Natura 2000 Natur erleben, Naturschutz verstehen - Das europäische Naturschutznetz in M-V mit Wandertouren
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Natur erleben, Naturschutz verstehen Natura 2000 Das europäische Naturschutznetz in M-V mit Wandertouren Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz
Impressum Herausgeber: Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern Paulshöher Weg 1, 19061 Schwerin Telefon 0385 / 588 0 E-Mail: poststelle@lu.mv-regierung.de Internet: www.lu.regierung-mv.de Konzept und inhaltliche Gestaltung: Serviceagentur Natur & Bildung A. Müller, Schwerin U. Schmidt, Niepars Telefon: 0385 / 7778614 E-Mail: natur_und_bildung@web.de sowie Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern (LUNG) Telefon: 03843 / 777 0 www.lung.mv-regierung.de Fotos: Titel: K.-H. Trippmacher, L. Wölfel und H. Müller; Pressefoto: (S. 2) A. Lindenbeck Karten: Landesamt für innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern (LAiV-MV) www.lverma-mv.de Layout und Druck: Obotritendruck GmbH, Schwerin 2008
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Einführung Das Wandern ist nicht nur des Müllers Lust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Hintergründe Was bedeutet eigentlich Natura 2000? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Der Verlust an Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Wie kommt eine Landschaft ins Natura 2000-Netz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Natura 2000 bringt uns weiter – Die Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Wie kann das Vorhaben Natura 2000 erfolgreich sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Unser Anteil am europäischen Naturerbe Natura 2000 in Mecklenburg-Vorpommern wie in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Küstengewässer und Unterwasserlebensräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Strände, Steilküsten, Salzstandorte und Dünen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Flüsse und Seen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Wiesen und Staudenfluren, Trockenrasen und Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Moore - Ein besonderer Lebensraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Wälder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Überblickskarte Natura 2000 - Gebiete Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Auf Tour Natura 2000 selbst erlebt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Tour 1: Salzige Luft und Wattwurmgetümmel Küstenwanderung von der Wohlenberger Wiek nach Wismar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Tour 2: Stadtlandschaft mit Wildnisfaktor Vom Schweriner Schloss zum Görslower Ufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Tour 3: Im Land der Biber und Störche Ein Ausflug in die Elbtalaue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Tour 4: Es klappert die Mühle am rauschenden Bach Eine Wanderung durch das Tal der Nebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Tour 5: Moor und Sumpf und keine nassen Füße Mit dem Fahrrad rund um das Rauhe Moor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Tour 6: Meeresblick von bunten Wiesen Wanderung in den Zickerschen Bergen auf dem Mönchgut/ Südostrügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Tour 7: Auf Pirsch zu Specht und Hirsch Radwanderung durch die östlichen Brohmer Berge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Tour 8: Im Revier des Fischadlers unterwegs Sechs-Seen-Wanderung bei Feldberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Weitere Informationen Lebensräume des Anhangs I der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Arten der Anhänge II und IV der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Arten des Anhangs I der Richtlinie 79/409/EWG (Vogelschutzrichtlinie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Weblinks, CD-ROM und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
Vorwort Die wohltuende und reizvolle Ästhetik naturnaher Land- schaften begegnet uns auf vielen Bildern und wird gezielt als Werbeinstrument eingesetzt. Sie ist schlechthin der entscheidende Beweggrund für unsere Aufenthalte in der Natur abseits unserer Alltagswelt. Mecklenburg-Vorpommern unternimmt große Anstren- gungen, seine Naturlandschaften in ihrer besonderen Qualität zu erhalten. Wir sind stolz darauf, in das ent- stehende europäische Schutzgebietssystem Netzwerk Natura 2000 einmalige, großflächig ausgeprägte Natur- landschaften, wie große Teile der Küstenlandschaft, die Boddengewässer, die Seenplatte und zahlreiche naturge- prägte Waldgebiete, einbringen zu können. Bis etwa Ende der 1980er Jahre wurden die einzelnen Naturreservate mehr oder weniger isoliert betrachtet - bis erkannt wurde, dass der naturnahe Charakter einer größeren Region oder gar eines Landes durch einen un- regelmäßigen Flickenteppich aus Schutzgebieten lang- fristig nicht wirksam bewahrt und erlebt werden kann. Stichworte wie Biotopverbund und Vernetzung sind seit- dem in das Zentrum der Naturschutzdiskussion gerückt. Auf Dauer lässt sich keine Tier- oder Pflanzenart retten, die zwar aus vielen, aber voneinander isolierten Popula tionen besteht. Dr. Till Backhaus Auf europäischer Ebene ist dieser Gedanke durch die Eu- ropäischen Naturschutzrichtlinien aufgegriffen worden: 1979 - also beginnend vor fast 30 Jahren - durch die Vogel- schutz-Richtlinie und 1992 durch die Fauna-Flora-Habi-
Vorwort tat-Richtlinie (FFH). Mit diesen Richtlinien haben sich alle möglicher Maßnahmen zur Verfügung. Die jeweils taug- EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, ein ausreichendes Netz lichsten sollen im Einzelfall zur Anwendung kommen, von Schutzgebieten einzurichten, um die biologische und um dauerhaft gute Erhaltungszustände von Gebieten, landschaftliche Vielfalt auf dem Gebiet der Europäischen Lebensräumen und Arten zu gewährleisten. Eine ausrei- Union zu erhalten. Dieses Schutzgebietssystem soll alle chende personelle Betreuung der Gebiete - hauptberuf- für Europa besonders bedeutsamen Arten und Lebens- lich oder ehrenamtlich, aber stets professionell - ist dafür räume wirksam und dauerhaft schützen. Die Bedeutung besonders wichtig. Der Erhaltungszustand der Lebens- eines derartigen, europaweit vernetzten Systems von räume und Arten ist Thema regelmäßiger Berichte der Schutzgebieten lässt sich am Beispiel des Zugverhaltens Mitgliedstaaten an die Europäische Kommission. von Kranichen illustrieren. Ein Schutz der Brutgebiete in Nord- und Osteuropa wäre auf Dauer weitgehend nutzlos Die vorliegende Broschüre soll interessierte Bürger infor- ohne einen gleichzeitigen effizienten Schutz der großen mieren sowie insbesondere auch Schulen und andere Bil- Rastgebiete des Kranichs in Mecklenburg-Vorpommern dungseinrichtungen mit dem notwendigen Hintergrund- sowie der Überwinterungsgebiete in Spanien. wissen zu einem Thema ausstatten, das sich unmittelbar mit unserer Lebensqualität verbindet. Die Qualitätssicherung des Netzwerkes erfordert ein Bün- del von Maßnahmen. Ohne die Mitwirkung von Naturnut- Die Wandervorschläge im zweiten Teil der Broschüre sol- zern, wie insbesondere Land- und Forstwirten, ist keine len zur aktiven Teilhabe im ökologischen Netzwerk mo- dauerhafte Pflege der Lebensräume in ihren Grundzügen tivieren, da nur so das Anliegen - Begeisterung an und zu gewährleisten. Doch bei allen Anstrengungen (und in der Natur - unmittelbar im Bewusstsein des Einzelnen Einschränkungen) zur Bewahrung unseres Naturerbes ist ankommen kann. Die geeignete »Begegnungsart« muss der Mensch nicht nur Akteur oder Betroffener, sondern allerdings jeder für sich herausfinden. Als Grundstein für ebenso Profiteur. eine Beschäftigung mit dem Naturerbe wünsche ich der Broschüre insofern eine weite Verbreitung. Die Landesregierung hat im Jahr 2008 die Gebietsmel- dungen für das Netzwerk Natura 2000 zum Abschluss gebracht. Jetzt hat die Phase der langfristigen Sicherung der schutzwürdigen bzw. geschützten Gebiete begon- nen. Das geschieht unter Beteiligung aller maßgeblichen Dr. Till Backhaus gesellschaftlichen Gruppen in den jeweiligen Regionen. Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Für das Qualitätsmanagement steht eine breite Palette Verbraucherschutz Mecklenburg-Vorpommern (Foto: L. Wölfel)
Einführung Das Wandern ist nicht nur des Müllers Lust Noch vor wenigen Jahren wäre niemand auf die Idee ge- Bis zu 30 Kilometer legen Otter pro Nacht zurück – über kommen, für den Fischotter Verkehrsschilder aufzustellen. staatliche Grenzen hinweg und mit unserer Hilfe eines Ta- Wer heute auf den Straßen unseres Landes unterwegs ist, ges vielleicht wieder in ganz Europa. So ist der Fischotter begegnet den dreieckigen Warnzeichen mit dem stilisier- inzwischen Symbol für eine internationale Verknüpfung ten Tier allerdings recht häufig. Ein gutes Zeichen? der Schutzgebiete, seine Ausbreitung ein Zeichen für den Ja und Nein! gelungenen Verbund der naturbelassenen europäischen Gewässersysteme. Allerdings werden Fischotter auf ih- Früher als »Fischräuber« heftig bekämpft, waren Fisch- ren Wanderungen zunehmend Opfer des wachsen- otter in den 1960er Jahren in Westeuropa fast aus- den Straßenverkehrs. Denn seien wir mal ehrlich: gestorben. Inzwischen haben sich die Bestände Wer nimmt schon den Fuß vom Gaspedal, wenn durch den Erhalt ihrer Lebensräume, ein Jagd- er eines der dreieckigen Warnschilder mit dem verbot und die saubereren Gewässer erholt. Hinweis auf einen Otterwechsel sieht? In den vergleichsweise dünn besiedelten Landschaften Brandenburgs und Meck Neben der Wiederausbreitung von Fisch- lenburg-Vorpommerns gab und gibt otter, aber auch von Biber, Seeadler und es für diese Tiere noch reichlich wilde Wolf, sind es die jährlich wiederkeh- Ufer mit angrenzenden Sumpfwäl- renden Reisen unserer Zugvögel, die dern, Gebüschen oder Röhrich- für grenzüberschreitende Wander- ten. Heute ist Mecklenburg-Vor- bewegungen sorgen. Ziehende pommern eine Quelle für die Kraniche und rastende Gänse Ausbreitung der Otter in sind besonders bei uns alljähr- Richtung Westen. Ihrem lich ein vertrautes Bild. Dass natürlichen Drang folgend, dies unserem Land Ansehen gehen die Tiere auf Wanderschaft. Sie erobern sich Land- und Gewinn bringt, spürt auch der Tourismus. Doch wer striche zurück, die seit Jahrhunderten ihre Reviere waren. macht sich noch bewusst, dass Kraniche, die auf dem Darß Lange Jahre »otterfreie Zonen«, wie Niedersachsen oder »verpusten«, eigentlich »estnisch reden«, weil sie im Matsa- Nordrhein-Westfalen, melden wieder vereinzelte Nach- lu-Nationalpark im Baltikum geboren und aufgewachsen weise. Aus Richtung Österreich und Tschechien wird auch sind? Und wer denkt schon daran, dass ihr Weg sie in die spa- Bayern zunehmend besiedelt. nische Extremadura führt, wo sie den Winter verbringen? (Dreiecksfoto oben: G. Olsthoorn) Über geeignete Gewässerstrecken kann sich der Fischotter einstige Lebensräume wieder erobern. (Foto: P. Wernicke) Deutschland spielt eine zentrale Rolle bei der Vernetzung isolierter Ottervorkommen in Europa (verändert nach: REUTER, C; A. KRE- KEMEYER 2004: Auf dem Weg zu einem Otter Habitat Netzwerk Europa (OHNE), Arbeitsberichte der Aktion Fischotterschutz e.V., Habitat-Band 15, 308 S., Hankensbüttel)
Einführung Noch weniger bekannt ist, dass Schmetterlinge eben- geltende Vogelschutz-Richtlinie und die FFH-Richtlinie, falls internationale Wanderungen unternehmen. So die nach Befürwortung durch das Europäische Parlament überdauern Distelfalter oder Kohlweißlinge aus hiesigen von den Regierungschefs der EU-Staaten im Jahre 1979 Gefilden die Wintermonate im angenehmen Mittelmeer- bzw. 1992 beschlossen wurden. Mit Hilfe des Natura klima. Kaum von uns wahrgenommen, überqueren sie 2000-Netzes soll das europäische Naturerbe bewahrt und zu diesem Zweck zweimal jährlich die Alpen. Auch bei vermehrt werden. Unser Bundesland leistet dank seiner Fledermäusen wurden derartige Wanderungen zwischen natürlichen Bedingungen mit vielen intakten Ökosyste- Winter- und Sommerrevieren untersucht. Erstaunlicher- men und weniger dicht besiedelten Landschaften einen weise konnten die Tiere bis zu 1.900 Kilometer quer durch wichtigen Beitrag zum Überleben vieler Pflanzen- und Europa verfolgt werden. Tierarten. Folgen Sie uns auf dem erlebnisreichen Weg in Infolge derartiger Beobachtungen und aufgrund des das Netz der Natura 2000-Gebiete. Erleben Sie die groß- nachhaltigen Verlustes an Lebensräumen für Tiere und artigen Naturlandschaften Mecklenburg-Vorpommerns! Pflanzen startete die Europäische Staatengemeinschaft Wir bieten Ihnen Tipps für eigene Entdeckungen und vor 25 Jahren einen bisher beispiellosen Prozess: Ein Netz- wollen helfen, Hintergründe zu verstehen. werk von Schutzgebieten für Europas Tier- und Pflanzen- arten und ihre Lebensräume, genannt Natura 2000, sollte Ideale Lebensräume für Fischotter sind vielfältige Gewässer und entstehen. Die Grundlage dafür lieferten die seit 1979 strukturreiche Ufer wie hier im Warnowtal. (Foto: H. Kästner)
DIe hintergründe Was bedeutet eigentlich Natura 2000? Dass dies keine leichte Frage ist, bestätigt Marco Illgner aus Spornitz bei Parchim. Obwohl der 22jährige Pädago- gikstudent bei der Jugendorganisation eines Umwelt- verbandes sein Freiwilliges Ökologisches Jahr absol- vierte, hat er den Begriff »Natura 2000« noch nie gehört. Auch Angelika Gloria (37) aus Schwerin – Theologin und bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche mit Bil- dungsarbeit beschäftigt – weiß nur soviel, als dass sie irgendetwas darüber schon einmal gelesen hat, mit Na- turschutz habe es aber auf alle Fälle zu tun. Die Schweri- nerin Elisabeth Kirschke (23), Studentin für Ethnologie und Russistik, weiß etwas mehr: »Meiner Meinung nach hat sich das die EU ausgedacht... Es geht um Vögel... und darum, dass die Natur in Europa gemeinschaftlich Elisabeth Kirschke aus Schwerin weiß recht viel. geschützt werden muss«, antwortet sie halb fragend, so (Foto: A.Müller) als würde sie ihrem eigenen Wissen nicht so recht trau- en. Elisabeth, die sich seit ihrem 15. Lebensjahr für den Schutz der Umwelt interessiert und sich aktiv im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Meck- lenburg-Vorpommern engagiert, beschreibt schon recht genau, was Natura 2000 eigentlich ist. Kurz: Natura 2000 bezeichnet ein beeindruckend um- fängliches Naturschutzprogramm für das Gebiet der Europäischen Union (EU). Seine Bestandteile gründen auf den Zielen der Europäischen Vogelschutzrichtlinie und der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft. Zur EU gehören seit dem Beitritt vieler osteuropäischer Staaten im Jahr 2007 mittlerweile 27 Länder. Von all diesen Ländern werden mit dem »Natu- ra 2000-Programm« besondere Schutzgebiete festge- Marco Illgner aus Spornitz hat keine Ahnung. legt, in denen bestimmte Tier- und Pflanzenarten und (Foto: A.Müller) ihre Lebensräume geschützt werden sollen. So entsteht ein europaweites System von Schutzgebieten – ein re- gelrechtes Netz. Dieses Netz heißt »Natura 2000«. Ein wichtiges Ziel von Natura 2000 besteht darin, dass von Portugal bis Estland, von Irland bis Zypern die glei- chen verbindlichen Regeln für die Bewahrung des eu- ropäischen Naturerbes gelten. Damit ist gewährleistet, dass alle EU-Staaten einen hohen Standard beim Schutz ihrer Naturräume einhalten. Natura 2000 ist dabei jedoch nicht das einzige Projekt, mit dem die europäischen Länder ihre Aktivitäten netz- artig verflechten. Ob bei Fragen des Verkehrs, der Kom- munikation oder der Energieversorgung – es entstehen weitere Verknüpfungen der unterschiedlichen natio- Angelika Gloria hat schon mal etwas gehört. nalen Systeme: die so genannten transeuropäischen (Foto: A.Müller) Netze (TEN).
DIe hintergründe Der Verlust an Arten In Anbetracht des Rückgangs vieler Tier- und Pflanzen- zeigen, gelten naturschöne Landschaften - und sogar der arten in Europa waren die europäischen Naturschutz- Gedanke daran - bei mehr als 80 Prozent der Befragten als richtlinien überfällig. Etliche nationale Erhebungen, die Auslöser von Wohlbefinden. Der Schutz von Naturgebie- so genannten Roten Listen, kommen schon seit Jahren zu ten sowie Arten mit ihren Lebensräumen dient also un- diesem Resultat. Selbst die scheinbar so häufig vorkom- mittelbar unseren menschlichen Bedürfnissen. Vielfalt in menden Haussperlinge sind deutlich zurückgegangen Natur und Landschaft macht uns reich, reich an Informa- und finden beispielsweise in unserem Nachbarstaat, den tionen und Erlebnismöglichkeiten. Das erfahren wir im- Niederlanden, nicht mehr genug Brut- und Nahrungs- mer dann, wenn wir freie Lebenszeit außerhalb unserer plätze. In den letzten 50 Jahren hat sich die biologische Wohn- und Arbeitswelt verbringen. Vielfalt, trotz der Anstrengungen vieler Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, verringert: 64 Pflanzenarten, die Schonende Landnutzung fördert die Artenvielfalt nur in Europa vorkamen, sind bereits ausgestorben. In Über die Ursachen des Artenrückgangs weiß man euro- Mecklenburg-Vorpommern sind seit den 1960er Jahren paweit sehr gut Bescheid. So hat sich die Nutzung unserer 95 (!) Pflanzenarten verschwunden, darunter viele Arten Landschaften innerhalb der letzten Jahrzehnte rapide ge- der nährstoffarmen Gewässer, der beweideten Trockenra- ändert. Auf der einen Seite schuf sie z. B. auf sonnigen, sen und der intakten Moore. warmen Hügeln und Hängen ganz nebenbei blüten- reiche Wiesen und Weiden mit einer enormen Vielfalt an Wohltuende Ästhetik der biologischen Vielfalt Tieren und Pflanzen. Auf der anderen Seite wurde bzw. Artenvielfalt steht meist in enger Wechselbeziehung zur wird Weideland in Ackerland verwandelt oder es wächst landschaftlichen Vielfalt und Schönheit. Wie Umfragen wegen fehlender Beweidung allmählich zu. Artenvielfalt - ins richtige Verhältnis gerückt (nach E. Wilson, Der Wert der Vielfalt, 1997, aus ARA-konkret 5 (2002))
DIe hintergründe Eine große Gefahr für die Artenvielfalt geht von der Arten durch Abholzung der Wälder zu Grunde gehen, be- Jahrzehnte andauernden Überdüngung unserer Land- vor sie überhaupt entdeckt worden sind. Stellen Sie sich schaft aus. Trotz Reglementierungen gelangen durch die vor, ein Wirkstoff gegen Krebs würde uns nur deshalb Landwirtschaft auch heute noch oft mehr Nährstoffe in verloren gehen, weil wir vorher den Lebensraum zerstört die Böden, als von den Pflanzen aufgenommen werden haben, in dem die Pflanze mit der heilenden Wirkung können. Durch die nicht unerheblichen Nährstoffeinträ- wächst. Zur Zeit wird jede Minute ein Stück tropischer ge aus der Luft werden die feinen Unterschiede in den Regenwald von der Größe eines Fußballfeldes zerstört, Landschaften, bedingt durch ein Mosaik aus nährstoff- häufig für den Anbau von Sojabohnen. Sie dienen als bil- ärmeren und -reicheren Böden, allmählich immer mehr liges Kraftfutter für europäische Milchkühe in der inten- aufgehoben. Unsere Landschaft wird eintöniger. Viele siven Landwirtschaft. Der Kauf von Bio-Milch schützt also blühende Pflanzen verschwinden. Üppig und überall auch den Regenwald, denn für deren Erzeugung werden wachsen nährstoffliebende Arten, wie Brennnessel, Que- Importfuttermittel aus Übersee vermieden. cke, Wiesen-Kerbel oder Löwenzahn. Durch den Nährstoff eintrag zerstören wir den Artenreichtum in der Natur. Wildtiere der Vergangenheit Ein gleichförmig saftiges Wiesengrün oder ein knalliges Europa hat durch sein Klima und seine Naturgeschich- Rapsgelb sind oft nur Erkennungsmerkmale artenarmer te weitaus weniger Arten vorzuweisen als andere Regi- Landschaften. Nur Vielfalt macht das Leben reich, das gilt onen der Erde. Doch selbst unter diesen gibt es bereits überall in der Natur. Opfer. Vor annähernd 250 Jahren ist der Auerochse, ein bis zu zwei Meter hohes Wildrind unserer heimischen Weltweiter Artenrückgang Sumpfwälder, durch starke Bejagung in ganz Europa Das Problem des Artenrückgangs ist keineswegs auf Euro- ausgestorben. Orts- und Flurnamen wie Thurow oder pa begrenzt. Der amerikanische Biologe Edward O. Wilson Thurbruch lassen sich auf das slawische Wort »Tur« für errechnete, dass bei dem derzeitigen Tempo der Land- den Auerochsen zurückführen und verweisen auf die schaftsveränderungen – durch die Aufgabe extensiver einstige Anwesenheit dieser mächtigen Tiere. Andere Wirtschaftsweisen, die Verstädterung, den Landschafts- Arten, die heute noch in einigen Teilen Europas vorkom- verbrauch und die Tourismusentwicklung – jeden Tag men, sind in den letzten 100 Jahren aus Deutschland weltweit 137 Arten aussterben. Den Schwerpunkt dieses verschwunden. Dazu gehört der Europäische Nerz, der Verlustes sehen die Forscher in den tropischen Regionen, 1925 das letzte Mal gesichtet wurde. Auch die Wildkat- dort, wo auf einem Quadratkilometer 140 Baumarten ze, der Luchs, der Braunbär oder der Wolf waren einst gedeihen (in Europa sind es 10 Baumarten) und wo viele häufige Bewohner unserer Wälder. Weltweit leben schätzungsweise 10 Millionen Arten. In Europa sind 200.000 Arten beschrieben. Davon sind 42 % der Säugetiere, 15 % der Vögel, 45 % der Schmetterlinge, 30 % der Amphibien, 45 % der Reptilien und 52 % der Süßwasserfische be- droht. Die Zahl der bedrohten Insekten und anderer Wirbelloser liegt dabei im Dunkeln, da kein Mensch ihre gesamte Artenzahl kennt. Derzeit sind weltweit 12.259 der bekannten Arten, von denen es teilweise nur noch einzelne Exemplare gibt, akut vom Ausster- ben bedroht. In Deutschland starben in den letzten 300 Jahren 520 Tier- und 512 Pflanzenarten aus. Nur 1,75 Millionen Arten sind bekannt.
DIe hintergründe Die Große Händelwurz, auch Mücken-Händelwurz genannt, wächst in Mecklenburg-Vorpommern u. a. auf kalkreichen Moorwiesen. Die Trockenlegung vieler Moore veränderte ihren Lebensraum dermaßen stark, dass diese stattliche Orchidee in unserem Bundesland mittlerweile vom Aussterben bedroht ist. (Fotos: W. Wiehle) Einst zogen Herden von Auerochsen durch unsere Wälder und Moore. Davon künden heute nur noch Skelettfunde. Seit den 1920er Jahren versuchte man, durch Rückkreuzungen aus alten Rinderrassen, den Auerochsen wieder erstehen zu lassen. Das Ergebnis dieser Arbeit war das Heckrind, benannt nach den Brüdern Heck, den damaligen Tierparkdirektoren in Berlin und München. Heckrinder eignen sich heut- zutage wegen ihrer Robustheit hervorragend für die Landschaftspflege. (Foto: A. Müller) Nach Jahrhunderten menschlicher Verfolgung und Ausrottung erobert der Wolf langsam auch Gebiete in Mitteleuropa zurück. Dabei bevorzugt er waldreiche Gegenden als Rückzugsräume, folgt seinen Beute- tieren aber auch in die offene Kulturlandschaft. Der Umgang mit dieser großräumig lebenden Art stellt uns vor neue Herausforderungen. (Foto: L. Wölfel)
10 DIe hintergründe Wie kommt eine Landschaft ins Natura 2000 – Netz? Bis heute sind in Mecklenburg-Vorpommern 60 EU-Vo natürlichen Lebensräume mit ihren typischen Tieren und gelschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von etwa 9.270 Pflanzen zu bestimmen. Innerhalb von Klimaregionen Quadratkilometern und 235 FFH-Gebiete mit einer Ge- (siehe Abb. unten) existieren annähernd gleiche bioklima- samtfläche von etwa 5.800 Quadratkilometern ausge- tische Bedingungen und kommen vergleichbare Lebens- wählt worden. Für einige Gebiete treffen beide Schutzka- räume vor. Deutschland gehört größtenteils zur »konti- tegorien zu. Insgesamt gehören inzwischen 34,5 Prozent nentalen Region« Europas. In ihr sind nach europäischem der Landesfläche zum Verbundsystem Natura 2000. Maßstab 88 Lebensraumtypen, 109 Tier- und 55 Pflanzen- arten besonders schützenswert. Davon wurden in Meck- In der Europäischen Vogelschutzrichtlinie und in der lenburg-Vorpommern 58 Lebensraumtypen, 38 Tier- und Flora-Fauna-Habitatrichtlinie sind die jeweils sich unter- 8 Pflanzenarten gefunden. Darunter befinden sich die in scheidenden Verfahren zur Meldung von Schutzgebieten Mitteleuropa verbreiteten und auch für Mecklenburg-Vor- für das Netzwerk Natura 2000 festgelegt. Einen Überblick pommern typischen Buchenwälder, die klimatisch bedingt über die Verfahrensschritte bietet die Übersicht auf der nur in einem Teil Europas und dazu noch in besonders viel- folgenden Seite. fältiger Form gedeihen. Bis zur Verwirklichung des europaweiten Schutzgebiets- systems Natura 2000 ist ein recht komplizierter Prozess Aber nicht nur natürliche Biotope, wie beispielsweise zu durchlaufen, wie das Beispiel der Auswahl von beson- Auenwälder, gehören zu den bewahrenswerten Lebens- ders zu schützenden Lebensräumen und Arten zeigt . Bei räumen. Auch durch Menschenhand geschaffene, inzwi- dieser Auswahl kommt es keinesfalls darauf an, beson- schen jedoch selten gewordene Lebensräume, wie zum dere Naturdenkmale und Unikate, wie den prächtigsten Beispiel Heiden oder Salzwiesen zählen dazu. Trockenrasen oder den ältesten Naturwald, ausfindig zu Ein Überblick über die in Mecklenburg-Vorpommern vor- machen, sondern vor allem darauf, für die großen Klima- kommenden, schützenswerten europäischen Arten und regionen der Europäischen Union die naturnahen oder Lebensräume befindet sich im Schlussteil der Broschüre. Biogeographische Regionen der Europäischen Union
DIe hintergründe 11 FFH-Richtlinie Was wird getan? 1992 Wer agiert? • In Übereinstimmung mit den in Anhang III • Bundesländer – Gebietsauswahl, Ge der FFH-Richtlinien festgesetzten Kriterien Phase 1 bietsmeldung, Bewertung, Öffentlichkeits führen die Bundesländer eine Auswahl, beteiligung, Übermittlung der Melde Aufstellung der Abgrenzung sowie länderspezifische Be- unterlagen (Standarddatenbogen und nationalen Vorschlags- wertung der Gebiete durch. kartografische Darstellungen) an BMU. liste für Gebiete von • Bundesumweltministerium (BMU) – Euro- gemeinschaftlicher • Die Meldeunterlagen zu den Gebieten mit pa- und bundespolitische Verantwortung, Bedeutung kartografischen Darstellungen werden an Benehmensherstellung die Europäische Kommission übermittelt. • Bundesamt für Naturschutz (BfN) – Wissen schaftliche Beratung, fachliche Hinweise zur Gebietsauswahl und zur nationalen Bewer- tung der Gebiete, Prüfung auf Kohärenz • Biogeografische Regionen – Das Gebiet • Europäische Kommission – General Direk Phase 2 der EU wird aufgrund geografischer und tion Umwelt (ENV) – Abschließende Aus- klimatischer Gegebenheiten in biogeogra- wahl der geeignetsten Gebiete für die ge- Festlegung der fische Regionen unterteilt. meinschaftliche Liste Gebiete von gemein- • Biogeografische Seminare – Es finden • Mitgliedstaaten – Teilnahme an den bio- schaftlicher Bedeu- mindestens zwei gemeinschaftliche Be- geografischen Seminaren, Stellungnahmen tung auf der Ebene der wertungstreffen statt. zu den Referenzlisten Europäischen Union • Referenzlisten – zur Überprüfung der • European Topic Center on Biological Di- Vollständigkeit der Meldung von Lebens- versity (ETC/BD) – »Fachbehörde« der raumtypen und Arten werden Übersichts- Europäischen Kommission listen mit allen Lebensraumtypen/Arten, • Habitatausschuss – Entscheidungsgremium die im jeweiligen Mitgliedstaat vorkom- mit Vertretern der Mitgliedstaaten; Verab- men, erarbeitet. schiedung von Umsetzungsdokumenten • Beurteilung der Bedeutung der Vor- • Vertreter von Nichtregierungsorganisa- schlagsgebiete für die Gemeinschaft tionen des Naturschutzes – Stellungnah- men zur Gebietsauswahl und zu den Refe- renzlisten NETZ NATURA 2000 Erklärung als besondere Schutzgebiete durch die Mitgliedstaaten • Auswahl der Vogelschutzgebiete – • Mitgliedstaaten – Auswahl und Erklä- durch direkte Ausweisung der zahlen- EU rung der Vogelschutzgebiete, Übermitt- und flächenmäßig geeignetsten Ge- Vogelschutz- lung aller sachdienlichen Informationen biete Richtlinie an die EU. • Direkte Aufnahme – in das Netz 1979 • Europäische Kommission – Aufnahme Natura 2000 der Gebiete in das Netz Natura 2000 Meldeverfahren für Schutzgebiete im Netzwerk Natura 2000 (Quelle: BfN, verändert)
12 DIe hintergründe Ohne ehrenamtliches Engagement Eine seiner Sternstunden ereignete sich im Sommer 2004. wäre Vieles nicht möglich Als er mit einer Kindergruppe die Welt der Fledermäuse im Um die »richtigen« Gebiete für das Natura 2000-Netz- Malliner Bachtal erkundet, verfängt sich im aufgebauten werk festlegen zu können, reicht allein die Information Fangnetz eine Teichfledermaus. Von diesen Tieren waren über die Existenz schützenswerter Tiere und Pflanzen im in Mecklenburg-Vorpommern zu diesem Zeitpunkt nur Land bei Weitem nicht aus. Es sind genaue Kenntnisse zwei so genannte »Wochenstuben« bekannt – Orte, an über die Verbreitung von Arten und über die Qualität von denen die Weibchen die nackten und blinden Jungen zur Lebensräumen notwendig – ein Fachwissen, über das die Welt bringen. Axel Griesau wundert sich über den Flug Behörden nicht immer ohne Weiteres verfügen. Zwar gibt der Teichfledermaus zu dieser frühen Abendstunde. Da es es auch staatliche Kartierungsprogramme, aber viele Er- sich zudem um ein Weibchen handelt, das offensichtlich kenntnisse werden von ehrenamtlich arbeitenden Natur- stillt, vermutet er eine Wochenstube ganz in der Nähe. freunden gewonnen. Nicht weit entfernt befindet sich eine alte Mühle. Und richtig, im Dachgebälk des alten Hauses hängen kopfü- Einer von ihnen ist der Neubrandenburger Axel Griesau. ber die Säugetiere mit ihrem Nachwuchs. Eine neue Wo- Der 40jährige nutzt jede Gelegenheit, um sich neben chenstube der Teichfledermaus ist entdeckt! Umgehend seiner Arbeit in einem Ingenieurbüro bedrohten Tierar- informiert er seine ehrenamtlichen Mitstreiter des Natur- ten wie Biber, Schreiadler oder Flußseeschwalbe zu wid- schutzbundes Deutschland (NABU). Von dort werden die men. Es kann sogar vorkommen, dass er Verabredungen Funddaten regelmäßig auch an die Naturschutzbehör- kurzfristig absagt, weil wieder eine verletzte Fledermaus den übermittelt. gefunden wurde und Axel Griesau helfen muss. Er ist be- kannt im Neubrandenburger Gebiet und das auch des- Die Arbeitsgruppe des NABU unterstützt in den fol- halb, weil er über die Gabe verfügt, anderen vermitteln genden Wochen die genauere Untersuchung zur Verbrei- zu können, was ihn antreibt und was er erlebt. Auf un- tung der Teichfledermaus. Schließlich ist dieses seltene zähligen Führungen gibt er sein Wissen weiter und weckt Säugetier eine der 38 Tierarten, die nach der FFH-Richtli- mit seinen praktischen Aktionen bei Jung und Alt die Lust nie in Mecklenburg-Vorpommern besonders zu schützen zu helfen und bedrohten Tierarten gute Lebensbedin- sind. Die Chance, Genaueres zu erfahren, lässt sich Axel gungen zu erhalten. Griesau nicht nehmen. Neben seinem vollen beruflichen Pensum verbringt er Nacht um Nacht mit Schallortungs- geräten am Gewässersystem der Tollense, ein Abenteuer der besonderen Art. Noch heute ist er fasziniert von un- vergesslichen Begegnungen mit den Wildtieren seiner Heimat. Biber und Fischotter kreuzten mehrmals seinen Weg. Mehrere Wochen war Axel Griesau Teil ihres nächt- lichen »Tagesablaufs«. Die dabei gesammelten Daten sind für die Abgrenzung und das künftige Management des FFH-Gebietes »Tollense und ihre Nebenflüsse« von großer Bedeutung. Die immer wieder neuen Erkenntnisse, die Bürger wie Axel Griesau in der Natur gewinnen, werden durch Na- turschutzverbände, Universitäten und Behörden genutzt. Die Gelegegrößen von Rohrweihen, die Zahl wandernder Erdkröten, das Gewicht von Fledermäusen – all das sind Informationen von Lebewesen, die uns zeigen, ob und wie sich unsere Umwelt Jahr um Jahr verändert. Sie wer- den akribisch gesammelt, verglichen, bewertet und dis- kutiert. Schließlich werden die Ergebnisse veröffentlicht. Sie sind Grundlage für Entscheidungen zum Umgang mit jenen Lebensräumen und Arten, die Gegenstand der Be- obachtung waren. Axel Griesau - hier als Vogelwart auf der Insel Barther Oie bei brutbiologischen Untersuchungen an Austernfischern (Jungvogel) (Foto: S. Krause)
DIe hintergründe 13 Wichtiges Ziel: Biotopverbund Die zahlreichen Informationen über die Verbreitung der Arten und ihrer Lebensräume wurden von den Natur- schutzbehörden Mecklenburg-Vorpommerns genutzt, um alle Gebiete zu erfassen, die als FFH-Gebiet in Be- tracht kamen. Natura 2000 will aber nicht nur isolierte Vorkommen von gefährdeten Arten schützen, sondern diese auch verbinden. Deshalb war die geographische Lage der Schutzgebiete ein weiteres Auswahlkriterium. Zudem wurde darauf geachtet, dass das Gebiet Ausbrei- tungswege, Wanderstrecken oder verbindende Biotope für die zu schützenden Tiere und Pflanzen bereithält. Gerade für mobile Tierarten wie den Fischotter, für viele Angesichts des nach wie vor erheblichen Rückgangs von Tier- und Vogel- oder Amphibienarten, sind die verbindenden Pflanzenarten in der Agrarlandschaft ist ein weiterer Verlust der Landschaftselemente, wie Fließgewässer, Hecken oder biologischen Vielfalt nur über eine verbesserte Kooperation zwi- Feldraine, sehr wichtig. Auch der Mensch genießt in der schen Naturschutz und Landwirtschaft zu verhindern. freien Natur, z. B. bei Wanderungen, großflächige Land- Die finanzielle Unterstützung von naturschutzgerechter Landnut- schafts- und Biotopverbindungen. zung aus Förderprogrammen der EU im Zuge von Natura 2000 bildet dafür eine Grundlage. (Foto: T. Clauß) Was ist neu an Natura 2000? Seit der Gründung des ersten Natio nalparks in den USA vor rund 150 Jahren wurde weltweit eine Vielzahl unterschiedlicher Schutzsysteme entwickelt. Die Schutzgebietskate- gorien sind inzwischen kaum noch fassbar. Vom »Naturschutzgebiet« über »Landschaftsschutzgebiete« bis hin zu »Biosphärenreservaten« sind auch in Deutschland etliche Ka tegorien bekannt. Hinzu kommen zahlreiche Formen des Naturschutzes, die unabhängig von Schutzgebieten funktionieren, beispielsweise die zahlreichen Förderprogramme für Landwirte, die naturschonend wirt- schaften möchten. Es zeigte sich jedoch, dass all diese Bemühungen nicht ausreichend waren, um den Ausschnitt der Karte II - Biotopverbund - des Gutachtlichen Artenschwund zu stoppen. In den Landschaftsrahmenplans Westmecklenburg 2008 (Quelle: LUNG MV) EU-Staaten entwickelte sich im Laufe vieler Jahrzehnte die Erkenntnis, dass es wirksamerer Methoden bedarf, um unser Naturerbe für • Wirtschaftliche Projekte sind unter Beachtung der die Zukunft zu bewahren. Natura 2000 weist deshalb Neu- Schutzziele in Natura 2000-Gebieten auch weiterhin erungen auf, durch die sich dieses System von anderen möglich. Ob ein Projekt dem Schutzziel des Gebietes Formen des Naturschutzes unterscheidet: im konkreten Fall entgegensteht, wird nach euro- paweit einheitlichen Regeln festgestellt. Durch Ver- • Erstmalig ergeht die Verpflichtung an die EU-Mitglieds- träglichkeitsprüfungen wird ermittelt, ob geplante länder, im Rahmen einer Erfolgskontrolle in regelmä- Eingriffe erhebliche Beeinträchtigungen von Lebens- ßigen Abständen über den Zustand ihrer FFH- und Vo- räumen oder Arten innerhalb des Gebietes erwarten gelschutzgebiete zu berichten. lassen. • Dies lässt sich dabei nur über ein umfassendes und • Um zu verhindern, dass Natura 2000-Gebiete entgegen planmäßiges Beobachten (Monitoring) erfassen. Die für ihrer Schutzziele beeinträchtigt werden, müssen die jedes Gebiet definierten Erhaltungsziele stehen dabei Staaten gegebenenfalls gezielte Maßnahmen planen im Fokus der Beobachtungen. und durchführen.
14 DIe hintergründe Natura 2000 bringt uns weiter – Die Chancen Oft wird die Frage gestellt, welche Auswirkungen Natura werden von Urlaubern als lohnende Ziele wahrgenom- 2000 auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ha- men und gelten als Qualitätsmerkmal einer Landschaft. ben könnte. Den vielen Befürchtungen kann entgegnet Deshalb steigern die FFH- und EU-Vogelschutzgebiete werden: Natura 2000 ist kein Instrument, das wirtschaft- die touristische Attraktivität. In der Landestourismus- liche Entwicklungen verhindert. konzeption Mecklenburg-Vorpommern 2010 wird her- vorgehoben, dass »Natur und Landschaft zweifellos das Mit Hilfe von Natura 2000-Gebieten werden natürliche herausragende Kapital und Zugpferd für einen Urlaub Lebensräume wie Bachtäler, Seen oder Steilküsten ge- in Mecklenburg-Vorpommern« sind. Ohne den umfang- schützt, aber auch Landschaften, die durch landwirt- reichen Schutz unserer größten Ressource, der Natur, schaftliche Nutzung ihren besonderen Wert erhielten, könnte Mecklenburg-Vorpommern niemals »Gesund- z. B. Magerrasen, Mähwiesen oder Heiden. Eine pflegende heitsland Nr. 1« werden bzw. bleiben. Landnutzung wird in diesen Gebieten weiterhin sogar notwendig sein und bietet zusätzliche Einkommensquel- Qualitätsmanagement dient vielen Interessen len für die Landwirte. Auch die schonende Bewirtschaf- Geeignete Pflege-, Erhaltungs- und Entwicklungsmaß- tung von Waldgebieten, die unter anderem einen hohen nahmen sollen gewährleisten, dass sich der Zustand Alt- und Totholzanteil toleriert, soll über Natura 2000-Mit- intakter Natura 2000-Gebiete nicht verschlechtert und tel honoriert werden. sich die Lebensraumqualität gestörter Gebiete ver- bessert. Dabei wird berücksichtigt, dass große Teile Natura 2000-Gebiete machen unser Land für naturverträg der Natura 2000-Gebiete seit langer Zeit wirtschaftlich lichen Tourismus attraktiver. Umfragen unter Urlaubern genutzt werden. Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und Touristikunternehmen belegen, dass Schutzgebiete beanspruchen die Flächen ebenso wie beispielsweise einen besonderen Reiz auf viele Besucher unseres Bundes- Hochwasserschutz-, Infrastruktur- oder wasserbauliche landes ausüben. Seltene und besondere Naturphänomene Maßnahmen. Magerrasen müssen gepflegt werden, damit sie nicht völlig verbuschen, z. B. durch extensive Schafbeweidung. (Foto: L. Wölfel)
DIe hintergründe 15 Eine dauerhaft tragfähige Küstenfischerei bedarf eines nachhaltigen Küstenzonenmanagements. (Foto: R. Abraham) Die Nutzungsansprüche sind insbesondere in den tou- Naturschutz sichert Arbeitsplätze ristisch attraktiven Küstenregionen mit zumeist sehr Die Europäische Gemeinschaft beteiligt sich an den großflächigen Schutzgebieten derart vielschichtig, dass Kosten für den Aufbau und den Erhalt des Netzes Natu- eine erfolgreiche Planung der notwendigen Schutz- und ra 2000. Dafür nutzt sie bereits bestehende Förderpro- Pflegemaßnahmen nur unter Beteiligung aller Inter- gramme zur ländlichen Entwicklung, Strukturförderung essengruppen möglich ist. So mag es auch nicht über- und zur Fischerei. Transferzahlungen tragen zur Akzep- raschen, dass einer der ersten Managementpläne für tanz von Natura 2000 in Mecklenburg-Vorpommern bei. die Wismarbucht erstellt wurde. Der Managementplan ist ein wichtiges Instrument, um frühzeitig mögliche Konflikte mit den Erhaltungszielen des Schutzgebietes zu erkennen und zu entschärfen. So sind »Badegäste«, »Küstenfischer«, »Segelsportler« nur drei Schlagworte aus dem Katalog der vielen Nutzergruppen im rund 23.000 Hektar großen Schutzgebiet »Wismarbucht«. Ihre bestehenden »Reviere« bleiben in der Regel erhal- ten und genießen Bestandsschutz. Rechtsverstöße, die auch nach bisheriger Gesetzeslage ein Problem dar- stellten, werden weiterhin geahndet. Neue Verbote, bei- spielsweise an bestehenden Badestränden, sind hinge- gen erfahrungsgemäß schwer durchsetzbar. Hier setzen die Umweltbehörden auf freiwillige Vereinbarungen mit Führung im Naturpark Sternberger Seenland (Foto: T. Clauß) den Kommunen und den betroffenen Nutzern. Einem Modell folgend, welches bereits an Greifswalder Bod- Die Bedeutung des Naturschutzes als Wirtschaftsfaktor den und Strelasund umgesetzt wird, trafen Angler- und wurde auch von Bundespräsident Horst Köhler in einer Sportverbände für das Gebiet der Wismarbucht eine Rede am 29. Oktober 2006 in Dresden hervorgehoben: freiwillige Vereinbarung zu »Naturschutz, Wassersport »Studien belegen, dass Naturschutz gerade auch in struk- und Angeln«, die ebenfalls in den Managementplan turschwachen Regionen Einkommen sichert und Arbeits- einfloss. Mit ihr wurden beispielsweise Befahrensregeln plätze schafft. Biosphärenreservate und Naturparke zie- aufgestellt und modernen Sportarten wie Kitesurfen hen Millionen Touristen an, die auch Geld mitbringen. ...« geeignete Bereiche zugewiesen, um die empfindlichen An der Müritz zum Beispiel hätten die Besucher des Nati- Brutvögel der zahlreichen Schutzgebiete und die Unter- onalparks über 13 Millionen Euro in der Region gelassen wasservegetation der Flachwasserbereiche nicht zu be- und damit geholfen, rund 630 Arbeitsplätze zu sichern. einträchtigen. Um die wichtigen Ziele der Vereinbarung Die besonderen Naturschönheiten der genannten Groß- zu erreichen, sind fortwährende Aufklärung, Informati- schutzgebiete befinden sich in aller Regel auf Natura on und auch Kontrollen notwendig. 2000-Flächen.
16 DIe hintergründe Natura 2000 kommt uns nicht nur materiell zugute. So In der Stille sieht man mehr – wie die miteinander vernetzten Lebensräume Tieren Naturreisen auf der Peene und Pflanzen das Überleben sichern sollen, erfüllen die FFH-Gebiet »Peeneunterlauf, Peenestrom, se Landschaften auch menschliche Sehnsüchte nach Achterwasser und Kleines Haff« Naturschönheit, Erholung und Entspannung. Dass diese Bedürfnisse vorhanden sind und dass das Potenzial zu ihrer Erfüllung in Mecklenburg-Vorpommern existiert, belegen die Schlagworte der Tourismuswirtschaft. »Natur pur«, »Landschaft so schön wie früher« oder »Tier- und Pflanzenwelt in einzigartiger Schönheit« titeln Urlaubs kataloge und Werbebroschüren. »Mit bezaubernder Landschaft, betörender Weite und üppiger Natur ver- wöhnt der grüne Norden Körper, Geist und Seele«, erfah- ren wir von der Mecklenburger Wellnessbewegung. »In diesem Naturparadies können Sie zur Ruhe kommen«, heißt es aus der Plauer Seenlandschaft. Die Insel Rügen ist gar ein »Füllhorn landschaftlicher Verlockungen«. Wie Ideen von Schutz und Erholungsnutzung der Natur harmonieren können, sollen Ihnen auf den folgenden Seiten zwei Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern ver- Gespannt lauschen die Teilnehmer einer Kanu-Exkursion deutlichen. den Erklärungen von Geranda Olsthoorn. (Foto: K. Vegelin) Wenn Geranda Olsthoorn mit ihren Gästen die Peene be- fährt, kann es schon einmal passieren, dass sie den Kurs der Kanus korrigiert, um Biber oder Fischottern auszuwei- chen. Seit 1999 begleitet sie Naturtouristen im Peenetal, einer der schönsten Flusslandschaften Mitteleuropas. Bei ihrer Reiseleitung setzt Geranda Olsthoorn klare Prämis- sen. Der Schutz von Pflanzen und Tieren ist ihr oberstes Anliegen. Aus dem niederländischen Groningen kom- mend, war sie ihrem Mann Kees Vegelin 1995 ins Peene- tal gefolgt. Er leitete zu jener Zeit ein Studienprojekt über die Moore des Peenetals. Begeistert erkundete Geranda Olsthoorn all die ursprüngliche Wildnis, der sie bei ihren Ausflügen mit der Studiengruppe in der Weite des Peene- tals begegnete. Der Wunsch, auch weiterhin und unabhängig über die Lebensweise der Fischotter forschen zu können, brach- te sie auf die Idee, Naturreisen anzubieten. Inzwischen nimmt sie das Geschäft stark in Anspruch und für den Ot- ter bleibt nur wenig Zeit. Doch hat sie einen gelungenen Weg gefunden, beides zu verbinden. So entwickelte sie erstmalig in der Region regelrechte Forschungsreisen. Ihre Gäste bekommen die Gelegenheit, mit auf die Suche nach Spuren von Wildtieren zu gehen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die landesweiten Datensamm- lungen zur Verbreitung von bedrohten Tierarten ein. Er- holung in beeindruckender Natur und obendrein eine sinnvolle Aufgabe – das ist ein Konzept, von dem sich die 40jährige viel verspricht. Wanderer im Müritz-Nationalpark (Foto: L. Wölfel)
DIe hintergründe 17 Der Schreiadler, ein faszinierender geschützter Greifvo- Der Schreiadler ist in Deutschland vom Aussterben bedroht und gel, findet in den verschwiegenen Wäldern am Rande bedarf in seinen letzten Vorkommensgebieten, z. B. an der Peene, der Feuchtgebiete Vorpommerns noch gute Lebensbe- großer Schutzbemühungen. (Foto: P. Wernicke) dingungen. Ungezählte Stunden hat Geranda Olsthoorn bereits damit verbracht, als offizielle Horstbetreuerin die Brutpflege der Schreiadler zu beobachten. Ihren Gästen schafft sie den Rahmen für ganz ähnliche Glücksmo- Das Peenetal, auch Amazonas des Nordens genannt, wird als ein mente. So den beiden älteren Damen, die - nach eigenem Gebiet von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung mit Bundes Bekunden erstmals länger als drei Stunden in freier Natur mitteln vorrangig für den Naturschutz gesichert und entwickelt. - mit ihrem Kanu einem Fischotter begegneten. (Foto: W. Wiehle) Das annähernd 100 Kilometer lange Flusssystem der Peene, an dessen Rändern sich gleichzeitig eines der größten Moorgebiete Deutschlands befindet, besitzt bei Naturliebhabern schon lange einen ausgezeichneten Ruf. Derart große Flächen wie das Peenetal bilden das Rück- grat von Natura 2000. Seit 1992 unterstützen die Bun- desregierung und die Landesregierung Mecklenburg- Vorpommerns im Rahmen eines der finanzkräftigsten Naturschutzprojekte Deutschlands die hier arbeitenden Landwirte beim Übergang zu einer moorschonenden Wirtschaftsweise. Als Mitglied des Vereins »Naturschutz im Peenetal« begleitet Geranda Olsthoorn gemeinsam mit ihrem Mann dieses umfangreiche Projekt nun schon seit zehn Jahren. Sie gestaltet mit und nutzt ihre Kompe- tenz, um mit vielen Anwohnern des Peenetals über die Zukunft dieses Naturjuwels ins Gespräch zu kommen. Sie weiß: Langfristig kann Naturschutz nur mit den hier le- benden Menschen gelingen. Ihre Gäste muss sie nicht überzeugen. Ob Kranichwo- chenende, Kanu-Vogel-Woche oder Peenetal-Safari – ihre kleinen Reisegruppen mit bis zu acht Teilnehmern sind im Handumdrehen von der unerwartet üppigen Pracht der Wiesen, Moore und Wälder an der Peene fasziniert. Bis zu siebenmal konnte sie einige Peenetalfans bereits begrü- ßen. Begeisterte Briefe noch Jahre nach den Expeditionen zeugen davon, dass Geranda Olsthoorn hier etwas ganz Be- sonderes leistet, indem sie in verantwortungsvoller Weise Menschen zu unvergesslichen Naturerlebnissen verhilft.
18 DIe hintergründe Naturbelassener Feldweg hinunter zum Kummerower See (Foto: W. Wiehle) Lebendige Wege Leider bestimmt heute der Wunsch nach standardisierten FFH- und EU-Vogelschutzgebiet Asphaltpisten den Wandel des Straßen- und Wegenetzes »Nossentiner/Schwinzer Heide« in unseren Dörfern und Städten. Mit seinem Ausbau, der FFH- und EU-Vogelschutzgebiete sind selbstverständlich zudem oft zu stärkerem und schnellerem PKW-Verkehr keine menschenleeren Reservate. Als alte Kulturland- führt, sinken die Chancen für einen ländlichen, natur- und schaften beinhalten sie zahlreiche kleine Orte, die mit familienfreundlichen Fahrrad- und Wandertourismus. einem umfangreichen Wege- und Straßennetz verbun- Wer möchte, mit Kindern unterwegs auf asphaltierten den sind. Dieses System ländlicher Wege wird in seiner Landwegen, seine Gesundheit riskieren, wenn mit Tem- Bedeutung für den Naturschutzwert und die touristische po 80 km/h der Gegenverkehr droht? Aus der Sicht von Attraktivität einer Landschaft nicht selten unterschätzt. Tourismus und Naturschutz muss gerade in den Natura Seit dem Jahr 2000 verloren im Land Mecklenburg-Vor- 2000-Gebieten stärker für einen naturverträglichen Aus- pommern mehr als 3000 Kilometer ländliche unbefes- bau des Wegenetzes geworben werden. tigte Wege ihre ursprüngliche Gestalt. Gut 800 Kilometer des Wegenetzes wurden dabei durch eine Asphaltdecke versiegelt. Dies entspricht einer Fläche von 240 Fußball- plätzen! Gerade in den großen unbesiedelten und darum oft störungsarmen Landschaften wirken sich asphaltierte Wege negativ auf die Lebensverhältnisse scheuer Tiere wie Biber, Kranich und Schreiadler aus. Unverbaute Wiesenwege mit grünem Mittelstreifen, tief eingeschnittene Hohlwege oder schmale, baumbe standene Kopfsteinpflasterstraßen verschwinden all mählich aus unserem Landschaftsbild. Dabei sind he- ckengesäumte Sand- und Lehmwege Lebensräume für Grau- und Goldammer, Neuntöter und Singdrossel. Lehmpfützen liefern den Baustoff für die Schwalben- nester in unseren Dörfern. An den Wegrändern blühen Nicht selten werden die Bedürfnisse der Wanderer und die der Stauden und Gräser und liefern Nahrung für eine vielfäl- geschützten Arten beim Ausbau des ländlichen Wegenetzes zu tige Insektenwelt. wenig berücksichtigt. (Foto: L. Wölfel)
DIe hintergründe 19 Für eine bemerkenswerte Initiative sorgte Ende 2005 der meinsam mit dem Deutschen Tourismusverband vor dem Förderverein des Naturparks Nossentiner/Schwinzer Hei- Hintergrund der immer populärer werdenden Wanderbe- de. Im Karower Meiler, dem Naturpark-Informationszen wegung eine »Qualitätsoffensive Wandern«. Die in diesem trum, präsentierte der Förderverein in einer Broschüre Rahmen vorliegenden Befragungsergebnisse zum Thema die beeindruckenden Ergebnisse einer Inventur der Land- »Wege« sind eindeutig: Man wünscht sich vorrangig na- wege des Landkreises Parchim. 474 Kilometer unbefestig- turbelassene Erd- und Graswege. Demgegenüber stoßen te Landwege wurden unter anderem durch den Goldber- geschotterte und asphaltierte Wirtschaftswege kaum auf ger Naturschützer Dietmar Behrens erfasst. Man wird nicht Gegenliebe. Straßen werden geradezu als wanderfeind- müde, in dem ansprechend gestalteten Heft zu blättern. lich angesehen. Wenn man berücksichtigt, dass zufriedene Die durchweg prächtigen Bilder der schönen Feld-, Wald- Wanderer gern um die 100 Euro pro Tag für Übernach- und Wiesenwege locken unmittelbar zum Erkunden der tung, Gastronomie und Wellnessangebote ausgeben, soll- Landschaften. Sie zeigen eindrucksvoll, dass besonders te eine Neubewertung der vermeintlich schlechten länd- das unverbaute Wegenetz beste Möglichkeiten bietet, die lichen Wege vorgenommen werden. Denn nur zufriedene Landschaft zu Fuß, per Fahrrad oder zu Pferd entspannend Wanderer bleiben länger, kommen wieder und erzählen und stressfrei zu erleben. Ermutigen sollten die Aussagen Gutes. Mehr über das Thema »Wandern und Wanderwege einer der Hauptnutzergruppen der ländlichen Wege, der in Mecklenburg-Vorpommern« finden Sie im Internet un- Wanderer. So startete der Deutsche Wanderverband ge- ter www.tmv.de/wandern. Lindenallee zwischen Greifswald und Stralsund (Foto: L. Wölfel)
20 DIe hintergründe Der Biber würde früher nicht nur wegen seines Pelzes intensiv bejagt. Er war auch eine beliebte Fastenspeise, da er als ‚fischig’ galt und sein Fleisch deshalb in der Fastenzeit ohne Bedenken verzehrt werden durfte. Heute ist der Biber durch die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie europaweit geschützt. In Mecklenburg-Vorpommern breitet er sich über die Warnow, die Peene und ihre Nebengewässer immer weiter aus - tolerieren und bestaunen wir ihn und seine Spuren. (Foto: J. Warnke) Wie kann Natura 2000 erfolgreich sein? Um auch für künftige Generationen Naturlandschaften terhalb des Wasserspiegels verfügt. Auch seine Nahrungs- zu erhalten, in denen noch Arten wie Fischotter oder pflanzen gedeihen in dem entstandenen Gewässer gut. Biber leben, müssen wir Menschen lernen, den Lebens- raum zu teilen. Damit Natura 2000 wirksam zum Erhalt der vielfältigen Ein Biber zum Beispiel sieht die Landschaft im Grunde natürlichen Reichtümer Europas beitragen kann, bedarf nicht anders als wir. Auch er möchte sie nutzen und ge- es unserer bewussten täglichen Entscheidung gegen die stalten. Ein Bach alleine bietet ihm keinen geeigneten Zerstörung der Natur überall dort, wo es Alternativen Lebensraum. Ein flacher See ist nicht in Sicht. So baut gibt: Seien es die Duldung von Schwalbennestern an er einen Damm aus gefällten Bäumen, dichtet ihn mit Hauswänden oder die Schonung der alten Obstbäume Schlamm und Blattwerk ab. Auf diese Weise staut der Bi- in den Hinterhöfen sanierter Altstadtquartiere, deren ber den Bach zu einem kleinen See. Dies gestattet ihm, Früchte, wenn auch von Menschen nicht mehr genutzt, einen Wohnbau anzulegen, der über einen Zugang un- so doch manche Tierart weiterhin ernähren können.
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