Nationaler Aktionsplan 2015-2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland - Hintergründe, Ziele und Strategien
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Nationaler Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland Hintergründe, Ziele und Strategien
2Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Grußworte zum »Nationalen Aktionsplan 2015 – 2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland« 4 Grußwort des Bundesministers für Gesundheit 4 Grußwort der Ministerin Bätzing-Lichtenthäler für den Aktionsplan Masern/Röteln 5 1. Zusammenfassung 6 Hintergrund 6 Ziele 6 Maßnahmen und Aktionen 6 Bevölkerungsgruppen mit besonderem Handlungsbedarf 7 2. Einleitung 8 3. Hintergrund 10 3.1 Medizinische Grundlagen 10 3.2 Prävention der Masern und Röteln 11 3.3 Ziele der WHO 12 3.4 Aktuelle Situation in Deutschland 13 4. Ziele des Aktionsplans 26 4.1 Gesundheitspolitisches Leitziel 26 4.2 Strategische Ziele 26
Inhaltsverzeichnis3 5. Messbare Ziele 28 5.1 Ziel 1: Steigerung des Anteils der Bevölkerung, der einer MMR-Impfung grundsätzlich positiv gegenübersteht 28 5.2 Ziel 2: Bei Kindern im Alter von maximal 15 Monaten Erreichen und Aufrechterhaltung einer 1-Dosis-MMR-Impfquote von über 95 % 30 5.3 Ziel 3: Bei Kindern in den Schuleingangsuntersuchungen Erreichen und Aufrechterhaltung einer 2-Dosen-MMR-Impfquote von über 95 % 32 5.4 Ziel 4: In allen Altersgruppen Erreichen und Aufrechterhaltung einer Bevölkerungsimmunität, die eine Transmission von Masern- bzw. Rötelnviren verhindert 34 5.5 Ziel 5: Steigerung des Anteils der laborbestätigten übermittelten Masern- und Rötelnfälle auf mindestens 80 % (nach WHO-Definition) der klinisch diagnostizierten Masern- oder Rötelnfälle 36 5.6 Ziel 6: Stärkung des Ausbruchsmanagements auf kommunaler Ebene und Berichterstattung von 80 % der jährlich gemeldeten Masern- und Rötelnausbrüche 37 Abkürzungen 40 Glossar 41 6. Literaturhinweise 42 6.1 WHO und ECDC 42 6.2 Deutschland 42 6.3 Maßnahmen 44 7. Anhang 46 7.1 Arbeitsgruppe AG Aktionsplan 46 7.2 Weitere befragte Expertinnen und Experten 47
4 Grußworte zum »Nationalen Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland« Grußworte zum »Nationalen Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland« Grußwort des Bundesministers für Gesundheit Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Region der Weltge- sundheitsorganisation haben sich das Ziel gesetzt, die Masern und Röteln in Europa zu eliminieren. Die Erfahrungen in anderen Ländern haben gezeigt, dass dieses ehrgeizige Ziel erreichbar ist: Mit guten Instrumenten der Gesundheitsüberwachung und hohen Impfquoten lassen sich Masern und Röteln besiegen. Trotz großer Fortschritte bei den von der Ständigen Impfkommission (STIKO) emp- fohlenen Kinderimpfungen – auch gegen Masern und Röteln – werden viele Kinder in Deutschland noch zu spät geimpft und verfügen über keinen altersgemäßen Impf- schutz. Problematisch sind auch die Masernimpflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die großen Masernausbrüche in Berlin und anderen Teilen Deutsch- lands in diesem Jahr machen deutlich, dass dringender Handlungsbedarf bei der Steigerung der Impfquoten besteht. Die Masern und Röteln endgültig zu besiegen, hat für Deutschland eine sehr große Bedeutung. Der »Nationale Ak- tionsplan zur Elimination der Masern und Röteln für 2015–2020« wird einen wichtigen Beitrag für dieses Gesund- heitsziel leisten. Er benennt strategische und messbare Ziele und enthält zahlreiche Vorschläge für Maßnahmen zur Zielerreichung. Die im Präventionsgesetz geplanten gesetzlichen Regelungen zur Verbesserung des Impfschutzes von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – wie die Impfstatuskontrolle bei den regelmäßigen Gesundheitsunter- suchungen und die ärztliche Impfberatung vor Aufnahme eines Kindes in eine Kita – können zahlreiche dieser Ziele wirkungsvoll unterstützen. Zahlreiche wichtige Beteiligte in Bund, Ländern und dem Gesundheitswesen haben sich an der Ausgestaltung des Aktionsplans beteiligt. Für ihre Beiträge und die geleistete Arbeit bei der Entwicklung des Aktionsplans möchte ich mich bei allen bedanken. Die erfolgreiche Umsetzung des Aktionsplans erfordert nun verstärkte Präventionsbemü- hungen und eine enge Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in der Impfprävention. Das Bundesministerium für Gesundheit wird sich zusammen mit dem Robert Koch-Institut und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hieran weiterhin aktiv beteiligen. Ich möchte auch Sie ermutigen, in Ihrem Engagement nicht nachzulassen. Ihr Hermann Gröhe Bundesminister für Gesundheit
Grußworte zum »Nationalen Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland«5 Grußwort der Ministerin Bätzing-Lichtenthäler für den Aktionsplan Masern/Röteln Als Vorsitzende der 88. Gesundheitsministerkonferenz 2015 begrüße ich den »Nationalen Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland«. Masern sind weltweit noch immer eine wesentliche Todesursache bei Kindern. Auch in Deutsch- land gibt es immer wieder zum Teil große Masernausbrüche mit Todesfällen. Röteln sind vor allem in der frühen Schwangerschaft gefürchtet, da sie beim Ungeborenen zu schwerer Behinderung oder zur Fehlgeburt führen können. Die Impfung ist seit vielen Jahren der beste und sicherste Schutz vor Masern und Röteln. Auch Deutschland verfolgt das gemeinsame Ziel der Weltgesundheitsorganisation, Ma- sern und Röteln mithilfe der Impfung zu eliminieren. Hierzu müssen 95 % der Bevölkerung geimpft sein. Auch wenn durch die bisherigen Maßnahmen bereits Verbesserungen der Impfquoten erreicht wurden, bestehen regional noch immer bei Kindern, bundesweit aber vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch Impflücken, die es zu schließen gilt. Um das zu erreichen, führt der »Nationale Aktions- plan 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in Deutschland« konkrete Maßnahmen und die dazu nötigen Akteure in Bund und Ländern auf. Mit vereinten Kräften können die dort gesteckten, messbaren Ziele auf dem Weg zur Masern- und Röteln-Elimination erreicht werden. Die Gesundheitsministerkonferenz 2015 hat sehr begrüßt, dass der Aktionsplan auf Information und Aufklärung der Be- völkerung sowie Freiwilligkeit bei der Impfung setzt. Der Aktionsplan ist Bestandteil der Fortschreibung des von Bund und Ländern 2012 beschlossenen Nationalen Impfplans. Die Geschäftsstelle zum Nationalen Impfplan soll die nötige Koordination zur Umsetzung des Aktionsplans sichern und das zur Zielerreichung so wichtige Zusammenspiel der Akteure fördern. Allen an der Erstellung des Aktionsplans beteiligten Expertinnen und Experten aus der Ärzteschaft, dem Öffentlichem Gesundheitsdienst, der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in Bund und Ländern danke ich auch im Namen aller Länder sehr herzlich für ihre Unterstützung und für die geleistete Arbeit. Die Länder werden den Umsetzungsprozess intensiv unterstützen, um das Ziel der Elimination der Masern und Röteln in Deutschland zu erreichen. Ihre Sabine Bätzing-Lichtenthäler Vorsitzende der 88. Gesundheitsministerkonferenz Staatsministerin des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, Rheinland-Pfalz
6 1. Zusammenfassung 1. Zusammenfassung Hintergrund 3) Bei Kindern in den Schuleingangsuntersuchungen Erreichen und Aufrechterhaltung einer Deutschland hat sich zu den Zielen der WHO EURO 2-Dosen-MMR-Impfquote von über 95 % bekannt, bis zum Jahr 2015 die Eliminierung der 4) In allen Altersgruppen Erreichen und Aufrechterhal- Masern und Röteln anzustreben und danach fortzu- tung einer Bevölkerungsimmunität, die eine Trans- schreiben. Der vorliegende »Nationale Aktionsplan mission von Masern- bzw. Rötelnviren verhindert 2015–2020 zur Elimination der Masern und Röteln in 5) Steigerung des Anteils der laborbestätigten über- Deutschland« nimmt eine Bestandsaufnahme vor und mittelten Masern- und Rötelnfälle auf mindestens formuliert nationale strategische und messbare Ziele. 80 % (nach WHO-Definition*) der klinisch dia Ferner werden konkrete Maßnahmen genannt sowie gnostizierten Masern- oder Rötelnfälle mögliche Aktionen und Akteure vorgeschlagen, die 6) Stärkung des Ausbruchsmanagements auf kommu- zur erfolgreichen Elimination der Masern und Röteln naler Ebene und Berichterstattung von 80 % der beitragen können. jährlich gemeldeten Masern- und Rötelnausbrüche Ziele Maßnahmen und Aktionen Der Aktionsplan formuliert als oberstes strategisches Zu jedem messbaren Ziel sind Vorschläge für Maßnah- Ziel, mit dem Ausdruck eines starken politischen men, konkrete Aktionen und Akteure aufgeführt. Der Willens und mit Unterstützung durch relevante Akteure Aktionsplan beschreibt dabei Maßnahmen, die zum die Masern und Röteln in Deutschland zu eliminieren. Teil bereits im Nationalen Impfplan vorgeschlagen Des Weiteren soll die Bevölkerung zum Thema Masern wurden, und führt diese ggf. weiter aus. Die Aktionen und Masernimpfung aufgeklärt, die Impfquoten für die sind als Vorschläge zu verstehen und können für jedes MR-Standardimpfungen bei Kindern und Erwachsenen Ziel unter Berücksichtigung des lokalen Kontextes und sollen erhöht sowie das Monitoring und die Evalua- der verfügbaren Ressourcen entwickelt bzw. angepasst tion der Durchführung der Masernimpfung optimiert werden. Um Maßnahmen und Aktionen zielgerichtet werden. durchführen zu können, wurden nach vorliegenden Daten Bevölkerungsgruppen mit nicht ausreichendem Die Umsetzung der strategischen Ziele soll anhand von Impfschutz identifiziert, die im Fokus stehen sollten. messbaren Zielen verfolgt und evaluiert werden, die Diese sind im Folgenden benannt. neben dem Zeitpunkt ihrer Erreichung auch Indika- toren oder Daten vorgeben, um Fortschritte bei der Zielerreichung messen zu können. Diese messbaren Ziele sind: 1) Steigerung des Anteils der Bevölkerung, der einer MMR-Impfung grundsätzlich positiv gegenübersteht 2) Bei Kindern im Alter von maximal 15 Monaten Erreichen und Aufrechterhaltung einer 1-Dosis- MMR Impfquote von über 95 % * WHO-Definition der Rate der Laboruntersuchungen: Anteil in Prozent der Masern- oder Rötelnverdachtsfälle mit einer adäquaten Proben- entnahme und Laboruntersuchung (Nenner ohne Verdachtsfälle mit einer epidemiologischen Verlinkung (Kategorie B der Falldefinition)).
1. Zusammenfassung7 Bevölkerungsgruppen mit besonde- • Beschäftigte im Gesundheitswesen • Bevölkerungsgruppen mit einer potenziellen Unter- rem Handlungsbedarf versorgung bzw. die im Ausland geboren wurden (z. B. Roma, Flüchtlinge, Asylsuchende) • K inder im Alter von 11 bis 24 Monaten, insbesonde- • Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlich motivier- re vor Eintritt in Kita ten Impfvorbehalten • 10- bis 17-jährige Jugendliche • Nach 1970 geborene Erwachsene Vision: Dauerhafte Erreichung der Elimination der Masern und Röteln in Deutschland als Beitrag für eine weltweite Eradikation der Masern und Röteln Strategische Ziele Operationalisierbare Ziele Aufklärung und Information Steigerung des Anteils der Bevölkerung, der einer MMR-Impfung grundsätzlich positiv gegenübersteht der Bevölkerung bundesweit Ausdruck eines starken politischen Willens mit Unterstützung durch relevante Akteure Bei Kindern im Alter von maximal 15 Monaten Erreichen und Aufrechterhaltung einer 1-Dosen- MMR-Impfquote von über 95 % bundesweit landesweit mind. 90 % aller Landkreise und Kommunen Erhöhung der Impfquoten Bei Kindern in den Schuleingangsuntersuchungen Erreichen und Aufrechterhaltung einer 2-Dosis- für MR-Standardimpfungen MMR-Impfquote von über 95 % für Kinder und Erwachsene, die nach 1970 geboren sind bundesweit landesweit mind. 90 % aller Landkreise und Kommunen In allen Altersgruppen Erreichen und Aufrechterhaltung einer Bevölkerungsimmunität, die bei einer Inzidenz < 1 Fall pro 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner eine Transmission von Masern- bzw. Rötelnviren verhindert bundesweit Steigerung des Anteils der laborbestätigten übermittelten Masern- und Rötelnfälle auf mindestens 80 % (nach WHO-Definition*) der klinisch diagnostizierten Masern- oder Rötelnfälle Masernfälle Rötelnfälle Optimierung von Monitoring und Evaluation Stärkung des Ausbruchsmanagements auf kommunaler Ebene und Berichterstattung von 80 % der jährlich gemeldeten Masern- und Rötelnausbrüche bundesweit Zielerreichung bis: 2015 2016 2017 2018 Abbildung 1: Übersicht zu den strategischen und operationalisierbaren Zielen des Aktionsplans
8 2. Einleitung 2. Einleitung Die Masern gehören zu den ansteckendsten Infekti- Die Möglichkeit einer Eradikation (d. h. Elimination in onskrankheiten des Menschen. Seit über 40 Jahren allen WHO-Regionen) bis 2020 wird durch die WHO stehen wirksame und gut verträgliche Impfstoffe zur generell für möglich gehalten (s. WHO 2011). Verfügung. Von 2000 bis 2013 konnte weltweit durch Impfungen die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Seit 1984 verfolgen die Mitgliedstaaten der Europä- Masern um 75 % gesenkt werden. Die Elimination ischen Region der WHO das Ziel der Masern-Elimi- wurde bisher nur der Amerikanischen Region der nation. Im Jahr 2003 wurde darüber hinaus das Ziel WHO bescheinigt. Die Masern stellen weltweit noch formuliert, konnatale Rötelnfälle zu verhüten. Im immer eine wesentliche Todesursache bei Kindern dar. Jahr 2005 wurde das Ziel der Elimination der Röteln Für das Jahr 2013 wurde geschätzt, dass immer noch ausgesprochen. Wiederholt wurden die Mitgliedstaaten etwa 146.000 Kinder aufgrund der Masern verstarben, aufgefordert, die Ziele der Europäischen WHO-Region 400 Kinder am Tag. gemeinsam konsequent zu verfolgen und geeignete Strategien zu ihrer Erreichung umzusetzen (s. WHO Auch in der Europäischen Region der WHO werden Europe 2010). Das Ziel der Elimination der Masern weiterhin jedes Jahr zum Teil große Ausbrüche beob- und Röteln in der Europäischen WHO-Region sollte achtet. Wenngleich die Letalität der Masern in Europa bis Ende 2015 erreicht werden. Im Anschluss sollte geringer ist, treten doch regelmäßig bei den Erkrankten die Elimination über drei Jahre, also bis spätestens zum Teil schwere Komplikationen auf. Eine Infektion Ende 2018, durch den Nachweis einer kontinuierlichen mit Rötelnviren führt bei Kindern und Erwachsenen Unterbrechung der endemischen Virus-Transmission typischerweise zu einem leichten Krankheitsbild. verifiziert werden Gefürchtet ist jedoch eine Infektion besonders in der (s. WHO Europe 2012b). frühen Schwangerschaft. Wenn das Virus auf das ungeborene Kind übertragen wird, kann dies zu einer Auch Deutschland hat sich wiederholt zu diesen Zielen schweren Behinderung des Kindes oder zu einer Fehl- bekannt. Bereits im Juni 1998 hat die Gesundheitsmi- geburt führen. Diese konnatale Rötelnembryopathie nisterkonferenz der Länder (GMK) zu einem verstärk- wurde vor Einführung von Impfprogrammen während ten Engagement aufgerufen, die Masernerkrankungen epidemischer Perioden weltweit bei 1 bis 4 Kindern in Deutschland entscheidend zu reduzieren. Die pro 1.000 Lebendgeburten beobachtet. Diese Inzidenz Verpflichtung Deutschlands, die Masern-Elimination wird auch weiterhin für einige Länder ohne ausrei- bis 2015 zu erreichen, wurde von der GMK in einem chend hohe Impfquoten angenommen. Beschluss vom Juni 2011 bestätigt (s. GMK 2011). Im »Interventionsprogramm Masern, Mumps, Röteln Die Impfung stellt seit vielen Jahren eine sichere und (MMR)« des Bundes und der Länder aus dem Jahr hochwirksame Prävention gegen die Masern und 1999 wurden erstmals Leitziele für eine Elimination Röteln dar. Durch Erreichen einer Masern- der Masern festgelegt. Das Programm sah langfristig Röteln-Impfquote mit zwei Impfungen von mindestens eine Senkung der Maserninzidenz auf unter 1 Fall 95 % ist es möglich, eine endemische Virusübertragung pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner pro in einem bestimmten geografischen Gebiet zu unter- Jahr durch konsequente Impfungen mit Kombina brechen (Elimination) (s. WHO 2012b). Das Ziel der tionsimpfstoffen gemäß STIKO-Empfehlungen vor (s. Masern-Elimination verfolgen nunmehr alle sechs Interventionsprogramm 1999). Der Nationale Impfplan WHO-Regionen der Welt (s. WHO 2012a). Bereits im (NIP), der von den Ländern und vom Bund sowie von Jahr 2002 erklärte die WHO- weiteren im Impfwesen Verantwortlichen Anfang 2012 Region Amerika die erfolgreiche Elimination der Ma- veröffentlicht wurde, unterstreicht insbesondere das sern, die sie seitdem aufrechterhalten konnte. WHO-Ziel der Masern- und Röteln-Elimination bis 2015 und regt eine Aktualisierung des deutschen Inter- ventionsprogramms an (s. NIP 2012).
2. Einleitung9 Obwohl die Anzahl der Masernerkrankungen und da- Der seit 1999 veränderten Bevölkerungsimmunität mit auch die Anzahl der Todesfälle und Komplikatio- und Epidemiologie sowie den veränderten rechtlichen nen deutlich gesenkt werden konnte, führten die bisher Rahmenbedingungen und gewonnenen Erfahrungen durchgeführten Maßnahmen in Deutschland bislang wurden in dem vorliegenden Dokument Rechnung ge- nicht zu einer langfristigen Senkung der Masernin- tragen. Die im Kapitel 5 dargestellten Zeiträume zum zidenz auf das von der WHO geforderte Niveau von Erreichen der Ziele orientieren sich an den Vorgaben weniger als 1 Masernfall pro 1 Million Einwohnerin- der WHO und an den bereits beschlossenen nationalen nen und Einwohner und Jahr. Zielen. Der vorliegende »Nationale Aktionsplan 2015–2020 Gegenstand des vorliegenden Aktionsplans sind zur Elimination der Masern und Röteln in Deutsch- in erster Linie Masern und Röteln. Mit einer konse land« ist Bestandteil der Fortschreibung des Nationalen quenten Umsetzung der empfohlenen MMR-Impfun- Impfplans (NIP) und wurde von einer Arbeitsgruppe, gen kann jedoch auch die Inzidenz der Mumpsinfekti- bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern einiger onen in Deutschland deutlich gesenkt werden. Dies ist Länder, des Bundes und weiterer wichtiger Akteure ausdrücklich zu begrüßen. Mumpsinfektionen können, (s. Anhang), erstellt und im Rahmen einer nationalen insbesondere bei Erwachsenen und Kleinkindern, zu Konferenz mit weiteren Expertinnen und Experten schwerwiegenden Komplikationen führen. diskutiert. Er nimmt eine Bestandsaufnahme vor und erneuert nationale strategische und operationalisier- bare Ziele zur Elimination der Masern und Röteln, für deren Erreichen konkrete Maßnahmen vorgeschlagen werden. Aufgrund der unterschiedlichen Situationen bzgl. der Immunität in der Bevölkerung, der Impfra- ten, aber auch bzgl. der Strukturen des ÖGD und der medizinischen Institutionen liegt es im Ermessen der Länder, die vorgeschlagenen Maßnahmen, die ihren Verantwortungsbereich betreffen, mit den einzelnen Akteuren zu entwickeln und umzusetzen. Die sich dabei entwickelnde Dynamik wird weitere wirksame Maßnahmen aufzeigen, die über die in dem vorliegen- den Plan hinausgehen können.
10 3. Hintergrund 3. Hintergrund 3.1 Medizinische Grundlagen (Serologie, Virusgenomnachweis durch PCR z. B. aus Rachenabstrich, Zahntaschenflüssigkeit oder Urin) ist 3.1.1 Masern deswegen zum sicheren Nachweis unerlässlich. Im Fall eines Masernverdachts sollten Proben zur kostenfrei- Masernviren werden durch Tröpfchen sehr leicht en Untersuchung und Verifizierung an das Nationale übertragen. Über 90 von 100 nichtimmunen Personen Referenzzentrum für Masern, Mumps, Röteln (NRZ erkranken nach Kontakt mit einem Masernerkrankten MMR) am RKI gesandt werden. Im Fall eines posi- ebenfalls an dieser Infektion. Vor Einführung der Imp- tiven RNS-Nachweises kann hier auch eine Masern- fung traten die Masern aufgrund der hohen Infektiosität virus-Genotypisierung zur molekularen Surveillance bei fast allen Menschen bis etwa zum 10. Lebensjahr und Nachverfolgung von Infektionsketten erfolgen. auf. Ein klinischer Verdacht auf Masern besteht bei Hinweise zur Labordiagnostik im NRZ MMR sind auf • anfangs moderatem, später auch hohem Fieber, der Internetseite http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/ • Bindehautentzündung, NRZ/MMR/mmr_node.html zu finden. • Husten und wässrigem Schnupfen (Katarrh), • kalkspritzerartigen weißen Flecken auf der Wangen- schleimhaut (Koplik’sche Flecken), 3.1.2 Röteln • einem um den 4. Tag erscheinenden intensiv roten makulopapulösen Hautausschlag, der oft hinter den Die Übertragung der Rötelnviren erfolgt über Tröpf- Ohren beginnt und sich nachfolgend über den gesam- chen oder Nasen-Rachen-Sekrete. Eine Infektion führt ten Körper ausbreitet. bei Kindern und Erwachsenen typischerweise zu einem leichten Krankheitsbild mit Fieber, Hautausschlag und Auch in den westlichen Industrienationen führen Lymphknotenschwellungen. die Masern bei 10 bis 20 % der Erkrankten zu Kom- plikationen, die besonders häufig bei kleinen Kindern Das Krankheitsbild kann jedoch auch völlig untypisch und Erwachsenen auftreten. Diese können sich am sein; bis zu 50 % der Infektionen verlaufen, insbeson- häufigsten als bakterielle Lungen- oder Mittelohr dere bei Kindern, asymptomatisch. Komplikationen entzündungen sowie Durchfällen manifestieren (etwa wie Gelenkentzündungen, Herzmuskel- 5 bis 10 % der Fälle). Bei einem von 1.000 Fällen wird oder Gehirnentzündungen werden selten und beson- eine Gehirnentzündung (Enzephalitis) beobachtet, die ders im höheren Lebensalter beobachtet. Gefürchtet ist zu dauerhaften Schädigungen führen kann und eine eine Infektion in der Schwangerschaft, bei der das Virus Letalität von 10 bis 20 % aufweist. Eine seltene, aber über die Plazenta auf das ungeborene Kind übertragen immer tödlich verlaufende Spätfolge einer Maserner- wird (konnatale Rötelnembryopathie). In Abhängigkeit krankung stellt die subakute sklerosierende Panen- vom Zeitpunkt während der Schwangerschaft kann zephalitis (SSPE) dar, die v. a. bei Kindern auftritt, die eine Infektion zu Fehl-, Tot- oder Frühgeburten führen im 1. Lebensjahr erkrankten. Die Letalität der Masern und/oder mit zum Teil schwersten Behinderungen liegt in Industrienationen etwa bei 0,01 % bis 0,1 %. des Kindes einhergehen. Bei einer Rötelninfektion Eine kausale Therapie der Virusinfektion ist bisher der Mutter während der ersten 12 Schwangerschafts- nicht möglich. Die Behandlung erfolgt symptoma- wochen ist die Gefahr einer Schädigung des Kindes tisch, bakterielle Superinfektionen werden antibiotisch besonders hoch. Ab der 20. Schwangerschaftswoche behandelt. wird nur noch in Ausnahmefällen von Schädigungen berichtet. Die betroffenen Kinder können das Virus Die Masern weisen ein klinisches Bild auf, das mit noch bis zu zwei Jahre nach Geburt ausscheiden. anderen exanthematischen Erkrankungen verwechselt werden kann. Dies trifft besonders zu, wenn die Ma- Die klinische Verdachtsdiagnose, insbesondere bei sernfälle nur sporadisch auftreten. Die Labordiagnostik Fieber und Lymphknotenschwellungen, sollte immer
3. Hintergrund11 labordiagnostisch abgesichert werden. Auch bei den Aufgrund der langen Erfahrung mit den Impfstoffen Röteln ist in den ersten sieben Tagen nach Exanthem- kann die Sicherheit der Impfstoffe gut eingeschätzt beginn ein RNS-Nachweis aus Zahntaschenflüssig- werden. Schwere Komplikationen der Impfung, wie keit und Urin möglich. Positive Proben können auch allergische Reaktionen, sind sehr selten. Impfassozi- genotypisiert werden. Diese Untersuchungen sind ierte neurologische Erkrankungen, wie eine Menin- für die molekulare Surveillance und Bewertung von goenzephalitis oder ein Guillain-Barré-Syndrom, Übertragungsketten sehr wichtig. Im Fall eines Rö- wurden in wenigen Einzelfallberichten beschrieben. In telnverdachts sollen unbedingt Proben zur kostenfreien sehr seltenen Fällen (bei 1 bis 3 Kindern pro 100.000 Untersuchung und Verifizierung an das NRZ MMR Impfstoffdosen) kann sich eine idiopathische thrombo- am RKI gesandt werden. Hinweise zur kostenfreien zytopenische Purpura (ITP) nach einer MMR-Impfung Labordiagnostik im NRZ MMR sind auf der Internet- ausbilden, wobei die ITP-Inzidenz nach einer Wildvi- seite http://www.rki.de/DE/Content/Infekt/NRZ/MMR/ rus-Maserninfektion deutlich höher liegt. Die Autoren/ mmr_node.html zu finden. in des Cochrane Reviews aus dem Jahr 2012 konnten keine Assoziation der MMR-Impfung mit Autismus, Asthma, Leukämie, Diabetes, M. Crohn oder mit 3.2 Prävention der Masern und Rö- demyelisierenden Erkrankungen nachweisen (Demiche- li et al. 2012). teln Die Impfung ist kontraindiziert bei Personen mit be- 3.2.1 Primärprävention: stimmten Formen einer Immunschwäche, bei Bestehen einer Allergie gegenüber einem der Inhaltsstoffe der Impfungen Impfung und während der Schwangerschaft. Eine Übertragung von Masern- oder Röteln-Impfviren Impfungen stellen die einzige mögliche Primärpräven- auf empfängliche Kontaktpersonen ist bisher nicht tion der Masern- und Rötelnerkrankung dar. Unabhän- beschrieben worden. Mathematische Modellierungen gig vom Impfalter (mindestens aber 9 Monate) und haben gezeigt, dass eine Immunität von 95 % in der geografischer Region wurde die Wirksamkeit einer Bevölkerung eine Unterbrechung der fortgesetzten einmaligen Masernimpfung, eine Masernerkrankung Transmission der Masern und der Röteln bewirkt und zu verhindern, im Durchschnitt mit 91 % in bevölke- damit auch indirekt (bisher) Ungeimpfte geschützt rungsbezogenen Studien berechnet. In Kohortenstudien werden können (sog. Herdenschutz). (Italien, Großbritannien und Singapur) lag sie bei 94 bis 95 %. Die Impfeffektivität der zweimaligen Maser- nimpfung zur Verhinderung einer Masernerkrankung 3.2.2 Sekundärprävention: lag zwischen 93 und 99 %. Die Impfstoffe sind Leben- dimpfstoffe und hinterlassen, wie die Wildvirusinfekti- Fall- und Ausbruchskontrolle on, höchstwahrscheinlich eine lebenslange Immunität. Sie werden seit über 40 Jahren global angewendet und Trotz einer mittlerweile hohen Immunität in der Bevöl- haben zu einer wesentlichen Reduktion der Masern- kerung finden sich in Deutschland weiterhin todesfälle und damit auch der Gesamtsterblichkeit bei Bevölkerungsgruppen, die aus verschiedenen Gründen Kindern geführt. In Deutschland sind Kombinations- (bisher) nicht geimpft werden konnten (Säuglinge, impfstoffe gegen Masern-Mumps-Röteln (MMR) bzw. Personen mit Kontraindikationen für die Impfungen) gegen Masern-Mumps-Röteln-Varizellen (MMRV) oder einen unvollständigen Impfschutz aufweisen. verfügbar. Darüber hinaus ist in sehr geringen Mengen Dazu gehören Kleinkinder, Jugendliche und junge Er- ein monovalenter Impfstoff gegen Masern erhältlich. wachsene, Impfskeptiker oder Menschen, die schwer Zugang zum Gesundheitssystem finden. Wird eine
12 3. Hintergrund Infektion in diese Gruppen hineingetragen, so kann 3.3.2 Vorgeschlagene Strategien der dies zu ausgedehnten Ausbrüchen mit teilweise langen Infektionsketten führen. Bei Verdacht auf eine Masern- WHO zur Erreichung der oder Rötelnerkrankung ist daher ein umgehendes und Elimination konsequentes (optimalerweise im Vorfeld geplantes) Vorgehen erforderlich, um Infektionsketten zu unter- Die folgenden von der WHO für den Zeitraum 2012 brechen. Hierzu gehört auch die umgehende Meldung bis 2020 vorgeschlagenen Strategien gründen sich auf eines Verdachts-, Erkrankungs- oder Todesfalls an das Erfahrungen aus den USA und einigen europäischen zuständige Gesundheitsamt, das so schnell wie möglich Ländern, die die Elimination bereits erfolgreich umge- notwendige Maßnahmen zur Untersuchung und Verhin- setzt haben: derung weiterer Fälle vornimmt. • Erreichen und Aufrechterhaltung von sehr hohen Impfquoten für die zweifache Masern- und mindes- Auf internationaler Ebene arbeiten die zuständigen tens einmalige Rötelnimpfung bei mindestens 95 % nationalen Behörden eng zusammen, um auch gren- der Bevölkerung durch ein umfassendes und effekti- züberschreitende Übertragungsketten schnell erkennen ves Routine-Impfprogramm und möglichst schnell unterbrechen zu können (ECDC • Angebote für Impfungen gegen Masern und Röteln, 2009). Diese Zusammenarbeit setzt eine unverzügliche auch durch zusätzliche Impfaktionen, für alle Bevöl- Meldung und Übermittlung der Masern- und Rötelnfäl- kerungsgruppen mit nicht ausreichender Immunität le auf nationaler Ebene voraus. und damit erhöhtem Risiko einer Erkrankung • Erlangung einer breiten Akzeptanz für die Impfung in der Öffentlichkeit sowie in Fachkreisen durch eine 3.3 Ziele der WHO aktive qualifizierte Kommunikation und die Verfüg- barkeit adäquater Informationen über den Nutzen 3.3.1 Definition der Elimination von und die Risiken von Masern- und Rötelnimpfungen • Überwachung der Masern und Röteln mittels einer Masern und Röteln effektiven Surveillance, um unverzüglich bei Auftre- ten von einzelnen Fällen und Ausbrüchen reagieren Die Masern und Röteln (und damit auch die konnatale zu können Rötelnembryopathie) gelten in einem Land als elimi- • Unverzügliche Kontrolle der Masern und Röteln niert, wenn eine endemische Mensch-zu-Mensch-Über- durch ein konsequentes Ausbruchsmanagement und tragung über einen Zeitraum von mindestens 12 Mo- adäquate Falluntersuchungen insbesondere von spo- naten nicht mehr nachgewiesen werden kann. Dieser radischen Verdachtsfällen Nachweis kann nur mithilfe eines qualitativ hochwerti- • Entwicklung und Durchführung von Forschungspro- gen Surveillancesystems erfolgen. Die Bestimmung der jekten zu Fragestellungen der Kosteneffektivität von Genotypen der zirkulierenden Masern- und Rötelnviren Impfungen und zur Verbesserung von Impfquoten unterstützt ganz wesentlich die Verifizierung einer und Labordiagnostik Unterbrechung der endemischen Verbreitung und ist damit unverzichtbar. Die Elimination der Masern und Röteln in der Europäischen WHO-Region ist erreicht, wenn über einen Zeitraum von mindestens 36 Monaten eine endemische Transmission mithilfe hochwertiger Surveillancesysteme in allen Mitgliedstaaten ausge- schlossen werden kann.
3. Hintergrund13 3.3.3 Indikatoren zur Messung des Einschätzung der Situation nützlich sind und noch nicht vorliegen. Erfolges der Strategien Die Kommission berichtet der regionalen Verifizie- Als indirekte Anzeichen für die Umsetzung erfolgrei- rungskommission der Europäischen WHO-Region cher Strategien in einem Mitgliedstaat gelten in der regelmäßig über den Stand der Elimination in Deutsch- Europäischen Region der WHO die folgenden Indika- land. Dazu verfasst sie jährlich Berichte und stellt sie toren: dem europäischen WHO-Regionalbüro sowie dem • Reduktion und Aufrechterhaltung einer Masern- bzw. BMG und weiteren verantwortlichen Akteuren zur Rötelninzidenz von weniger als 1 Fall pro Verfügung. 1 Million Einwohnerinnen bzw. Einwohner und Jahr bei Vorliegen eines qualitativ hochwertigen Surveil- lancesystems (für Deutschland also weniger als 80 3.4 Aktuelle Situation in Fälle) • Erzielen einer dauerhaften Impfquote von mindes- Deutschland tens 95 % für 2 MMR-Impfungen im Rahmen des Routine-Impfprogramms auf nationaler, regionaler 3.4.1 Ziele des Nationalen Impfplans sowie lokaler Ebene • Spezifische Indikatoren zur Einschätzung der Qualität von 2012 eines adäquaten Surveillancesystems zur Verifizierung der Elimination der Masern und Röteln Im Nationalen Impfplan (NIP) aus dem Jahr 2012 wur- de die Elimination der Masern und Röteln als wichti- ges Ziel erneut herausgestellt. So wurde betont, dass 3.3.4 Verifizierung des Standes der für eine dauerhafte Senkung der Maserninzidenz eine Immunität gegen Masern bei 95 % der Bevölkerung Elimination in Deutschland vorliegen muss. Von diesem Anteil kann in Deutsch- land nur bei Erwachsenen ausgegangen werden, die Im Dezember 2012 hat das Bundesministerium für vor 1970 (vor Einführung der Masernimpfung) gebo- Gesundheit (BMG) die Nationale Verifizierungskom- ren sind und Immunität durch eine Maserninfektion mission Masern/Röteln für Deutschland nach Vorgaben erworben haben. Für jüngere Personen ist eine Immu- der WHO berufen. Die Kommission stellt Daten zur nität durch Impfungen zu erreichen. In Bezug auf die Masern-/Röteln-Epidemiologie sowie zur Immunität Masern und Röteln sieht der NIP unter anderem das in der Bevölkerung zusammen und bewertet sie im folgende Impfziel bis 2015 vor: Hinblick auf die Erreichung der Eliminationsziele. • Steigerung der Impfquote für die 1. und 2. MMR-Impfung bei Kindern und Jugendlichen in Um sich einen Überblick über den Stand der Um- allen Regionen der Bundesrepublik auf 95 %. setzung zielführender Maßnahmen zu verschaffen, kommen besonders Meldedaten nach Infektions- Ferner wurde das weitere Ziel formuliert, einen ausrei- schutzgesetz (IfSG), Daten des NRZ MMR am RKI zu chenden Impfschutz für Frauen im gebärfähigen Alter zirkulierenden Genotypen und Virusvarianten, Daten in Bezug auf die Röteln zu erreichen. Es wird darüber zur Immunität in der Bevölkerung (z. B. Impfquoten hinaus betont, dass für die Evaluation der Impfziele die aus Schuleingangsuntersuchungen, aus Daten der Surveillance der impfpräventablen Erkrankungen, des KV-Impfsurveillance oder Serosurveys) und ande- Impf- und Immunstatus und der Impfkomplikationen re Quellen zur Anwendung. Die Kommission kann noch deutlich verbessert werden sollte. Der Nationale Vorschläge unterbreiten, welche weiteren Daten zur Aktionsplan zur Eliminierung der Masern und Röteln
14 3. Hintergrund ist als weitere Konkretisierung des NIP in Bezug auf fälle gemeldet und übermittelt. Seit April 2013 ist die die Erreichung der oben genannten und weiterer Ziele fallbasierte Meldepflicht für Röteln nach IfSG § 6 (1) sowie auf mögliche Maßnahmen zu verstehen. und § 7 (1) bundesweit vorgeschrieben. Die Falldefini- tionen für die postnatalen und konnatalen Rötelnfälle Die 86. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) hat entsprechen den WHO-Richtlinien vom Dezember im Juni 2013 beschlossen, dass die Umsetzung, Über- 2012. prüfung der Umsetzung und Fortschreibung des NIP auf Grundlage einer Struktur erfolgen soll, die mit den Das Gesundheitsamt führt die namentlich gemelde- Ländern und dem BMG abgestimmt wurde. Wesentli- ten Erkrankungen, Todesfälle sowie Nachweise von che Elemente dieser Struktur sind eine Lenkungsgrup- Krankheitserregern gemäß den vorgegebenen Falldefi- pe und von ihr eingesetzte Arbeitsgruppen sowie eine nitionen zusammen. Nach IfSG übermittelt es ausge- Geschäftsstelle. wählte anonymisierte Daten spätestens am folgenden Arbeitstag an die zuständige Landesbehörde und diese spätestens am folgenden Arbeitstag an das RKI. Die 3.4.2 Rechtliche Rahmenbedingun- Daten werden vom RKI regelmäßig bewertet und publiziert sowie monatlich an das European Centre for gen Disease Prevention and Control (ECDC) übermittelt, das wiederum die Daten aller Mitgliedstaaten regelmä- 3.4.2.1 Meldung und Übermittlung eines Ver- ßig an die WHO weiterleitet. dachts-, Erkrankungs- oder Todesfalls nach IfSG 3.4.2.2 Verhütung impfpräventabler Krankheiten Masern: Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) regelt seit 2001 nach § 6 (1), dass ein Krankheitsverdacht, eine Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurden Erkrankung und ein Todesfall durch Masern an das die Schutzimpfungen in den Pflichtleistungskatalog zuständige Gesundheitsamt namentlich zu melden sind der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. (Arztmeldung). Ferner ist nach § 7 (1) der Nachweis Gemäß § 20d Sozialgesetzbuch V (SGB V) in Verbin- der Masern zu melden (Labormeldung). Nach § 9 (3) dung mit § 132e haben die gesetzlichen Krankenkassen IfSG hat diese namentliche Meldung unverzüglich zu den Sicherstellungsauftrag für die Versorgung ihrer erfolgen und sollte spätestens innerhalb von 24 Stun- Versicherten mit Schutzimpfungen. Hierzu schlie- den nach erlangter Kenntnis dem zuständigen Gesund- ßen sie mit Kassenärztlichen Vereinigungen, Ärzten, heitsamt vorliegen. Sie darf wegen einzelner fehlender deren Gemeinschaften, Einrichtungen mit geeignetem Angaben nicht verzögert werden. Die Nachmeldung ärztlichen Personal oder dem Öffentlichen Gesund- oder Korrektur von Angaben hat unverzüglich nach heitsdienst (ÖGD) Verträge über die Durchführung von deren Vorliegen zu erfolgen. Schutzimpfungen ab. Einzelheiten zu Voraussetzungen und Art und Umfang der Leistungen bestimmt der Röteln: Seit 1980 besteht in der Bundesrepublik die Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf Grundlage Meldepflicht für die konnatalen Röteln; in der DDR der Empfehlungen der STIKO am RKI. Die Leistun- wurde sie 1983 eingeführt. Die seit 2001 bestehende gen werden in der Schutzimpfungsrichtlinie des G-BA Meldepflicht eines Labornachweises nach IfSG sah festgeschrieben. keine Falldefinition vor. Im März 2013 wurde eine überarbeitete deutschlandweite Meldepflicht für konna- Das IfSG regelt vielfältige Aufgaben des ÖGD, die das tale Rötelnfälle (Arzt- und Labormeldepflicht) inkl. Impfen betreffen. Die zuständige obere Bundesbehör- einer Falldefinition in Kraft gesetzt. Über eine Landes- de, die obersten Landesgesundheitsbehörden und die verordnung mit erweiterter Meldepflicht wurden in den von ihnen beauftragten Stellen sowie die Gesundheits- östlichen Bundesländern seit 2001 postnatale Röteln- ämter haben die Aufgabe, die Bevölkerung über die Bedeutung von Schutzimpfungen zu informieren (§ 20
3. Hintergrund15 (1) IfSG) und somit auf einen ausreichenden Impf- Beschäftigten eine Pflichtvorsorge zu veranlassen und schutz in der Bevölkerung hinzuwirken. In Zusammen- diese regelmäßig zu wiederholen, sobald sie gezielte arbeit mit den Gemeinschaftseinrichtungen sollen die Tätigkeiten mit dem Masern- oder Rötelnvirus ausüben Gesundheitsämter über die Bedeutung eines vollstän- oder im Rahmen einer nicht gezielten Tätigkeit in Ein- digen, altersgemäßen und nach den Empfehlungen der richtungen zur medizinischen Untersuchung, Behand- STIKO vollständigen Impfschutzes aufklären (§ 34 lung und Pflege von Menschen oder in Einrichtungen (10) IfSG). Letzteres gilt insbesondere im Rahmen der zur vorschulischen Betreuung von Kindern arbeiten. Ermittlungen und des Managements von Masern- und Obwohl die Masern zunehmend ältere Kinder und Rötelnfällen oder Ausbrüchen. Die obersten Landes- Jugendliche betreffen, bleiben Gemeinschaftseinrich- gesundheitsbehörden sprechen öffentliche Impfemp- tungen für diese Altersgruppen in der Verordnung für fehlungen aus (§ 20 (3) IfSG) und können anordnen, arbeitsmedizinische Vorsorge (ArbmedVV) unerwähnt. dass die Gesundheitsämter unentgeltlich Schutzimp- fungen gegen bestimmte übertragbare Erkrankun- 3.4.2.3 Bekämpfung impfpräventabler Krankheiten gen durchführen (§ 20 (5) IfSG). Dabei geht es um Schutzimpfungen, die für den Gesundheitsschutz der Im Falle einer Masern-/Rötelnerkrankung oder eines gesamten Bevölkerung von Bedeutung sind. Ferner -verdachts stellt das zuständige Gesundheitsamt die er- hat der ÖGD die Aufgabe, im Rahmen der Schul forderlichen Untersuchungen und Probenentnahmen an eingangsuntersuchungen Impfquoten zu erfassen und (§ 25 (1) und § 25 (3) IfSG). Bekannt gewordene Sach- diese über die oberste Landesgesundheitsbehörde an verhalte einschließlich der getroffenen Maßnahmen das RKI in geeigneter Form zu übermitteln sind an die zuständige Behörde der Länder und weiter (§ 34 (11) IfSG). an den Bund zu melden (§ 11 IfSG und Entscheidung Nr. 2119/98/EG des Europäischen Parlaments und des Die Umsetzung ist in ÖGD-Ländergesetzen sehr Rates). Ferner trifft das Gesundheitsamt die erforder- unterschiedlich geregelt. Es finden sich im Wesentli- lichen Schutzmaßnahmen (§ 28 (1) IfSG). Dazu kann chen Vorgaben, auf einen ausreichenden Impfschutz es nötig sein, Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile in der Bevölkerung hinzuwirken und die Durchfüh- davon zu schließen (§ 28 (1) in Verbindung mit § 33 rung öffentlich empfohlener Impfungen zu fördern. IfSG). Erkrankte oder Krankheitsverdächtige können Die Impfungen können von den Gesundheitsämtern einer Beobachtung und weiteren Untersuchungen selbst durchgeführt werden oder in Zusammenarbeit unterworfen werden (§ 29 (1 und 2) IfSG). An Masern mit anderen Leistungserbringern erfolgen. Dazu sollen oder Röteln Erkrankte können in geeigneter Weise die Länder mit anderen Leistungs- und Kostenträ- abgesondert werden und einem beruflichen Tätigkeits- gern Rahmenvereinbarungen über Organisation und verbot unterworfen werden (§ 30 (1) und § 31 IfSG). Finanzierung der Impfungen abschließen. Nur wenige Länder sehen allerdings in ihren ÖGD-Gesetzen noch Für Kranke und Krankheitsverdächtige besteht ein Ver- die Verpflichtung vor, subsidiär selbst Impfungen bot, Gemeinschaftseinrichtungen zu betreten oder dort durchzuführen. Ferner konnten noch nicht alle Länder eine Tätigkeit auszuüben, bis nach ärztlichem Urteil Rahmenvereinbarungen mit den Kassen abschließen. eine Weiterverbreitung der Masern oder Röteln nicht mehr zu befürchten ist (§ 34 (1) IfSG). Gleiches gilt für Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz wird durch die Mitglieder der Wohngemeinschaft, in der die Ma- das Arbeitsschutzgesetz und die darauf basierenden sern oder Röteln aufgetreten sind (§ 34 (3) IfSG). Ver- Fachverordnungen geregelt. Impfungen sind dabei botsverfügungen sind hier nicht weiter notwendig, da Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge und dies das IfSG direkt vorschreibt. Die betroffene Person den Beschäftigten anzubieten, soweit das Risiko einer bzw. der Sorgeinhaber muss der Gemeinschaftseinrich- Infektion tätigkeitsbedingt und im Vergleich zur Allge- tung unverzüglich mitteilen, dass ein entsprechender meinbevölkerung erhöht ist und noch kein ausreichen- Verdacht oder eine Erkrankung vorliegt. Hierzu muss der Immunschutz vorliegt. Der Arbeitgeber hat für die
16 3. Hintergrund die Gemeinschaftseinrichtung neu betreute Personen 3.4.3 Infektionsepidemiologische bzw. deren Sorgeberechtigte belehren (§ 34 (5) IfSG). Die Leitung der Gemeinschaftsein- Surveillance der Masern und richtung wiederum hat das zuständige Gesundheitsamt Röteln in Deutschland unverzüglich zu benachrichtigen und krankheits- und personenbezogene Angaben zu machen (§ 34 (6) IfSG). Die epidemiologische Masern- und Röteln-Sur Das Gesundheitsamt kann gegenüber der Leitung einer veillance liefert Aussagen zur regionalen und alters Gemeinschaftseinrichtung anordnen, dass das Auftre- spezifischen Morbidität und Mortalität durch Masern ten einer Masern- oder Rötelnerkrankung oder eines und Röteln. Ferner werden Daten zur Einschätzung hierauf gerichteten Verdachts ohne Hinweis auf die der Immunität gegen Masern und Röteln erhoben. Um betreffende(n) die Qualität eines Surveillancesystems abschätzen und Person(en) in der Gemeinschaftseinrichtung bekannt damit eine hinreichende Surveillance sicherstellen zu gegeben wird (§ 34 (8) IfSG). können, hat die WHO Qualitätskriterien entwickelt, die jedes Mitgliedsland erfüllen sollte. Die Einhaltung Bei weiteren Ansteckungsverdächtigen nach (§ 2(7) der Qualitätskriterien wird jährlich von der Nationalen IfSG), zum Beispiel weitere Mitglieder der Gemein- Verifizierungskommission geprüft. schaftseinrichtung, müssen zunächst sorgfältig die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Anhörung 3.4.3.1 Epidemiologie der Masern (Stand: 15.01.2015) ermittelt werden, insbesondere ob bei Nichtgeimpften Seit Einführung der Masern-Meldepflicht im Jahr Tatsachen vorliegen, die einen Ansteckungsverdacht 2001 ist die Anzahl der übermittelten Masernfälle für begründen. Dies kann sich durchaus als Herausforde- Deutschland aufgrund stetig steigender Impfquoten ins- rung herausstellen und benötigt unter Umständen einen gesamt deutlich gesunken. Die jährlich zum Teil stark Dialog mit den zuständigen Landesbehörden. schwankende Anzahl von Masernfällen zeigt jedoch seit 2007 keine Tendenz zu einem weiteren Rückgang der Fälle unter die angestrebte Inzidenz von < 1 Fall pro 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner (Abbildung 2). Ob diese Zahlen Ausdruck einer weiterhin bestehenden 100 westliche Bundesländer (einschl. Berlin) östliche Bundesländer Inzidenz pro 1.000.000 Einwohner/-innen 87,8 90 80 70 65,5 60 50 40 33,0 30 22,4 22,6 20 16,2 10,7 10,9 12,8 11,0 7,6 8,2 8,1 6,3 6,0 10 3,6 2,1 1,7 0,6 2,2 2,0 2,2 2,4 2,3 0,4 0,6 1,9 0,0 0 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Jahr Abbildung 2: Maserninzidenz pro 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner, östliche und westliche Bundesländer 2001 bis 2014; Berlin zu westlichen Bundesländern (Stand: 15.01.2015)
3. Hintergrund17 endemischen Übertragung der Masernviren in Deutsch- Folge der steigenden Impfquoten nahm die Viruszir- land sind oder ob Importe, auch in Abhängigkeit von kulation ab. Demzufolge hatten Jugendliche und junge internationalen Maserngeschehen, zu zum Teil langen, Erwachsene, die zu Zeiten niedrigerer Impfquoten als auch länger als 12 Monate währenden Transmissions- Kinder nicht geimpft worden waren, ein geringeres ketten der Masern führen, die nach einer bestimmten Risiko, an Masern zu erkranken. Die empfänglichen Zeit abbrechen und durch andere Genotypen abgelöst Jahrgänge verschieben sich so im Laufe der Zeit immer werden, kann mit den zur Verfügung stehenden Daten weiter in höhere Altersgruppen. bisher nicht immer eindeutig unterschieden werden. Durch eine fehlende Immunität der Mütter können In den westlichen Bundesländern (inklusive Berlin) während der Schwangerschaft keine Antikörper von wurde seit 2001 stets eine deutlich höhere Masern den Müttern auf die Ungeborenen übertragen werden inzidenz im Vergleich zu den östlichen Bundeslän- (fehlender Nestschutz). Dies führt dazu, dass ihre dern beobachtet (Abbildung 2). Besonders betroffen Säuglinge in den ersten Lebensmonaten über keinen waren hier in den letzten Jahren Bayern, Berlin und Schutz gegen Masern und Röteln verfügen und – Baden-Württemberg. Im Jahr 2013 stiegen die Inziden- sofern kein Herdenschutz aufgrund hoher Impfquoten zen der Masern jedoch auch in Brandenburg, Sachsen, in der Umgebung vorherrscht – ein erhöhtes Risiko Sachsen-Anhalt und Thüringen an. Seit 2003 ist eine für eine Infektion haben. So werden die höchsten Verschiebung der Altersverteilung der an Masern Er- Inzidenzen bei 0- und 1-jährigen Kindern beobachtet. krankten zu erkennen (Abbildung 3). Während in Deutschland in anderen Altersgruppen Lag im Jahr 2003 der Anteil der übermittelten Ma- aufgrund steigender Impfquoten die Maserninzidenz sernfälle im Alter bis 9 Jahren noch bei rund 70 %, so fiel, blieb diese bei den 0- bis 1-jährigen Kindern eher waren es im Jahr 2013 nur noch 29 %, im Jahr 2014 konstant hoch. Das ist ein Zeichen dafür, dass sich 37 %. Rund 40 % der übermittelten Masernfälle waren ein ausreichender Herdenschutz bislang noch nicht im Jahr 2014 20 Jahre oder älter. Die Verschiebung der ausgebildet hat. Zum Schutz dieser Altersgruppe ist Altersverteilung kann damit erklärt werden, dass die eine zeitgerechte Impfung der Kinder ab 11 Monaten Impfquoten über die letzten Jahrzehnte deutlich gestie- besonders wichtig. gen sind. Entsprechend sind junge Kinder heutzutage zu einem hohen Anteil durch Impfungen geschützt. Als 100% 90% 80% 70% 6.139 Masernfälle 4.564 Masernfälle 766 Masernfälle 123 Masernfälle 781 Masernfälle 2.308 Masernfälle 570 Masernfälle 914 Masernfälle 568 Masernfälle 780 Masernfälle 1.608 Masernfälle 165 Masernfälle 1.769 Masernfälle 446 Masernfälle 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 > 20 Jahre 15–19 Jahre 10–14 Jahre 5–9 Jahre 1–4 Jahre < Jahr Jahr Abbildung 3: Anteil der Altersgruppen an den übermittelten Masernfällen pro Jahr in Deutschland von 2001 bis 2014 (Stand: 15.01.2015)
18 3. Hintergrund 3.4.3.2 Epidemiologie der Röteln (Stand: zidenzen ab einem Alter von 20 Jahren unter 1 Fall pro 15.01.2015) 1 Million Einwohnerinnen und Einwohner (Abbildung 4). Rund 49 % der Rötelnfälle waren weiblich. Von den 3.4.3.2.1 Postnatale Röteln 152 Fällen waren jedoch nach Angaben der Gesund- Eine bundesweite Meldepflicht für Röteln nach IfSG heitsämter lediglich 39 Fälle (rund 26 %) labordia trat in Deutschland Ende März 2013 in Kraft. Für die gnostisch bestätigt oder mit einem labordiagnostisch östlichen Bundesländer liegen bereits seit 2001 Mel- bestätigten Fall epidemiologisch verlinkt worden. dedaten vor. Diese belegen seit 2004 (außer im Jahr 2012) eine jährliche Meldeinzidenz von < 1 Fall pro 1 3.4.3.2.2 Konnatale Röteln Million Einwohnerinnen und Einwohner. Diese Daten Bis zum Jahr 2005 wurden jährlich zwischen 1 und können jedoch aufgrund unterschiedlicher historischer 7 Fällen gemeldet. Hochrechnungen anhand von Daten Impfkonzepte nicht als repräsentativ für die gesamte großer Laboratorien ließen jedoch eine Fallzahl von Bundesrepublik angesehen werden. Auch für die nun jährlich 50 bis 100 Fällen vermuten (s. RKI 2000 und für ganz Deutschland erhobenen Daten muss aufgrund RKI 1997). Seit 2005 wurden allerdings auch in den des recht unspezifischen Krankheitsbildes von einer Krankenhäusern kaum noch konnatale Rötelnembryo- Untererfassung im passiven Meldesystem ausgegangen pathien diagnostiziert. Hier, wie auch in der Surveillan- werden. ce, wurden jährlich nur noch 0 bis 2 Fälle dokumentiert. Im Jahr 2014 wurde dem Die Referenzdefinition des RKI schließt lediglich die RKI kein konnataler Fall übermittelt, im Jahr 2013 1 Kategorien B (klinisch-epidemiologisch) und C (labor- Fall. Seit 2005 liegt die Inzidenz der konnatalen Rötel- diagnostisch bestätigt) ein. Nach Richtlinien der WHO nembryopathie unter Berücksichtigung aller bekannten und der EU sollen jedoch an die internationalen Behör- Fälle somit bei < 1 Fall/100.000 Lebendgeborene. den auch rein klinisch diagnostizierte Rötelnfälle über- mittelt werden (Kategorie A). Für das Jahr 2014 wurden 3.4.3.3 Molekulare Surveillance in Deutschland insgesamt 152 Rötelnfälle der Meldekategorie A–C an das RKI übermittelt. Die höchsten Inzidenzen wurden Masernviren können anhand genetischer Merkmale bei den 0- bis 1-jährigen Kindern errechnet. Außer in charakterisiert und damit einzelnen Infektionsketten der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen (Inzidenz 1,8/1 zugeordnet werden. Die Differenzierung der Genotypen Million Einwohnerinnen und Einwohner) lagen die In- (insgesamt 24 bei den Masern und 13 bei den Röteln 50 2014 53,8 Inzidenz pro 1.000.000 Einwohner/-innen 40 30 28,6 20 13,1 11,6 10,3 10 5,8 2,5 1,6 1,8 0,4 0,6 0,7 0,4 0 0,2 0 0 1 2 3 4 5–9 10–14 15–19 20–24 25–29 30–39 40–49 50–59 60–69 > 70 Altersgruppen Abbildung 4: Rötelninzidenz (Kategorie A–C) in den Altersgruppen pro 1 Mio. Einwohnerinnen und Einwohnerfür das Jahr 2014 (Stand: 15.01.2015, n = 152)
3. Hintergrund19 mit jeweils weiteren Varianten) erlaubt somit die Auf- Daten vor, wie schnell eine adäquate Untersuchung deckung der Herkunft von importierten Masernviren, nach Meldung von den Gesundheitsämtern in die Wege die Zuordnung zu verschiedenen Infektionsketten und geleitet wird. Diese sollte nach Vorgaben der WHO die Analyse von Zusammenhängen zwischen verschie- innerhalb von 48 Stunden erfolgen. Eine adäquate denen Ausbruchsgeschehen. Aus der Zirkulationsdauer Untersuchung beinhaltet nach den Vorgaben der WHO vorherrschender Masernvarianten kann auf den erreich- mindestens die Erhebung der folgenden Daten von je- ten Stand hinsichtlich des Eliminationsziels geschlossen dem Masern- oder Rötelnverdachtsfall: Fall-Identifier, werden. Alter, Beginn des Exanthems (Erkrankungsbeginn), Datum der Probenentnahme und Impfstatus. Daten des NRZ MMR am RKI lassen durchaus vermuten, dass es in Deutschland bereits seit 2003 c) Differenzierung von importierten und import zu einer Unterbrechung der endemischen Trans assoziierten Fällen: Diese Aufsplittung ist entschei- mission genetischer Masernvirusvarianten gekommen dend für die Abgrenzung einer endemischen Transmis- sein könnte. Hierauf deutet hin, dass einige erkannte sion und damit für die Verifizierung der Elimination Transmissionsketten kürzer als 12 Monate waren und der Masern und Röteln. Eine epidemiologische nachfolgend der entsprechende Genotyp nicht mehr Einschätzung, ob die Masern oder Röteln importiert nachgewiesen werden konnte. Allerdings konnte in der wurden und welche weiteren Sekundärfälle diesen Regel nur etwa ein Viertel der für Deutschland bekannt Transmissionsketten zugeordnet werden können (»im- gewordenen Masernfälle auf ihren Genotyp untersucht portassoziiert«), ist aufgrund der zurzeit noch zu vielen werden, da dem NRZ nicht mehr Proben zugehen. Eine Fälle in Deutschland nur sehr eingeschränkt möglich. regelmäßige Zusendung von Proben zur Genotypisie- Aus diesem Grund ist auch eine Einschätzung, ob in rung, insbesondere bei sporadischen Fällen, aus allen Deutschland eine endemische Transmission dieser Bundesländern an das NRZ ist dringend notwendig, Infektionen vorliegt oder ob um Transmissionsketten sicher nachverfolgen und die es nach weniger als 12 Monate andauernden Trans- Validität der Schlussfolgerungen erhöhen zu können. missionsketten wiederum zu einer neu etablierten Transmissionskette kommt, nur schwer möglich. Eine Die molekulare Surveillance der Rötelnviren ist zurzeit intensive Abklärung möglicher Infektionsquellen, noch optimierungsbedürftig, denn bisher werden nur insbesondere bei sporadischen Fällen, sollte unbedingt sehr selten Proben zur Untersuchung auf Genotypen erfolgen. Weitere differenzierte Fälle sollten nach- der Röteln an das NRZ eingesandt. gemeldet werden. Für die Einschätzung von Trans- missionsketten sind Informationen über vorliegende 3.4.3.4 Probleme der Datenqualität Genotypen sehr hilfreich. a) Untererfassung: Es ist von einer Untererfassung d) Anteil an Laborbestätigungen: Zwar wurden in der Masern- wie auch der Rötelnfälle auszugehen. Bei den letzten Jahren jeweils, wie von der WHO gefor- den Masern wird hier ein Verhältnis von bis zu dert, über 80 % der Masernfälle labordiagnostisch 1 : 3 angenommen (s. Takla et al. 2014). gesichert. Eine im Idealfall wiederholte Virusdetektion (PCR oder Genotypisierung) besonders bei Fällen, die b) Meldeverzug und zeitige Implementierung von einem Ausbruch zugeordnet werden können (Vorgabe Maßnahmen: Valide systematische Daten zu einem der WHO: 80 %), findet jedoch zu selten statt (2013: möglichen Meldeverzug der Ärztinnen und Ärzte bei bei 33 % der übermittelten Ausbrüche). Der von der Verdacht auf Masern oder Röteln liegen noch nicht vor. WHO vorgegebene Zielwert einer labordiagnostischen Individuelle Berichte beschreiben einen Meldeverzug Bestätigung aller Rötelnfälle von 80 % ist deutlich von bis zu zwei Wochen, zumeist erst nach Eingang ei- unterschritten. nes Laborbefunds. Zudem liegen keine systematischen
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