(Nicht-)Rauchen wie ein Türke?
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Dossier: migration und sucht «(Nicht-)Rauchen wie ein Türke?» Während der Tabakkonsum in der Allgemeinbevölkerung der Schweiz abnimmt, sind die Prävalenzen bei einigen Gruppen der Migrationsbevölke- rung noch sehr hoch. Trotzdem sind diese Bevölkerungsgruppen in üblichen Rauchstopp-Therapien kaum präsent. Mit einem migrationssensitiven Ansatz sind diese deutlich besser und mit Erfolg erreichbar. Corina Salis Gross Entwicklung eines neuen Therapiekonzepts Dr. phil., Forschungsleiterin, Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung Der Erfolg einer Therapie steht und fällt mit dem zugrunde ISGF, Konradstrasse 32, CH-8005 Zürich, Tel. +41 (0)44 448 11 60, liegenden Konzept. Es musste also eine Therapieform entwickelt corina.salisgross@isgf.uzh.ch werden, die von der Zielgruppe akzeptiert und genutzt werden Domenic Schnoz würde. In einem ersten Schritt galt es, Rahmenbedingungen zu Lic. phil., Projektleiter, Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung ISGF, entwickeln, von welchen sich die Rauchenden angezogen fühlten, Konradstrasse 32, CH-8005 Zürich, Tel. +41 (0)44 448 11 60, domenic.schnoz@isgf.uzh.ch die sie als adäquat empfinden würden und die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten waren. Rauchstopp-Therapien für die Allgemeinbe- Serhan Cangatin völkerung existieren bereits in Form von diversen Angeboten. Der Fachspezialist, Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung ISGF, Konradstrasse 32, CH-8005 Zürich, Tel. +41 (0)44 448 11 60, Aufbau und die Inhalte unserer Rauchstopp-Therapie folgten der serhan.cangatin@isgf.uzh.ch, www.isgf.ch gängigen Struktur und den Hilfsmitteln, wie sie heute national und international Verwendung finden. Mittels einer Recherche und qualitative Methoden (ExpertInneninterviews, Leitfadenin- Hintergrund terviews, teilnehmende Beobachtung in einem Rauchstopp-Kurs Wie in vielen anderen Ländern ist auch in der Schweiz die der Krebsliga Zürich) wurden die wichtigsten Elemente einer ad- Rate der Rauchenden bei spezifischen Subpopulationen mit Mi- äquaten klassischen Therapie ermittelt: Vorbereitungsphase, ei- grationshintergrund hoch. Die Zahlen des «Gesundheitsmonito- gentlicher Rauchstopp, Reflexionen, Einüben der Verhaltensän- ring der Schweizerischen Migrationsbevölkerung» aus dem Jahr derung, Umgang mit Rückfällen. 2004 wiesen die türkeistämmigen Befragten als die mit Abstand In der ersten Entwicklungsphase wurde dafür eng mit der Krebs- am stärksten vom Tabakkonsum betroffene Gruppe aus: 53% der liga Zürich zusammengearbeitet. Die generelle Grundstruktur Männer und 42% der Frauen gaben an, Tabak zu rauchen.1 Im wurde in den migrationsspezifischen Rauchstopp-Therapien Gegensatz dazu lag der damalige Anteil der Rauchenden unter beibehalten. Die Inhalte und die allgemeine Didaktik wurden der der Schweizer Bevölkerung gerade einmal bei 37% (Männer), resp. Zielgruppe systematisch angepasst. Neben der Therapieführung in 30% (Frauen).2 Diese Zahlen schienen den volkstümlichen Aus- der Verkehrssprache Türkisch und mittels eines fachkompetenten druck «Rauchen wie ein Türke» zu bestätigen. Obwohl die Be- türkeistämmigen Leiters wurden die Inhalte auch an das kommu- rücksichtigung von sozioökonomischen und soziokulturellen As- nikative und an das symbolische Referenzsystem der Zielgruppe pekten sowie von Bildung in der Prävention ein wichtiges Element angepasst. Dabei wurden sozio-ökonomische Unterschiede, darstellt, gab es in der Schweiz bislang keine migrationssensi- tiven Rauchstopp-Therapien3 und in den üblichen Angeboten sind v. a. belastete Gruppen kaum präsent. Das Ziel unseres vom Ta- bakpräventionsfonds4 finanzierten Pilotprojektes «Rauchstopp- Health Literacy Therapie bei türkeistämmigen Migrantinnen und Migranten in «Die Fähigkeit der/des Einzelnen, in verschiedenen Bereichen der Schweiz»5 bestand deshalb darin, explorativ ein Therapiekon- des täglichen Lebens Entscheidungen zu treffen, die sich positiv zept zu entwickeln, das die Kontextualität des Rauchens und der auf die Gesundheit auswirken. Dabei lässt sich zwischen einer Optionen zum Ausstieg in der Migration und bei hoch belasteten funktionalen, einer interaktiven und einer kritischen Ebene und schwer erreichbaren Gruppen mit geringer health literacy (si- unterscheiden: Die funktionale Gesundheitskompetenz bein- ehe Kasten) berücksichtigt. haltet die Lese- und Schreibfähigkeiten, die einer Person den Die Aussichten auf Erfolg waren – vorsichtig ausgedrückt – als Zugang zu Informationen ermöglichen. Die interaktive Gesund- kritisch zu bewerten und die Erreichbarkeit der Zielgruppe war heitskompetenz schliesst zusätzlich soziale Kompetenzen mit schwierig einzuschätzen, denn gemäss den Auswertungen des ein und ermöglicht es Personen, eigenverantwortlich mit ihrer erwähnten Gesundheitsmonitoring sind viele MigrantInnen aus Gesundheit umzugehen und ihre soziale Umwelt so einzubezie- der Türkei stark marginalisiert (tiefes Integrationsniveau, grosse hen, dass diese für ihre Gesundheit förderlich ist. Die kritische Diskriminierungserfahrung, hohes Risikoverhalten und starke Gesundheitskompetenz bezieht sich auf eine kritische Beurtei- soziale Isolation) und weisen eine hohe psychosoziale Vulnerabi- lung der Informationen aus dem Gesundheitssystem und auf lität auf.7 Hatte diese Zielgruppe überhaupt das Bedürfnis und die eine konstruktive Auseinandersetzung auch mit den politischen Ressourcen, den Tabakkonsum aufzugeben? Oder würden wir mit und wirtschaftlichen Aspekten des Gesundheitssystems»6 unseren Bemühungen scheitern? 30 SuchtMagazin 4|2009
Altersklassen und geschlechtsspezifische Besonderheiten mit – Vorträge und Nutzung der türkischen und kurdischen Medien: berücksichtigt. Diese Modifikationen (z. B. Interaktionsformen, Der Kursleiter organisierte Informationsanlässe über die graphische Anpassungen, Anpassung von Filmmaterial, der Proto- Risiken des Rauchens in Vereinen und Organisationen. kollblätter, Alternativhandlungen für das Rauchen, etc.) wurden in Im Rahmen dieser Präsentationen wurde auch die Zusammenarbeit mit Vertretern der türkeistämmigen Migrations- Rauchstopp-Therapie vorgestellt. Diese Informationsan- bevölkerung vorgenommen. Ein besonderer Schwerpunkt wurde lässe stiessen auf grosses Interesse beim Publikum und ausserdem auf eine Verbesserung der interaktiven health literacy resultierten in zahlreichen Anmeldungen für die Therapien gelegt. vor Ort. Ergänzend wurden in einem türkischsprachigen Das Therapiekonzept wurde in Form eines Manuals entwickelt Sendegefäss des Radiosenders LoRa Interviews mit dem und in sechs Gruppen à sechs bis zwölf Personen sowie in fünf Leiter der Rauchstopp-Therapie durchgeführt sowie ent- Einzeltherapien angewandt. Mittels einer Evaluation wurden die sprechende Werbemitteilungen geschaltet. Weitere Artikel Wirksamkeit und allfällige Verbesserungsmöglichkeiten geprüft. und Gratisannoncen wurden in türkischen Zeitungen und in Vereinszeitschriften veröffentlicht. Zugang zur Zielgruppe und Rekrutierung der Rauchenden – Information der Regelversorgung: Zusätzlich wurden Nachdem das neue Therapiekonzept ausgearbeitet worden die Schweizer Regionalgruppe des Deutsch-Türkischen war, galt es, Personen für die Teilnahme an Rauchstopp-Kursen Arbeitskreises für türkischsprachige Psychotherapeu- und Einzeltherapien zu gewinnen. Zu diesem Zweck wurde ein tInnen, neun SozialarbeiterInnen und acht türkisch- Konzept, basierend auf acht Schritten entwickelt und umgesetzt: sprachige AllgemeinmedizinerInnen über die Therapien – Partizipative Entwicklung von Informationsmaterial: In informiert. Diese Interventionen zeigten aber keine Zusammenarbeit mit einem Cartoonisten aus der Türkei, konkreten Effekte auf die Rekrutierung. der bereits über Erfahrung in der Gestaltung von Präventi- – Setting-Ansatz für die Durchführung der Therapien: Den onsmaterial verfügte, wurden spezielle Handzettel (Flyer) Organisationen und Gruppierungen wurde eine grösst- und Poster entwickelt. Die künstlerischen Mittel dazu mögliche Entscheidungsfreiheit über die zeitliche und orientierten sich an symbolischen Referenzsystemen der räumliche Durchführung der Therapie zugestanden. Dieses MigrantInnen. Vorgehen stiess auf grosse Akzeptanz. Ausserdem wurden – Aufsuchende und beziehungsgeleitete Distribution des die Rauchstopp-Therapien auf Wunsch in den Räumlich- Informationsmaterials: Das Informationsmaterial wurde keiten der Vereine und Organisationen durchgeführt, was in Gemeinschaftszentren, Vereinen, Ethnic-Businesses einen vertrauten und informellen Rahmen unterstützte. (Reisebüros, Restaurants, Lebensmittelgeschäften, etc.) verbreitet sowie dem türkischen Konsulat zum Verteilen Dieses Vorgehen führte zu einer verstärkten Thematisierung übergeben. Der Kursleiter und zusätzliche freiwillige der Schädlichkeit des Rauchens in verschiedenen Zentren, Verei- Personen aus den Vereinen waren dabei bereits als Bezie- nen und Organisationen der Zielgruppe. Dies unterstützte wiede- hungsträger der Information involviert. Dieses Vorgehen rum die Rekrutierung von Teilnehmenden für die Rauchstopp-The- verschaffte dem Kursleiter die Rolle einer Identifikations- rapien. Eine der wichtigsten Erkenntnisse bei diesem Vorgehen figur und die Freiwilligen agierten als MultiplikatorInnnen war, wie entscheidend Beziehungs- bzw. Vertrauensbildung und des Therapieangebotes. Mit Hilfe dieses Vorgehens konnte damit zusammenhängend informelle und formelle Kontaktauf- ein Schneeballeffekt erzielt werden: Erste Verteiler waren nahmen sind. Diese Komponenten sind offenbar so stark, dass in Zürich situiert und bald schon erfolgte eine rasche sie sogar geschlechtsspezifische Präferenzen aushebelten. Ur- Ausdehnung auf die gesamte Deutschschweiz und die sprünglich war nämlich geplant, einen Kursleiter und eine Kurs- Romandie. Dieser Effekt ist vor allem der engen Vernet- leiterin auszubilden. Aus zeitlichen Gründen, war es aber nur dem zung von diversen türkeistämmigen Gemeinschaften zu männlichen Exponenten möglich, die Kontaktaufnahme intensiv verdanken, welche den transportierten Inhalten auch eine vorwärts zu treiben. Das Interesse der Rauchenden, welche an besondere Glaubwürdigkeit verschaffte. den Therapien teilnehmen wollten, wurde dadurch so stark auf – Errichten einer Hotline: Die Einrichtung einer telefonischen den entsprechenden Leiter fokussiert, dass sämtliche Interes- 24-Stunden-Hotline übernahm eine doppelte Funktion: sentInnen an seinen Therapien teilnehmen wollten – egal ob Frau Erstens diente sie InteressentInnen als Möglichkeit zur oder Mann. Ausserdem bestand offenbar ein deutliches Bedürfnis Kontaktaufnahme und zweitens wurde durch sie eine an Gruppentherapien. Die wenigen Einzeltherapien kamen nur Unterstützungsmassnahme ausserhalb der Therapiesit- deshalb zustande, weil es den betreffenden Rauchenden zeitlich zungen gewährleistet. nicht möglich war, an den Gruppentherapien teilzunehmen. – Zusammenarbeit mit offiziellen türkischen Stellen: Um auch eine offizielle Unterstützung des Projektes von türkischer Evaluation Seite zu erlangen, wurde das türkische Konsulat in die Um die Wirksamkeit der Rauchstopp-Therapie zu messen Informationskampagne mit eingebunden. wurde eine Evaluation der Gruppen- und Einzeltherapien durch- – Informelle und persönliche Kontaktaufnahme mit Schlüssel- geführt. Mittels einer Vorher-Nachher-Befragung (Pre-/Postbe- personen: Die grösste Resonanz erzeugte die persönliche fragung) sowie regelmässigen Kohlenmonoxidmessungen9 (CO- Kontaktaufnahme der Projektverantwortlichen mit Messungen) wurde die Wirksamkeit der Therapie überprüft. Die der Zielgruppe. Aufgrund der vermittelten Kontakte Pre-Befragung wurde in der ersten Therapiesitzung, die Post-Be- wurden persönliche Beziehungen über informelle Treffen fragung mindestens vier Monate später durchgeführt. Zusätz- aufgebaut. Auf diese Weise konnte in verschiedenen lich wurde sechs Monate nach dem Rauchstopp ein Follow-Up Vereinszentren eine Schlüsselperson rekrutiert werden, die durchgeführt, um die längerfristige Rauchabstinenz zu testen. an der Rauchstopp-Therapie besonderes Interesse zeigte Die erhobenen Daten wurden einer Reihe von Tests unterzogen. und damit zum Repräsentanten der Therapie avancierte. In erster Linie wurden relevante Schlüsselvariablen (wie soziode- Gleichzeitig konnten diese Schlüsselpersonen massgeb- mographische Eckdaten, die Anzahl gerauchter Zigaretten pro lichen Einfluss auf andere Vereinsmitglieder ausüben. Mit Tag, der Abhängigkeitsgrad etc.) einer Häufigkeits- bzw. Mittel- diesem Vorgehen konnten zahlreiche Rauchende davon wertanalyse unterzogen und deskriptiv ausgewertet. In einem überzeugt werden, an der Therapie teilzunehmen. zweiten Schritt wurde die eigentliche Wirkungsmessung durch- 32 SuchtMagazin 4|2009
Dossier: migration und sucht Die verstärkten Anstrengungen die health literacy der Teilnehmen- Skizzierung des Therapiekonzepts für Gruppen den zu verbessern hat des weiteren mindestens in einem Punkt 1. Intervention einen durchschlagenden Erfolg erbracht: Bei Therapiebeginn gaben Vorstellungsrunde, Einführung in die Therapie, Ausfüllen viele der Teilnehmenden an, bereits mindestens einen erfolglosen des Fragebogens (Pre-Test), Videopräsentation der türkisch- Rauchstopp-Versuch hinter sich zu haben. Oftmals wurden diese britischen Theaterintervention «Tiryaki Kukla» (Die süchtige Versuche durch Beihilfe von Nikotinkaugummis zu unterstützen Puppe)8 versucht. Die Anwendung der Nikotinersatzprodukte fiel jedoch meist unsachgemäss aus, weshalb die Wirkung ausblieb.12 Die 2. Intervention korrekte Anwendung der Nikotinersatzprodukte wurde in den Informationsvermittlung, Instrumente der Selbstkontrolle, Therapiesitzungen erlernt und verzeichnete grossen Erfolg:13 Die Schwierigkeiten beim Rauchstopp («Kenne Deinen Feind!») Chance, einen erfolgreichen Rauchstopp durchzuführen erhöhte sich durch die Nikotinsubstitution um fast das Sechsfache. 3. Intervention Die grosse Mehrheit der qualitativ befragten Teilnehmenden Informationsvermittlung (Nikotinersatzprodukte), gab an, dass das zielgruppenspezifische Angebot eine grosse Besprechung von Entzugssymptomen Motivation für sie dargestellt habe, teilzunehmen und die The- rapie zu vollenden. Ein deutschsprachiger Kurs wäre für fast alle 4. Intervention Befragten undenkbar gewesen (Sprachbarriere). Zudem wurde der Rauchstopp, positive Konnotation (kein Verzicht, spezifische soziokulturelle Rahmen sehr geschätzt. Man fühlte sondern Gewinn durch Rauchstopp), Grundsätzliches zur sich «unter seinesgleichen», wodurch das Vertrauen wesentlich Rückfallprävention gefördert wurde. Viele Teilnehmende begrüssten es ausserdem sehr, mit guten FreundInnen in derselben Therapie zu sein. Die 5. Intervention engen Beziehungen unter den Teilnehmenden scheinen damit ein Erfahrungsaustausch, Belobigung, weitere Alternativen wichtiges Erfolgsmerkmal zu sein. In der Tabakprävention weisen nämlich unterdessen auch die Auswertungen einer Langzeitstu- 6. & 7. Intervention die zur Allgemeinbevölkerung in den USA darauf hin, dass der Erfahrungsaustausch, Verstärkter Fokus auf Rauchstopp nicht individuell erfolgt, sondern in Kaskaden von Rückfallprävention, Entzugserscheinungen, Rauchstopp- sogenannt «starken Beziehungen» (freundschaftlich und reziprok) Horoskope (humoristische Einlage) und sich entsprechende setting-bezogene peer group-Ansätze als wirksamste Prävention zeigen, weil sich dadurch der Normenwan- 8. Intervention del in diesen settings erst durchsetzen kann.14 Abschlussfeier, Ausblick auf eine rauchfreies Leben, Erinnerungen an Treffen für Post-Test. Hinweis des Empfehlungen Rauchstopp-Therapeuten, dass die Hotline als weiterführende – Zugang zur Zielgruppe und Rekrutierung der Teilnehmenden Unterstützung/Beratung für die Teilnehmenden auch nach durch beziehungsgeleitete und aufsuchende Arbeit: Die Therapieende verfügbar ist. türkische Verkehrssprache in den Kursen und die persön- liche aufsuchende Arbeit der KursleiterInnen haben sich bewährt. Die Rekrutierung sollte mit Informationsver- geführt.10 Qualitative Interviews mit Teilnehmenden und mit anstaltungen über die Risiken des Rauchens kombiniert dem Rauchstopp-Leiter dienten der Kontextualisierung der The- werden. Die LeiterInnen der Rauchstopp-Therapie rapie und gaben Einblick in Erfahrungen mit dem Konzept. Ein gewinnen dadurch an zusätzlicher Glaubwürdigkeit Jahr nach dem jeweiligen Rauchstopp wurde telefonisch ein wei- und vermitteln gleichzeitig Fachkompetenz. Der direkte teres Follow-Up durchgeführt, um die Abstinenzrate nach zwölf Einbezug von Schlüsselpersonen in den einzelnen Vereinen, Monaten zu überprüfen. Organisationen und Zentren ist ausserdem eine effiziente Ergänzung für das Gewinnen von Teilnehmenden. Wichtigste Ergebnisse – Verhältnisprävention bewirken: Mittels des setting- Die Überprüfung der Wirksamkeit erbrachte Ergebnisse, wel- Ansatzes kann auch auf positive Sekundärgewinne che unsere Erwartungen weit übertrafen. So führten über zwei hingearbeitet werden. Durch die Thematisierung des Drittel (67,2%) aller Teilnehmenden einen Rauchstopp-Versuch Rauchens, seiner Risiken und insbesondere der Gefahren durch und über 55% waren bei Therapieende – validiert durch des Passivrauchens führten die Vereine teilweise rauch- Messung des CO-Gehalts in der Atemluft – rauchfrei. 47,5% aller freie Kurslokale oder mindestens rauchfreie Räume ein. Teilnehmenden waren bei der Postbefragung rauchfrei und die Be- – Gruppentherapie statt Einzeltherapie: Gruppentherapien reitschaft auch in Zukunft rauchfrei zu bleiben, war bei diesen Per- wurden im Vergleich zu Einzeltherapien klar bevorzugt. sonen ausgesprochen hoch. Diese Entschlossenheit schien sich Die Einbindung von starken sozialen Beziehungen ist eine auch längerfristig aufrecht zu erhalten. Selbst sechs Monate nach wirksame Ressource im Zuge der Verhaltensänderung. dem Rauchstopp waren über 39% der ehemaligen Rauchenden – Starke Beziehungen als wesentlicher Teil der Gruppendyna- immer noch tabakfrei und nach einem Jahr waren dies weiterhin mik: Zumindest für die erste Generation der Zielgruppe 37,7%. Dieses Ergebnis kann sich im Vergleich mit ähnlichen Ange- bewährten sich vor allem homogene Gruppen im Hinblick boten für die Allgemeinbevölkerung sehen lassen!11 auf Altersklasse, Geschlecht und ganz besonders das Krite- Besonders erfreulich war ausserdem, dass selbst diejenigen Per- rium der starken Beziehungen. Die meisten Teilnehmenden sonen, welche den Ausstieg nicht geschafft hatten, die Anzahl täg- waren bereits vor den Therapien sozial eng miteinander lich gerauchter Zigaretten um durchschnittlich 5 Stück reduzieren verbunden. Starke Beziehungen als Voraussetzung für die konnten. Dabei scheint es sich nicht um einen Vorsatz gehandelt Gruppenzusammensetzung fördern das Vertrauen und zu haben, der schnell wieder verworfen wurde. Sechs Monate nach ermöglichen eine enge soziale Kontrolle. dem Rauchstopp gaben sogar über 65 Prozent der Rauchenden an, – Therapiemanual: Die Entwicklung eines zielgruppenspe- ihren Zigarettenkonsum um durchschnittlich acht Zigaretten pro zifischen Manuals ist hilfreich und sollte die Grundlage Tag reduziert zu haben. für die Therapiedurchführung darstellen. Allerdings ist SuchtMagazin 4|2009 33
Literatur aufgrund von vielen bildungsfernen Teilnehmenden BAG (Bundesamt für Gesundheit) (2007a): Wie gesund sind Migrantinnen und eine verstärkte Nutzung von audio-visuellen Medien zu Migranten? Die wichtigsten Ergebnisse des «Gesundheitsmonitoring empfehlen. der schweizerischen Migrationsbevölkerung». Bundesamt für Gesund- – Selbstverantwortliches Lernen fördern: Das Ändern heit. Bern. www.miges.admin.ch, Zugriff 24.06.2009. BAG (Bundesamt für Gesundheit) (2007b): Strategie Migration und Gesund- der Gewohnheit zu rauchen sollte mit der eigenen heit (Phase II: 2008-2013).Bundesamt für Gesundheit. Bern. Überzeugung einhergehen. Viele der Teilnehmenden www.miges.admin.ch, Zugriff 24.06.2009. der ersten Generation hatten in ihrem Herkunftsland Bond, M. (2009): Three degrees of contagion. New Scientist, Nr. 2689: 24-27. URL: www.newscientist.com, Zugriff 24.06.2009. einen autoritären und passiv-rezeptiven Erziehungs- und Christakis, N. A. & Fowler J. H. (2008): The collective dynamics of smoking Bildungsstil genossen. Unserer Erfahrung nach ist es von in a large social network. New England Journal of Medicine 358(21): entscheidender Bedeutung, mit diesem Stil zu brechen und 2249-58. das Erlernen von aktiver und partizipativer Lernkompetenz Gabadinho, A. & Wanner, P. (2008): Die Gesundheit der Migrationsbevöl- kerung in der Schweiz: zweite Analyse der Daten des GMM. Auswir- zu fördern, um einen Ausstieg aus der Abhängigkeit kungen des Integrationsniveaus, von Diskriminierung, Risikoverhalten zu schaffen und um sich die interaktive health literacy und sozialer Isolation. Kurzversion. Laboratoire de démographie et anzueignen. d’études familiales, Université de Genève. Genf. www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik, Zugriff 24.06.2009. – Verbesserung der health literacy: Nach unserer Einschät- Lando, H.A., McGovern, P.G., Kelder, S.H., Jeffery, R.W., Forster, J.L. (1991): Use zung war der Wissenszuwachs um die Schädlichkeit des of carbon monoxide breath validation in assessing exposure to cigaret- Tabaks, die Auswirkungen auf den Körper (Mechanismen te smoke in a worksite population. Health Psychology 10(4): 296-301. der Abhängigkeit) und die korrekte Anwendung von Pfluger, T./Biedermann, A./Salis Gross C. (2008): Transkulturelle Prävention und Gesundheitsförderung in der Schweiz. Grundlagen und Empfeh- Hilfsmitteln (z. B. Nikotinersatzprodukte) eine wesentliche lungen. Schlussbericht an den Schweizerischen Tabakpräventions- Ressource auf dem Weg zur Tabakabstinenz. Die Stärkung fonds. Public Health Services. Herzogenbuchsee. der Gesundheitskompetenz sollte beim Aufbau eines www.transpraev.ch, Zugriff 24.06.2009. Therapiekonzeptes die nötige Gewichtung als Vorausset- Schmid, M., Zellweger, U./Gutzwiller, F. (2007): Evaluation der Rauchentwöh- nungskurse der Fachstelle «nicht mehr rauchen» 2001-05. Effektivität zung für einen Therapieerfolg erhalten. und Erfolgsfaktoren. Institut für Sozial- und Präventivmedizin der – Kosten: Vulnerable Gruppen verfügen häufig lediglich über Universität Zürich / Forschung und Dokumentation; Nr. 31. Zürich. stark beschränkte finanzielle Mittel. Aus diesem Grund Salis Gross, C. (2009): Rauchstopp-Therapie bei türkeistämmigen Migran- tinnen und Migranten in der Schweiz. Schlussbericht an den Tabakprä- ist es nicht verwunderlich, dass in unserer Zielgruppe ventionsfonds. Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung. Zürich. eine Kostenbeteiligung an den Rauchstopp-Therapien als www.bag.admin.ch/tabak_praevention, Zugriff 01.07.2009. Zugangsbarriere bezeichnet wurde. Nach Einschätzung Schnoz, D./Schaub, M./Cangatin, S./Salis Gross C. (2008): Rauchstopp-Kurse des Kursleiters ist jedoch noch ein anderer Aspekt wichtig: für türkeistämmige Migrantinnen und Migranten in der Schweiz. Be- richt zur Wirksamkeit der Kurse. Teilbericht II zum Präventionsprojekt Durch das Gratisangebot, wurde die Haltung der Teilneh- «Rauchstopp-Therapie bei türkeistämmigen Migrantinnen und Mi- menden verändert, so dass sie sich selbst verantwortlich granten in der Schweiz». ISGF; Forschungsbericht Nr. 263. Zürich. www. für einen Erfolg fühlten. Eine Kostenbeteiligung würde isgf.ch, und www.bag.admin.ch/tabak_praevention, Zugriff 24.6.2009. Stevens, W./Thorogood, M./Kayikki, S. (2002): Cost-effectiveness of a hingegen eine passive Haltung fördern, die den Kursleiter community anti-smoking campaign targeted at a high risk group in für den Erfolg verantwortlich macht. Ein Gratisangebot ist London. Health Promotion International 17(1): 43-50. demzufolge nicht nur aus Gründen der Chancengleichheit zu empfehlen, sondern spielt auch der Verbesserung der Endnoten 1 BAG 2007a. interaktiven health literacy in die Hände. 2 Die zweithöchste Rate unter den Migrationsgruppen betraf mit 41% (Männer), resp. 33% (Frauen) Personen aus dem ehemaligen Jugosla- Weiteres Vorgehen wien. Momentan befindet sich das ISGF in Abklärungen mit An- 3 vgl. dazu Pfluger et al. 2008. 4 Der Tabakpräventionsfonds wurde eingerichtet, um insbesondere bietern von Rauchstopp-Beratung der Regelversorgung, um die Präventionsmassnahmen zu finanzieren, die den Einstieg in den Integration der Kurse in die vorhandenen Angebote zu vollziehen. Tabakkonsum verhindern, den Ausstieg fördern und die Bevölkerung Weiter wird eine Multiplikation des Konzepts auf andere Zielgrup- vor Passivrauch schützen. Der Tabakpräventionsfonds wird durch die Abgabe von 2.6 Rappen pro verkaufte Zigarettenpackung finanziert. pen der Migrationsbevölkerung geprüft. www.bag.admin.ch/tabak_praevention 5 Salis Gross 2009. Infos für Fachstellen 6 BAG 2007b: 39. Der Schlussbericht sowie die Berichte zur Durchführung der 7 vgl. BAG 2007a, Gabadinho & Wanner 2008. 8 vgl. Stevens et al. 2002. Therapieinterventionen und zur Wirksamkeit der Intervention 9 Gemäss Angaben des Herstellers bedfont© bleibt Kohlenmonoxid können auf der Homepage des Instituts für Sucht- und Gesund- (CO)-abhängig von verschiedenen Faktoren – bis zu 24 Stunden lang im heitsforschung15 und auf der Homepage des Tabakpräventions- Blutkreislauf. D. h., dass das Rauchen – oder das starke Passivrauchen – innerhalb der letzten 24 Stunden, durch eine CO-Messung erfasst fonds16 heruntergeladen werden. Für weitere Fragen steht das ISGF jederzeit zur Verfügung.• werden kann. Bei sachgemässer Verwendung gelten die Ergebnisse der CO-Messgeräte als sehr aussagekräftig bei moderaten und starken RaucherInnen (vgl. z.B. Lando et al. 1991). 10 vgl. dazu Schnoz et al. 2008. 11 z. B. Schmid et al. 2007. 12 Meistens wurden diese Produkte wie gängige Kaugummis gekaut, was starke Übelkeit hervorrufen kann und die ausreichende Resorption des Nikotins durch die Mundschleimhäute verhindert. 13 Die Entscheidung, ob und welche Form der Nikotinsubstitution ange- wandt wurde, ist von den Teilnehmenden jeweils individuell gefällt worden. 14 vgl. Christakis & Fowler 2008; Bond 2009. 15 www.isgf.ch 16 www.bag.admin.ch/tabak_prävention 34 SuchtMagazin 4|2009
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