AUTHOR'S COPY | AUTORENEXEMPLAR - Hartmut Stöckl

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                              Multimodale Werbekommunikation
                                           – Theorie und Praxis

                                                        HARTMUT STÖCKL

Abstract
The present contribution discusses the complex relations between adver-
tising research (theory) and the making of advertising (practice). It argues
that advertising theory may only be useful for the advertising agencies if
the knowledge generated is practically relevant, accessible, comprehensible
and the external conditions favour its application. Based on a concise as-
sessment of the interrelationship between research and practice (2) and a
careful examination of available theory ! mainly from pragmatic linguis-
tics and communication studies (3.1) ! the paper suggests some promising
ways of future advertising research, such as multimodal corpus analysis,
contrastive stylistics, advertising history, professional writing, and empiri-
cal reception studies (3.2). The article also proposes and explains some
key-principles of a methodology for contemporary and applied advertising
research (3.3) including a multimodal and holistic perspective, an array of
semiotic tools of analysis, a firm basis of transcription and a focus on
motivating design decisions. Finally, the paper provides a multimodal sam-
ple analysis of a recent TV-commercial thus outlining a feasible method-
ology applicable to a number of practical purposes.

1. Subjektive Theorien der Werbepraxis über Wissenschaft
Für ein methoden-komparatistisches Buch zu multimodaler Textanalyse
(Schneider/Stöckl 2011) habe ich Art-Director und Texter der Agentur
EURO RSCG Düsseldorf interviewt. Neben einigen konzeptionellen
und produktionstechnischen Details zu dem analysierten Werbespot
wurde auch nach dem Nutzen der Theorie für die Praxis und nach deren
Verhältnis zueinander gefragt. Darauf bekam ich die folgende Antwort:
    Jede Zeit bringt ihre Werbewirkungs-Theorie(n) mit sich, die für einen kurzen
    Zeitraum gilt, und schon beim nächsten Projekt obsolet und überholt ist/

Zeitschrift für angewandte Linguistik (2011), 5!32          14339889/2011/054!0005
DOI 10.1515/zfal.2011.002                                       ! Walter de Gruyter

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6    Hartmut Stöckl

    scheint. Rapid ablaufende gesellschaftliche sowie technische Prozesse sorgen
    dafür. Gewiss gibt es grundlegendere konsumentenpsychologische bzw. kom-
    munikationswissenschaftliche Theorien, die länger Bestand haben, dafür aber
    umso allgemeiner und daher für unsere tägliche Arbeit irrelevant sind. Man
    kann in der Werbehistorie gewisse „Moden“ erkennen, die von jeweiligen
    Theorien begleitet werden. Für Nachbetrachtungen interessant, aber im
    schnellen Alltagsgeschäft mit ständig wechselnden Trends dürfte es für wissen-
    schaftliche Arbeit ziemlich schwer werden, da Schritt zu halten. Werbetrei-
    bende sind natürlich für wissenschaftliche Unterstützung dankbar, um sich
    einen Wettbewerbsvorteil durch Differenzierung zu sichern. Dies funktioniert
    aber selbstverständlich nur, solange nicht alle auf den gleichen Zug aufsprin-
    gen.                                              (Schneider/Stöckl 2011 i. D.)

Betrachtet man diese Aussage als exemplarische subjektive Theorie der
Praxis, so lassen sich daraus die folgenden Beobachtungen zum Verhält-
nis von Werbeforschung und Werbepraxis entnehmen und aus der Sicht
des Theoretikers kritisch kommentieren. Ein vordergründiges Interesse
der werblichen Praxis an der Theorie richtet sich auf die Werbewir-
kung ! dazu können Linguistik, Semiotik und Multimodalitätsfor-
schung prinzipiell wenig aussagen. Sie betrachten ja das Textprodukt
und seine Zeichenstrukturen im breiteren soziokulturellen Kontext; die
empirische Rezeptionsforschung sei hier einmal ausgenommen (Bucher
2011a/b). Es sind neue und spezifische Erkenntnisse gefragt; selbst wenn
es diese gäbe, stünde ihr Nutzwert in Frage, weil die Praxis vielgestaltig
und schnelllebig ist. Dieses Argument ist sehr ernst zu nehmen, da der
Werbeforscher existierende Praxis immer nur post-hoc beschreiben kann.
Vorhersagen oder praktische Handlungsempfehlungen sind wohl kaum
möglich. Für die Theorie sieht der Praktiker das Problem, mit den Be-
schreibungen und Erklärungsmodellen von Werbetexten beständig der
sich rasch wandelnden Gestaltungspraxis hinterherzulaufen. Auch hier
scheint die Theorie in einer schlechten Position zu sein. Den Nutzwert
von Wissenschaft(en) über Werbung sieht der Praktiker recht klar markt-
orientiert als Wettbewerbsvorteil oder Alleinstellungskriterium in der
Agenturszene. Dass dies ein Anspruch ist, der sich mit der Ausrichtung
bestehender Werbeforschung kaum erfüllen lässt, dürfte recht zweifels-
frei sein.
   Weitere Fragen zur Reflexion der eigenen Arbeit förderten noch eine
erwartbare aber wichtige Aussage zu Tage: „Meistens ist es ein Bauchge-
fühl ! resultierend aus Erfahrung ! das einem zum richtigen Ergebnis
führt.“ (Schneider/Stöckl 2011 i. D.). Dies bedeutet, dass man positivis-
tisch im Sinne einer Methode-Ergebnis-Relation über Werbegestaltung
denkt und sich dabei auf Erfahrungswissen, Intuition und Kreativität
verlässt. Auch dies heißt zunächst nichts Gutes für den Stellenwert der
Theorie. Soll man daraus den Schluss ziehen, dass sich die Theoretisie-

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           Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis          7

rung der Werbung und ihre gestalterische Praxis nichts zu sagen haben?
Muss man akzeptieren, dass zwei soziale Praktiken im Raum einer Ge-
sellschaft auf unterschiedlichen Umlaufbahnen kreisen, die sich kaum
kreuzen und berühren? Ist es nur der Theoretiker, der den Output des
Praktikers zum wissenschaftlichen Bespiegeln benötigt oder gibt es et-
was, das die Angewandte Linguistik im Sinne ihres Anspruchs „real-
world problems“ (Brumfit 1997: 93) zu lösen dem Praktiker bieten
könnte?
   Ich möchte im Folgenden (2) dem Verhältnis von Theorie ! d. h. der
im weiten Sinne pragma-linguistischen Analyse und Beschreibung von
Werbetexten und -kommunikationsprozessen ! und Praxis, also der
Konzeption, Gestaltung und Inszenierung von Werbekommunikaten
nachgehen. Dabei sind zwei Sichtweisen notwendig: 1) Bedarf die Praxis
der in der Wissenschaft generierten Erkenntnisse und Modelle; kann sie
damit etwas anfangen? und 2) Ist die Theorie tatsächlich an der Praxis
interessiert; kann der Theoretiker sie überhaupt wahrnehmen? Aus der
Erkundung dieses Verhältnisses werde ich dann Schlüsse für die mögliche
Ausrichtung linguistischer Werbeforschung ziehen (3); allerdings nicht
ohne zu bewerten, was bereits geleistet wurde und wo Probleme und
Defizite bestehen. Schließlich möchte ich an einem Fallbeispiel zeigen,
welche Erkenntnisse mit einer multimodalen Textanalysemethodik ge-
wonnen werden können und dass diese für den Praktiker relevant sein
können (4). Ein kritischer Ausblick beschließt den Beitrag (5).

2. Werbeforschung und Werbepraxis ! zu einem schwierigen Verhältnis
Die Frage, ob linguistische Theoriebildung und sprachwissenschaftliche
Beforschung einer Praxis diese auch optimieren können, stellt sich nicht
für Werbekommunikation allein, sondern prinzipiell für alle sozialen
Handlungsdomänen, in denen Sprache und andere Zeichenressourcen
zweckorientiert eingesetzt werden. Dazu gibt es stereotype Auffassungen
und Vorurteile auf beiden Seiten: Der Praktiker neigt dazu, sein Tätig-
keitsfeld erfahrungsgeleitet und rezeptgesteuert wahrzunehmen und zu
organisieren. Der Theoretiker interessiert sich entweder überhaupt nicht
für die Praxis, weil er einer rein theoretischen Logik folgt, oder legiti-
miert seine Forschung gerade dadurch, dass er ihren Praxisbezug heraus-
streicht.
   H.P. Krings (Krings 1996) liefert „eine Fallstudie zum Verhältnis von
Wissenschaft und Praxis allgemein“ (ebd. 28), die ich hier auf Werbe-
kommunikation hin konkretisieren und befragen möchte. Krings (1996:
34) nennt vier Bedingungen für die Nutzbarkeit wissenschaftlicher For-
schungsergebnisse in der Praxis: 1) Relevanz, 2) Bekanntheit (d. h. Zu-
gänglichkeit & Verständlichkeit), 3) Rahmenbedingungen, die eine An-
wendung ermöglichen, 4) Bereitschaft zur Anwendung.

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2.1. Relevanz der Theorie für die Praxis
Vordergründig relevant wären medienlinguistische Erkenntnisse für die
Werbung dann, wenn sie sich in der Werbegestaltung bzw. ihrer Konzep-
tion umsetzen ließen. Dies würde voraussetzen, dass Gestaltungsvariab-
len werblichen Stils (z. B. Satzlängen, Wortarten, grammatische Konst-
ruktionen, rhetorische Figuren etc.) empirisch auf ihre Wirkungen hin
untersucht werden würden. Diese Art Forschung gibt es nicht, vor allem
weil sie mit Blick auf die enorme Wandelbarkeit des Genres wenig sinn-
voll scheint. Zwar gibt es werbetypische Formulierungsmuster und favo-
risierte sprachliche Mittel ! diese aber setzt der Texter situationsflexibel
und aufgabenbezogen ein. Die Forderung nach verallgemeinerbaren For-
schungsergebnissen (Krings 1996: 43) relativiert sich also; Wirkungshy-
pothesen und Wirkungsnachweise (ebd.: 38) über einzelne Gestaltungs-
variablen nützen der Praxis wenig, wenn sie so vielgestaltig ist.
Agenturen testen deshalb ihre Entwürfe mit Probandengruppen ! hier
geht es aber um eine ganzheitliche Beurteilung, nicht um „kleine“ linguis-
tische Größen. Wissenschaft wäre für den Praktiker auch dann beson-
ders relevant, wenn ihre Ergebnisse „lösungsorientiert und handlungsbe-
zogen“ (ebd.: 52) wären und sich somit in der Praxis des Textens und
Gestaltens operationalisieren ließen. Auch davon kann nicht die Rede
sein, denn Medienlinguistik beschreibt die Gestaltungsstrukturen von
Werbetexten, kann daraus aber bestenfalls plausible Hypothesen ablei-
ten, keine Schreibtechniken oder Gestaltungsrezepte.
   Schließlich darf die Forschung nicht banal sein, d. h. sie sollte über
die Konsolidierung oder Korrektur intuitiver Annahmen hinausgehen.
Dieser Forderung kann auf verschiedene Arten entsprochen werden. Zu-
nächst scheint eine möglichst ganzheitliche, methodisch hoch angerei-
cherte Sicht auf das multimodale Werbekommunikat geboten, um deren
Machart als Gesamttext und das Zusammenspiel der verschiedenen se-
miotischen Ressourcen beschreiben zu können. Ebenso ist eine Theoreti-
sierung von Werbekommunikation nur auf dem Hintergrund eines aus
der tatsächlichen Praxis rekonstruierten Verständnisses des soziokultu-
rellen Bedingungs- und Kontextgefüges möglich, in dem Werbung funk-
tionieren muss. Mit einer dichten multimodalen Textheuristik aufzeigen
zu können, dass bestimmte Gestaltungsstrategien und Botschaftsausrich-
tungen der anvisierten Aufgabe dienlicher sind als andere ist dabei im
Sinne einer Bestätigung und Konsolidierung werblicher Praxis nur der
Anfang.
   Wertvoller scheint es, aus der längerfristigen und kontrastiven Be-
obachtung ausgewählter thematischer Segmente des Werbediskurses eine
Neuausrichtung kommunikativer Strategien und Techniken vorschlagen
und begründen zu können. Dies setzt gezielt kompilierte Korpora (mar-

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ken-kontrastiv und Kampagnen nachzeichnend) und eine effektive Ana-
lysemethodik voraus, die jeweils relevante und spezifische Gestaltungs-
merkmale erkennt und zur designerischen Disposition1 stellt. Wertvoll
kann es auch sein, misslungene Kommunikate oder Kampagnen syste-
matisch zu untersuchen, um daraus Verallgemeinerungen über gestalte-
risch riskante und für die Wirkung sensible Strukturen der Werbebot-
schaft abzuleiten.
   Schließlich ist eine interdisziplinäre Ausrichtung von Werbeforschung
anzuraten, da es keine Einzelwissenschaft für Werbung gibt. Hier scheint
eine semiotische Sicht von unschätzbarem Vorteil, weil man so alle Zei-
chenvorkommen der Kommunikate integrativ behandeln kann. Der
Blick muss aber über das semiotische Produkt hinaus auch auf die ge-
samte soziale Praxis Werbung gerichtet werden, so dass Textproduktion-
und -rezeption in die Analyse eingehen können.

2.2. Zugänglichkeit und Verständlichkeit von Theorie
Sollen Forschungsergebnisse über Werbung dem Praktiker bekannt wer-
den, so müssen sie zugänglich und verständlich sein. Zwar erfreut sich
der Gegenstand Werbung dank seiner gesellschaftlichen Brisanz und des
popkulturellen Goutierens etwa durch Sammeln, Ausstellen und Prämie-
ren beträchtlicher akademischer Popularität ! der sprach- und kommu-
nikationswissenschaftliche Output ist durchaus groß (vgl. z. B. Janich
2010a, Janich 2011 i. D.). Jedoch hapert es ganz offensichtlich beim
Transfer der Theorie in die Praxis. So kommt Schierl (2002a: 467) zu
dem Ergebnis, dass „kommunikations- und werbewissenschaftliche Er-
kenntnisse (...) in der Praxis allgemein nicht sehr hoch eingeschätzt wer-
den“. Er eruiert durch Befragung von Werbeagenturen diverse Gründe
dafür, wie z. B. Praxisferne, mangelnde Aktualität, unbrauchbare Inter-
pretationen und inadäquate weil übergeneralisierte Handlungsempfeh-
lungen; bewertet diese aber im Wesentlichen als auf Nichtwissen beru-
hende Vorurteile (Schierl 2002a: 479). Es sind vor allem die potentiellen
Anwender wissenschaftlicher Einsichten, also die Kreativen (Texter, Art-
Directors), die hier negativer eingestellt sind als die Berater/Kontakter.
Letztere vermuten zumindest, dass Teile der Forschung inspirierend sein
könnten und sich für effektive(re) Konzeption bzw. Gestaltung nutzbar
machen ließen.
   Die sprachwissenschaftliche und semiotische Werbeforschung ist der
Praxis mit Sicherheit in ungenügendem Maße zugänglich. Dies liegt zum
einen am Mangel popularisierender Zeitschriften, die markante Studien,
Modelle und Methoden bekannt machen würden. Die brancheneigenen
Blätter (wie z. B. ,Horizont‘, ,werben & verkaufen‘, ,Werbeforschung &
Praxis‘) werden vom Marketing dominiert und behandeln die semioti-

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10    Hartmut Stöckl

schen Ressourcen, Strukturen und Techniken zu Gestaltung kaum und
wenig systematisch. Ihre durchaus wertvolle Funktion des Aufzeichnens
werblicher Praxis kommt eher dem Theoretiker als dem Praktiker zu-
gute. Dieses Defizit ließe sich wahrscheinlich leicht beheben; vor allem
wohl durch ein Zugehen der Theorie auf die Praxis und entsprechend
ausgerichtete Publikationen.
   Mangelnde Verständlichkeit andererseits scheint ein schwerwiegende-
res Problem, denn sie ergibt sich nicht nur aus unterschiedlichen Wis-
sensvoraussetzungen und Erkenntnisinteressen von Theorie und Praxis,
sondern primär aus der nicht selten ausgrenzend wirkenden fachspezifi-
schen Terminologie. Eine vereinfachende, am Alltagssprachgebrauch ori-
entierte Darstellung wissenschaftlicher Überlegungen mag nicht immer
einfach sein, wird andererseits aber viel zu selten praktiziert, wo sie mög-
lich wäre. Auch hier helfen nur aktiver Austausch von Theorie und Pra-
xis und offene Kooperation ! dies würde mit Sicherheit zu einer Harmo-
nisierung von Begrifflichkeiten führen; zumindest was die Beschreibung
von Kommunikaten und Gestaltungsmitteln angeht.
   Schierl (2002a: 478 ff.) ist davon überzeugt, dass trotz der Hürden ein
langfristiger Diffusionsprozess von statten geht, der strukturelles Wissen
in die Praxis bringt, und dass „die Werbewirtschaft wissenschaftlichen
Erkenntnissen mit einer relativ starken Zeitverzögerung zumindest unbe-
wusst Rechnung trägt“. Dies geschieht sowohl durch Popularisierung
als auch durch die wie auch immer unsystematische Beobachtung von
Werbekommunikation durch die Agenturen, aus der sich Trends erge-
ben, die aufgenommen und verstärkt werden können.

2.3. Bedingungen und Bereitschaft zur Anwendung von Theorie
Ein abschließender Blick auf die Rahmenbedingungen für die Anwen-
dung theoretischer Erkenntnisse durch die Praxis und ihre Bereitschaft
dazu ergibt ein widersprüchliches Bild. Akzeptiert man Schierls (Schierl
2002a: 465 f.) These, dass die Werber „Defizite (...) im Bereich des struk-
turalen Wissens, wie also Werbung mit Hilfe eines entsprechenden kom-
munikations- und sozialtechnischen Know-Hows effektiv und effizient
gestaltet werden kann“ (ebd. 465), haben, so müsste die Nachfrage nach
Theorie groß sein. Mir scheint dies jedoch eine überzogene, wenn nicht
sogar unzutreffende Unterstellung. Große, in weltweiten Netzwerken
aufgestellte Werbeagenturen bündeln und organisieren gestalterische Er-
fahrung, betreiben ihre eigenen Archive, beobachten Kommunikation,
reagieren auf neue Trends und müssen Kundenanforderungen situations-
sensibel und kreativ umsetzen. In diesen Tätigkeiten bilden sich auf prak-
tischem Wege wiederholbare Strategien und Techniken ! subjektive
Theorien der eigenen Arbeit, die für eine Reflexion durch Wissenschaft

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äußerst interessant wären aber auch im Agenturalltag noch besser erfasst
und genutzt werden könnten.
   Aber auch wenn man der Werbung „Dilettantismus“ (Schierl 2002a:
466) nicht unterstellen möchte, sind die Bedingungen und Motivationen
zur Anwendung von Theorie eher schlecht. Das Selbstbild des Werbers
und seiner Branche (Hölscher 2002) fußt wesentlich auf Kreativität.
Bauchgefühl, Intuition und Inspiration beißen sich im Allgemeinen mit
theoretischer Modellierung und systematischen, aus der Empirie gewon-
nenen Prinzipien und Techniken. Daran ändert der Umstand wenig, dass
die „kontinuierliche Verbesserung des bereits Optimalen“ (Zurstiege
2002: 132) als Grundaufgabe der Werber durchaus von Regel reflektie-
render und systematischer Kreativität profitieren könnte ! so wie dies
Gaede (2002) für das gesamte Spektrum gestalterischer Ebenen des Wer-
bekommunikats vorschlägt. Wenn die Werbung nach immer neuer Vari-
anz bei einem hohen Maß genre-immanenter Redundanz strebt (Zur-
stiege 2002: 132 f.), so spricht dies klar für die Notwendigkeit einer
ästhetischen bzw. ästhetisierten Werbung (im Sinne von Fix 2001a) !
diese zu erreichen bedeutet fortwährenden Regelbruch und beständiges
Umdeuten der etablierten Konvention. Dabei ist vor allem die Kenntnis
der Konventionen und der semiotischen Regeln von Werbekonzeption
und -gestaltung unabdingbar; hier kann kommunikatbasierte Werbefor-
schung helfen. Um markante und distinkte Werbe-Ästhetiken zu schaf-
fen, bedarf es nicht allein ungezügelter Kreativität, sondern eines syste-
matischen, strategischen Denkens, das einerseits subjektive Theorien
pflegt und konserviert, andererseits offen für wissenschaftliche Refle-
xion ist.
   Schierl (2002b: 438 ff.) nennt weitere negative Umstände für eine „An-
wendung“ von Theorie: Hektik und Zeitdruck im Agenturalltag motivie-
ren kaum zur Auseinandersetzung mit werbewissenschaftlichen Erkennt-
nissen2. Eine starke Arbeitsteilung in großen Agenturen erschwert den
Informationsfluss; insbesondere erhalten Texter/Kreative wenig ,feed-
back‘ über Werbewirkungen und Kommunikationseffekte. Sollte dies
tatsächlich so sein, würde ein klares Korrektiv, ein den Vergleich ermög-
lichender Maßstab für subjektive Theorien über Werbegestaltung fehlen.
Diejenigen, die Werbung tatsächlich „machen“, finden sich zudem oft in
einem Konflikt, der aus einem empfundenen Zwang zur Mehrfachadres-
sierung der entworfenen Kommunikate und Kampagnen resultiert. Zum
einen sollen die Texte in der Markenkommunikation effektiv funktionie-
ren und den Vorstellungen der Auftraggeber entsprechen. Zum anderen
wollen sich Werber in der Agenturszene durch besonders raffiniert insze-
nierte und kreativ konzipierte Kommunikate einen Namen machen; Prä-
mierungen und die Aufnahme in Jahrbücher/Archive (z. B. Lürzer’s Ar-
chiv) spielen hier eine immer größere Rolle. Zwar müssen sich kreative

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und effektive Werbung nicht gegenseitig ausschließen, dennoch befördert
ein Konflikt um Ziele und einzusetzende Mittel das Interesse an systema-
tischer Analyse und Reflexion kaum. Einen letzten, die Berücksichtigung
von Theorie in der Praxis erschwerenden Umstand sieht man oft im
schlechten Ausbildungs- und Professionalisierungsgrad der Werbebran-
che (...) bezogen auf strukturales Wissen“ (Schierl 2002a: 479, siehe auch
Schierl 2002b: 440 f.). Hier ist m. E. allerdings zu bedenken, dass viele
„Quereinsteiger“ akademisch gut vorgebildet sind (wenn auch nicht spe-
zifisch werbewissenschaftlich) und zumindest die großen Agenturen
Kompetenzen und Eignungen testen, die eine gewisse ! wenn auch eher
intuitive ! Fähigkeit zur Umsetzung strukturalen Wissens über Wer-
bung voraussetzen.

2.4. Fazit
Die oben zusammengetragenen und kritisch kommentierten Beobach-
tungen zum Verhältnis von Werbeforschung und -praxis lassen sich leicht
zuspitzen: Die Praxis will von der Theorie nichts wissen. Der Theoretiker
wüsste gerne viel mehr über die Praxis. Ganz so einfach ist es dann aber
doch nicht3. Jedenfalls gibt es genügend Gründe, die dafür sprechen,
dass beide Seiten von einer gegenseitigen Öffnung und einem aufeinan-
der Zugehen profitieren können. Für die Wissenschaft scheint es mir ein
Gebot, die tatsächliche Praxis als Ausgangspunkt zu nehmen, sei sie auch
noch so komplex und schwer abzubilden. Nur so hat Theorie überhaupt
eine Chance, in der Praxis gehört zu werden. Der Praxis tut ein Blick
über den Tellerrand ihres intuitiven, routinierten Gestaltungshandelns
gut, denn Kreativität entspringt auch der systematischen Betrachtung
gängiger Muster und zugrunde liegender Techniken, die Wissenschaft
dem Praktiker zu spiegeln vermag.
   Gerade weil es „für die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis tief
greifende strukturelle Gründe gibt“ (Krings 1996: 123), müssen beide
Seiten umdenken. Die Werbeforschung sollte ganzheitlich und interdis-
ziplinär arbeiten, die Diffusion und Popularisierung ihrer Erkenntnisse
offensiver betreiben, um eine Innenansicht des Werbens bemüht sein !
d. h. subjektive Theorien über Texten und Gestalten beschreiben und
überprüfen ! sowie in der Lehre Textsortenbeschreibung mit Textpro-
duktion verbinden. Die werbliche Praxis täte gut daran, ihre unrealisti-
schen Erwartungen an lösungs- und handlungsorientierte Forschung in
Richtung Reflexions- und Analysefähigkeit zu korrigieren, die Theorie
mit konkreten, in der Begleitung des Agenturgeschäfts sinnvollen Aufga-
ben zu konfrontieren und sich den Anliegen der Forschung entgegen
ihrer Neigung zur Geheimhaltung zu öffnen. Beide Domänen können

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          Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis             13

sich nur näher kommen und wechselseitig Anwendungen suchen, wenn
sie kooperieren, Informationen austauschen, Verständnis über termino-
logische Barrieren hinweg schaffen und gemeinsame Projekte bestreiten.

3.     Praxisbezogene Werbeforschung: Agenda und Thesen
3.1.   Aktuelle Werbeforschung ! Status Quo und Überblick
Im Folgenden will ich kurz den aktuellen Stand der linguistischen Wer-
beforschung bewertend skizzieren und Wege für ihre Ausrichtung an der
Praxis aufzeigen. Sieht man die neuere germanistische und anglistische
Literatur zu Werbekommunikation durch (Beasly & Danesi 2002, Cook
2001, Goddard 2002, Janich 2010a, 2011 i. D., Lombardo 1999, Myers
1994, Sowinski 1998, Tanaka 1994)4, so ergibt sich ein reichhaltiges
Spektrum an Forschungsinteressen und -erkenntnissen. Werbetexte sind
aufgrund ihrer Kürze und Prägnanz sowie dank ihrer Kreativität und
soziokulturellen Salienz generell dankbare Objekte für eine Illustration
und Überprüfung von medienlinguistischen Theorien und Modellen.
Drei große Strömungen der Forschung zum Werbetext sind zu er-
kennen5:

1. Beschreibungsebenen des Werbetexts und seine sprachlichen Formen
   Die Linguistik weiß die werbetypischen Sprachverwendungsweisen
   sehr gut zu beschreiben. Dabei werden neben den systemlinguistischen
   Ebenen (Morphologie, Lexik, Semantik, Onomasiologie, Syntax,
   Phraseologie) auch die text- und diskursbezogenen sowie die soziolin-
   guistischen Dimensionen (Varietäten, Stil) der Beschreibung betrach-
   tet. Es ergibt sich aus diesen Studien letztlich ein Gesamtbild des werb-
   lichen Stils, d. h. ein Repertoire sprachlicher und textlicher Mittel, die
   auch unter dem Aspekt ihrer Funktionalität und kontextuellen Ef-
   fekte bewertet werden. Problematisch ist, dass wir mit diesen Er-
   kenntnissen zwar für die Binnensicht der Linguistik relevante Verall-
   gemeinerungen über ein in der Praxis äußerst wandelbares Phänomen
   treffen. Für die Gestaltungspraxis aber können die wissenschaftlichen
   Befunde nicht direkt nutzbar gemacht werden.
2. Methodiken der linguistischen Forschung
   Eine zweite Richtung der Werbeforschung öffnet den Blick über die
   Sprache hinaus für andere Zeichenarten und -systeme (z. B. Bilder).
   Außerdem erweitert sie die Betrachtung von Werbung als Textpro-
   dukt auf einige Aspekte des Kontexts und der Situation (z. B. Medien,
   Kultur, Geschichte). Im Wesentlichen aber geht es dabei um systema-
   tische methodische Zugänge zu den sprachlich-kommunikativen Ei-
   genschaften der Texte. Hierher gehören solche etablierte Schulen wie

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     z. B. Pragmatik, Diskursanalyse, Ethnomethodologie, Kognitive Lin-
     guistik, Empirische Linguistik, Semiotik, Kontaktlinguistik, Medien-
     theorie und Kulturvergleich. Auch Bemühungen um integrative prak-
     tische Analysemodelle sind Bestandteil dieser Strömung. Abgesehen
     davon, dass der Fokus hier auf der stringenten Anwendung einer ko-
     härenten Methode auf Werbekommunikate liegt, liefert auch diese
     Forschung vorwiegend Innenansichten der Linguistik. Allerdings
     kann man besser erkennen, welche Erkenntnishorizonte die jeweilige
     Methode eröffnet. Dies ist eher ein Angebot an die Praxis bzw. ein
     Ansatzpunkt für praxisorientierte Forschung, denn nicht die Eigen-
     schaften der Werbung, sondern die Möglichkeiten ihrer Interpretation
     werden aufgezeigt.
3. Interdisziplinäre Zugänge zu Werbung
   Schließlich sucht die moderne gebrauchs- und kontextorientierte Lin-
   guistik auch Anschlussmöglichkeiten in verwandten Disziplinen, die
   sich Werbung widmen. Hier wird der Gegenstand erneut erweitert;
   weg vom Kommunikat hin zu den kommunikativen Prozessen, sozia-
   len und medialen Bedingungsgefügen sowie zu den Hintergründen der
   Produktion und Rezeption von Werbung. Zu den transdisziplinär mit
   Linguistik verwandten Forschungsfeldern der Werbung zählen die
   Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Psychologie, Kultur-
   und Kunstgeschichte sowie das Marketing. Nur in einer Zusammenar-
   beit der Disziplinen kann der Gegenstand auf breiter geistes- und sozi-
   alwissenschaftlicher Basis hermeneutisch „eingekreist“ und praxisnah
   erfasst werden. Eine interdisziplinäre Werbeforschung entspricht den
   Bedürfnissen der Praxis vermutlich stärker, weil sie ganzheitliche Sicht-
   weisen fördert. Allerdings ist die holistischeBetrachtung meist nur um
   den Preis einer starken Verallgemeinerung und einer oft meta-theore-
   tischen Verfahrensweise zu haben.

3.2. Praxisorientierte Werbeforschung ! Eine Agenda
Man mag das Feld der linguistischen Werbeforschung anders strukturie-
ren; die hier präsentierte „Landkarte“ ist nur ein Versuch, grobe Ord-
nung zu stiften ! Verbindungswege zwischen den Orten gibt es vermut-
lich mehr als hier verzeichnet. Kritisch angemerkt habe ich, dass erst mit
einem Augenmerk auf anwendbare Methodik und bei Erweiterung des
Gegenstandes Werbekommunikat um seine Produktions- und Rezep-
tionsaspekte sowie um soziokulturelle Bedingungen und Kontexte eine
Relevanz für die Praxis zu entstehen scheint. Die sprachliche Beschrei-
bung der Textsorte Werbung und ihrer Stilmerkmale allein bringt für die
Werbepraxis wenig. Insgesamt produziert sprach-, kommunikations- und

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         Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis            15

medienwissenschaftliche Werbeforschung eher Exemplifizierungen von
Methodiken und theoretischen Modellen als praktisch instrumentalisier-
bares Wissen über Werbung. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass es
entweder unbesiedelte Gebiete auf der Forschungslandkarte geben
könnte oder bestimmte Wege noch nicht so beschritten worden sind, dass
sie zu einem praxisrelevante(re)n Ziel führen. Fest steht aber auch, dass
der verfügbare Fundus von werbelinguistischen Erkenntnissen (im wei-
testen Sinn) bereits eine gute Basis für die Reflexion, Begründung und
Kritik von Gestaltungsentscheidungen (s. dazu Friedrich & Schweppen-
häuser 2010: 101 ff.) bietet, vorausgesetzt, das Wissen wird wahrgenom-
men, verstanden und kann angewendet werden. Wie also könnte linguis-
tik-basierte Werbeforschung ausgerichtet werden, um in der Praxis
(besser) von Nutzen sein zu können?
   Zunächst empfiehlt sich eine korpusbasierte Untersuchung von Wer-
bekommunikation, d. h. man arbeitet mit einer Sammlung von Texten,
die nach bestimmten praxisrelevanten Kriterien zusammengestellt wird.
Agenturen haben z. B. ein Interesse an der gängigen Art des Werbens
für bestimmte Produktkategorien, spezifische Produkte und Marken zu
einem bestimmten Zeitpunkt oder in einem bestimmten Zeitraum. Die
Logik solcher Untersuchungen besteht darin, dass man die hervorste-
chenden sprachlich-kommunikativen Eigenschaften auf bestimmten aus-
gesuchten Ebenen der Kommunikate (Schlüsselwörter, Slogans, Headli-
nes, Bildmotive, Sprache-Bild-Verknüpfung etc.) identifiziert und daraus
allgemein verständliche Beurteilungen über gängige Stile, Techniken,
Muster oder Prinzipien des Werbens gewinnt. Solche Studien sind immer
explizit oder implizit kontrastiv; d. h. sie identifizieren markante Unter-
schiede in Konzeption und Gestaltung zwischen Produkten und Marken.
Ihr praktisches Ziel ist es, „Hilfe zur Kommunikationsplanung“ (Stöckl
2004: 233) zu leisten, denn Neues entsteht in bewusster Abgrenzung oder
gekonnter Modifikation des Bekannten, oft aber auch durch Aufnahme
und Verstärkung von gerade entstehenden Trends im richtigen Moment6.
   Studien an Werbetext-Korpora können aber auch anderen Zwecken
dienen. Noch wenig wissen wir z. B. über die Werbung der jüngeren und
älteren Vergangenheit und über ablaufende Wandelprozesse und ihre Be-
dingungen und Faktoren (s. dazu Stöckl 2010), auch wenn sich Antholo-
gien aus kulturhistoriographischer Sicht großer Beliebtheit erfreuen (s.
z. B. Pincas/Loiseau 2008. Berger 2001, Heimann 2009a/b7). Das verfüg-
bare Material ließe sich nutzen, um klar erkennbare alte Gestaltungs-
Trends in ihren sprachlich-textlichen Mitteln zu erfassen und verglei-
chend zu kategorisieren. Für eine systematische Nutzung älterer Design-
mittel im Agenturbetrieb wäre dies eine nützliche Handreichung. Ein
Recyceln alter Muster und Techniken im Sinne eines historisierenden

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16   Hartmut Stöckl

Retrodesigns wäre so strategischer und zielsicherer möglich als durch
Blättern in den Anthologien ! praktiziert wird es ohnehin.
   Korpusbasierte Studien helfen auch bei der Erfassung und genauen
Beschreibung neu entstehender Werbestile und -arten. So z. B. wären ris-
kant-provokante Werbung oder ,social advertising‘ ! also Werbung für
gemeinnützige Ziele und Gesundheitskampagnen ! aber auch stark äs-
thetisierte oder minimalistische Werbung neuere Formen, deren kommu-
nikative Prinzipien und semiotische Techniken noch zu erkunden sind.
Für die Werbepraxis entstünde so ein Bild dieser Trends, das als Reflexi-
onsbasis die strategische Arbeit von Agenturen leiten könnte. Eher auch
als Befähigung zur Begründung und Kritik von Gestaltungsentscheidun-
gen in integrierten Kampagnen könnten Studien dienen, die medienkont-
rastive Korpora (z. B. Print vs. Radio vs. Film vs. Raum vs. Netz) nut-
zen, um die spezifischen Potenziale und Defizite bestimmter medialer
Werbeformate zu bestimmen. Also: Was kann ein TV-Werbespot, das ein
Plakat oder ein Hörfunkspot nicht vermag oder umgekehrt? Diese Art
Werbeforschung weist allerdings bereits stark in Richtung empirische
Rezeptionsforschung (s. u.).
   Ein wichtiger Begriff in der Beurteilung konkreter Werbung ist ,Tona-
lität‘. Damit bezeichnet man den komplexen Stileindruck oder die ganz-
heitliche Anmutung und Ansprache eines Werbekommunikats. Dass hier
Subjektivität und Intuition als Bewertungsmaßstab zum Tragen kom-
men, dürfte klar sein. Ein Ziel praxisorientierter Werbeforschung könnte
es sein, mittels komplexer Mehrebenenanalyse (s. dazu Janich 2010a:
261 ff.) von sehr verschieden anmutenden Werbekommunikaten die Fak-
toren und Textmerkmale ausfindig zu machen, die sich auf Tonalität
maßgeblich auswirken. Hier sind hoch angereicherte Einzelanalysen
sinnvoll, die Tonalität konsequent und multifaktoriell als textuelle Mit-
tel-Zweck-Relation empirisch belegen und damit auch eine stilistische
Methode8 der Tonalitäts-Bestimmung liefern.
   Bereits mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass sich Erkenntnisse
über die sprachlich-stilistische Beschaffenheit von Werbekommunikaten
nicht direkt in die Praxis umsetzen lassen. Werbepraktiker werden darauf
bestehen, dass sie wissen, wie man Werbung schreibt und multimodal
gestaltet. Zudem werden sie auf Kreativität und Intuition verweisen und
daraus auf die Nicht-Erlernbarkeit des werblichen Schreibens schließen.
Fest steht aber auch, dass das Texten von Werbung aus einem breiten
Spektrum wiederkehrender Schreibaufgaben besteht (s. dazu Stöckl
2008: 66 ff.), die man trainieren kann. Die Schreibforschung hat sich
dieser Spielart des professionellen Schreibens noch wenig angenommen;
hier öffnet sich aber ein großes Betätigungsfeld9, das in Stöckl (2008)
skizziert und methodisch fundiert wird. Die Grundüberlegung ist, dass
es die genaue Kenntnis des Genres erlaubt, ein Schreibtraining zu syste-

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          Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis            17

matisieren und zu professionalisieren. Zudem bildet die Förderung einer
praktisch-kritischen Textanalyse-Kompetenz eine weitere Säule. Sie lie-
fert die Grundlage für eine von klaren Ebenen und Kriterien geleitete
Reflexion der eigenen Arbeit wie auch für ihre systematische Optimie-
rung. Ebenso wie in der betrieblichen und institutionellen Gesprächsana-
lyse und -beratung (Hartung 2004, Habscheid 2004) können gerade aus
kritischen Situation ! für die Werbung sind dies suboptimale bzw. nicht
zur Publikation gelangte Kommunikate (s. dazu Reins 2002, Zwangsleit-
ner 1997/1999) ! wichtige Rückschlüsse auf die Methoden und Bestand-
teile gelingender Kommunikation gezogen werden. Das linguistische Wis-
sen über Werbung gezielt in praktischen Schreibtrainings einzusetzen wäre
eine sehr angewandte Art der Werbeforschung. Die Theorie könnte die
werbliche Praxis so durch eine vorsichtige, von ganzheitlicher Reflexion
geleitete Didaktisierung des multimodalen Gestaltens begleiten.
   Das stärkste Interesse dürfte die Praxis allerdings in einer kompeten-
ten und verlässlichen Beurteilung von Werbewirkungen sehen. Hier in-
vestiert sie selbst viel in agenturinterne oder branchentypische Testver-
fahren. Die linguistisch und multimodal orientierte Rezeptionsforschung
(z. B. Bucher 2011a, Bucher 2011b i. D.) kann hier Wesentliches beitra-
gen, indem sie durch ,eye-tracking‘, Vorwissensanalyse, Verständnistests
und Protokolle des lauten Denkens die Wahrnehmungsmuster und kog-
nitiven Strategien im Umgang mit bestimmten Typen von Werbekommu-
nikaten (z. B. Werbespots in einem ,slice-of-life‘-Format) offen legt. Frei-
lich klafft auch hier noch eine gewisse Lücke zu den Erfordernissen der
Praxis: die Agenturen hätten gern breit angelegte Tests mit großen Pro-
bandengruppen über ein ganzes Set marketingrelevanter Kriterien. Aus
den detaillierten Einzelanalysen zur Rezeption hingegen lassen sich eher
allgemeine Erkenntnisse über Wirkungsweise und Wirksamkeit ausge-
wählter Gestaltungsstrategien gewinnen. Diese Daten sind dafür aber
vermutlich belastbarer und aufgrund ihres Generalisierungsgrads auch
breiter anwendbar, vor allem mit Blick auf das Ableiten Erfolg ver-
sprechender Designprinzipien allgemein.
   Schließlich kann eine Orientierung der Werbeforschung an der Praxis
auch darin bestehen, dass sie sich für die subjektiven Theorien der Zei-
chen-Macher und Gestalter zu interessieren beginnt. So wie sich die
Schreibprozesse von Journalisten untersuchen lassen, um sie kritisch zu
hinterfragen (Perrin 2004, 2006: 48 ff.), könnte man auch die multimoda-
len Konzeptionstechniken der Werber analysieren. Dies gelänge am bes-
ten durch projektbezogene Befragung, die Analyse von Entwurfsvarian-
ten, aber auch durch die Betrachtung des Kommunikationsalltags in der
Agentur. In einer solchen auf aus der praktischen Erfahrung gewonnene
Fertigkeiten und routiniert angewandte Methoden fokussierten For-
schung ergibt sich eine direkte Verbindung zur Didaktisierung des

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18    Hartmut Stöckl

Werbens. Subjektive Theorien über das Schreiben und Gestalten von
Werbung können in Schreibtrainings reflektiert, überprüft und mit alter-
nativen Lösungsansätzen konfrontiert werden.

3.3. Thesen zur Methodik einer praktischen Werbeforschung
Nachdem skizziert wurde, in welche Richtungen eine praxisorientierte
Werbeforschung arbeiten könnte, will ich im Folgenden kurz Überlegun-
gen zur ihrer methodischen Ausrichtung anstellen. Sie werden in wenigen
knappen Thesen gebündelt.
   Ein Kerngedanke meiner Argumentation bestand ja darin, dass die
pragma-linguistische Beforschung aktueller Werbekommunikate für die
Praxis nutzbringend ist. Der Nutzwert kann dabei auf unterschiedliche
Arten zustande kommen. Einerseits beschreiben die Studien wiederkeh-
rende Muster und zugrunde liegende kognitive Techniken der Werbege-
staltung. Andererseits zeichnen sie ihre Wahrnehmungs- und Wirkungs-
mechanismen nach und können Wissen über sprachliche, rhetorische
und designerische Muster in werblichen Schreibschulen instrumentalisie-
ren. Ganz gleich welchem Zweck die Analysen dienen, immer stellt sich
die Frage nach ihrer methodischen Ausrichtung. Welchen Grundprinzi-
pien also sollte die Werbeforschung folgen, um der Praxis gerecht zu
werden und von ihr „gehört“ zu werden?

1. Gegenwärtige Werbung ist multimodal, d. h. sie entsteht im komple-
   xen Zusammenspiel mehrerer Zeichenmodalitäten (Schrift, Rede,
   Bild, Musik, Geräusch, Typographie/Layout etc.) und ihrer gestalteri-
   schen Ressourcen. Methodisch zwingend ist daher eine Betrachtung
   der Gesamttexte und ihrer multisemiotischen Strukturen. Die Frage,
   wie im Miteinander der Zeichensysteme ein kohärentes Ganzes ent-
   steht und wie Brücken und Schaltstellen zwischen den ,modes‘ gebaut
   werden, steht dabei im Vordergrund ! „intermodale Kohärenz“
   (Stöckl 2011 i. D.) ist das zentrale Thema.
2. Will man multimodale Gesamttexte untersuchen, so benötigt man
   eine Methodik, die Zeichen verschiedener Kodes möglichst gleichartig
   und integrativ behandeln kann10. Hier empfiehlt sich ein einfaches
   Repertoire semiotischer Grundbegriffe und -operationen wie z. B. De-
   notation/Konnotation, Mythos, Metapher/Metonymie. Aber auch
   Konzepte der Pragmalinguistik wie kommunikative Indirektheit und
   Handlungsstrukturen sind hilfreich. Ebenso gut tragen Ideen und Be-
   griffe aus der Textlinguistik wie ,frame‘/,script‘, Isotopie und Themen-
   struktur. Über die Grenzen der Kodes operieren auch rhetorische Fi-
   guren und Techniken11.

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          Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis        19

3. Die Analyse von Werbekommunikaten sollte möglichst ganzheitlich
   erfolgen. Dies bedeutet, die einzelnen Zeichenkomplexe in ihrem Be-
   zug zueinander zu erfassen und zu erklären. Das Hauptaugenmerk
   muss auf den Strukturen des Gesamttexts liegen, d. h. der logisch-
   argumentative Aufbau des Kommunikats, seine Segmentierung in für
   die Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung wesentliche Teile und
   die werbliche Strategie sollen deutlich werden. Detailbeobachtungen
   salienter Merkmale sind aber ebenso wichtig für die Bestimmung der
   Tonalität; sie sollten in den Strukturen des Gesamttexts lokalisiert
   und aus ihnen heraus erklärt werden können.
4. Insbesondere für die Werbeformen zeitbasierter Medien (TV, Film,
   Radio, Internet) ist die multimodale Transkription12 der analysierten
   Kommunikate unabdingbar. Man schafft so fixe „Abbilder“ der sonst
   flüchtigen Texte, die ein eingehendes Studium ! und eine „Relektüre“
   im Sinne Jägers (2002) ! überhaupt erst ermöglichen und die zeitli-
   chen und semantisch-funktionalen Bezüge der einzelnen Modalitäten
   zueinander erfahrbar machen. Die Transkripte sollten vor allem gut
   lesbar sein, d. h. sie müssen die Gesamtarchitektur der Kommunikate
   und alle relevanten Beobachtungen zu den verschiedenen ,modes‘
   adäquat und stringent wiedergeben13.
5. Damit die Analysen von Werbekommunikaten in der Praxis verwert-
   bar sein können, müssen sie möglichst gut verständlich sein. Dies er-
   reicht man auf verschiedene Weise. Wissenschaftsjargon und spezielle
   Termini gilt es in prägnant formulierte Alltagssprache aufzulösen.
   Eine auf gestalterische Differenzen und Tonalitäts-Kontraste ange-
   legte Methodik ist besonders hilfreich, um Muster und Techniken zu
   verdeutlichen. Ebenso förderlich ist die klare Lokalisierung und Be-
   nennung der Phänomene in den Transkripten. Schließlich sollten die
   beobachteten Strukturen und Stilmerkmale als Gestaltungsentschei-
   dungen reflektiert werden, die Motiven folgen und Wirkungen be-
   absichtigen. Mögliche Alternativen können dann mit Blick auf den
   Gesamttext und im breiteren sozialen Kontext der Marke, der Kam-
   pagne und der Marktsituation allgemein diskutiert werden. Die Ana-
   lysen also müssen zentrale Gestaltungselemente und -strukturen iden-
   tifizieren und beschreiben wie auch motivieren und begründen.

4.     Fallstudie ! Multimodale Analyse-Heuristik
4.1.   Anforderungen an komplexe Analysemodelle
Meine bisherigen Überlegungen waren überwiegend meta-theoretischer
Natur. In einem letzten Schritt möchte ich die Analyse eines multimoda-
len Werbekommunikats kurz illustrieren. Das Ziel kann hier nicht Voll-

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20    Hartmut Stöckl

ständigkeit und Detailtiefe sein; vielmehr will ich zeigen, welcher Grund-
orientierung und welchen Kriterien die Analyse folgt und welche
Beobachtungen und Erkenntnisse gewonnen werden können. Zunächst
aber noch einige allgemeine Bemerkungen zu bereits verfügbaren kom-
plexen Analysemodellen für Werbekommunikate.
   Janich (2010a: 261 ff.) stellt zwei traditionelle Analysemodelle der Wer-
beforschung (Brandt 1973, Hennecke 1999) vor und synthetisiert daraus
ihr eigenes Modell. In Stöckl (2003, 2006, 2007, 2011) habe ich Analyse-
heuristiken für multimodale Werbekommunikate entwickelt, die andere
Akzente setzen und vor allem für Bild, Musik und Geräusch diverse
Analysekriterien verfügbar machen und ihr Zusammenspiel thematisie-
ren. Hier ist nicht der Platz, die Unterschiede zwischen den vorgeschlage-
nen Modellen zu diskutieren. Es ergeben sich aber einige grundlegende
Fragen im Hinblick auf die generelle Ausrichtung und Handhabung der
Methodiken.
   Sollen tatsächlich multimodale Textstrukturen modelliert werden, so
erfordert dieses Ziel eine adäquate Methodik sowie ausreichend Fokus-
sierung. Meines Erachtens sind hier alle Zeichenmodalitäten in einem
Transkript zu dokumentieren, es muss ausreichend Parameter für ihre
Beschreibung geben und die Art und Weise der Herstellung von Kohä-
renz zwischen den Kodes sollte Priorität haben. Die verfügbaren Modelle
differieren diesbezüglich stark. Eine Überfrachtung der Analysemethodi-
ken mit zu spezifischen und detaillierten Kriterien verhindert meines
Erachtens einen klaren Fokus auf die Modellierung multimodaler Struk-
turen.
   Janich (2010: 265 ff.) unterscheidet eine Analyse- von einer Synthese-
stufe. Hier liegt die Idee zugrunde, dass man zunächst auf verschiedenen
Ebenen Beobachtungen sammelt und diese dann mit Blick auf den Ge-
samttext und dessen externes Situationsgefüge zusammenführt und inter-
pretiert. Für diese ,bottom-up‘-Methodik spricht ihre Systematik und
das Bestreben, jeden Teilaspekt zu berücksichtigen. Ökonomischer, effi-
zienter und wohl auch im Einklang mit der tatsächlichen Wahrnehmung
und Verarbeitung von Werbung ist eine ,top-down‘-Herangehensweise,
die darauf zielt, die grundlegende Struktur des Kommunikats zu verste-
hen, seine Argumentation, seine Geschichte (story/plot) und jeweils her-
vorstechende Eigenschaften. Mir scheint also für praxisnahe Werbefor-
schung eine Vorgehensweise der Analyse von Makro (Textstruktur/
Segmentierung/Handlungsstruktur) zu Mikro (ausgewählte Merkmale
auf diversen Ebenen) sinnvoll. Die leitende Devise sollt also sein: Nicht
jedes Detail um den Preis einer konsequenten Analyse sondern nur sali-
ente und relevante Aspekte in ihrem wechselseitigen Textzusammenhang.
   Der Zweck einer konkreten Analyse bestimmt natürlich ihre Mittel;
hier wird es also Unterschiede geben. Für praxisorientierte Werbefor-

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           Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis            21

schung scheinen mir aber zwei Ziele generell vordergründig. Zum einen
mag es darauf ankommen, unterschiedliche Tonalitäten und Anmutun-
gen von Werbekommunikaten, Kampagnen oder Marken zu bestimmen.
Hier richtet sich der Blick ganzheitlich auf den Stil der Texte, seine Mittel
und Wirkungen. Zum anderen kommt es darauf an, rekurrente Gestal-
tungsmuster in Abhängigkeit von Produkt, Marke, Moden, Zeit etc. zu
beschreiben und zu bewerten. Für beide gilt, dass Erklärungen und Hy-
pothesen über Struktur-Funktions-Zusammenhänge bzw. Mittel-Zweck-
Relationen konstruiert werden müssen. Dies sind nicht so sehr Aussagen
über vermutete Werbewirkungen, sondern Urteile über Unterschiede in
den Wahrnehmungsqualitäten von Kommunikaten und die sie auslösen-
den Gestaltungsdimensionen. Derartige Analysen müssen die Verallge-
meinerung wagen und Einzelbeobachtungen bündeln; sie dürfen sich
nicht in den Details einer überkomplexen oder tiefen Analyse verlieren.

4.2. Beispielanalyse
Die folgende multimodale Analyse versteht sich nicht als Gegenvor-
schlag zu bestehenden Modellen. Sie stellt vielmehr eine Vereinfachung,
Reduktion und Fokussierung dar, die den Bedürfnissen der Praxis nach
Verständlichkeit und Verwertbarkeit entgegen zu kommen versucht. Das
praktizierte Modell ist konsequent multimodal ausgerichtet, verfährt von
der globalen Textstruktur hin zu den auffälligen Details und stellt die
generelle Machart und die Tonalität des Kommunikats ins Zentrum. Das
Ziel der Analyse besteht darin, eine handhabbare Heuristik auf der
Grundlage eines gut lesbaren multimodalen Transkripts zu demonstrie-
ren. Außerdem sollen relevante Beobachtungen zu einem allgemein ver-
ständlichen Eindruck der Qualitäten des Kommunikats verdichtet wer-
den, der quasi als Tonalitäts-Urteil für Vergleiche genutzt werden kann.
Dabei folge ich den unten aufgeführten Ebenen und Parametern:

a.   Segmentierung des Kommunikats ! Textstruktur/Handlungsstruktur
b.   Verteilung und Strukturierung der einzelnen Zeichenmodalitäten
c.   Semantische Beiträge/Funktionen der ,modes‘
d.   Intermodale Kohärenz ! ,edit points‘
e.   Semiotik salienter Zeichenkomplexe

Als Analyseobjekt dient ein TV-Werbespot für den Saab 9-3X aus dem
Jahre 200914. Prinzipiell zeigen filmische Werbungen den höchsten Grad
an Multimodalität, da sie ein Maximum an ,modes‘ verfügbar machen
und miteinander koppeln ! für die Zielorientierung meines Modells stel-
len sie insofern ideales Material dar. Das Transkript (s. Abb. 1) zeigt die
Dichte der multimodalen Textstruktur und dient im Folgenden als

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PICTURE               N° 1 (01:00)              N° 2 (03:00)              N° 3 (06:00)                  N° 4 (08:00)              N° 5 (12:00)                   N° 6 (15:00)              N° 7 (19:00)
                                                                                                                                                                                                                                                    22

                                   FRAME CONTENT   Engineer/designer sits    He sketches out a globe   He scrolls the map up to     The light bulb pops out    After folding a toy          An ant grabs hold of the    The designer cuts and
                                                   down at writing desk in   and starts spinning it    a place called Trollhättan   of the notepad. The        aeroplane from paper         plane and carries it off    folds an elk figure from
                                                   office space.             around as if on a touch   marked by a light bulb –     designer takes the light   with the inscription         across a piece of paper     another piece of paper.
                                                                             screen.                   obviously the headquarters   bulb off the map,          ‘prototype’ the designer     that the designer is just   The elk comes to life
                                                                                                       of Saab.                     switches it on by          sets out to fly the plane.   writing ‘power’ on.         and stands on the desk.
                                                                                                                                    tapping it and hangs it                                                             The designer writes
                                                                                                                                    up above his head in                                                                ‘neighbour’ on the
                                                                                                                                    midair.                                                                             paper.
                                                                                                                                                                                                                                                    Hartmut Stöckl

                                   DISTANCE        Medium long               Close-up                  Extreme clos e-up            Medium-close               Medium-close                 Ex treme close-up           Extreme close-up

                                   ANGLE           Eye-level                 Bird’s-eye view           Bird’s-eye view              Eye-level, slightly low    Eye-level                    Eye-level, slightly high    Eye-level
                                                                                                                                    angle                                                   angle

                                   CAMERA          Steady                    Steady                    Steady                       Steady                     Steady                       Steady                      Steady
                                   MOVEMENT

                                   LIGHTING        High-key                  High-key                  High-key                     High-key                   High-key                     High-key                    High-key

                                   SPEECH          ---                       ---                       ---                          ---                        ---                          ---                         ---
                                   WRITING         ---                       ---                       Trollhättan                  ---                        Prototyp e                   Power                       Neig hb our

                                   SOUNDTRACK      Oh there’s a whisper      in the wind.              Something’s going on         among the leaves.          Can’t put my finger on it,   but it’s calling out my     There’s no mistaking
                                                                                                                                                                                            name.                       what this day has to say.

                                   NOISE           Chair moving, person      Pencil scratching         Hands on paper               Bulb falling on paper,     Paper rustling during        Clock ticking (ant          Pencil on paper, paper
                                                   sitting down                                                                     fingers tapping the bulb   folding                      moving), marker pen on      rustling during folding,
                                                                                                                                                                                            paper                       finger on paper, paper
                                                                                                                                                                                                                        being turned on desk

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                                                                                                                                                                                                                                                                     AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR

                                  Abbildung 1. Multimodales Transkript, SAAB 9–3x, ,Changing Perspectives‘, Schweden 2009.
PICTURE               N° 8 (25:00)                 N° 9 (27:00)               N° 10 (29:00)               N° 11 (31:00)              N° 12 (35:00)               N° 13 (36:00)                N° 14 (40:00)

                                   FRAME CONTENT   After turning the paper     He plucks a pinecone        When the cone stops, it     The designer leafs         The designer crumples       The drawing starts to        The final branding
                                                   to draw another line the    from the tree and spins     has turned into a           through his notepad        up a child-like sketch of   turn clockwise to            appears on the screen.
                                                   designer pulls a fir tree   it round. The word ‘fuel’   cogwheel. As the            revealing the word         a car to reveal the         gradually turn into a
                                                   from the notepad.           appears on it.              designer picks it up, the   ‘playground’. As the       technical drawing of a      filmed version of the car.
                                                                                                           wheel is hit by a bolt of   pages flip past, a         Saab 9-3X.
                                                                                                           electricity.                roadside winter scenery
                                                                                                                                       unfolds as if the viewer
                                                                                                                                       was sitting in the car.

                                   DISTANCE        Close-up                    Extreme close up            Extreme close-up            Close-up                   Extreme close-up            Medium-long                  (Medium-long)

                                   ANGLE           Eye-level                   Eye-level                   Eye-level                   Bird’s-eye view            Bird’s-eye view             Eye-level                    Eye-level

                                   CAMERA          Steady                      Steady                      Steady                      Steady                     Steady                      Steady (object turning       Steady
                                   MOVEMENT                                                                                                                                                   clockwise 180°)

                                   LIGHTING        High-key                    High-key                    High-key                    High -key                  High-key                    …                            …

                                   SPEECH          ---                         ---                         ---                         When you have a            you don’t end up with       You end up with a Saab.      ---
                                                                                                                                       different perspective on   just another car.
                                                                                                                                       things,

                                   WRITING         ---                         Fuel                        ---                         Playg round                ---                         The new Saab 9-3X            Saab. Move your
                                                                                                                                                                                                                           mind TM. Change
                                                                                                                                                                                                                           perspective at
                                                                                                                                                                                                                           saab.com

                                   SOUNDTRACK      It whispers in my ear       Why don’t you come          I’m waiting on you          Come out.                  I’m waiting on you          cause the time is now.       The time is now.
                                                   and says:                   out?                        waiting on you.                                        waiting,
                                   NOISE           twigs and needles of        wood on paper, motion       Metal on paper, swoosh      Pages/paper rustling       Paper rustling being        ---                          ---

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                                                                                                                                                                                                                                                                                                          AUTHOR’S COPY | AUTORENEXEMPLAR

                                                   tree rustling                                           of electric current         during turning, motion     crumpled
                                                                                                                                       (from the inside of the
                                                                                                                                       car)

                                  Abbildung 1. Fortsetzung.
                                                                                                                                                                                                                                                    Multimodale Werbekommunikation ! Theorie und Praxis
                                                                                                                                                                                                                                                    23
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24    Hartmut Stöckl

Referenzpunkt für alle Beobachtungen. Zunächst also einige Beobach-
tungen zur Text- und Handlungsstruktur des Kommunikats und seiner
generellen Segmentierung in logisch-semantische Schritte.
   Aus dem kontinuierlichen Fluss des Filmtexts habe ich 14 Segmente
herausgelöst, die seine Grundstruktur verdeutlichen sollen. Der Spot
gliedert sich in zwei große Teile: eine szenisch entwickelte Mini-Ge-
schichte (N∞ 1!12), die einen Designprozess illustriert und ein ,brand-
ing‘ (N∞ 13!14), das Produkt, Firma und Slogan zeigt. In gewisser
Weise bilden N∞ 11 und 12 ein formal wie inhaltlich elegantes Scharnier
zwischen den beiden Hauptteilen des Spots; das Daumenkino ! in Ma-
terialität und Ästhetik noch dem kindlich-designerischen „Basteln“ ver-
haftet ! leitet über zur nüchternen und realen Produktpräsentation. Je-
der Teil kann nun dadurch bestimmt werden, dass ihm ein Thema und
eine Handlung zugeschrieben wird. So lokalisieren und identifizieren N∞
1-3 den Handlungsort und die Handlung, N∞ 4 leitet die diversen spiele-
rischen Entwurfshandlungen ein, die von den Anforderungen und Ideen
über die fiktive Erprobung bis hin zum fertigen Produkt hin führen, das
am Schluss gezeigt, benannt und bewertet wird. Diese Geschichte des
Skizzierens, Modellierens und Ausprobierens folgt einem bekannten
kognitiven Skript (,technische Entwicklung‘), das als Methode-Resultat-
Muster die Makrostruktur des Spots abgibt und auch im gesprochenen
Text expliziert wird (N∞ 11-13). Im Kern des Films stehen also die den
Entwurf leitenden Prinzipien wie z. B. Umweltfreundlichkeit (N∞ 7!9),
Kraft (N∞ 6) und Fahrfreude (N∞ 11). Für die Tonalität leistet die Text-
struktur eine Betonung des kreativen Prozesses statt des Autos, eine
durch filmische Tricks erzielte spielerische, naiv-unschuldige Qualität so-
wie eine stringente Logik der Bedingtheit von Designperspektive und
Ergebnisqualität.
   Zur Verteilung und Strukturierung der Zeichenmodalitäten schaut
man auf ihren zeitlichen Verlauf im Gesamtkommunikat sowie ihre ge-
nerelle Beschaffenheit und Funktion. Der Beispielspot enthält alle im
betreffenden Medium möglichen Kodes: Schrift, Rede, bewegtes und
statisches Bild, Musik, Geräusch und Typographie/Layout. Das Film-
bild trägt Handlung und Thematik des Films und füllt den gesamten
Spot als Grundmodalität. Interessant ist die Mischung aus Realfilmpas-
sagen mit eingebetteten Tricksequenzen (N∞ 3, 4, 7, 8, 10) ! hieraus
entsteht die für die Tonalität wichtige Balance aus Fiktion und Wirklich-
keit, aus Spielerischem und Ernstem. Die Musik ist ebenso kontinuier-
lich über die gesamte Länge des Films eingesetzt und zählt damit neben
dem Bild zu den kommunikativen Grundelementen. Wichtig ist, dass
der ,soundtrack‘ zweigleisig angelegt ist: Melodie, Rhythmus, Instru-
mentierung und Stimmqualitäten transportieren vage und durchgängige
Stimmungen; die ,lyrics‘ liefern sprachliche ,cues‘, die gezielt und kon-

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