Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)

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Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
musikprotokoll.ORF.at
NOMADIC SOUNDS
IM STEIRISCHEN HERBST

7. – 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
Inhalt
musikprotokoll.ORF.at                     2     Vorwort: Nomadic Sounds

                                          4     Sieben Jahre SHAPE
infos/programm/biografien/archiv/museum
                                          6     Inversion 3 Speaking Surfaces Natasha Barrett

                                          10    tingles & clicks /graz Andrea Sodomka / Svetlana Maras˘ / Marco Donnarumma /
                                                Natasha Barrett / Karlheinz Essl / Martina Claussen / Cam Deas & das Kollektiv
                                                Lain Iwakura, Korin Rizzo, Leonie Strecker, Nico Mohammadi
Veranstalter / Organizers
                                          24    Echo Nona Inescu

                                          28    beat machines Koka Nikoladze

                                          32    musikprotokoll@ARTikulationen

                                          34    Humanoid Sounds of Human Signs Veronika Mayer

                                          38    Nomadic Dome Hüma Utku / KMRU / Gischt
Kooperationen / Co-operations
                                          44    JITTER Mopcut
                                esc
                                medien    50    Sulla Pelle Valentina Magaletti & Julian Sartorius
                                kunst
                                labor     54    Danapris Quartet Ayaz Gambarli / Cynthia Zaven / Igor Zavgorodnii / Alla Zagaykevych

                                          60    Ensemble for New Music Tallinn Nina Fukuoka / Georg Friedrich Haas / Klaus Lang /
                                                Anna-Louise Walton / Arash Yazdani

                                          68    Black Page Orchestra Koka Nikoladze / Dror Feiler / Maja Bosnić

                                          76    musikprotokoll 2021 on air

                                          78    ensemble dissonArt Loïc Destremau / Svetlana Maras˘ / Christian Winther Christensen /
                                                Carola Bauckholt
Förderer / Supporters
                                          84    ensemble Zeitfluss Tanja Elisa Glinsner / Isabel Mundry / Anselm Schaufler / Xu Weiwei

                                          92    London Contemporary Orchestra CHAINES / Finnis

                                          96    Exploratory Project Phill Niblock

                                          100   Wander(E)ars Pak Yan Lau

                                          104   The Forest Grows Restless Natasha Barrett

                                          106   Browner Phill Niblock

                                          108   Foldable Sounds Collective Serviettenfalte

                                          112   musikprotokoll dynamic streaming

                                          114   CTM Radio Lab 2021

                                          116   musikprotokoll 2021 – English

                                          128   Ö1 Sendetermine

                                          129   Service: Tickets

                                          132   Kalendarium
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
nomadic sounds
                                                                                                             07.10.–10.10.

                 NOMADIC
                                                                                                                     Leitung:
                                                                                                              Elke Tschaikner

                           Das ORF musikprotokoll transformiert und erweitert auch                            Kuratiert von

                 SOUNDS
                                                                                                             Rainer Elstner,
                           in seiner 54. Ausgabe mit nomadic sounds die Grenzen des
                                                                                                       Susanna Niedermayr,
                           Erlebens von Musik. Das Festival ist Bühne und Labor einer
                                                                                                           Christian Scheib,
                           neuen Generation von Musiker*innen und Komponist*innen,
                                                                                                            Elke Tschaikner
                           deren Arbeit sich im Verständnis von offenen Genregrenzen
                                                                                                          und Fränk Zimmer
                           trifft und daraus ihre ästhetischen Strategien bezieht. In
                           mehr als dreißig Ur- und österreichischen Erstaufführungen                          Produktion:
                           begeben sich Komponist*innen und Interpret*innen auf die                  ORF Radio Österreich 1
                           nomadische Suche nach einem Dazwischen.                                     und ORF Steiermark

                           Der Konzertsaal fungiert als Labor und Bühne für eine große                   In Koproduktion mit
                           Bandbreite an künstlerischen Verfahren, die das Interesse an                 steirischer herbst ’21
                           Zwischenzuständen und Möglichkeitsräumen eint:
                                                                                                            In Kooperation mit
                           Aus Klangfragmenten des Grazer Stadtraums entstehen 3-D-
                                                                                                        Kunstuniversität Graz,
                           Klanglandschaften. Ein Ensemble spielt mit animierten Parti-
                                                                                                                Ö1 Kunstradio,
                           turen, die in Echtzeit entstehen. Es kommt zur Wiederaufer-
                                                                                                               SHAPE – Sound,
                           stehung des Sechsteltonharmoniums des Komponisten Alois
                                                                                                      Heterogeneous Art and
                           Hába. Ein junges Streichquartett reist mit uns durch musika-               Performance in Europe,
                           lisch (re-)konstruierte Räume aus Aserbaidschan, dem Liba-           ICAS – International Cities of
                           non und der Ukraine. Ein Aquarium wird zum Instrument und                         Advanced Sound,
                           zur Unterwasserbühne. Mit Drone-Music und mikrotonalen            Institut für Elektronische Musik
                           Kompositionen werden musikalische Zwischenräume minu-                                 und Akustik –
                           tiös erforscht. Klangobjekte können liegend auf Rollbrettern    IEM, esc medien kunst labor und
                           erkundet werden. Musiker*innen des SHAPE-Netzwerkes                                die andere saite.
                           (Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe)
                                                                                                            Unterstützt vom
                           loten die Grenzen des räumlichen Komponierens im Grazer
                                                                                               „Creative Europe“-Programm
                           Dom im Berg aus.
                                                                                                    der Europäischen Union,
                                                                                          der European Broadcasting Union,
                           Nationale und internationale Spitzenensembles, von denen
                                                                                               der Onassis Stiftung und dem
                           viele heuer erstmals zu Gast sind, interpretieren diese neue                Ukrainischen Institut.
                           Musik. Umrahmt wird diese musikprotokoll-Ausgabe von
                           Diskussionen vor Ort. Dokumentiert wird sie in zahlreichen
                           Ö1-Sendungen und einem besonderen audiovisuellen Dyna-
                           mic-Streaming.

MUSIKPROTOKOLL
2021
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
EIN ENDE MIT NEUEM ANFANG.
SIEBEN JAHRE SHAPE.

Am Anfang war ein Ende. Das Ende unseres         Brisbane wurde ICAS Mitglied. Erste kleinere     fördert, abermals mit finanzieller Unterstüt-     Bei Letzterem lernten wir auch den jungen
ersten fünfjährigen EU-Projekts „Networking      Projekte wurden realisiert und dann klappte      zung der Europäischen Union. Wir, das waren       Elektronikmusiker KMRU kennen, einen der
Tomorrow’s Art for an Unknown Future“ näm-       es auch mit dem EU-Antrag. Fünf Jahre lang       in diesem Fall gleich 16 Festivals des ICAS       drei SHAPE Artists, die heuer vom ORF mu-
lich, das das ORF-Festival musikprotokoll im     wurde an Werkzeugen für eine ungewisse           Netzwerks, wieder mit dabei natürlich auch        sikprotokoll nominiert wurden. Wie auch Ur-
steirischen herbst von 2010 bis 2015 gemein-     Zukunft gefeilt. Gemeinsam wurden Konzer-        das ORF musikprotokoll.                           sula Winterauer aka Gischt und Hüma Utku
sam mit fünf weiteren Festivals des Festival-    treihen programmiert, Austauschprogramme                                                           wird er ein neues Stück für die Ambisonics-
netzwerkes ICAS, der International Cities of     für Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen      Es ist ein simpler Mechanismus: Einmal im         Anlage im Grazer Dom im Berg komponie-
Advanced Sound, durchgeführt hat. Zum Ab-        geschaffen, thematisch aufeinander aufbau-       Jahr nominieren alle 16 Festivals in einem        ren. Ebenfalls auf dem Programm: die ein-
schluss feierten wir im Frühjahr 2015 in Dres-   ende Symposien konzipiert und vieles mehr.       gemeinsamen Auswahlverfahren, für das             mal geheimnisvoll brodelnde, dann wieder
den, wo unsere Partner*innen vom CYNETART        Eines der Werkzeuge kann man seither mehr-       man sich auch selbst bewerben kann, insge-        ekstatisch eruptive Musik von Mopcut, das
Festival zu Hause sind, ein großes Fest, das     mals jährlich in der Sendereihe Zeit-Ton hö-     samt 48 neue und spannende Projekte aus           nicht minder fulminante Duo Sulla Pelle, eine
gleichzeitig die Auftaktveranstaltung unseres    ren, wenn wir in ICAS-Radio gemeinsam mit        dem Bereich der Musik und audiovisuellen          neue Klangmeditation von Pak Yan Lau, die
neuen Gemeinschaftsprojekts, der Plattform       unseren ICAS-Kolleg*innen immer wieder in        Kunst, SHAPE steht für Sound, Heteroge-           Klanginstallation Echo von Nona Inescu und
SHAPE, sein sollte.                              neue Musikszenen eintauchen, von Montevi-        neous Art and Performance in Europe. Auf          Radiokunst des Foldable Sounds Collecti-
                                                 deo bis Bukarest, von Toulouse bis Jinja.        diese 48 Künstler*innen und Kunstprojekte         ve. 336 Künstler*innen und Kunstprojekte
Aber werfen wir zu Beginn noch einen wei-                                                         sind daraufhin zwölf Monate lang unsere           werden im April 2022 an SHAPE teilgenom-
teren Blick zurück. 2007 lud das Numusic         Gerade darin liegt einer der großen Reich-       Scheinwerfer gerichtet. Wir laden sie zu un-      men haben. Nach einer Verlängerung der ur-
Festival aus Stavanger beim CTM Festival in      tümer des ICAS Festival-Netzwerks. Durch         seren Festivals ein. Mit einer umfangreichen      sprünglich auf drei Jahre angelegten Laufzeit
Berlin gleichgesinnte Veranstalter*innen ein,    unsere mittlerweile rund 40 Partnerinstitu-      Medienarbeit verhelfen wir ihnen zu weitrei-      müssen wir das Projekt Ende März 2022 erst
sich zusammenzuschließen, um Erfahrun-           tionen auf fünf Kontinenten haben wir einen      chendem Gehör. Bei unserer einmal im Jahr         einmal abschließen, bevor die Europäische
gen auszutauschen und mit gemeinsamen            direkten Zugang zu einer Vielzahl von lokalen    stattfindenden SHAPE Academy bieten wir           Kommission die Zielsetzung ihres Programms
Projekten ein europäisches Netzwerk aufzu-       Szenen – ein endlos sprudelnder Quell an         ihnen eine Fülle an Workshops und die Mög-        „Kreatives Europa“ der nächsten inhaltlichen
bauen, das allen Beteiligten zu mehr Stärke      neuer Musik –, die in den vergangenen Jahren     lichkeit, sich persönlich kennenzulernen. Und     Schärfung unterzieht.
verhelfen sollte. Gesagt, getan. Bald wurde      nicht nur in unsere Radiosendungen, sondern      einmal im Jahr besuchen wir mit einem SHAPE       Aber natürlich möchten wir weitermachen
an einem ersten Antrag gearbeitet, der dem       auch in die Programme unseres Festivals ein-     Showcase ein befreundetes Festival außer-         – wenn nicht so, dann eben anders – und
Vorhaben mit einer EU-Förderung eine erste       geflossen sind. So konnten wir Ihnen junge       halb der Europäischen Union. Diese Reisen         deshalb wird derzeit bereits an neuen Plänen
finanzielle Basis verschaffen sollte. Gleich-    aufstrebende Talente und spannende neue          führten uns in den vergangenen sechs Jahren       gearbeitet. Auch dieses Ende soll ein Anfang
zeitig lud das MUTEK Festival in Montreal        Projekte bereits präsentieren, bevor sie die     u. a. zum Novas Frequências Festival nach         sein…
die Gruppe ein, das Vorhaben über die Gren-      internationale Aufmerksamkeit auf sich zo-       Rio de Janeiro, zum Gamma Festival nach St.
zen Europas hinweg auszudehnen. Bei ei-          gen. Und mit unserer SHAPE Plattform woll-       Petersburg und zum Nyege Nyege Festival ins       Susanna Niedermayr
nem Treffen am Rande des MUTEK Festivals         ten wir schließlich für diese Künstler*innen     ugandische Jinja.
2007 klinkten sich Veranstalter*innen aus        ein Werkzeug bereitstellen, das sie beim
Nord- und Südamerika ein, auch Room40 aus        Aufbau ihrer internationalen Karrieren gezielt
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
Inversion 3: Speaking Surfaces
                                                                                 07.10.-09.10., 10:00-19:00
                                                                                         10.10., 10:00-16:00
                                                                                                  Uraufführung
                                                                                               Klanginstallation

                                                                                 MUMUTH (Foyer und Vorplatz),
                                                                           Haus für Musik und Musiktheater der
                                                                                    Kunstuniversität Graz (KUG)
                                                                                  Leonhardstraße 15, 8010 Graz

                                                                                                     Eintritt frei

                                                                                            Komposition, Idee:
                                                                                                Natasha Barrett
                    Natasha Barrett erschafft dreidimensionale Klang-             Technische Zusammenarbeit:
                    landschaften. Die in Großbritannien geborene, in                Franz Zotter und Institut für
                    Norwegen lebende Künstlerin verwendet dazu zwei                    Elektronische Musik und
                    Lautsprecher-Prototypen, die Schallstrahlen präzi-                            Akustik – IEM
                    se bündeln und auf die umgebenden Oberflächen
                    abstrahlen. Die reflektierten Klänge formen eine                            Die Komposition
                    3-D-Klanglandschaft, in der vertraute Umgebungen             Inversion 3: Speaking Surfaces
                    auf völlig neue Weise erfahren werden. Barrett fragt                    ist ein Auftragswerk
                                                                                        des ORF musikprotokoll.
                    sich: „Wozu durch die Welt reisen, wenn sich um
                    uns herum geheimnisvolle Klänge befinden – noch
                    dazu, wo wir im Alltag akustischen Täuschungen
                    erliegen?“ Sie fokussiert unser Hören auf Töne und
                    Geräusche, an denen wir vorbeigehen und -hören,
                    die von unseren geschäftigen Sinnen als neben-
                    sächlich ausgeblendet werden.

                    Ihre ortsspezifische Installation Inversion 3:
                    Speaking Surfaces ist Teil des Projekts Reconfigu-

INVERSION 3:        ring the Landscape, das ein neues Bewusstsein für
                    unsere Umwelt schaffen möchte. Über ein hochauf-

  SPEAKING          lösendes 3-D-Mikrofon wird das Schallfeld des öf-
                    fentlichen Raums in Graz erfasst und analytisch zer-

  SURFACES          legt. Anschließend wird Ungehörtes verstärkt und
                    alles neu zusammengefügt. Das Unhörbare wird
 NATASHA BARRETT    hörbar, vermeintliche Nebengeräusche werden zum
                    spannungsreichen Ereignis.

                                                                                          Ö1 Sendung Zeit-Ton:
                                                                                                  26.11., 23:03
                                                                                               Natasha Barrett
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
INVERSION 3:
SPEAKING
SURFACES

Mehrkanalige 3D-Klanginstallation im Außen-      nach bearbeitet und zu einem neuen Werk zu-
und Innenbereich des MUMUTH                      sammengefügt. Das Ergebnis wird wieder in
Komposition und Design: Natasha Barrett          den Außenraum übertragen und im Inneren
Technische Zusammenarbeit: Franz Zotter          des Gebäudes akustisch gespiegelt. Wände
und Institut für Elektronische Musik und         „sprechen“ nun mit ihren Reflexionen, und
Akustik (IEM)                                    der Lärm der Stadt dröhnt von verborgenen
                                                 Tönen – die Dynamik des 3D-Raums lenkt
Die Erfahrungen, die wir mit den Klangland-      unsere Aufmerksamkeit auf akustische Rari-
schaften unserer Lebensräume machen,             täten, auf bisher unbemerkte Klänge, die mit    NATASHA   Natasha Barrett (*1972, UK/NO) lässt sich von der Natur und
können von Ambivalenz bis Akzeptanz, Lie-        einem Mal von überallher an unsere Ohren        BARRETT   sozialen Lebensräumen inspirieren: Sie möchte wissen, wie die
be, Hass oder Toleranz reichen. Wir wissen       dringen.                                                  Welt klingt und sich verhält, welche Systeme und Prozesse da-
jedoch, dass wir dem ganzen Trubel irgend-                                                                 hinterstehen und welche Phänomene daraus resultieren. Diese
wann entkommen. Wenn wir von neuen Erfah-        Die Installation wurde im Rahmen des For-                 Interessen haben sie dazu veranlasst, modernste Audio-Tech-
rungen träumen, reisen wir als Tourist*innen     schungsprojekts Reconfiguring the Lands-                  nologien, Geowissenschaften, Sonifikation und Motion Tracking
oder Klangkünstler*innen sogar in die entle-     cape an der Norwegischen Musikhochschule                  einzusetzen und mit innovativen Instrumentalensembles, bilden-
gensten Gegenden. Nehmen wir aber auch           konzipiert, um ein neues Bewusstsein für                  den Künstler*innen, Architekt*innen und Wissenschaftler*innen
                                                                                                           zusammenzuarbeiten. Seit den späten 1990ern ist ihr künstle-
die geheimnisvollen und verborgenen Klänge       unserer Umwelt zu schaffen. Zum Einsatz
                                                                                                           risches Schaffen von der musikalischen Anwendung von Raum-
vor unserer Haustür wahr? Vielleicht gehen       kommen hochauflösende 3D-Mikrophone,
                                                                                                           klang im Kontext der zeitgenössischen Musik bestimmt. Nata-
wir ja zu schnell daran vorbei oder sind mit     neue Methoden zur Dekonstruktion von 3D-
                                                                                                           sha Barrett hat zahlreiche Kompositionsaufträge erhalten, ihre
uns selbst beschäftigt? Vielleicht blenden wir   Schallfeldern, und ein Lautsprecher-Prototyp,             Werke werden auf der ganzen Welt aufgeführt und im Rundfunk
aus, was wir hören, oder sind die Kuriositäten   der Schallwellen präzise bündeln kann. Die                übertragen. Seit 1999 lebt und arbeitet sie in Norwegen.
einfach zu leise oder zu flüchtig, um sie im     Schallwellen werden in Folge von den umge-
Moment des Zuhörens zu erfassen?                 benden Oberflächen reflektiert. Zwei dieser
                                                 Lautsprecher in futuristischem Design sind in
Um diese verborgenen Qualitäten aufzu-           die Installation integriert.
spüren, wird in der Installation Inversion 3:
Speaking Surfaces mit Hilfe modernster Tech-     Inversion 3: Speaking Surfaces ist ein orts-
nologien die Klangumgebung rund um das           spezifisches Werk, das für das musikproto-
MUMUTH erfasst und analytisch zerlegt, da-       koll komponiert wurde.
                                                 Natasha Barrett
                                                 Übersetzung: Friederike Kulcsar
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
tingles & clicks /graz
                                                                                                         07.10.–09.10., 10:00–19:00
                                                                                                                 10.10., 10:00-16:00

                                                                                                                        Uraufführungen
                                                                                                                            Installation

                                                                                                             MUMUTH, Haus für Musik
                                                                                                                und Musiktheater der
                                                                                                           Kunstuniversität Graz (KUG)
                                                                                                         Leonhardstraße 15, 8010 Graz

                                                                                                                             Eintritt frei

                                                                                                                          Mit Musik von
                                                                                                    Andrea Sodomka, Svetlana Maraš,
                                     Während der Corona-Pandemie wurden viele Kunstpro-                   Marco Donnarumma, Natasha
                                     jekte aus dem physischen Raum in das Netz verlagert,                Barrett, Karlheinz Essl, Martina
                                     um in der öffentlichen Wahrnehmung präsent zu blei-                    Claussen und dem Kollektiv
                                     ben. tingles & clicks /graz geht den umgekehrten Weg:         Lain Iwakura, Korin Rizzo, Cam Deas
                                     2020 als Online-Arbeit konzipiert, wird das Projekt 2021       Leonie Strecker, Nico Mohammadi.
                                     als interaktive Installation im Grazer MUMUTH reali-
                                                                                                                              Konzept:
                                     siert. Hier stellt es mit Auftragsarbeiten, für die heraus-

TINGLES &
                                                                                                                          Fränk Zimmer
                                     ragende Musiker*innen Klangumgebungen schaffen,
                                     die verlorene Körperlichkeit ins Zentrum.
                                                                                                                         Koordination:

CLICKS /GRAZ
                                                                                                                        Robert Höldrich
                                     Auf Rollbrettern liegend, bewegen sich Besucher*innen
                                     in jeweils 3 mal 3 Meter großen Feldern fort und werden                 Technische Entwicklung:
                                     dabei von einem Trackingsystem erfasst. In Interaktion               Lukas Gölles, Matthias Frank,
                                     mit virtuellen Klangobjekten entstehen intime Ein-Per-                                Franz Zotter
                                     sonen-Hörerlebnisse. Das Projekt ist eine Fortsetzung
                                     unserer mehrjährigen Reihe music for bodies in motion,          In Kooperation mit dem Institut für
                                     in der Hörer*innen-Position und Umgebungen als Para-          Elektronische Musik und Akustik der
                                     meter des Hörens zur Disposition stehen.                               Kunstuniversität Graz – IEM.
ANDREA SODOMKA / SVETLANA MARAŠ /
                                                                                                         Alle Klangumgebungen dieses
MARCO DONNARUMMA /                                                                                    Projektes sind Auftragswerke des
NATASHA BARRETT / KARLHEINZ ESSL /                                                                                 ORF musikprotokoll.
MARTINA CLAUSSEN / CAM DEAS /                                                                          Svetlana Maraš war SHAPE Artist
                                                                                                         2020 und Marco Donnarumma
& DAS KOLLEKTIV LAIN IWAKURA,
                                                                                                                     SHAPE Artist 2015.
KORIN RIZZO, LEONIE STRECKER,
NICO MOHAMMADI

                                                                                                                  Ö1 Sendung Zeit-Ton
                                                                                                                          09.12., 23:03
                                                                                                                 tingles & clicks /graz

                                                                               < 11 >
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
NATASHA
                                                                                                                                                    BARRETT
                  TINGLES & CLICKS /GRAZ
                                                                                                      BEACH
In tingles & clicks /graz nutzen europäische         raumes, in dem die Komponist*innen Klang-        COMBER
Komponist*innen die Social-Distancing-               objekte platziert haben. Um die eigene Po-
                                                                                                      NATASHA BARRETT
Regeln, die uns die gegenwärtige globale             sition und die der Klangobjekte im Raum
Gesundheitskrise abverlangt, als Ausgangs-           zu erkennen, schwebt über den Köpfen der         ÖSTERREICHISCHE
punkt für ihre Klangarbeiten. Inspiriert von         Besucher*innen ein Tablet, auf dem diese in      ERSTAUFFÜHRUNG
einer Musizierhaltung des minimalen und              Echtzeit angezeigt werden. Zur Steigerung        Vor vielen Jahren, als die Aufnahme- und
abstrakten Klanggebrauchs, der Verwen-               der Hörerfahrung sind die Kopfhörer mit          Kompositionstechnik noch der analogen
dung von Field Recordings und mit Blick auf          einem Head-Tracking-System ausgestattet,
                                                                                                      Welt entstammte, gingen die filigranen
die ASMR-Bewegung (Autonomous Sensory                das es erlaubt, die Bewegungen des Kopfes
Meridian Response) entstehen extrem räum-            in das Prozessieren der Klänge miteinzube-       Klänge, die ich als Teenager einzufangen
liche und intime Hörerfahrungen.                     ziehen. So rückt der künstliche Klangraum in     versuchte, im Grundrauschen unter. Ich
                                                     der Art, wie Klänge sich „verhalten“, einem      erinnere mich noch, wie ich die Klänge                                                Biografie siehe
2020 bildete ein spezielles Online-Setting           realen Raum erstaunlich nahe.                    einer einsamen Bucht erforschte und                                                   Seite 9
bei tingles & clicks die Schnittstelle zum
                                                                                                      dabei ungestört meiner Beschäftigung          sche Strandgut aufliest, kann sich selbst
Publikum. 2021 manifestiert sich das Projekt         Das musikprotokoll hat in den vergangenen
im realen Raum: Das Grazer IEM (Institut             zehn Jahren immer wieder auch Projekte           nachgehen konnte, weil das Meer viel zu       finden, die eigene Geschichte erzählen
für elektronische Musik und Akustik) hat in          einer alternativen Aufführungspraxis entwi-      kalt war, als dass jemand an den Strand       und die eigene Wahrnehmung prüfen
Kooperation mit dem musikprotokoll einen             ckelt. Beispielsweise das Karussellprojekt       gekommen wäre. Meine Aufnahmen und            und erforschen:
Audioplayer entwickelt. Dieser Player ist            Let´s merry-go-round!, das Vokalprojekt Die      musikalischen Ideen gingen dennoch
mit einem Besucher*innen-Trackingsystem              Logik der Engel oder Homages, eine mobile        kaum über das analoge Rauschen mei-           Die Wellen werden dich forttragen,
gekoppelt, das es ermöglicht die Position der        Hörausstellung. Gemeinsam war allen Eigen-
                                                                                                      nes technischen Equipments hinaus, so         die Wellen werden dich zurückbringen,
Besucher*innen im Raum zu erfassen.                  produktionen, dass wir eine technische Um-
                                                     gebung und teils aufwändige Aufführungsset-      wie sich heute meine Erinnerungen an          früh im Morgengrauen,
Der eigene Körper wird zum Navigati-                 tings vorbereitet und dann Komponist*innen       diese Orte in den hunderttausend Ereig-       spät in der Abenddämmerung,
onstool, um die Klangumgebungen, die                 eingeladen haben, diese zu „bespielen“. Das      nissen der eigenen Vergangenheit verlie-      den Klängen nachspüren, auf die andere
die Komponist*innen entwickelt haben,                für tingles & clicks entwickelte Tool eröffnet   ren.                                          nicht achten,
zu entdecken. Hierbei befinden sich die              neue Möglichkeiten. Körperbewegungen und
                                                                                                                                                    Seepockenborsten,
Besucher*innen auf Rollbrettern und können           die räumliche Platzierung von Klangobjekten
sich mittels Füßen in einem 3x3m großen              können in den Kompositionsprozess einflie-       In meinem interaktiven Werk für das           Herzmuschelklappen,
Installationsfeld fortbewegen. Dieses Feld ist       ßen und münden in intime Ein-Personen-           musikprotokoll 2020 bin ich zu diesen         eine Wildblume, eine Biene, eine Wel-
die räumliche Repräsentation eines Klang-            Hörerlebnisse.                                   schlichten Klängen zurückgekehrt, habe        le, ein Glas, ein scharfkantiger Stein,
                                                                                                      sie jedoch neu interpretiert, ihnen digita-   grobkörniger Sand, über den der Wind
                                                     Fränk Zimmer                                     le Aromen beigemischt und sie auch nä-        streicht.
                                                                                                      her herangeholt, um Areale jenseits des       Natasha Barrett
                                                                                                      Ohrs zu stimulieren. Wer dieses akusti-       Übersetzung: Friederike Kulcsar

                                                 < 12 >                                                                                               < 13 >
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
L'AMPLEUR                                                        INANIS (2020)                                       lust; die andere ist die mit Donnarummas
                                                                                                                                                              Hörgerät bearbeitete und reproduzierte
                                                                                                          MARCO DONNARUMMA
                                         DU SOUFFLE (2020)                                                ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG
                                                                                                                                                              Komposition, das heißt eine rechnerische
                                         SVETLANA MARAŠ                                                                                                       Annäherung an die Frequenzen, die er
                                                                                                          Dieses Raumklangstück, das den bezeich-             ohne Hilfsmittel nicht hören kann. Was
                                         ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG
                                                                                                          nenden Titel Inanis (lat. für „leer“ oder           akustisch wie auch konzeptuell zwischen
                                                                                                          „gehaltlos“) trägt, wurde von der auditi-           diesen beiden Klangformen liegt, ist die
                                         Aufgrund der Pandemie sind wir gezwungen, mehr Zeit in
                                                                                                          ven Erfahrung des Nicht-Hörens inspiriert           Leere, die Lücke, das Loch, das Ungehörte,
                                         unseren privaten Räumen zu verbringen, in Innenräumen,
                                                                                                          und thematisiert die technologische Ver-            das dennoch von anderen gehört werden
                                         wo uns ständig Mauern die Sicht versperren. Weites, offenes
                                                                                                          mittlung von Wahrnehmung. Ausgehend                 kann. Gibt es diese Leere – und wo?
                                         Land, frische Luft und unberührte Natur liegen für die meisten
                                                                                                          von Donnarummas schwerem Hörverlust,                Marco Donnarumma
SVETLANA MARAŠ                           von uns, die wir in der Stadt leben, in unerreichbarer Ferne,                                                        Übersetzung: Friederike Kulcsar
                                         dennoch sehnen wir uns danach, haben wir immer noch die-         will uns seine Komposition in die Leere
Die serbische Komponistin und Klang-
                                         se unbestimmte Sehnsucht nach einer Art ultimativen Befrei-      des Ungehörten führen. Was nicht gehört
                                                                                                                                                              Medien: Hörgerätaufnahmen, erweiterte
künstlerin Svetlana Maraš (*1985)                                                                         wird, ist nicht abwesend: stur und zu-
                                         ung. Dadurch rückt unser Raumgefühl in den Vordergrund,                                                              Bassgitarrentechniken, Field Recordings,
arbeitet an der Schnittstelle von ex-                                                                     rückgezogen existiert es in einer senso-
                                         es ist in unserem Leben mit einem Mal so präsent, dass wir                                                           analoges Feedback Mixing and Dubbing
perimenteller Musik, Klangkunst und                                                                       rischen Dimension, die nicht zugänglich
                                         Alternativen durchzuspielen beginnen, indem wir entweder                                                             Mastering: Daniele Antezza im Dadub Studio
neuen Medien, wobei es ihr gelingt,
                                         renovieren und die Möbel umstellen oder vom Reisen träu-         ist, jedenfalls nicht für jeden. Allerdings
sich jeglicher Kategorisierung zu
                                         men. In der Musik ist es dank neuester Technologien und          trifft das auch auf außerkörperliche, hal-
entziehen. Es geht ihr vielmehr dar-
                                         avancierter Kompositionstechniken möglich, rasch zwischen        luzinatorische und mystische Erfahrungen
um, die adäquate Ausdrucksform in
verschiedenen Medien, Genres und         alternativen Räumen hin und her zu wechseln. Indem wir den       zu. Es geht nicht darum, ob ein Phänomen
Kontexten zu finden, seien es nun        Raum mit Klang modellieren, können wir eine fiktive Realität     existiert, sondern wie man sich Zugang
Live-Performances, elektroakustische     erschaffen, die das Ohr fasziniert und den Geist beflügelt,      verschafft.
Kompositionen, Radioproduktionen         wobei wir die uns umgebenden Wände umgehen.
oder audiovisuelle Installationen.
                                         Atmen bedeutet, einen bestimmten Raum zu aktivieren. Kur-        Inanis besteht in zwei Klangformen, die
Svetlana Maraš studierte an der re-
                                         ze Atemzüge, tiefe Atemzüge, letzte Atemzüge oder lustvolle      voneinander abhängig sind, und der Leere,
nommierten Aalto-Universität (Helsin-                                                                     die sich dazwischen auftut und mit techno-
                                         – jede dieser Atemweisen evoziert natürlich gewisse Bilder
ki), wo sie auch als wissenschaftliche                                                                    logischen Mitteln erfahrbar gemacht wird.
                                         und Gedanken. Der Atem ist auch eine Voraussetzung für die
Mitarbeiterin tätig war. Als Composer-                                                                    Die eine Klangform ist das Stück, wie es
in-Residence und künstlerische Lei-      Stimme, für das gesprochene Wort. Er ist Ausgangspunkt
                                         und Grundlage jeder physiologischen und philosophischen          der Künstler mit bloßem Ohr hören würde,
terin des elektronischen Studios von
                                         Aktivität und wesentlich für alles, was wir sind und was wir     also bei einer bestimmten Art von Hörver-
Radio Belgrad hat sie seit 2016 ver-
schiedene Projekte und Aktivitäten in-   tun. Dennoch ist heutzutage nicht nur unsere Atmung be-
itiiert wie auch Residency- und Schu-    einträchtigt: Frische, saubere Luft ist zu einer gefährdeten
lungsprogramme ins Leben gerufen.        Ressource geworden.

                                         Die Musikalität dieser Konzepte schafft einen Rahmen, den         MARCO DONNARUMMA
                                         ich mit einer Reihe von sich kontinuierlich verändernden
                                                                                                           Marco Donnarumma (*1984) verfolgt seit den frühen 2000ern einen künstlerisch-forschenden Ansatz
                                         Hörsituationen füllen konnte. Die ständige Fluktuation und
                                                                                                           bei seinen Projekten, in denen er zeitgenössische Performancekunst mit Medienkunst und Compu-
                                         Transformation des musikalischen Materials soll das Ohr
                                                                                                           termusik verwebt. Er manipuliert Körper und neue Technologien, choreographiert Stücke und kom-
                                         stimulieren – allerdings nicht dazu, sich anzupassen, es soll
                                                                                                           poniert Soundscapes aus elektronischen Klängen, verbindet Disziplinen und Medien und schafft so
                                         vielmehr offen und empfänglich für die inhaltliche Heteroge-      Werke, die von einer traumartigen, sinnlichen, kompromisslosen Ästhetik geprägt sind. Er ist interna-
                                         nität sein, wie auch der Geist dazu animiert werden soll, es      tional bekannt für Solo-Performances, Bühnenproduktionen und Installationen, in denen der Körper
                                         dem Ohr gleichzutun.                                              eine Transformation durchlebt, zur Sprache wird und Rituale, Machtverhältnisse und technologische
                                         Svetlana Maraš                                                    Entwicklungen kritisch hinterfragt.
                                         Übersetzung: Friederike Kulcsar

                                             < 14 >                                                                                                           < 15 >
Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
TIEFBLAU UND
KRISTALLWEISS –
DIE FARBEN DER DISTANZ (2020)
ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG

Andrea Sodomka (*1961) ist Komponis-         Verbotene Reisen, abgesagte Konzerte, keine Studiopro-
tin, Medienkünstlerin und Kuratorin. Sie     duktionen, keine Musiker*innen, um neue Klänge zu fin-
arbeitet in den Bereichen Intermedia,        den. Die Sehnsucht nach dem Meer: aber alle Yachthäfen
Soundart, Radiokunst und Interaktive         der Welt sind geschlossen.                                       CAM DEAS               Cam Deas (*1989) ist ein in London lebender Musiker und Klangkünstler, der sich mit ab-
Kunst. Sodomka studierte an der Hoch-        So vieles verloren, nur die Erinnerungen und Träume blei-                               strakten Sounds, Polytempos, alternativen Stimmungssystemen sowie stochastischen
schule für angewandte Kunst und an der                                                                                               und computergenerierten Prozessen beschäftigt, um eine immersive Klangumgebung
                                             ben.
Hochschule für Musik und darstellende                                                                                                zu schaffen. Sein künstlerisches Werk entzieht sich einer eindeutigen Kategorisierung,
Kunst (Institut für Elektroakustik und ex-                                                                                           umfasst es doch ein breites Spektrum, vom solistischen Ausloten neuer Möglichkeiten
                                             Ich reise mit dem Klang vergangener Reisen an imaginäre
perimentelle Musik) in Wien. Sie ist Mit-                                                                                            auf der Akustik-Gitarre über elektroakustische Live-Auftritte bis hin zur reinen Synthese
begründerin von alien productions. 1997
                                             Orte und in geträumte Welten.
                                                                                                                                     und Computermusik. Er hat weltweit an die 300 Konzerte gegeben, unter anderem im
als Künstler*innen-Netzwerk für Arbeiten                                                                                             Cafe Oto (London), Tank und K11 (Shanghai), Jazzhouse (Kopenhagen), ICA (London) und
in Theorie und Praxis neuer Technologi-      In Videokonferenzen Kontakt zu Freund*innen halten, ein
                                                                                                                                     cave12 (Genf ), und auch zahlreiche Kompositionsaufträge erhalten.
en und Medien gegründet, steht alien         bisschen Klang improvisieren, Ideen austauschen, es ist
productions insbesondere für Kooperati-      nicht wirklich befriedigend. Die Sehnsucht nach draußen,
onsprojekte mit anderen Künstler*innen,      der Welt, dem Austausch, der Berührung bleibt bestehen.
Techniker*innen, Theoretiker*innen und       Irgendwie ist der Anker in der Realität verloren gegangen,   MILIEUS & RHYTHMS (2020)
Wissenschafter*innen aus den verschie-       der Ankerpunkt hat sich verschoben.
densten Bereichen. Andrea Sodomka lebt       Aber arbeite und kommuniziere und empfinde ich nicht
                                                                                                          CAM DEAS
und arbeitet in Wien.                                                                                     ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG
                                             eigentlich ohnehin in der virtuellen Welt?
                                                                                                          Dieses Werk wurde als eine physische Installation konzipiert, in der man sich frei bewegen und
                                                              Wenn ich das Fenster aufmache:              verschiedene Klangquellen und Geschwindigkeiten kombinieren kann. Ich wollte einen Raum
                                                              Stille, kristallklar wie knisterndes Eis.   schaffen, in dem übereinandergeschichtete generative Patterns, die insgesamt ein Chaos wären,
                                                              Kaum Geräusche, die von außen herein-       miteinander verbunden sind und in dem man via Webcam-Tracking-System bestimmte Verbindun-
                                                              dringen, keine Flugzeuge, wenig Autover-    gen wählen kann.
                                                              kehr. Kein Kindergeschrei vom Spielplatz.
                                                                                                          Da das Projekt ein simulierter Raum ist, verwendete ich fast ausschließlich physikalisch mo-
                                                            Auf dem Weg in mein Studio bin ich allein     dellierte Klänge: synthetisierte perkussive Klänge, die sich ähnlich verhalten wie die auf einem
                                                            in der U-Bahn. Sogar während der Rush-        akustischen Instrument produzierten und auch dementsprechend klingen. Das Stück besteht aus
                                                            hour am zentralen Umsteigebahnhof nur         Schichten von generativen Rhythmen in reiner Stimmung, die sich über acht Minuten aufbauen.
                                                            fünf Menschen. Ein Gitarrist mit Schutz-      Es gibt eine Grundschicht mit einem ununterbrochen fortlaufenden Ton, um das Ganze atmosphä-
                                                            maske erobert den frei gewordenen Platz       risch einzufärben, alle anderen Schichten laufen in verschiedenen Tempi ab, deren Verhältnisse
                                                            der U-Bahn-Konzerte und spielt für sich       genauso berechnet werden wie die Intervalle zwischen den Tönen. Daraus ergeben sich unter-
                                                            allein.                                       schiedliche Grade rhythmischer Phrasierung: kleinere Verhältnisse für einfache Intervalle (zum
ANDREA SODOMKA                               Wo seid ihr alle? Dunkel kommt die Angst: werde ich für      Beispiel 3:2 für eine reine Quinte) erzeugen einen einfachen Polyrhythmus, während komplexere
                                             immer allein sein?                                           Verhältnisse in Richtung rhythmischer Dissonanz tendieren, sodass man der Struktur eines Mus-
                                             Eine verlorene Stadt, eine Stadt zwischen den Zeiten,        ters vielleicht nicht mehr folgen kann, aber weiterhin das Gefühl hat, dass die Patterns miteinan-
                                             eine Stadt im Zwischenraum.                                  der verbunden sind. Würden alle Teile gleichzeitig gespielt, wäre das Stück nicht zu entschlüsseln.
                                                                                                          Wenn man aber bestimmte Verbindungen kombinieren kann, steht der Erforschung dieser sich
                                             Ein fremdartiges, nie gehörtes Klangbild. Nur die Natur      überlagernden, unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der einfachen oder komplexen Muster,
                                             klingt gleich, aber lauter.                                  die dabei entstehen, nichts im Weg.
                                             Andrea Sodomka                                               Cam Deas
                                                                                                          Übersetzung: Friederike Kulcsar

                                               < 16 >                                                                                                          < 17 >
KARLHEINZ ESSL                                                                                               TANGENTE //
                                                        Karlheinz Essl wurde 1960 geboren und ist Komponist, Elek-
                                                        tronikmusiker, Medienkünstler und Software-Designer. Er
                                                                                                                                                                     BERÜHRUNGSLINIE
                                                        studierte Komposition bei Friedrich Cerha und Musikwis-                                                      URAUFFÜHRUNG
                                                        senschaften in Wien und war Composer-in-Residence bei
                                                                                                                                                                     In meiner Arbeit spielt stets die Stimme eine
                                                        den Darmstädter Ferienkursen sowie am IRCAM in Paris.
                                                                                                                                                                     wesentliche Rolle. Mich interessiert das
                                                        Seit 2007 hat er eine Professur für Elektroakustische Kom-
                                                        position an der Musikuniversität Wien inne. Essl entwickelt                                                  Individuelle im Stimmklang, das Ungewöhnli-
                                                        neben Instrumentalwerken und Kompositionen mit Live-                                                         che, vielleicht Raue und Gebrochene.
                                                        Elektronik auch generative Kompositionssoftware, Improvi-
                                                        sationskonzepte, Klanginstallationen und Performances. Er                                                    Das Ziel für die audiovisuelle Klanginstallation
                                                        hat mit Künstlern wie Harald Naegeli („Sprayer von Zürich“)   MARTINA CLAUSSEN                               war es, nach so einer langen Zeit der Distanz
                                                        und Jonathan Meese, den Schriftstellern Andreas Okopenko                                                     und teilweise auch Entfremdung Intimität
                                                        und Erwin Uhrmann sowie der Choreographin Andrea Nagl         Die Komponistin und Sängerin Marti-            wieder erfahrbar werden zu lassen. In
                                                        zusammengearbeitet.                                           na Claussen erforscht und verbindet            meinem Werk versucht die Stimme dem/der
THE OTHER DAY                                                                                                         Klänge von Stimmen, Klangobjekten,
                                                                                                                      analoger und digitaler Elektronik, er-
                                                                                                                                                                     Zuhörer*in nah zu kommen, fast unter die
URAUFFÜHRUNG                                                                                                                                                         Haut zu kriechen, um im nächsten Moment
                                                                                                                      kundet das Räumliche, das Performa-
                                                                                                                                                                     wieder Abstand zu suchen, vielleicht auch zu
Dieses Stück entstand während der COVID 19                an den schutthalden. mitten ins dickicht.                   tive und entwickelt dabei ihre eigene,
                                                                                                                                                                     brauchen. Es ist ein Herantasten an das, was
Lockdowns, als ich wochenlang in meinem                                                                               unverwechselbare „Klangschrift“ ste-
                                                                                                                      tig weiter. Ihre Arbeit umfasst Werke
                                                                                                                                                                     möglich ist. Heute und hier.
Haus eingeschlossen war. Ich verspürte das                bald hat er sich hoffnungslos verirrt. es däm-
                                                                                                                      aus den Bereichen elektroakustische/
dringende Bedürfnis, aus meinem Bau aus-                  mert bereits. die sehkraft schwindet. den pfad
                                                                                                                      akusmatische Komposition, Werke für            Seit langem fasziniert mich die Tangente,
zubrechen und unbekannte Bereiche meiner                  kann er nur spüren. mit seinen füßen ertasten.
                                                                                                                      Stimme / Instrumente und Elektronik,           also jene Autobahn, welche quer über den
unmittelbaren Umgebung zu erkunden. Ausge-                im dunkel der nacht.
                                                                                                                      Musiktheater, Tanztheater, Klangins-           Wiener Prater verläuft, dabei die Hauptallee
stattet mit binauralen Mikrofonen, die direkt in                                                                      tallation, elektroakustische Kammer-           kreuzt und sich somit an einer Schnittstelle
die Ohren gesteckt werden können, nahm ich                ein knacken im untergrund fesselt seine auf-                musik, Solo-Performances für Stimme            von Natur und urbanem Klangraum befindet.
die Geräusche der Umgebung auf. Während                   merksamkeit. er hält inne. und lauscht. tief und            und Live Elektronik, Filmmusik sowie           Dieses Konglomerat an Klängen unterschied-
dieser Exkursionen kamen mir spontan Worte                lange. was ist da zu hören? mit seinen ohren                Kollaborationen mit Künstler*innen             lichster Herkunft findet sich in Teilen meiner
in den Sinn. Später verwandelte ich sie in Ge-            erkundet er die landschaft. feingewoben aus                 aus den unterschiedlichsten Berei-
                                                                                                                                                                     Arbeit für das heurige musikprotokoll wieder.
dichte wie dieses:                                        klängen. ein knistern. plätschern. säuseln. rau-            chen. Sie studierte Computermusik
                                                          schen und rascheln. geheimnisvolle botschaf-                und elektronische Medien an der Uni-
                                                                                                                                                                     Die Stimme erkundet, neben verschiedenen
anderntags treibt es ihn wieder ins freie. an-            ten. aus anderen welten. zu denen wir keinen                versität für Musik und Darstellende
                                                                                                                      Kunst in Wien, Konzertfach Gesang
                                                                                                                                                                     anderen akustischen Situationen, den Raum
gelockt von der sonne. wochenlang nur trüber              zugang haben.
                                                                                                                      am MUK Wien und Komposition an                 unterhalb der Tangente, verschwindet im Rau-
nebel. über den niederungen.                                                                                                                                         schen des Windes und der Autos. Dann wieder
                                                                                                                      der Anton Bruckner Privatuniversität
                                                          es fehlt der schlüssel. zu diesem code. nur wil-
                                                                                                                      in Linz. 2020 erhielt sie den Publicity        schält sie sich heraus aus der Klangmasse,
er orientiert sich am schein des gestirns. stapft         lenloses einsinken in diese nachrichten. ohne
                                                                                                                      Award der SKE/Austro Mechana. Seit             um den Zuhörer*innen nahe zu sein, ins Ohr
hurtig los. ohne sich umzudrehen. ohne plan.              sie zu verstehen. dennoch begreift er sie. mit              2009 hat sie eine Professur für Ge-            zu flüstern und das Wechselspiel von Distanz
die karte hat er zu hause gelassen. läßt sich             seinen ohren. dringt er ein. in den dschungel               sang an der Universität für Musik und          und Nähe, von Dasein und vielleicht schon
treiben. vom rhythmus der schritte. folgt nur             der klänge. erkennt zusammenhänge. baut                     darstellende Kunst Wien inne.                  wieder Wegsein müssen, nimmt seinen Lauf.
der inneren stimme. sie zeigt ihm den weg. be-            brücken. erfindet antworten. entdeckt eine
denkenlos führt sie durch hohle gassen. vorbei            welt. in sich. und außerhalb seiner selbst.

Field Recordings, Text, Komposition und Computerprogrammierung: Karlheinz Essl
Weibliche ASMR-Stimme: Andrea Nagl, Männliche ASMR-Stimme: Jörg Duit
Italienische Übersetzung: Fabrizio Iurlano, Französische Übersetzung: Jean-Luc Iffrig

                                                     < 18 >                                                                                                     < 19 >
s0rry, traditionally cloSeness
is a concepT of practice
NICO MOHAMMADI / KORIN RIZZO / LAIN IWAKURA /
LEONIE STRECKER
URAUFFÜHRUNG

     But which path will it take in the future?
     How can you explain this to her?
     Is that still compatible with any claims to social and cultural par-
     ticipation?
     Would they believe you?
                                                                                                                                       NICO MOHAMMADI
     Von Zeit zu Zeit denken wir über Möglichkeiten nach. Wir schüt-
     teln unsere Köpfe von links nach rechts, wir klatschen in die                                                                     Nico Mohammadi ist Komponist, Multi-Instrumenta-
     Hände. Was ist Realität, was ist die echte Welt, was ist „Objek-                                                                  list, Live-Performer und DJ. Nach seinem Jurastudium
     tivität“ und was „authentisch“? Das Urheberrecht ist ein Relikt                                                                   in Halle studiert er derzeit Computermusik am Insti-
     der alten Welt, ebenso wie die Forderung nach einer naturalisti-                                                                  tut für Elektronische Musik und Akustik in Graz bei
                                                                                                                                       Marko Ciciliani. 2019 veröffentlichte er seine erste
     schen Erzählung und einer linearen Handlung. Ein Plädoyer für
                                                                                                                                       Vinyl-EP Can't You Tell auf Row Records. Seine Pro-
     die Verwischung der Grenzen zwischen Fakt und Fiktion/zwi-
                                                                                                                                       duktionen bewegen sich an der Grenze zwischen
     schen Reportage und Erfindung/zwischen Erzählung und Essay!
                                                                                                                                       Club und Experimental und kombinieren eine detail-
     Traditionell zielt Desinformation nicht nur auf Lüge, Blödsinn
                                                                                                                                       lierte Auseinandersetzung mit Sounddesign und al-
     und Tarnung, sondern auch auf die Unsicherheit der sinnlich                                                                       gorithmischer Programmierung. Im Wintersemester
     oder empirisch wahrgenommenen Wirklichkeit ab. Als auch das                                                                       2020/21 studierte er Live Elektronik in Brüssel am
     Prinzip des Subjekts zusammenbrach, eröffnete sich eine neue                                                                      Koninklijk Conservatorium. Er arbeitete an verschie-
     Epoche, die als Epoche des Zusammenbruchs der Prinzipien, als                                                                     denen Multimedia-Kollaborationen, mit Video, Ambi-
     anarchische Epoche ohne Grundlagen, als Epoche der totalen                                                                        sonics und Live-Coding. 2021 veröffentlichte er seine
     Verelendung zu bezeichnen ist. Und so ist es eine Epoche ohne                                                                     aktuelle EP And You Told Me auf Row Records.
     Subjekt: Wir leben in der Epoche des Nicht-Subjekts. In den letz-
     ten Monaten haben wir gespürt, dass sich unsere Seelen immer                          KORIN RIZZO
     weiter von unseren Körpern entfernen. Wenn die Stimme, die             Korin Rizzo wurde 1992 in Benevento, Italien
     den Körper mit der Seele verbindet, verschwindet, gibt es kei-         geboren. Im Jahr 2012 begann er sein Studi-
     ne Möglichkeit, die eigenen Gefühle oder den eigenen Willen in         um der Musikpädagogik am Conservatorio
     Worte zu fassen. Wir reduzierten uns in (ein) Stück(e). Wir sind       Statale Nicola Sala, wo er sich nach zwei Jah-
     weiterhin verschwunden.                                                ren in den dreijährigen Kurs für elektroakusti-
     Wenn alle miteinander verbunden sind, werden die kleinen               sche Komposition einschrieb. Im Rahmen des
                                                                            Erasmusprogramms zog er 2015 nach Graz,
     Stimmen lauter. Wenn alle miteinander verbunden sind, verlän-
                                                                            wo er einen Zweijahresvertrag im Jazzstudio
     gert sich sogar das Leben. Für diese Komposition verschmelzen
                                                                            der Kunstuniversität Graz gewann. Im Jahr
     nicht nur Klangflächen und Hörobjekte ineinander, sondern
                                                                            2018 begann er das Studium der Computer-
     auch vier Künstler*innen mit ihren eigenen Realitäten und              musik am IEM.
     Wahrnehmungen.

                                      < 20 >                                                                                  < 21 >
Festspielsender Ö1
LAIN IWAKURA
                                        Lain Iwakura (a.k.a. DeRayling, Ezili-i Sabbah, Bill B. Wintermute,
                                        DiVersion) ist politische Aktivist*in, Autor*in, Vortragende*, DJ und
                                        Klangkünstler*in. Sie nutzten mehrere Jahre lang die Räumlichkeiten
                                        des berüchtigten Instituts für vergleichende Irrelevanz (IvI, Frank-
                                        furt/Main), um Events zu organisieren, kollektives künstlerisches
                                        Schaffen zu ermöglichen und theoretische Diskurse zu führen. Im IvI
                                        trafen selbstbestimmt arbeitende Künstler*innen und Aktivist*innen
                                        aufeinander, die sich unter anderem auch für die Queer-Theorie,
                                        kritische Theorie und Situationistische Internationale interessier-
                                        ten und „Theorie, Praxis, Party“ auf ihre Fahne geschrieben hat-
                                        ten. 2019 übersiedelten sie nach Graz und bauten das O-collective
                                        auf, das von IEM-Student*innen und außerakademischen DJs und
                                        Künstler*innen gebildet wird, die Events organisieren, um IEM-
                                        Student*innen eine Plattform zu bieten und gleichzeitig eine Brücke
                                        von der Punk/Noise-Szene und Rave-Kultur zur zeitgenössischen
                                        Musik zu schlagen. In Lain Iwakuras künstlerischer Arbeit werden
                                        sozio-philosophische Fragen mit Konzeptkunst verbunden wie auch
                                        Studien zu polytemporalen und polyrhythmischen Strukturen und
                                        Feedback-Systemen mit der Ästhetik des Techno kurzgeschlossen.
                                        Gemeinsam mit Achim Szepanski betreiben sie die Labels mille pla-
                                        teaux und Force Inc. Music Works.
 LEONIE STRECKER
 Leonie Strecker (*1995 in Düssel-
 dorf ) ist Komponistin und Medi-
 enkünstlerin. In ihren Arbeiten
 untersucht sie die Schnittstellen
 zwischen musikalischer Komposi-
 tion, Klangkunst, Performance und

                                                                                                                                                                                        dynamowien
 Installation. Besonders interessiert
 ist sie an der Verbindung von akus-
 tischen und visuellen Formen sowie
 den performativen Eigenschaften
 von Klang. Sie hält interdisziplinä-
 ren Dialog für essenziell und ver-
 weigert sich musikalischen Genre-
 zuschreibungen. Aktuell studiert sie                                                                           orf musikprotokoll im steirischen herbst | 7.–10. Oktober 2021 | Graz
 am Institut für elektronische Musik
                                                                                                                Ö1 Club- und Ö1 intro-Mitglieder erhalten bis zu 50% Ermäßigung.
 und Akustik in Graz.
                                                                                                                das ö1 konzert | Freitag, 15. Oktober 2021 | 19.30 Uhr | Ö1
                                                                                                                (Querschnitt von Konzertmitschnitten des diesjährigen Festivals)

                                                                                                                oe1.ORF.at/festspielsender

                                               < 22 >
Echo
                                                                 07.10.-09.10., 10:00-19:00
                                                                        10.10., 10:00-16:00

ECHO                                                                          Österreichische
                                                                              Erstaufführung
                                                                                  Installation

                                                                   MUMUTH, Haus für Musik
              18 In-Ear-Kopfhörer und 36 Schnecken-
                                                                 und Musiktheater der Kunst-
              häuser sind die zentralen Objekte der
                                                                      universität Graz (KUG)
              Klanginstallation Echo der in Rumänien
                                                                Leonhardstraße 15, 8010 Graz
              geborenen Künstlerin Nona Inescu. Die
              Kopfhörer sind mit einem Audioplayer                                 Eintritt frei
              verbunden und münden in die Schnecken-
              häuser.                                                   Konzept, Realisation:
                                                                                 Nona Inescu
              Die Analogie zwischen dem menschlichen
              Ohr und einer Muschel wurde erstmals                    In Zusammenarbeit mit
              von einem Anatomen des 16. Jahrhunderts                 Vlad Nanca und Chlorys
              formuliert. Alfonso Corti nannte den spi-
                                                                  In Kooperation mit SHAPE –
              ralförmigen Hohlraum im Innenohr spä-
                                                               Sound, Heterogeneous Art and
              ter Cochlea, lateinisch für Schnecke. Die
                                                                       Performance in Europe
              Geschichte, die Muscheln und Klang mit-
                                                               Gefördert durch das Programm
              einander verbindet, ist voll von populär-
                                                                        „Creative Europe“ der
              wissenschaftlichen Überzeugungen und                        Europäischen Union
              Symbolhaftigkeit: Muscheln spiegeln die
              inneren Klänge des menschlichen Körpers       Nona Inescu ist SHAPE Artist 2021,
              wider oder enthalten weltliche Echos.            Chlorys war SHAPE Artist 2017.

              Sowohl Schneckenhäuser als auch Kopf-
              hörer markieren einen persönlichen
              Raum, in dem wir uns sicher und bequem
              allein fühlen können. Die Außenwelt,
              einst eine gemeinsam genutzte auditive
              Umgebung, ist durch „endlose“ weiße
              Kopfhörer effektiv gebrochen, wobei die
              Schneckenhäuser als Resonanzkammern
              für individuell lokalisierte Blasen selbst-
              programmierter Klänge dienen.

NONA INESCU
   ECHO

                                                                Ö1 Sendung Zeit-Ton Magazin
                                                                                13.10., 23:03
                                                                          Nona Inescu: Echo

  < 24 >                                < 25 >
ECHO. ÜBER DIE BEZIEHUNG                                                                              kale Initiativen verstricken sich in globalen Wirt-     sollten sich mehr an dieser Diskussion betei-
                                                                                                      schaftsinteressen und werden von der Lobby              ligen und das Thema auf jede nur erdenkliche
DES MENSCHEN ZUR NATUR.                                                                               der der fossilen Energiebranche abgewürgt. Ich          Weise ins allgemeine Bewusstsein bringen.
                                                                                                      glaube, dass uns kaum Zeit bleibt, etwas Sinn-
                                                                                                      volles zu tun, um das Worst-Case-Szenario um-           Übersetzung: Friederike Kulcsar
Lucia Udvadryova: Man könnte etwas verkürzt        selwirkungen der Formung oder Formgebung:          zukehren. Die einzige wirklich globale Priorität
sagen, dass Ihr künstlerischer Ansatz aus ei-      Hat der Menschen die Natur geformt oder die        scheint zu sein, „schnell reich zu werden, wenn         Die Langfassung dieses Interviews finden Sie auf der
ner posthumanen Perspektive erfolgt und            Natur den Menschen?                                man auch dabei draufgeht”. Künstler*innen               SHAPE Website: https://shapeplatform.eu/
Sie in Ihren Arbeiten die Beziehung zwischen
menschlichem Körper und natürlicher Umwelt         LU: Wie integrieren Sie Sound in Ihre Arbeit?
(hauptsächlich unbelebte Natur: Steine, Ge-        NI: Normalerweise kommt der Ton ins Spiel,
genstände usw.) ausloten. Könnten Sie das          wenn ich eine Videoarbeit mache. Ich habe im-
                                                                                                          NONA INESCU
näher erläutern?                                   mer mit talentierten Freund*innen und ehema-
Nona Inescu: Ich versuche, eine Verbindung         ligen SHAPE-Künstler*innen wie Chlorys und
zwischen menschlichen Körpern, Formen oder         Simina Oprescu zusammengearbeitet. Ich bin
Prozessen und anderen natürlichen Materiali-       sehr glücklich, wenn ich den richten Kontext
en aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich       für eine Zusammenarbeit schaffen kann und
herzustellen oder die Aufmerksamkeit darauf        die Mitwirkenden die Einladung annehmen,
zu lenken. Mit anderen Worten, der Schwer-         in einen Dialog mit meiner Arbeit zu treten.
punkt meiner Arbeit liegt auf der Wechselbe-       Bei meinem letzten Video habe ich mit Simina
ziehung zwischen Mensch und (belebter und          zusammengearbeitet, wir haben sogar eine
unbelebter) Natur. Ich versuche, Fundstücke        Schallplatte in limitierter Auflage mit ihrem
aus der Natur, wie zum Beispiel Steine und         Soundtrack für Hydrophites (2021) produziert
Korallen, mit synthetischen oder verarbeite-       und veröffentlicht, auf der auch Geo Aghinea
ten Materialien zu kombinieren, die natürliche     zu hören ist. Manchmal ist Sound von Anfang
Eigenschaften imitieren. Ich seziere diese Ob-     an in das Werk integriert und wird zu einem
jekte, löse sie aus ihrem ursprünglichen Kon-      der wichtigsten Elemente wie in der Installati-
text und arrangiere sie im Ausstellungsraum        on Echo (2017), die zusammen mit Chlorys und
sorgfältig zu sinnlichen, poetischen Komposi-      Vlad Nanca konzipiert wurde.
tionen, die nicht bloß ein Nebeneinander von                                                                                      Nona Inescu (*1991) lebt und arbeitet in Bukarest. Sie studier-
Materialien sind, sondern formale Ähnlichkei-      LU: Wie sehen Sie angesichts der Verschärfung                                  te am Chelsea College of Art & Design in London (2009–2010),
ten in den Blick nehmen. Steine werden zum         der Umweltkrise die Zukunft und wie können/                                    an der Königlichen Akademie der schönen Künste Antwerpen
Leben erweckt; Subjekt und Objekt gehen            sollten Ihrer Meinung nach Künstler*innen da-                                  (2009–2010) und an der Universität der Künste Bukarest, wo
ineinander über und sind nicht mehr klar zu        rauf reagieren?                                                                sie 2016 ihren Abschluss im Studienfach Fotografie und Video
unterscheiden. Auf diese Weise versuche ich,       NI: Ich sehe ziemlich düstere Zeiten auf uns zu-                               erlangte. In ihren Fotografien, Videoarbeiten, skulpturalen
Analogien zwischen menschlichen, tierischen,       kommen. Zwar wird jetzt mehr als früher über                                   Installationen und Objekten richtet sie ihr besonderes Augen-
pflanzlichen und mineralischen Merkmalen           das Thema geredet, es wird aber kaum etwas                                     merk auf die Beziehung zwischen dem menschlichen Körper
                                                                                                                                  und der Umwelt. Aus posthumaner Perspektive und mit Bezug
aufzuzeigen, und schlage mögliche Interaktio-      unternommen. Eben habe ich erfahren, dass
                                                                                                                                  auf geologische Konzepte gelangt sie zu einem integrativen
nen zwischen menschlichen und nicht-mensch-        das World Heritage Committee beschlossen
                                                                                                                                  Verständnis von Mensch und Natur, die in einer organischen
lichen Körpern über physischen Kontakt oder        hat, das Great Barrier Reef nicht auf die Liste
                                                                                                                                  Technosphäre miteinander verschmelzen.
Berührung vor. Ich untersuche also die Wech-       des gefährdeten Welterbes zu setzen. Viele lo-

                                          < 26 >                                                                                                         < 27 >
beat machines
                                                                       07.10.–09.10., 10:00–19:00
                                                                              10.10., 10:00–16:00
                                                                       Österreichische Erstaufführung
                                                                                     Videoinstallation

                                                                           MUMUTH, Haus für Musik
                                                                         und Musiktheater der Kunst-

BEAT                                                                          universität Graz (KUG)
                                                                        Leonhardstraße 15, 8010 Graz

MACHINES          Die sprühende Fantasie von Koka Nikoladze
                  (*1989) geht mit handwerklicher Meisterschaft
                                                                                           Eintritt frei

                                                                                    Konzept, Videos:
                  einher. Seine anmutigen Musikmaschinen, die
                                                                                     Koka Nikoladze
                  wir in einer Videoinstallation im MUMUTH prä-
                  sentieren, legen davon Zeugnis ab. Zudem ist Ni-
                  koladze als Komponist und Performer zu erleben.
                  Seine musikalischen Wurzeln liegen in einer Gei-
                  genausbildung am Konservatorium von Tbilissi
                  und einem Kompositionsstudium beim Lachen-
                  mann-Nachfolger Marco Stroppa in Stuttgart.

                  Mit konventionellen Lösungen hat sich Nikolad-
                  ze nie zufriedengegeben; nach seinem Master-
                  studium arbeitete er am Norwegian Centre for
                  Technology in Music and the Arts. Der gebürtige
                  Georgier lebt in Oslo, entwickelt Konzepte der
                  Echtzeitkomposition und animierter Notation. Er
                  bastelt an filigranen Beat Machines, die so schön
                  aussehen, wie sie klingen. Zuletzt sorgte Niko-
                  ladze mit einer Online-Auktion für Furore: Er ver-
                  steigerte den letzten Akkord einer Komposition,
                  gespeichert auf einem USB-Stick. Das höchste
                  Gebot erreichte 13.900 US-Dollar.

 KOKA NIKOLADZE

                                                                                 Ö1 Sendung Zeit-Ton
                                                                                        25.11., 23:03
                                                                                      Koka Nikoladze

                                                         >
EIN KOMPONIST ALS                                                                                Die Beat Machines klingen nicht nur           Interface): Notenständer werden dabei
                                                                                                 überraschend und entwickeln ein faszi-        mit LED-Lämpchen ausgestattet, über
BASTLER UND VISIONÄR                                                                             nierendes akustisches Eigenleben, sie         die man gelochte Notenblätter legen
                                                                                                 sind auch schön anzusehen und funkti-         kann. Das macht es möglich, von einem
                                                                                                 onieren als optische Kunstwerke. Eine         Laptop aus, über den man die Lämpchen
Zuerst nannte er sich Geiger, dann Kompo-
                                                                                                 der Musikmaschinen steht heute im Pop         kontrolliert, das Orchester zu steuern.
nist. Und irgendwann konnte Koka Nikolad-
                                                                                                 Music Museum in Oslo. Die effektvoll          Dieses Prinzip der Live-Komposition war
ze, Jahrgang 1989, seinem beruflichen Tun
                                                                                                 montierten Videos der Instrumente sor-        2018 erstmals in der Elbphilharmonie zu
keinen Namen mehr geben. Zu vielseitig, zu
                                                                                                 gen via Internet für weltweite Aufmerk-       erleben – und im selben Jahr mit dem
unberechenbar ist seine künstlerische Arbeit
                                                                                                 samkeit.                                      Klangforum Wien bei den Donaueschin-
zwischen traditioneller Komposition, Musik-
                                                                                                                                               ger Musiktagen. Die Arbeit an klanger-
instrumentenbau, Performance und Installa-
                                                                                                 Die Erfahrungen mit den Beat Machines         zeugenden Maschinen beschäftigen
tionskunst.
                                                                                                 schlagen sich auch in anderen interakti-      Nikoladze weiterhin. Sein jüngstes Meis-
                                                                                                 ven Arbeiten von Nikoladze nieder. So er-     terwerk ist eine „Pocket Beatbox“, eine
Zunächst beginnt Nikoladze ein Violinstudi-     runter Lineal, Zugfeder, Sicherheitsnadel und
                                                                                                 findet er etwa ein mechanisches Orches-       zigarettenschachtelgroße Drum Machine
um in seiner georgischen Heimatstadt Tiflis.    Gabel – sind auf einem Resonanzkörper be-
                                                                                                 ter für eine Performance im öffentlichen      für die Hosentasche, die sich mit den
Sein Kompositionsstudium führt ihn an die       festigt und werden mechanisch zum Klingen
                                                                                                 Raum. Für das Ensemble Resonanz kre-          Fingerspitzen bedienen lässt und dem-
Musikhochschule Stuttgart und die Musik-        gebracht. Bespielt werden diese Objekte über
                                                                                                 iert er das System KOI (Koka’s Orchestra      nächst in Serienproduktion gehen soll.
akademie in Oslo. „How to hack performers“      eine Walze, in der Sperrholzzähne stecken.
ist das Thema seiner Doktorarbeit in Norwe-     Das funktioniert wie eine Spieluhr-Mechanik:                                                   Rainer Elstner
gen, als Fingerübung dafür entsteht sein ers-   Die Zähne auf der sich drehenden Walze zup-
tes selbstgebautes Instrument.                  fen an den Klangobjekten.
Nikoladze bastelt im Bitraf, Oslos größtem      Je nachdem, in welchem Abstand man die Zäh-
Hacker- und Makerspace, einem Ort für kre-      ne auf der Walze verteilt, erklingen verschie-
ative Köpfe mit handwerklichem Talent. Do       dene Rhythmen. Mit dieser Maschine erfüllt
it yourself wird dort zur Lebensphilosophie.    sich Nikoladze den Traum von einem mecha-
Für seine Instrumente nutzt er auch Material-   nischen Sequenzer.
reste, die kreative Köpfe aus Architektur bis                                                                                 KOKA NIKOLADZE
Robotik im Bitraf hinterlassen. 2016 baut er    Von da an konstruiert er immer ausgefuchs-
                                                                                                                              Koka Nikoladze (*1989, Tiflis) ist ein in Oslo lebender und arbei-
aus Sperrholz und Messingstangen die „Beat      tere Maschinen. Die „Beat Machine No. 2“
                                                                                                                              tender Künstler, Komponist, Technologe, Multi-Instrumentalist
Machine No. 1“. Sie wird mit einer Handkur-     imitiert ein Drum-Kit. Der Spulenhalter eines                                 und Instrumente-Erfinder. Er studierte Geige am Konservatorium
bel betrieben. Acht kleine Klangobjekte – da-   Lötkolbens fungiert dabei als Basstrommel,                                    in Tiflis, Komposition an der Hochschule für Musik und darstel-
                                                eine mit Sand gefüllte Glasröhre imitiert die                                 lende Kunst Stuttgart und Musiktechnologie an der Norwegi-
                                                Hi-Hat. „Beat Machine No. 5“ nutzt den Klang,                                 schen Musikhochschule, wo er sich seit 2016 als Doktorand mit
                                                den Butangas erzeugt, wenn es aus einer                                       seinem Forschungsprojekt zur animierten Notation und Real-
                                                Spritze in kurzen Stößen über die Flamme ei-                                  Time-Komposition beschäftigt. Seine Werke sind auf bedeuten-
                                                nes Teelichts geblasen wird. Nikoladze gelingt                                den Musikfestivals zur Aufführung gelangt. Koka Nikoladze hat
                                                es damit, den Sound des legendären analogen                                   sich auch als Erfinder und Produzent von elektromechanischen
                                                Drumcomputers Roland TR-808 zu imitieren.                                     Instrumenten einen Namen gemacht, wobei seit 2016 vor allem
                                                                                                                              seine „Beat Machines“ auf großes Interesse stießen und in zahl-
                                                                                                                              reichen TV-Sendungen wie auch Magazinen vorgestellt wurden,
                                                                                                                              unter anderem Discovery Channel, ARTE, MTV, VICE, WIRED, GIZ-
                                                                                                                              MODO und New York Magazine.

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