Musikprotokoll.ORF.at - NOMADIC SOUNDS IM STEIRISCHEN HERBST 7 - 10. OKTOBER 2021, GRAZ (A)
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Inhalt musikprotokoll.ORF.at 2 Vorwort: Nomadic Sounds 4 Sieben Jahre SHAPE infos/programm/biografien/archiv/museum 6 Inversion 3 Speaking Surfaces Natasha Barrett 10 tingles & clicks /graz Andrea Sodomka / Svetlana Maras˘ / Marco Donnarumma / Natasha Barrett / Karlheinz Essl / Martina Claussen / Cam Deas & das Kollektiv Lain Iwakura, Korin Rizzo, Leonie Strecker, Nico Mohammadi Veranstalter / Organizers 24 Echo Nona Inescu 28 beat machines Koka Nikoladze 32 musikprotokoll@ARTikulationen 34 Humanoid Sounds of Human Signs Veronika Mayer 38 Nomadic Dome Hüma Utku / KMRU / Gischt Kooperationen / Co-operations 44 JITTER Mopcut esc medien 50 Sulla Pelle Valentina Magaletti & Julian Sartorius kunst labor 54 Danapris Quartet Ayaz Gambarli / Cynthia Zaven / Igor Zavgorodnii / Alla Zagaykevych 60 Ensemble for New Music Tallinn Nina Fukuoka / Georg Friedrich Haas / Klaus Lang / Anna-Louise Walton / Arash Yazdani 68 Black Page Orchestra Koka Nikoladze / Dror Feiler / Maja Bosnić 76 musikprotokoll 2021 on air 78 ensemble dissonArt Loïc Destremau / Svetlana Maras˘ / Christian Winther Christensen / Carola Bauckholt Förderer / Supporters 84 ensemble Zeitfluss Tanja Elisa Glinsner / Isabel Mundry / Anselm Schaufler / Xu Weiwei 92 London Contemporary Orchestra CHAINES / Finnis 96 Exploratory Project Phill Niblock 100 Wander(E)ars Pak Yan Lau 104 The Forest Grows Restless Natasha Barrett 106 Browner Phill Niblock 108 Foldable Sounds Collective Serviettenfalte 112 musikprotokoll dynamic streaming 114 CTM Radio Lab 2021 116 musikprotokoll 2021 – English 128 Ö1 Sendetermine 129 Service: Tickets 132 Kalendarium
nomadic sounds 07.10.–10.10. NOMADIC Leitung: Elke Tschaikner Das ORF musikprotokoll transformiert und erweitert auch Kuratiert von SOUNDS Rainer Elstner, in seiner 54. Ausgabe mit nomadic sounds die Grenzen des Susanna Niedermayr, Erlebens von Musik. Das Festival ist Bühne und Labor einer Christian Scheib, neuen Generation von Musiker*innen und Komponist*innen, Elke Tschaikner deren Arbeit sich im Verständnis von offenen Genregrenzen und Fränk Zimmer trifft und daraus ihre ästhetischen Strategien bezieht. In mehr als dreißig Ur- und österreichischen Erstaufführungen Produktion: begeben sich Komponist*innen und Interpret*innen auf die ORF Radio Österreich 1 nomadische Suche nach einem Dazwischen. und ORF Steiermark Der Konzertsaal fungiert als Labor und Bühne für eine große In Koproduktion mit Bandbreite an künstlerischen Verfahren, die das Interesse an steirischer herbst ’21 Zwischenzuständen und Möglichkeitsräumen eint: In Kooperation mit Aus Klangfragmenten des Grazer Stadtraums entstehen 3-D- Kunstuniversität Graz, Klanglandschaften. Ein Ensemble spielt mit animierten Parti- Ö1 Kunstradio, turen, die in Echtzeit entstehen. Es kommt zur Wiederaufer- SHAPE – Sound, stehung des Sechsteltonharmoniums des Komponisten Alois Heterogeneous Art and Hába. Ein junges Streichquartett reist mit uns durch musika- Performance in Europe, lisch (re-)konstruierte Räume aus Aserbaidschan, dem Liba- ICAS – International Cities of non und der Ukraine. Ein Aquarium wird zum Instrument und Advanced Sound, zur Unterwasserbühne. Mit Drone-Music und mikrotonalen Institut für Elektronische Musik Kompositionen werden musikalische Zwischenräume minu- und Akustik – tiös erforscht. Klangobjekte können liegend auf Rollbrettern IEM, esc medien kunst labor und erkundet werden. Musiker*innen des SHAPE-Netzwerkes die andere saite. (Sound, Heterogeneous Art and Performance in Europe) Unterstützt vom loten die Grenzen des räumlichen Komponierens im Grazer „Creative Europe“-Programm Dom im Berg aus. der Europäischen Union, der European Broadcasting Union, Nationale und internationale Spitzenensembles, von denen der Onassis Stiftung und dem viele heuer erstmals zu Gast sind, interpretieren diese neue Ukrainischen Institut. Musik. Umrahmt wird diese musikprotokoll-Ausgabe von Diskussionen vor Ort. Dokumentiert wird sie in zahlreichen Ö1-Sendungen und einem besonderen audiovisuellen Dyna- mic-Streaming. MUSIKPROTOKOLL 2021
EIN ENDE MIT NEUEM ANFANG. SIEBEN JAHRE SHAPE. Am Anfang war ein Ende. Das Ende unseres Brisbane wurde ICAS Mitglied. Erste kleinere fördert, abermals mit finanzieller Unterstüt- Bei Letzterem lernten wir auch den jungen ersten fünfjährigen EU-Projekts „Networking Projekte wurden realisiert und dann klappte zung der Europäischen Union. Wir, das waren Elektronikmusiker KMRU kennen, einen der Tomorrow’s Art for an Unknown Future“ näm- es auch mit dem EU-Antrag. Fünf Jahre lang in diesem Fall gleich 16 Festivals des ICAS drei SHAPE Artists, die heuer vom ORF mu- lich, das das ORF-Festival musikprotokoll im wurde an Werkzeugen für eine ungewisse Netzwerks, wieder mit dabei natürlich auch sikprotokoll nominiert wurden. Wie auch Ur- steirischen herbst von 2010 bis 2015 gemein- Zukunft gefeilt. Gemeinsam wurden Konzer- das ORF musikprotokoll. sula Winterauer aka Gischt und Hüma Utku sam mit fünf weiteren Festivals des Festival- treihen programmiert, Austauschprogramme wird er ein neues Stück für die Ambisonics- netzwerkes ICAS, der International Cities of für Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen Es ist ein simpler Mechanismus: Einmal im Anlage im Grazer Dom im Berg komponie- Advanced Sound, durchgeführt hat. Zum Ab- geschaffen, thematisch aufeinander aufbau- Jahr nominieren alle 16 Festivals in einem ren. Ebenfalls auf dem Programm: die ein- schluss feierten wir im Frühjahr 2015 in Dres- ende Symposien konzipiert und vieles mehr. gemeinsamen Auswahlverfahren, für das mal geheimnisvoll brodelnde, dann wieder den, wo unsere Partner*innen vom CYNETART Eines der Werkzeuge kann man seither mehr- man sich auch selbst bewerben kann, insge- ekstatisch eruptive Musik von Mopcut, das Festival zu Hause sind, ein großes Fest, das mals jährlich in der Sendereihe Zeit-Ton hö- samt 48 neue und spannende Projekte aus nicht minder fulminante Duo Sulla Pelle, eine gleichzeitig die Auftaktveranstaltung unseres ren, wenn wir in ICAS-Radio gemeinsam mit dem Bereich der Musik und audiovisuellen neue Klangmeditation von Pak Yan Lau, die neuen Gemeinschaftsprojekts, der Plattform unseren ICAS-Kolleg*innen immer wieder in Kunst, SHAPE steht für Sound, Heteroge- Klanginstallation Echo von Nona Inescu und SHAPE, sein sollte. neue Musikszenen eintauchen, von Montevi- neous Art and Performance in Europe. Auf Radiokunst des Foldable Sounds Collecti- deo bis Bukarest, von Toulouse bis Jinja. diese 48 Künstler*innen und Kunstprojekte ve. 336 Künstler*innen und Kunstprojekte Aber werfen wir zu Beginn noch einen wei- sind daraufhin zwölf Monate lang unsere werden im April 2022 an SHAPE teilgenom- teren Blick zurück. 2007 lud das Numusic Gerade darin liegt einer der großen Reich- Scheinwerfer gerichtet. Wir laden sie zu un- men haben. Nach einer Verlängerung der ur- Festival aus Stavanger beim CTM Festival in tümer des ICAS Festival-Netzwerks. Durch seren Festivals ein. Mit einer umfangreichen sprünglich auf drei Jahre angelegten Laufzeit Berlin gleichgesinnte Veranstalter*innen ein, unsere mittlerweile rund 40 Partnerinstitu- Medienarbeit verhelfen wir ihnen zu weitrei- müssen wir das Projekt Ende März 2022 erst sich zusammenzuschließen, um Erfahrun- tionen auf fünf Kontinenten haben wir einen chendem Gehör. Bei unserer einmal im Jahr einmal abschließen, bevor die Europäische gen auszutauschen und mit gemeinsamen direkten Zugang zu einer Vielzahl von lokalen stattfindenden SHAPE Academy bieten wir Kommission die Zielsetzung ihres Programms Projekten ein europäisches Netzwerk aufzu- Szenen – ein endlos sprudelnder Quell an ihnen eine Fülle an Workshops und die Mög- „Kreatives Europa“ der nächsten inhaltlichen bauen, das allen Beteiligten zu mehr Stärke neuer Musik –, die in den vergangenen Jahren lichkeit, sich persönlich kennenzulernen. Und Schärfung unterzieht. verhelfen sollte. Gesagt, getan. Bald wurde nicht nur in unsere Radiosendungen, sondern einmal im Jahr besuchen wir mit einem SHAPE Aber natürlich möchten wir weitermachen an einem ersten Antrag gearbeitet, der dem auch in die Programme unseres Festivals ein- Showcase ein befreundetes Festival außer- – wenn nicht so, dann eben anders – und Vorhaben mit einer EU-Förderung eine erste geflossen sind. So konnten wir Ihnen junge halb der Europäischen Union. Diese Reisen deshalb wird derzeit bereits an neuen Plänen finanzielle Basis verschaffen sollte. Gleich- aufstrebende Talente und spannende neue führten uns in den vergangenen sechs Jahren gearbeitet. Auch dieses Ende soll ein Anfang zeitig lud das MUTEK Festival in Montreal Projekte bereits präsentieren, bevor sie die u. a. zum Novas Frequências Festival nach sein… die Gruppe ein, das Vorhaben über die Gren- internationale Aufmerksamkeit auf sich zo- Rio de Janeiro, zum Gamma Festival nach St. zen Europas hinweg auszudehnen. Bei ei- gen. Und mit unserer SHAPE Plattform woll- Petersburg und zum Nyege Nyege Festival ins Susanna Niedermayr nem Treffen am Rande des MUTEK Festivals ten wir schließlich für diese Künstler*innen ugandische Jinja. 2007 klinkten sich Veranstalter*innen aus ein Werkzeug bereitstellen, das sie beim Nord- und Südamerika ein, auch Room40 aus Aufbau ihrer internationalen Karrieren gezielt
Inversion 3: Speaking Surfaces 07.10.-09.10., 10:00-19:00 10.10., 10:00-16:00 Uraufführung Klanginstallation MUMUTH (Foyer und Vorplatz), Haus für Musik und Musiktheater der Kunstuniversität Graz (KUG) Leonhardstraße 15, 8010 Graz Eintritt frei Komposition, Idee: Natasha Barrett Natasha Barrett erschafft dreidimensionale Klang- Technische Zusammenarbeit: landschaften. Die in Großbritannien geborene, in Franz Zotter und Institut für Norwegen lebende Künstlerin verwendet dazu zwei Elektronische Musik und Lautsprecher-Prototypen, die Schallstrahlen präzi- Akustik – IEM se bündeln und auf die umgebenden Oberflächen abstrahlen. Die reflektierten Klänge formen eine Die Komposition 3-D-Klanglandschaft, in der vertraute Umgebungen Inversion 3: Speaking Surfaces auf völlig neue Weise erfahren werden. Barrett fragt ist ein Auftragswerk des ORF musikprotokoll. sich: „Wozu durch die Welt reisen, wenn sich um uns herum geheimnisvolle Klänge befinden – noch dazu, wo wir im Alltag akustischen Täuschungen erliegen?“ Sie fokussiert unser Hören auf Töne und Geräusche, an denen wir vorbeigehen und -hören, die von unseren geschäftigen Sinnen als neben- sächlich ausgeblendet werden. Ihre ortsspezifische Installation Inversion 3: Speaking Surfaces ist Teil des Projekts Reconfigu- INVERSION 3: ring the Landscape, das ein neues Bewusstsein für unsere Umwelt schaffen möchte. Über ein hochauf- SPEAKING lösendes 3-D-Mikrofon wird das Schallfeld des öf- fentlichen Raums in Graz erfasst und analytisch zer- SURFACES legt. Anschließend wird Ungehörtes verstärkt und alles neu zusammengefügt. Das Unhörbare wird NATASHA BARRETT hörbar, vermeintliche Nebengeräusche werden zum spannungsreichen Ereignis. Ö1 Sendung Zeit-Ton: 26.11., 23:03 Natasha Barrett
INVERSION 3: SPEAKING SURFACES Mehrkanalige 3D-Klanginstallation im Außen- nach bearbeitet und zu einem neuen Werk zu- und Innenbereich des MUMUTH sammengefügt. Das Ergebnis wird wieder in Komposition und Design: Natasha Barrett den Außenraum übertragen und im Inneren Technische Zusammenarbeit: Franz Zotter des Gebäudes akustisch gespiegelt. Wände und Institut für Elektronische Musik und „sprechen“ nun mit ihren Reflexionen, und Akustik (IEM) der Lärm der Stadt dröhnt von verborgenen Tönen – die Dynamik des 3D-Raums lenkt Die Erfahrungen, die wir mit den Klangland- unsere Aufmerksamkeit auf akustische Rari- schaften unserer Lebensräume machen, täten, auf bisher unbemerkte Klänge, die mit NATASHA Natasha Barrett (*1972, UK/NO) lässt sich von der Natur und können von Ambivalenz bis Akzeptanz, Lie- einem Mal von überallher an unsere Ohren BARRETT sozialen Lebensräumen inspirieren: Sie möchte wissen, wie die be, Hass oder Toleranz reichen. Wir wissen dringen. Welt klingt und sich verhält, welche Systeme und Prozesse da- jedoch, dass wir dem ganzen Trubel irgend- hinterstehen und welche Phänomene daraus resultieren. Diese wann entkommen. Wenn wir von neuen Erfah- Die Installation wurde im Rahmen des For- Interessen haben sie dazu veranlasst, modernste Audio-Tech- rungen träumen, reisen wir als Tourist*innen schungsprojekts Reconfiguring the Lands- nologien, Geowissenschaften, Sonifikation und Motion Tracking oder Klangkünstler*innen sogar in die entle- cape an der Norwegischen Musikhochschule einzusetzen und mit innovativen Instrumentalensembles, bilden- gensten Gegenden. Nehmen wir aber auch konzipiert, um ein neues Bewusstsein für den Künstler*innen, Architekt*innen und Wissenschaftler*innen zusammenzuarbeiten. Seit den späten 1990ern ist ihr künstle- die geheimnisvollen und verborgenen Klänge unserer Umwelt zu schaffen. Zum Einsatz risches Schaffen von der musikalischen Anwendung von Raum- vor unserer Haustür wahr? Vielleicht gehen kommen hochauflösende 3D-Mikrophone, klang im Kontext der zeitgenössischen Musik bestimmt. Nata- wir ja zu schnell daran vorbei oder sind mit neue Methoden zur Dekonstruktion von 3D- sha Barrett hat zahlreiche Kompositionsaufträge erhalten, ihre uns selbst beschäftigt? Vielleicht blenden wir Schallfeldern, und ein Lautsprecher-Prototyp, Werke werden auf der ganzen Welt aufgeführt und im Rundfunk aus, was wir hören, oder sind die Kuriositäten der Schallwellen präzise bündeln kann. Die übertragen. Seit 1999 lebt und arbeitet sie in Norwegen. einfach zu leise oder zu flüchtig, um sie im Schallwellen werden in Folge von den umge- Moment des Zuhörens zu erfassen? benden Oberflächen reflektiert. Zwei dieser Lautsprecher in futuristischem Design sind in Um diese verborgenen Qualitäten aufzu- die Installation integriert. spüren, wird in der Installation Inversion 3: Speaking Surfaces mit Hilfe modernster Tech- Inversion 3: Speaking Surfaces ist ein orts- nologien die Klangumgebung rund um das spezifisches Werk, das für das musikproto- MUMUTH erfasst und analytisch zerlegt, da- koll komponiert wurde. Natasha Barrett Übersetzung: Friederike Kulcsar
tingles & clicks /graz 07.10.–09.10., 10:00–19:00 10.10., 10:00-16:00 Uraufführungen Installation MUMUTH, Haus für Musik und Musiktheater der Kunstuniversität Graz (KUG) Leonhardstraße 15, 8010 Graz Eintritt frei Mit Musik von Andrea Sodomka, Svetlana Maraš, Während der Corona-Pandemie wurden viele Kunstpro- Marco Donnarumma, Natasha jekte aus dem physischen Raum in das Netz verlagert, Barrett, Karlheinz Essl, Martina um in der öffentlichen Wahrnehmung präsent zu blei- Claussen und dem Kollektiv ben. tingles & clicks /graz geht den umgekehrten Weg: Lain Iwakura, Korin Rizzo, Cam Deas 2020 als Online-Arbeit konzipiert, wird das Projekt 2021 Leonie Strecker, Nico Mohammadi. als interaktive Installation im Grazer MUMUTH reali- Konzept: siert. Hier stellt es mit Auftragsarbeiten, für die heraus- TINGLES & Fränk Zimmer ragende Musiker*innen Klangumgebungen schaffen, die verlorene Körperlichkeit ins Zentrum. Koordination: CLICKS /GRAZ Robert Höldrich Auf Rollbrettern liegend, bewegen sich Besucher*innen in jeweils 3 mal 3 Meter großen Feldern fort und werden Technische Entwicklung: dabei von einem Trackingsystem erfasst. In Interaktion Lukas Gölles, Matthias Frank, mit virtuellen Klangobjekten entstehen intime Ein-Per- Franz Zotter sonen-Hörerlebnisse. Das Projekt ist eine Fortsetzung unserer mehrjährigen Reihe music for bodies in motion, In Kooperation mit dem Institut für in der Hörer*innen-Position und Umgebungen als Para- Elektronische Musik und Akustik der meter des Hörens zur Disposition stehen. Kunstuniversität Graz – IEM. ANDREA SODOMKA / SVETLANA MARAŠ / Alle Klangumgebungen dieses MARCO DONNARUMMA / Projektes sind Auftragswerke des NATASHA BARRETT / KARLHEINZ ESSL / ORF musikprotokoll. MARTINA CLAUSSEN / CAM DEAS / Svetlana Maraš war SHAPE Artist 2020 und Marco Donnarumma & DAS KOLLEKTIV LAIN IWAKURA, SHAPE Artist 2015. KORIN RIZZO, LEONIE STRECKER, NICO MOHAMMADI Ö1 Sendung Zeit-Ton 09.12., 23:03 tingles & clicks /graz < 11 >
NATASHA BARRETT TINGLES & CLICKS /GRAZ BEACH In tingles & clicks /graz nutzen europäische raumes, in dem die Komponist*innen Klang- COMBER Komponist*innen die Social-Distancing- objekte platziert haben. Um die eigene Po- NATASHA BARRETT Regeln, die uns die gegenwärtige globale sition und die der Klangobjekte im Raum Gesundheitskrise abverlangt, als Ausgangs- zu erkennen, schwebt über den Köpfen der ÖSTERREICHISCHE punkt für ihre Klangarbeiten. Inspiriert von Besucher*innen ein Tablet, auf dem diese in ERSTAUFFÜHRUNG einer Musizierhaltung des minimalen und Echtzeit angezeigt werden. Zur Steigerung Vor vielen Jahren, als die Aufnahme- und abstrakten Klanggebrauchs, der Verwen- der Hörerfahrung sind die Kopfhörer mit Kompositionstechnik noch der analogen dung von Field Recordings und mit Blick auf einem Head-Tracking-System ausgestattet, Welt entstammte, gingen die filigranen die ASMR-Bewegung (Autonomous Sensory das es erlaubt, die Bewegungen des Kopfes Meridian Response) entstehen extrem räum- in das Prozessieren der Klänge miteinzube- Klänge, die ich als Teenager einzufangen liche und intime Hörerfahrungen. ziehen. So rückt der künstliche Klangraum in versuchte, im Grundrauschen unter. Ich der Art, wie Klänge sich „verhalten“, einem erinnere mich noch, wie ich die Klänge Biografie siehe 2020 bildete ein spezielles Online-Setting realen Raum erstaunlich nahe. einer einsamen Bucht erforschte und Seite 9 bei tingles & clicks die Schnittstelle zum dabei ungestört meiner Beschäftigung sche Strandgut aufliest, kann sich selbst Publikum. 2021 manifestiert sich das Projekt Das musikprotokoll hat in den vergangenen im realen Raum: Das Grazer IEM (Institut zehn Jahren immer wieder auch Projekte nachgehen konnte, weil das Meer viel zu finden, die eigene Geschichte erzählen für elektronische Musik und Akustik) hat in einer alternativen Aufführungspraxis entwi- kalt war, als dass jemand an den Strand und die eigene Wahrnehmung prüfen Kooperation mit dem musikprotokoll einen ckelt. Beispielsweise das Karussellprojekt gekommen wäre. Meine Aufnahmen und und erforschen: Audioplayer entwickelt. Dieser Player ist Let´s merry-go-round!, das Vokalprojekt Die musikalischen Ideen gingen dennoch mit einem Besucher*innen-Trackingsystem Logik der Engel oder Homages, eine mobile kaum über das analoge Rauschen mei- Die Wellen werden dich forttragen, gekoppelt, das es ermöglicht die Position der Hörausstellung. Gemeinsam war allen Eigen- nes technischen Equipments hinaus, so die Wellen werden dich zurückbringen, Besucher*innen im Raum zu erfassen. produktionen, dass wir eine technische Um- gebung und teils aufwändige Aufführungsset- wie sich heute meine Erinnerungen an früh im Morgengrauen, Der eigene Körper wird zum Navigati- tings vorbereitet und dann Komponist*innen diese Orte in den hunderttausend Ereig- spät in der Abenddämmerung, onstool, um die Klangumgebungen, die eingeladen haben, diese zu „bespielen“. Das nissen der eigenen Vergangenheit verlie- den Klängen nachspüren, auf die andere die Komponist*innen entwickelt haben, für tingles & clicks entwickelte Tool eröffnet ren. nicht achten, zu entdecken. Hierbei befinden sich die neue Möglichkeiten. Körperbewegungen und Seepockenborsten, Besucher*innen auf Rollbrettern und können die räumliche Platzierung von Klangobjekten sich mittels Füßen in einem 3x3m großen können in den Kompositionsprozess einflie- In meinem interaktiven Werk für das Herzmuschelklappen, Installationsfeld fortbewegen. Dieses Feld ist ßen und münden in intime Ein-Personen- musikprotokoll 2020 bin ich zu diesen eine Wildblume, eine Biene, eine Wel- die räumliche Repräsentation eines Klang- Hörerlebnisse. schlichten Klängen zurückgekehrt, habe le, ein Glas, ein scharfkantiger Stein, sie jedoch neu interpretiert, ihnen digita- grobkörniger Sand, über den der Wind Fränk Zimmer le Aromen beigemischt und sie auch nä- streicht. her herangeholt, um Areale jenseits des Natasha Barrett Ohrs zu stimulieren. Wer dieses akusti- Übersetzung: Friederike Kulcsar < 12 > < 13 >
L'AMPLEUR INANIS (2020) lust; die andere ist die mit Donnarummas Hörgerät bearbeitete und reproduzierte MARCO DONNARUMMA DU SOUFFLE (2020) ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG Komposition, das heißt eine rechnerische SVETLANA MARAŠ Annäherung an die Frequenzen, die er Dieses Raumklangstück, das den bezeich- ohne Hilfsmittel nicht hören kann. Was ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG nenden Titel Inanis (lat. für „leer“ oder akustisch wie auch konzeptuell zwischen „gehaltlos“) trägt, wurde von der auditi- diesen beiden Klangformen liegt, ist die Aufgrund der Pandemie sind wir gezwungen, mehr Zeit in ven Erfahrung des Nicht-Hörens inspiriert Leere, die Lücke, das Loch, das Ungehörte, unseren privaten Räumen zu verbringen, in Innenräumen, und thematisiert die technologische Ver- das dennoch von anderen gehört werden wo uns ständig Mauern die Sicht versperren. Weites, offenes mittlung von Wahrnehmung. Ausgehend kann. Gibt es diese Leere – und wo? Land, frische Luft und unberührte Natur liegen für die meisten von Donnarummas schwerem Hörverlust, Marco Donnarumma SVETLANA MARAŠ von uns, die wir in der Stadt leben, in unerreichbarer Ferne, Übersetzung: Friederike Kulcsar dennoch sehnen wir uns danach, haben wir immer noch die- will uns seine Komposition in die Leere Die serbische Komponistin und Klang- se unbestimmte Sehnsucht nach einer Art ultimativen Befrei- des Ungehörten führen. Was nicht gehört Medien: Hörgerätaufnahmen, erweiterte künstlerin Svetlana Maraš (*1985) wird, ist nicht abwesend: stur und zu- ung. Dadurch rückt unser Raumgefühl in den Vordergrund, Bassgitarrentechniken, Field Recordings, arbeitet an der Schnittstelle von ex- rückgezogen existiert es in einer senso- es ist in unserem Leben mit einem Mal so präsent, dass wir analoges Feedback Mixing and Dubbing perimenteller Musik, Klangkunst und rischen Dimension, die nicht zugänglich Alternativen durchzuspielen beginnen, indem wir entweder Mastering: Daniele Antezza im Dadub Studio neuen Medien, wobei es ihr gelingt, renovieren und die Möbel umstellen oder vom Reisen träu- ist, jedenfalls nicht für jeden. Allerdings sich jeglicher Kategorisierung zu men. In der Musik ist es dank neuester Technologien und trifft das auch auf außerkörperliche, hal- entziehen. Es geht ihr vielmehr dar- avancierter Kompositionstechniken möglich, rasch zwischen luzinatorische und mystische Erfahrungen um, die adäquate Ausdrucksform in verschiedenen Medien, Genres und alternativen Räumen hin und her zu wechseln. Indem wir den zu. Es geht nicht darum, ob ein Phänomen Kontexten zu finden, seien es nun Raum mit Klang modellieren, können wir eine fiktive Realität existiert, sondern wie man sich Zugang Live-Performances, elektroakustische erschaffen, die das Ohr fasziniert und den Geist beflügelt, verschafft. Kompositionen, Radioproduktionen wobei wir die uns umgebenden Wände umgehen. oder audiovisuelle Installationen. Atmen bedeutet, einen bestimmten Raum zu aktivieren. Kur- Inanis besteht in zwei Klangformen, die Svetlana Maraš studierte an der re- ze Atemzüge, tiefe Atemzüge, letzte Atemzüge oder lustvolle voneinander abhängig sind, und der Leere, nommierten Aalto-Universität (Helsin- die sich dazwischen auftut und mit techno- – jede dieser Atemweisen evoziert natürlich gewisse Bilder ki), wo sie auch als wissenschaftliche logischen Mitteln erfahrbar gemacht wird. und Gedanken. Der Atem ist auch eine Voraussetzung für die Mitarbeiterin tätig war. Als Composer- Die eine Klangform ist das Stück, wie es in-Residence und künstlerische Lei- Stimme, für das gesprochene Wort. Er ist Ausgangspunkt und Grundlage jeder physiologischen und philosophischen der Künstler mit bloßem Ohr hören würde, terin des elektronischen Studios von Aktivität und wesentlich für alles, was wir sind und was wir also bei einer bestimmten Art von Hörver- Radio Belgrad hat sie seit 2016 ver- schiedene Projekte und Aktivitäten in- tun. Dennoch ist heutzutage nicht nur unsere Atmung be- itiiert wie auch Residency- und Schu- einträchtigt: Frische, saubere Luft ist zu einer gefährdeten lungsprogramme ins Leben gerufen. Ressource geworden. Die Musikalität dieser Konzepte schafft einen Rahmen, den MARCO DONNARUMMA ich mit einer Reihe von sich kontinuierlich verändernden Marco Donnarumma (*1984) verfolgt seit den frühen 2000ern einen künstlerisch-forschenden Ansatz Hörsituationen füllen konnte. Die ständige Fluktuation und bei seinen Projekten, in denen er zeitgenössische Performancekunst mit Medienkunst und Compu- Transformation des musikalischen Materials soll das Ohr termusik verwebt. Er manipuliert Körper und neue Technologien, choreographiert Stücke und kom- stimulieren – allerdings nicht dazu, sich anzupassen, es soll poniert Soundscapes aus elektronischen Klängen, verbindet Disziplinen und Medien und schafft so vielmehr offen und empfänglich für die inhaltliche Heteroge- Werke, die von einer traumartigen, sinnlichen, kompromisslosen Ästhetik geprägt sind. Er ist interna- nität sein, wie auch der Geist dazu animiert werden soll, es tional bekannt für Solo-Performances, Bühnenproduktionen und Installationen, in denen der Körper dem Ohr gleichzutun. eine Transformation durchlebt, zur Sprache wird und Rituale, Machtverhältnisse und technologische Svetlana Maraš Entwicklungen kritisch hinterfragt. Übersetzung: Friederike Kulcsar < 14 > < 15 >
TIEFBLAU UND KRISTALLWEISS – DIE FARBEN DER DISTANZ (2020) ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG Andrea Sodomka (*1961) ist Komponis- Verbotene Reisen, abgesagte Konzerte, keine Studiopro- tin, Medienkünstlerin und Kuratorin. Sie duktionen, keine Musiker*innen, um neue Klänge zu fin- arbeitet in den Bereichen Intermedia, den. Die Sehnsucht nach dem Meer: aber alle Yachthäfen Soundart, Radiokunst und Interaktive der Welt sind geschlossen. CAM DEAS Cam Deas (*1989) ist ein in London lebender Musiker und Klangkünstler, der sich mit ab- Kunst. Sodomka studierte an der Hoch- So vieles verloren, nur die Erinnerungen und Träume blei- strakten Sounds, Polytempos, alternativen Stimmungssystemen sowie stochastischen schule für angewandte Kunst und an der und computergenerierten Prozessen beschäftigt, um eine immersive Klangumgebung ben. Hochschule für Musik und darstellende zu schaffen. Sein künstlerisches Werk entzieht sich einer eindeutigen Kategorisierung, Kunst (Institut für Elektroakustik und ex- umfasst es doch ein breites Spektrum, vom solistischen Ausloten neuer Möglichkeiten Ich reise mit dem Klang vergangener Reisen an imaginäre perimentelle Musik) in Wien. Sie ist Mit- auf der Akustik-Gitarre über elektroakustische Live-Auftritte bis hin zur reinen Synthese begründerin von alien productions. 1997 Orte und in geträumte Welten. und Computermusik. Er hat weltweit an die 300 Konzerte gegeben, unter anderem im als Künstler*innen-Netzwerk für Arbeiten Cafe Oto (London), Tank und K11 (Shanghai), Jazzhouse (Kopenhagen), ICA (London) und in Theorie und Praxis neuer Technologi- In Videokonferenzen Kontakt zu Freund*innen halten, ein cave12 (Genf ), und auch zahlreiche Kompositionsaufträge erhalten. en und Medien gegründet, steht alien bisschen Klang improvisieren, Ideen austauschen, es ist productions insbesondere für Kooperati- nicht wirklich befriedigend. Die Sehnsucht nach draußen, onsprojekte mit anderen Künstler*innen, der Welt, dem Austausch, der Berührung bleibt bestehen. Techniker*innen, Theoretiker*innen und Irgendwie ist der Anker in der Realität verloren gegangen, MILIEUS & RHYTHMS (2020) Wissenschafter*innen aus den verschie- der Ankerpunkt hat sich verschoben. densten Bereichen. Andrea Sodomka lebt Aber arbeite und kommuniziere und empfinde ich nicht CAM DEAS und arbeitet in Wien. ÖSTERREICHISCHE ERSTAUFFÜHRUNG eigentlich ohnehin in der virtuellen Welt? Dieses Werk wurde als eine physische Installation konzipiert, in der man sich frei bewegen und Wenn ich das Fenster aufmache: verschiedene Klangquellen und Geschwindigkeiten kombinieren kann. Ich wollte einen Raum Stille, kristallklar wie knisterndes Eis. schaffen, in dem übereinandergeschichtete generative Patterns, die insgesamt ein Chaos wären, Kaum Geräusche, die von außen herein- miteinander verbunden sind und in dem man via Webcam-Tracking-System bestimmte Verbindun- dringen, keine Flugzeuge, wenig Autover- gen wählen kann. kehr. Kein Kindergeschrei vom Spielplatz. Da das Projekt ein simulierter Raum ist, verwendete ich fast ausschließlich physikalisch mo- Auf dem Weg in mein Studio bin ich allein dellierte Klänge: synthetisierte perkussive Klänge, die sich ähnlich verhalten wie die auf einem in der U-Bahn. Sogar während der Rush- akustischen Instrument produzierten und auch dementsprechend klingen. Das Stück besteht aus hour am zentralen Umsteigebahnhof nur Schichten von generativen Rhythmen in reiner Stimmung, die sich über acht Minuten aufbauen. fünf Menschen. Ein Gitarrist mit Schutz- Es gibt eine Grundschicht mit einem ununterbrochen fortlaufenden Ton, um das Ganze atmosphä- maske erobert den frei gewordenen Platz risch einzufärben, alle anderen Schichten laufen in verschiedenen Tempi ab, deren Verhältnisse der U-Bahn-Konzerte und spielt für sich genauso berechnet werden wie die Intervalle zwischen den Tönen. Daraus ergeben sich unter- allein. schiedliche Grade rhythmischer Phrasierung: kleinere Verhältnisse für einfache Intervalle (zum ANDREA SODOMKA Wo seid ihr alle? Dunkel kommt die Angst: werde ich für Beispiel 3:2 für eine reine Quinte) erzeugen einen einfachen Polyrhythmus, während komplexere immer allein sein? Verhältnisse in Richtung rhythmischer Dissonanz tendieren, sodass man der Struktur eines Mus- Eine verlorene Stadt, eine Stadt zwischen den Zeiten, ters vielleicht nicht mehr folgen kann, aber weiterhin das Gefühl hat, dass die Patterns miteinan- eine Stadt im Zwischenraum. der verbunden sind. Würden alle Teile gleichzeitig gespielt, wäre das Stück nicht zu entschlüsseln. Wenn man aber bestimmte Verbindungen kombinieren kann, steht der Erforschung dieser sich Ein fremdartiges, nie gehörtes Klangbild. Nur die Natur überlagernden, unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der einfachen oder komplexen Muster, klingt gleich, aber lauter. die dabei entstehen, nichts im Weg. Andrea Sodomka Cam Deas Übersetzung: Friederike Kulcsar < 16 > < 17 >
KARLHEINZ ESSL TANGENTE // Karlheinz Essl wurde 1960 geboren und ist Komponist, Elek- tronikmusiker, Medienkünstler und Software-Designer. Er BERÜHRUNGSLINIE studierte Komposition bei Friedrich Cerha und Musikwis- URAUFFÜHRUNG senschaften in Wien und war Composer-in-Residence bei In meiner Arbeit spielt stets die Stimme eine den Darmstädter Ferienkursen sowie am IRCAM in Paris. wesentliche Rolle. Mich interessiert das Seit 2007 hat er eine Professur für Elektroakustische Kom- position an der Musikuniversität Wien inne. Essl entwickelt Individuelle im Stimmklang, das Ungewöhnli- neben Instrumentalwerken und Kompositionen mit Live- che, vielleicht Raue und Gebrochene. Elektronik auch generative Kompositionssoftware, Improvi- sationskonzepte, Klanginstallationen und Performances. Er Das Ziel für die audiovisuelle Klanginstallation hat mit Künstlern wie Harald Naegeli („Sprayer von Zürich“) MARTINA CLAUSSEN war es, nach so einer langen Zeit der Distanz und Jonathan Meese, den Schriftstellern Andreas Okopenko und teilweise auch Entfremdung Intimität und Erwin Uhrmann sowie der Choreographin Andrea Nagl Die Komponistin und Sängerin Marti- wieder erfahrbar werden zu lassen. In zusammengearbeitet. na Claussen erforscht und verbindet meinem Werk versucht die Stimme dem/der THE OTHER DAY Klänge von Stimmen, Klangobjekten, analoger und digitaler Elektronik, er- Zuhörer*in nah zu kommen, fast unter die URAUFFÜHRUNG Haut zu kriechen, um im nächsten Moment kundet das Räumliche, das Performa- wieder Abstand zu suchen, vielleicht auch zu Dieses Stück entstand während der COVID 19 an den schutthalden. mitten ins dickicht. tive und entwickelt dabei ihre eigene, brauchen. Es ist ein Herantasten an das, was Lockdowns, als ich wochenlang in meinem unverwechselbare „Klangschrift“ ste- tig weiter. Ihre Arbeit umfasst Werke möglich ist. Heute und hier. Haus eingeschlossen war. Ich verspürte das bald hat er sich hoffnungslos verirrt. es däm- aus den Bereichen elektroakustische/ dringende Bedürfnis, aus meinem Bau aus- mert bereits. die sehkraft schwindet. den pfad akusmatische Komposition, Werke für Seit langem fasziniert mich die Tangente, zubrechen und unbekannte Bereiche meiner kann er nur spüren. mit seinen füßen ertasten. Stimme / Instrumente und Elektronik, also jene Autobahn, welche quer über den unmittelbaren Umgebung zu erkunden. Ausge- im dunkel der nacht. Musiktheater, Tanztheater, Klangins- Wiener Prater verläuft, dabei die Hauptallee stattet mit binauralen Mikrofonen, die direkt in tallation, elektroakustische Kammer- kreuzt und sich somit an einer Schnittstelle die Ohren gesteckt werden können, nahm ich ein knacken im untergrund fesselt seine auf- musik, Solo-Performances für Stimme von Natur und urbanem Klangraum befindet. die Geräusche der Umgebung auf. Während merksamkeit. er hält inne. und lauscht. tief und und Live Elektronik, Filmmusik sowie Dieses Konglomerat an Klängen unterschied- dieser Exkursionen kamen mir spontan Worte lange. was ist da zu hören? mit seinen ohren Kollaborationen mit Künstler*innen lichster Herkunft findet sich in Teilen meiner in den Sinn. Später verwandelte ich sie in Ge- erkundet er die landschaft. feingewoben aus aus den unterschiedlichsten Berei- Arbeit für das heurige musikprotokoll wieder. dichte wie dieses: klängen. ein knistern. plätschern. säuseln. rau- chen. Sie studierte Computermusik schen und rascheln. geheimnisvolle botschaf- und elektronische Medien an der Uni- Die Stimme erkundet, neben verschiedenen anderntags treibt es ihn wieder ins freie. an- ten. aus anderen welten. zu denen wir keinen versität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, Konzertfach Gesang anderen akustischen Situationen, den Raum gelockt von der sonne. wochenlang nur trüber zugang haben. am MUK Wien und Komposition an unterhalb der Tangente, verschwindet im Rau- nebel. über den niederungen. schen des Windes und der Autos. Dann wieder der Anton Bruckner Privatuniversität es fehlt der schlüssel. zu diesem code. nur wil- in Linz. 2020 erhielt sie den Publicity schält sie sich heraus aus der Klangmasse, er orientiert sich am schein des gestirns. stapft lenloses einsinken in diese nachrichten. ohne Award der SKE/Austro Mechana. Seit um den Zuhörer*innen nahe zu sein, ins Ohr hurtig los. ohne sich umzudrehen. ohne plan. sie zu verstehen. dennoch begreift er sie. mit 2009 hat sie eine Professur für Ge- zu flüstern und das Wechselspiel von Distanz die karte hat er zu hause gelassen. läßt sich seinen ohren. dringt er ein. in den dschungel sang an der Universität für Musik und und Nähe, von Dasein und vielleicht schon treiben. vom rhythmus der schritte. folgt nur der klänge. erkennt zusammenhänge. baut darstellende Kunst Wien inne. wieder Wegsein müssen, nimmt seinen Lauf. der inneren stimme. sie zeigt ihm den weg. be- brücken. erfindet antworten. entdeckt eine denkenlos führt sie durch hohle gassen. vorbei welt. in sich. und außerhalb seiner selbst. Field Recordings, Text, Komposition und Computerprogrammierung: Karlheinz Essl Weibliche ASMR-Stimme: Andrea Nagl, Männliche ASMR-Stimme: Jörg Duit Italienische Übersetzung: Fabrizio Iurlano, Französische Übersetzung: Jean-Luc Iffrig < 18 > < 19 >
s0rry, traditionally cloSeness is a concepT of practice NICO MOHAMMADI / KORIN RIZZO / LAIN IWAKURA / LEONIE STRECKER URAUFFÜHRUNG But which path will it take in the future? How can you explain this to her? Is that still compatible with any claims to social and cultural par- ticipation? Would they believe you? NICO MOHAMMADI Von Zeit zu Zeit denken wir über Möglichkeiten nach. Wir schüt- teln unsere Köpfe von links nach rechts, wir klatschen in die Nico Mohammadi ist Komponist, Multi-Instrumenta- Hände. Was ist Realität, was ist die echte Welt, was ist „Objek- list, Live-Performer und DJ. Nach seinem Jurastudium tivität“ und was „authentisch“? Das Urheberrecht ist ein Relikt in Halle studiert er derzeit Computermusik am Insti- der alten Welt, ebenso wie die Forderung nach einer naturalisti- tut für Elektronische Musik und Akustik in Graz bei Marko Ciciliani. 2019 veröffentlichte er seine erste schen Erzählung und einer linearen Handlung. Ein Plädoyer für Vinyl-EP Can't You Tell auf Row Records. Seine Pro- die Verwischung der Grenzen zwischen Fakt und Fiktion/zwi- duktionen bewegen sich an der Grenze zwischen schen Reportage und Erfindung/zwischen Erzählung und Essay! Club und Experimental und kombinieren eine detail- Traditionell zielt Desinformation nicht nur auf Lüge, Blödsinn lierte Auseinandersetzung mit Sounddesign und al- und Tarnung, sondern auch auf die Unsicherheit der sinnlich gorithmischer Programmierung. Im Wintersemester oder empirisch wahrgenommenen Wirklichkeit ab. Als auch das 2020/21 studierte er Live Elektronik in Brüssel am Prinzip des Subjekts zusammenbrach, eröffnete sich eine neue Koninklijk Conservatorium. Er arbeitete an verschie- Epoche, die als Epoche des Zusammenbruchs der Prinzipien, als denen Multimedia-Kollaborationen, mit Video, Ambi- anarchische Epoche ohne Grundlagen, als Epoche der totalen sonics und Live-Coding. 2021 veröffentlichte er seine Verelendung zu bezeichnen ist. Und so ist es eine Epoche ohne aktuelle EP And You Told Me auf Row Records. Subjekt: Wir leben in der Epoche des Nicht-Subjekts. In den letz- ten Monaten haben wir gespürt, dass sich unsere Seelen immer KORIN RIZZO weiter von unseren Körpern entfernen. Wenn die Stimme, die Korin Rizzo wurde 1992 in Benevento, Italien den Körper mit der Seele verbindet, verschwindet, gibt es kei- geboren. Im Jahr 2012 begann er sein Studi- ne Möglichkeit, die eigenen Gefühle oder den eigenen Willen in um der Musikpädagogik am Conservatorio Worte zu fassen. Wir reduzierten uns in (ein) Stück(e). Wir sind Statale Nicola Sala, wo er sich nach zwei Jah- weiterhin verschwunden. ren in den dreijährigen Kurs für elektroakusti- Wenn alle miteinander verbunden sind, werden die kleinen sche Komposition einschrieb. Im Rahmen des Erasmusprogramms zog er 2015 nach Graz, Stimmen lauter. Wenn alle miteinander verbunden sind, verlän- wo er einen Zweijahresvertrag im Jazzstudio gert sich sogar das Leben. Für diese Komposition verschmelzen der Kunstuniversität Graz gewann. Im Jahr nicht nur Klangflächen und Hörobjekte ineinander, sondern 2018 begann er das Studium der Computer- auch vier Künstler*innen mit ihren eigenen Realitäten und musik am IEM. Wahrnehmungen. < 20 > < 21 >
Festspielsender Ö1 LAIN IWAKURA Lain Iwakura (a.k.a. DeRayling, Ezili-i Sabbah, Bill B. Wintermute, DiVersion) ist politische Aktivist*in, Autor*in, Vortragende*, DJ und Klangkünstler*in. Sie nutzten mehrere Jahre lang die Räumlichkeiten des berüchtigten Instituts für vergleichende Irrelevanz (IvI, Frank- furt/Main), um Events zu organisieren, kollektives künstlerisches Schaffen zu ermöglichen und theoretische Diskurse zu führen. Im IvI trafen selbstbestimmt arbeitende Künstler*innen und Aktivist*innen aufeinander, die sich unter anderem auch für die Queer-Theorie, kritische Theorie und Situationistische Internationale interessier- ten und „Theorie, Praxis, Party“ auf ihre Fahne geschrieben hat- ten. 2019 übersiedelten sie nach Graz und bauten das O-collective auf, das von IEM-Student*innen und außerakademischen DJs und Künstler*innen gebildet wird, die Events organisieren, um IEM- Student*innen eine Plattform zu bieten und gleichzeitig eine Brücke von der Punk/Noise-Szene und Rave-Kultur zur zeitgenössischen Musik zu schlagen. In Lain Iwakuras künstlerischer Arbeit werden sozio-philosophische Fragen mit Konzeptkunst verbunden wie auch Studien zu polytemporalen und polyrhythmischen Strukturen und Feedback-Systemen mit der Ästhetik des Techno kurzgeschlossen. Gemeinsam mit Achim Szepanski betreiben sie die Labels mille pla- teaux und Force Inc. Music Works. LEONIE STRECKER Leonie Strecker (*1995 in Düssel- dorf ) ist Komponistin und Medi- enkünstlerin. In ihren Arbeiten untersucht sie die Schnittstellen zwischen musikalischer Komposi- tion, Klangkunst, Performance und dynamowien Installation. Besonders interessiert ist sie an der Verbindung von akus- tischen und visuellen Formen sowie den performativen Eigenschaften von Klang. Sie hält interdisziplinä- ren Dialog für essenziell und ver- weigert sich musikalischen Genre- zuschreibungen. Aktuell studiert sie orf musikprotokoll im steirischen herbst | 7.–10. Oktober 2021 | Graz am Institut für elektronische Musik Ö1 Club- und Ö1 intro-Mitglieder erhalten bis zu 50% Ermäßigung. und Akustik in Graz. das ö1 konzert | Freitag, 15. Oktober 2021 | 19.30 Uhr | Ö1 (Querschnitt von Konzertmitschnitten des diesjährigen Festivals) oe1.ORF.at/festspielsender < 22 >
Echo 07.10.-09.10., 10:00-19:00 10.10., 10:00-16:00 ECHO Österreichische Erstaufführung Installation MUMUTH, Haus für Musik 18 In-Ear-Kopfhörer und 36 Schnecken- und Musiktheater der Kunst- häuser sind die zentralen Objekte der universität Graz (KUG) Klanginstallation Echo der in Rumänien Leonhardstraße 15, 8010 Graz geborenen Künstlerin Nona Inescu. Die Kopfhörer sind mit einem Audioplayer Eintritt frei verbunden und münden in die Schnecken- häuser. Konzept, Realisation: Nona Inescu Die Analogie zwischen dem menschlichen Ohr und einer Muschel wurde erstmals In Zusammenarbeit mit von einem Anatomen des 16. Jahrhunderts Vlad Nanca und Chlorys formuliert. Alfonso Corti nannte den spi- In Kooperation mit SHAPE – ralförmigen Hohlraum im Innenohr spä- Sound, Heterogeneous Art and ter Cochlea, lateinisch für Schnecke. Die Performance in Europe Geschichte, die Muscheln und Klang mit- Gefördert durch das Programm einander verbindet, ist voll von populär- „Creative Europe“ der wissenschaftlichen Überzeugungen und Europäischen Union Symbolhaftigkeit: Muscheln spiegeln die inneren Klänge des menschlichen Körpers Nona Inescu ist SHAPE Artist 2021, wider oder enthalten weltliche Echos. Chlorys war SHAPE Artist 2017. Sowohl Schneckenhäuser als auch Kopf- hörer markieren einen persönlichen Raum, in dem wir uns sicher und bequem allein fühlen können. Die Außenwelt, einst eine gemeinsam genutzte auditive Umgebung, ist durch „endlose“ weiße Kopfhörer effektiv gebrochen, wobei die Schneckenhäuser als Resonanzkammern für individuell lokalisierte Blasen selbst- programmierter Klänge dienen. NONA INESCU ECHO Ö1 Sendung Zeit-Ton Magazin 13.10., 23:03 Nona Inescu: Echo < 24 > < 25 >
ECHO. ÜBER DIE BEZIEHUNG kale Initiativen verstricken sich in globalen Wirt- sollten sich mehr an dieser Diskussion betei- schaftsinteressen und werden von der Lobby ligen und das Thema auf jede nur erdenkliche DES MENSCHEN ZUR NATUR. der der fossilen Energiebranche abgewürgt. Ich Weise ins allgemeine Bewusstsein bringen. glaube, dass uns kaum Zeit bleibt, etwas Sinn- volles zu tun, um das Worst-Case-Szenario um- Übersetzung: Friederike Kulcsar Lucia Udvadryova: Man könnte etwas verkürzt selwirkungen der Formung oder Formgebung: zukehren. Die einzige wirklich globale Priorität sagen, dass Ihr künstlerischer Ansatz aus ei- Hat der Menschen die Natur geformt oder die scheint zu sein, „schnell reich zu werden, wenn Die Langfassung dieses Interviews finden Sie auf der ner posthumanen Perspektive erfolgt und Natur den Menschen? man auch dabei draufgeht”. Künstler*innen SHAPE Website: https://shapeplatform.eu/ Sie in Ihren Arbeiten die Beziehung zwischen menschlichem Körper und natürlicher Umwelt LU: Wie integrieren Sie Sound in Ihre Arbeit? (hauptsächlich unbelebte Natur: Steine, Ge- NI: Normalerweise kommt der Ton ins Spiel, genstände usw.) ausloten. Könnten Sie das wenn ich eine Videoarbeit mache. Ich habe im- NONA INESCU näher erläutern? mer mit talentierten Freund*innen und ehema- Nona Inescu: Ich versuche, eine Verbindung ligen SHAPE-Künstler*innen wie Chlorys und zwischen menschlichen Körpern, Formen oder Simina Oprescu zusammengearbeitet. Ich bin Prozessen und anderen natürlichen Materiali- sehr glücklich, wenn ich den richten Kontext en aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich für eine Zusammenarbeit schaffen kann und herzustellen oder die Aufmerksamkeit darauf die Mitwirkenden die Einladung annehmen, zu lenken. Mit anderen Worten, der Schwer- in einen Dialog mit meiner Arbeit zu treten. punkt meiner Arbeit liegt auf der Wechselbe- Bei meinem letzten Video habe ich mit Simina ziehung zwischen Mensch und (belebter und zusammengearbeitet, wir haben sogar eine unbelebter) Natur. Ich versuche, Fundstücke Schallplatte in limitierter Auflage mit ihrem aus der Natur, wie zum Beispiel Steine und Soundtrack für Hydrophites (2021) produziert Korallen, mit synthetischen oder verarbeite- und veröffentlicht, auf der auch Geo Aghinea ten Materialien zu kombinieren, die natürliche zu hören ist. Manchmal ist Sound von Anfang Eigenschaften imitieren. Ich seziere diese Ob- an in das Werk integriert und wird zu einem jekte, löse sie aus ihrem ursprünglichen Kon- der wichtigsten Elemente wie in der Installati- text und arrangiere sie im Ausstellungsraum on Echo (2017), die zusammen mit Chlorys und sorgfältig zu sinnlichen, poetischen Komposi- Vlad Nanca konzipiert wurde. tionen, die nicht bloß ein Nebeneinander von Nona Inescu (*1991) lebt und arbeitet in Bukarest. Sie studier- Materialien sind, sondern formale Ähnlichkei- LU: Wie sehen Sie angesichts der Verschärfung te am Chelsea College of Art & Design in London (2009–2010), ten in den Blick nehmen. Steine werden zum der Umweltkrise die Zukunft und wie können/ an der Königlichen Akademie der schönen Künste Antwerpen Leben erweckt; Subjekt und Objekt gehen sollten Ihrer Meinung nach Künstler*innen da- (2009–2010) und an der Universität der Künste Bukarest, wo ineinander über und sind nicht mehr klar zu rauf reagieren? sie 2016 ihren Abschluss im Studienfach Fotografie und Video unterscheiden. Auf diese Weise versuche ich, NI: Ich sehe ziemlich düstere Zeiten auf uns zu- erlangte. In ihren Fotografien, Videoarbeiten, skulpturalen Analogien zwischen menschlichen, tierischen, kommen. Zwar wird jetzt mehr als früher über Installationen und Objekten richtet sie ihr besonderes Augen- pflanzlichen und mineralischen Merkmalen das Thema geredet, es wird aber kaum etwas merk auf die Beziehung zwischen dem menschlichen Körper und der Umwelt. Aus posthumaner Perspektive und mit Bezug aufzuzeigen, und schlage mögliche Interaktio- unternommen. Eben habe ich erfahren, dass auf geologische Konzepte gelangt sie zu einem integrativen nen zwischen menschlichen und nicht-mensch- das World Heritage Committee beschlossen Verständnis von Mensch und Natur, die in einer organischen lichen Körpern über physischen Kontakt oder hat, das Great Barrier Reef nicht auf die Liste Technosphäre miteinander verschmelzen. Berührung vor. Ich untersuche also die Wech- des gefährdeten Welterbes zu setzen. Viele lo- < 26 > < 27 >
beat machines 07.10.–09.10., 10:00–19:00 10.10., 10:00–16:00 Österreichische Erstaufführung Videoinstallation MUMUTH, Haus für Musik und Musiktheater der Kunst- BEAT universität Graz (KUG) Leonhardstraße 15, 8010 Graz MACHINES Die sprühende Fantasie von Koka Nikoladze (*1989) geht mit handwerklicher Meisterschaft Eintritt frei Konzept, Videos: einher. Seine anmutigen Musikmaschinen, die Koka Nikoladze wir in einer Videoinstallation im MUMUTH prä- sentieren, legen davon Zeugnis ab. Zudem ist Ni- koladze als Komponist und Performer zu erleben. Seine musikalischen Wurzeln liegen in einer Gei- genausbildung am Konservatorium von Tbilissi und einem Kompositionsstudium beim Lachen- mann-Nachfolger Marco Stroppa in Stuttgart. Mit konventionellen Lösungen hat sich Nikolad- ze nie zufriedengegeben; nach seinem Master- studium arbeitete er am Norwegian Centre for Technology in Music and the Arts. Der gebürtige Georgier lebt in Oslo, entwickelt Konzepte der Echtzeitkomposition und animierter Notation. Er bastelt an filigranen Beat Machines, die so schön aussehen, wie sie klingen. Zuletzt sorgte Niko- ladze mit einer Online-Auktion für Furore: Er ver- steigerte den letzten Akkord einer Komposition, gespeichert auf einem USB-Stick. Das höchste Gebot erreichte 13.900 US-Dollar. KOKA NIKOLADZE Ö1 Sendung Zeit-Ton 25.11., 23:03 Koka Nikoladze >
EIN KOMPONIST ALS Die Beat Machines klingen nicht nur Interface): Notenständer werden dabei überraschend und entwickeln ein faszi- mit LED-Lämpchen ausgestattet, über BASTLER UND VISIONÄR nierendes akustisches Eigenleben, sie die man gelochte Notenblätter legen sind auch schön anzusehen und funkti- kann. Das macht es möglich, von einem onieren als optische Kunstwerke. Eine Laptop aus, über den man die Lämpchen Zuerst nannte er sich Geiger, dann Kompo- der Musikmaschinen steht heute im Pop kontrolliert, das Orchester zu steuern. nist. Und irgendwann konnte Koka Nikolad- Music Museum in Oslo. Die effektvoll Dieses Prinzip der Live-Komposition war ze, Jahrgang 1989, seinem beruflichen Tun montierten Videos der Instrumente sor- 2018 erstmals in der Elbphilharmonie zu keinen Namen mehr geben. Zu vielseitig, zu gen via Internet für weltweite Aufmerk- erleben – und im selben Jahr mit dem unberechenbar ist seine künstlerische Arbeit samkeit. Klangforum Wien bei den Donaueschin- zwischen traditioneller Komposition, Musik- ger Musiktagen. Die Arbeit an klanger- instrumentenbau, Performance und Installa- Die Erfahrungen mit den Beat Machines zeugenden Maschinen beschäftigen tionskunst. schlagen sich auch in anderen interakti- Nikoladze weiterhin. Sein jüngstes Meis- ven Arbeiten von Nikoladze nieder. So er- terwerk ist eine „Pocket Beatbox“, eine Zunächst beginnt Nikoladze ein Violinstudi- runter Lineal, Zugfeder, Sicherheitsnadel und findet er etwa ein mechanisches Orches- zigarettenschachtelgroße Drum Machine um in seiner georgischen Heimatstadt Tiflis. Gabel – sind auf einem Resonanzkörper be- ter für eine Performance im öffentlichen für die Hosentasche, die sich mit den Sein Kompositionsstudium führt ihn an die festigt und werden mechanisch zum Klingen Raum. Für das Ensemble Resonanz kre- Fingerspitzen bedienen lässt und dem- Musikhochschule Stuttgart und die Musik- gebracht. Bespielt werden diese Objekte über iert er das System KOI (Koka’s Orchestra nächst in Serienproduktion gehen soll. akademie in Oslo. „How to hack performers“ eine Walze, in der Sperrholzzähne stecken. ist das Thema seiner Doktorarbeit in Norwe- Das funktioniert wie eine Spieluhr-Mechanik: Rainer Elstner gen, als Fingerübung dafür entsteht sein ers- Die Zähne auf der sich drehenden Walze zup- tes selbstgebautes Instrument. fen an den Klangobjekten. Nikoladze bastelt im Bitraf, Oslos größtem Je nachdem, in welchem Abstand man die Zäh- Hacker- und Makerspace, einem Ort für kre- ne auf der Walze verteilt, erklingen verschie- ative Köpfe mit handwerklichem Talent. Do dene Rhythmen. Mit dieser Maschine erfüllt it yourself wird dort zur Lebensphilosophie. sich Nikoladze den Traum von einem mecha- Für seine Instrumente nutzt er auch Material- nischen Sequenzer. reste, die kreative Köpfe aus Architektur bis KOKA NIKOLADZE Robotik im Bitraf hinterlassen. 2016 baut er Von da an konstruiert er immer ausgefuchs- Koka Nikoladze (*1989, Tiflis) ist ein in Oslo lebender und arbei- aus Sperrholz und Messingstangen die „Beat tere Maschinen. Die „Beat Machine No. 2“ tender Künstler, Komponist, Technologe, Multi-Instrumentalist Machine No. 1“. Sie wird mit einer Handkur- imitiert ein Drum-Kit. Der Spulenhalter eines und Instrumente-Erfinder. Er studierte Geige am Konservatorium bel betrieben. Acht kleine Klangobjekte – da- Lötkolbens fungiert dabei als Basstrommel, in Tiflis, Komposition an der Hochschule für Musik und darstel- eine mit Sand gefüllte Glasröhre imitiert die lende Kunst Stuttgart und Musiktechnologie an der Norwegi- Hi-Hat. „Beat Machine No. 5“ nutzt den Klang, schen Musikhochschule, wo er sich seit 2016 als Doktorand mit den Butangas erzeugt, wenn es aus einer seinem Forschungsprojekt zur animierten Notation und Real- Spritze in kurzen Stößen über die Flamme ei- Time-Komposition beschäftigt. Seine Werke sind auf bedeuten- nes Teelichts geblasen wird. Nikoladze gelingt den Musikfestivals zur Aufführung gelangt. Koka Nikoladze hat es damit, den Sound des legendären analogen sich auch als Erfinder und Produzent von elektromechanischen Drumcomputers Roland TR-808 zu imitieren. Instrumenten einen Namen gemacht, wobei seit 2016 vor allem seine „Beat Machines“ auf großes Interesse stießen und in zahl- reichen TV-Sendungen wie auch Magazinen vorgestellt wurden, unter anderem Discovery Channel, ARTE, MTV, VICE, WIRED, GIZ- MODO und New York Magazine. < 30 > < 31 >
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