem
                                                                                                  der – vorwiegend männlichen – Migrant*innen
                                    25                                                       70   aus den ehemaligen deutschen Kolonien nach
                                                H1.f                                              dem Ersten Weltkrieg war schwierig: Sie litten
                                         Nach dem Ersten Weltkrieg: Die                           nicht nur unter dem zunehmenden Rassismus
                                         rassistische Kampagne gegen die                          sowie den Wirtschaftskrisen der Weimarer Zeit,
                                         „Schwarze Schmach“                                       sondern auch darunter, dass ihr Rechts- und
                                    30                                                       75   Aufenthaltsstatus unsicher war. Deutschland
                                       Zeitgleich mit den Erzählungen von den „treuen             war für die Kolonialmigrant*innen offiziell nicht
                                       Askari“, die ein „positives“ Bild afrikanischer            mehr zuständig. Die neuen Mandatsmächte
                                       Kolonialsoldaten verbreiteten, verschärfte sich            Großbritannien und Frankreich erklärten sich in
                                       der Rassismus gegen People of Color und                    der Regel nur für sie verantwortlich, wenn die
                                    35 insbesondere gegen Schwarze Männer und                80   Betreffenden wieder in ihre Herkunftsländer
                                       Kinder nach dem Ende des Ersten Weltkrieges                zurückkehrten. Dies war dadurch erschwert,
                                       massiv. Grund dafür war eine 1920 von staat-               dass viele der männlichen Migranten als politi-
                                       licher Seite ins Leben gerufene und von einem              sche Unruhestifter galten oder mit weißen
                                       breiten gesellschaftlichen Spektrum getragene              deutschen Frauen verheiratet waren. Die Prä-
                                    40 rassistische Propaganda-Kampagne. Diese               85   senz von widerständigen Kolonisierten war
                                       richtete sich gegen die Stationierung von                  seitens der Mandatsmächte Frankreich und
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                                       französischen Kolonialsoldaten im besetzten                Großbritannien ebenso unerwünscht wie
                                       Rheinland und geißelte die Präsenz der Sol-                Schwarze Männer mit weißen Frauen auf
                                       daten auf deutschem Boden als „Schwarze                    kolonialem Gebiet. Der Umgang der deutschen
                                    45 Schmach“. Den Kolonialsoldaten wurde                  90   Behörden mit den in Deutschland verbliebenen

                                         34
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                                                                                         HINT E RGRU NDT E XT                            H1
                                1 Kolonialmigrant*innen war zwiespältig. Einer-         die „Schwarze Schmach“ ging zusehends
                                  seits unterstützte das Auswärtige Amt einzelne        in Fantasien eines globalen Kampfes verschie-
                                  in Not geratene Migranten finanziell, anderer-        dener „Rassen“ über. Diesen Fantasien zufolge
                                  seits bemühte es sich darum, sie aus Deutsch-         sollte Europa bzw. sollten die „weißen Völker“
                                5 land abzuschieben. Nur sehr wenige Kolonial-       50 ihre Vormachtstellung gegenüber den nach
                                  migrant*innen besaßen die deutsche Staats-            Gleichberechtigung strebenden „farbigen
                                  bürgerschaft – und Anträge auf Einbürgerung           Völkern“ verteidigen – im politischen wie im
                                  lehnten die deutschen Behörden in der Regel           kulturellen Bereich. Bei der aufstrebenden
                                  ab.                                                   NSDAP verband sich diese rassistische Welt-
                               10                                                    55 sicht mit Antisemitismus. Ihren antisemiti-
                                    Zugleich öffnete sich die junge Weimarer            schen Vorstellungen zufolge dienten People of
                                    Republik aufgrund ihrer außenpolitischen und        Color als Mittel im Kampf der „Juden“ um die
                                    wirtschaftlichen Isolation nach der Kriegs-         „Weltherrschaft“.
                                    niederlage zunehmend gegenüber außereuro-
                               15   päischen Regionen. Im Rahmen dieser außen-
                                    und wirtschaftspolitischen Annäherungen
                                    stieg auch die Zahl außereuropäischer
                                    Migrant*innen in Deutschland merklich an.
                                    Aus asiatischen Ländern wie China, Japan
                               20   und der britischen Kolonie Indien sowie aus
                                    arabischen und vereinzelt aus afrikanischen
                                    Regionen kamen mehrheitlich junge Männer
                                    nach Deutschland, um zu studieren, eine
                                    Ausbildung zu absolvieren und sich im Bereich
                               25   der Kultur, der Wissenschaft oder von Handel
                                    und Wirtschaft zu betätigen. Einige von ihnen
                                    betrieben auch antikoloniale Politik. Nach dem
                                    Ende der deutschen Kolonialherrschaft wurde
                                    Deutschland in den 1920er-Jahren geradezu
                               30   zu einem Knotenpunkt transnationaler anti-
                                    kolonialer Netzwerke in Europa. Im Zuge
                                    der Demokratisierung, Modernisierung und
                                    Liberalisierung der 1920er-Jahre erlebte die
                                    Weimarer Republik außerdem eine Blütezeit
                               35   moderner und international ausgerichteter
                                    Kunst und Populärkultur. Dadurch eröffneten
                                    sich im Unterhaltungsgewerbe neue Räume
                                    und Rollen für People of Color jenseits der
                                    kolonialen Bilder der „Völkerschauen“.
                               40   Bereits gegen Ende der 1920er-Jahre wurden
                                    diese Entwicklungen – und insbesondere die
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                                    wachsende Beliebtheit des afroamerikanisch
                                    geprägten Jazz – allerdings von konservativer
                                    und reaktionärer Seite immer schärfer be-
                               45   kämpft. Der Rassismus der Propaganda gegen

                                                                                                                                   35
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                               M1        MATE R I A LI E N

                                    1            M1.a                                         Während Macht- und Wirtschaftsinteressen
                                        Die propagandistische Erzählung von der               der beteiligten Staaten ausschließlich für die
                                        „kolonialen Schuldlüge“                               Aneignung deutschen Kolonialbesitzes maßge-
                                                                                              bend waren, erklärten sie der Welt gegenüber,
                                   So stellt das Vorgehen der Alliierten1 in bezug
                                    5                                                      50 eine heilige Aufgabe der Zivilisation erfül-
                                   auf die deutschen Kolonien einen dreifachen                len zu wollen. [...]
                                   Betrug dar. Betrogen ist einmal das deutsche
                                   Volk. Die Alliierten hatten durch die Vorspiege-           Der Inhalt der kolonialen Schuldlüge lässt
                                   lung eines Friedens auf Grund der 14 Punkte                sich kurz dahin zusammenfassen: Ein militäri-
                                10 des Präsidenten [Woodrow] Wilson2 in ihm den            55 sches Deutschland habe in brutaler Gewalt-
                                   Irrtum erregt, daß eine unparteiische Schlich-             herrschaft die von ihm unterjochten Einge-
                                   tung der kolonialen Ansprüche unter                        borenenvölker mißhandelt und sei auf die
                                   Berücksichtigung der Interessen der                        Schaffung von Stützpunkten zur Bedro-
                                   Eingeborenen erfolgen werde; an Stelle                     hung anderer Nationen ausgegangen. [...]
                                15 dessen ist die Wegnahme und Verteilung der              60
                                   deutschen Kolonien lediglich nach macht-                   Gewiß sind in den deutschen Kolonien, wie
                                   politischen Gesichtspunkten erfolgt [...].                 in den Kolonien anderer Länder, Fälle von
                                                                                              Eingeborenenmißhandlungen und auch von
                                                                                              Grausamkeiten vorgekommen. Aber absolut
                                             1. Als „Alliierte“ werden hier die Sieger-
                                                                                           65 unstatthaft ist es, diese Fälle zu verallgemeinern
                                             mächte des Ersten Weltkrieges bezeichnet.
                                             Unter ihnen waren Großbritannien und             und der deutschen Kolonialverwaltung, im
                                             Frankreich sowie die USA.                        Gegensatz zu anderen, Härten oder Grausam-
                                             2. Der US-amerikanische Präsident                keiten vorzuwerfen. Gewiß sind im Reichstag
                                             Woodrow Wilson verkündete im Januar
                                             1918 ein „14-Punkte-Programm“, das die
                                                                                              von Abgeordneten Vorwürfe in Bezug auf
                                             Grundzüge einer Friedensordnung festlegte.    70 Eingeborenenbehandlung erhoben worden,
                                             Unter anderem sollten Friedensverträge           aber in welchem Parlament von Kultur-
                                             nicht im Geheimen ausgehandelt werden.
                                             Außerdem sollten bei der Klärung kolonialer      nationen ist das nicht geschehen? Es würde
                                             Machtansprüche gleichermaßen die Interes-        nicht schwer sein, sowohl aus englischen
                                             sen der kolonisierten Bevölkerungen wie          wie aus französischen Parlamentsver-
                                             auch die Ansprüche der betreffenden
                                             Kolonialmacht berücksichtigt werden.          75 handlungen, wie aus einzelnen Fällen, die aus
                                                                                              Gerichtsverhandlungen oder auf sonstige Weise
                                                                                              der Öffentlichkeit bekannt geworden sind,
                                   Betrogen sind ferner die Eingeborenenbe-                   ähnliche Bilder zu entwerfen. [...]
                                   völkerungen der deutschen Kolonien. Die
                                35 Alliierten hatten im Krieg das Selbstbestim-        Welche Folgerungen ergeben sich aus diesen
                                                                                           80
                                   mungsrecht der Völker auf ihre Fahnen               Tatsachen? Die Wegnahme der deutschen
                                   geschrieben [...]. Tatsächlich ist die Verteilung   Kolonien ist begründet auf die Behauptung
                                   erfolgt, ohne daß die Wünsche der Einge-            von Deutschlands Versagen in der kolonia-
                                   borenen irgendwie dabei berücksichtigt              len Zivilisation und von seinem aggressiven
                                40 wären. [...]                                     85 kolonialen Imperialismus. Diese Behauptung
                                                                                       ist mit allem, was drum und dran hängt, als
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                                   Endlich ist die Öffentlichkeit getäuscht worden.    Lüge erwiesen worden. Damit fällt die
                                   Es wurde der Irrtum erregt, als ob bei der Ent-     Grundlage fort, auf der die Alliierten den
                                   scheidung über die deutschen Kolonien morali-       auf die Kolonien bezüglichen Teil des Ver-
                                45 sche Gründe maßgebend gewesen seien. [...]       90 sailler Friedens aufgebaut haben. Es fallen

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                                1 auch die Gründe weg, mit denen die Alliier-                         materielles Lockmittel konnten wir ihnen geben;
                                  ten Deutschland und der Welt gegenüber                              wir boten ihnen nur Kämpfe, Entbehrungen,
                                  ihr Verfahren betreffend die deutschen                              Verluste, und doch hielten sie aus. Auch sie
                                  Kolonien gerechtfertigt haben. Es ergibt                            waren von Idealen getragen, und echte Ideale
                                5 sich daraus die Forderung nach Rückgabe     50                      halten Stürmen stand; denn das Gute ist ewig.
                                  der deutschen Kolonien an Deutschland.
                                                                                                    Werden da nicht in uns allen verwandte Saiten
                                    Aus: Schnee, Heinrich 1927 [1924]. Die koloniale                angeschlagen? 2000 Jahre heldenhafter deut-
                                    Schuldlüge. 2. Auflage. München, S. 22 f, 33, 51 f, 101 f,      scher Geschichte, und nicht zum geringsten
                                    Hervorhebungen im Original
                               10                                                                55 die Taten des letzten großen Weltkrieges leben
                                                                                                    in unseren Herzen fort; war uns Deutschen
                                             M1.b                                                   auch der Erfolg versagt, die Leistungen bleiben
                                    General Paul von Lettow-Vorbeck                                 gewaltig. Sie geben uns das Recht, an die
                                    über die „treuen Askari“                                        Zukunft unseres Vaterlandes zu glauben.
                               15                                                                60
                                  „Wir werden bei dir bleiben, bis wir fallen!“                     Auch Kolonien haben bisher zu den wert-
                                  Klingt das nicht wie der Ausdruck unseres                         vollsten Gütern unseres Vaterlandes gehört.
                                  eigensten germanischen Wesens mit seiner                          Schon ihr bisheriges kurzes Bestehen hat unsere
                                  schlichten, wortkargen Treue, mit seiner mann-                    Gabe zu kolonisieren erwiesen. Wir haben uns
                               20 haften Festigkeit, die die Zähne aufeinander-                  65 ehrlich bemüht, sie zu verteidigen.
                                  beißt? Haben nicht […] die Grenadiere des
                                  alten Fritz so empfunden und gehandelt? Und                       Laßt Euch erzählen, wie wir in Ostafrika
                                  doch waren es einfache schwarze Soldaten,                         während des ganzen Krieges die deutsche
                                  deutsche Askari, die so zu mir sprachen, noch                     Fahne hochgehalten haben, und wie uns dazu
                               25 im November 1918, nach mehr als vier Kriegs-                   70 Vaterlandsliebe, Pflichtgefühl und der uner-
                                  jahren gegen hundertfache Übermacht. Deut-                        schütterliche Glaube an unsere gute Sache die
                                  sches Soldatentum hatte ihnen einen Stempel                       Kraft verlieh.
                                  aufgedrückt; Anhänglichkeiten an die deut-
                                  schen Führer, Pflichtgefühl und unbändiger                          Vorwort von General Paul von Lettow-Vorbeck, in:
                                                                                                      Ders. 1920. Heia Safari! Deutschlands Kampf in Ostafrika.
                               30 Soldatenstolz machten es ihnen unmöglich,
                                                                                                      Leipzig, ohne Seitenangabe
                                  in dem ungleichen Kampfe beizugeben. Kein
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                                                                                                                                                            37
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                               M1        MATE R I A LI E N

                                    1            M1.c+d+e
                                        Drei undatierte Propaganda-Postkarten

                                        Unten links ist die kolonialrevisionistische
                                    5   Propaganda-Postkarte eines „treuen
                                        Askari“ abgebildet, der die Nationalflagge
                                        des Deutschen Kaiserreichs hochhält.
                                        Die Postkarte daneben trägt den
                                        Titel „Deutsche vergeßt nicht. Durch
                                10      Generationen Sklaven-Arbeit“, die
                                        Postkarte oben rechts den Titel „Deutsche
                                        vergeßt nicht. Die schwarze Schmach“.
                                        Letztere Postkarten zeigen rassistische
                                        Darstellungen aus der Propaganda-
                                15      Kampagne gegen die „Schwarze Schmach“,
                                        mit der die vermeintliche Umkehrung der
                                        kolonialen Ordnung angeprangert wurde.
                                        Derartige Propaganda-Postkarten waren in
                                        der Weimarer Republik weit verbreitet und
                                20      prägten die Vorstellungswelt der weißen
                                        deutschen Bevölkerung.
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                                        Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

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                                1          M1.f                                      unkultivierte Rasse sind, wie in Deutschland
                                    Offener Brief des Afrikanischen                  jetzt allgemein behauptet wird. Wir müssen die
                                    Hilfsvereins von 1921                            Deutschen auch daran erinnern, daß Lettow-
                                                                                     Vorbeck den Krieg in Afrika nicht allein geführt
                                5   Die deutschen Neger und die „schwarze		 50 hat, sondern daß die Eingeborenen teilge-
                                    Schmach“.                                        nommen haben, und daß sie ihr Leben mit Stolz
                                                                                     für die deutsche Flagge einsetzten.
                                    Der deutsche Neger Lowis Brody schreibt uns
                                                                      1
                                                                                     Die Schwarzen, die sich in Berlin und in den
                                    im Namen des afrikanischen Hilfsvereins:         nicht besetzten Gebieten Deutschlands auf-
                               10                                                 55 halten, stammen aus den ehemaligen deutschen
                                    Die aus den ehemaligen deutschen Kolonien        Kolonien und sind keine Gelben2 und Schwar-
                                    stammenden Schwarzen, die sich jetzt in          zen aus dem besetzten Gebiet. Wir bitten
                                    Deutschland aufhalten, haben sehr unter den      deshalb die Deutschen, Rücksicht zu nehmen
                                    Berichten zu leiden, die in einigen Zeitungen    und nicht fortwährend durch Berichte über die
                               15   über die „schwarze Schmach“ veröffentlicht    60 Schwarze Schmach gegen sie zu hetzen.
                                    werden.
                                                                                     Veranlassung zu unserem Schreiben gibt uns
                                    Die Deutschen scheinen dabei gar nicht zu        der folgende Vorfall: Ein Landsmann von uns,
                                    bedenken, daß sie früher selbst Kolonien         der vor ungefähr 14 Tagen ruhig auf der Straße
                               20   besessen haben, und daß bis heute noch keine 65 ging, wurde plötzlich von Passanten überfallen
                                    endgültige Entscheidung darüber getroffen        und furchtbar beschimpft und geschlagen,
                                    ist, ob die Eingeborenen aus den ehemaligen      da die Leute annahmen, daß es sich um einen
                                    deutschen Kolonien Untertanen der Entente        Schwarzen aus dem besetzten Gebiet handelte.
                                    werden oder Deutsche bleiben sollen. Die
                               25   Eingeborenen in den besetzten Kolonien           Aufruf des „Afrikanerbunds“3 an die deutsche
                                    werden politisch vorderhand als Deutsche be-     Öffentlichkeit, in: BZ [Berliner Zeitung] am Mittag 44/118,
                                                                                     24.5.1921
                                    handelt. Ferner wird aus dem gleichen Grunde
                                    die Rückreise von Eingeborenen, die sich
                                    augenblicklich in Deutschland aufhalten, sehr        1. Der Schwarze Schauspieler und Enter-
                               30   erschwert.                                           tainer Louis Brody aus Kamerun war ein
                                                                                                Gründungsmitglied des Afrikanischen
                                                                                                Hilfsvereins.
                                  Wir bitten daher die Deutschen, darauf Rück-                  2. Die Bezeichnung „Gelbe“ bezieht sich
                                  sicht zu nehmen, daß wir genauso leiden wie                   vermutlich auf die – in geringer Zahl im
                                                                                                Rheinland stationierten – Kolonialsoldaten
                                  jeder andere Deutsche, und uns nicht von oben
                                                                                                aus französischen Kolonien in Asien.
                               35 herab anzusehen.
                                                                                                3. So der Originaltitel des Zeitungsartikels.
                                                                                                Mit „Afrikanerbund“ ist der Afrikanische
                                    Wir möchten auch noch ganz besonders                        Hilfsverein gemeint.
                                    erwähnen, daß wir nicht die unmoralische und
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                                                                                                                                                39
MODUL            1

                               M1        MATE R I A LI E N

                                    1           M1.g                                          M1.h
                                        Foto von Hans Hauck (1920–2003)               Briefverschlussmarke (Vorderseite) aus der
                                        mit seiner Mutter, 1920er-Jahre               rassistischen Propaganda-Kampagne gegen
                                                                                      die „Schwarze Schmach“, 1920
                                                                                 50
                                                                                    Die staatlich initiierte und von weiten
                                                                                    gesellschaftlichen Kreisen getragene
                                                                                    Kampagne gegen die „Schwarze Schmach“
                                                                                    verbreitete in großer Zahl rassistische
                                                                                 55 Bilder und Behauptungen wie diese Brief-
                                                                                    verschlussmarke, die zum Zukleben von
                                                                                    Briefumschlägen diente. Der Text auf ihrer
                                                                                    Rückseite lautet: „Schon jetzt sind infolge
                                                                                    von Vergewaltigungen an Frauen und
                                                                                 60 Mädchen (farbige Franzosen haben selbst
                                                                                    eine 72jährige Greisin vergewaltigt) Misch-
                                                                                    lingskinder zur Welt gekommen. Eine
                                                                                    systematische Verseuchung der deutschen
                                                                                    Rasse ist nicht aufzuhalten, wenn während
                                                                                 65 der Dauer der noch 13jährigen Besetzung
                                                                                    farbige Franzosen im Rheinland und in der
                                                                                    Pfalz weiter als Polizeitruppe herrschen
                                                                                    dürfen.“

                                        Sammlung Dr. Peter Martin, Hamburg

                                   Hans Haucks Mutter verliebte sich
                                   nach dem Ersten Weltkrieg in einen im
                                   Rheinland stationierten französisch-algeri-
                                30 schen Besatzungssoldaten. Aus dieser
                                   Liebesbeziehung ging ihr 1920 in Frankfurt
                                   am Main geborener Sohn Hans hervor.
                                   Vor dem Hintergrund der im gleichen Jahr
                                   gestarteten rassistischen Kampagne gegen
                                35 die „Schwarze Schmach“, die gegen die
                                   im Rheinland stationierten französischen
                                   Kolonialsoldaten und deren Nachkommen
                                   hetzte, wurde Hans Hauck wegen seines
                                   algerischen Vaters von anderen Kindern
                                40 rassistisch angefeindet. 1937 wurde er
                                   Opfer einer Aktion der Gestapo, die sich
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                                   gegen die im Rheinland geborenen Kinder
                                   französischer Kolonialsoldaten richtete und        Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MA 108037
                                   mit deren Zwangssterilisierung endete.

                                        40
MOD UL          1

                                                                                                          M AT E RIA LIE N                  M1
                               1           M1.i                                                    M1.j
                                   Rassistische Karikatur aus der Kampagne                  Aufmacher der Wochenendbeilage zur
                                   gegen die Besetzung des Rheinlands durch                 Süddeutschen Zeitung vom 9.1.2016 zur
                                   französische Kolonialsoldaten, 1923                      „Kölner Silvesternacht 2015“
                               5
                                  Die Überschrift dieser 1923 veröffent-
                                  lichten Karikatur lautet: „Die Schwarze
                                  Schmach! Überfall und Vergewaltigung
                                  eines rheinischen Mädchens durch einen
                               10 Madagaskar-Neger“. Der Untertitel lautet:
                                  „‚O, nix kreisch! Ouir [= Nachahmung der
                                  französischen Aussprache von „wir“] sein
                                  höchstes „Cultur“ du grande Natione!‘
                                  Aus der Kunstmappe des amerikanischen
                               15 Zeichners A.M. Cay: ‚Die Franzosen am
                                  Rhein!‘“ Deutlich wird hier, dass sich
                                  auch Akteur*innen aus dem Ausland
                                  an der Kampagne beteiligten, und
                                  dass dies in Deutschland wiederum für
                               20 propagandistische Zwecke genutzt wurde.

                                                                                             Auf der Titelseite der Wochenendbeilage
                                                                                             zur Süddeutschen Zeitung vom 9. Januar
                                                                                             2016 ist eine grafische Darstellung
                                                                                          70 abgebildet.

                                                                                             Diese zeigt einen in weißer Farbe gehal-
                                                                                             tenen weiblichen Unterkörper auf schwar-
                                                                                             zem Grund. Zwischen den Beinen der Frau
                                                                                          75 ragt ein schwarzer Arm empor, die
                                                                                             schwarze Hand ist im Schritt der Frau
                                                                                             platziert. Die Abbildung ist im Internet
                                                                                             auffindbar unter http://meedia.
                                                                                             de/2016/01/11/schwarzer-mann-
                                                                                          80 bedraengt-weisse-frau-sz-chef-wolfang-
                                                                                             krach-entschuldigt-sich-fuer-illustration/
                                                                                             (Zugriff: 13.05.2018).
                                   Zeichnung „Die schwarze Schmach!“, in: Franzosen im
                                   Ruhrgebiet. 10 Zeichnungen von A.M. Cay. Berlin o.J.      Die Süddeutsche Zeitung hat die Her-
                                                                                          85 ausgabe des Bildes für Veröffentli-
                                                                                             chungszwecke mittlerweile gesperrt,
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                                                                                             weshalb sie hier nicht abgedruckt werden
                                                                                             kann.

                                                                                                                                     41
MODUL             1

                               M1        MATE R I A LI E N

                                    1           M1.k                                           kann so verstanden werden, als würden Frauen
                                        SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach                        zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle
                                        distanzierte sich am 10. Januar 2016 von               Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten
                                        der am Vortag veröffentlichten Illustration:           wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die
                                    5                                                       50 Illustration die Gefühle von Leserinnen und
                                   Am Wochenende haben wir [...] ausführlich                   Lesern verletzt haben, und entschuldigen uns
                                   über die Ereignisse der Silvesternacht von Köln             dafür.
                                   und die sexuelle Gewalt berichtet, die dort
                                   vielen Frauen angetan worden ist. Wir haben           https://web.facebook.com/ihre.sz/photos/a.48824385
                                10 [...] zwei Illustrationen verwendet. Die              1266999.1073741825.215982125159841/94847280191
                                                                                         0766/?type=3&comment_id=948479228576790&reply_
                                   eine zeigt eine Faust im Kopf 1, die andere           comment_id=948480731909973&comment_tracking=%7B
                                   symbolisiert einen sexuellen Übergriff auf eine       %22tn%22%3A%22R9%22%7D&_rdc=1&_rdr
                                                                                         (Zugriff: 28.2.2018)
                                   weiße Frau durch eine schwarze Hand […].
                                   Diese zweite Illustration hat bei etlichen unserer
                                15 Leserinnen und Leser Unverständnis und Wut         60
                                   hervorgerufen; sie kritisieren sie als sexistisch               M1.l
                                   und rassistisch.                                      Paul Mecheril und Monica van der
                                                                                         Hagen-Wulff fordern eine historische
                                                                                         Kontextualisierung der medialen Debatte
                                        1. Diese Abbildung dient als Illustration
                                        des hier zitierten Facebook-Eintrags vom      65 um die „Kölner Silvesternacht 2015“:
                                             10.1.2016.

                                                                                               Wer die medialen Präsentationen der zeitgenös-
                                   Unsere Absicht war, mit den beiden Illustrati-              sischen Ereignisse der Kölner Silvesternacht den
                                   onen deutlich zu machen, dass sexuelle Gewalt               Bildern der „Schmach vom Rhein“ an die Seite
                                25 gegen Frauen nicht nur aus physischen Über-              70 stellt […], erkennt die Ähnlichkeit der Muster,
                                   griffen besteht, sondern meist im Kopf und im               Rechtfertigungsstrategien, symbolischen
                                   Denken beginnt. In den begleitenden Texten                  Ordnungen und Repräsentationen.
                                   haben wir so differenziert wie möglich über                 Allerdings werden diese Zusammenhänge
                                   die Ereignisse von Köln, die Angriffe auf die               in Deutschland nicht erinnert und nicht
                                30 Frauen, die Motive und die Hintergründe der              75 mit den zeitgenössischen (etwa Kölner)
                                   Taten, das Versagen der Polizei und auch über               Diskursereignissen artikuliert; wir haben es
                                   die Instrumentalisierung der Taten durch rechte             hier mit einem institutionalisierten, historischen
                                   Demagogen berichtet.                                        Gedächtnisschwund zu tun […].

                                35      Die zweite Illustration läuft dieser differenzie-     Mecheril, Paul/van der Hagen-Wulff, Monica 2016.
                                        renden Absicht jedoch entgegen. Sie bedient           Bedroht, angstvoll, wütend. Affektlogik der Migrationsge-
                                                                                              sellschaft, in: Castro Varela, María do Mar/Mecheril, Paul
                                        stereotype Bilder vom „schwarzen Mann“, der           (Hg.). Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik
                                        einen „weißen Frauenkörper“ bedrängt, und             der Gegenwart. Bielefeld, S. 119–141, hier S. 123 f
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                                        42
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                                                                                                               GLO S SA R

                                       Antisemitismus/antisemitisch                 gegen Sinti und Roma prägten schon seit dem
                               Der Ende des 19. Jahrhunderts geprägte Be-           19. Jahrhundert das staatliche Handeln und
                               griff Antisemitismus bezeichnet rassistische         die gesellschaftliche Haltung in Deutschland.
                               Formen der Feindschaft gegenüber Jüdinnen            Die Nationalsozialist*innen begannen nach
                               und Juden. Während andere rassistisch                der Machtübernahme mit der systematischen
                               diskriminierte Gruppen vor allem als minder-         Erfassung dieser Bevölkerungsgruppen. Das
                               wertig erachtet werden, werden Jüdinnen und          „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach-
                               Juden im Antisemitismus auch als mächtig und         wuchses“ vom 14. Juli 1933 und die „Nürnber-
                               deshalb bedrohlich dargestellt. Antisemitismus       ger Rassengesetze“ 1935 bildeten die Grund-
                               war von zentraler Bedeutung für die Ideologie        lage für die rassistische Ausgrenzung und Ver-
                               und Politik der Nationalsozialist*innen und          folgung sowie für Zwangssterilisationen und
                               wurde durch „Rassengesetze“ (z.B. die                den Massenmord an Sinti und Roma im
                               „Nürnberger Rassengesetze“) im national-             Nationalsozialismus.
                               sozialistischen Rechtssystem verankert.
                               Im Zweiten Weltkrieg mündete die antisemitisch
                               begründete Entrechtung im nationalsozialisti-                „Arier“/„arisch“/„Arisierung“/
                               schen Massenmord an über sechs Millionen             „Ariernachweis“
                               europäischen Jüdinnen und Juden.                     Die Nationalsozialist*innen vertraten die Vor-
                                                                                    stellung, dass es höherwertige und minder-
                                                                                    wertige „Rassen“ gebe. Ihrer Ideologie zufolge
                                       Antislawismus/antislawisch                   bildeten die „Arier“, zu denen sie die meisten
                               Bereits im 19. Jahrhundert war Antislawismus –       nicht jüdischen Deutschen zählten, die
                               auch Slawenfeindlichkeit genannt – in                höchststehende „Rasse“. Neben die Bezeich-
                               Deutschland als eine Form des Rassismus weit         nung „arisch“ trat ab 1935 auch „deutsch-
                               verbreitet. Darunter ist die Diskriminierung und     blütig“. Mit dem „Ariernachweis“ mussten
                               Verfolgung von Menschen osteuropäischer              bestimmte Berufsgruppen – insbesondere
                               Herkunft zu verstehen, die durch rassistische        Beamte und Angestellte des öffentlichen
                               Zuschreibungen als Angehörige einer „slawi-          Dienstes – im nationalsozialistischen Deutsch-
                               schen Rasse“ angesehen werden. „Slawen“              land ihre Herkunft nachweisen und wurden
                               wurden als minderwertig erachtet und es wurde        in entsprechende Kategorien eingeteilt: Als
                               ihnen die Fähigkeit zur Kultivierung von Land        „nichtarisch“ bzw. „artfremd“ geltende
                               abgesprochen. Antislawismus spielte in der           Personen wie Jüdinnen und Juden, Sinti und
                               nationalsozialistischen Ideologie und Politik eine   Roma und People of Color wurden vor dem
                               wichtige Rolle, insbesondere für die Rechtferti-     Hintergrund dieser Ideologie aus bestimmten
                               gung des Angriffskrieges gegen die Sowjet-           Berufsfeldern ausgeschlossen („Arisierung“),
                               union, die Annexion osteuropäischer Regionen         entrechtet und ausgegrenzt.
                               für deutsche Siedlungsprojekte und die
                               unmenschliche Behandlung sowjetischer
                               Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg.                      „Artfremde“/„artfremd“
                                                                                    Die rassistische Ideologie der Nationalsozialis-
                                                                                    t*innen ging davon aus, dass es höher- und
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                                       Antiziganismus/antiziganistisch              minderwertige „Rassen“ gebe. Dabei stand
                               Als Antiziganismus wird die Diskriminierung          der Personengruppe, die als „deutschblütig“
                               und Verfolgung von Menschen bezeichnet, die          bzw. „arisch“ galt, die höchste Stellung zu. In
                               als „Zigeuner“ stigmatisiert werden. Vorurteile      „Rassengesetzen“ wurde geregelt, wer nicht

                                                                                                                                169
MODULE          1 BI S 5

                               GLO S SA R

                               zu dieser Gruppe gehörte. Jüdinnen und                   Entente-Mächte/Entente
                               Juden, Roma und Sinti und People of Color        Als Entente-Mächte oder Entente wurden die
                               wurden auf dieser Grundlage als „artfremd“       im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland kämp-
                               bzw. „nichtarisch“ bezeichnet, diskriminiert     fenden Staaten Großbritannien und Frankreich
                               und verfolgt.                                    – und bisweilen auch deren Verbündete –
                                                                                bezeichnet.

                                        Askari
                               Askari ist eine zeitgenössische Bezeichnung              „Exotik“/„exotisch“/Exotisierung
                               für Soldaten vorwiegend afrikanischer Her-       Die Begriffe werden zur Bezeichnung meist
                               kunft, die in den Kolonialgebieten im Dienst     außereuropäischer, nicht westlich geprägter
                               europäischer Großmächte standen. Der Be-         Regionen und Menschen verwendet, um
                               griff wurde von dem Swahili-Wort für Soldat      die ihnen zugeschriebene „Fremdheit“
                               übernommen und bezieht sich im deutschen         hervorzuheben. „Exotik“ verweist also auf die
                               Sprachgebrauch insbesondere auf afrikanische     Vorstellung kultureller oder auch „rassischer“
                               Kolonialsoldaten in der Kolonie „Deutsch-Ost-    Unterschiede. Exotisierung betont den Vorgang,
                               afrika“ (heute Ruanda, Burundi und Tansania      in dem diese Unterscheidung getroffen
                               ohne Sansibar). Siehe auch „treuer Askari“.      wird. Trotz der Ähnlichkeiten zu kolonialen
                                                                                Rassismen kann Exotisierung aber auch mit
                                                                                einer Wertschätzung, mit Sehnsüchten und
                                      „deutschblütig“                           einem Begehren verbunden sein, die der
                               Siehe „Arier“/„arisch“/„ Arisierung“/            rassistischen Abgrenzung und Abwertung
                               „Ariernachweis“.                                 entgegenlaufen.

                                       „Eingeborene“                                    „Farbige“/„farbig“
                               Die deutsche Kolonialmacht kategorisierte die    Der Begriff hat seinen Ursprung in der Kolonial-
                               kolonisierten Bevölkerungen als „Eingeborene“,   zeit und bezeichnete alle Menschen, die nicht
                               womit sie zugleich den Europäer*innen unter-     als weiß angesehen wurden. Auch im National-
                               geordnet werden sollten. „Eingeborene“ waren     sozialismus wurde der Begriff in diesem Sinne
                               zwar Untertan*innen des deutschen Staates,       verwendet. Unter anderem galten Menschen
                               doch wurden ihnen die deutsche Staatsbürger-     afrikanischer, indischer, arabischer, chinesi-
                               schaft und die sich daraus ergebenden Rechte     scher und japanischer Herkunft als „farbig“.
                               vorenthalten. In den kolonisierten Gebieten      Die Bezeichnung von Menschen als „farbig“
                               waren sie einer eigenen Rechtsprechung           bedeutet gleichzeitig, dass weiß als Normalzu-
                               unterstellt. In einigen Kolonien – darunter      stand aufgefasst wird. Siehe People of Color.
                               in „Deutsch-Südwestafrika“ (dem heutigen
                               Namibia) – war ihnen ab Anfang des 20.
                               Jahrhunderts die Eheschließung mit Deutschen             „Gemeinschaftsfremde“/
                               untersagt. In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden     „gemeinschaftsfremd“
                               1907 „Eingeborenenverordnungen“ erlassen,        Mit diesem Begriff wurden Personen
Onlineversion, Stand 01/2019

                               mit denen die Rechte der Kolonisierten weiter    bezeichnet, die aus rassistischen, sozialen
                               eingeschränkt wurden. Unter anderem wurde        oder politischen Gründen aus der national-
                               „Eingeborenen“ das Recht auf Freizügigkeit und   sozialistischen „Volksgemeinschaft“ ausge-
                               das Recht auf Landbesitz entzogen.               grenzt wurden. Siehe „Volksgemeinschaft“.

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