Möglichkeiten und Grenzen von Mehr-zweckspeichern in der Schweiz und ihr Beitrag zur regionalen Resilienz - WSL
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Möglichkeiten und Grenzen von Mehr- Mehrzweckspeicher zweckspeichern in der Schweiz und ihr Beitrag zur regionalen Resilienz Leoni Jossen, Astrid Björnsen Gurung nehmen könnten. Die Relevanz der frühzei- Zusammenfassung tigen Prüfung von Möglichkeiten, wie die Laut Prognosen wird sich der Wasserhaushalt der Schweiz bis Ende des 21. Jahrhun- Wasserversorgung zukünftig sichergestellt derts aufgrund des klimatischen sowie sozioökonomischen Wandels stark verändern. werden könnte, wurde auch von der Politik Als Folge davon ist mit einem vermehrten Auftreten von lokalen und saisonalen Was- erkannt. Gleich mehrere Vorstösse fordern serengpässen zu rechnen. Solche Engpässe könnten durch die Zwischenspeicherung eine umfassende Untersuchung der heuti- von Wasser in künstlichen Speicherseen, welche in der Schweiz schon jetzt zahlreich gen und zukünftigen Wassernutzung sowie vorhanden sind, überbrückt werden. Heute werden diese vor allem für die Produktion der Möglichkeiten einer Umnutzung der von Wasserkraft genutzt. In Zukunft könnten weitere Funktionen hinzukommen: Nebst heutigen Speicherseen der Wasserkraft zu der Nutzung des Reservoirwassers für die Sicherstellung der Wasserversorgung, kön- Mehrzweckspeichern (z. B. Motion 13.4267 nen Speicherseen auch eine Schutzfunktion wahrnehmen oder für gesellschaftliche (Amherd 2013) auf Bundesebene oder Pos- oder ökologische Zwecke genutzt werden. Eine Ausweitung der Palette der Nutzun- tulat 4.0215 (Bérod et al., 2016) im Kanton gen kann sich positiv auf die regionale Resilienz auswirken. Es gilt aber abzuklären, Wallis). Hinzu kommt, dass in den kommen- durch welche Faktoren die Mehrzwecknutzung beschränkt oder verunmöglicht wird den Jahrzehnten die Wasserrechtskonzes- und wo sie durchaus eine Option darstellt. Dies auch vor dem Hintergrund der vielen sionen von vielen Kraftwerken auslaufen Konzessionen, die in den nächsten Jahrzehnten ablaufen werden. Dieser Umstand werden und neu vergeben werden müs- eröffnet die Möglichkeit, zukünftige Nutzungsoptionen bei der Neukonzessionierung sen. Auch in diesem Zusammenhang ist es zu berücksichtigen. wichtig, frühzeitig Rahmenbedingungen zu schaffen, die zukünftige Nutzungsansprü- 1. Einleitung flussen den Bedarf. Das Bundesamt für Sta- che bei der Neukonzessionierung berück- Obwohl die Schweiz als Wasserschloss Eu- tistik geht in seinem mittleren Szenario zur sichtigen. ropas gilt und über grosse Wasservorräte Gesamtbevölkerung der Schweiz bis 2045 Erste Grundlagen dazu wurden in verfügt, wird nur ein Bruchteil der Wasser- von einer Zunahme um knapp 23 % gegen- der vorliegenden Studie (Jossen, 2017) er- ressourcen verbraucht. Gemäss der Kli- über 2015 aus (BFS, 2015). Dies dürfte mit arbeitet. Sie untersuchte, welche weiteren mamodelle für die Schweiz wird sich auch einem Anstieg des Wasserverbrauchs ein- Nutzungsmöglichkeiten die Speicherseen im Zuge des Klimawandels die Summe hergehen. Da die Bevölkerungszunahme der alpinen Wasserkraft neben der Strom- der Jahresniederschläge bis Ende des regional sehr unterschiedlich ausfällt, wird produktion bieten und welche Faktoren eine 21. Jahrhunderts nur geringfügig ändern die Wasserversorgung insbesondere in Re- Mehrzwecknutzung einschränken oder (Bosshard et al., 2009). Trotz dieser komfor- gionen mit grossem Bevölkerungswachs- verunmöglichen könnten. Zur Betrachtung tablen Ausgangslage führt der Klimawan- tum unter Druck geraten. Als Sektor mit gehörten nicht nur die Nutzungsmöglich- del zu Veränderungen im Wasserhaushalt, den grössten Nutzungsansprüchen beein- keiten des Wassers aus den Seen, sondern welche die Wasserversorgung vor neue flusst auch die Entwicklung der Wirtschaft auch weitere Nutzungsmöglichkeiten der Herausforderungen stellen werden. Grosse den Wasserverbrauch. Prognosen zum Seen, beispielsweise für touristische oder Veränderungen werden z. B. bei der Vertei- Wasserverbrauch von Industrie und Ge- gesellschaftliche Zwecke. Anhand des lung der Niederschläge im Jahresverlauf werbe sind jedoch schwierig zu machen, konkreten Fallbeispiels Lienne-Raspille im erwartet. Die Prognosen zeigen, dass die da selbst bei einer Zunahmen von Industrie Kanton Wallis wurde zudem untersucht, Niederschlagsmenge im Sommer ab-, im und Gewerbe der erhöhte Wasserbedarf wie sich eine Mehrwecknutzung auf die Winter dagegen zunehmen wird. Zudem von Einsparpotenzialen überlagert werden regionale Resilienz auswirkt. Das Projekt steigt ganzjährig die Gefahr von Starknie- kann (Hoffmann et al., 2014). Für die Sek- Lienne-Raspille, an dem zehn Gemeinden derschlägen und entsprechend auch von toren Landwirtschaft und Tourismus wird und drei Elektrizitätsgesellschaften betei- Hochwasserereignissen (IPCC, 2007; Frei aber damit gerechnet, dass der Wasserver- ligt sind, wird zurzeit in der Region Siders- et al., 2006). brauch steigen wird (Björnsen Gurung und Crans-Montana umgesetzt und bezweckt Nebst dem Wasserdargebot wird Stähli, 2014; Fuhrer et al., 2013; Rixen et die Sicherstellung der Wasserversorgung sich in Zukunft auch die Wassernachfrage al., 2011). der Region. Zentrales Element ist der Spei- verändern. Durch die steigenden Tempera- Da aufgrund des Klimawandels chersee Lac de Tseuzier, in dem über- turen erhöht sich der Wasserbedarf, bspw. auch die natürlichen Speicher wie Glet- schüssiges Wasser zwischengespeichert für die landwirtschaftliche Bewässerung scher, Schneedecke oder Bodenfeuchte werden soll. oder Kühlung von technischen Anlagen. rückläufig sind, wird zurzeit diskutiert, ob Zur Beantwortung der beiden Fra- Auch sozioökonomische Faktoren beein- künstliche Speicher deren Funktion über- gestellungen (Möglichkeiten und Grenzen 108 «Wasser Energie Luft» – 110. Jahrgang, 2018, Heft 2, CH-5401 Baden
der Mehrzweckspeicherung; Beitrag zur gien wie Wind und Sonne an Bedeutung entstehen, so können die betroffenen Resilienz) wurden Interviews mit 13 Exper- gewinnt. Da Strom aus Sonne und Wind Kraftwerke präventiv Wasser ablassen, um ten und einer Expertin aus den Bereichen unregelmässig anfällt, sind entsprechende Speichervolumen für die Niederschläge zu Mehrzweckspeicher Wasserkraft, Landwirtschaft, Tourismus, Speicher- und Reservekapazitäten nötig. schaffen. Im Kanton Wallis wird dies unter Hochwasserschutz, Berggebiet, Ingenieur- Hier spielt die Wasserkraft eine wichtige Verwendung des von der ETH Lausanne wesen, Gemeinden sowie des Umwelt- und Rolle, da sie sowohl die täglichen als auch entwickelten Hochwasser-Vorhersage- Landschaftsschutzes durchgeführt und die saisonalen Schwankungen ausgleichen system MINERVE bereits heute so gemacht anhand einer inhaltlich strukturierenden, und zudem innert weniger Minuten Energie (DVBU, 2016). Weiter zu erwähnen ist, dass qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet zur Deckung von Verbrauchsspitzen bereit- Speicherseen nebst dem Hochwasser- (Jossen 2017). stellen kann. schutz auch andere Schutzfunktionen ein- nehmen, beispielsweise den Rückhalt von 2. Nutzungsmöglichkeiten von 2.2 Wasserrückhalt und Murgängen und Rutschungen in den See. Speicherseen Schutzfunktion Wie die Untersuchung zeigte, bieten die Durch die aufgrund des Klimawandels 2.3 Nutzung des Wassers Speicherseen der alpinen Wasserkraft po- steigenden Temperaturen erhöht sich die Das Wasser aus den Speicherseen lässt tenziell eine Vielzahl an weiteren Nutzungs- Verdunstungsmenge, wodurch die Häufig- sich für eine Vielzahl verschiedener Zwecke möglichkeiten (Bild 1). keit von Starkniederschlägen steigen wird nutzen. Zu nennen sind dabei vor allem die (Job et al. 2011). Allein das Vorhandensein Trinkwasserversorgung, die Bewässerung, 2.1 Energetische Nutzung von Stauseen wirkt sich positiv auf den als Löschwasser, die Beschneiung und Der heutige Primärzweck der Speicher- Hochwasserschutz aus, da diese die Ab- Kühlung. Wofür das Wasser genutzt wer- seen, die energetische Nutzung, wird auch flussspitzen abflachen. Wie hoch der Ef- den soll, hängt natürlich von den jeweiligen in Zukunft von grosser Bedeutung sein. fekt ist, hängt von der Art und Grösse des lokalen Nutzungsansprüchen ab. Die Rolle Heute stammt knapp ein Drittel der in der Einzugsgebietes ab und wird mit zuneh- alpiner Speicherseen für die Sicherung der Schweiz produzierten Elektrizität aus Spei- mender Distanz vom Speichersee kleiner. Trinkwasserversorgung wird in der Schweiz cherkraftwerken (BFE 2017). Auch die Ener- Eine aktive Bewirtschaftung im Vorfeld von als untergeordnet betrachtet, da zahlrei- giestrategie 2050 setzt auf die Nutzung der Starkniederschlägen kann den Beitrag der che Quellen und qualitativ hochwertiges Wasserkraft. Einerseits als Stromprodu- Speicherseen zum Hochwasserschutz er- Grundwasser eine ausreichende Wasser- zentin, anderseits aber auch aufgrund ihrer höhen. Durch ein Vorhersagesystem, wel- versorgung ermöglichen. Nichtsdestotrotz Speicherfunktion, welche durch die Ver- ches Wetterprognosen, Abflussdaten und kann in einigen Regionen durchaus ein Be- breiterung des Stromangebots durch die Informationen zum Füllungsgrad der Spei- dürfnis nach Wasser aus den Speicherseen Förderung der neuen erneuerbaren Ener- cherseen miteinander verknüpft, kann die als Ergänzung zur Trinkwasserversorgung Entwicklung der Ab- bestehen. Bereits heute beziehen einige flussspitzen schon Gemeinden in der Region Siders-Crans- im Voraus abge- Montana Trinkwasser aus dem Tseuzier- schätzt werden. Ist Stausee (Reynard und Bonriposi, 2012). aus der Prognose Das Beispiel zeigt, wie wichtig die Betrach- ersichtlich, dass tung der jeweiligen lokalen Situation ist. sich die Abfluss- spitzen mit freiem 2.4 Ökologie Speichervolumen Aufgrund des Klimawandels werden auch so reduzieren las- die Gewässer zukünftig stärker unter Druck sen, dass keine kriti- stehen. Wasserknappheit beeinflusst Le- schen Pegelstände bensräume und damit auch eine Vielzahl Bild 1. Nutzungsmöglichkeiten von Speicherseen (Quelle: Valentin Rüegg , Leoni Jossen und Astrid Björnsen Gurung). «Wasser Energie Luft» – 110. Jahrgang, 2018, Heft 2, CH-5401 Baden 109
von Tieren und Pflanzen. Mit dem gespei- betrifft insbesondere Nutzungen, bei denen Gewässerschutzgründen verhindert wer- cherten Wasser aus den Reservoiren kann das Wasser verbraucht wird. Wichtig ist den. Die gesetzlichen Mindestrestwasser- auch in Trockenheitsperioden genügend dabei, dass bei der Planung einer Mehr- mengen, die eingehalten werden müssen, Mehrzweckspeicher Wasser für die unterliegenden Gewässer zwecknutzung nicht nur das gegenwärtige reduzieren die verteilbare Wassermenge. abgelassen werden. Nebst der Wasser- Wasserdargebot und die heutige Was- menge ist auch die Dynamik in den Bächen sernachfrage betrachtet werden, sondern 3.3 Projektplanung wichtig. Durch künstliche Hochwasser, auch zukünftige Entwicklungen. Wird das Wird die Nutzung weder durch natürliche welche mit Geschiebezugaben ergänzt Wasserdargebot nämlich überschätzt, so Faktoren noch durch Schutzansprüche werden können, lässt sich der ökologischen verschärft dies allfällige Nutzungskonflikte. ausgeschlossen, so stellt sich die Frage Zustand in Restwasserstrecken unterhalb Ein weiterer Faktor ist die Lage des Sees, der technischen Machbarkeit, der Kosten, von grossen Speicherseen verbessern (Zu- bzw. die Distanz zum Ort der Nutzung. Ide- bzw. der Rentabilität des Projekts sowie rwerra et al., 2016). alerweise findet die Stauung in möglichst der rechtlichen Aspekte. Die technische hoher Lage statt, sodass das Wasser ein- Machbarkeit stellt selten eine Grenze dar, 2.5 Gesellschaft fach an die verschiedenen Nutzer verteilt da heute technisch sehr viel realisierbar ist. Ein Speichersee kann auch für gesellschaft- werden kann. Muss das Wasser zuerst in Sie hat jedoch Auswirkungen auf die Kos- liche Zwecke genutzt werden, wenn er z. B. höhere Lagen gepumpt werden, so kann ten eines Projekts. Sind diese zu hoch, sinkt als touristisches Produkt vermarktet wird. dies aus ökologischen und ökonomischen die Rentabilität, was oft dazu führt, dass ein Besucher werden angelockt, wenn ihnen Gründen wenig sinnvoll sein. Der Bau von Projekt gar nicht realisiert wird. Auch recht- dort die Geschichte der Wasserkraft und neuen Speicherseen kann durch die Tat- liche Aspekte spielen eine wichtige Rolle. des Stroms erklärt wird und die Funktions- sache eingeschränkt sein, dass die besten Bei den bestehenden Speicherseen sind weise und der Bau des Stausees gezeigt Standorte schon verbaut sind und nur eine die Konzessionen zur Nutzung des Was- werden. Zudem kann die Infrastruktur der begrenzte Anzahl geeigneter Standorte für sers bereits vergeben und das Recht der Speicherseen, beispielsweise Zufahrts- neue Projekte zur Verfügung steht. Auf- Wassernutzung wurde von den Gemein- strassen und Bahnen, welche von den grund ihrer Lage sind alpine Speicherseen wesen auf die Energieunternehmen über- Kraftwerksbetreibern gebaut und unter- als Badeseen uninteressant, da die Was- tragen. Das Einfordern von weiteren Nut- halten werden, der Bevölkerung zugäng- ser- und Umgebungstemperatur allgemein zungen bedeutet somit einen Eingriff in die lich gemacht werden, wodurch die Region zu niedrig sind. Konzession. Da aber viele Konzessionen in touristisch an Attraktivität gewinnt. den nächsten Jahrzehnten ablaufen, bieten 3.2 Schutzansprüche sich hier neue Gestaltungsmöglichkeiten. 3. Grenzen Natur- und Landschaftsschutz setzen vor Obwohl Speicherseen zahlreiche Nut- allem dem Bau von neuen Speicherseen 3.4 Bewirtschaftung zungsmöglichkeiten bieten, kann eine enge Grenzen. Zur Diskussion steht zur- Auch die derzeit praktizierte Bewirtschaf- Mehrzwecknutzung eines Reservoirs durch zeit die Nutzung resp. die zusätzliche Stau- tung eines Speichersees kann dem Aus- verschiedene Faktoren begrenzt werden ung der neu entstehenden Gletscherseen, bau der Nutzungspalette Grenzen setzen. (Tabelle 1). Ist ein Bedürfnis nach einer worin ein grosses wasserwirtschaftliches Stromnachfrage, Strombörsenpreise, Füll- Mehrzwecknutzung vorhanden, so müs- Potenzial gesehen wird. Da es sich bei ungsgrad des Stausees und teilweise sogar sen potenzielle Nutzungseinschränkungen den Gletscherrückzugsorten um wertvolle Wetterprognosen steuern die Entscheide, sorgfältig abgeklärt werden. neue Lebensräume und Pionierräume für wie viel Wasser turbiniert wird. Kommen Sukzessionsprozesse handelt, kommt es zusätzliche Ansprüche an die Verwendung 3.1 Natürliche Faktoren hier zwangsläufig zu Interessenskonflik- der limitierten Wassermenge oder den Eine erste wichtige Beschränkung der ten. Zudem befinden sich viele dieser Seen Zeitpunkt der Nutzung hinzu, kann dies zu Mehrzwecknutzung wird durch das hyd- in Schutzgebieten. Bei bestehenden Seen Nutzungskonflikten führen. Zudem kön- rologische System gesetzt. Diese Grenze können weitere Nutzungen vor allem aus nen auch Sicherheitsbedenken, beispiels- weise bei der Durchführung von künstli- chen Hochwassern, die Bewirtschaftung als Mehrzweckspeicher verhindern. 4. Einfluss eines Mehrweck- speichers auf die regionale Resilienz Der zweite Teil der Studie untersuchte den Einfluss der Mehrzwecknutzung auf die Resilienz einer Region. Das Konzept der Resilienz wurde ursprünglich in den Naturwissenschaften entwickelt, um die Fähigkeit von Materialien, nach einer Ver- formung wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückzukehren, zu beschreiben. In den 70er-Jahren wurde das Konzept auf ökologische Systeme übertragen und fin- det seitdem in verschiedenen Disziplinen Tabelle 1. Übersicht Grenzen. Verwendung (Davoudi et al., 2013). Der 110 «Wasser Energie Luft» – 110. Jahrgang, 2018, Heft 2, CH-5401 Baden
Begriff beschreibt heute die Fähigkeit von Störung auf eine Region und folglich auch mografischer Wandel oder internationale Systemen, mit Störungen klarzukommen. nur Anpassungsmöglichkeiten an genau Konkurrenz im Elektrizitätsmarkt) zusam- Verschiedene Autorinnen und Autoren (z. B diesen Störfaktor. In der vorliegenden Ar- mengefasst. Mehrzweckspeicher Jakubowski 2013; Davoudi, 2012; Wilson, beit wurde ein neuer Ansatz verwendet: der Die Untersuchung zeigte, dass sich 2012) gehen davon aus, dass das Konzept Mehrzweckspeicher wird als Anpassungs- die Nutzung eines Mehrzweckspeichers in der Resilienz dasjenige der Nachhaltigkeit mittel gegenüber mehreren Störungen ins vielerlei Hinsicht positiv auf die regionale ablösen wird. Sie begründen diese These Zentrum der Untersuchung gestellt. Resilienz auswirkt. Es überrascht nicht, mit der Beobachtung, dass in der Bevöl- Um den Einfluss des Mehrzweck- dass die Resilienz der Region gegenüber kerung aufgrund von Naturkatastrophen, speichers zu bewerten, wurden neun In- der Störung «Trockenheit» am stärksten Terrorattacken oder Wirtschaftskrisen ver- dikatoren aus den vier Dimensionen Öko- erhöht wird. Das untersuchte Mehrzweck- mehrt ein Gefühl von Unsicherheit auftritt nomie, Infrastruktur, Soziales und Öko- speicher-Projekt Lienne-Raspille sieht vor, und man diesem mit dem Begriff der Resili- logie ausgewählt, welche zusammen die dass das überschüssige Wasser aus Mo- enz begegnen kann (Davoudi, 2012). Durch Lebensqualität in der Region beeinflus- naten mit hohem Abfluss im See zwischen- die Erhöhung der Resilienz eines Systems sen (Tabelle 2). Ausgewählt wurden aus- gespeichert wird. Dadurch kann in Zukunft sollen nämlich die negativen Auswirkungen schliesslich Indikatoren, welche von Stö- während des ganzen Jahres genügend solcher Krisen reduziert werden (Simmie rungen direkt betroffen sind und durch den Wasser zur Verfügung gestellt werden. und Martin, 2010). Mehrzweckspeicher positiv oder negativ Zudem sollen die Wasserversorgungs- Um den Einfluss des Mehrzweck- beeinflusst werden können. systeme der verschiedenen Gemeinden speichers auf die regionale Resilienz zu un- Bild 2 stellt das regionale System miteinander verknüpft werden, sodass die tersuchen, wurde die Resilienz in Bezug zur und die Wechselwirkung mit der Mehr- Gemeinden gegenseitig Zugang zu ihren Lebensqualität gesetzt. Das heisst, in einer zwecknutzung vereinfacht dar. Störungen, Wasserreserven erhalten. Da die Wasser- resilienten Region sollte die Lebensqualität welche von aussen auf das System einwir- ressourcen der Gemeinden sehr ungleich trotz Störungen mindestens erhalten blei- ken, wurden in den zwei Kategorien Klima- verteilt sind und nicht mit dem Eigenver- ben. Die meisten Arbeiten zu diesem Thema wandel (z. B. Trockenheit oder Starknie- brauch korrelieren, stellt dies eine wichtige bewerten die Auswirkungen von nur einer derschläge) und globaler Wandel (z. B. de- Massnahme zur Sicherstellung der Was- serversorgung in allen Gemeinden dar. Sowohl die Wirtschaft als auch der Natur- und Kulturraum der Region Siders- Crans-Montana sind stark vom Wasser abhängig (Schneider, 2015). Eine erhöhte Resilienz gegenüber der Störung Trocken- heit wirkt sich daher auf mehrere Indika- toren aus. Bei den Indikatoren aus der Di- mension «Ökonomie» spielen aber andere Störungen eine grössere Rolle. Zwar kann auch hier die Mehrwecknutzung die Resili- enz gegenüber einigen Störungen erhöhen. Tabelle 2. Indikatoren für hohe Lebensqualität. Dies geschieht zum Teil direkt, wie bei der Wasserkraft, welche durch den Verkauf des Wassers weitere Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und daher ihre Abhängigkeit ge- genüber dem internationalen Markt redu- zieren kann. Dies geschieht aber auch indi- rekt, wie im Tourismus, der mit Beschnei- ungswasser aus dem See Schneesicherheit garantieren kann und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Kon- kurrenz verschafft. Für die regionale Wirt- schaft spielen aber eine Vielzahl von weite- ren Faktoren eine weitaus grössere Rolle. Der Einfluss des Mehrzweckspeicherpro- jekts auf die Resilienz wird hier folglich als gering eingeschätzt. Gegenüber Störungen durch Na- turgefahren stellten die Experten keine Erhöhung der Resilienz fest. Was auf den ersten Blick erstaunt, erklärt sich durch die einfache Tatsache, dass Naturgefahren wie Überschwemmungen in der untersuchten Region wenig auftreten. Folglich kann auch Bild 2. Das regionale System und die Wechselwirkung mit der Mehrzwecknutzung, ein Mehrzweckspeicher keine merkliche vereinfacht dargestellt. Verbesserung zur bestehenden Situation «Wasser Energie Luft» – 110. Jahrgang, 2018, Heft 2, CH-5401 Baden 111
bringen. Ebenso verhält es bei der Wald- Fall abgeklärt werden müssen. Eine gute 3 im Rahmen des Nationalen Forschungspro- brandgefahr, für welche schon heute aus- Datengrundlage zum gegenwärtigen und gramms NFP 61 «Nachhaltige Wassernutzung», reichend Löschwasser zur Verfügung steht. zukünftigen Angebot und Bedarf ist dabei Bern. Mehrzweckspeicher Einen deutlich positiven Einfluss auf ein wesentlicher Faktor. Nebst der Suche IPCC, 2007. Climate Change 2007: Mitigation of die Resilienz hat die verstärkte Zusammen- nach technischen Lösungen müssen aber Climate Change. Contribution of Working Group arbeit zwischen den Gemeinden, da beste- unbedingt auch andere Lösungsmöglich- I to the Fourth Assessment Report of the Inter- hende Netzwerke und Beziehungen eine keiten, beispielsweise die Nutzung von Ein- governmental Panel on Climate Change, United wichtige Rolle bei der Bewältigung von un- sparpotenzialen, überprüft werden. Kingdom and New York, USA: Cambridge Uni- vorhergesehenen Krisen spielen (Norris et versity Press. al., 2008). Literatur Jakubowski, P. 2013. Resilienz – eine zusätzliche Amherd, V. 2013. 13.4267 Motion. Masterplan Denkfigur für gute Stadtentwicklung. Informatio- 5. Schlussfolgerungen Wasser. Erarbeitung von Grundlagen zur lang- nen zur Raumentwicklung, 4, pp.371–378. Diese Studie schuf eine Übersicht über die fristigen wasserwirtschaftlichen Strategie in den Job, D. et al. 2011. Auswirkungen der Klima- vielfältigen zukünftigen Nutzungsmöglich- Gebirgsregionen. Available at: https://www. änderung auf die Wasserkraftnutzung – Synthe- keiten der Speicherseen der alpinen Was- parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/ sebericht. Beiträge zur Hydrologie der Schweiz. serkraft als Ergänzung zur Energieproduk- geschaeft?AffairId=20134267. Schweizerische Gesellschaft für Hydrologie und tion. Dabei spielt das im See gespeicherte Bérod, A.C. et al. 2016. Postulat 4.0215. Er- Limnologie (SGHL) und Hydrologische Kommis- Volumen eine wichtige Rolle, aber auch der weiterung der Nutzung unserer Staudämme. sion (CHy), ed., Bern. See selbst. Dieser kann eine Schutzfunk- Available at: https://parlement.vs.ch/common/ Jossen, L. 2017. Grenzen und Möglichkeiten von tion vor Hochwasser oder Flutwellen ein- idata/parlement/vos/docs/2016/10/2016.11_ Mehrzweckspeichern in der Schweiz und ihr Bei- nehmen, bietet aber auch touristische Nut- POS_4.0215_Erweiterung der Nutzung unserer trag zur regionalen Resilienz, Universität Zürich. zungsmöglichkeiten, wenn die Infrastruktur Staudämme_ENT.pdf. Norris, F.H. et al. 2008. Community resilience as des Kraftwerks zugänglich gemacht wird. BFE, 2017. Schweizerische Elektrizitätsstatistik a metaphor, theory, set of capacities, and strat- Wie das untersuchte Fallbeispiel Siders- 2016, Ittigen. egy for disaster readiness. American Journal of Crans-Montana zeigte, kann sich eine BFS, 2015. Szenarien zur Bevölkerungsentwick- Community Psychology, 41(1–2), pp.127–150. Mehrzwecknutzung positiv auf die regio- lung der Schweiz 2015–2045, Neuchâtel. Reynard, E., Bonriposi, M. 2012. Water Use Ma- nale Resilienz auswirken. Die Folgen von Björnsen, Gurung, A., Stähli, M. 2014. Wasserres- nagement in Dry Mountains of Switzerland. The Störungen, welche auf die Region einwir- sourcen der Schweiz: Dargebot und Nutzung – Case of Crans-Montana-Sierre Area. In M. Ne- ken, können gemildert werden, wodurch heute und morgen. Thematische Synthese 1 im ményi, B. Heil, eds. The Impact of Urbanization, der Mehrzweckspeicher hilft, die Lebens- Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms Industrial, Agricultural and Forest Technologies qualität in der Region zu erhalten. NFP 61«Nachhaltige Wassernutzung», Bern. on the Natural Environment. Sopron: Nyugat- Wie hoch das Potenzial von Mehr- Bosshard, T., Ewen, T., Kotlarski, S., Schär, Ch. magyarországi Egyetem, pp. 281–301. zweckspeichern tatsächlich ist, insbe- 2009. The annual cycle of the climate change sig- Rixen, Ch., Teich, M., Lardelli, C., Gallati, D., Pohl, sondere was die Sicherung der Wasser- nal – An improved method for use in impact stu- M., Pütz, M., Bebi, P. 2011. Winter tourism in the versorgung betrifft, muss anhand einer dies. Geophysical Research Abstracts 11, EGU, Alps: An assessment of resource consumption, quantitativen Analyse untersucht werden. pp.2009–7095. snow reliability, and future snow-making poten- Ein Forschungsprojekt zur Quantifizierung Davoudi, S. 2012. Resilience: A Bridging Con- tial. Mountain Research and Development 31(3): des Potenzials von Wasserspeichern zur cept or a Dead End? Planning Theory and Prac- pp.229–236. Bewältigung von Wasserknappheit wurde tice, 13(2), pp.299–307. Schneider, F. 2015. Exploring sustainability vom Bund 2017 lanciert. Um Mehrzweck- Davoudi, S., Brooks, E., Mehmood, A. 2013. Evo- through stakeholders’ perspectives and hybrid speicher-Projekte in Zukunft zu verein- lutionary Resilience and Strategies for Climate water in the Swiss alps. Water Alternatives, 8(2), fachen, wäre nebst einer quantitativen Adaptation. Planning, Practice and Research, pp.280–296. Analyse auch in qualitativer Hinsicht noch 28(3), pp.307–322. Simmie, J., Martin, R. 2010. The economic re- weiterer Forschungsbedarf vorhanden. So DVBU, 2016. Das Wallis angesichts des Klima- silience of regions: Towards an evolutionary stellen sich beispielsweise Fragen zu Ab- wandels, Sion. approach. Cambridge Journal of Regions, Eco- geltungsmechanismen und zur Priorisie- Frei, C., Schöll, R., Fukutome, J., Schmidli, J., nomy and Society, 3(1), pp.27–43. rung von Nutzungen. Da mit dem Ablauf Vidale, P. L. 2006. Future change of precipita- Wilson, G. A. 2012. Community Resilience and der Konzessionen neue Bedingungen für tion extremes in Europe: Intercomparison of sce- Environmental Transitions, London and New die Konzessionsvergabe festgelegt wer- narios from regional climate models. Journal of York: Routledge. den können, sollten frühzeitig Überlegun- Geophysical Research: Atmospheres 111 (D6), Zurwerra, A., Meile, T., Käser, S. 2016. Künstli- gen zu künftigen Nutzungsbedürfnissen pp.1–22. che Hochwasser – Massnahme zur Beseitigung gemacht werden, damit diesen später keine Fuhrer, J., Tendall, D., Klein, T., Lehmann, N., ökologischer Beeinträchtigungen in Restwas- rechtlichen Einschränkungen entgegenste- Holzkämper, A. 2013. Water Demand in Swiss serstrecken unterhalb von Speicherseen. Ausle- hen. Für alle Betrachtungen wichtig ist die Agriculture – Sustainable Adaptive Options for geordnung Grundlagen und Handlungsbedarf, Skala. Das Beispiel der Trinkwasserversor- Land and Water Management to Mitigate Im- PRONAT & BG. gung macht deutlich, dass der Beitrag der pacts of Climate Change. ART Schriftenreihe alpinen Speicherseen für diesen Zweck 19: pp.56. Anschrift der Verfasser schweizweit eine untergeordnete Rolle Hoffmann, S., Hunkeler, D., Maurer, M. 2014. Leoni Jossen, leoni.jossen@gmx.ch spielt, regional und lokal aber bedeutend Nachhaltige Wasserversorgung und Abwasser- Astrid Björnsen Gurung, Eidg. Forschungsan- sein kann. Es liegt auf der Hand, dass die entsorgung in der Schweiz: Herausforderungen stalt WSL, Zürcherstr. 111, CH-8903 Birmens- Bedürfnisse und Möglichkeiten von Fall zu und Handlungsoptionen. Thematische Synthese dorf, astrid.bjoernsen@wsl.ch 112 «Wasser Energie Luft» – 110. Jahrgang, 2018, Heft 2, CH-5401 Baden
Sie können auch lesen