DIE EU-NATURSCHUTZ-RICHTLINIEN 2016 - Rechtsgutachten zeigt Gefahren einer "Verschmelzung" - WWF Deutschland
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INFORMATION 2016 DIE EU-NATURSCHUTZ- RICHTLINIEN Rechtsgutachten zeigt Gefahren einer „Verschmelzung“
Inhalt Die EU-Naturschutzrichtlinien auf dem Prüfstand Prüfstand 4 Rechtsgutachten zeigt Gefahren und Konsequenzen einer „Verschmelzung“ der Richtlinien auf Rechtsgutachten auf 5 1 2000-Gebiete Konsequenzen für Natura 2000-Gebiete 6 erwarten 1.1. Trotz Rechts- und Planungssicherheit ist weitgehender Stillstand zu erwarten 6 Gesetzgebungsverfahrens 1.2. Negative Konsequenzen eines rund fünfjährigen Gesetzgebungsverfahrens 7 1.3. Negative 1.3. Lebensräume Negative Konsequenzen für geschützte Arten und Lebensräume 8 2 Vogelarten Konsequenzen für die geschützten Vogelarten 11 3 Konsequenzen aus dem Zusammenfassende Wegfall der Gefahren Bewertung Alternativen undpKonsequenzen rüfung von Projekten und Plänen 14 einer VerschmelzungBewertung 4 Zusammenfassende der Richtlinien der Gefahren und Konsequenzen 14 einer Verschmelzung der Richtlinien Gutachten: 15 Verschmelzung Gutachten: der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz Verschmelzung in Deutschland: Szenarienund der EU-Naturschutzrichtlinien undAuswirkungen mögliche Konsequenzen aus demNaturschutz auf den Handeln derinEuropäischen Deutschland:Kommission im REFIT-Prozess Szenarien und mögliche Konsequenzen 17 aus dem Handeln der Europäischen Kommission im REFIT-Prozess 17 Herausgeber WWF Deutschland, Berlin Stand August 2016 Kontakt Kontakt Günter Mitlacher / WWF Deutschland (Leiter Internationale Biodiversitätspolitik, Günter Tel.: +49 (30) 311 777–200, Guenter.mitlacher@wwf.de) Gestaltung Anna Risch (post@annarisch.de) Produktion Maro Ballach / WWF Deutschland Druck DBM Druckhaus Berlin-Mitte GmbH Papier Circlesilk Premium White (100% Recycling) Bildnachweise Ralph Frank/WWF (Cover; S. 6), Thomas Neumann/WWF (S. 8), Thinkstock: portgrimes (S. 12), Thinkstock: bobloblaw (S. 13) Rechtsgutachten zugänglich unter: http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Gutachten_EU-Naturschutzrichtlinien_2016.pdf © 2016 WWF Deutschland · Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Herausgebers.
Die EU-Naturschutzrichtlinien auf dem Prüfstand Rechtsgutachten zeigt Gefahren und Konsequenzen einer „Verschmelzung“ der Richtlinien auf Seit 2014 evaluiert die Europäische Kommission die EU-Naturschutzrichtlinien im Rahmen des sogenannten REFIT-Programmes (REFIT = Regulatory Fitness and Performance 1). Dabei soll geprüft werden, ob die beiden Richtlinien im Ein vom WWF in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten 3 sollte mehr Klarheit in europäischen Naturschutz – die Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat- das Gefahrenpotenzial bringen. Das Gutachten befasst sich mit verschiedenen Richtlinie (FFH) – noch ihren Zweck erfüllen und ob sie „fit for purpose“ sind. Szenarien und Konsequenzen, die sich aus dem Handeln der Europäischen Kommission ergeben könnten. Insbesondere werden folgende Fragestellungen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte dem neuen Kommissar im Gutachten betrachtet: für Umwelt, Maritime Angelegenheiten und Fischerei, Karmenu Vella, am 1. November 2014 den Arbeitsauftrag erteilt, die „Verschmelzung“ und „Moder 1. Ankündigung einer Zusammenführung der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie nisierung“ der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie zu bewerten.2 und Folgen für Natura 2000-Gebiete. Beide Naturschutzrichtlinien sind die wichtigsten Bausteine für den 2. Ankündigung einer Zusammenführung der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie Erhalt und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt in den und Folgen für die geschützten Vogelarten. 28 Mitgliedstaaten der EU und somit auch in Deutschland. Sie bilden die Grundlage für den Aufbau des Schutzgebietssystems „Natura 2000“ in der EU. 3. Änderung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (Artikel 6 Absatz 3 und 4) und Die europäischen Naturschutzrichtlinien dienen auch der Umsetzung internatio- Wegfall der Alternativenprüfung von Projekten und Plänen. naler Verpflichtungen, welche die EU und ihre Mitgliedstaaten eingegangen sind. In der EU liegt der Anteil der mehr als 27.000 FFH- und Vogelschutzgebiete bei etwa 19 % der Landfläche, in Deutschland bei 15,4 %. Der WWF befürchtet im Falle einer Zusammenlegung der beiden Richtlinien eine massive Schwächung der rechtlichen Vorschriften zum Schutz von Arten, Lebensräumen und Schutzgebieten in Deutschland und in anderen EU-Staaten. Negative Konsequenzen für die europäisch bedeutsamen Naturgebiete und viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten wären die Folge. 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Regulatorische Eignung der EU-Vorschrif- 3 WWF Deutschland (Hrsg.): Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf ten. Dok. COM(2012) 746 final vom 12.12.2012 den Naturschutz in Deutschland. Szenarien und mögliche Konsequenzen aus dem Handeln der Eu- 2 Schreiben mit Mandat von EU-Kommissionspräsidenten an den Umweltkommissar vom 1. Novem- ropäischen Kommission im REFIT-Prozess. Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen ber 2014 A. & J. Schumacher GbR, Berlin – Tübingen 2016 4 EU-Naturschutzrichtlinien | 5
1 Konsequenzen für 1.2. Negative Konsequenzen eines rund fünf‑ jährigen Gesetzgebungsverfahrens Natura 2000-Gebiete Wenn ein neues Gesetzgebungsverfahren zwischen EU-Kommission, Parlament und Ministerrat beginnt, ist laut Aussagen des Gutachtens mit 5–6 Jahren Verhandlungen zu rechnen, bis eine Einigung erzielt würde. Diese Zeitspanne 1.1. Trotz Rechts- und Planungssicherheit ist bliebe nicht ohne negative Konsequenzen auf die Natura 2000-Gebiete und die weitgehender Stillstand zu erwarten darin vorkommenden Tier- und Pflanzenarten in ihren Lebensräumen, wie das Gutachten im Detail darlegt: Das Gutachten stellt heraus, dass die Vogelschutzrichtlinie 4 und die FFH- Richtlinie 5 ohne zeitliche Befristung erlassen wurden und daher Gültigkeit bis Rechtliche Sicherung von Natura 2000-Gebieten würde verzögert zu dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung oder Ablösung durch eine neue Richtlinie haben. Dies würde für die Mitgliedstaaten bedeuten, dass in der Zeit von der Die Frist für die rechtliche Sicherung von Natura 2000-Gebieten lief 2010 ab. Beschlussfassung einer Verschmelzung der beiden existierenden Richtlinien bis Deutschland hat diese Verpflichtung für 2.784 an die EU-Kommission gemel- zur Rechtskraft einer neuen Richtlinie alle EU-Mitgliedstaaten weiterhin an dete Natura 2000-Gebiete bislang nicht erfüllt. Daraufhin hat die Europäische die Bestimmungen in der bisherigen Fassung gebunden sind und diese befolgen Kommission 2015 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren müssen. eingeleitet.6 Die Bundesländer müssen diesen Verpflichtungen nachkommen und bestehende Schutzgebietsverordnungen an die europäischen Regelun- Der WWF schließt daraus, dass die Rechts- und Planungssicherheit somit gen anpassen und noch nicht ausgewiesene „besondere Schutzgebiete“ unter grundsätzlich gewährleistet ist. Würde Deutschland nicht die konsequente rechtlichen Schutz nach den EU-Vorgaben stellen. Umsetzung weiter verfolgen und vorhandene Defizite beseitigen, könne es zwar zu einem neuen Vertragsverletzungsverfahren kommen, was jedoch politisch Der WWF erwartet, dass die deutschen Behörden bis spätestens 2020 die noch schwer durchsetzbar sein dürfte. Der WWF teilt die Ansicht des Gutachtens: bestehenden Defizite abarbeiten unabhängig davon, ob es eine Richtlinien „Ob die EU-Kommission diesen Weg wirklich einschlagen wird, obwohl eine zusammenführung geben wird oder nicht. Dennoch sind weitere Verzögerungen Verschmelzung der Richtlinien erfolgen soll, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht wahrscheinlich, falls die Richtlinien zusammengelegt werden sollen. beantwortet werden. Eine Rechtfertigung für ein erneutes Vertragsverletzungs- verfahren gegen Deutschland dürfte der Kommission allerdings in solch einer Weitgehender Stillstand bei Managementplänen für Schutzgebiete zu Situation sehr schwer fallen.“ erwarten mit gravierenden Konsequenzen Nach Auffassung des WWF ist eher zu erwarten, dass Gleichfalls sind die Bundesländer in der Pflicht, die noch fehlenden Manage- insgesamt die Anstrengungen erlahmen werden, die mentpläne für die jeweiligen Gebiete zu erstellen. Für 2.663 von 4.700 Richtlinien vollständig und konsequent umzusetzen Natura 2000-Gebieten sind die Managementpläne noch nicht erarbeitet (siehe und es zu einem weitgehenden Stillstand in Vertragsverletzungsverfahren). Nach Angaben des Gutachtens ist die Erstellung der Umsetzung kommt. der Managementpläne der erste wichtige Schritt zur Wahrung oder Verbesserung des Erhaltungszustandes der Natura 2000-Gebiete, der jedoch der konkreten Umsetzung bedarf, d. h. der Durchführung konkreter Schutz- und Pflegemaß- nahmen. In vielen Schutzgebieten wurden bislang noch keine Manage- mentmaßnahmen durchgeführt bzw. hat die Umsetzung der Maßnah- men gerade erst begonnen. Aufgrund der noch vorhandenen Defizite bei den Managementplänen ist nach Auffassung des WWF davon auszugehen, dass es über Jahre zum weitgehenden Stillstand bei der Bearbeitung der Managementpläne kommt, wenn die Ver- schmelzung der Richtlinien angekündigt wird. Das Biosphärenreservat Mittelelbe mit euro- päisch geschützten Lebensräumen 4 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 (kodifizierte Fassung) (ABl. EU Nr. L 20, S. 7), geändert durch Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mai 2013 (ABl. EU Nr. L 158, S. 193). 5 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (ABl. EG Nr. L 206, S. 7), zuletzt geändert durch 6 Europäische Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, vom 27.2.2015, Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mai 2013 (ABl. EU Nr. L 158, S. 193). betr. Umsetzung von Artikel 4 Abs. 4 und Artikel 6 Abs. 1 FFH-Richtlinie. 6 EU-Naturschutzrichtlinien | 7
1.3. Negative Konsequenzen für geschützte Arten Verschärfung der Gefährdung von geschützten Arten der FFH- und Lebensräume Richtlinie Um die Auswirkungen eines derartigen „Nichthandelns“ über 5–6 Jahre Nach den Recherchen des Gutachtens befindet sich in Deutschland der über- bewerten zu können, hat das Gutachten einen Blick auf die Monitoringergebnisse wiegende Teil der im Rahmen des Monitorings betrachteten FFH-Arten immer des letzten Berichtszeitraums (2007–2012) gerichtet.7 Die Ergebnisse dieses noch in einem „ungünstigen“ Erhaltungszustand (rund 70 % mit Ausnahme Monitorings liegen sowohl für die gesamte Europäische Union 8 als auch für die der alpinen Region), lediglich rund 20 % haben bereits einen „günstigen“ Erhal- einzelnen Mitgliedstaaten, also auch für Deutschland 9, vor. tungszustand erreicht (in der alpinen Region 38 %, s. Abb.). Im Vergleich zum Berichtszeitraum 2001–2006 hat sich die Situation für zahlreiche Arten Zunahme der Gefährdung von Vogelarten weiter verschlechtert. Einen negativen Trend weisen 21 % der Arten auf, die sich ohnehin schon in einem „ungünstigen“ Erhaltungszustand befinden (z. B. Das Gutachten stellt fest, dass in Deutschland der Gelbbauchunke).12 Bestand eines Drittels aller Vorgelarten abnimmt. Vogelarten, für die europäische Schutz- Bewertung des Erhaltungszustandes der Arten gebiete ausgewiesen wurden, droht Gefahr durch Verlust der Brut- und Nahrungslebensräume, durch eine zunehmend intensive Landwirtschaft 15 % 8% sowie durch Entwässerung von Nutzflächen. Bei den 20 % 22 % Brutvögeln sind insbesondere die Bestände bei Arten 31 % des Offenlandes stark rückläufig.10 Diese Vogelarten 38 % sind in besonderem Maße auf eine Berücksichtigung Atlantisch 31 % Kontinental Alpin ihrer ökologischen Erfordernisse im Rahmen der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung angewiesen, 39 % 26 % 11 % wie sie in Natura 2000-Gebieten durch Manage- 39 % mentpläne festgelegt werden müssen. 20 % Kraniche Dass zielgerichtete Management- und Erhaltungsmaßnahmen in Natura 2000-Gebieten positive Auswirkungen auf den Erhaltungszustand gefährdeter günstig (FV) ungünstig – unzureichend (U1) ungünstig – schlecht (U2) unbekannt (XX) Vogelarten haben, zeigen folgende Beispiele11: Bewertung des Erhaltungszustandes der Arten der Anhänge II, IV und V der FFH-Richtlinie »»Großtrappe Otis tarda: Ihr Bestand konnte sich in der Europäischen Union (ohne Sammelartengruppen) in den einzelnen biogeografischen Regionen laut nationalem durch angepasste Landnutzungspraktiken in einigen Mitgliedstaaten erholen. FFH-Bericht 2013. http://www.bfn.de/0316_nat-bericht_ergebnisse2013.html »»Kranich Grus grus: Mit der Unterschutzstellung der Brut-, Rast- und Über winterungsgebiete als Vogelschutzgebiete und die Durchführung zielgerichteter Nach Ansicht des WWF sind viele der geschützten Arten der FFH-Richtlinie noch Erhaltungsmaßnahmen haben sich die Kranichbestände stark erholt. lange nicht in einem „günstigen“ Erhaltungszustand. Und ohne weitere Anstren- gungen beim Management würde sich die Gefährdung weiter verschärfen. Der WWF teilt die Ansicht des Gutachtens, dass bei Stillstand von ökologischen Bewirtschaftungsmaßnahmen die Gefährdung der Vogelarten, insbesondere derer mit aktuell rückläufigem Trend, weiter zunehmen würde (z. B. Feldlerche und Kiebitz). 7 Nach Artikel 17 FFH-RL und Artikel 12 Vogelschutzrichtlinie besteht alle 6 Jahre eine Berichtspflicht über die Durchführung der im Rahmen dieser Richtlinien durchgeführten Maßnahmen. Dies beinhal- tet auch die Bewertung des Erhaltungszustandes der geschützten Arten und Lebensraumtypen. 8 Europäische Kommission: „Der Zustand der Natur in der Europäischen Union“, COM(2015) 219 final vom 20.5.2015 9 BMUB & BfN (2014): Die Lage der Natur in Deutschland. Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht. 10 BMUB & BfN (2014): Die Lage der Natur in Deutschland. Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht. 11 Europäische Kommission: Der Zustand der Natur in der Europäischen Union (COM(2015) 219 final) 12 BMUB & BfN (2014): Die Lage der Natur in Deutschland. Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und vom 20.5.2015 FFH-Bericht. 8 EU-Naturschutzrichtlinien | 9
Kaum Erholung für die geschützten Lebensräume 2 Konsequenzen für die Das Gutachten sollte analysieren, welche Konsequen- geschützten Vogelarten zen eine Zusammenlegung der beiden Richtlinien für Von den in Deutschland vorkommenden Lebensraumtypen befinden sich die in der Vogelschutzrichtlinie (VSR) geschützten weniger als 20 % in einem „günstigen“ Erhaltungszustand (mit Ausnahme der europäischen Vogelarten hätte. Es wird angenom- alpinen Region). Rund 80 % der Lebensraumtypen weisen jedoch einen men, den für alle europäischen Vogelarten geltenden „ungünstigen“ Erhaltungszustand auf. Gerade die Lebensraumtypen mit strengen Artenschutz einzuschränken und nach dem „Vorbild“ von Anhang IV „unzureichend-schlechtem“ Erhaltungszustand zeigen häufig einen negativen FFH-RL nur noch bestimmte Arten diesem Schutz zu unterstellen und ihn Trend. Tatsächlich hat sich im Vergleich zu 2006 der Erhaltungszustand keines vor allem nur auf die gefährdeten Vogelarten zu beschränken. einzigen Lebensraumtyps verbessert.13 Bislang genießen alle in der Europäischen Union vorkommenden Vogelarten Bewertung des Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen nach Art. 5 VSR einen strengen Schutz, der 2% 1% 5% »»das absichtliche Töten oder Fangen, »»die absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von Nestern und Eiern und 17 % 18 % 7% die Entfernung von Nestern, 30 % »»das Sammeln der Eier in der Natur und den Besitz dieser Eier, auch in Atlantisch Kontinental 25 % Alpin 48 % leerem Zustand 34 % 64 % »»das absichtliche Stören, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich 51 % auswirkt, »»das Halten von Vögeln der Arten, die nicht bejagt oder gefangen werden dürfen, günstig (FV) ungünstig – unzureichend (U1) ungünstig – schlecht (U2) unbekannt (XX) verbietet. Bewertung des Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen des Anhangs I der FFH- Richtlinie in den einzelnen biogeografischen Regionen laut nationalem FFH-Bericht 2013. Da die VSR auch der Einhaltung von völkerrechtlichen Verpflichtungen dient, http://www.bfn.de/0316_nat-bericht_ergebnisse2013.html analysiert das Gutachten, welcher Handlungsspielraum für eine derartige Einschränkung des Vogelschutzes überhaupt besteht. Der WWF teilt die Ansicht des Gutachtens, dass sich bei einem drohenden Still- Nach Auffassung des Gutachtens resultieren für fast alle in der Europäischen stand der Managementmaßnahmen in den Natura 2000-Gebieten dieser negative Union vorkommenden Vogelarten Schutzverpflichtungen zumindest aus Trend verstärken und die Gefährdung über mehrere Jahre anhalten würde. der Berner und der Bonner Konvention. Da die Europäische Union diese Übereinkommen ratifiziert hat, wäre sie an diese grundsätzlich gebunden und Hinzu kommt, dass die Managementmaßnahmen für Natura 2000-Gebiete in müsste daher auch bei der Verschmelzung der beiden Richtlinien sicherstellen, ganz erheblichem Maße von der EU-Kommission in den Förderprogrammen dass die dort festgelegten Verpflichtungen für Vogelarten eingehalten werden. 2014–2020 mitfinanziert werden.14 In die Zeitspanne eines neuen Gesetz gebungsverfahrens würde auch die Neugestaltung von EU-Förderprogrammen Der tatsächliche Stand der in der EU vorkommenden Vogelarten beträgt 449. für 2021–2027 fallen. Bis eine neue und klare rechtliche Verpflichtung zur Dies bedeutet, dass im Falle einer Änderung der Vogelschutzrichtlinie 15 Mitfinanzierung der EU beschlossen wäre, besteht nach Ansicht des WWF die Gefahr, dass EU-Kommission und Mitgliedstaaten, in Deutschland die Bundes- »»für 305 Vogelarten und vier Unterarten eine Abschwächung der jetzigen länder, ihre Investitionen in Natura 2000-Gebiete zurückfahren würden. strengen artenschutzrechtlichen Regelungen nach Art. 5 VRL nicht erfolgen dürfte, weil die Vorgaben des geltenden Völkerrechts zu berücksichtigen sind; »»für 143 Vogelarten eine Bejagung durchaus zulässig sein könnte, die Nutzung aber durch die einzelnen Mitgliedstaaten näher geregelt werden müsste; »»für 1 Vogelart keine Regelungen getroffen werden müsste (Haussperling). 13 BMUB & BfN (2014): Die Lage der Natur in Deutschland. Ergebnisse von EU-Vogelschutz- und FFH-Bericht. 14 NABU (2015): Leitfaden zur Naturschutzfinanzierung in der EU-Förderperiode 2014-2020. Berlin. 15 Unter der Annahme, dass die bisher in Anhang II A/B VRL genannten jagdbaren Arten auch www.NABU.de/EU-Naturschutzfoerderung weiterhin diesem Schutz unterstellt werden. 10 EU-Naturschutzrichtlinien | 11
Haussperling wäre „vogelfrei“ Nach Auffassung des Gutachtens könnte der Haussperling zukünftig nicht mehr geschützt sein. Dass die Population in Europa (ca. 250 Mio. Individuen in der EU) derzeit als stabil gilt, dürfte auch ein Verdienst der Vogelschutzrichtlinie sein, die über den strengen Artenschutz nach Art. 5 VRL u. a. das absichtliche Fangen und Töten des Haussperlings verbietet. Der Populationstrend wird sowohl global als auch für Europa mit abnehmend, für die EU mit stabil angegeben.16 Der Haussperling ist aktuell die zahlenmäßig am stärksten von illegaler Jagd im Mittelmeerraum betroffene Art. Jährlich werden dort schätzungsweise ca. 4,7 Mio. Haussperlinge illegal getötet, haupt- sächlich in Ägypten, dem Libanon und Italien.17 Der mögliche Wegfall des Schutzstatus des Haussperlings könnte zu einer uneingeschränkten Jagdbarkeit führen. Es wäre zu befürchten, dass sich dadurch Raufußbussard Eine Legalisierung der Jagd auf gefährdete Arten kann – so das Gutachten – die Zahl der durch Vogeljagd getöteten Individuen zur weiteren Verschlechterung ihres Erhaltungszustandes beitragen, weshalb drastisch weiter auf ein nicht kompensierbares Maß es aus fachlicher Sicht nicht vertretbar wäre, die Jagdausübung für erhöhen könnte, was einen Rückgang der Population solche Arten zuzulassen. Obwohl in der EU die Zahl der jagdbaren Arten zur Folge hätte. Es ist nach Ansicht des Gutachtens eingeschränkt ist, stellt die Vogeljagd insbesondere im Mittelmeerraum aus naturschutzfachlicher Sicht daher dringend immer noch eine ernste Bedrohung besonders für Zugvögel dar. Dieses erforderlich, den Haussperling vor illegaler Jagd zu Problem könnte sich vergrößern. Derzeit werden in Frankreich, Italien, Malta und schützen. Spanien 1,39 Mio. Vögel (11.000 Tauben, 448.850 Finken, 430.000 Lerchen, 3.200 Regenpfeifer, 200.000 Stare und 297.200 Drosseln) gejagt. Allein in Haussperling Der WWF unterstützt die im Gutachten dargelegte Auffassung, dass „angesichts Italien geht BirdLife International jedoch von 3,4 bis 7,8 Mio., in Frankreich der Tatsache, dass der Haussperling in Städten aufgrund des Wegfalls von Nistmög- von 149.000 – 895.000, in Spanien von 103.000 – 405.000 und in Malta von lichkeiten und Nahrungsquellen z. T. stark zurückgegangen ist, es zudem notwendig 58.000 – 211.000 zusätzlichen illegal getöteten Vögeln aus. erscheint, diese Art auch weiterhin konsequent unter Schutz zu stellen“. Der WWF zieht auf der Basis der gutachterlichen Analysen folgendes Fazit: Bedrohung von über 30 % der europäischen Vogelarten durch die Jagd und Schutz wäre vom beliebigen Handeln der Mitgliedstaaten abhängig »»Die Vogelschutzrichtlinie sieht gerade deshalb einen strengen Schutz für alle europäischen Vogelarten vor, um eine unkontrollierte, bestandsgefährdende Das Gutachten analysiert, dass für 143 der 449 Vogelarten (32 %) der Schutz Vogeljagd zu unterbinden. von den rechtlichen Regelungen der 28 Mitgliedstaaten abhinge, also der Schutz nicht mehr europaweit einheitlich bestehen würde. Die einzelnen Mitgliedstaaten »»Im Zuge einer Richtlinienänderung könnte mindestens ein Drittel der euro müssten neue Vorschriften erlassen, um sicherzustellen, dass die Jagdaus- päischen Vogelarten wieder zu jagdbaren Arten erklärt werden. Für viele Arten übung keine negativen Effekte auf die bejagten Vogelarten hat. Auch könnte dies zu einem erhöhten Jagddruck und zu weiteren Bestandseinbußen die Jagd darf nämlich keine signifikante Bedrohung der Erhaltungsmaßnahmen führen. Da es bereits jetzt große Probleme mit der Durchsetzung des EU-Rechts sowohl für jagdbare als auch für nicht jagdbare Arten darstellen.18 gibt, ist davon auszugehen, dass sich gerade die illegale Jagd in vielen Staaten erheblich verstärken wird. So könnte z. B. die Jagd auf den Rotmilan (Milvus milvus) und den Raufuß- bussard (Buteo lagopus) erlaubt sein, obwohl der Rotmilan in der EU auf der »»Aufgrund der anhaltenden Gefährdung vieler europäischer Vogelarten sind Vorwarnliste für gefährdete Arten steht und der Raufußbussard als stark gefähr- eher verstärkte Anstrengungen zur Einhaltung der bestehenden Schutzvor- det gilt. Der Rotmilan wird insbesondere in Spanien, Italien und Portugal illegal schriften erforderlich als die Absenkung von Schutzstandards. bejagt; er zählt zu denjenigen Arten, die im Verhältnis zur EU-Gesamtpopulation die höchsten Tötungsraten aufweisen dürfte .19 »»Die Berner und Bonner Konvention sind von der Europäischen Union und 16 IUCN Red List, http://www.iucnredlist.org/details/22718174/1, abgerufen am 29.4.2016 ihren Mitgliedstaaten ratifiziert und sind geltendes Recht, woran sich die EU 17 Brochet et al. (2016): Preliminary assessment of the scope and scale of illegal killing and taking of und die Mitgliedstaaten definitiv halten müssen. birds in the Mediterranean. Bird Conservation International (2016) 26: S. 14. 18 Europäische Kommission (2008): Leitfaden zu den Jagdbestimmungen der Richtlinie 79/409/EWG des Rates über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten, „Vogelschutzrichtlinie“, Rdnr. 2.4.2. 19 Es wird angenommen, dass ca. 1,6 % der Population in der EU durch illegale Jagd getötet werden; Brochet et al. (2016): Preliminary assessment of the scope and scale of illegal killing and taking of birds in the Mediterranean. Bird Conservation International (2016) 26, S. 15. 12 EU-Naturschutzrichtlinien | 13
3 Konsequenzen aus dem Das Gutachten sollte herausarbeiten, welche 4 Zusammenfassende Bewertung der Gefahren und Wegfall der Alternativenprüfung Konsequenzen einer Verschmelzung der Richtlinien Konsequenzen die Abschaffung der sogenannten „Alternativenprüfung“ in Art. 6 Abs. 4 der FFH- von Projekten und Plänen Richtlinie gegenüber heute hätte. Nach den bishe- rigen Rechtsvorschriften darf ein Projekt in einem Natura 2000-Gebiet nicht durchgeführt werden, Das Gutachten bestätigt das vom WWF angenommene Gefahrenpotenzial für wenn es eine zumutbare Alternative gibt, das das das europäische Naturerbe in der EU, sollten die Vogelschutz- und die FFH- Natura 2000-Gebiet verschont. Richtlinie zu einer neuen Richtlinie zusammengeführt werden. Nach der Rechtslage darf ein Projekt nur durchgeführt werden, wenn ein Natura Falls ein neues Gesetzgebungsverfahren zwischen EU-Kommission, Parlament 2000-Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Kann diese Feststellung nicht und Ministerrat im Jahr 2017 beginnt, wäre mit 5–6 Jahren Verhandlungen getroffen werden, kann das Vorhaben nur bei Vorliegen zu rechnen, bis eine Einigung erzielt würde. Diese Zeitspanne bliebe nicht ohne negative Konsequenzen auf das europäische Naturerbe in den Natura 2000- a) zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich Gebieten und für die darin vorkommenden Tier- und Pflanzenarten sowie die solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art durchgeführt werden, schützenswerten Lebensräume von europäischer Bedeutung. b) wenn eine Alternativlösung nicht vorhanden ist und c) die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden. Unter anderem ist mit Folgendem zu rechnen: Das Gutachten führt aus, dass die sogenannte „Alternativenprüfung“ sicherstellen »» Die rechtliche Sicherung von Natura 2000-Gebieten würde verzögert. soll, dass bei der Verwirklichung von Infrastrukturprojekten nur dann eine Beein- trächtigung von Natura 2000-Gebieten in Kauf genommen wird, wenn es keine »»Der weitgehende Stillstand bei Managementplänen für Schutzgebiete Alternative gibt, die mit keinen oder mit geringeren Auswirkungen auf das Netz wäre zu erwarten mit gravierenden ökologischen Konsequenzen. Natura 2000 verbunden ist. Als zumutbare Alternativen kommen sowohl Standort alternativen als auch Ausführungsalternativen in Betracht, wobei die Identität des »»Die Gefährdung von Vogelarten würde zunehmen. Projekts erhalten bleiben muss.20 Ist ein Vorhaben an einem anderen Standort, z. B. durch eine geänderte Projektausführung ohne erhebliche Beeinträchtigung »»Verschärfung der Gefährdung von geschützten Arten der der Erhaltungsziele oder des Schutzzwecks von Natura 2000-Gebieten möglich FFH-Richtlinie. und zumutbar, so ist der Projektträger verpflichtet, diese Alternative zu wählen. »»Kaum Erholung für die geschützten Lebensräumen und Wegfall der Alternativenprüfung erhöht Druck auf Natura 2000-Gebiete Andauer ihrer Gefährdung. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass ein Wegfall zur Folge hätte, dass »»Der Haussperling wäre „vogelfrei“. ökologisch wertvolle Teile des europäischen Naturerbes beeinträchtigt werden könnten, obwohl räumliche und technische Alternativen mit keinen oder gerin- »»Bedrohung von über 30 % der europäischen Vogelarten geren Auswirkungen auf die betroffenen Natura 2000-Gebiete vorhanden sind. durch die Jagd und Schutz wäre vom beliebigen Handeln Insgesamt würde das Natura 2000-Schutzgebietsnetz durch den Wegfall der der Mitgliedstaaten abhängig. Alternativenprüfung einem erhöhten Druck durch Infrastruktur- und Baumaß- nahmen ausgesetzt sein. Dies hätte zur Folge, dass sich die Gebietskulisse durch »»Ein angenommener Wegfall der Alternativenprüfung erhöhte die negative Beeinträchtigung von Gebieten und den erforderlichen ökologischen den Druck durch Infrastrukturmaßnahmen auf alle Ausgleich ständig verändern würde. Damit stünden auch bereits erreichte Verbes- 27.000 Natura 2000-Gebiete. serungen in den Schutzgebieten infrage. Insbesondere für Arten und Lebensräume mit „ungünstigen“ Erhaltungszuständen könnte dies eine weitere Verschlechterung Zwar geht der WWF davon aus, dass bis zu einer neuen Richtlinie die Rechts- und ihres Erhaltungszustandes bewirken. Somit dürfte sich die Kohärenz des Schutz- Planungssicherheit grundsätzlich gewährleistet bleibt. Jedoch erwartet der WWF gebietsnetzes Natura 2000 – die im Übrigen für viele Arten und Lebensräume andererseits, dass insgesamt die Anstrengungen erlahmen werden, die Richtlinien noch lange nicht erreicht ist – kaum langfristig verwirklichen lassen. vollständig und konsequent umzusetzen und dass es zu einem weitgehenden Stillstand in der Umsetzung kommt. Der WWF schließt sich dem Fazit des Gutachtens an: „Der Wegfall der Alterna tivenprüfung wäre mit der Grundintention der FFH-Richtlinie, die zum Netzwerk Dies alles steht auf dem Spiel, sollten die Richtlinien verschmolzen Natura 2000 zählenden Schutzgebiete und ihre Schutzgüter dauerhaft zu be werden. wahren und in einen günstigen Erhaltungszustand zu versetzen, nicht vereinbar.“ Durch den Wegfall der Alternativenprüfung käme es zu einem erhöhten Druck durch Infrastruktur- und Baumaßnahmen auf die 27.000 Natura 2000- Gebiete in der EU. 20 J. und A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl. 2011, § 34 Rdnr. 87. 14 EU-Naturschutzrichtlinien | 15
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland - Szenarien und mögliche Konsequenzen aus dem Handeln der Europäischen Kommission im REFIT-Prozess - 2016
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Inhaltsverzeichnis Seite Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Einleitung: Überprüfung der Richtlinien im Rahmen des sog. REFIT- 4 Prozesses durch die Europäische Kommission - Szenarien und mögliche Konsequenzen aus dem I. Ankündigung einer Verschmelzung der Vogelschutz- und FFH- 5 Handeln der Europäischen Kommission im REFIT-Prozess - Richtlinie und Folgen für Natura 2000-Gebiete 1. Rechtslage und mögliche Konsequenzen 5 2. Gesetzgebungsverfahren im Falle der Verschmelzung der 6 Rechtliches Gutachten im Auftrag des WWF Deutschland Richtlinien 3. Mögliche Auswirkungen des „time lags“ auf das Schutzgebiets- 8 system Natura 2000 3.1 Schutzgebiete mit bestehender und angepasster Schutzgebietsverordnung 9 3.2 Schutzgebiete ohne angepasste Schutzgebietsverordnung und „besondere 11 Schutzgebiete“ ohne Schutzgebietsausweisung 3.3 Festlegung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen 12 II. Ankündigung einer Zusammenführung der Vogelschutz- und 22 Auftragnehmer: FFH-Richtlinie und Folgen für die geschützten Vogelarten Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen 1. Naturschutzrechtliche Konsequenzen 22 A. & J. Schumacher GbR 2. Naturschutzfachliche Konsequenzen 26 Bearbeiter: 3. Schlussfolgerungen 34 Ass. Jur. Jochen Schumacher, Tübingen III. Änderung der FFH-Verträglichkeitsprüfung und Wegfall der 35 Dipl. Biol. Anke Schumacher, Tübingen Alternativenprüfung von Projekten 1. Das Schutzregime von Artikel 6 FFH-RL 36 2. Alternativenprüfung 38 2.1 Ausgangslage 38 Herausgeber: WWF Deutschland 2.2 Wegfall der Alternativenprüfung 40 Redaktionelle Betreuung: 3. Ausgleichsmaßnahmen zur Kohärenzsicherung 42 Günter Mitlacher, Leiter Internationale Biodiversitätspolitik 3.1. Verpflichtung zum Ausgleich erheblicher Beeinträchtigungen 42 3.2 Anforderungen an Ausgleichsmaßnahmen 43 3.3 Auswirkungen des Wegfalls der Alternativenprüfung auf die Kohärenz des 45 Berlin, Tübingen Schutzgebietssystems Natura 2000 Mai 2016 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 2 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 3
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Einleitung: Überprüfung der Richtlinien im Rahmen des sog. REFIT-Prozesses durch die Europäische Kommission I. Ankündigung einer Zusammenführung der Vogelschutz- und FFH- Richtlinie und Folgen für Natura 2000-Gebiete. Um das Europäische Naturerbe und die biologische Vielfalt in Europa langfristig zu bewahren, hat die Europäische Gemeinschaft zwei Richtlinien erlassen: die II. Ankündigung einer Zusammenführung der Vogelschutz- und FFH- FFH-Richtlinie (FFH-Richtlinie, 92/43/EWG) und die Vogelschutzrichtlinie Richtlinie und Folgen für die geschützten Vogelarten. (2009/147/EG); diese werden auch als „Europäische Naturschutzrichtlinien“ III. Änderung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (Artikel 6 Absatz 3 und 4) bezeichnet. Sie bilden die Grundlage für den Aufbau des Schutzgebietssystems und Wegfall der Alternativenprüfung von Projekten und Plänen. „Natura 2000“ in der Europäischen Union. Die europäischen Naturschutzrichtlinien dienen auch der Umsetzung internationaler I. Ankündigung einer Verschmelzung der Vogelschutz- und Verpflichtungen, welche die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten FFH-Richtlinie und Folgen für Natura 2000-Gebiete. eingegangen sind.1 Annahme: Die EU-Kommission beschließt die beiden Richtlinien (FFH-RL und 2 Die Europäische Kommission beabsichtigt mit ihrem REFIT-Programm die VRL) zusammenzuführen und einen neuen Richtlinientext vorzulegen. Welche Rechtsetzung in der EU zu verbessern, insbesondere um überflüssige Kosten zu Konsequenzen hätte solch ein Beschluss für den Naturschutz in Deutschland? vermeiden, die mit der Anwendung der Vorschriften verbunden sind. Gegenwärtig überprüft sie im Rahmen dieses Programms auch, ob die Fauna- 1. Rechtslage und mögliche Konsequenzen Flora-Habitat-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie „zusammengeführt“3 im Die Vogelschutzrichtlinie4 und die FFH-Richtlinie5 wurden ohne zeitliche Sinne von vereinfacht, klarer gefasst oder vereinheitlicht werden sollten. Befristung erlassen. Sie haben daher Gültigkeit bis zu dem Zeitpunkt ihrer In der momentanen Debatte gibt es auch Vorschläge, Artikel 6 der FFH-Richtlinie Aufhebung oder Ablösung durch eine zeitlich spätere neue Richtlinie. abzuschwächen und den Anwendungsbereich der artenschutzrechtlichen Dies bedeutet, dass in der Zeit von der Beschlussfassung bis zu einem etwaigen Regelungen aus Artikel 5 der Vogelschutzrichtlinie zu begrenzen. Zusammenführen der Richtlinien und deren Veröffentlichung im Amtsblatt der Das Gutachten befasst sich mit verschiedenen Szenarien, die sich aus dem Europäischen Union die Mitgliedstaaten auch weiterhin an die Richtlinien in der Handeln der Europäischen Kommission ergeben könnten. Insbesondere werden bisherigen Fassung gebunden sind und diese befolgen müssen (vgl. Art. 288 folgende Fragestellungen betrachtet: AEUV6). 1 Vgl. hierzu ausführlich: Bunge/Schumacher: Europäische Naturschutz-Richtlinien: taugliche Objekte für REFIT? NuR 2016, 307 ff. 4 Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 2 (kodifizierte Fassung) (ABl. EU Nr. L 20, S. 7), geändert durch Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Mai 2013 (ABl. EU Nr. L 158, S. 193). Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Regulatorische Eignung der EU-Vorschriften. Dok. COM(2012) 746 final vom 12.12.2012. 5 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (ABl. EG Nr. L 206, S. 7), zuletzt geändert 3 durch Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mai 2013 (ABl. EU Nr. L 158, S. 193). Schreiben mit Mandat von EU-Kommissionspräsidenten an den Umweltkommissar vom 1. November 2014. 6 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 1.12.2009, http://www.aeuv.de/ Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 4 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 5
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Würde Deutschland dies nicht tun, dürfte ein Verstoß gegen die vertraglichen Standards der jetzigen Richtlinien dürfte es daher schwerlich zu einer Verpflichtungen des Mitgliedstaats vorliegen. Dies würde dann Zustimmung des Europäischen Parlaments kommen. konsequenterweise zu einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland Alle Richtlinien, die vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassen werden, führen (vgl. hierzu das derzeit laufende Verfahren gegen Deutschland7). müssen mit qualifizierter Mehrheit oder sogar einstimmig gebilligt werden (Art. Zuständig für die Einleitung eines solchen Vertragsverletzungsverfahrens ist die 231, 238, 294 AEUV). Meist werden nach umfangreichen Verhandlungen Europäische Kommission als „Hüterin der Verträge“ (Artikel 258 AEUV). Kompromisslösungen gefunden. Ob die EU-Kommission diesen Weg wirklich einschlagen wird, obwohl eine Um die besondere Problematik der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie zu Verschmelzung der Richtlinien erfolgen soll, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht verdeutlichen: Die ursprüngliche Fassung der beiden Richtlinien wurde noch beantwortet werden. Eine Rechtfertigung für ein erneutes allein vom Rat beschlossen. Dieser bestand 1979, bei der Verabschiedung der Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland dürfte der Kommission Vogelschutzrichtlinie, aus den Vertretern von neun Mitgliedstaaten, und 1992, allerdings in solch einer Situation sehr schwer fallen. beim Erlass der FFH-Richtlinie, aus den Vertretern von zwölf EU-Ländern. Nach der Erweiterung der Union auf 28 Staaten ist nicht zu erwarten, dass Vorschriften 2. Gesetzgebungsverfahren im Falle der Verschmelzung der entwickelt werden, die sich einfacher handhaben lassen als die damals Richtlinien beschlossenen.9 Das mit dem REFIT-Prozess verfolgte Ziel der Bislang liegen noch keine Vorschläge vor, wie die Kommission ggf. die Richtlinien Richtlinienvereinfachung dürfte somit hier schwerlich zu erreichen sein. ändern möchte und welche Artikel davon betroffen sein könnten. Damit das Neben dem Europäischen Parlament muss auch der Rat an dem Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union beginnen kann, bedarf es eines Gesetzgebungsverfahren beteiligt werden. Ob der Rat Änderungen an den Vorschlags über die rechtliche Ausgestaltung einer neuen Regelung. Hierzu hat Richtlinien zustimmt, erscheint auch angesichts des Schreibens von neun die Kommission nach Art. 289 Abs. 1 AEUV ein Initiativrecht und sie muss daher Umweltministern an Umweltkommissar Vella fraglich.10 einen Vorschlag in das Gesetzgebungsverfahren einbringen. Bis es im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu einer Einigung kommt, ist Im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wird der Vorschlag der damit zu rechnen, dass die Verhandlungen mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat unterbreitet (Art. 294 Der Vergleich etwa mit der UVP-Änderungsrichtlinie zeigt, dass hier durchaus ein Abs. 2 AEUV). Ob der Vorschlag von Seiten des Europäischen Parlaments gebilligt Änderungszeitraum von 5-6 Jahren veranschlagt werden kann, bis eine wird, dürfte davon abhängen, welche Inhalte der neue Richtlinienvorschlag hat, Bekanntmachung im Europäischen Amtsblatt erfolgt. zumal sich das Parlament eindeutig für die Beibehaltung der Richtlinien ausgesprochen hat.8 Bei einer offenkundigen Abschwächung und Senkung der 9 Bunge/Schumacher, NuR 2016, 307 ff. 10 Schreiben der Umweltministerinnen/-minister Deutschlands, Italiens, Frankreichs, Kroatiens, 7 Luxemburgs, Polens, Rumäniens, Sloweniens und Spaniens vom 26.10.2015, Europäische Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, vom 27.2.2015, betr. http://www.bmub.bund.de/themen/strategien-bilanzen-gesetze/strategien-und- Umsetzung von Artikel 4 Abs. 4 und Artikel 6 Abs. 1 FFH-Richtlinie. bilanzen/details-strategien-und-bilanzen/browse/1/artikel/gemeinsamer-brief-der-eu- 8 Vgl. http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+REPORT+A8- umweltminister-an-karmenu- 2016-0003+0+DOC+PDF+V0//DE. vella/?tx_ttnews%5BbackPid%5D=921&cHash=e8f053c31bfca7d8bf78c9b2d3434875. Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 6 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 7
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Daran schließt sich ein oftmals langwieriger Umsetzungsprozess in den einzelnen ! Prüfung auf Verträglichkeit von Plänen und Projekten durchzuführen, die Mitgliedstaaten an (vgl. Art. 288 AEUV). Bei einer Umsetzung in deutsches Recht ein Natura-2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten (FFH- von Bund und Ländern kann es zu nicht unerheblichen Umsetzungsproblemen Verträglichkeitsprüfung, Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL). kommen, eben weil auch die Mitgliedstaaten an die Vorgaben internationaler Diese Pflichten aus Artikel 6 FFH-RL sind damit nicht an eine vorherige formelle Konventionen gebunden sind. Diese Konventionen gelten nach der Ratifizierung rechtliche Ausweisung eines Gebietes als Naturschutzgebiet nach dem wie einfaches Recht (vgl. Art. 25 GG). Bundesnaturschutzgesetz gebunden. Im Folgenden sollen die Auswirkungen dieses „time lags“ auf das Schutzgebietssystem Natura 2000 vom Zeitpunkt der Ankündigung einer 3.1 Schutzgebiete mit bestehender und angepasster möglichen Richtlinienänderung bis zu ihrem Inkrafttreten untersucht werden. Schutzgebietsverordnung Es handelt sich hierbei um Schutzgebiete, die formell und materiell den 3. Mögliche Auswirkungen des „time lags“ auf das Anforderungen an die Schutzgebietsausweisung von Natura 2000-Gebieten Schutzgebietssystem Natura 2000 bereits entsprechen. Die Schutzgebietsverordnung enthält die vor allem die Bei der Auswahl der Gebiete für das Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ hat die Natura 2000-Schutzgüter und formuliert für diese gebietsbezogene Europäische Kommission auf Grundlage der von den Mitgliedstaaten gemeldeten Erhaltungsziele. Das Bundesnaturschutzgesetz definiert den Begriff Gebiete eine „Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ erstellt, in „Erhaltungsziele“ in § 7 Abs. 1 Nr. 9 dementsprechend als: „Ziele, die im Hinblick der alle für das Netzwerk vorgesehenen Gebiete aufgelistet sind. auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraumtyps von gemeinschaftlichem Interesse, einer in Nach Art. 4 Abs. 4 FFH-RL müssen die in die „Liste der Gebiete von Anhang II der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) oder in Artikel 4 Absatz 2 gemeinschaftlicher Bedeutung“ aufgenommenen Gebiete durch die oder Anhang I der Richtlinie 2009/147/EG (Vogelschutzrichtlinie) aufgeführten Mitgliedstaaten „so schnell wie möglich“ – spätestens aber binnen sechs Jahren – Art für ein Natura 2000-Gebiet festgelegt sind.“ Die Festlegung der als „besondere Schutzgebiete“ (Special Areas of Conservation – SAC) Erhaltungsziele dient zum einen als Vorgabe für die Erstellung der ausgewiesen werden. Ab der Aufnahme in diese Liste unterliegen die Natura Managementpläne, zum anderen bilden sie den Maßstab im Rahmen der FFH- 2000-Gebiete den Bestimmungen des Artikel 6 FFH-RL, sodass die Verträglichkeitsprüfung. Mitgliedstaaten folgende Verpflichtung haben: Die Schutzgebietsverordnung wurde aufgrund der Maßgabe des ! Gebietsbezogene Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen, die den Bundesnaturschutzgesetzes erlassen. Die Verordnung bildet den rechtlichen ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen und Arten Rahmen für das betreffende Schutzgebiet. Bezugspunkt hier ist also das von gemeinschaftlicher Bedeutung entsprechen, spätestens innerhalb von nationale Recht. Ankündigungen von Rechtsetzungsänderungen auf EU-Ebene sechs Jahren (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, erfolgt i.d.R. durch haben hierauf zunächst KEINE Auswirkungen. Der Mitgliedstaat kann erst nach Managementpläne). Bekanntmachung der Änderungsrichtlinie sein nationales Recht an die neuen ! Durchführung von Maßnahmen, um die Verschlechterung der natürlichen Vorgaben anpassen. Lebensräume und Habitate der Arten sowie größere Störungen der Arten, Exkurs: Änderung der Anhänge I und II FFH-RL oder Anhang I VRL für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden (Verschlechterungsverbot, Art. 6 Abs. 2 FFH-RL). In der bisherigen Diskussion um REFIT wurde von verschiedener Seite eine Änderung der Anhänge gefordert mit dem Ziel, verschiedene Arten und Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 8 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 9
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Lebensräume aus diesen Anhängen zu streichen. Es könnten somit verschiedene ausgewiesen, sodass die Schutzgebiete auch weiterhin ihren Beitrag zum Lebensraumtypen oder Tier- und Pflanzenarten aus den Anhängen I und II FFH- Schutzgebietsnetz Natura 2000 leisten können. RL oder Anhang I VRL herausfallen, für die eine Schutzgebietsausweisung nach Bei der Änderung von Schutzgebietsverordnungen sind auch die EU-Recht sodann nicht mehr zwingend erforderlich wäre. Diese Forderungen Beteiligungsrechte einzuhalten, wodurch eine Schutzstandardabsenkung lassen zum einen unberücksichtigt, dass die Europäische Union und ihre verhindert werden könnte. Mitgliedstaaten auch an internationale Verpflichtungen gebunden sind. Jedenfalls Andererseits ist auch denkbar, dass weitere Lebensraumtypen und Arten in die stellen diese Verpflichtungen Eckpunkte für das gesetzgeberische Ermessen der Anhänge einer neuen Richtlinie aufgenommen werden, woraus zusätzliche Mitgliedstaaten dar. Der Spielraum ist hier sehr begrenzt, weil z.B. auch die Verpflichtungen zur Ausweisung von Schutzgebieten folgen würden. Berner Konvention11 den Schutz eines Großteils der Arten und Lebensräume umfasst, die in den beiden Richtlinien der EU enthalten sind. Die Streichung bzw. Aufnahme von weiteren FFH-Arten und Lebensräumen, die z.B. im Rahmen der Klimaveränderung notwendig werden könnten, ist durch das Sollte es zu einer Änderung der Anhänge kommen mit der Folge, dass bestimmte Verfahren zur Änderung der Anhänge in Artikel 19 FFH-RL geregelt.12 Arten und Lebensräume nicht mehr der Pflicht zur Ausweisung von Schutzgebieten unterliegen würden, so hat dies zum anderen zunächst keine 3.2 Schutzgebiete ohne angepasste Schutzgebietsverordnung und rechtlichen Auswirkungen auf das bestehende Schutzgebiet. Die „besondere Schutzgebiete“ ohne Schutzgebietsausweisung Schutzgebietsverordnung ist rechtmäßig zustande gekommen und gilt in vollem Umfang weiter. Sie beinhaltet alle dort aufgeführten Arten und Lebensräume. Die Auch bei diesem Punkt gilt, dass die bisherigen Verpflichtungen eingehalten in der Schutzgebietsverordnung enthaltenen Ge- und Verbote gelten auch in werden müssen, solange keine neue Richtlinie in Kraft getreten ist. Bezug auf nicht mehr nach EU-Recht geschützte Arten oder Lebensräume weiter. Die Frist für die rechtliche Ausweisung von Natura 2000-Gebieten und die Um eine Anpassung an die geänderten Richtlinien vorzunehmen, ist eine Erstellung von Managementplänen lief am 22. Dezember 2009 für die alpine Änderung der Schutzgebietsverordnung notwendig. Dies erfordert jedoch eine biogeografische Region und am 7. Dezember 2010 für die atlantische und zeitaufwendige Überprüfung aller relevanten Schutzgebietsverordnungen auf kontinentale biogeografische Region ab. Für die letzten nachgemeldeten Gebiete ihren Anpassungsbedarf. Dabei wäre auch darauf zu achten, dass die betroffene lief diese Frist am 25. Januar 2014 ab. Deutschland hat diese Verpflichtung für Art oder der betroffene Lebensraum nicht aufgrund anderer Verpflichtungen (z.B. 2784 Gebiete bislang nicht erfüllt. Daraufhin hat die Europäische Kommission durch die Berner Konvention) einem Schutz zu unterwerfen ist. gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 258 AEUV eingeleitet.13 Der Wegfall einzelner (ehemaliger) Natura 2000-Schutzgüter führt zudem nicht zwangsläufig zu einer Funktionslosigkeit der Schutzgebietsverordnung. Die Bundesrepublik muss diesen Verpflichtungen nachkommen und muss Regelmäßig werden die Schutzgebiete für mehrere Arten und Lebensräume bestehende Schutzgebietsverordnungen an die europäischen Regelungen 12 Artikel 19 FFH-RL dient der Anpassung der Anhänge I bis VI FFH-RL an den technischen und 11 wissenschaftlichen Fortschritt. Berner Konvention: Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wild lebenden 13 Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume (http://www.coe.int/de/web/bern- Europäische Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, vom 27.2.2015, betr. convention). Umsetzung von Artikel 4 Abs. 4 und Artikel 6 Abs. 1 FFH-Richtlinie. Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 10 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 11
Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland Verschmelzung der EU-Naturschutzrichtlinien und Auswirkungen auf den Naturschutz in Deutschland anpassen und noch nicht ausgewiesene „besondere Schutzgebiete“ gem. Artikel Managementmaßnahmen vor einer Verschlechterung bewahrt werden 4 FFH-RL unter rechtlichen Schutz stellen. Gleichfalls müssen noch fehlende (Erhaltungsmaßnahmen). Im Falle eines „ungünstigen“ Erhaltungszustandes ist Managementpläne erstellt werden. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Umsetzung von Maßnahmen erforderlich, die eine aktive Wiederherstellung Deutschland ist eingeleitet und muss auch weiter verfolgt werden, unabhängig günstiger Strukturen und Funktionen des Ökosystems bewirken davon, ob die Zusammenlegung der beiden Richtlinien beabsichtigt wird (Artikel (Entwicklungsmaßnahmen).17 258 AEUV). Insofern bleibt der momentane Druck zur Umsetzung von Die Schutzgüter der Natura 2000-Gebiete unterliegen nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Schutzgebietsverordnungen und zur Erstellung von Managementplänen erhalten. einem allgemeinen Verschlechterungsverbot. Dieses Verbot gilt bereits ab der Um die Zahlung eines Zwangsgeldes abzuwenden, müssen die Bundesländer Aufnahme eines Gebietes in die „Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher diesen Verpflichtungen umgehend nachkommen. Bedeutung“, ist damit unabhängig von einer Schutzgebietsausweisung oder der Aufstellung von Managementplänen zu befolgen. Konsequenz dieses Verbotes ist 3.3 Festlegung und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen nach es, dass sich der Erhaltungszustand der in einem Natura 2000-Gebiet Artikel 6 Abs. 1 und Verschlechterungsverbot nach Artikel 6 Abs. 2 geschützten Lebensraumtypen sowie die Habitate geschützter Arten nicht FFH-RL verschlechtern dürfen. Geschützte Arten dürfen durch Störungen nicht „erheblich“ beeinträchtigt werden. Diese Maßnahmen sind zu ergreifen, bevor Erhaltungsmaßnahmen eine Verschlechterung eintritt; es handelt sich somit um eine präventiv wirkende Die FFH-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 6 Abs. 1 alle Handlungspflicht.18 erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen. Diese Maßnahmen sind in Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Urteil gegen das Vereinigte jedem Fall zu treffen und nicht nur „gegebenenfalls“.14 Dieser Pflicht zur Königreich festgestellt, dass es für die Umsetzung des Verschlechterungsverbots Erstellung von Managementplänen ist innerhalb von sechs Jahren nach Aufnahme nach Artikel 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie „offenkundig erforderlich sein [kann], eines Gebietes in die „Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ sowohl Abwehrmaßnahmen gegenüber externen, vom Menschen verursachten nachzukommen.15 Beeinträchtigungen und Störungen als auch Maßnahmen zu ergreifen, um Unter Erhaltungsmaßnahmen sind alle Maßnahmen und Regelungen zu natürliche Entwicklungen zu unterbinden, die den Erhaltungszustand von Arten verstehen, die für ein Natura 2000-Gebiet aufgestellt werden müssen, damit die und Lebensräumen in den besonderen Schutzgebieten verschlechtern können“. 19 Erhaltungsziele für das Gebiet erreicht werden.16 Dabei reicht es bei Vorliegen Das Verschlechterungsverbot umfasst auch Einflüsse, die von außerhalb auf das eines „günstigen“ Erhaltungszustandes der betreffenden Arten und Lebensräume Natura 2000-Gebiet einwirken. In der Praxis lässt sich dieses im Natura 2000-Gebiet in der Regel aus, wenn die Schutzgüter durch die Verschlechterungsverbot nur einhalten, wenn Gefährdungen des 14 17 EuGH. Urteil vom 10.5.2007 – C-508/04, Rdnr. 71. Europäische Kommission (2015): Natura 2000 und Wälder, Teil I-II, Technischer Bericht – 15 2015. Europäische Kommission, Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2014/2262, vom 27.2.2015, betr. 18 Umsetzung von Artikel 4 Abs. 4 und Artikel 6 Abs. 1 FFH-Richtlinie. Europäische Kommission (2000): Natura 2000 – Gebietsmanagement. Die Vorgaben des 16 Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG. Europäische Kommission (2012): Vermerk der Kommission über die Festlegung von 19 Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete. Endgültige Fassung vom 23.11.2012. EuGH, Urteil vom 20.10.2005 - C-6/04 (Kommission ./. Vereinigtes Königreich), Rdnr. 34. Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 12 Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht Tübingen, A & J Schumacher GbR Seite 13
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