Cannabis ist keine Spaßdroge
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fluter Nr. 37 – Thema Drogen 5 „Cannabis ist keine Spaßdroge“ Muss der Konsument vor sich selbst Welche Gefahren gehen für Jugendliche von Drogen aus? Je früher Kinder oder Jugendliche beginnen, Drogen zu konsu- geschützt werden? Unbedingt, sagt mieren, umso schädlicher ist es, weil die Entwicklung beein- die Drogenpolitikerin Maria Eichhorn. trächtigt werden kann und die Gefahr einer Abhängigkeit durch Nicht nötig, sagt der Sozialpädagoge den frühen Konsum steigt. Bernd Dollinger. Beim Thema Drogen Was ist die Rolle des Staates in der Drogenfrage? gehen die Meinungen ziemlich weit Der Staat hat auf jeden Fall die Aufgabe, aufzuklären und den auseinander. Zwei bewusstseinserwei- Menschen zu schützen. Und wenn die Aufklärung alleine nicht ternde Gespräche reicht: Gesetze zu erlassen. Interview: Robert Reick, Foto: Oscar Lebeck Und welche Rolle spielt die Familie? Die Familie trägt im Umgang mit Drogen große Verantwor- tung. Ich erwarte von den Eltern, dass sie mit den Kindern und Jugendlichen über die Problematik sprechen – und natürlich Maria Eichhorn, geboren 1948, war von 2006 bis 2009 auch selbst verantwortungsvoll mit legalen Drogen umgehen. Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion. Zudem ist Werden in Familien illegale Drogen konsumiert, hat das meis- sie Mitglied im Zentralkommitee der Deutschen Katho- tens auch für die Kinder fatale Auswirkungen. liken. Sie plädiert für ein strenges Drogenverbot und stimmte in der Legislaturperiode 2005 bis 2009 gegen Wie wichtig ist die Schule für die Aufklärung? eine Abgabe von künstlichem Heroin an Schwerstabhängige. Es muss schon im Kindergarten beginnen, dass Kinder stark ge- nug gemacht werden, um auch Nein zu sagen. Junge Menschen fluter: Muss man den Drogenkonsum nicht akzeptieren? müssen früh lernen, dass sie nicht alles mitmachen müssen, was Eichhorn: Nein. Wer Drogen konsumiert, begibt sich in eine ihre Freunde oder ihre Clique ihnen sagen. Sie müssen lernen, Gefühlswelt, die von künstlichen Glücksmomenten bestimmt ist. sich selbst eine Meinung zu bilden und selbst Verantwortung für Er vergisst seine Sorgen und meint, es gehe ihm gut. Die Ernüch- ihr Tun zu tragen. terung kommt immer dann, wenn der Drogenrausch abklingt. Und wie sieht ganz konkret eine wirksame Prävention aus? Das ist bei legalen Drogen wie dem Alkohol ähnlich. Wo ist der Gute Projekte setzen auf kommunaler Ebene an. Gastwirte und Unterschied zwischen legal und illegal? kommunale Verantwortliche treffen ein Abkommen, nach dem Sowohl die legalen als auch die illegalen Drogen sorgen für alle Akteure vor Ort gemeinsam präventiv arbeiten und dafür einen bestimmten Kick, ein gutes Gefühl. Sei es durch Nikotin sorgen, dass die Jugendschutzgesetze eingehalten werden. So oder Alkohol oder illegale Drogen bis hin zum Heroin. Der wird bei Festen kontrolliert, ob die Abgabe von Alkohol tatsäch- Grund ist vergleichbar – aber die Auswirkungen können sehr lich dem Gesetz entspricht. Prävention heißt auch, über die Fol- unterschiedlich sein. gen des „Komasaufens“ aufzuklären. Die Einhaltung der Geset- ze und Aufklärung sind notwendig, um Jugendliche vor Sie halten Verbote von Drogen für notwendig. Warum? gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Lokale Netzwerkarbeit Es wäre schön, wenn der Appell an die Vernunft und die Aufklä- kann hier viel erreichen. Neben solchen Initiativen können rung alleine helfen würde, aber das ist leider nicht der Fall, und Kommunen beispielsweise Flatrate-Partys oder den Alkoholkon- deswegen spreche ich mich auch für Verbote aus: um den Men- sum an bestimmten Plätzen verbieten. Verbote allein sind aber schen zu schützen. zu wenig. Die Jugend braucht Räumlichkeiten, wo sie sich trifft und wohlfühlt. Macht ein Verbot die Drogen nicht noch interessanter? Sicher ist gerade für junge Menschen das, was verboten ist, be- Sie haben sich wiederholt gegen die Legalisierung von Canna- sonders interessant und reizt zum Ausprobieren. Aber letztlich bis eingesetzt. Warum sollte das verboten bleiben? soll das Verbot helfen, bewusst zu machen, dass diese Drogen Weil Cannabis, wie durch wissenschaftliche und medizinische gesundheitsschädigend sind. Studien belegt wurde, schon bei einer geringen Menge erhebli-
6 fluter Nr. 37 – Thema Drogen Aus dem Ruder: Manchmal sieht es nicht so aus, als könnten die Menschen Maß halten
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8 fluter Nr. 37 – Thema Drogen che Beeinträchtigungen für die Gesundheit des Konsumenten Die unterschiedliche Behandlung durch den Gesetzgeber liegt haben kann. Es gibt eine Schweizer Studie, die besagt, dass be- sicher auch in unserer Geschichte und Kultur begründet. Alko- reits bei einer kleinen Dosis schwerwiegende Angststörungen hol ist bei uns schon immer von den Menschen hergestellt wor- und in weiterer Folge sogar Realitätsverlust und Entpersonalisie- den – als Wein oder Bier. Und auch Tabak ist in unterschiedli- rung ausgelöst werden können. Bei langfristigem Konsum gibt cher Form schon von alters her als Genussmittel verwendet es eine Reihe von Beeinträchtigungen mit großen gesundheitli- worden. Deswegen haben legale Drogen einen anderen Status in chen Risiken bis hin zur physischen und zur psychischen Ab- unserer Gesellschaft und auch im Staat als die illegalen Drogen. hängigkeit. Es ist keineswegs so, dass Cannabis eine Spaßdroge Dennoch geht es auch bei den legalen Drogen darum, dass wir ist, die man so schnell zwischendurch konsumieren kann. verantwortungsvoll mit ihnen umgehen. Was kritisieren Sie an einer liberalen Drogenpolitik? Bei einer liberalen Drogenpolitik ist nach meiner festen Über- zeugung die Gesundheit des Menschen kein Thema. Denn wenn „Es geht um den kontrollierten die Liberalisierung der Drogen selbstverständlich ist, dann wird die Gefahr, die mit dem Drogenkonsum einhergeht, vernachläs- sigt und verniedlicht. Zugleich geht die wichtige Schutzfunkti- on des Verbots verloren, die eben doch eine Einschränkung des Drogenkonsums bewirkt. Kontrollverlust“ Legalisierungsbefürworter kritisieren die Realitätsferne der Bernd Dollinger, geboren 1973, lehrt Sozialpädagogik Verbote weicher Drogen und das Elend, das durch die Krimina- an der Universität Siegen. Als Mitherausgeber verschie- lisierung harter Drogen entsteht. Sie plädieren für einen kont- dener Publikationen widmete er sich abweichendem Ver- rollierten Kontrollverlust. halten, der Jugendkriminalität, der sozialpädagogischen Ja, es gibt diese These, dass man viele Kosten einsparen könnte, Erziehung des Bürgers, der neuen „Lust am Strafen“ und weil es zum Beispiel nicht zur Beschaffungskriminalität und den der sozialwissenschaftlichen Suchtforschung. Bernd Dollinger ist Mit- damit einhergehenden Folgen, wie Raub und noch schlimmeren glied im Schildower Kreis, einem Netzwerk aus renommierten Wissen- Delikten, kommen würde. Aber letztlich bedeutet „gewähren schaftlern, die sich gegen eine Prohibition aussprechen. lassen“, dass man die Drogenabhängigen sich selbst überlässt und deren Gesundheit letztlich so stark geschädigt werden kann, Interview: Arno Frank dass es bis zum Tod führt. Und deswegen halte ich es für richtig, dass alles versucht wird, den Drogenabhängigen zur Abstinenz fluter: Gehört die Suche nach dem Rausch nicht zum Men- zu verhelfen. Das wäre für mich die richtige Drogenpolitik. schen? Dollinger: Ich halte es für ziemlich naiv, eine Gesellschaft ohne Kann es nicht sein, dass illegale Drogen gerade deshalb so Drogenkultur herbeiführen zu wollen. Viele Menschen suchen schädlich sind, weil Produktion und Vertrieb im Verborgenen im Drogenkonsum offensichtlich Erfahrungen, die ihnen der und ohne öffentliche Qualitätskontrollen stattfinden? Alltag normalerweise nicht bietet. Insofern ist das Idealbild der Natürlich können verunreinigte Drogen eine noch schwerere, völligen Abstinenz unrealistisch. Umso wichtiger ist es aber, den schwierigere oder noch erheblich heftigere Wirkung haben. Drogenkonsum sicher zu gestalten. Aber auch wenn Heroin in einer Fixerstube regelmäßig konsu- miert wird, führt dies zur Gesundheitsschädigung. Eine verun- Wäre demzufolge jede sinnvolle Prävention eine Lehre vom reinigte Droge kann durch Zusatzstoffe schon beim erstmaligen vernünftigen Umgang mit dem Unvernünftigen? Konsum zu gesundheitlichen Schäden führen, aber auch die Der Begriff „Prävention“ ist durch diese Abstinenzvorstellungen „saubere“ Droge ist gesundheitsschädlich. sehr belastet. Wenn man aber präventiv tätig sein will, darf man nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommen. Langfristig gesehen sind ja auch die Drogen, die bei uns erlaubt sind, nicht so richtig gesund. Tabak und Alkohol sind erlaubt – Das hört sich an, als würden Sie den Jugendlichen einen verant- wie entscheidend ist denn dafür, dass der Staat damit auch wortungsvollen Umgang mit Drogen zutrauen? Steuern einnimmt? Den standardisierten Jugendlichen gibt es nicht, sondern sehr Am strikten Rauchverbot in Bayern, das ja vom Volk durch den unterschiedliche Lebenslagen und sozial eingebundene Lebens- Volksentscheid herbeigeführt worden ist, zeigt sich, dass das phasen. Wenn ich zum Beispiel behaupte, „die Jugend“ würde letztlich keine Rolle spielen darf. Der Staat hat in erster Linie die von wiederkehrenden Drogenwellen überrollt, dann ist dies nur Aufgabe, für die Gesundheit seiner Bürger zu sorgen. Und die eine Defizit-Zuschreibung und ich werde mit ihr kaum ernsthaft Steuermittel, die aufgrund von Alkohol und Tabak eingehen, ins Gespräch kommen können. Man muss anerkennen, dass Ju- dürfen nicht maßgebend sein. gendliche eigenständige, kompetente Akteure sind, und auf die- ser Grundlage mit ihnen sprechen. Wie konsequent ist denn die gesetzliche Trennung zwischen legalen und illegalen Drogen? Und was ist denn mit dem 17-Jährigen, der kifft und deshalb in Alle Drogen können schädlich sein, egal ob legal oder illegal. der Schule nicht mehr mitkommt?
fluter Nr. 37 – Thema Drogen 9 Auch hier ist es nicht damit getan, den Drogenkonsum zu unter- Andere wachen aber im Krankenhaus und nicht in der Norma- binden. Man muss sich fragen: Gibt es hier tatsächlich eine eska- lität auf. Ist das Komatrinken ein Problem oder nur ein Zerr- pistische Verhaltenstendenz? Wenn man von einem jungen Men- bild der Medien? schen sagt, dass er sein Leben nicht im Griff hat, weil er Drogen Natürlich ist es ein Problem, wenn die Jugendlichen in manchen nimmt, dann ist die Gefahr einer sich selbst erfüllenden Prophe- Kneipen für einen gewissen Betrag ohne Ende trinken können. zeiung groß. Man weiß aus der Forschung, dass Drogen dann Aber mit diesen Kategorisierungen – die Jugendlichen würden kontrolliert konsumiert werden, wenn jemand sozial eingebun- immer mehr trinken, könnten nicht mit Alkohol umgehen – den ist und Perspektiven hat, zum Beispiel einen Freundeskreis kommt man nicht weiter. Man muss den jungen Menschen auch oder einen Ausbildungsplatz. Dann werden Drogen etwa nur einen gewissen Freiraum geben, mal ein bisschen über die Strän- am Wochenende konsumiert. Fliegt aber jemand wegen seines ge zu schlagen. Sonst sagen sie: „Okay, jetzt habe ich schon eine Drogenkonsums von der Schule, dann werden Dinge in Gang Grenze überschritten, jetzt kann ich gleich weitertrinken.“ gesetzt, die alles schlimmer machen oder Probleme verschärfen. Warum sind Alkohol und Zigaretten, an deren Folgen deutsch- Macht ein Verbot die Drogen noch interessanter? landweit im Jahr Zehntausende sterben, erlaubt und Mari Die Konsumenten wissen doch genau, dass Cannabis verboten huana nicht? ist. Das heißt aber auch: Sie nehmen bewusst ein Risiko in Kauf, Alkohol und Tabak haben durch die Steuern natürlich einen und dieses Risiko macht den Drogenkonsum für manche beson- ökonomischen Nutzen, der in der Politik auch eine Rolle spielt. ders attraktiv. Er ist dadurch noch weniger alltäglich. Bei illegalen Drogen gibt es außerdem mittlerweile eine jahr- zehntelange Erzählung, nach der sie etwas Verbotenes und Die einzigen Drogen, die gesellschaftlich akzeptiert werden, Schlechtes sind. Das hat sich ins kulturelle Gedächtnis eingegra- sind Zigaretten und der Alkohol. Ein Bierchen gehört fast ben. Dabei sollte der staatliche Umgang mit Drogen an klaren schon zum Initiationsritus. empirischen Erkenntnissen orientiert sein. Und wenn man nun Alkoholkonsum gilt als normal unter Erwachsenen. Als schwie- einmal weiß, dass die Kriminalisierung kontraproduktive Effek- rig gelten eher die, die dauerhaft abstinent sind. Dann wird ge- te hat, dann sollte man damit entsprechend vorsichtig sein. sagt: „Na ja, vielleicht hatte er ja mal ein Alkoholproblem.“ Ein kompetenter Alkoholkonsument zu werden, das ist durchaus Gegen Drogen wird weltweit gekämpft, etwa in Kolumbien ge- eine Art Initiationsritus – indem Jugendliche Mengen austesten, gen den Kokaanbau und in Afghanistan gegen den Opiuman- unterschiedliche Arten ausprobieren. Das ist bei anderen Dro- bau. Man stelle sich vor, eine Koalition aus islamischen Natio- gen genauso. Wenn ich dazugehören will, dann konsumiere ich nen würde Deutschland besetzen und als erstes die eben entsprechende Dinge, lerne aber zugleich von der Gruppe, Hopfenfelder in Bayern niederbrennen … wie das ohne gesundheitliche oder psychische Gefahren geht. Ein sehr schönes Beispiel. Es ist unglaublich, wie viel Schaden in Gerade deswegen kommt es darauf an, diesen Prozess sinnvoll diesem „Krieg gegen Drogen“ auf vielen Ebenen angerichtet zu gestalten, anstatt pauschal mit Defiziten zu argumentieren wird. Das geht los mit dem Drogenkonsumenten, der verunrei- oder mit dem strafrechtlichen Hammer draufzuhauen. nigte Substanzen bekommt, weil es keine Kontrolle gibt – bis hin zu unerwünschten Dingen wie der organisierten Kriminali- Gerade in Bayern, wo besonders restriktiv gegen Cannabis vor- tät. So lange diese Gewinne existieren, ist es offensichtlich, dass gegangen wird, gibt es ritualisierte Massenbesäufnisse wie das es Leute gibt, die das Zeug anbauen. Erstaunlich, wie lange man Oktoberfest. Ist das aus Ihrer Sicht glaubwürdig? daran festhält, wo doch die Kontraproduktivität gerade hier sehr Das Oktoberfest ist ein ritualisierter Raum, in dem man über die deutlich ist. Stränge schlagen kann. Wobei das nicht mit einem absoluten Kontrollverlust einhergehen muss. Die Festzelte sind sozusagen Was halten Sie denn von Konsumräumen, in denen kontrol- Räume für den kontrollierten Kontrollverlust, denn die Leute liert Drogen konsumiert werden können? finden anschließend wieder in die Normalität zurück. Das ist eine Quasi-Liberalisierung, die keinen echten Fortschritt bringt, weil die Leute schon verelendet sein müssen, um Zugang zu einem solchen Konsumraum zu haben. Die Frage, woher die- Besoffen, bekifft, verpeilt, se Verelendung rührt, wird dabei nicht beantwortet. verstrahlt und druff Sie sind Mitglied im Schildower Kreis, in dem Wissenschaftler Unter www.drugcom.de kann man einen Test vernetzt sind, die sich gegen die Prohibition aussprechen. Was müsste passieren, damit sich diese Haltung durchsetzt? machen, ob man seinen Drogenkonsum im Es geht immer nur um Bedrohungsszenarien. Nach dem Motto: Griff hat. Dort findet man auch Adressen, wo Achtung, es gibt eine neue Welle, die Jugendlichen sind gefähr- man sich helfen lassen kann. Drugcom.de ist det, wir müssen rigide vorgehen und das verbieten. Wenn es eine ein Projekt der Bundeszentrale für gesundheit- neue Substanz ist, werden einfach die Anhänge zum Betäu- liche Aufklärung, die sich mit Aufklärung und bungsmittelgesetz geändert. Wenn man da ernsthaft Änderun- Vorbeugung befasst. Neben Alkohol, Zigaret- gen herbeiführen will, muss man erst einmal mit einer Wand ten und illegalen Rauschmitteln klärt sie auch der Indifferenz oder anders gelagerten Interessen rechnen. Da über Suchtverhalten bei Computerspielen auf. gibt es eine starke Dämonisierung.
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