Nahrungssicherheit - eine strategische Herausforderung
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Nahrungssicherheit – eine strategische Herausforderung Prof. Dr. Joachim von Braun1 Strategischer Gesprächskreis der EADS, Berlin 26.3.2009 A. Entwicklungstendenzen, die Nahrungssicherheit und politische Sicherheit bedrohen 1. Für ca. 2 Milliarden Menschen ist die Ernährung bereits unsicher und Nahrungssicherheit wird ein wachsendes globales Problem: Von den fast 6.7 Milliarden Menschen unserer Erde hungern ungefähr 1 Milliarde. Rund 2 Milliarden können sich keine gesunde Diät leisten: sie haben einen Mangel an Vitaminen und Mikro-Nährstoffen, der ihre Gesundheit und physische und intellektuelle Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Hälfte dieser Hungernden sind Kleinbauern. Ab 2050 wird sich die Weltbevölkerung bei ca. 9 Milliarden stabilisieren, ihr Konsum an Nahrungsmitteln jedoch wird - im Vergleich zu heute - dem von 12 Milliarden Menschen entsprechen. Mit den heute verfügbaren Technologien, den gegenwärtigen Konsumstrukturen sowie den neuen Belastungen durch Klimawandel lässt sich Nahrungssicherheit für alle nicht erreichen. Die gegenwärtige Rezession und damit verbundene Investitionshemmnisse in der Weltlandwirtschaft erhöhen - nach einem Szenario des IFPRI - die Agrarpreise mittelfristig und die Zahl der unterernährten Kinder steigt um ca. 16 Millionen (Abb1.). 2. Steigende Nahrungsmittelpreise = politische Unruhen: Rasant steigende Nahrungsmittelpreise sorgten 2008 für politische Unruhen, die ein Omen für die Zukunft sind. Durch den raschen Anstieg der Lebensmittelpreise in 2008 kam es weltweit zu einer Welle von Protesten in über 60 Ländern (Abb. 2). Die Unruhen erreichten ihren Höhepunkt mit der Verdopplung des Weltmarktpreises für Weizen und der Verdreifachung des Weltmarktpreises für Reis (Abb. 3). Mehr als die Hälfte der Hungerrevolten, besonders in Ländern mit mangelhafter Regierungsführung waren gewalttätig (Abb. 4). Wichtig ist: Ausschreitungen gab es nicht nur in einkommensschwachen Ländern. Ein Drittel der Proteste fand in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen statt; sie waren dort allerdings weniger gewalttätig. 3. Nationale Alleingänge verschärften die Situation: Unkoordinierte nationale Politik-Reaktionen auf die Krise führten zur Behinderung des freien Handels mit Nahrungsmitteln, Volatilität der Preise für Grundnahrungsmittel, vermehrter Spekulation und erhöhten die zwischenstaatlichen Spannungen. Bedeutende regionale Produzenten verringerten das Angebot auf dem Weltmarkt durch Exportbeschränkungen und waren dadurch verantwortlich für eine erhöhte Volatilität der Preise und andere negative Auswirkungen auf importabhängige Partnerländer (z.B. Indien – Bangladesch; Pakistan – Afghanistan; Vietnam – Philippinen; Nigeria - Niger). Die Doha Runde der Welthandelsorganisation hat sich dieser Probleme nicht annehmen können. Die derzeitige Finanzkrise hat die Aufmerksamkeit vom Problem der Ernährungsunsicherheit abgelenkt. 4. Wachsende Ungleichheiten zwischen Stadt und Land fördern Konflikte: Schon vor der Nahrungsmittel-und Finanzkrise lebten 160 Millionen Menschen in extremer Armut mit weniger als $US 0.50 am Tag.2 Ein großer Anteil dieser Menschen sind ethnische Minderheiten. Ihre Nahrungssicherheit und ihr Lebensunterhalt sind stark bedroht, wenn die Lebensmittelpreise in die Höhe gehen und sie ihre Arbeitsplätze verlieren.3 Da die Ärmsten am härtesten von der 1 Director General, International Food Policy Research Institute (IFPRI), Washington DC, USA; j.vonbraun@cgiar.org 2 Ahmed, A., R. Hill, L. Smith, D. Wiesmann, and T. Frankenberger. 2007. The world’s most deprived: Characteristics and causes of extreme poverty and hunger. 2020 Discussion Paper 43. Washington, D.C.: International Food Policy Research Institute. 3 von Braun, J. 2008. Food and financial crises: Implications for agriculture and the poor. Food Policy Report. Washington, DC: International Food Policy Research Institute. http://www.ifpri.org/pubs/fpr/pr20.asp. 1
Nahrungsmittelkrise und der Finanzkrise betroffen sind, haben die Ungleichheiten ebenfalls zugenommen. Diese Ungleichheiten führen zu Konflikten sogar zwischen Gruppen mit gleicher Identität (wie gleiche Religions- und/ oder ethnische Zugehörigkeit).4 Die sich stetig verschärfende globale Rezession vergrößert das Problem und führt nun zu umgekehrter Migration von der Stadt aufs Land (ca. 25 Millionen in China). 5. Konflikte um Agrarland nehmen zu: Hohe Nahrungsmittelpreise und die Erfahrung mit den Exportrestriktionen im Jahr 2008 haben dazu geführt, dass Länder mit knappem Land und Wasser versuchen, Land im Ausland zu kaufen, um ihre eigene Versorgung zu sichern (Abb. 5). Das Ausmaß und die Schnelligkeit, mit der manche dieser Investitionsvorhaben geplant wurden und die Konditionen, die vereinbart wurden, haben in den Zielländern Widerstand hervorgerufen, insbesondere bei Kleinbauern mit unsicheren Eigentumsrechten. Konflikte um Land haben bisher eher auf lokaler und nationaler Ebene eine Rolle gespielt (z.B. zwischen Nomaden und Bauern im Sudan), werden aber zunehmend internationaler. Konflikte um Bodenschätze wie Öl, Erze und Diamanten („resource curse“) mit illegaler Inbesitznahme und „Gewalt-Märkten“ sind bekannt. In der Vergangenheit war die landwirtschaftliche Produktion nicht Teil dieser Konflikte. Die politische Unsicherheit in den ländlichen Gebieten der Entwicklungslaender wird zunehmen, wenn der „resource curse“ auch die Landwirtschaft trifft. 6. Wachsende Wasserknappheit fördert Konflikte: In vielen Ländern werden die vorhandenen Wasservorkommen fast vollständig genutzt, dennoch wird die landwirtschaftliche Nachfrage nach Wasser in Zukunft dramatisch ansteigen. Bei den Wasserstreitigkeiten, die sich international zwischen 1946 und 1999 ereigneten, wurden 1.228 kooperativ gelöst und 507 führten zu Konflikten (Abb. 6). Kooperation überwiegt zwar, aber Konflikte entstehen eben auch, meistens auf lokaler Ebene. Länder mit ausreichenden finanziellen Ressourcen können ihre Wasserknappheit kompensieren, wenn sie Nahrungsmittel, die viel Wasser für die Herstellung erfordern, importieren.5 Zunehmender Handelsprotektionismus macht diese effiziente Lösung des „virtual water“ zunichte und kann die Wasserkonflikte verstärken. 7. Der Klimawandel verschärft Konflikte um Nahrungsmittel und natürliche Ressourcen: Land- und Forstwirtschaft sind zugleich Verursacher des Klimaproblems, Leidtragende und potentielle Problemlöser. Sie verursachen jeweils ungefähr 15% der Green House Gas (GHG) Emissionen. Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich in zunehmendem Wasser-und Hitzestress, zerstörten Ökosystemen und steigenden Meeresspiegeln. Die tatsächlichen Auswirkungen sind heterogen und regionsspezifisch. In den meisten Fällen wird der Schaden überwiegen und am stärksten die ärmsten Menschen treffen, die sich am wenigsten anpassen können. Bis zum Jahre 2050 wird es zweimal mehr Gebiete mit erhöhtem Wasserstress geben wie Gebiete mit vermindertem Wasserstress.6 Bis zum Jahr 2050 könnten die Ernteerträge in Asien aufgrund der zunehmenden Hitzeepisoden um 15-20 % fallen. Die Auswirkungen des Klimawandels werden die Zahl der unterernährten Menschen in Afrika südlich der Sahara weiter ansteigen lassen.7 B. Antworten auf die Nahrung - Sicherheitsfragen Rasches Handeln auf nationaler und globaler Ebene ist dringend erforderlich, um den Hunger zu überwinden und eine Eskalierung politischer Unsicherheit zu vermeiden. Gescheiterte Staaten haben die größten Hungerprobleme und brauchen besondere Aufmerksamkeit. Neue 4 Steward, F. 2009. Policies towards horizontal inequalities in post-conflict reconstruction. In T. Addison and T. Bruck (eds.), “Making peace work: The challenges of social and economic reconstruction.” Palgrave Macmillan. 5 Allan, J.A. 2002. The Middle East water question: Hydropolitics and the global economy. New York: I.B. Tauris. 6 Bates, B.C., Z.W. Kundzewicz, S. Wu and J.P. Palutikof (eds). 2008. Climate Change and Water. Technical Paper. Geneva: IPCC Secretariat. 7 Tubiello, F. N., and G. Fischer. 2007. Reducing climate change impacts on agriculture: Global and regional effects of mitigation, 2000-2080. Technological Forecasting and Social Change 74: 1030-56. 2
Formen der Koordinierung von militärischem und diplomatischem Engagement einerseits und Agrar-Entwicklungspolitik und Marktunterstützung andererseits werden benötigt. Politikmaßnahmen von höchster Priorität sind: 1. Förderung von landwirtschaftlichem Wachstum in Entwicklungsländern. In Entwicklungsländern sind kleine Betriebe vorherrschend, die immer noch kleiner werden.8 Die Produktivität der Kleinbauern ist der Schlüssel zur Wachstumsförderung, welche die Armut abbaut. Für diese Kleinbauern ist der Zugang zu Krediten, Versicherungen, Produktionsmitteln, Dienstleistungen und Beratung sowie Investitionen in ländliche Infrastruktur entscheidend. Zentral ist die Förderung von Innovation. Wenn die Investitionen in die öffentliche landwirtschaftliche Forschung in den Entwicklungsländern bis 2013 von US$ 5 auf US$ 10 Milliarden verdoppelt würden, stiege die landwirtschaftliche Produktivität um 1.1 % pro Jahr und würde bis 2020 ungefähr 283 Millionen Menschen über die Armutsgrenze heben.9 2. Reduzierung extremer Marktvolatilität bei Nahrungsmitteln. Eine Neuregelung der Architektur der Finanzsysteme reicht nicht aus. Auch die Regelungen auf den Nahrungsmittelmärkten gehören auf den Prüfstand. Nahrungssicherheit erfordert offene Weltmärkte: Eine Wiederholung der Exportstops vom vergangenen Jahr muss verhindert werden. Zwei weltweite Maßnahmen sind nötig, um die hohe Volatilität auf den Food- Märkten zu verringern, die 2008 ursächlich waren für mehr Hunger und gewalttätige Reaktionen in vielen Ländern. Erstens sollte eine kleine unabhängige physische Reserve (ca. 500 Tausend Tonnen) beim Welternährungsprogramm gehalten werden, die im Notfall rasch zur humanitären Hilfe eingesetzt werden kann. Zweitens sollte (z.B. im Rahmen eines Clubs der G8+) eine virtuelle Reserve mit Interventionsmechanismus geschaffen werden, um extreme Preisspitzen bei Grundnahrungsmitteln zu vermeiden. Dazu würde ein Fonds von ca. US$ 20 Milliarden ausreichen. Normalerweise wäre eine Intervention nicht nötig, und das Signal des Interventionsmechanismus würde genügen, um das Engagement von Spekulanten abzuwenden.10 3. Ausweiten von sozialer Sicherung und Kinderernährung. Soziale Sicherung und Ernährungsmaßnahmen sind notwendig, um die Ernährungsgrundlage der Bedürftigsten zu sichern. Kurzfristige Risiken können durch Cash-Transfers und Beschäftigungsprogramme abgefedert werden, und langfristige negative Auswirkungen können durch Präventionsmaßnahmen wie Schulspeisung und Ernährungsprogramme für Kleinkinder vermieden werden. 4. Einbeziehen der Landwirtschaft in die Klimapolitik. Landwirtschaft, insbesondere in den betroffenen Entwicklungsländern, muss Hilfe für die Anpassung an den Klimawandel erhalten (im Rahmen eines Klima-Fonds) und zugleich sollten rasch Marktanreize geschaffen werden, welche die GHG-Emissionen reduzieren durch Änderungen in der Landnutzung, in der Tierhaltung, und durch angemessenen Stickstoffeinsatz. Die Durchführung diese Maßnahmen muss mit High-Tech (satellitenbasiert) verifiziert werden, um diese Anreize und Investitionen im Bereich Land- und Forstnutzung transparent zu steuern. 5. Stärkung von institutionellen und rechtlichen Hilfen. Die entscheidenden politischen Korrekturen für nachhaltige Nahrungsmittelsicherheit müssen auf nationaler Ebene erfolgen. 8 In India, for example, the average farm size decreased from 2 ha in the 1970s to 1 ha in 2002-03, and in China the size has decreased below 0.5 ha since the 1980s. 9 von Braun J., S. Fan, R. Meinzen-Dick, M. W. Rosegrant, and A. Nin Pratt. 2008. International agricultural research for food security, poverty reduction, and the environment: What to expect from scaling up CGIAR investments and “best bet” programs. Washington, DC: International Food Policy Research Institute. http://www.ifpri.org/pubs/books/oc58.asp 10 von Braun J. and M. Torero. 2009. Implementing physical and virtual food reserves to protect the poor and prevent market failure. Policy Brief 10. Washington, DC: International Food Policy Research Institute. http://www.ifpri.org/pubs/bp/bp010.asp 3
Natürliche Ressourcen und Landwirtschaft werden vorwiegend lokal gemanagt werden. Dezentralisierung bis auf die lokale Ebene, um Ressourcen gut zu managen und Konflikte zu vermeiden, ist dabei hilfreich. Rechtspolitische Regelungen und Rechtshilfe sind essentiell, um den Armen zu helfen, wenn Ressourcenkonflikte drohen. Die Stärkung ihrer Eigentumsrechte ist besonders wichtig. Ein geeigneter Verhaltenskodex für Investoren, die Landerwerb in Entwicklungsländern anstreben, sollte entwickelt werden, um die Bauern vor Ort einzubeziehen und zu schützen. Zugleich müssen Institutionen zur effizienten und gerechten Wasserverteilung gestärkt werden. Starke internationale Führung und gemeinsames Handeln auf globaler Ebene sind imperativ für eine effektive Implementierung der vorgeschlagenen politischen Maßnahmen. Die Europäische Union und Deutschland sollten diese Lösungen im Rahmen der G8, der G20 und der neuen „UN Global Partnership for Agriculture and Food Security“ vorantreiben. Der private Sektor kann ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, sowohl was die Technologie-Komponenten angeht (Bio- und Informationstechnologien, Innovation in der Wasser- und Energienutzung), als auch für Managementunterstützung. Hunger war schon immer ein Problem, das aus humanitären und entwicklungspolitischen Gründen unsere Aufmerksamkeit erforderte. Jetzt und in Zukunft ist die Ernährungsfrage auch eine Sicherheitsfrage, die alle Nationen angeht! Abb. 1 - Rezessions-Szenarien und öffentliche Agrar-Investitionsinitiativen 275 250 Non-recession Maize price Same-investment 250 Price in US$/ton 200 Low-investment 225 150 200 Million children 100 Malnourished children 175 50 150 0 125 2005 2010 2015 2020 Quelle: Results of IFPRI IMPACT scenario analysis, October 2008. 4
Abb. 2— (In-)Effektive Regierungsführung und Nahrungsmittel-Proteste, 2007-08 = Proteste Quelle: J. von Braun, IFPRI; food protests data are from news reports; government effectiveness data are from Governance Matters 2008: Worldwide Governance Indicators database, 1996-2007. Notes: Food protests are defined as strikes, protests, or riots on food or agriculture-related issues since January 2007. Abb. 3— Nahrungsmittel-Proteste Abb. 4 - Proteste nach(In-)Effektivität der und Preise 2007-08 Regierungsführung 800 Maize price Wheat price 20 18 Grain price, US$/ton Violent 600 Rice price 15 Non‐violent # of protests Protests 15 9 9 2 12 400 3 10 9 200 6 12 5 10 8 8 3 0 0 0 0 ‐25th 25‐50th 50‐75th 75‐100th From low to high government effectiveness Quellen: J. von Braun, IFPRI; food protests data are from news reports; grain price data are from FAO 2009a. Notes: Food protests are defined as strikes, protests, or riots on food or agriculture-related issues. A violent food protest is defined as one that involves the use of physical force and/or results in casualties. 5
Abb. 5— Neuere Regierungsinitiativen zu ausländischen Agrar-Direktinvestitionen Quellen: Compiled by IFPRI with data from GRAIN. 2008. Seized: The 2008 landgrab for food and financial security. Barcelona, and news reports. Note: Thicker lines reflect investments >100,000 ha; for some thinner lines, data on investment size is not available. Abb. 6— Staat-zu-Staat Wasserbeziehungen in grenzüberschreitenden Flusssystemen, 1946-1999 International water treaty 157 Military support 7 Non‐military agreement 436 Verbal support 628 Neutral 96 Verbal hostility 414 Hostile acts 56 Military acts 37 Formal war 0 0 100 200 300 400 500 600 Quelle: Data from Wolf, Yoffe, and Giordano. 2003. International Waters: Identifying Basins at Risk. Water Policy 5(1), pp. 31-62. 6
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