Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871-1918) zur Weimarer Republik (1918-1933) - Verflechtungen ...
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Modul 1 People of Color in Deutschland: Vom Kaiserreich (1871–1918) zur Weimarer Republik (1918–1933) Onlineversion, Stand 01/2019
MODUL 1 D1 D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R >> Für Multiplikator*innen Im Mittelpunkt von Modul 1 stehen die in Vermittlungsziele zu A1 – Deutschland verbreiteten Stereotype gegenüber Grundlegende und vertiefende deutschen und französischen Kolonialsoldaten Unterrichtseinheiten („treuer Askari“ bzw. „Schwarze Schmach“) und deren Einsatz in Propaganda-Kampagnen. ■ Die Zielgruppen erkennen koloniale Während das Stereotyp des „treuen Askari“ Stereotype („treuer Askari“ vs. „Schwarze kaum noch bekannt ist, lebt die sexistische Schmach“) und deren ambivalente Funkti- und rassistische Bildsprache der „Schwarze onsweisen und Effekte. Schmach“-Propaganda bis in die Gegenwart fort. Wie das Beispiel der Berichterstattung ■ Die Lernenden setzen sich mit dem über die „Kölner Silvesternacht 2015“ veran- historischen Schwarzen Alltag und Wider- schaulicht, wird sie in anderen Kontexten stand auseinander und stellen ihn den Propa- aktualisiert. Der Abdruck eines offenen Briefes ganda-Botschaften der „Schwarze Schmach“- des Afrikanischen Hilfsvereins von 1921 gegen Kampagne gegenüber. die „Schwarze Schmach“-Propaganda stellt der mit den rassistischen Stereotypen verbundenen Objektifizierung Schwarzer Menschen ein Vermittlungsziele zu A1 – Beispiel von Handlungsmacht und Widerstand Vertiefende Unterrichtseinheit 2, F1 Fokus der Diskriminierten entgegen. Darüber hinaus macht diese Quelle das komplexe Verhältnis ■ Die Zielgruppen diskutieren am Beispiel der zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung Berichterstattung zur „Kölner Silvesternacht Schwarzer Menschen in Deutschland deutlich. 2015“ Kontinuitäten von rassistischen und Da Modul 1 auf Stereotype fokussiert, die sich sexistischen Bildern. in Bild und Sprache ausdrücken, sollte in der Arbeit mit den Materialien darauf geachtet werden, die rassistischen und sexistischen Anmerkungen zu vertiefender Botschaften kritisch zu reflektieren bzw. zu Unterrichtseinheit 2 brechen. Dazu kann eine Auseinandersetzung mit dem Brief des Afrikanischen Hilfsvereins, ■ Die Lebensgeschichte von Hans Hauck verbunden mit der Frage nach den darin ent- (M1.g), erzählt aus seiner eigenen Perspek- haltenen Fremd- und Selbstbezeichnungen tive, findet sich in Ehricht, Franziska/ (M1.f), oder auch eine Beschäftigung mit der Gryglewski, Elke 2009. Der deutsche Lebensgeschichte von Hans Hauck (M1.g) Staatsangehörige A.A. ist unfruchtbar dienen. Allgemein ist zu empfehlen, sich im zu machen: die Zwangssterilisation der Vorfeld mit rassismuskritischen Umgangsweisen Rheinlandkinder, in: Dies. Geschich- bezüglich rassistischer Text- und Bildquellen zu ten teilen: Dokumentenkoffer für befassen (siehe Literaturempfehlungen in E0). eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus, hg. von Miphgash/ Onlineversion, Stand 01/2019 Begegnung e.V. und Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee- Konferenz. Berlin. 26
MOD UL 1 D I DA K T IS CHE R KO M M E NTA R D1 Grosse, Pascal 2003. Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit: Kolonialmigration in Anmerkungen zu vertiefender Deutschland, 1900–1940, in: Kundrus, Birthe Unterrichtseinheit 2, F1 Fokus (Hg.). Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt am ■ Die Thematisierung der „Kölner Silvester- Main/New York, S. 91–109. nacht 2015“ in der schulischen und außer- schulischen Bildungsarbeit kann Vorurteile Gründer, Horst 2012. Geschichte der deutschen gegen Geflüchtete aufrufen und bedarf Kolonien. 6. Auflage. Paderborn/München/ daher sorgsamer Kontextualisierung und Wien/Zürich. fundierter rassismuskritischer Herangehens- weise. Der Gegenwartsbezug in der Höpp, Gerhard (Hg.) 1996. Fremde Aufgabe F1 zielt nicht auf die Ereignisse Erfahrungen. Asiaten und Afrikaner in der „Kölner Silvesternacht 2015“ an sich, Deutschland, Österreich und in der Schweiz bis sondern vielmehr auf die Kontinuitäten von 1945. Berlin. Stereotypen und Wahrnehmungsmustern im Bildinventar, das in der medialen Berichter- Koller, Christian 2001. „Von Wilden aller Rassen stattung zu finden ist, sowie auf den daraus niedergemetzelt“: Die Diskussion um die ersichtlichen „Gedächtnisschwund“ Verwendung von Kolonialtruppen in Europa (Mecheril/van der Hagen-Wulff 2016: 124). zwischen Rassismus, Militär- und Kolonialpolitik (1914–1930). Stuttgart. Weiterführende Laak, Dirk van 2003. „Ist je ein Reich, das es Literaturempfehlungen zu Modul 1 nicht gab, so gut verwaltet worden?“ Der imaginäre Ausbau der imperialen Infrastruktur Aitken, Robbie/Rosenhaft, Eve 2013. Black in Deutschland nach 1918, in: Kundrus, Birthe Germany: The Making and Unmaking of a (Hg.). Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte Diaspora Community, 1884–1960. Cambridge. des deutschen Kolonialismus. Frankfurt am Main/New York, S. 71–90. Amenda, Lars 2006. Fremde – Hafen – Stadt. Chinesische Migration und ihre Wahrnehmung Lüsebrink, Hans-Jürgen 1994. Die marokkani- in Hamburg 1897–1972. Hamburg/München. schen Kolonialsoldaten (Tirailleurs) in Deutsch- land 1919–1923, in: Popp, Herbert (Hg.). El-Tayeb, Fatima 2001. Schwarze Deutsche: Die Sicht des Anderen – Das Marokkobild der Diskurs um „Rasse“ und nationale Identität der Deutschen, das Deutschlandbild der 1890–1933. Frankfurt am Main/New York. Marokkaner. Passau, S. 53–64. Gesemann, Frank/Höpp, Gerhard/Sweis, Martin, Peter/Alonzo, Christine (Hg.) 2004. Haroun 2002. Araber in Berlin. 2. Auflage. Zwischen Charleston und Stechschritt. Berlin. Schwarze im Nationalsozialismus. Hamburg/ München. Onlineversion, Stand 01/2019 Grosse, Pascal 2000. Kolonialismus, Eugenik und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland Maß, Sandra 2006. Weiße Helden, Schwarze 1850–1918. Frankfurt am Main/New York. Krieger: Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918–1964. Köln. 27
MODUL 1 D1 D I DA K T I S C H ER KO M M E NTA R Oesterheld, Joachim/Günther, Lothar 1997. der Fachtagung zum 25-jährigen Jubiläum des Inder in Berlin. Berlin. Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit (IDA e. V.) am 27. und 28. Pommerin, Reiner 1979. Sterilisierung der November 2015 in der Berliner Stadtmission. Rheinlandbastarde. Das Schicksal einer farbigen Düsseldorf, S. 76–81. https://www.idaev.de/ deutschen Minderheit 1918–1937. Düsseldorf. fileadmin/user_upload/pdf/publikationen/ Reader/2016_IDA_Rassismuskritik.pdf Reed-Anderson, Paulette 2000. Rewriting the (Zugriff: 15.11.2017). Footnotes. Berlin und die afrikanische Diaspora – Berlin and the African Diaspora. Berlin. Mecheril, Paul/van der Hagen-Wulff, Monica 2016. Bedroht, angstvoll, wütend. Affektlogik Rosenhaft, Eve 2003. Afrikaner und „Afrikaner“ der Migrationsgesellschaft, in: Castro Varela, im Deutschland der Weimarer Republik. María do Mar/Mecheril, Paul (Hg.). Die Antikolonialismus und Antirassismus zwischen Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik Doppelbewusstsein und Selbsterfindung, in: der Gegenwart. Bielefeld, S. 119–141. Kundrus, Birthe (Hg.). Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Mecheril, Paul/Messerschmidt, Astrid 2016. Die Frankfurt am Main/New York, S. 282–301. Sexualisierung der Anderen. Globale Kontexte und Perspektiven solidarischer Bildung, in: Weiss, Holger 2014. Framing a Radical African Widersprüche 9, S. 147–158. Atlantic. African American Agency, West African Intellectuals and the International Trade Union Committee of Negro Workers. Leiden/ Boston. Wigger, Iris 2006. Die ‚Schwarze Schmach am Rhein‘. Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse. Münster. Zimmerer, Jürgen 2004. Deutsche Herrschaft über Afrikaner. Staatlicher Machtanspruch und Wirklichkeit im kolonialen Namibia. 3. Auflage. Münster/Hamburg/London. Weiterführende Literaturempfehlungen zu F1 Mecheril, Paul 2016. Flucht, Sex und Diskurse. Gastrede im Rahmen des Neujahrsempfangs der Stadt Bremen am 13. Januar 2016, in: Detzner, Onlineversion, Stand 01/2019 Milena/Drücker, Ansgar/Seng, Sebastian (Hg.). Rassismuskritik. Versuch einer Bilanz über Fehlschläge, Weiterentwicklungen, Erfolge und Hoffnungen. Erweiterte Dokumentation 28
MOD UL 1 AU F G A B E N A1 Grundlegende Unterrichtseinheit 1 >> Zeitaufwand: 90 Minuten >> Niveau: ab Oberstufe >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 7 Personen PEOPLE OF COLOR IN DEUTSCHLAND: VOM KAISERREICH (1871–1918) ZUR WEIMARER REPUBLIK (1918–1933) A1.a A1.c Zu Hintergrundtext H1 Propagandabilder des „treuen Askari“ und der „Schwarzen Schmach“ Aufteilung der 7 Abschnitte des Hintergrund- textes H1 in Kleingruppen von mindestens Zu Materialien M1.c–e 1 Person. Lesen Sie den Text und stellen Sie die zentralen Punkte anschließend in der Gesamt- 1. gruppe vor. Vergleichen Sie die Soldaten im Propagandabild des „treuen Askari“ und in den Propaganda- bildern zur „Schwarzen Schmach“ (M1.c–e). A1.b Überlegen Sie, welche Eigenschaften ihnen Die Erzählung von der „kolonialen jeweils zugeschrieben werden. Diskutieren Sie, Schuldlüge“ und die Figur des in welchem Verhältnis die Bilder zueinander „treuen Askari“ stehen und welches Bild der Deutschen dabei (direkt oder indirekt) gezeichnet wird. Zu Materialien M1.a+b 2. 1. Erläutern Sie, warum die Stationierung französi- Lesen Sie die Auszüge aus den Veröffentli- scher Kolonialsoldaten im Rheinland von deut- chungen von Heinrich Schnee und Paul von scher Seite als demütigend angesehen wurde. Lettow-Vorbeck (M1.a+b). 2. A1.d Skizzieren Sie zentrale Merkmale der propa- Schwarze Stimmen gandistischen Erzählungen von der „kolonialen gegen die „Schwarze Schmach“ Schuldlüge“ und von den „treuen Askari“. Zu Material M1.f 3. Erörtern Sie, inwiefern diese beiden Erzählun- Lesen Sie den offenen Brief des Afrikanischen gen in der Zeit der Weimarer Republik Hilfsvereins (M1.f). Erläutern Sie, worüber sich zusammenhängen. der Verfasser beklagt und wie er seinen Forde- Onlineversion, Stand 01/2019 rungen Nachdruck verleiht. Berücksichtigen Sie dabei, wie er auf die Propagandabilder vom „treuen Askari“ und der „Schwarzen Schmach“ Bezug nimmt (M1.c–e). 29
MODUL 1 A1 AUF G A B EN Vertiefende Unterrichtseinheit 2 >> Zeitaufwand: 90 Minuten >> Niveau: ab Oberstufe >> Gruppengröße außerschulische Bildungsarbeit: ab 7 Personen RASSISTISCHE UND SEXISTISCHE ZUSCHREIBUNGEN GEGENÜBER SCHWARZEN MENSCHEN A1.e c. Berücksichtigen Sie, welche Rolle der Körper Propaganda versus Lebensrealitäten der „weißen Frau“ dabei spielt. Zu Materialien M1.g+h 2. Zu Materialien M1.j–l Vergleichen Sie die Bilder und Informationen zu Hans Hauck sowie zur „Schwarze Schmach“- Lesen Sie die Stellungnahme der Süddeutschen Propaganda (M1.g+h). Arbeiten Sie heraus, Zeitung (M1.k) zur Kritik an den Illustrationen welche Unterschiede zwischen der Familien- in der Berichterstattung zu den Ereignissen der geschichte von Hans Hauck und der propa- Kölner Silvesternacht 2015 (M1.j). gandistischen „Schwarze Schmach“-Kampagne bestehen und was diese Unterschiede a. Nehmen Sie Stellung zu dem Vorwurf, die bedeuten. Illustration auf dem Titelblatt der Süddeut- schen Zeitung sei rassistisch und sexistisch. F1 Fokus b. Lesen Sie das Zitat von Paul Mecheril und Vergleich der „Schwarze Schmach“- Monica van der Haagen-Wulff (M1.l) und Propaganda mit der medialen Berichter- formulieren Sie dessen zentrale Aussage in stattung zur „Kölner Silvesternacht 2015“ eigenen Worten. 1. c. Diskutieren Sie, ob und wie sich die mediale Zu Materialien M1.i+j und öffentliche Debatte verändern könnte, wenn historische Zusammenhänge – wie a. Vergleichen Sie die Karikatur von 1923 hier zur „Schwarze Schmach“-Kampagne – (M1.i) mit der Beschreibung des Aufma- berücksichtigt würden. chers der Süddeutschen Zeitung am Wochenende (M1.j) zu den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015. Arbeiten Sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Darstellungen heraus. Onlineversion, Stand 01/2019 b. Zeigen Sie dabei, wie die Darstellungen des „Eigenen“ und „Fremden“ jeweils zusammen- hängen. 30
MOD UL 1 HINT E RGRU NDT E XT H1 1 >> Für Multiplikator*innen und Zielgruppen PEOPLE OF COLOR IN DEUTSCHLAND: 5 VOM KAISERREICH (1871–1918) ZUR WEIMARER REPUBLIK (1918–1933) H1.a H1.b Die Kolonialzeit (1884–1919) Migration aus den Kolonien nach 10 55 Deutschland und Gegenmaßnahmen Bereits vor 1884 waren Deutsche direkt oder auch indirekt am europäischen Kolonialismus Im Zuge der Errichtung deutscher Kolonial- beteiligt. Die Zeit der formalen deutschen herrschaft über außereuropäische Regionen Kolonialherrschaft über außereuropäische wanderten nicht nur Deutsche in die Kolonien 15 Regionen war im Vergleich zu anderen euro- 60 aus, es kamen auch Menschen aus den koloni- päischen Kolonialmächten aber kurz. Das 1871 sierten Gebieten nach Deutschland. Die meis- geeinte Deutsche Kaiserreich erklärte ab 1884 ten von ihnen waren junge Männer aus den verschiedene Gebiete in West-, Südwest- und westafrikanischen Kolonien Kamerun und Togo. Ostafrika, in China sowie im pazifischen Raum Einige – darunter die Familie Bruce (B3.a, 20 zu seinem Kolonialbesitz. Im deutschen 65 M3.a+k–m) aus Togo – wurden in „Völker- Kolonialreich lebten etwa 12 Millionen Men- schauen“ vor europäischem Publikum schen auf einer Fläche von insgesamt 2,6 in stereotyper Weise als Angehörige von Millionen Quadratkilometer Land, mehr als die „Naturvölkern“ präsentiert. Bessergestellte siebenfache Größe der heutigen Bundes- westafrikanische Familien schickten ihre Söhne 25 republik. 70 auch zur Ausbildung nach Deutschland. Weitere Kolonisierte kamen als Bedienstete Die kurze Episode der deutschen Kolonialzeit deutscher Kolonialbeamter ins Kaiserreich. Wie- war von massiver Gewalt geprägt. Die deutsche der andere heuerten als Seeleute oder Heizer Kolonialarmee – auch „Schutztruppe“ genannt – auf Schiffen an und setzten sich in deutschen 30 beging zwischen 1904 und 1908 in „Deutsch- 75 Häfen ab. Einzelne machten sich im Auftrag Südwestafrika“ (heute Namibia) einen Völker- lokaler afrikanischer Eliten auf den Weg nach mord an den Herero und Nama, dem zwischen Deutschland, um dort gegen das Vorgehen 75.000 und 100.000 Menschen (50–80 %) zum der deutschen Kolonialverwaltung in ihren Opfer fielen; und der „Maji-Maji-Krieg“ in Herkunftsländern Beschwerde einzulegen. 35 „Deutsch-Ostafrika“ (heute Ruanda, Burundi 80 und Tansania ohne Sansibar) kostete rund Insgesamt lebten vor dem Ersten Weltkrieg 300.000 Afrikaner*innen das Leben. schätzungsweise nur einige Hundert Migrant*innen aus den deutschen Kolonien im Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg Kaiserreich. Zusätzlich befand sich eine nicht 40 (1914–1918) hatte das Ende der deutschen 85 näher bekannte Zahl weiterer Migrant*innen Kolonialherrschaft zur Folge. 1919 wurden aus anderen außereuropäischen Regionen in Onlineversion, Stand 01/2019 die deutschen Kolonien gemäß des Versailler Deutschland. Die heterogene Gruppe der im Friedensvertrags als Mandatsgebiete vom deutschen Kaiserreich lebenden People of Völkerbund an die Siegermächte – darunter Color umfasste vermutlich mehrere Tausend 45 Großbritannien und Frankreich – verteilt. 90 Personen – die genaue Zahl ist unbekannt, da 31
MODUL 1 H1 H I NT E RG RU N DT EXT 1 Hautfarbe bzw. „Rasse“ kein behördliches sollten so verhindert werden. In einigen deut- Erfassungskriterium darstellten. Aufgrund schen Kolonien wurden solche Ehen auch des Rassismus in Deutschland konnten viele verboten. Eheschließungen zwischen weißen People of Color keine bürgerlichen Berufe Frauen und Männern aus der kolonisierten 5 ausüben. Verhältnismäßig viele von ihnen 50 Bevölkerung kamen in den Kolonien aufgrund arbeiteten im Unterhaltungsgewerbe und in der rassistischer Vorbehalte dagegen ohnehin nicht Dienstleistungsbranche, wo sie wegen ihres vor. In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden „exotischen“ Äußeren nachgefragt waren – „Rassenmischehen“ sogar rückwirkend für darunter Kwassi Bruce (B3.a), Thea Leyseck ungültig erklärt. Den Ehefrauen und Kindern 10 (B3.b) und Bayume Mohamed Husen (B4.b). 55 aus bereits geschlossenen Ehen wurde infolge dessen die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen. Kinder aus solchen Verbindungen H1.c wurden abwertend als „Mischlinge“ Koloniale „Rassenpolitik“ bezeichnet. 15 60 Den deutschen Behörden war die Migration aus Befürworter*innen einer strikten Trennung den deutschen Kolonien bald ein Dorn im Auge. zwischen Schwarzen und Weißen – unter Dass Angehörige der kamerunischen Elite ihnen Angehörige deutscher Kolonialvereine – politische Vertreter nach Deutschland schickten, versuchten im Jahre 1913 ein solches Ehe- 20 um gegen die deutsche Kolonialherrschaft zu 65 verbot auch in Deutschland einzuführen und protestieren, und einige Migranten mit die Kategorie „Rasse“ damit im deutschen weißen deutschen Frauen Ehen schlossen, Staatsbürgerschaftsrecht zu verankern – jedoch Familien gründeten und sich vereinzelt erfolg- ohne Erfolg. Weil ihre deutsche Staatsange- reich einbürgern ließen, widersprach der hörigkeit in Deutschland selbst rechtlich nicht 25 herrschenden Vorstellung einer kolonialen 70 in Frage stand, gingen einige von kolonialen Ordnung, die auf einer klaren rassistischen „Mischehen“-Verboten Betroffene aus den Trennung zwischen Kolonisierenden (Weiße) Kolonien ins Kaiserreich – darunter Angehörige und Kolonisierten („Eingeborene“) beruhte. der miteinander verwandten Missionarsfamilien Als Gegenmaßnahme wurde die Einreise von Kleinschmidt, Baumann und Hegner (B2). 30 Kolonisierten nach Deutschland verschärft 75 Allerdings bemühten sich die Behörden, die kontrolliert und vielfach verboten. nach rassistischen Vorstellungen gezogenen Grenzen der kolonialen Ordnung auch innerhalb Vor dem Hintergrund des wachsenden anti- Deutschlands zu sichern. So versuchten sie die kolonialen Widerstands in den kolonisierten Einbürgerung von Menschen aus deutschen 35 Gebieten Anfang des 20. Jahrhunderts nahm 80 Kolonien sowie Eheschließungen zwischen der koloniale Rassismus deutlich zu. Unter Kolonialmigranten und weißen deutschen anderem setzten sich koloniale Frauenvereine Frauen im Kaiserreich auch ohne gesetzliche im Kaiserreich dafür ein, weiße deutsche Grundlage nach Möglichkeit zu verhindern. Frauen in die Kolonien zu schicken. Diese 40 sollten dort weiße deutsche Siedler heiraten 85 und „deutsche Kultur“ in den Kolonien H1.d Onlineversion, Stand 01/2019 verbreiten. Beziehungen und vor allem Ehe- Der Erste Weltkrieg (1914–1918) schließungen zwischen deutschen Siedlern und einheimischen Frauen, die abfällig als Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurden 45 „Rassenmischehen“ bezeichnet wurden, 90 viele Menschen aus Kolonien der gegnerischen 32
MOD UL 1 HINT E RGRU NDT E XT H1 1 Staaten im Deutschen Kaiserreich interniert. das Deutsche Reich, bei den gegnerischen Migrant*innen aus den deutschen Kolonien Kolonialtruppen kämpfende Muslime dazu konnten Deutschland nicht ohne Weiteres zu bewegen, auf die Seite des mit Deutschland verlassen und erst recht nicht in ihre Herkunfts- verbündeten Osmanischen Reichs überzu- 5 länder zurückreisen, da die meisten deutschen 50 laufen. So wurde Propaganda verbreitet, die Kolonien bereits kurz nach Kriegsbeginn von sich gezielt an muslimische Soldaten der Kriegs- den gegnerischen Entente-Mächten besetzt gegner richtete. Auch erhielten Muslime in den wurden. deutschen Kriegsgefangenenlagern gewisse Vergünstigungen. Tatsächlich hatte die deut- 10 People of Color in Deutschland erlebten im 55 sche Propaganda in einigen Fällen Erfolg. Krieg zunehmend rassistische Anfeindungen. Angesichts ihrer schwierigen Lebenssituation gründete eine Reihe Schwarzer Menschen H1.e im letzten Kriegsjahr 1918 den Afrikanischen Nach dem Ersten Weltkrieg: 15 Hilfsverein. Zweck des Vereins war es, 60 Kolonialrevisionismus und die propagandis- Schwarzen Menschen in Deutschland Gemein- tische Erzählung von den „treuen Askari“ schaft und gegenseitige Unterstützung zu bieten. Der Verein stand ausdrücklich auch Die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg Schwarzen Menschen offen, die nicht aus deut- hatte nicht nur das Ende des Kaiserreichs, 20 schen Kolonien kamen. 65 sondern auch der deutschen Kolonialherrschaft zur Folge. Gemäß des Versailler Friedensver- Die Verschärfung der Lebenssituation von trags musste Deutschland seine Kolonien People of Color während des Ersten Weltkrieges an den Völkerbund abgeben, der sie als hatte insbesondere mit der rassistischen deut- Mandatsgebiete an die Siegermächte verteilte. 25 schen Kriegspropaganda zu tun, die sich gegen 70 Zur Begründung wurde unter anderem ange- den Einsatz von Kolonialtruppen der Kriegs- führt, die Deutschen hätten sich durch gegner Frankreich und Großbritannien in Europa Grausamkeiten gegenüber ihren Kolonisierten richtete. Die Propaganda stellte die gegneri- als „unfähig“ zum Kolonisieren erwiesen. Von schen Kolonialsoldaten in rassistischer Weise deutscher Seite wurde dieser Vorwurf als 30 als „schwarze Bestien“ dar und warf ihnen vor, 75 „koloniale Schuldlüge“ abgewehrt. Es entstand deutsche Soldaten brutal zu verstümmeln und eine kolonialrevisionistische Bewegung, die Kriegsgefangene zu ermorden. Der Einsatz nachdrücklich die Rückgabe der ehemaligen von Kolonialtruppen gegen weiße deutsche Kolonien forderte. Auch die Weimarer Außen- Soldaten wurde als Bruch des internationalen politik verfolgte das Ziel, die ehemaligen 35 Kriegsrechts gewertet und diesen Einheiten der 80 Kolonien zurückzuerlangen. Allerdings hatte Status regulärer Truppen abgesprochen. Der dies im Vergleich zu anderen Forderungen eine Einsatz wurde von deutscher Seite zugleich als vergleichsweise geringe Dringlichkeit. Gefahr für die kolonialen Machtverhältnisse verurteilt. Um zu beweisen, dass Deutschland eine 40 85 „fähige“ Kolonialmacht gewesen sei, verwiesen Die deutsche Kriegspropaganda und das Kolonialvereine und andere Akteur*innen der Onlineversion, Stand 01/2019 politische und militärische Vorgehen gegenüber kolonialrevisionistischen Bewegung darauf, dass Kolonialsoldaten der gegnerischen Seite die Askari genannten afrikanischen Kolo- waren jedoch widersprüchlich. Zeitgleich nialsoldaten in „Deutsch-Ostafrika“ (heute 45 zur rassistischen Propaganda bemühte sich 90 Ruanda, Burundi und Tansania ohne Sansibar) 33
MODUL 1 H1 H I NT E RG RU N DT EXT 1 im Ersten Weltkrieg „treu bis in den Tod“ unterstellt, massenhaft deutsche Frauen zu auf deutscher Seite gekämpft hätten. Die vergewaltigen und dabei „Mischlinge“ zu mehrheitlich aus Askari bestehenden zeugen – dies ließ sich durch behördliche deutschen Kolonialtruppen unter dem Befehl Untersuchungen allerdings nicht nachweisen. 5 des Generals Paul von Lettow-Vorbeck hatten 50 Durch die Stationierung der Soldaten of Color tatsächlich bis über den Waffenstillstand hinaus auf deutschem Boden würde, so die Propa- gegen die Briten gekämpft. Allerdings hatte im ganda, die deutsche Nation gedemütigt; auch Kriegsverlauf eine wachsende Zahl der afrikani- geriete die Reinheit der „weißen Rasse“ in schen Soldaten und Träger Fahnenflucht Gefahr. In großer Zahl brachte die Kampagne 10 begangen. Die propagandistischen Erzählungen 55 rassistische Bilder in Umlauf, die Szenen der von den „treuen Askari“ waren Teil des Versklavung und Vergewaltigung von Deut- kolonialrevisionistischen Kampfes um die schen durch französische Kolonialsoldaten Rückgabe der ehemaligen Kolonien. Die damit zeigten. Mit Bildern dieser Art wurde die Be- verbundene Bekräftigung der militärischen setzung Deutschlands durch Kolonialtruppen 15 Stärke und kolonialen Leistungen Deutsch- 60 gewissermaßen als eine Umkehrung der lands diente zugleich einer nationalen Selbstver- kolonialen Machtverhältnisse gedeutet. gewisserung angesichts der Kriegsniederlage, die von vielen Deutschen als eine Demütigung der deutschen Nation empfunden wurde. Die H1.g 20 Vereinnahmung der Askari für politische Zwecke 65 Zur Situation von People of Color in der führte allerdings nicht zu einer politischen Weimarer Republik und gesellschaftlichen Anerkennung dieser ehemaligen Kolonialsoldaten. Die Situation von People of Color und vor allem der – vorwiegend männlichen – Migrant*innen 25 70 aus den ehemaligen deutschen Kolonien nach H1.f dem Ersten Weltkrieg war schwierig: Sie litten Nach dem Ersten Weltkrieg: Die nicht nur unter dem zunehmenden Rassismus rassistische Kampagne gegen die sowie den Wirtschaftskrisen der Weimarer Zeit, „Schwarze Schmach“ sondern auch darunter, dass ihr Rechts- und 30 75 Aufenthaltsstatus unsicher war. Deutschland Zeitgleich mit den Erzählungen von den „treuen war für die Kolonialmigrant*innen offiziell nicht Askari“, die ein „positives“ Bild afrikanischer mehr zuständig. Die neuen Mandatsmächte Kolonialsoldaten verbreiteten, verschärfte sich Großbritannien und Frankreich erklärten sich in der Rassismus gegen People of Color und der Regel nur für sie verantwortlich, wenn die 35 insbesondere gegen Schwarze Männer und 80 Betreffenden wieder in ihre Herkunftsländer Kinder nach dem Ende des Ersten Weltkrieges zurückkehrten. Dies war dadurch erschwert, massiv. Grund dafür war eine 1920 von staat- dass viele der männlichen Migranten als politi- licher Seite ins Leben gerufene und von einem sche Unruhestifter galten oder mit weißen breiten gesellschaftlichen Spektrum getragene deutschen Frauen verheiratet waren. Die Prä- 40 rassistische Propaganda-Kampagne. Diese 85 senz von widerständigen Kolonisierten war richtete sich gegen die Stationierung von seitens der Mandatsmächte Frankreich und Onlineversion, Stand 01/2019 französischen Kolonialsoldaten im besetzten Großbritannien ebenso unerwünscht wie Rheinland und geißelte die Präsenz der Sol- Schwarze Männer mit weißen Frauen auf daten auf deutschem Boden als „Schwarze kolonialem Gebiet. Der Umgang der deutschen 45 Schmach“. Den Kolonialsoldaten wurde 90 Behörden mit den in Deutschland verbliebenen 34
MOD UL 1 HINT E RGRU NDT E XT H1 1 Kolonialmigrant*innen war zwiespältig. Einer- die „Schwarze Schmach“ ging zusehends seits unterstützte das Auswärtige Amt einzelne in Fantasien eines globalen Kampfes verschie- in Not geratene Migranten finanziell, anderer- dener „Rassen“ über. Diesen Fantasien zufolge seits bemühte es sich darum, sie aus Deutsch- sollte Europa bzw. sollten die „weißen Völker“ 5 land abzuschieben. Nur sehr wenige Kolonial- 50 ihre Vormachtstellung gegenüber den nach migrant*innen besaßen die deutsche Staats- Gleichberechtigung strebenden „farbigen bürgerschaft – und Anträge auf Einbürgerung Völkern“ verteidigen – im politischen wie im lehnten die deutschen Behörden in der Regel kulturellen Bereich. Bei der aufstrebenden ab. NSDAP verband sich diese rassistische Welt- 10 55 sicht mit Antisemitismus. Ihren antisemiti- Zugleich öffnete sich die junge Weimarer schen Vorstellungen zufolge dienten People of Republik aufgrund ihrer außenpolitischen und Color als Mittel im Kampf der „Juden“ um die wirtschaftlichen Isolation nach der Kriegs- „Weltherrschaft“. niederlage zunehmend gegenüber außereuro- 15 päischen Regionen. Im Rahmen dieser außen- und wirtschaftspolitischen Annäherungen stieg auch die Zahl außereuropäischer Migrant*innen in Deutschland merklich an. Aus asiatischen Ländern wie China, Japan 20 und der britischen Kolonie Indien sowie aus arabischen und vereinzelt aus afrikanischen Regionen kamen mehrheitlich junge Männer nach Deutschland, um zu studieren, eine Ausbildung zu absolvieren und sich im Bereich 25 der Kultur, der Wissenschaft oder von Handel und Wirtschaft zu betätigen. Einige von ihnen betrieben auch antikoloniale Politik. Nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft wurde Deutschland in den 1920er-Jahren geradezu 30 zu einem Knotenpunkt transnationaler anti- kolonialer Netzwerke in Europa. Im Zuge der Demokratisierung, Modernisierung und Liberalisierung der 1920er-Jahre erlebte die Weimarer Republik außerdem eine Blütezeit 35 moderner und international ausgerichteter Kunst und Populärkultur. Dadurch eröffneten sich im Unterhaltungsgewerbe neue Räume und Rollen für People of Color jenseits der kolonialen Bilder der „Völkerschauen“. 40 Bereits gegen Ende der 1920er-Jahre wurden diese Entwicklungen – und insbesondere die Onlineversion, Stand 01/2019 wachsende Beliebtheit des afroamerikanisch geprägten Jazz – allerdings von konservativer und reaktionärer Seite immer schärfer be- 45 kämpft. Der Rassismus der Propaganda gegen 35
MODUL 1 M1 MATE R I A LI E N 1 M1.a Während Macht- und Wirtschaftsinteressen Die propagandistische Erzählung von der der beteiligten Staaten ausschließlich für die „kolonialen Schuldlüge“ Aneignung deutschen Kolonialbesitzes maßge- bend waren, erklärten sie der Welt gegenüber, So stellt das Vorgehen der Alliierten1 in bezug 5 50 eine heilige Aufgabe der Zivilisation erfül- auf die deutschen Kolonien einen dreifachen len zu wollen. [...] Betrug dar. Betrogen ist einmal das deutsche Volk. Die Alliierten hatten durch die Vorspiege- Der Inhalt der kolonialen Schuldlüge lässt lung eines Friedens auf Grund der 14 Punkte sich kurz dahin zusammenfassen: Ein militäri- 10 des Präsidenten [Woodrow] Wilson2 in ihm den 55 sches Deutschland habe in brutaler Gewalt- Irrtum erregt, daß eine unparteiische Schlich- herrschaft die von ihm unterjochten Einge- tung der kolonialen Ansprüche unter borenenvölker mißhandelt und sei auf die Berücksichtigung der Interessen der Schaffung von Stützpunkten zur Bedro- Eingeborenen erfolgen werde; an Stelle hung anderer Nationen ausgegangen. [...] 15 dessen ist die Wegnahme und Verteilung der 60 deutschen Kolonien lediglich nach macht- Gewiß sind in den deutschen Kolonien, wie politischen Gesichtspunkten erfolgt [...]. in den Kolonien anderer Länder, Fälle von Eingeborenenmißhandlungen und auch von Grausamkeiten vorgekommen. Aber absolut 1. Als „Alliierte“ werden hier die Sieger- 65 unstatthaft ist es, diese Fälle zu verallgemeinern mächte des Ersten Weltkrieges bezeichnet. Unter ihnen waren Großbritannien und und der deutschen Kolonialverwaltung, im Frankreich sowie die USA. Gegensatz zu anderen, Härten oder Grausam- 2. Der US-amerikanische Präsident keiten vorzuwerfen. Gewiß sind im Reichstag Woodrow Wilson verkündete im Januar 1918 ein „14-Punkte-Programm“, das die von Abgeordneten Vorwürfe in Bezug auf Grundzüge einer Friedensordnung festlegte. 70 Eingeborenenbehandlung erhoben worden, Unter anderem sollten Friedensverträge aber in welchem Parlament von Kultur- nicht im Geheimen ausgehandelt werden. Außerdem sollten bei der Klärung kolonialer nationen ist das nicht geschehen? Es würde Machtansprüche gleichermaßen die Interes- nicht schwer sein, sowohl aus englischen sen der kolonisierten Bevölkerungen wie wie aus französischen Parlamentsver- auch die Ansprüche der betreffenden Kolonialmacht berücksichtigt werden. 75 handlungen, wie aus einzelnen Fällen, die aus Gerichtsverhandlungen oder auf sonstige Weise der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, Betrogen sind ferner die Eingeborenenbe- ähnliche Bilder zu entwerfen. [...] völkerungen der deutschen Kolonien. Die 35 Alliierten hatten im Krieg das Selbstbestim- Welche Folgerungen ergeben sich aus diesen 80 mungsrecht der Völker auf ihre Fahnen Tatsachen? Die Wegnahme der deutschen geschrieben [...]. Tatsächlich ist die Verteilung Kolonien ist begründet auf die Behauptung erfolgt, ohne daß die Wünsche der Einge- von Deutschlands Versagen in der kolonia- borenen irgendwie dabei berücksichtigt len Zivilisation und von seinem aggressiven 40 wären. [...] 85 kolonialen Imperialismus. Diese Behauptung ist mit allem, was drum und dran hängt, als Onlineversion, Stand 01/2019 Endlich ist die Öffentlichkeit getäuscht worden. Lüge erwiesen worden. Damit fällt die Es wurde der Irrtum erregt, als ob bei der Ent- Grundlage fort, auf der die Alliierten den scheidung über die deutschen Kolonien morali- auf die Kolonien bezüglichen Teil des Ver- 45 sche Gründe maßgebend gewesen seien. [...] 90 sailler Friedens aufgebaut haben. Es fallen 36
MOD UL 1 M AT E RIA LIE N M1 1 auch die Gründe weg, mit denen die Alliier- materielles Lockmittel konnten wir ihnen geben; ten Deutschland und der Welt gegenüber wir boten ihnen nur Kämpfe, Entbehrungen, ihr Verfahren betreffend die deutschen Verluste, und doch hielten sie aus. Auch sie Kolonien gerechtfertigt haben. Es ergibt waren von Idealen getragen, und echte Ideale 5 sich daraus die Forderung nach Rückgabe 50 halten Stürmen stand; denn das Gute ist ewig. der deutschen Kolonien an Deutschland. Werden da nicht in uns allen verwandte Saiten Aus: Schnee, Heinrich 1927 [1924]. Die koloniale angeschlagen? 2000 Jahre heldenhafter deut- Schuldlüge. 2. Auflage. München, S. 22 f, 33, 51 f, 101 f, scher Geschichte, und nicht zum geringsten Hervorhebungen im Original 10 55 die Taten des letzten großen Weltkrieges leben in unseren Herzen fort; war uns Deutschen M1.b auch der Erfolg versagt, die Leistungen bleiben General Paul von Lettow-Vorbeck gewaltig. Sie geben uns das Recht, an die über die „treuen Askari“ Zukunft unseres Vaterlandes zu glauben. 15 60 „Wir werden bei dir bleiben, bis wir fallen!“ Auch Kolonien haben bisher zu den wert- Klingt das nicht wie der Ausdruck unseres vollsten Gütern unseres Vaterlandes gehört. eigensten germanischen Wesens mit seiner Schon ihr bisheriges kurzes Bestehen hat unsere schlichten, wortkargen Treue, mit seiner mann- Gabe zu kolonisieren erwiesen. Wir haben uns 20 haften Festigkeit, die die Zähne aufeinander- 65 ehrlich bemüht, sie zu verteidigen. beißt? Haben nicht […] die Grenadiere des alten Fritz so empfunden und gehandelt? Und Laßt Euch erzählen, wie wir in Ostafrika doch waren es einfache schwarze Soldaten, während des ganzen Krieges die deutsche deutsche Askari, die so zu mir sprachen, noch Fahne hochgehalten haben, und wie uns dazu 25 im November 1918, nach mehr als vier Kriegs- 70 Vaterlandsliebe, Pflichtgefühl und der uner- jahren gegen hundertfache Übermacht. Deut- schütterliche Glaube an unsere gute Sache die sches Soldatentum hatte ihnen einen Stempel Kraft verlieh. aufgedrückt; Anhänglichkeiten an die deut- schen Führer, Pflichtgefühl und unbändiger Vorwort von General Paul von Lettow-Vorbeck, in: Ders. 1920. Heia Safari! Deutschlands Kampf in Ostafrika. 30 Soldatenstolz machten es ihnen unmöglich, Leipzig, ohne Seitenangabe in dem ungleichen Kampfe beizugeben. Kein Onlineversion, Stand 01/2019 37
MODUL 1 M1 MATE R I A LI E N 1 M1.c+d+e Drei undatierte Propaganda-Postkarten Unten links ist die kolonialrevisionistische 5 Propaganda-Postkarte eines „treuen Askari“ abgebildet, der die Nationalflagge des Deutschen Kaiserreichs hochhält. Die Postkarte daneben trägt den Titel „Deutsche vergeßt nicht. Durch 10 Generationen Sklaven-Arbeit“, die Postkarte oben rechts den Titel „Deutsche vergeßt nicht. Die schwarze Schmach“. Letztere Postkarten zeigen rassistische Darstellungen aus der Propaganda- 15 Kampagne gegen die „Schwarze Schmach“, mit der die vermeintliche Umkehrung der kolonialen Ordnung angeprangert wurde. Derartige Propaganda-Postkarten waren in der Weimarer Republik weit verbreitet und 20 prägten die Vorstellungswelt der weißen deutschen Bevölkerung. Onlineversion, Stand 01/2019 Universitäts- und Stadtbibliothek Köln 38
MOD UL 1 M AT E RIA LIE N M1 1 M1.f unkultivierte Rasse sind, wie in Deutschland Offener Brief des Afrikanischen jetzt allgemein behauptet wird. Wir müssen die Hilfsvereins von 1921 Deutschen auch daran erinnern, daß Lettow- Vorbeck den Krieg in Afrika nicht allein geführt 5 Die deutschen Neger und die „schwarze 50 hat, sondern daß die Eingeborenen teilge- Schmach“. nommen haben, und daß sie ihr Leben mit Stolz für die deutsche Flagge einsetzten. Der deutsche Neger Lowis Brody schreibt uns 1 Die Schwarzen, die sich in Berlin und in den im Namen des afrikanischen Hilfsvereins: nicht besetzten Gebieten Deutschlands auf- 10 55 halten, stammen aus den ehemaligen deutschen Die aus den ehemaligen deutschen Kolonien Kolonien und sind keine Gelben2 und Schwar- stammenden Schwarzen, die sich jetzt in zen aus dem besetzten Gebiet. Wir bitten Deutschland aufhalten, haben sehr unter den deshalb die Deutschen, Rücksicht zu nehmen Berichten zu leiden, die in einigen Zeitungen und nicht fortwährend durch Berichte über die 15 über die „schwarze Schmach“ veröffentlicht 60 Schwarze Schmach gegen sie zu hetzen. werden. Veranlassung zu unserem Schreiben gibt uns Die Deutschen scheinen dabei gar nicht zu der folgende Vorfall: Ein Landsmann von uns, bedenken, daß sie früher selbst Kolonien der vor ungefähr 14 Tagen ruhig auf der Straße 20 besessen haben, und daß bis heute noch keine 65 ging, wurde plötzlich von Passanten überfallen endgültige Entscheidung darüber getroffen und furchtbar beschimpft und geschlagen, ist, ob die Eingeborenen aus den ehemaligen da die Leute annahmen, daß es sich um einen deutschen Kolonien Untertanen der Entente Schwarzen aus dem besetzten Gebiet handelte. werden oder Deutsche bleiben sollen. Die 25 Eingeborenen in den besetzten Kolonien Aufruf des „Afrikanerbunds“3 an die deutsche werden politisch vorderhand als Deutsche be- Öffentlichkeit, in: BZ [Berliner Zeitung] am Mittag 44/118, 24.5.1921 handelt. Ferner wird aus dem gleichen Grunde die Rückreise von Eingeborenen, die sich augenblicklich in Deutschland aufhalten, sehr 1. Der Schwarze Schauspieler und Enter- 30 erschwert. tainer Louis Brody aus Kamerun war ein Gründungsmitglied des Afrikanischen Hilfsvereins. Wir bitten daher die Deutschen, darauf Rück- 2. Die Bezeichnung „Gelbe“ bezieht sich sicht zu nehmen, daß wir genauso leiden wie vermutlich auf die – in geringer Zahl im Rheinland stationierten – Kolonialsoldaten jeder andere Deutsche, und uns nicht von oben aus französischen Kolonien in Asien. 35 herab anzusehen. 3. So der Originaltitel des Zeitungsartikels. Mit „Afrikanerbund“ ist der Afrikanische Wir möchten auch noch ganz besonders Hilfsverein gemeint. erwähnen, daß wir nicht die unmoralische und Onlineversion, Stand 01/2019 39
MODUL 1 M1 MATE R I A LI E N 1 M1.g M1.h Foto von Hans Hauck (1920–2003) Briefverschlussmarke (Vorderseite) aus der mit seiner Mutter, 1920er-Jahre rassistischen Propaganda-Kampagne gegen die „Schwarze Schmach“, 1920 50 Die staatlich initiierte und von weiten gesellschaftlichen Kreisen getragene Kampagne gegen die „Schwarze Schmach“ verbreitete in großer Zahl rassistische 55 Bilder und Behauptungen wie diese Brief- verschlussmarke, die zum Zukleben von Briefumschlägen diente. Der Text auf ihrer Rückseite lautet: „Schon jetzt sind infolge von Vergewaltigungen an Frauen und 60 Mädchen (farbige Franzosen haben selbst eine 72jährige Greisin vergewaltigt) Misch- lingskinder zur Welt gekommen. Eine systematische Verseuchung der deutschen Rasse ist nicht aufzuhalten, wenn während 65 der Dauer der noch 13jährigen Besetzung farbige Franzosen im Rheinland und in der Pfalz weiter als Polizeitruppe herrschen dürfen.“ Sammlung Dr. Peter Martin, Hamburg Hans Haucks Mutter verliebte sich nach dem Ersten Weltkrieg in einen im Rheinland stationierten französisch-algeri- 30 schen Besatzungssoldaten. Aus dieser Liebesbeziehung ging ihr 1920 in Frankfurt am Main geborener Sohn Hans hervor. Vor dem Hintergrund der im gleichen Jahr gestarteten rassistischen Kampagne gegen 35 die „Schwarze Schmach“, die gegen die im Rheinland stationierten französischen Kolonialsoldaten und deren Nachkommen hetzte, wurde Hans Hauck wegen seines algerischen Vaters von anderen Kindern 40 rassistisch angefeindet. 1937 wurde er Opfer einer Aktion der Gestapo, die sich Onlineversion, Stand 01/2019 gegen die im Rheinland geborenen Kinder französischer Kolonialsoldaten richtete und Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MA 108037 mit deren Zwangssterilisierung endete. 40
MOD UL 1 M AT E RIA LIE N M1 1 M1.i M1.j Rassistische Karikatur aus der Kampagne Aufmacher der Wochenendbeilage zur gegen die Besetzung des Rheinlands durch Süddeutschen Zeitung vom 9.1.2016 zur französische Kolonialsoldaten, 1923 „Kölner Silvesternacht 2015“ 5 Die Überschrift dieser 1923 veröffent- lichten Karikatur lautet: „Die Schwarze Schmach! Überfall und Vergewaltigung eines rheinischen Mädchens durch einen 10 Madagaskar-Neger“. Der Untertitel lautet: „‚O, nix kreisch! Ouir [= Nachahmung der französischen Aussprache von „wir“] sein höchstes „Cultur“ du grande Natione!‘ Aus der Kunstmappe des amerikanischen 15 Zeichners A.M. Cay: ‚Die Franzosen am Rhein!‘“ Deutlich wird hier, dass sich auch Akteur*innen aus dem Ausland an der Kampagne beteiligten, und dass dies in Deutschland wiederum für 20 propagandistische Zwecke genutzt wurde. Auf der Titelseite der Wochenendbeilage zur Süddeutschen Zeitung vom 9. Januar 2016 ist eine grafische Darstellung 70 abgebildet. Diese zeigt einen in weißer Farbe gehal- tenen weiblichen Unterkörper auf schwar- zem Grund. Zwischen den Beinen der Frau 75 ragt ein schwarzer Arm empor, die schwarze Hand ist im Schritt der Frau platziert. Die Abbildung ist im Internet auffindbar unter http://meedia. de/2016/01/11/schwarzer-mann- 80 bedraengt-weisse-frau-sz-chef-wolfang- krach-entschuldigt-sich-fuer-illustration/ (Zugriff: 13.05.2018). Zeichnung „Die schwarze Schmach!“, in: Franzosen im Ruhrgebiet. 10 Zeichnungen von A.M. Cay. Berlin o.J. Die Süddeutsche Zeitung hat die Her- 85 ausgabe des Bildes für Veröffentli- chungszwecke mittlerweile gesperrt, Onlineversion, Stand 01/2019 weshalb sie hier nicht abgedruckt werden kann. 41
MODUL 1 M1 MATE R I A LI E N 1 M1.k kann so verstanden werden, als würden Frauen SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle distanzierte sich am 10. Januar 2016 von Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten der am Vortag veröffentlichten Illustration: wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die 5 50 Illustration die Gefühle von Leserinnen und Am Wochenende haben wir [...] ausführlich Lesern verletzt haben, und entschuldigen uns über die Ereignisse der Silvesternacht von Köln dafür. und die sexuelle Gewalt berichtet, die dort vielen Frauen angetan worden ist. Wir haben https://web.facebook.com/ihre.sz/photos/a.48824385 10 [...] zwei Illustrationen verwendet. Die 1266999.1073741825.215982125159841/94847280191 0766/?type=3&comment_id=948479228576790&reply_ eine zeigt eine Faust im Kopf 1, die andere comment_id=948480731909973&comment_tracking=%7B symbolisiert einen sexuellen Übergriff auf eine %22tn%22%3A%22R9%22%7D&_rdc=1&_rdr (Zugriff: 28.2.2018) weiße Frau durch eine schwarze Hand […]. Diese zweite Illustration hat bei etlichen unserer 15 Leserinnen und Leser Unverständnis und Wut 60 hervorgerufen; sie kritisieren sie als sexistisch M1.l und rassistisch. Paul Mecheril und Monica van der Hagen-Wulff fordern eine historische Kontextualisierung der medialen Debatte 1. Diese Abbildung dient als Illustration des hier zitierten Facebook-Eintrags vom 65 um die „Kölner Silvesternacht 2015“: 10.1.2016. Wer die medialen Präsentationen der zeitgenös- Unsere Absicht war, mit den beiden Illustrati- sischen Ereignisse der Kölner Silvesternacht den onen deutlich zu machen, dass sexuelle Gewalt Bildern der „Schmach vom Rhein“ an die Seite 25 gegen Frauen nicht nur aus physischen Über- 70 stellt […], erkennt die Ähnlichkeit der Muster, griffen besteht, sondern meist im Kopf und im Rechtfertigungsstrategien, symbolischen Denken beginnt. In den begleitenden Texten Ordnungen und Repräsentationen. haben wir so differenziert wie möglich über Allerdings werden diese Zusammenhänge die Ereignisse von Köln, die Angriffe auf die in Deutschland nicht erinnert und nicht 30 Frauen, die Motive und die Hintergründe der 75 mit den zeitgenössischen (etwa Kölner) Taten, das Versagen der Polizei und auch über Diskursereignissen artikuliert; wir haben es die Instrumentalisierung der Taten durch rechte hier mit einem institutionalisierten, historischen Demagogen berichtet. Gedächtnisschwund zu tun […]. 35 Die zweite Illustration läuft dieser differenzie- Mecheril, Paul/van der Hagen-Wulff, Monica 2016. renden Absicht jedoch entgegen. Sie bedient Bedroht, angstvoll, wütend. Affektlogik der Migrationsge- sellschaft, in: Castro Varela, María do Mar/Mecheril, Paul stereotype Bilder vom „schwarzen Mann“, der (Hg.). Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik einen „weißen Frauenkörper“ bedrängt, und der Gegenwart. Bielefeld, S. 119–141, hier S. 123 f Onlineversion, Stand 01/2019 42
MOD ULE 1 B IS 5 GLO S SA R Antisemitismus/antisemitisch gegen Sinti und Roma prägten schon seit dem Der Ende des 19. Jahrhunderts geprägte Be- 19. Jahrhundert das staatliche Handeln und griff Antisemitismus bezeichnet rassistische die gesellschaftliche Haltung in Deutschland. Formen der Feindschaft gegenüber Jüdinnen Die Nationalsozialist*innen begannen nach und Juden. Während andere rassistisch der Machtübernahme mit der systematischen diskriminierte Gruppen vor allem als minder- Erfassung dieser Bevölkerungsgruppen. Das wertig erachtet werden, werden Jüdinnen und „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nach- Juden im Antisemitismus auch als mächtig und wuchses“ vom 14. Juli 1933 und die „Nürnber- deshalb bedrohlich dargestellt. Antisemitismus ger Rassengesetze“ 1935 bildeten die Grund- war von zentraler Bedeutung für die Ideologie lage für die rassistische Ausgrenzung und Ver- und Politik der Nationalsozialist*innen und folgung sowie für Zwangssterilisationen und wurde durch „Rassengesetze“ (z.B. die den Massenmord an Sinti und Roma im „Nürnberger Rassengesetze“) im national- Nationalsozialismus. sozialistischen Rechtssystem verankert. Im Zweiten Weltkrieg mündete die antisemitisch begründete Entrechtung im nationalsozialisti- „Arier“/„arisch“/„Arisierung“/ schen Massenmord an über sechs Millionen „Ariernachweis“ europäischen Jüdinnen und Juden. Die Nationalsozialist*innen vertraten die Vor- stellung, dass es höherwertige und minder- wertige „Rassen“ gebe. Ihrer Ideologie zufolge Antislawismus/antislawisch bildeten die „Arier“, zu denen sie die meisten Bereits im 19. Jahrhundert war Antislawismus – nicht jüdischen Deutschen zählten, die auch Slawenfeindlichkeit genannt – in höchststehende „Rasse“. Neben die Bezeich- Deutschland als eine Form des Rassismus weit nung „arisch“ trat ab 1935 auch „deutsch- verbreitet. Darunter ist die Diskriminierung und blütig“. Mit dem „Ariernachweis“ mussten Verfolgung von Menschen osteuropäischer bestimmte Berufsgruppen – insbesondere Herkunft zu verstehen, die durch rassistische Beamte und Angestellte des öffentlichen Zuschreibungen als Angehörige einer „slawi- Dienstes – im nationalsozialistischen Deutsch- schen Rasse“ angesehen werden. „Slawen“ land ihre Herkunft nachweisen und wurden wurden als minderwertig erachtet und es wurde in entsprechende Kategorien eingeteilt: Als ihnen die Fähigkeit zur Kultivierung von Land „nichtarisch“ bzw. „artfremd“ geltende abgesprochen. Antislawismus spielte in der Personen wie Jüdinnen und Juden, Sinti und nationalsozialistischen Ideologie und Politik eine Roma und People of Color wurden vor dem wichtige Rolle, insbesondere für die Rechtferti- Hintergrund dieser Ideologie aus bestimmten gung des Angriffskrieges gegen die Sowjet- Berufsfeldern ausgeschlossen („Arisierung“), union, die Annexion osteuropäischer Regionen entrechtet und ausgegrenzt. für deutsche Siedlungsprojekte und die unmenschliche Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg. „Artfremde“/„artfremd“ Die rassistische Ideologie der Nationalsozialis- t*innen ging davon aus, dass es höher- und Onlineversion, Stand 01/2019 Antiziganismus/antiziganistisch minderwertige „Rassen“ gebe. Dabei stand Als Antiziganismus wird die Diskriminierung der Personengruppe, die als „deutschblütig“ und Verfolgung von Menschen bezeichnet, die bzw. „arisch“ galt, die höchste Stellung zu. In als „Zigeuner“ stigmatisiert werden. Vorurteile „Rassengesetzen“ wurde geregelt, wer nicht 169
MODULE 1 BI S 5 GLO S SA R zu dieser Gruppe gehörte. Jüdinnen und Entente-Mächte/Entente Juden, Roma und Sinti und People of Color Als Entente-Mächte oder Entente wurden die wurden auf dieser Grundlage als „artfremd“ im Ersten Weltkrieg gegen Deutschland kämp- bzw. „nichtarisch“ bezeichnet, diskriminiert fenden Staaten Großbritannien und Frankreich und verfolgt. – und bisweilen auch deren Verbündete – bezeichnet. Askari Askari ist eine zeitgenössische Bezeichnung „Exotik“/„exotisch“/Exotisierung für Soldaten vorwiegend afrikanischer Her- Die Begriffe werden zur Bezeichnung meist kunft, die in den Kolonialgebieten im Dienst außereuropäischer, nicht westlich geprägter europäischer Großmächte standen. Der Be- Regionen und Menschen verwendet, um griff wurde von dem Swahili-Wort für Soldat die ihnen zugeschriebene „Fremdheit“ übernommen und bezieht sich im deutschen hervorzuheben. „Exotik“ verweist also auf die Sprachgebrauch insbesondere auf afrikanische Vorstellung kultureller oder auch „rassischer“ Kolonialsoldaten in der Kolonie „Deutsch-Ost- Unterschiede. Exotisierung betont den Vorgang, afrika“ (heute Ruanda, Burundi und Tansania in dem diese Unterscheidung getroffen ohne Sansibar). Siehe auch „treuer Askari“. wird. Trotz der Ähnlichkeiten zu kolonialen Rassismen kann Exotisierung aber auch mit einer Wertschätzung, mit Sehnsüchten und „deutschblütig“ einem Begehren verbunden sein, die der Siehe „Arier“/„arisch“/„ Arisierung“/ rassistischen Abgrenzung und Abwertung „Ariernachweis“. entgegenlaufen. „Eingeborene“ „Farbige“/„farbig“ Die deutsche Kolonialmacht kategorisierte die Der Begriff hat seinen Ursprung in der Kolonial- kolonisierten Bevölkerungen als „Eingeborene“, zeit und bezeichnete alle Menschen, die nicht womit sie zugleich den Europäer*innen unter- als weiß angesehen wurden. Auch im National- geordnet werden sollten. „Eingeborene“ waren sozialismus wurde der Begriff in diesem Sinne zwar Untertan*innen des deutschen Staates, verwendet. Unter anderem galten Menschen doch wurden ihnen die deutsche Staatsbürger- afrikanischer, indischer, arabischer, chinesi- schaft und die sich daraus ergebenden Rechte scher und japanischer Herkunft als „farbig“. vorenthalten. In den kolonisierten Gebieten Die Bezeichnung von Menschen als „farbig“ waren sie einer eigenen Rechtsprechung bedeutet gleichzeitig, dass weiß als Normalzu- unterstellt. In einigen Kolonien – darunter stand aufgefasst wird. Siehe People of Color. in „Deutsch-Südwestafrika“ (dem heutigen Namibia) – war ihnen ab Anfang des 20. Jahrhunderts die Eheschließung mit Deutschen „Gemeinschaftsfremde“/ untersagt. In „Deutsch-Südwestafrika“ wurden „gemeinschaftsfremd“ 1907 „Eingeborenenverordnungen“ erlassen, Mit diesem Begriff wurden Personen Onlineversion, Stand 01/2019 mit denen die Rechte der Kolonisierten weiter bezeichnet, die aus rassistischen, sozialen eingeschränkt wurden. Unter anderem wurde oder politischen Gründen aus der national- „Eingeborenen“ das Recht auf Freizügigkeit und sozialistischen „Volksgemeinschaft“ ausge- das Recht auf Landbesitz entzogen. grenzt wurden. Siehe „Volksgemeinschaft“. 170
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