30/31 2020 Virushepatitis B und D sowie Virushepatitis C im Jahr 2019 - RKI

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AKTUELLE DATEN UND INFORMATIONEN
              ZU INFEKTIONSKRANKHEITEN UND PUBLIC HEALTH

30/31 Epidemiologisches
2020 Bulletin
  23.7.2020

              Virushepatitis B und D sowie
              Virushepatitis C im Jahr 2019
Epidemiologisches Bulletin          30/31 | 2020    23.7.2020                                                             2

  Inhalt

  Virushepatitis B und D im Jahr 2019                                                                                          3
  Deutschland hat sich den Eliminationszielen viraler Hepatitiden der WHO bis 2030 verschrieben. Um die
  Surveillance in Deutschland zu intensivieren und um eine bessere Vergleichbarkeit mit anderen europäischen
  Ländern zu gewährleisten, wurden 2015 die Falldefinitionen von Hepatitis B und D angepasst.
  Zudem erfolgte eine Anpassung des IfSG 2017. Seit 2019 werden auch Zahlen zu chronischen Infektionen
  veröffentlicht. Seit 2015 ist eine starke Zunahme der gemeldeten Fallzahlen zu verzeichnen, was mit den oben
  beschriebenen Änderungen zusammenhängt. Eine nach Infektionsstadium differenzierte Auswertung des
  zeitlichen Verlaufs zeigt jedoch, dass die Anzahl akuter Infektionen seit 2011, mit Ausnahme von 2015, bei
  weniger als 600 Infektionen pro Jahr lag und seitdem kein Anstieg an akuten Infektionen zu verzeichnen
  war. Die Hepatitis-B-Impfquoten sind nicht nur in der Allgemeinbevölkerung, sondern auch in den Risiko-
  gruppen unzureichend. Strategien zur Erhöhung der Impfquoten sollten für die Allgemeinbevölkerung und
  die unterschiedlichen Risikogruppen evaluiert werden. Es wird dringend empfohlen, alle Säuglinge, Kinder
  und Jugendliche konsequent zu impfen.

  Hepatitis C im Jahr 2019                                                                                                    18
  Die Meldeinzidenz übermittelter HCV-Infektionen im Jahr 2019 hat sich seit 2018 stabilisiert. Die Unterschie-
  de zwischen den Inzidenzen in den Bundesländern haben sich im Vergleich zum Jahr 2018 leicht verschoben.
  Wie auch in den Vorjahren lag die Inzidenz gemeldeter HCV-Infektionen bei Männern deutlich höher als bei
  Frauen. Die Tatsache, dass Männer häufiger Drogen konsumieren als Frauen und dies der am häufigsten
  ­berichtete Übertragungsweg ist, erklärt unter anderem die höhere Inzidenz von Hepatitis C bei Männern.

  Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland (Update vom 23.7.2020)                                                   32

  Aktuelle Statistik meldepflichtiger Infektionskrankheiten                                                                   34

  Impressum
  Herausgeber                                                      Allgmeine Hinweise/Nachdruck
  Robert Koch-Institut                                             Die Ausgaben ab 1996 stehen im Internet zur Verfügung:
  Nordufer 20, 13353 Berlin                                        www.rki.de/epidbull
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  Redaktion                                                        die Meinung des Robert Koch-Instituts wider.
  Dr. med. Jamela Seedat
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  E-Mail: SeedatJ@rki.de                                           Namensnennung 4.0 International Lizenz.

  Claudia Paape, Judith Petschelt
  E-Mail: EpiBull@rki.de

                                                                   ISSN 2569-5266

         Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
Epidemiologisches Bulletin      30/31 | 2020     23.7.2020                                                      3

  Virushepatitis B und D im Jahr 2019

  Infektionen mit Hepatitis-B-Viren (HBV) gehören zu         ten ikterischen Hepatitis. In 0,5 – 1 % der Fälle ver-
  den häufigsten Infektionskrankheiten weltweit. Im Fall     läuft die Infektion fulminant mit akutem Leberver-
  eines chronischen Verlaufs zählen sie zu den bedeu-        sagen. Die meisten akuten Hepatitis-B-Erkrankun-
  tendsten Ursachen von Leberzirrhose und Leberzell-         gen bei Erwachsenen heilen aus (> 90 %) und füh-
  karzinom. Der Tod infolge eines Leberzellkarzinoms         ren zu einer lebenslangen Immunität. Die lange             Deut
  rangiert weltweit auf Platz zwei der krebsbedingten        bestehende Annahme einer vollständigen Eliminie-           zielen
  Todesursachen. Nach Schätzungen der Weltgesund-            rung von HBV gilt inzwischen als überholt. Selbst          2030
  heitsorganisation (WHO) sterben weltweit jähr­­lich        bei Patienten mit nachweisbaren Antikörpern gegen          ce in
                                                                                                                        um e
  887.000 Menschen an Hepatitis B.1, 2 Deutsch­land          das Hepatitis-B-surface-antigen (anti-HBs) persis-
                                                                                                                        ande
  zählt in Bezug auf die Allgemeinbevölkerung ­­zu den       tiert das Virus häufig ein Leben lang als sogenannte       währ
  Niedrigprävalenzregionen, dennoch sind vulnerable          covalently closed circular DNA (cccDNA) und kann           tione
  Gruppen besonders betroffen. Das Bundesministeri-          (z. B. bei Immunsuppression) zu einer Reaktivie-           passt
  um für Gesundheit (BMG) hat sich mit der „Stra­tegie       rung des Virus führen.5 Bei 5 – 10 % der HBV-infi-         Zude
  zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und              zierten Erwachsenen entwickelt sich eine chroni-           IfSG
  anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) bis        sche Verlaufsform. Hingegen verläuft die Infektion         len z
  2030“ die nachhaltige Eindämmung dieser Infektions­        im frühen Kindesalter in ca. 90 % sowie bei immun­         fentli
  krankheiten zum Ziel gesetzt.3 Auch die WHO hat            kompromittierten Personen in 30 – 90 % chronisch.          nahm
                                                                                                                        verze
  durch ihren Aktionsplan gegen Virushepatitis die           Unter den chronisch HBV-Infizierten entwickeln
                                                                                                                        schri
  Aufmerksamkeit für Hepatitis B erhöht.4 Ziel des           20 – 30 % eine Zirrhose oder ein Leberkarzinom. In         häng
  Plans ist die Eliminierung der Virushepatitis als eine     30 % aller Fälle von Leberzirrhose und in 53 % aller       feren
  Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030.            Fälle von hepatozellulärem Karzinom ist eine chro-         Verla
                                                             nische HBV-Infektion dafür verantwortlich.6                akute
  Am 28. Juli 2020 findet der diesjährige Welt-Hepatitis-­                                                              nahm
                                                                                                                        Infek
  Tag wieder unter dem Motto der dreijährigen Kam-           Zur Diagnostik und Therapie der HBV-Infektion
                                                                                                                        kein
  pagne der World Hepatitis Alliance „Hepatitis: Findet      verweisen wir auf die S3-Leitlinie zur Prophylaxe,         verze
  die fehlenden Millionen!“ statt, der global auf die        Diagnostik und Therapie, welche derzeit überarbei-         quote
  ­Risiken, aber auch Schutz- und Behandlungsmög-            tet wird (Neuveröffentlichung geplant),7 und den           bevöl
   lichkeiten von Hepatitis-Infektionen aufmerksam           RKI-Ratgeber (www.rki.de/ratgeber > Hepatitis B).          kogru
   macht (www.welthepatitistag.info).                        Im Jahr 2017 wurde die klinische Leitlinie zum             zur E
                                                                                                                        für d
                                                             ­Management von HBV-Infektionen der European
                                                                                                                        unter
                                                              Association for the Study of the Liver veröffentlicht.8   luiert
  1    Hintergrund zur Hepatitis-B- und                                                                                 fohle
       -D-Infektion                                          Seit 1982 stehen zum Schutz vor Hepatitis B Impf-          gend
  1.1 Hepatitis B                                            stoffe mit hoher Wirksamkeit und guter Verträglich-
  Hepatitis B ist eine weltweit beim Menschen vor-           keit zur Verfügung. Nach internationalen Studien
  kommende, durch Hepatitis-B-Viren (HBV) ausge-             kann nach erfolgreicher Grundimmunisierung von
  löste Leberentzündung. Das HBV ist ein kleines,            einem langjährigen, möglicherweise sogar lebens-
  ­hepatotropes DNA-Virus aus der Familie der Hepadna­       langen Schutz gegen eine Erkrankung an Hepatitis B
   viridae, das vorwiegend sexuell und durch Kontakt         ausgegangen werden. Die Ständige Impfkommis­
   mit kontaminiertem Blut oder anderen Körperflüs-          sion (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) emp-
   sigkeiten (z. B. Sperma und Vaginalsekret) übertra-       fiehlt seit 1995 eine generelle Schutzimpfung gegen
   gen werden kann. Eine HBV-Infektion verläuft bei          Hepatitis B im Säuglingsalter, mit Nachholung ver-
   Erwachsenen häufig asymptomatisch oder mit un­            säumter Impfungen bis zum 18. Lebensjahr. Darü-
   spezifischen Beschwerden und nur in etwa einem            ber hinaus empfiehlt die STIKO eine Hepatitis-­B-
   Drittel der Fälle mit dem klinischen Bild einer aku-      Impfung Angehörigen bestimmter Risikogruppen,
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  wie Patienten mit Immunsuppression oder Perso-          sundheitsorganisation (WHO) 257 Millionen Men-
  nen mit erhöhtem Expositionsrisiko (unter anderem       schen mit einer chronischen Hepatitis B (Prävalenz
  i. v.-Drogengebrauchende, Gefängnisinsassen, Per-       3,5 %).1, 2 Die WHO geht davon aus, dass etwa 65 Mil-
  sonen mit Sexualverhalten mit hohem Infektions­         lionen Frauen chronisch mit HBV infiziert sind und
  risiko und expositionsgefährdetes Personal in medi-     damit das Risiko für eine Mutter-Kind-Übertragung
  zinischen Einrichtungen), (s. hierzu die aktuelle       besteht.1, 2 Trotz einer wirksamen Schutzimpfung
  STIKO-Empfehlung). In Deutschland stehen mono-          sterben pro Jahr etwa 887.000 Menschen weltweit
  valente Hepatitis-B-Impfstoffe, bivalente Kombina-      an den Folgen einer HBV-Infektion.1, 2
  tionsimpfstoffe gegen Hepatitis A und B und hexa-
  valente Kombinationsimpfstoffe mit Hepatitis-B-­        Die Hepatitis-B-Prävalenz ist in der West-Pazifik-­
  Komponente für Kinder zur Verfügung. In Abhän-          Region und in Afrika mit etwa 6 % weltweit am
  gigkeit vom verwendeten Impfstoff und Impfschema        höchsten. In der Mittelmeerregion, Südostasien
  besteht eine vollständige Grundimmunisierung aus        und der Europäischen Region geht die WHO von
  3 bzw. 4 Impfdosen. Im Berichtszeitraum 2019 wur-       einer Prävalenz von 3,3 %, 2,0 % und 1,6 % aus.
  de bei Anwendung eines Kombinationsimpfstoffs           Demgegenüber sind weniger als 1 % der Bevölke-
  im Säuglingsalter ein 4-Impfdosen-Schema emp-           rung in der amerikanischen Region infiziert.1, 2 Die
  fohlen. Dies wurde im Jahr 2020 zu einem 3-Dosen-­      Transmission folgt zwei epidemiologischen Mustern:
  Schema geändert und damit vereinheitlicht.9 Nach        Während die Übertragung in Niedrigprävalenz­ge­
  vollständiger Grundimmunisierung im Kindes- bis         bieten wie Westeuropa überwiegend über Risikover-
  jungen Erwachsenenalter lassen sich bei über 95 %       halten wie Sexualverkehr und intravenösen (i. v.)
  der Geimpften schützende Antikörper nachweisen.         Drogengebrauch erfolgt, wird das Virus in Hoch­
  Für weitere Informationen zur Prävention von            prävalenzgebieten wie Sub-Sahara Afrika häufig
  HBV-­Infektionen verweisen wir auf den RKI-Rat­         ­perinatal übertragen.5
  geber zu Hepatitis B und D.10
                                                          WHO-Schätzungen zufolge sind in der Europäi-
  1.2 Hepatitis D                                         schen Region etwa 15 Millionen Menschen mit HBV
  Das Hepatitis-D-Virus (HDV), ist ein RNA-Virus,         infiziert.2 Laut des European Centre for Disease Pre-
  das HBV zur Replikation benötigt. Die Übertragung       vention and Control (ECDC) leben etwa 4,7 Millio-
  des HDV erfolgt wie beim HBV sexuell oder durch         nen Menschen mit einer chronischen Hepatitis B in
  kontaminiertes Blut oder kontaminierte Blutpro-         den Ländern der Europäischen Union und des Euro­
  dukte. Eine Ko-Infektion mit HDV kann in 70 – 90 %      päischen Wirtschaftsraums (EU/EWR). Allerdings
  der Fälle zu schweren chronischen Verläufen füh-        existieren auch in Europa ausgeprägte Unterschiede
  ren. Die Infektion kann sowohl gleichzeitig mit ei-     in der regionalen Verbreitung.14 Die Prävalenz der
  ner Hepatitis B erfolgen (Simultaninfektion) als        chronischen HBV-Infektion (HBs-Antigen nach-
  auch als Infektion einer bereits bestehenden chro-      weisbar) in der Allgemeinbevölkerung variiert von
  nischen Hepatitis B auftreten (Superinfektion). Das     0,1 % in Irland bis zu über 4 % in Rumänien, und ist
  klinische Krankheitsbild und der Krankheitsverlauf      somit höher in den östlichen und südlichen Län-
  sind abhängig von der Art der Infektion (Simultan-      dern als in den nördlichen und westlichen Län-
  oder Superinfektion). Im Falle einer Superinfektion     dern.14 Die Prävalenz ist jedoch höher in vulnerab-
  sind fulminante Verläufe häufig und die Progression     len Gruppen, wie z. B. MigrantInnen, Männer die
  zur Zirrhose wird beschleunigt. Bisher steht keine      Sex mit Männern haben (MSM) und injizierende
  wirksame antivirale Therapie gegen HDV zur Ver-         Drogengebrauchende, was auf Impflücken und die
  fügung.11–13                                            Notwendigkeit einer zielgerichteter Prävention hin­
                                                          deutet.14 Seit dem Jahr 2016 sind die übermittelten
                                                          Hepatitis-B-Meldedaten der Mitgliedsstaaten auch
  2 Epidemiologische Situation weltweit                   im Surveillance Atlas of Infectious Diseases aufgenom-
  2.1 Hepatitis B                                         men und lassen sich in Tabellenform oder grafisch
  Hepatitis B ist eine der häufigsten Infektionskrank-    unter http://atlas.ecdc.europa.eu/public/index.aspx
  heiten. Weltweit leben nach Angaben der Weltge-         abrufen. Ein ausführlicher erster Bericht zu Monito­
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  ring the responses to hepatitis B and C epidemics in EU/    3.1 Situation auf Basis der Meldedaten nach
  EEA Member States, 2019 wurde im Mai 2020 veröf-                IfSG
  fentlicht.15                                                3.1.1 Anpassung des IfSG und der Falldefinitionen
                                                              In Deutschland bestehen für Hepatitis B und D
  2.2 Hepatitis D                                             ­gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) namentliche
  Hepatitis D kommt weltweit vor. Es wird angenom-             Labor- und Arztmeldepflichten. Am 25. Juli 2017 ist
  men, dass etwa 15 Millionen Menschen mit HDV                 das Gesetz zur Änderung der epidemiologischen
  chronisch infiziert sind und dass 5 % der HBsAg-­            Überwachung übertragbarer Krankheiten in Kraft
  positiven Personen auch eine Infektion mit HDV               getreten. Seither besteht eine Meldepflicht nach § 6
  aufweisen.13 Zu den Hochprävalenzgebieten gehö-              IfSG für den feststellenden Arzt bei Verdacht auf
  ren unter anderem: der Mittelmeerraum, der Mitt-             bzw. Erkrankung oder Tod durch eine akute Virus-
  lere Osten, Pakistan, Mittel- und Nordasien, Japan,          hepatitis, nach § 7 IfSG besteht eine Meldepflicht
  Taiwan, Grönland, Afrika (vor allem der Horn von             für Laborleiter bei allen Nachweisen einer Hepatitis B
  Afrika und Westafrika), das Amazonasbecken und               sowie Hepatitis D, unabhängig vom klinischen Bild
  bestimmte Gebiete des Pazifiks.13 Durch Migration            (symptomatisch oder asymptomatisch) und Stadium
  aus Ländern, die als Endemiegebiete gelten, können           (akut oder chronisch).21 Allerdings müssen hier die
  auch in nicht-endemischen Ländern wie Deutsch-               Nachweise auf ein Vorhandensein des Erregers ge-
  land, HDV-Infektionen auftreten.                             richtet sein, also auf eine aktive (replikative) akute
                                                               oder chronische HBV-Infektion in der betroffenen
  Ergebnisse einer aktuellen systematischen Über-              Person hinweisen. Hierzu veröffentlichte das RKI
  sichtsarbeit zeigen, dass 37,6 % der HBsAg-Träger            Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ) unter
  mit i. v. Drogenkonsum (IVD) und 17,1 % mit riskan-          www.rki.de > Infektionsschutz > IfSG > FAQ >
  tem Sexualverhalten auch mit HDV infiziert sind.             ­Hepatitis B.
  Die Prävalenzen sind niedriger bei HBsAg-Trägern
  ohne Risikofaktoren (10,6 %).16                             Die Anpassung der Falldefinition seit dem 1. Januar
                                                              2015 wurde ausführlich im Jahresbericht 2016 erläu-
                                                              tert.22 Seit 2015 erfüllen auch Fälle, die die Kriterien
  3 Epidemiologische Situation in                             des klinischen Bildes nicht erfüllen oder bei denen
    Deutschland                                               diese nicht ermittelbar sind, die Referenzdefinition.23
  Deutschland gehört zu den Niedrigprävalenzlän-
  dern für Hepatitis B. In der Studie zur Gesundheit          In den Meldedaten wurden für den aktuellen Daten­
  Erwachsener in Deutschland zeigte sich eine HBsAg-­         stand folgende Datenkorrekturen vollzogen: Rück-
  Prävalenz von 0,3 % in der Allgemeinbevölkerung.            wirkend ab dem Meldejahr 2019 erfüllen alle als
  Insgesamt 5,1 % der Erwachsenen wiesen Marker               „chronisch“ übermittelten Fälle die Referenzdefini-
  für eine HBV-Infektion in der Vergangenheit oder            tion, sowie rückwirkend zum Beginn des Melde­
  aktuell (Hepatitis-B-core-Antikörper – anti-HBc)            jahres 2015 alle Fälle in den Falldefinitionskatego­
  auf.17 In der Kinder- und Jugendgesundheitsstudie           rien D und E, die bisher nicht die Referenzdefinition
  lag die HBsAg-Prävalenz bei Kindern und Jugendli-           erfüllten, weil sie nach einem veralteten Schema
  chen bei 0,2 %, hier wiesen 0,5 % anti-HBc auf.18           übermittelt worden sind.

  Das RKI hat die epidemiologische Datenlage zu               3.1.2 Hepatitis B
  ­Hepatitis B und C in einem breit angelegten Scoping-­      Für das Jahr 2019 wurden insgesamt 8.903 Hepa­
   Review systematisch untersucht.19, 20 Die Gesamt­          titis-B-Fälle an das RKI gemäß Falldefinition und
   prävalenz von HBsAg bewegte sich in der Allgemein­         nach Referenzdefinition übermittelt. Dies entsprach
   bevölkerung zwischen 0,3 und 1,6 %. Unter vulne­           einer bundesweiten Inzidenz von 10,7 gemeldeten
   rablen Gruppen lag die Prävalenz zwischen 0,2 % (bei       Infektionen pro 100.000 Einwohner. Von den über-
   Personen mit rheumatologischen Konditionen) und            mittelten Fällen waren 531 als akut (0,6 pro 100.000),
   4,5 % bei HIV-positiven Personen.20                        4.257 als chronisch (5,1 pro 100.000) und 4.115 als
                                                              Stadium unbekannt (5,0 pro 100.000) übermittelt.
Epidemiologisches Bulletin                                 30/31 | 2020          23.7.2020                                                                  6

                                                                                                            2019
                                                             Ingesamt             Akute Infektion           Chronische Infektion          Stadium unbekannt
   Kategorie                                                  Anzahl           Anzahl         Anteil        Anzahl         Anteil        Anzahl         Anteil
   klinisch-labordiagnostisch ( C)                                 1.427                353         67 %             714        17 %              360            9%
   labordiagnostisch bei nicht
   erfülltem klinischen Bild (D)                                   4.200                166         31 %        3.488           82 %              546         13 %
   labordiagnostisch bei
   ­unbekanntem klinischen Bild (E)                                3.276                 12            2%             55            1%       3.209            78 %
   Referenzdefinition (C+D+E)                                      8.903                531         100%        4.257          100 %         4.115          100 %

  Tab. 1 | Übermittelte Hepatitis-B-Fälle nach Kategorie der Falldefinition und Infektionsstatus, Deutschland, 2019

  Die akuten Fälle wurden am häufigsten in der Fall-                                                Eine Differenzierung der Hepatitis-B-Fälle nach In-
  definitionskategorie C übermittelt (67 %, 353), die                                               fektionsstatus zeigt, dass seit 2006 die Anzahl über-
  chronischen Fälle in der Falldefinitionskategorie D                                               mittelter akuter Infektionen relativ konstant bleibt.
  (82 %, 3.488) und die Fälle mit unbekanntem Infek-                                                In den Jahren von 2015 bis 2018 wurden die meisten
  tionsstadium in Falldefinitionskategorie E (78 %,                                                 Fälle nach Falldefinitionskategorie E (labordiagnos-
  3.209). Ein Überblick über die übermittelten Hepa-                                                tisch bei unbekanntem klinischem Bild) übermittelt.
  titis-B-Fälle nach Kategorie der Falldefinition und                                               Der Anstieg in Kategorie E in den Jahren ab 2015 kann
  Infektionsstatus ist in der Tabelle 1 dargestellt.                                                durch vermehrte Testung (z. B. Screening von Asyl-
                                                                                                    suchenden) sowie mit der IfSG-Änderung erklärt
  Zeitlicher Verlauf: Insgesamt wurde zwischen den                                                  werden.24, 25 Seit dem Jahr 2019 werden auch chroni-
  Jahren 2001 und 2009 ein Rückgang der übermit-                                                    sche Infektionen veröffentlicht, was zu einem wei-
  telten Hepatitis-B-Infektionen beobachtet. Dieser                                                 teren starken Anstieg der übermittelten Infektionen
  Trend stagnierte mit geringen Schwankungen zwi-                                                   führt. In den Vorjahren, insbesondere nach dem
  schen den Jahren 2009 und 2014. Mit Änderung                                                      Jahr 2015, wurden die chronischen Fälle zwar zum
  der Falldefinition 2015 haben die Fallzahlen deutlich                                             Teil übermittelt, können jedoch nicht interpretiert
  zugenommen (s. Abb. 1).                                                                           werden da die Vollständigkeit dieser Übermittlung

                                                                                                                                               Chronische Fälle
                            10.000                                                                                                           werden veröffentlicht
                                           Referenzdefinition nicht erfüllt*
                                           Chronisch Fälle 2019
                            9.000
                                           Status unbekannt
                                           Akute Fälle
                            8.000

                             7.000
   Anzahl der Infektionen

                            6.000
                                                                                                                              FD     Änderung
                            5.000                                                                                          Änderung Meldepflicht

                            4.000

                            3.000

                            2.000

                             1.000

                                0
                                     2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
                                                                                Meldejahr

  Abb. 1 | Übermittelte Hepatitis-B-Virus-Infektionen nach Meldejahr und Infektionsstadium, Deutschland, 2001–2019
  * Fälle die die Referenzdefinition nicht erfüllen, ohne chronische Fälle, (FD = Falldefinition)
Epidemiologisches Bulletin             30/31 | 2020       23.7.2020                                                                  7

                Bundesland
        Baden-Württemberg
                    Bayern
                      Berlin
               Brandenburg
                   Bremen
                  Hamburg
                    Hessen
  Mecklenburg-Vorpommern
             Niedersachsen
        Nordrhein-Westfalen
            Rheinland-Pfalz
                   Saarland
                   Sachsen                                                                                                   akut

            Sachsen-Anhalt                                                                                                   chronisch
         Schleswig-Holstein                                                                                                  unbekannt
                 Thüringen
                               0   1      2     3     4    5    6     7     8    9      10   11    12   13   14    15   16      17       18

                            Akut,                                                    Gesamtinzidenz,     Infektionen/100.000 Einwohner
                        Bundesweit 0,6                                               Bundesweit 10,7

  Abb. 2 | Übermittelte Hepatitis-B-Virus-Infektionen pro 100.000 Einwohner nach Bundesland und Infektionsstatus, 2019 (n = 8.902)

  unbekannt ist. In Abbildung 1 werden auch Fälle, die                    100.000 Einwohner im Saarland und 11,1 in Bremen.
  die Referenzdefinition nicht erfüllen, gezeigt. Diese                   Bei den übermittelten Fällen mit unbekanntem In-
  Kategorie umfasst Fälle, die in den Falldefinitions-                    fektionsstatus lagen die Inzidenzen in den Bundes-
  kategorien D und E übermittelt wurden und nicht                         ländern zwischen 0,8 Infektionen pro 100.000 Ein-
  als „chronisch“ gekennzeichnet waren.                                   wohner in Thüringen und 8,9 in Bayern.

  Geografische Verteilung: Die Meldeinzidenzen in                         Infektionsland: Bei 2.293 (26%) der insgesamt
  den Bundesländern betrugen 2019 zwischen 4,3 In-                        8.903 Infektionen wurde das wahrscheinliche Infek-
  fektionen (akut, chronisch und unbekannt) pro                           tionsland angegeben (Mehrfachnennungen mög-
  100.000 Einwohner in Mecklenburg-Vorpommern                             lich). Auf Deutschland entfiel gut die Hälfte der
  und 17,0 in Bremen. Für 2019 waren die Bundes­                          Nennungen (n = 1.303), gefolgt von der Türkei (n = 104),
  länder Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Bran­                         Rumänien (n = 82), Syrien (n = 63), Vietnam (n = 53)
  denburg und Sachsen mit unter 6 übermittelten In-                       und Nigeria (n = 50).
  fektionen pro 100.000 Einwohner, die Bundesländer
  mit den niedrigsten Meldeinzidenzen in Deutsch-                         Seit der IfSG-Novellierung werden Angaben zu Ge-
  land (s. Abb. 2). Bundesländer mit einer Meldeinzi-                     burtsland und Staatsangehörigkeit übermittelt. Für
  denz über 12 Infektionen pro 100.000 Einwohner                          5.288 (59 %) der Fälle wurden die Angaben zum Ge-
  waren Bremen (17,0), Baden-Württemberg (15,2),                          burtsland und für 4.477 (50 %) zur Staatsangehörig-
  Berlin (14,8), Bayern (14,6) und Hessen (12,4).                         keit erhoben oder ermittelt. Deutschland wurde bei
                                                                          29 % (1.534) der Infektionen als Geburtsland und die
  Nach Infektionsstadium differenziert betrugen in                        deutsche Staatsangehörigkeit in 42 % (1.891) angege-
  den Bundesländern die Inzidenzen akuter Infektio-                       ben. Als Geburtsland wurden häufig auch die Türkei
  nen zwischen 0,1 pro 100.000 Einwohner in Sach-                         (8,7 %; 462) und Rumänien (6,3 %; 332) genannt.
  sen und 1,0 in Bremen.                                                  Betrachtet nach Regionen werden am häufigsten
                                                                          Län­der der WHO-Region Europa als Geburtsland
  Die Inzidenzen für Infektionen mit chronischem                          angegeben (66 %; 3.495), gefolgt von der WHO-­
  Infektionsstatus lagen zwischen 1,2 Infektionen pro                     Region Afrika (14 %, 757) und der WHO-Region Öst-
Epidemiologisches Bulletin         30/31 | 2020           23.7.2020                                                             8

                                                                               0,2 % | Länder der WHO Region Amerika
                                                                                  2 % | Ausland (Land unbekannt)
                                 Länder der WHO Region Süd-Ost Asien | 1 %
                             Länder der WHO Region West-Pazifik | 6 %

       andere Länder der WHO Region Östliches Mittelmeer | 5 %

                                         Afghanistan | 3 %
                                                                                                            29% | Deutschland
                                           Syrien | 3 %

                 Länder der WHO Region Afrika | 14 %

                                                                                                            9 % | Türkei

                                                                                                  6 % | Rumänien
                              andere Länder der WHO Region Europa | 22 %

  Abb. 3 | An das RKI übermittelte Hepatitis-B-Fälle mit Angaben zum Geburtsland (n = 5.288)

  liches Mittelmehr (10 %, 542). Eine Darstellung ­der                  den Abbildungen 4 (Frauen) und 5 (Männern) dar-
  an das RKI übermittelten Hepatitis-B-Fälle nach                       gestellt.
  ­Geburtsland ist Abbildung 3 zu entnehmen.
                                                                        Infektionsrisiken: Nur bei 426 (5,0 %) der 8.903
  Demografische Verteilung: Die Meldeinzidenz für                       übermittelten Infektionen wurden Angaben zum
  Hepatitis B lag bei Jungen und Männern mit 12,7                       wahrscheinlichen Übertragungsweg gemacht. Mehr-
  Infektionen/100.000 Einwohner höher als bei Mäd-                      fachnennungen wurden bei der Auswertung auf den
  chen und Frauen (8,5/100.000 Einwohner). Bei bei-                     wahrscheinlichsten Übertragungsweg reduziert.
  den Geschlechtern waren die Altersgruppen der 3­ 0-
  bis 39-Jährigen am stärksten betroffen. Hier lag die                  Der am häufigsten übermittelte Übertragungsweg
  Inzidenz aller übermittelten Infektionen (akut, chro­                 war 2019 das Wohnen in einer Wohngemeinschaft
  nisch und unbekannt) für Frauen bei 20,2/100.000                      mit einem Hepatitis-B-Virusträger (185 Fälle, 43 %).
  Einwohner und für Männer bei 25,5/100.000 Ein-                        Als zweithäufigster Übertragungsweg wurde sexu-
  wohner. Die Inzidenz im Kindesalter (< 15 Jahre) war                  elle Transmission bei 118 Infektionen (28 %) genannt,
  mit 0,5/100.000 Einwohner insgesamt niedrig. Zehn                     darunter 71 Infektionen durch heterosexuellen Kon-
  von 52 Infektionen entfielen jedoch auf Kinder im                     takt mit einem mit HBV-infizierten Partner und
  ersten Lebensjahr (1,3/100.000 Einwohner).                            ­47 Infektionen durch gleichgeschlechtliche Kontak-
                                                                         te unter Männern. Als dritthäufigster Übertragungs-
  Sowohl bei Männern als auch bei Frauen wurde nur                       weg wurde i. v.-Drogenkonsum bei 85 Infektionen
  ein kleiner Teil (6,3 bzw. 5,2 %) aller übermittelten                  (20 %) angegeben, darunter 6 Infektionen während
  Infektionen als akute Infektion übermittelt. Hierbei                   eines Haftaufenthaltes. Des Weiteren wurde bei 26
  wiesen 20 – 24-jährige (0,9), 30 – 39-jährige (0,8)                    Infektionen (6 %) der Erhalt von Blutprodukten, bei
  Frauen sowie 25 – 29-jährige (1,3), 30 – 39-jährige                    7 Infektionen (2 %) Dialyse und bei 5 Infektionen
  (1,4) und 40-49-jährige (1,4) Männer die höchsten                      (1 %) perinatale Übertragung als wahrscheinlichster
  Inzidenzen akuter Infektionen pro 100.000 Einwoh­                      Übertragungsweg genannt.
  ner auf. Die Hepatitis-B-Fälle pro 100.000 Einwohner
  nach Altersgruppe und Infektionsstadium sind in                       Impfstatus: Bei 4.145 (47 %) der 8.903 übermittelten
                                                                        HBV-Infektionen lagen Angaben zum Impfstatus
Epidemiologisches Bulletin                              30/31 | 2020           23.7.2020                                                  9

                                     25
                                                                                                                                    unbekannt
                                                                                                                                    chronisch
                                                                                                                                    akut
                                     20
   Infektionen / 100.000 Einwohner

                                     15

                                     10

                                      5

                                      0
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  fektionen fehlten Angaben zum verabreichten             stadium verbergen. Doppelmeldungen bereits be-
  Impfstoff bei 3-maliger Impfung.                        kannter Hepatitis-B-Fälle können nicht komplett
                                                          ausgeschlossen werden und könnten ebenfalls einen
  Für 88 (35 %) der 248 geimpften Fälle lagen ausrei-     Einfluss auf die Anzahl neu übermittelter Infektio-
  chende Angaben zur Anzahl der Impfstoffdosen,           nen haben.
  zum Datum der letzten Impfung sowie zum verab-
  reichten Impfstoff für eine Bewertung vor. Bei ins-     Die Verbesserung der Datenqualität spielt hinsicht-
  gesamt 53 Personen wird angenommen, dass sie un-        lich des Infektionsstadiums eine wichtige Rolle.
  vollständig geimpft wurden: Bei 48 dieser Infektio-     Aufgrund der Änderung der Falldefinition 2015, der
  nen waren lediglich eine oder 2 Impfdosen ange­         IfSG-Novellierung 2017 und dem Einschluss chro-
  geben; bei einer Infektion erfolgte die 3. Impfung      nischer Fälle in die Referenzdefinition 2019 sind die
  weniger als 2 Monate vor Feststellung der Infektion     übermittelten Fallzahlen nur bedingt mit den Fall-
  und bei einer anderen Infektion fehlte die 4. Impf-     zahlen der Vorjahre vergleichbar. Trendauswertun-
  dosis bei Impfung mit einem hexavalenten Kombi-         gen aller übermittelten Infektion ohne Berücksich-
  nationsimpfstoff. Weitere 3 Personen wurden nicht       tigung des Infektionsstadiums sind noch nicht
  zeitgerecht geimpft, ihr Erkrankungsbeginn war          möglich.
  weniger als 14 Tage nach der letzten Impfung. Ins-
  gesamt 35 Erkrankte hatten eine vollständige und        3.1.3 Hepatitis D
  zeitgerechte Grundimmunisierung mit mindestens          Auch für Hepatitis D wurde 2015 die Falldefinition
  3 Impfungen erhalten und infizierten sich zwischen      für an das RKI übermittelte Fälle geändert.21 Im Jahr
  2 Monaten und 15 Jahren nach der letzten Impfung.       2019 wurden in Deutschland insgesamt 65 Infek­
  Die vorliegenden Informationen könnten bei diesen       tionen an Hepatitis D übermittelt, 5 Fälle mehr als
  Fällen für einen Impfdurchbruch sprechen, wobei         im Vorjahr (s. Abb. 6).
  beachtet werden muss, dass die übermittelten Anga­
  ben für eine solche Einschätzung nur unzureichend       Die 65 Infektionen wurden aus 12 Bundesländern
  sind: So werden in der Regel keine Angaben zu ei-       (je ein bis 14 Infektionen) übermittelt. Bei 17 Infek-
  nem Ausschluss einer bereits bestehenden HBV-­          tionen wurden Angaben zum wahrscheinlichen In-
  Infektion vor Impfung, keine Angaben zur Kontrol-       fektionsland gemacht, zum Teil mit Mehrfachnen-
  le des Impferfolges nach 4 bis 8 Wochen und keine       nungen. Als Infektionsland wurde 8-mal Deutsch-
  Angaben zum Abstand zwischen den einzelnen              land, 3-mal Rumänien, 2-mal Republik Moldau und
  Impfungen übermittelt. Des Weiteren werden nur          jeweils einmal Elfenbeinküste, Kamerun, Demokra-
  Angaben zum zuletzt verwendeten Impfstoff über-         tische Republik Kongo und Südsudan genannt. Von
  mittelt. Vorherige Impfungen mit einem abweichen­       den 65 HDV-Infektionen betrafen 35 (54 %) Männer
  den Impfstoff werden nicht erhoben.                     und 30 (46 %) Frauen. Die meisten Infektionen
                                                          (58 %) wurden bei den 30- bis 49-jährigen Erwach-
  Datenqualität: Seit Änderung des IfSG im Juli 2017      senen übermittelt. Der kontinuierliche Anstieg in
  sind alle labordiagnostischen Nachweise einer Hepa-     den Jahren 2015 – 2017 ist durch die Änderung der
  titis B meldepflichtig, wodurch alle aktiven (akuten    Falldefinition zu erklären. Der Anstieg seit den letz-
  oder chronischen) Infektionen erfasst werden. Zu-       ten 2 Quartalen 2017 ist vermutlich vor allem durch
  sätzlich konnten Angaben über das Stadium der In-       die Änderung der Meldepflicht gemäß IfSG im Juli
  fektion erhoben werden. Seit 2019 erfüllen übermit-     2017 bedingt. Es ist nicht auszuschließen, dass es
  telte Fälle mit chronischem Infektionsstadium die       sich auch um nachgemeldete Fälle handeln kann,
  Referenzdefinition. Dadurch entfiel ein großer An-      die seit längerer Zeit eine chronische Hepatitis D
  teil (97 %) der 4.394 Fälle, die 2019, im Vergleich     aufweisen. Dies betrifft insbesondere die Falldefini-
  zum Vorjahr, mehr übermittelt wurden auf chroni-        tionskategorien D und E. Hierbei ist zu beachten,
  sche Fälle (4.257). Nicht erkannte chronische Fälle     dass sich bei niedrigen Fallzahlen schon leichte
  könnten sich auch weiterhin in dem hohen Anteil         Schwankungen stärker auswirken.
  der übermittelten Fälle mit unbekanntem Infektions­
Epidemiologisches Bulletin                                                     30/31 | 2020        23.7.2020                                                                 11

                                              70
                                                          Referenzdefinition nicht erfüllt                                                       FD
                                                          Referenzdefinition erfüllt                                                          Änderung
                                              60
   Anzahl der übermittelten HDV-Infektionen

                                              50                                                                                 36

                                              40                                                                                                         6     1
                                                                                                                                        42
                                                                                                                                                26
                                                                                                                          28                                                 65
                                              30                                                                                                                      60
                                                                                                                    19
                                                                                         6
                                                                                 14
                                              20                                              21    24         20                                              39
                                                           11                                                                                            36
                                                    14                   18                              16                      31
                                                                  9
                                              10                                        21                                                      22
                                                                                                                    17    18            17
                                                           12                    15
                                                    8             10                          9     8          10
                                                                          7                               7
                                               0
                                                   2001   2002 2003 2004       2005 2006 2007      2008 2009 2010 2011   2012   2013   2014    2015   2016    2017   2018   2019
                                                                                                            Meldejahr

  Abb. 6 | An das RKI übermittelte Hepatitis-D-Fälle nach Meldejahr, Deutschland, 2001 – 2019, (FD = Falldefinition)

  3.2 Epidemiologische Situation und Impf­                                                                      pen niedriger war als die Impfquoten gegen Diphthe­
      quoten auf der Basis von Projekten und                                                                    rie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis und Hämophi­
      Studien                                                                                                   lus influenzae Typ b. Eine besonders niedrige Impf-
  3.2.1 Allgemeinbevölkerung                                                                                    quote von 77,9 % wurde bei Jugendlichen im Alter
  Die DEGS1-Studie (DEGS – Studie zur Gesundheit                                                                von 14 – 17 Jahren festgestellt.27
  Erwachsener in Deutschland) zeigte eine HBsAg-­
  Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung von 0,3 %.17                                                            Die Schuleingangsuntersuchungen des Jahres 2018
  Ein Survey zur Gesundheit von Erwachsenen in                                                                  ergaben bundesweit, ähnlich wie in den Vorjahren,
  Deutschland (gern-Studie; Gesundheits- und Ernäh-                                                             bei 87,2 % der Kinder mit vorliegendem Impfpass
  rungsstudie in Deutschland) wurde zwar für 2020                                                               eine vollständige Grundimmunisierung gegen Hepa­
  geplant, aber aufgrund der COVID-19-Krise auf un-                                                             titis B (s. Epid Bull 32/33 2020). Eine Studie ergab,
  bekannte Zeit verschoben. Der Kinder- und Jugend-                                                             dass Kinder mit Migrationshintergrund vergleich-
  gesundheitssurvey KiGGS Welle 2 wurde 2017 abge-                                                              bar gut wie Kinder ohne Migrationshintergrund
  schlossen und wird derzeit ausgewertet. In der 1.                                                             geimpft sind (84,5 % im Jahr 2008).28 Basierend auf
  Welle von 2003 – 2006 zeigte sich unter 3 – 17-jährigen                                                       den Schuleingangsuntersuchungen sind die Impf-
  Kindern eine HBsAg-Prävalenz von 0,2 %, 66 % der                                                              quoten für Hepatitis B unzureichend. Seit der Erfas-
  Kinder im Alter über 2 Jahre waren vollständig                                                                sung des Impfstatus in den Schuleingangsunter­
  ­gegen Hepatitis B geimpft.18, 26 Die ersten Ergeb­                                                           suchungen nach IfSG sind die Impfquoten der
   nisse der KiGGS Welle 2 zeigten für die vollständige                                                         ­Hepatitis-B-Impfung stets niedriger als die Impf-
   Grund­immunisierung gegen Hepatitis B eine zur                                                                quoten gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio­
   Schul­eingangsuntersuchung ähnliche gesamte                                                                   myelitis und Hämophilus influenzae Typ b (Impf­
   Impf­quote von 84,4%.27 Bei den 3- bis 17-Jährigen in                                                         quoten 2018: 91,4 – 93,3 %), wie auch in KiGGS
   Deutsch­land zeigte sich kein Unterschied in der                                                              ­Welle 2 gezeigt (s. Epid Bull 32/33 2020). Die Spann-
   Impfquote zwischen Kindern mit oder ohne Migra-                                                                weite der Hepatitis-B-Impfquoten zwischen den
   tionshintergrund. Dazu ergaben die KiGGS Welle 2                                                               Bundesländern ist groß (78,4 – 94,1 %).29 Die Impf-
   Ergebnisse, dass Kinder und Jugendliche ähnlich                                                                quoten für Hepatitis B bei Schuleingangsuntersu-
   wie bei den Schuleingangsuntersuchungen in Ost-                                                                chungen lagen in den neuen Bundesländern mit
   deutschland (88,8 %) häufiger gegen Hepatitis B                                                                88,2 % höher als in den alten Bundesländern (87,1 %).
   geimpft sind als in Westdeutschland (83,4 %) und
   dass die Hepatitis-B-Impfquote für alle Altersgrup-
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  Nicht alle Bundesländer erfassen, ob ein mono­           ter HBV-Infektion. Für den Zeitraum 2012 – 2016
  valenter Impfstoff bzw. ein Hepatitis-A-/Hepatitis-B-­   zeigt sich eine Hepatitis-B-Inzidenzrate von 1,1/100
  Kombinationsimpfstoff (3 Dosen für einen vollstän-       Personenjahre (Unveröffentlichte Daten).
  digen Impfschutz ausreichend) oder der 6-fach
  Kom­binationsimpfstoff mit DTaP-IPV-Hib-HepB­            In der 2017 durchgeführten EMIS Studie (European
  (4 Dosen notwendig) verabreicht wurde. Die Zahl          MSM Internet Survey) mit 23.107 Teilnehmern aus
  der begonnenen Hepatitis-B-Impfungen ohne Kom-           Deutschland berichteten 56,1 % der Teilnehmer ei-
  plettierung der Impfserie liegt in einigen Bundes-       nen vollständigen Hepatitis-B-Impfschutz. Somit
  ländern bei bis zu 11 %, so dass zu vermuten ist, dass   hat sich der selbst berichtete Impfschutz im Ver-
  sich darunter auch vollständig geimpfte Kinder           gleich zu der EMIS-Studie von 2010 mit 52,5 % nur
  ­befinden.                                               leicht erhöht.32 – 34

  Die Daten aus den Schuleingangsuntersuchungen            Personen mit Migrationshintergrund: In einer Stu-
  2018 zeigen – wie in den Vorjahren – weiteren Hand­      die zu Präventionsbedürfnissen und -bedarfe bezüg­
  lungsbedarf bei der Verbesserung des Impfschutzes.       lich Virushepatitiden, HIV und anderen STI bei
                                                           ­Mi­grantInnen aus Subsahara-Afrika (MiSSA) von
  3.2.2 Besonders betroffene Gruppen                        2014 – 2016 zeigten sich Wissensdefizite in Bezug
  Injizierende Drogengebrauchende: In der DRUCK-­           auf Virushepatitiden. Nur 23 – 57 % gaben an, von
  Studie (Drogen und chronische Infektionskrank­            den Infektionen gewusst zu haben. Mehrheitlich
  heiten in Deutschland) zeigte sich bei injizierenden      wurde der Wunsch nach mehr Informationen zu
  Drogengebrauchenden eine Prävalenz von 1,1 % für          den Übertragungsrisiken von Hepatitis B und C ge-
  eine aktive Hepatitis B, eine durchgemachte Infekti-      äußert (www.rki.de/missa).35, 36 40 % der Befragten
  on wurde bei 25 % der Studienteilnehmer gefunden.         gaben an, geimpft zu sein und 35 % nicht geimpft
  Einen Impfschutz wiesen 32 % auf. Der Infektions-         zu sein. Die restlichen 25 % konnten diese Frage
  status war von 71 % und der Impfstatus von 45 % der       nicht beantworten (35 %).
  Teilnehmer bekannt.30
                                                           Aktuelle Studien aus Deutschland zeigen für Perso-
  Seit dem 1. April 2020 wird das DRUCK 2.0 Pilot-         nen mit Migrationshintergrund Prävalenzen einer
  projekt des RKI vom BMG gefördert. Ziel ist es, eine     aktiven Hepatitis B von 2,3 – 3,6 %.37 – 40 Laut ECDC
  wiederkehrende Datenerhebung zu Blut- und STI            variiert die Prävalenz der aktiven Hepatitis B bei
  und assoziierten Verhaltensdaten bei Drogengebrau­       MigrantInnen von 0 – 17,4 % in Europa. Die höchste
  chenden vorzubereiten. Zum Abschluss des Pilot-          Prävalenz zeigte sich bei MigrantInnen aus Südost-
  projektes soll eine bundesweite Ausrollung des           asien.14
  ­Monitorings mit einer Minimierung der Arbeitslast
   für rekrutierende Einrichtungen vorbereitet werden.     Nach Geburtsland stratifizierte Daten sind kaum
                                                           verfügbar. Beispielsweise wurde in einer Studie zu
  Männer, die Sex mit Männern haben (MSM): Nach            Geflüchteten, die nach Screening in einer Notauf-
  bisherigen Erkenntnissen sind trotz umfangreicher        nahme eine Prävalenz von HBsAg und anti-HBC
  Impfkampagnen weniger als die Hälfte der unter-          von 2,3 % bzw. 14,0 % aufwiesen, das Geburtsland
  suchten MSM mit HIV gegen Hepatitis B geimpft.           nicht näher erläutert.40 Bei einer anderen Studie, die
  So erklärt sich auch die vergleichsweise hohe Rate       PatientInnen mit Migrationshintergrund (PatientIn
  an Koinfektionen mit Hepatitis B.31                      selbst oder die Eltern der PatientInnen) untersuchte,
                                                           wurde eine HBsAG-Prävalenz von 3,6 % und eine
  Bei einer Analyse von Fragebogenangaben und              anti-HBc-Prävalenz von 32,5 % beobachtet. Die Er-
  serologischen Proben in der HIV-1-Serokonverter-         gebnisse zeigen, dass insgesamt 87,3 % der PatientIn-
  studie von MSM aus den Jahren 2012 – 2016 zeigte         nen aus der östlichen Mittelmeerregion stammen,
  sich ein Anteil von 61,1% mit Impfschutz. Der Anteil     12,0 % aus Osteuropa und 0,7 % aus anderen Län-
  von HBV-Koinfektionen lag insgesamt bei 24,0 %,          dern.37 So kommen die AutorInnen zu dem Schluss,
  darunter 2,1 % mit aktiver und 21,9 % mit ausgeheil-     dass unter MigrantInnen eine deutlich höhere Prä-
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  valenz von Hepatitis B zu finden ist und gezielte       4   Hochrechnung zur Anzahl Hepatitis B
  Screeningmaßnahmen in dieser vulnerablen Grup-              und C infizierter Personen in
  pe zu empfehlen wären.                                      Deutschland
                                                          Für das Monitoring der Eliminierung von Virus­
  Berufsbedingte HBV-Infektionen: Obwohl seit             hepatitiden ist eine Schätzung der Gesamtanzahl
  ­mehreren Jahrzehnten eine Impfempfehlung für           von infizierten Personen notwendig. Das RKI hat für
   medizinisches Personal besteht, gehört Hepatitis B,    das Jahr 2013 die Gesamtzahl der Hepatitis-B- und -C-­
   wie auch Tuberkulose oder Hepatitis A und C, zu        infizierten Personen geschätzt, um eine Grundlage
   den weiterhin berufsbedingt vorkommenden Infek-        für das Monitoring zu erstellen und Präven­tions­
   tionskrankheiten im Gesundheitswesen. Insgesamt        maßnahmen besser planen zu können. Dabei wur-
   kommen Verdachtsmeldungen und Anerkennungen            den die Populationsgrößen und Seroprävalenzdaten
   von berufsbedingten HBV-Infektionen in Deutsch-        der Allgemeinbevölkerung, von MigrantInnen, inji-
   land heute nur noch selten vor. Die Deutsche Ge-       zierenden Opioidgebrauchenden und HIV-positiven
   setzliche Unfallversicherung (DGUV) weist in ihrer     Personen in Betracht gezogen. Für 2013 schätzen
   deutschlandweiten Statistik für das Jahr 2018 und      wir 252.000 (190.000 – 334.000) HBsAg-seroposi-
   2019 hinsichtlich Hepatitis B jeweils 26 Entschei-     tive Personen. Ein Manuskript ist in Vorbereitung.
   dungen zu Verdachtsmeldungen aus, wovon 15 für
   das Jahr 2018 und 10 für das Jahr 2019 als Berufs-
   krankheit anerkannt wurden. Dies bezieht sich nach     5 Umsetzung der Hepatitis-­
   BK-Nr. 3101 der Berufskrankheiten-Verordnung auf         Eliminierungsstrategie der WHO
   „Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im        Im Mai 2016 hat die WHO die erste Strategie mit
   Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in     der Vision einer Eliminierung der Virushepatitis als
   einem Laboratorium tätig oder durch eine andere        Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis zum
   Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße       Jahr 2030 verabschiedet.4 Diese ist an die nachhal­
   besonders ausgesetzt war.“ In diesen Zahlen sind       tigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen
   die Einrichtungen der gewerblichen Wirtschaft als      (sustainable development goals) angelehnt.47 Die Län-
   auch des öffentlichen Dienstes erfasst.                der der europäischen WHO-Region haben im Sep-
                                                          tember 2016 einen entsprechenden Aktionsplan
  In mehreren Studien konnte belegt werden, dass          verabschiedet.48 Mit der „Strategie zur Eindämmung
  64 – 90 % des Personals im Gesundheitswesen eine        von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell
  vollständige Grundimmunisierung haben.41 – 43 Das       übertragbaren Infektionen (STI) BIS 2030“ zielt das
  RKI erhebt anhand einer Online-Befragung von Kran­      BMG auf die nachhaltige Eindämmung dieser In-
  kenhaus-Personal zur Influenza-Impfung (OKaPII-­        fektionskrankheiten in Deutschland ab.3
  Projekt) regelmäßig den Impfstatus zu beruflich in-
  dizierten Impfungen bei Krankenhauspersonal.44 In       Von der WHO wurden Kern- und Zusatzindikatoren
  der Studie 2019 gaben 96,5 % des medizinischen          definiert, die für die Beschreibung der Ausgangssi-
  Personals (nur Ärzteschaft und Pflegepersonal, nicht    tuation und die Überwachung im zeitlichen Verlauf
  jedoch Verwaltungspersonal etc.) an, gegen Hepa­        zukünftig regelmäßig zu erheben sind.49 Für die Er-
  titis B geimpft zu sein. Von ihnen waren 94,2 %         hebung der Indikatoren für Deutschland können
  vollständig und 1,6 % nicht vollständig grundimmu-      epidemiologische Daten aus verschiedenen Daten-
  nisiert. Es gaben zwar 4,2 % an, geimpft zu sein,       quellen genutzt werden, die dem RKI bereits vorlie-
  wussten aber nicht, ob sie vollständig grundimmu-       gen, z. B. aus Prävalenzstudien, den Meldedaten und
  nisiert sind.45                                         den Schuleingangsuntersuchungen, zusätzlich kann
                                                          der publizierte Scoping-Review zur Datenlage von
  Im Jahr 2019 sind die aktualisierten Empfehlungen       Hepatitis B und C in Deutschland19 herangezogen
  der Deutschen Vereinigung zur Bekäm­pfung der Vi-       werden. Teilweise sind die Daten zur Konstruktion
  ruskrankheiten (DVV) e. V. zu Prävention der noso­      der geforderten Indikatoren in Kliniken, Laboren,
  komialen Übertragung von HBV und HCV durch              Registern oder Datensätzen der Routineversorgung
  im Gesundheitswesen Tätige erschienen.46                vorhanden.
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  Die erste Berichterstattung zu den Indikatoren aus       Auswertung des zeitlichen Verlaufs zeigt jedoch,
  Deutschland erfolgte 2018 (für die WHO) und 2019         dass die Anzahl akuter Infektionen seit 2011, mit
  (für das ECDC). Die WHO und das ECDC haben               Ausnahme von 2015, bei weniger als 600 Infektio-
  2019 ihre erste Datenerhebung in den Mitglieds-          nen pro Jahr lag und seitdem kein Anstieg an aku-
  staaten durchgeführt. Ein ausführlicher Bericht des      ten Infektionen zu verzeichnen war. Eine Differen-
  ECDC zur ersten Datenerhebung bei den Mitglieds-         zierung nach Infektionsstadium zeigte, dass bei
  staaten sowie der „Progress report on HIV, viral he-     Männern die höchsten Inzidenzen akuter Infektio-
  patitis and sexually transmitted infections“ der         nen bei den 25- bis 59-Jährigen und bei den Frauen
  WHO sind publiziert.15, 50                               bei den 20- bis 49-Jährigen lagen und wahrschein-
                                                           lich zum größten Teil auf sexuelle Übertragungswe-
  Um zu eruieren, welche Datenquellen zukünftig für        ge zurückzuführen sind. Die sexuelle Übertragung
  die Konstruktion der Indikatoren relevant sind und       wird auch als der häufigste Transmissionsweg ange-
  um Ansätze für die Schließung der Datenlücken zu         geben, jedoch muss beachtet werden, dass diese An-
  erarbeiten, wurde im November 2019 ein Arbeits­          gaben nur für einen sehr geringen Anteil aller Fälle
  treffen am RKI mit Akteuren aus verschiedenen            vorliegen. Für eine bessere Beschreibung und Ein-
  ­Bereichen der Gesundheitsversorgung und -bericht-       grenzung von Gruppen in der Allgemeinbevölke-
   erstattung durchgeführt. Eine Publikation der Er-       rung mit erhöhtem Risiko für Neuinfektionen
   gebnisse ist in Vorbereitung.                           (meist akute Infektionen) oder erhöhter Prävalenz
                                                           (z. B. unerkannte chronischen Infektionen) ist eine
                                                           differenzierte Übermittlung und Auswertung der
  6 Zusammenfassende Einschätzung                          HBV-Infektionen nach Infektionsstadium von ent-
  Die internationale und nationale Bedeutung von           scheidender Bedeutung.
  ­viralen Hepatitiden ist weiterhin hoch. So haben
   ­sowohl die WHO als auch das BMG Strategien­            Die Hepatitis-B-Impfquoten sind nicht nur in der
    zur Eindämmung von Hepatitis B veröffentlicht.         Allgemeinbevölkerung, sondern auch in den Risiko-
    Deutschland hat sich den Eliminationszielen viraler    gruppen unzureichend. Strategien zur Erhöhung
    Hepatitiden der WHO bis 2030 verschrieben.3 Für        der Impfquoten sollten für die Allgemeinbevölke-
    die Daten, die für die Überwachung der Eliminie-       rung und die unterschiedlichen Risikogruppen
    rungsziele notwendig sind, können z. B. Studien,       ­evaluiert werden. Es wird dringend empfohlen, alle
    Sekundärdaten, sowie Surveillancedaten benutzt          Säuglinge, Kinder und Jugendliche konsequent zu
    werden. Die Surveillance der HBV-Infektionen nimmt      impfen. Zudem sollten die Impfquoten in definier-
    hier eine entscheidende Rolle ein.25, 51 Um diese in    ten Risikogruppen, insbesondere bei solchen mit
    Deutschland zu intensivieren und um eine bessere        Sexualverhalten mit hoher Infektionsgefährdung
    Vergleichbarkeit mit anderen europäischen Län-          oder injizierendem Drogengebrauch, gesteigert
    dern zu gewährleisten, wurden 2015 die Falldefiniti-    werden.
    onen von Hepatitis B und D angepasst. Zudem er-
    folgte eine Anpassung des IfSG im Jahr 2017. Seit      Die Prävalenzdaten in unterschiedlichen Bevölke-
    dem Jahr 2019 werden auch Zahlen zu chronischen        rungsgruppen deuten darauf hin, dass vulnerable
    Infektionen veröffentlicht. Zwischen 2001 und 2009     Gruppen stärker betroffen sind. Somit müssten die
    wurde ein Rückgang der übermittelten HBV-Infek-        Präventionsmaßnahmen zielgerichteter werden.
    tionen beobachtet, der vermutlich vorwiegend auf       Darüber hinaus wurden in einem systematischen
    einen verbesserten Impfschutz durch die Einfüh-        Review Datenlücken in bestimmten Bevölkerungs-
    rung der generellen Impfempfehlung für Säuglinge       gruppen, wie z. B. Personen in Haft, identifiziert
    im Jahr 1995 zurückzuführen ist. Dieser Trend          ­sowie die Datenlage als veraltet eingeschätzt, z. B.
    ­stagnierte mit geringen Schwankungen von 2009 – ­      repräsentative Daten in der Allgemeinbevölkerung
     2014. Seit 2015 ist eine starke Zunahme der gemel-     betreffend.19 Daher ist es von großer Bedeutung,
     deten Fallzahlen zu verzeichnen, was mit den oben      neue Studien zu konzipieren, um die identifizierten
     beschriebenen Änderungen (siehe 3.1.1.) zusammen­      Datenlücken zu schließen.
     hängt. Eine nach Infektionsstadium differenzierte
Epidemiologisches Bulletin        30/31 | 2020       23.7.2020                                                       15

  Auf einem im RKI veranstalteten Arbeitstreffen                 Die aktuellen Surveillance- und Forschungsdaten
  konnten Projektpartner und neue Datenerhebungs-                deuten darauf hin, dass immer noch neue Infektio-
  möglichkeiten, wie Datenquellen aus Laboren, Kli-              nen auftreten und dass die Krankheitslast erheblich
  niken, Registern und Routinedaten, identifiziert               größer in vulnerablen Gruppen ist. Daher sind Prä-
  werden, um eine regelmäßige Berichterstattung zu               ventionsmaßnahmen sowie die Identifizierung von
  gewährleisten. In einem nächsten Schritt sollen in             akuten und chronischen Infektionen von großer
  Projekten mit Datenhaltern die jeweiligen Indikato-            ­Bedeutung, um die Anzahl der Neuinfektionen er-
  ren generiert werden. Ziel ist eine kontinuierliche             heblich zu senken.
  Datenerfassung und -nutzung sowie die regelmäßi-
  ge Indikatorenbestimmung, um die Umsetzung der
  Eliminierungsstrategie von Hepatitis B und C zu
  verfolgen.

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