Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern
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Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung über die Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen (LSBTI*) und deren Angehörigen in Mecklenburg-Vorpommern Schwerin, im April 2020
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Inhalt 1. Einleitung: Zielsetzung der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Methodik und Stichprobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, Coming-Out . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 4. Zufriedenheit, subjektive Sicherheit und Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen . . . . . . . . . 9 5. Erfahrungen von LSBTI* in verschiedenen Lebensbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5.1 Erfahrungen von LSBTI* in Schule, Berufs-/Fachschule und Hochschule . . . . . . . . . . . . . . 14 5.2 Erfahrungen von LSBTI* in der Ausbildungs- und Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 5.3 Erfahrungen von LSBTI* in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 5.4 Erfahrungen von LSBTI* im Gesundheitswesen, der Pflege und Wünsche für das Alter . . . . . . 20 5.5 Erfahrungen von LSBTI* in Freizeit, Kultur, Sport und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5.6 Erfahrungen von LSBTI* im Polizei- und Justizwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 6. Erfahrungen von Familien mit LSBTI*-Angehörigen in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . .27 7. Einstellungen der Allgemeinbevölkerung zum Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 8. Evaluierung des Landesaktionsplans für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 8.1 Sicht der Befragten auf den Landesaktionsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 8.2 Verbesserungswünsche aus Sicht der Befragten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 9. Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .41 Herausgeber Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung Mecklenburg-Vorpommern Referat IX 230 – Familienpolitik Werderstraße 124 19055 Schwerin Autorin & wissenschaftliche Durchführung Dr. Christina Rauh Neuenkamp 69 51381 Leverkusen Stand Schwerin, im April 2020 www.sozial-mv.de 2
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung 1. Einleitung: gen derer, die weder sich selbst, noch eines ihrer Zielsetzung der Befragung Familienmitglieder zur Gruppe der LSBTI* zählen, mithin zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft ge- Wozu braucht es die vorliegende Studie? Die im hören. Herbst 2019 durchgeführte Online-Befragung „Sex- uelle und geschlechtliche Vielfalt in MV“ hatte zum In Kapitel acht wird die Bekanntheit des „Lande- Ziel, neben der in den letzten Jahren auch bunde- saktionsplans für die Gleichstellung und Akzep- sweit erfolgten rechtlichen Gleichstellung die tanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in tatsächliche Lebenswelt und die Erfahrungen von Mecklenburg-Vorpommern“ sowie einiger seiner Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter* und Maßnahmen und Ziele berichtet. Denn: Die Ergeb- queeren Menschen (LSBTI*) in Mecklenburg-Vor- nisse der Online-Befragung fließen als wichtiger pommern zu untersuchen. Denn bisher lagen in empirischer Baustein ein in die für 2020 geplante Mecklenburg-Vorpommern noch keine landesweit Bilanz der Landesregierung des im Jahr 2015 verab- verlässlichen Informationen zur Lebenssituation schiedeten Landesaktionsplan. Im abschließenden von LSBTI* und deren Angehörigen vor. Kapitel neun werden die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieses Berichts zusam- Erfahren sie Nachteile im Alltag, in der Arbeitswelt, mengefasst. in der Schule – oder fühlen sie sich weithin akzep- tiert? Und was wünschen sie sich für Maßnahmen Dieser Bericht basiert auf den Antworten von rund von der Landesregierung? Dies sind die Leitfragen 1.200 Menschen1 in Mecklenburg-Vorpommern, die der vorliegenden Untersuchung. Die Antworten sind während des Erhebungszeitraums vom 11.09. bis auf folgende Kapitel aufgegliedert: 13.10.2019 an der landesweiten Online-Befragung teilgenommen haben. Darunter sind 476 LSBTI*, 123 Kapitel zwei beschreibt zunächst die Methodik der Angehörige (selbst nicht schwul, lesbisch, bisexuell, Studie sowie den Rücklauf der Stichprobe, damit trans*, inter* oder queer, aber ein oder mehrere die Ergebnisse auf ihre Aussagekraft hin eingeord- enge Familienmitglieder) sowie 465 Bürgerinnen net werden können. Kapitel drei schildert die Viel- und Bürger, die keine familiären Berührungspunk- falt der berichteten sexuellen Orientierungen und te zu LSBTI* haben („Allgemeinbevölkerung“). Da es geschlechtlichen Identitäten der befragten LSB- sich um eine selbstrekrutierende Online-Befragung TI* sowie ihr Erleben rund um das Coming-Out. handelt, basieren die Ergebnisse nicht auf einer Kapitel vier zeigt auf, wie das subjektive Zufrie- Zufallsziehung an Befragten. Sie sind damit nicht denheits- und Sicherheitsgefühl der befragten repräsentativ, weder für die Gesamtbevölkerung, LSBTI* und die Häufigkeit von Diskriminierungser- noch für die Gruppe der LSBTI*. Mit ihrer breiten fahrungen allgemein sind. In Kapitel fünf, einem Basis bilden sie die Erfahrungen dieser Gruppe zentralen Kapitel dieses Berichts, wird aufges- dennoch gut ab und stellen das bislang umfan- chlüsselt, in welchen Lebensbereichen LSBTI* in greichste Datenmaterial für das Land Mecklen- Mecklenburg-Vorpommern positive oder negative burg-Vorpommern dar. Erfahrungen machen. Das folgende Kapitel gibt zunächst nähere Auskunft Kapitel sechs widmet sich der Perspektive der Fam- zu den Merkmalen der Befragten. ilienangehörigen von LSBTI*. Wie erleben Sie das Coming-Out, aber auch Reaktionen aus dem so- zialen Umfeld auf die Identität ihres Familienmit- 1 Durch Abbrüche im Fragebogenverlauf und das Überspringen mancher glieds? Und welche Informationsbedarfe haben sie? Fragen weichen die Teilnehmendenzahlen von Frage zu Frage ab. Sie werden Kapitel sieben wiederum präsentiert die Einstellun- in diesem Bericht stets durch die Angabe „N=“ transparent gemacht. 3
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung 2. Methodik und Stichprobe Vereine, Verbände, Institutionen und nachgeord- neter Einrichtungen des Landes über die Landes- Bei der vorliegenden Befragung handelt es sich um regierung auf die Befragung aufmerksam gemacht eine Online-Befragung, die vom 11. September bis und gebeten, ihren Mitgliedern und Angestellten zum 13. Oktober 2019 landesweit zu beantworten den Befragungs-Link zur Verfügung zu stellen. Link war. Sie wurde bewusst online durchgeführt, da und QR-Code für den Fragebogen konnten zudem diese Variante gegenüber anderen Erhebungsver- auf www.sozial-mv.de heruntergeladen werden. fahren eine einfache Weiterleitung des Befragung- saufrufs sowie eine absolut anonyme Teilnahme Die folgende Abbildung zeigt die Rekrutierungs- im Flächenland Mecklenburg-Vorpommern er- wege der Teilnehmenden zusammengefasst auf. möglicht. Schließlich liegt kein staatliches Verze- Die meisten Befragten (23 %) sind über soziale ichnis der sexuellen Orientierungen vor, das eine Medien auf die Befragung aufmerksam geworden. Stichprobenziehung ermöglichen würde. So sind Weitere 18 % sind über die Website des Sozialmin- Befragungen zu diesem Thema stets auf sogenan- isteriums oder eine Seite der Landesregierung auf nte selbstrekrutierende Stichproben angewiesen: die Befragungsseite gelangt. Es folgen persönli- Die Befragung wird im Schneeballprinzip an einige che Hinweise von Bekannten innerhalb (17 %) und zentrale organisierte Akteure wie LSBTI*-Organisa- außerhalb (16 %) der LSBTI*-Community. Mailings tionen geschickt; diese wiederum geben sie an ihre wie Newsletter der LSBTI*-Community (5 %) oder Verteiler und Medien weiter. anderer Organisationen (12 %) und Emailverteiler der Hochschulen (5 %) im Land haben weitere Teile Um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erre- der Befragten auf die Studie aufmerksam gemacht. ichen, wurden auch Multiplikator*innen bzw. Inter- Über Berichterstattung in der klassischen Presse essenvertretende klassischer zivilgesellschaftlicher hingegen sind kaum (4 %) Befragte aufmerksam ge- Abbildung 1: Rekrutierungswege der Teilnehmenden; Fragewortlaut: „Wie wurden Sie auf diese Befragung aufmerksam?“ N = 715. Grundlegende Legende: Unterhalb jeder Abbildung und Tabelle werden der Fragewortlaut und ggf. die Antwortoptionen der abgebildeten Ergebnisse aufgeführt. Die Abkürzung „N =“ steht für die Anzahl der Befragten, die auf die jeweilige Frage geantwortet haben. Dies kann von Frage zu Frage sowie im Verlauf des Fragebogens u.a. durch Abbruch oder aufgrund von Filterfragen, die nur einem Teil der Befragten sinnvoll gestellt werden können, variieren. 4
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung worden. Diese Ergebnisse unterstreichen noch ein- Insgesamt wurden auf diese Weise 1235 Fragebögen mal den selbstrekrutierenden Charakter der Studie. beantwortet, davon 891 vollständig und 344 teil- So sind im Ergebnis über ein Drittel (35 %) der be- weise. Sie verteilen sich auf 476 Lesben, Schwule, Bi- fragten LSBTI* in LSBTI*-Vereinsstrukturen organis- sexuelle, Trans* und Inter*; auf 123 Angehörige, die iert, 65 % engagieren sich nicht für LSBTI*-Belange. selbst nicht schwul, lesbisch, bisexuell, trans* oder Dieser Anteil Organisierter dürfte überproportional inter* sind, aber ein oder mehrere enge lsbti*-Fam- hoch zum LSBTI*-Durchschnitt in Mecklenburg-Vor- ilienmitglieder haben; sowie 465 Bürgerinnen und pommern sein und ist auf die Rekrutierungswege Bürger, die keine familiären Berührungspunkte zu zurückzuführen. Für die Ergebnisinterpretation LSBTI* haben („Mehrheitsgesellschaft“). ist daher davon auszugehen, dass die Kenntnis politischer Maßnahmen ebenfalls leicht über- Mit im Durchschnitt 33 Jahren sind die befragten repräsentiert sein wird. Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* deutlich jünger als der Bevölkerungsdurchschnitt Da es sich um eine selbstrekrutierende Stichprobe in Mecklenburg-Vorpommern. So sind nur 16 % der handelt, können die Ergebnisse der Studie nicht befragten LSBTI* älter als 50 Jahre. Dagegen ist ein repräsentativ für alle LSBTI* in Mecklenburg-Vor- Drittel der Befragten der Mehrheitsgesellschaft über pommern sein. Dazu bedürfte es einer repräsenta- 50 Jahre alt, unter den Angehörigen mit lsbti*-Famil- tiven Zufallsziehung, die mangels eines staatlichen ienmitglied sind es ein gutes Viertel (26 %). Verzeichnisses nicht möglich ist. Die vorliegenden Ergebnisse sind aufgrund der erzielten Fallzahlen Das junge Durchschnittsalter der befragten LSBTI* und der Vergleichbarkeit mit sehr ähnlichen Be- spiegelt sich auch in der Frage nach dem derzeitigen fragungen in anderen Bundesländern – konk- Erwerbsstatus wider. So geben 18 % der befragten ret: Schleswig-Holstein 2019, Brandenburg 2018, LSBTI* an, aktuell zu studieren, eine Ausbildung zu Baden-Württemberg 2014 und Rheinland-Pfalz machen oder zur Schule zu gehen. Unter den be- 2013 (siehe Literaturverzeichnis) – dennoch auss- fragten Angehörigen sind dies 5 %, in der befragten agekräftig und die bislang breiteste Datengrundlage Mehrheitsgesellschaft 3 %. In allen anderen Kate- für die Zielgruppe der LSBTI* in Mecklenburg-Vor- gorien (Angestellte, Selbstständige, Ruheständler, pommern. Abweichungen zentraler soziodemograf- Erwerbslose) unterscheiden sich die drei Befragten- ischer Merkmale werden nachstehend berichtet. gruppen statistisch kaum, mit Ausnahme des Beam- Abbildung 2: Altersverteilung der Befragten; Fragewortlaut: „Wie alt sind Sie?“ N = 1058 5
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung tenstatus (11 % der LSBTI*, 20 % der Angehörigen, ierenden. Entsprechend lebt nur ein Fünftel der 28 % der Mehrheitsgesellschaft). befragten LSBTI* in Mittel- bis Kleinstädten in Dör- fern unter 5.000 Einwohner*innen. Der Anteil der Befragten, die (bereits) über einen Hochschulabschluss verfügen, liegt mit 40 % der Der Migrationsanteil unterscheidet sich kaum befragten LSBTI* entsprechend niedriger als unter zwischen den drei Befragtengruppen und liegt den befragten Angehörigen (47 %) und Befragten zwischen drei und fünf Prozent. Aufgrund der nied- der Mehrheitsgesellschaft (57 %). Insgesamt schein- rigen absoluten Fallzahlen können im weiteren Ver- en überdurchschnittlich hoch gebildete Befragte lauf des Berichts über die Migrationsvariable keine aus der Mehrheitsgesellschaft an der Online-Studie Aussagen gemacht werden. teilgenommen zu haben. Zusammenfassend kann festgehalten werden, Alter und Studierendenstatus schlagen sich auch dass die Antworten der Befragten nicht repräsen- auf die Einkommensverteilung der Befragten nie- tativ für ihre jeweilige Gruppe sein können. Deut- der: Der Anteil derjenigen, die unter 900 € mona- liche Abweichungen zum Durchschnitt sind insbe- tliches Nettoeinkommen zur Verfügung haben, ist sondere unter den befragten LSBTI* hinsichtlich mit 21 % unter den befragten LSBTI* deutlich höher des Alters – junge Meinungen sind überrepräsen- als unter den befragten Angehörigen (2 %) und den tiert – und des Wohnorts – großstädtische Mei- Befragten der Mehrheitsgesellschaft (4 %). nungen sind überrepräsentiert – zu erkennen. Aus- wirkungen auf die generelle Aussagekraft viel- Größere Unterschiede zeigen sich auch in der er Ergebnisse, beispielsweise der Diskriminier- Wohnortgröße der drei Befragtengruppen. So geb- ungserfahrung oder der Lebenszufriedenheit, sind en 65 % der befragten LSBTI* an, in einer Großstadt nur in geringem Maße zu erwarten. Anders sieht über 50.000 Einwohner*innen zu leben – dies tun es bei der Bekanntheit der Maßnahmen in Kapi- nur 44 % der befragten Angehörigen und 48 % der tel acht aus – hier dürfte der überdurchschnitt- befragten Mehrheitsgesellschaft. Dies wird zu ei- lich häufig genannte Beamtenstatus der Be- nem Teil auch auf den Studierendenanteil unter fragten aus der Mehrheitsgesellschaft zu einer den LSBTI* zurückzuführen zu sein, da Hochschul- größeren Maßnahmenbekanntheit führen, als im standorte in der Regel über größere Einwohner- eher unpolitischen Bevölkerungsdurchschnitt zu zahlen verfügen als Wohnorte von Nicht-Stud- erwarten. Abbildung 3: Wohnortgrößen der Befragten; Fragewortlaut: „In welchem Ortstyp wohnen Sie zur Zeit?“ N = 1064 6
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung 3. Sexuelle und geschlechtliche en sexuellen Orientierungen im Laufe des Berichts Vielfalt, Coming-Out nicht weiter ausgewertet werden können. Zu ihnen zählen einige wenige Nennungen als asexuell sowie In diesem Kapitel werden die sexuelle und ges- als panromantisch. chlechtliche Vielfalt und das Erleben des Com- ing-Outs aus Sicht der befragten Lesben, Schwulen, Was die geschlechtliche Identität der Befragten an- Bisexuellen, Trans* und Inter* dargestellt. Damit geht, geben 27 Menschen bzw. 6 % der befragten soll auch eine Antwort darauf gegeben werden, was LSBTI* an, transsexuell zu sein; als Transgen- sexuelle Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern heißt der bezeichnen sich 41 Befragte (knapp 9 % der und wie sich diese von geschlechtlichen Identitäten LSBTI*-Befragten, teilweise Mehrfachnennung zu abgrenzen. Schließlich soll der Frage nachgegangen transsexuell). Außerdem haben acht Intersexuelle werden, ob ein Outing im Jahr 2019 noch eine große (knapp 2 %) an der Befragung teilgenommen. Als Hürde darstellt oder nicht. weitere geschlechtliche Identitäten wurden genan- nt: nicht binär / non-binary, genderfluide, agender, Die befragten LSBTI* haben im Ergebnis eine ganze queer, „individuell“, „Mensch“, „ich bin ich“. Die off- Reihe von Begriffen für das Erleben ihrer eigenen enen Angaben zeigen damit, dass die geschlechtli- sexuellen Orientierungen genannt. Die häufigsten chen Selbstbezeichnungen jenseits von „Mann“ und Nennungen sind in der Abbildung dargestellt. So „Frau“ vielfältig und sehr individuell sind. bezeichnen sich 43 % der befragten LSBTI* als schwul, rund ein Viertel als lesbisch. Bisexuelle Aus Gründen der statistischen Auswertbarkeit sind mit 14 % ebenfalls zahlreich in der Stichprobe müssen dennoch alle nicht-cisgeschlechtlichen vertreten, darunter leicht häufiger Frauen. Etwas Befragten für die weitere Analyse zur Gruppe häufiger wird die Bezeichnung pansexuell oder „Trans* und Inter *“ zusammengefasst werden, queer von Befragten gewählt. Gemeint ist damit auch wenn sie teilweise sehr unterschiedliche eine geschlechtsübergreifende bzw. geschlechtsu- Lebenswelten haben. Die Zellgrößen für die einzel- nabhängige sexuelle Orientierung. In diese Katego- nen Analysen würden andernfalls das statistische rie fallen 19 % der befragten LSBTI*. Sie schließt Minimum unterschreiten, so dass keine Aussagen auch solche Befragte ein, die für sich keine Festle- möglich wären. Zusammengenommen bilden gung wünschen. Aus Gründen der statistischen Aus- damit 62 (13 %) Personen die Gruppe „Trans* und wertbarkeit werden alle unter „sonstigen“ genannt- Inter*“. Abbildung 4: Berichtete sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten; Fragewortlaut: „Wie bezeichnen Sie Ihre sexuelle Orien- tierung?“ sowie „Gehören Sie einer der Personengruppen transsexueller, transgender oder intersexueller Menschen an?“ Mehrfachnennung möglich, da sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zwei verschiedene Merkmale sind. N = 476 7
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Für den weiteren Verlauf dieses Berichts ist es Mecklenburg-Vorpommern3 zeigen, dass die Her- wichtig, die sexuelle Orientierung eines Menschen ausforderungen für Personen, die sich nicht ihrem (zu welchem Geschlecht fühlt man sich sexuell Geburtsgeschlecht zugehörig fühlen oder die eine hingezogen (beispielsweise Mann zu Frau = het- Einordnung in binäre Geschlechterkategorien von erosexuell; Mann zu Mann = schwul), von der ges- männlich und weiblich für sich ablehnen, wie chlechtlichen Identität (als zu welchem Geschlecht Trans*, oder aber biologisch weder dem männli- fühlt man sich selbst zugehörig? beispielsweise chen, noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen weiblich, männlich, divers, trans*, inter*) zu unter- sind, wie Intersexuelle, in der Regel weitaus stärk- scheiden. Im Grunde haben diese beiden Katego- er ausfallen und anders gelagert sind, als Heraus- rien wenig miteinander zu tun, werden historisch forderungen, die mit der sexuellen Orientierung zu bedingt aber politisch und gesellschaftlich vielfach tun haben. Daher wird im Laufe des Berichts ein in einem Kontext behandelt. Fokus auch auf Antwortunterschieden zwischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Pansexuellen / Da es sich um zwei unterschiedliche Kategorien Queeren gegenüber Trans* / Inter* liegen. handelt, verfügt jede Person sowohl über eine sex- uelle Orientierung, als auch über eine geschlecht- Dass das Bewusstwerden und Erleben der eigenen liche Identität. Wenn im Folgenden von Trans*-Be- sexuellen Orientierung gegenüber der eigenen ges- fragten die Rede ist, heißt dies nicht, dass diese chlechtlichen Identität nicht dasselbe ist, zeigt zu- nicht auch schwul, lesbisch, bisexuell, pansexuell nächst folgendes Ergebnis: Gefragt nach dem Alter, / queer oder aber heterosexuell sein können. Sie in dem ihnen selbst ihre eigene geschlechtliche werden in der Auswertung nur primär als Trans* Identität oder eigene sexuelle Orientierung bewusst und Inter* behandelt. geworden sei (sogenanntes „Inneres Coming-Out“), zeigen die Antworten der befragten Trans* und In- Denn: Studien anderer Bundesländer2 wie auch die ter* mit dreizehneinhalb Jahren ein deutlich jün- biografische Forschung der Studie Lola für Lulu in geres Durchschnittsalter als die befragten Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Pansexuellen / Queeren mit 16 Jahren. Fast der Hälfte (46 %) der befragten 2 Vgl. u.a. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Brandenburg (2018): S. 12. 3 Vgl. Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern e. V. (2016): S, 33. Abbildung 5: Vergleich des inneren und äußeren Coming-Out-Alters unter LSBTI*; Fragewortlaut: „Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal mit Ihren Mitmenschen über Ihre sexuelle Orientierung bzw. Ihre geschlechtliche Identität gesprochen haben?“ Sowie: „Und wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal bemerkt haben, dass Sie lesbisch / schwul / bisexuell / trans* / inter* / queer sind?“ N = 427 - 431 8
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Trans* und Inter* wird ihre geschlechtliche Iden- „Ich denke nicht, dass ich das überall herum- tität bis zum 12. Lebensjahr bewusst. Weiteren 34 % posaunen muss. Allerdings verberge ich auch wird sie bis zum 16. Lebensjahr klar. Damit unter- nichts. Was sich ergibt, ergibt sich, auch in scheiden sie sich vor allem in den ersten 12 Leben- Gesprächen.“ sjahren deutlich von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Pansexuellen / Queeren – nur 18 % von ihnen „Ich habe viel Unverständnis und Diskri- ist vor der Pubertät klar, welches Geschlecht sie be- minierung erlebt, deshalb überlege ich gehren. inzwischen gut, vor wem ich mich oute.“ Bis zum äußeren Coming-Out vergehen nach dem „Angst vor Ablehnung, Diskriminierung am inneren Bewusstwerden noch durchschnittlich 10 Arbeitsplatz bzw. Mobbing von Kollegen, Angst Jahre, bevor sich die befragten Trans* und Inter* vor Übergriffen“ anderen Menschen in ihrem Umfeld anvertrauen „Ich befürchte eh das Unverständnis als eine konnten. Die Spanne zwischen innerem und äußer- negative Reaktion, und habe keine Lust meine em Coming-Out beträgt auch unter Lesben, Schwu- Pansexualität erklären zu müssen, weil die len, Bisexuellen und Pansexuellen / Queeren gut 11 meisten kaum was darüber wissen und oft Jahre. Für beide Gruppen braucht es anscheinend seltsame Klischees pflegen.“ viel Zeit, bevor sie ihr inneres Gefühl nach außen tragen und sich öffnen können. Jede*r fünfte (19 %) „Ich fürchte mich vor Stigmatisierung und der befragten Trans* und Inter* outet sich mit über davor, alles erklären zu müssen. In Schubladen 30 Jahren noch – diese ältere Gruppe gilt es nicht passen zu müssen, die auf mich nicht zutreffen“ zu übersehen. Trotz der langen Spanne zwischen innerem und 4. Zufriedenheit, subjektive Sicherheit äußerem Coming-Out sagt eine große Mehrheit der und Häufigkeit von Diskriminierungser- befragten LSBTI*, dass sie gegenüber ihren Mitmen- fahrungen schen offen leben. Fast drei Viertel (72 %) leben vol- lkommen offen, während jede*r Fünfte zumindest Die Online-Befragung soll Auskunft darüber geben, im engen Vertrautenkreis über die eigene sexuelle wie gut, sicher, und akzeptiert sich Lesben, Schwule, Orientierung oder geschlechtliche Identität spre- Bisexuelle, Pansexuelle / Queere, Trans* und Inter* chen kann. Für einen anderen Teil der Befragten in Mecklenburg-Vorpommern fühlen. Die Ergeb- ist der Coming-Out-Prozess eine zu große Hürde: nisse auf diese Fragen fallen insgesamt durchaus Insgesamt 7,5 % leben ungeoutet. durchmischt aus. Gefragt nach den Gründen, nicht vollkommen of- So ist die allgemeine Zufriedenheit unter den be- fen zu leben, sagen 47 % der nicht oder nur teil- fragten LSBTI* mit ihrem Leben in Mecklenburg-Vor- weise Geouteten, dass ihre sexuelle Orientierung pommern recht hoch. Knapp die Hälfte (49 %) oder geschlechtliche Identität ihre Privatsache lebt hier zufrieden, weitere 14 % sind sogar sehr sei. Diese Haltung kommt auch in vielen offenen zufrieden. Nennenswerte Unterschiede von mehr Antworten (siehe unten) zur Geltung. Für gut die als zehn Prozentpunkten sind weder zwischen Be- Hälfte dieser Befragten allerdings gibt es auch fragten in ländlichen versus städtischen Gegenden handfeste negative Gründe gegen ein Outing: 32 % zu verzeichnen, noch zwischen unterschiedlichen befürchten dadurch negative Reaktionen ihnen Altersgruppen (mit einer Ausnahme: Die 16 bis 20 selbst gegenüber (bspw. den Verlust ihres Arbe- jährigen Befragten sind am zufriedensten). itsplatzes), 21 % negative Reaktionen ihren Ange- hörigen gegenüber. 9
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Unter den 28 % Unzufriedenen und 9 % sehr Un- „Ich schwanke zwischen eher unzufrieden und zufriedenen sind vergleichsweise viele Trans* und eher zufrieden. Man wird leider immer noch Inter*: 19 % der TI* sind sehr unzufrieden, weit- als etwas neues oder ungewohntes behandelt. ere 43 % eher unzufrieden – ein deutlicher Un- Von Blicken und Kommentaren wenn man in terschied zu LSB*. Die offenen Antworten vieler der Öffentlichkeit mal Händchen hält, über Befragter lassen dafür einige Gründe erahnen. Abwertungen meiner Ehe, die von einigen Häufiger genannt werden die mangelnde Be- immer noch nicht als „richtige” Ehe anerkannt ratungslandschaft für Trans* und Inter *, was wird bis hin zu Bekannten/Freunden, die einen sowohl Selbsthilfe und Vertretung innerhalb der vorführen um zu zeigen wie tolerant sie sind. LSBTI*-Community, als auch was medizinische Man fühlt sich auf seine Sexualität reduziert. Fachstellen in Großstädten wie auf dem Land an- Mein persönlicher Wunsch hier ist es hier geht; mangelnde Aufklärung in den Kindergärten nicht als gleichgeschlechtliches Paar sondern und Schulen, auch durch mangelnde Schulung einfach als Paar wahrgenommen zu werden. des pädagogischen Personals; geringe Sichtbarkeit Es gibt allerdings auch sehr positive Erfahrun- in der Öffentlichkeit, bspw. im Landesfernsehen; gen sei es die 86 jährige Nachbarin, die eine wie auch das bundesweit vielkritisierte Transsex- Glückwunschkarte zur Hochzeit übergibt oder uellengesetz. Einige prototypische Beispiele für Kollegen, die bei einem selbst gewählten Ou- solche Aussagen wie auch von Zufriedenheits- ting neutral oder positiv reagieren.“ begründungen durch LSB* sind in der folgenden Übersicht dargestellt. „Offensichtliche Diskriminierung, z.B. in Behörden (Formulare, Ansprachen, Willkür) „Ich bin zufrieden, weil ich jeden Tag fests- machen mich jedoch immer noch sehr unzu- telle, dass die Menschen in MV überwiegend frieden und zum Teil auch traurig, da ich hier offen und tolerant gegenüber Homosexuellen merke, dass halt immer noch nicht alles ganz sind. Dadurch ist es für mich möglich, diskri- normal ist.” minierungsfrei zu leben. Die Öffnung der Ehe für Homosexuelle hat dazu im Wesentlichen „Im Alltag habe ich mich mit der Situation beigetragen, wie ich finde...“ arrangiert. Jedoch fehlt „queere Infrastruk- Abbildung 6: allgemeine Zufriedenheit befragter LSBTI* in Mecklenburg-Vorpommern; Fragewortlaut: „Einmal ganz allgemein gefragt: Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit Ihrer Lebenssituation als Lesbe / Schwuler / Bisexuelle*r / Trans* / Inter* aktuell in Meck- lenburg-Vorpommern?“ N = 449. 10
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung tur”: - medizinische Versorgung (insbeson- und selten bis nie solidarisches Verhalten von dere zum Thema HIV und trans*) - kulturelle Mitreisenden im Zug, anderen Cafébesucher_ Angebote - Begegnungsorte - geschützte innen etc.“ Räume - queere Sportvereine. Außerdem ist das Leben in MV stark heteronormativ geprä- „Ich weiß, dass trans Personen häufiger als cis gt. Queere Lebensweisen tauchen z. B. medial Personen Opfer von Gewalt werden; in vielen kaum auf.“ Situationen kann ich schwer einschätzen, ob Personen sich „nur” lustig machen, starren, „Ich bin nicht in MV, sondern einer Großstadt usw. oder ob es im nächsten Moment auch zu aufgewachsen. Davon habe ich in sehr vie- körperlicher Gewalt kommt. Das ist manchmal len Hinsichten stark profitiert. Z.B. ist es als total unberechenbar. In solchen Situationen Trans*person sehr schwer, in MV professione- fühle ich mich oft hilflos.“ lles psychologisches Personal zu finden, das auch wohnortnah ist. Psychotherapie muss „Ich wäge sehr genau ab, wo ich mich oute, auch zeitlich (in Bezug auf Wegstrecken) in etwa Hand in Hand gehe. Ich bin eher vorsi- den Alltag integriert werden können. Gera- chtig und mache deshalb auch häufig keine de ohne Auto ist man hier oft hoffnungslos schlechten Erfahrungen.“ aufgeschmissen. Oftmals gibt es, wenn dann, höchstens eine*n Facharzt/ärztin in der Nähe. Das Sicherheitsgefühl der Mehrheit aller lsb- Eine freie Arztwahl ist das nicht gerade. Auch ti*-Befragten sieht wie folgt aus: Auf die Frage, wie die Netzwerkarbeit könnte vielfältiger sein. sicher oder unsicher sie sich als Lesbe / Schwu- Gerade im Bereich Trans* sind Beratungsan- ler / Bisexuelle*r / Trans* / Inter* aktuell in Mec- gebote oftmals kaum vorhanden und wenn klenburg-Vorpommern im öffentlichen Raum fü- dann mehr semiprofessionell organisiert. hlten, sagen nur 10 % der befragten LSBTI* sehr Diese Beratungsstellen sind jedoch häufig der sicher, weitere 38 % fühlen sich eher sicher. Ein erste Anlaufpunkt und deswegen enorm wich- Drittel antwortet mit „teils / teils“, 15 % fühlen sich tig für die weitere Entwicklung von ( jungen) eher unsicher, 4 % sehr unsicher. Dabei ist das Trans*/Inter/Queers/...“ Unsicherheitsgefühl unter LSBTI* in Großstädten etwas deutlicher ausgeprägt (nur 48 % fühlen sich In einigen offenen Antworten wurde auch ein sich sicher) als in Dörfern (58 % fühlen sich sicher). änderndes gesellschaftspolitisches Klima an- Altersbedingte Unterschiede fallen geringer aus. gesprochen. Einige sehen hier in den letzten zehn Diese Zahlen zeigen, dass es für viele Bürger* in- Jahren deutliche Verbesserungen und eine ges- nen in Mecklenburg-Vorpommern nicht selbstver- tiegen Grundakzeptanz beim Thema sexuelle und ständlich ist, sich sicher im öffentlichen Raum zu geschlechtliche Vielfalt. Andere sehen im Gegenteil bewegen. eine subjektive Verschlechterung, da dieses Thema häufig aus rechtspopulistischen Kreisen aufgegri- Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigt ffen und gegen sexuelle und geschlechtliche Min- das Ergebnis einer weiteren zentralen Frage die- derheiten aufgestachelt würde. ser Studie: Unter allen befragten LSBTI* in Mec- klenburg-Vorpommern gibt knapp mehr als jede*r „klare verbale und körperliche Angriffe (Sc- Zweite (52 %) an, innerhalb der vergangenen fünf hubsen, abdrängen etc.) im öffentlichen Raum Jahre aufgrund der eigenen sexuellen Orientierung (dabei wird zunehmend rechtes Gedankengut oder geschlechtlichen Identität negative Reaktio- artikuliert im Sinne von „damals hätte es so nen wie z.B. Benachteiligungen, Ablehnungen oder was nicht gegeben” / „euch hätte man doch Ausgrenzungen erfahren zu haben. 48 % vernei- alle vergasen sollen” / „das ist doch ecklig” ) nen dies. Auch hier sind Trans* und Inter* deut- 11
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Abbildung 7: Anteil der befragten LSBTI* mit Diskriminierungserfahrung in den vergangenen fünf Jahren; Fragewortlaut: „Haben Sie in den letzten 5 Jahren aufgrund Ihrer bekannt gemachten oder bekannt gewordenen sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Iden- tität negative Reaktionen wie z.B. Benachteiligungen, Ablehnungen oder Ausgrenzungen erfahren? Denken Sie dabei zum Beispiel an die Situation in Ihrer Familie, an Ihren Arbeitsplatz oder Ihre Schule/Hochschule, an den Freizeitbereich oder an Situationen in öffentlichen Verkehrsmitteln.”, Abgebildete Antwortoption: „Ja“. N = 430 – 466. lich häufiger betroffen: Von ihnen sagen Dreivier- ermittelten Ergebnissen liegt. In diesen Befragun- tel (76 %), dass sie in den vergangenen 5 Jahren gen wurde der gleiche Wortlaut bei vergleichbaren Diskriminierung erfahren haben. Um die Bedeu- Stichproben genutzt, so dass eine für sozialwissen- tung dieses Ergebnisses hervorzuheben: Das heißt schaftliche Studie selten hohe Vergleichbarkeit der im Umkehrschluss, dass nur 24 % der befragten Ergebnisse vorliegt. Trans* und Inter* zwischen 2014 und 2019 keine negativen Erlebnisse in Mecklenburg-Vorpommern Für Mecklenburg-Vorpommern ergeben sich je nach gemacht haben. Wohnort und Lebensalter differenzierte Ergebnisse: So sind es auch in dieser Frage Dörfer unter 5.000 Vergleicht man diese sogenannte Diskriminierun- Einwohner*innen, in denen seltener negative Erleb- gsrate mit der Rate anderer Bundesländer, lässt nisse gemacht werden (42 %). Dagegen sagen 60 % sich bilanzieren, dass Mecklenburg-Vorpommern der LSBTI*-Befragten in mittleren und Kleinstädten (52 %) auf absolut vergleichbarem Level mit den in zwischen 5.000 und 50.000 Einwohner* innen, ne- Baden-Württemberg 2014 (54 %), in Schleswig-Hol- gative Erfahrungen gemacht zu haben. Großstädte stein 2019 (51 %) und in Brandenburg 2017 (48 %) bewegen sich mit 52 % dazwischen. Abbildung 8: Vergleich der Diskriminierungslevel in verschiedenen Bundesländern 12
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Diskriminierung 5. Erfahrungen von LSBTI* in zu werden, ist außerdem für jüngere LSBTI*-Befra- verschiedenen Lebensbereichen gte etwas höher als für ältere. Unter den 16 bis 20 Jährigen wie unter den 21 bis 30 Jährigen gibt jeweils Dass jede*r Zweite befragte LSBTI* in den vergan- eine Mehrheit von 58 % an, in den vergangenen fünf genen fünf Jahren negative Erfahrungen in Mec- Jahren solche negativen Erfahrungen gemacht zu ha- klenburg-Vorpommern gemacht hat, legt noch nicht ben. Bei den über 50 Jährigen sind es 39 %. Dabei ist nah, in welcher Form und in welchem Kontext dies das Jugendalter eine besondere biografisch prägen- erlebt wurde. Daher wurden alle Befragten noch de Zeit, so dass LSBTI*-Jugendliche mit Diskriminie- einmal danach gefragt, ob sie in spezifischen Le- rungserfahrungen Hilfsangebote bedürfen. benssituationen und öffentlichen Bereichen Diskri- minierung erfahren haben oder nicht. Dass sie Anlauf- oder Beratungsstellen haben, an die sie sich bei Schwierigkeiten oder Sorgen In der Auswertung zeigt sich, dass mit dem Freize- wenden könnten, bejahen allerdings nur 32 % itbereich und dem öffentlichen Raum, wie öffent- der befragten LSBTI*. Überraschend sind keine lichen Verkehrsmitteln, die am stärksten frequ- Stadt-Land-Unterschiede oder deutlichen Altersun- entierten Bereiche auch die Orte sind, in denen terschiede in der Verfügbarkeit von Anlaufstellen zu Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientie- erkennen. Überraschend und gegen den Tenor der rung oder geschlechtlichen Identität am häufigsten offenen Antworten sagen sogar 44 % der Trans*- stattfindet.4 Je 43 % der befragten LSBTI* geben an, und Inter*-Befragten, dass sie Anlauf- und Bera- tungsstellen für ihre Sorgen hätten. 4 Dies deckt sich mit dem Ergebnis einer 2015 durchgeführten Befragung von 115 Rostocker*innen: Auch wenn nach unterschiedlichen Erfahrungs- In welchen Lebensbereichen nun diese negativen dauern gefragt wurde, so dass keine direkte Vergleichbarkeit der Antwort- werte vorliegt, so ist die Ergebnistendenz ähnlich, nämlich dass die häu- Erfahrungen gemacht werden, zeigt das folgende figsten Diskriminierungserfahrungen von LSB* in Rostock im öffentlichen Bereich stattgefunden haben. Darauf folgen die Bereiche Familie sowie Kapitel auf. der Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz. Vgl. Koch (2016): Diskrimi- nierungserlebnisse im Alltag homo- und bisexueller Personen in Rostock, S. 138ff, in: Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern. Abbildung 9: Lebensbereiche mit häufigsten Diskriminierungserlebnissen; Fragewortlaut: „Wie häufig haben Sie in den letzten 5 Jahren aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität negative Erfahrungen in folgenden Lebensumfeldern gemacht?“ abgebildete Antworten=“regelmäßig, mehrmals, einmal“. N = 476, jeweils Anteil an Befragten, die im jeweiligen Lebensbereich unterwegs sind, bspw. Schule: Schulgänger*innen der letzten 5 Jahre. 13
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung dies mindestens ein Mal dort erlebt zu haben. Bei- Von allen LSBTI*-Befragten, die in Mecklenburg-Vor- nahe genauso viele Befragte (41 %) erleben Diskrimi- pommern eine der Schulformen besucht haben, nierung in ihrer Familie – ein Bereich, in dem staat- sagen 39 %, dass sie dort negative Erfahrungen ge- liches Handeln nur mittelbar wirkt, beispielsweise macht haben. Dabei liegt der Anteil der Trans*- und über Angebote der Familienbildung. Gleiches gilt für Inter*-Jugendlichen mit 56 % besonders hoch. Auch die Arbeitswelt, in der 39 % der befragten LSBTI* in fast jeder zweite schwule Jugendliche (45 %) erlebt den vergangenen fünf Jahren nach eigenen Aussa- Nachteile in der (Berufs-/Fach-/Hoch-)Schulzeit, gen Benachteiligungen erfahren haben. während dies etwas seltener auf lesbische (27 %) und bisexuelle (29 %) Schulgänger*innen zutrifft. Darauf folgt allerdings auch ein Bereich, der in di- rekter landespolitischer Hoheit liegt. So erlebt im- Diese negativen Erfahrungen sind unter der jüngsten merhin mehr als jede*r dritte Befragte LSBTI* (37 %) Befragtengruppe der 16 bis 20 Jährigen mit 51 % am Diskriminierung in der Schule, Berufs- oder Fachsc- höchsten. Die heutigen (Berufs-/Fach-/Hoch-)Schul- hule. Auch im Kontakt mit Ämtern und Behörden gänger*innen machen damit häufiger Diskriminie- in Mecklenburg-Vorpommern (wenngleich nicht rungserfahrungen, als es die die älteren Befragten zwangsläufig in Landesbehörden) gibt jede*r Vierte berichten. Zum Vergleich: 21 – 30 Jährige: 40 %; 31 an, Nachteile erfahren zu haben. Auf gleichem Ni- – 40 Jährige: 34 %; 41 – 50 Jährige: 38 %; über 50 veau liegen die Angaben von Befragten, die im Ge- Jährige: 35 %. Ob dies auf ein sich verschlechtern- sundheits- oder Pflegebereich negative Erlebnisse des Schulhof-Klima für LSBT*, auf eine höhere Ou- gemacht haben. ting-Quote als früher, oder auf abnehmende Erin- nerungsleistungen älterer Befragter zurückzuführen Knapp jede*r Fünfte gibt dies auch für den Dien- ist, kann an dieser Stelle nicht geklärt werden. Was stleistungsbereich sowie in den Hochschulen an. Diskriminierung an ländlichen versus städtischen Auf den hinteren Rängen liegen mit 16 % die Religi- (Berufs-/Fach-/Hoch-)Schulen angeht, sind hinge- onsausübung und mit 17 % der polizeiliche und jus- gen kaum Unterschiede zu erkennen. tizielle Bereich – auch wenn Diskriminierungserfa- hrungen hier besonders nachteilig wirken können. Was sind dies nun für Diskriminierungen und ne- Dies wird in Kapitel 5.6 genauer betrachtet. gative Erfahrungen, die im Bildungswesen in Mec- klenburg-Vorpommern von LSBTI* gemacht wer- Die Erlebnisse in den einzelnen Bereichen werden den? Sind es vermeintlich leichte Formen oder im Folgenden genauer aufgeschlüsselt. schwerwiegende Übergriffe? Die folgende Abbil- dung zeigt, dass nach den Angaben der Befragten 5.1 Erfahrungen von LSBTI* in Schule, Berufs-/ durchaus massive Verletzungen des Kindes- und Fachschule und Hochschule Jugendwohls stattfinden: So sagen 31 % der Dis- kriminierten, dass sie von Mitschüler* innen oder Einer der frühen prägenden Bereiche im Leben Mitstudierenden bedroht, 18 % sogar seitens des aller Menschen ist die Schule. Welche Erfahrungen Lehrpersonals bedroht wurden. Zu körperlichen An- Kinder hier machen, untereinander wie mit ihren griffen kam es laut Betroffenen bei rund jedem*r Lehrer*innen, ist für viele entscheidend. Dies be- Vierten durch Mitschüler*innen oder Mitstudieren- trifft lesbische, schwule, bisexuelle, pansexuelle den, in 14 % der berichteten Fälle (14 Betroffene) / queer oder trans*- und inter*geschlechtliche durch Lehrpersonal. Auch sexuelle Belästigung wird Kinder im Besonderen. Erleben sie den Umgang von gut jedem*r zehnten betroffenen LSBTI* beri- mit ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtli- chtet (11 Fälle). Für Trans* und Inter* ebenfalls als chen Identität früh als etwas Normales, oder wer- schwerwiegend einzustufen ist die Anrede im fal- den sie von Gleichaltrigen und Aufsichtspflichtigen schen Geschlecht, mit falschem Vornamen und Pro- benachteiligt? nomen, wovon jede*r dritte Betroffene berichtet. 14
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Abbildung 10: Negative Erfahrungen an Schulen, Fach-/Berufs- und Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern; Fragewortlaut: „Welche Erfahrung machten Sie in Bezug auf Ihre sexuelle Identität und/oder Ihre geschlechtliche Identität mit Ihren Lehrkräften oder Dozen- t*innen bzw. Mitschüler*innen und Mitstudierenden?”, summierte Antworten: „trifft voll und ganz“ und „trifft weitgehend zu“. N = 75 – 106. 13 % der Betroffenen (absolut: 12 Befragte) haben Bei diesen Zahlen ist es wenig überraschend, dass aufgrund der Diskriminierung durch Lehrkräfte ihre laut Auskunft der Betroffenen nur in 12 % der Fälle Schule gewechselt, 12 % (11 Personen) aufgrund der Lehrkräfte, in 9 % der Fälle Schulsozialarbeiter*in- erfahrenden Diskriminierung durch Mitschüler*in- nen und in 31 % der Fälle Mitschüler* innen oder nen oder Mitstudierende. Dies ist zum Teil auch der Mitstudierende zu Hilfe kamen. Tatsache geschuldet, dass den Betroffenen keine Vertrauenspersonen bekannt sind, an die sie sich Im Gegenteil berichten sogar 45 %, dass sie sich wenden können. Dies sagen mehr als zwei Drittel aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder gesc- (69 %). Außerdem geben 65 % der Schüler* innen, hlechtlichen Identität ungerecht behandelt gefühlt die negative Erfahrungen gemacht haben, an, dass haben. Abwertende Kommentare sind insbeson- sie sich nicht gegenüber Lehrkräften geoutet haben; dere in der Schüler-/Studierendenschaft verbrei- 48 % haben sich auch gegenüber Mitschüler*innen tet (58 %), aber nach Aussagen der Befragten auch oder Mitstudierenden nicht geoutet. ausgehend von Lehrkräften (24 %). 15
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Dass ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtli- „Es gab Lehrkräfte, die mich schützten und che Identität positiv anerkannt und wertgeschätzt ernstnahmen“ worden sei, sagt rund die Hälfte der Betroffenen. Prägend ist die Schulzeit aber selbstverständlich Die Antworten zeigen insgesamt, dass an den (Be- auch für Kinder, die selbst nicht lesbisch, schwul, rufs-/Fach-/Hoch-)Schulen des Landes noch deut- bisexuell, pansexuell / queer oder trans*- und in- lich für Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher ter*geschlechtlich sind. Alle Kinder lernen in der Vielfalt geworben und Ansprechpersonen qualifizi- Schule Werte wie Akzeptanz und Verhalten wie den ert werden müssen. Umgang mit Vielfalt – oder nicht. Gefragt danach, ob während ihrer Schulzeit Themen zur sexuellen Die offenen Antworten der Befragten zu ihrer Schul- und geschlechtlichen Vielfalt im Unterricht vermit- zeit werden beispielhaft an folgende Aussagen ve- telt wurden, sagt eine überwiegende Mehrheit der ranschaulicht: befragten LSBTI* nein. Nur jede*r Zehnte berichtet von einer solchen Aufklärung im Biologie-Unterricht. „An meiner Schule gab es leider keine Sozi- Überraschend selten (5 %) erinnert sich die jüng- alarbeiterin zu der ich hätte gehen können ste Befragtengruppe der 16 bis 20 Jährigen an diese um ihr meine Probleme zu äußern die Lehrer Themen im Biologie-Unterricht. Doppelt so häu- haben mich ignoriert auch als ich einmal nach fig geben sie dies für den Geschichtsunterricht an, dem Sportunterricht sexuell belästigt wurde wurde sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den und mehr. Man muss einfach schon recht vergangenen Schuljahren also historisch betrachtet. früh anfangen die kinder aufzuklären das es Ebenfalls häufiger als unter älteren Befragten in ordnung ist anders zu sein und auch die wurden LSBTI*-Themen in jüngster Zeit offenbar im schulbücher anzupassen“ Deutsch-/Englisch-/Sprachunterricht behandelt. „Es gibt durchaus Lehrer\innen die sich positiv Während das Thema also aus Sicht einiger Befragter gegenüber Lgbt+ äußerst und gegen homo- in verschiedenen Unterrichtsfächern auf niedrigem phobe Bemerkungen etwas sagten. Doch die Niveau Fuß fasst, scheint es bei der biologischen meiste Lehrerschaft tut so als hätte sie nichts Aufklärung noch einen sehr großen Bedarf in der gehört.“ Fläche zu geben. Dieser wird nach Angaben der Abbildung 11: Anteil der Befragten mit Schulaufklärung über LSBTI*-Themen; Fragewortlaut: „Jetzt geht es um Ihre Erfahrungen im Bil- dungsbereich. Wurden / werden während Ihrer Schulzeit Themen zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt im Unterricht vermittelt?“ Antwortoptionen: „nein, das kam kaum bis überhaupt nicht im Fach vor“ (nicht abgebildet), „ja, das kam häufiger im Fach vor“ (abgebil- det). N = 360 – 387. 16
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung Befragten auch nicht durch Themenwochen (ins- Von allen befragten Lesben, Schwulen, Bisexuelle, gesamt von 5 % der Befragten erlebt) oder durch Pansexuellen / Queeren sowie Trans* und Inter* sind Gastredner* innen wie Schulaufklärungsprojekten 86 % erwerbstätig. Von den erwerbstätigen Befragten (ebenfalls nur 5 %) kompensiert5. wiederum arbeite(te)n 44 % im öffentlichen Dienst oder mach(t)en dort ihre Ausbildung, können also 5.2 Erfahrungen von LSBTI* in der Ausbildungs- qualifizierte Aussagen über diesen Sektor machen. und Arbeitswelt Von ihnen geben 29 % an, negative Erfahrungen auf- grund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlecht- Auf die Schule folgt biografisch bei den meisten Men- lichen Identität am Arbeits- oder Ausbildungsplatz schen die Ausbildungs- und Arbeitswelt. Sind Arbeit- gemacht zu haben, 71 % verneinen dies. geber*innen und Kolleg*innen in Mecklenburg-Vor- pommern offen gegenüber LSBTI*-Mitarbeitenden In der Privatwirtschaft, wo 56 % der befragten oder erfahren diese Nachteile am Arbeitsplatz? LSBTI* tätig sind, haben nur leicht mehr Befragte (31 %) Diskriminierungserfahrungen gemacht, 69 % verneinen dies. 5 Insgesamt decken sich diese Ergebnisse mit der Feststellung zweier Schulklassenbefragungen in M-V 2015, die zu dem Schluss kommen, dass Schüler*innen über Sexualität im Allgemeinen und über Homo- und Transsexualität nur in wenigen Fällen häufig mit dem Lehrpersonal spre- Unter denjenigen mit negativen Erfahrungen im chen, also auch abseits des Unterrichts wenig Berührung zu sexueller und öffentlichen Dienst sagt eine knappe Mehrheit, geschlechtlicher Vielfalt haben. Vgl. Peters / Spicker (2016): Was denken Schüler_innen über Lesben, Schwule, Trans* - eine Fragebogenerhebung dass ihnen Kolleg*innen (28 %), Vorgesetzte (5 %) in zwei Schulen im Bundesland, S. 75, in: Lola für Demokratie. Abbildung 12: Diskriminierungsformen im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft; Fragewortlaut: „Welche Art von negativen Reak- tionen aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität haben Sie an Ihrem Arbeits- oder Ausbildungsplatz erfahren und wie häufig waren diese?” Abgebildete Antwortoptionen: „regelmäßig“ sowie „mehrfach“; bei allen mit * gekennzeichneten harten Diskriminierungsformen inkl. der Nennung „einmal“. Privatwirtschaft: N = 33 – 55, öffentlicher Dienst: N = 53 – 57. 17
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung beziehungsweise Kolleg* innen und Vorgesetzte im öffentlichen Dienst, dass sie nicht im gewünscht- (20 %) in dem Fall beistanden. 48 % sagen, dass ih- en Geschlecht angesprochen wurden/werden. Auch nen niemand zur Hilfe kam. In der Privatwirtschaft berichten 6 von 27 (Privatwirtschaft), respektive eine liegt die Hilfsbereitschaft etwas niedriger: Hier kam von 17 Personen (öffentlicher Dienst), dass ihnen in 66 % der Fälle niemand zu Hilfe. der Zugang zur Toilette ihres neuen Geschlechts verweigert wird und 6 von 23 (Privatwirtschaft), Mit absolut 40 Befragten im öffentlichen Dienst respektive 2 von 17 (öffentlicher Dienst), dass sie und 55 Befragten in der Privatwirtschaft sind die gezwungen wurden/werden, in ihrem alten Ges- Fallzahlen in diesem Bereich jedoch mit Vorsicht chlecht weiterzuarbeiten. Aus diesen Zahlen lässt zu interpretieren. Dies gilt auch für die in der fol- sich zumindest eine Tendenz erkennen, dass der genden Abbildung genannten Werte der befragten öffentliche Dienst für Trans*-Personen in Mecklen- LSBTI* darüber, welche Diskriminierungsform sie burg-Vorpommern diskriminierungsärmer ist als erlebt haben. Demnach sind die beiden jeweils am die freie Wirtschaft. häufigsten verbreiteten Formen Witze/Tuscheln/ Gerüchte (von 78 % der diskriminierten Befragten Die Befragten wurden auch gebeten, ihre Erlebnisse in der Privatwirtschaft und 63 % der diskriminier- am Arbeitsplatz in offenen Textfeldern wiederzuge- ten Befragten im öffentlichen Dienst häufig oder re- ben. Hier sind beispielhaft einige Aussagen darg- gelmäßig erlebt), sowie das Nicht-Ernstgenommen estellt: werden (71 % Privatwirtschaft und 61 % öffentli- cher Dienst). Außerdem outen sich zwei Drittel der „Der Verwaltungsleiter meiner Polizeibehörde diskriminierten Befragten in der Privatwirtschaft sagte, da können wir nichts gegen die Gefüh- nicht mehrfach unter ihren Arbeitskolleg* innen le der Kollegen machen. Der Polizeipräsident und Vorgesetzten. Im öffentlichen Dienst sagen dies bestimmte, dass ich ohne den Zusatz Frau etwas weniger als die Hälfte der Befragten, die an- anzusprechen bin.“ gegeben haben, Diskriminierung am Arbeits- oder Ausbildungsplatz erfahren zu haben. „Im beruflichen Alltag im Krankenhaus wurden oft homophobe Äußerungen gemacht, von Neben diesen Antworten zeigen sich teilweise auch Reinigungskraft bis zum Arzt. Schwule wurden hohe Betroffenenanteil bei härteren Diskrimi- als Kinderschänder beschimpft, Schwule nierungsformen. So geben 51 % (entspricht 23 von müsste man vergasen, Schwule müssten ver- 45 Befragten) der in der Privatwirtschaft Diskrimi- boten werden. Selbst als Kollegen das Gleich- nierten an, mindestens einmal eine Stelle vermut- stellungsgesetz unterschrieben haben, kamen lich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder diese Äußerungen.“ geschlechtlichen Identität nicht erhalten zu haben. Im öffentlichen Dienst wird dies deutlich seltener „Ich war mal in einem sehr technisch männlich (18 %, entspricht nur 5 von 28 Befragten) berichtet. geprägtem Beruf. Schon kleinste Abweichun- Einige Befragte geben darüber hinaus sexuelle gen vom gewünschten Rollenbild führten zu Belästigung, wahrgenommene Gehaltsdiskrimi- massiven Reaktionen. Mit dem Ergebnis, das nierung und Kündigung aufgrund ihrer sexuellen ich 2 Leben gelebt habe: Ein offizielles für die Orientierung oder geschlechtlichen Identität an. Arbeit etc., ein privates streng abgeschirmtes“ Für Trans*-Befragte ergeben sich über die in der „Mir wurden von meinem Chef private Fragen Abbildung dargestellten Diskriminierungsformen zu meiner sexuellen Orientierung gestellt, die hinaus weitere Diskriminierungen am Arbeitsplatz: ich als unangemessen empfunden habe. Das So sagen 20 von 34 Befragten mit Diskriminierung- Interesse an meiner sexuellen Orientierung serlebnis in der Privatwirtschaft, respektive 7 von 21 macht sie zu etwas anderem, etwas “exotisch- 18
Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Mecklenburg-Vorpommern Ergebnisbericht der landesweiten Online-Befragung em”. Außerdem wurde ich quasi zwangsgeou- Dabei lassen sich einige auffällige Unterschiede tet. Mein Chef hat in der Dienstberatung einen zwischen Stadt-Land sowie zwischen Altersgrup- Zeitungsartikel rumgegeben, der mich auf dem pen finden. In Dörfern unter 5.000 Einwohner* in- CSD zeigt. Ja, das ist eine öffentliche Veran- nen geben durchschnittlich 15 % mehr Befragte staltung und ich habe in Bezug auf meine an, von diversen Diskriminierungsformen inner- sexuelle Orientierung auch nie gelogen, aber halb der Familie betroffen zu sein. Ausgrenzung ich gehe auch nicht zu allen Kolleg*innen und ist eine Form, die besonders bei älteren Befragten erzähle ihnen, dass ich nicht heterosexuell bin, häufig vorkommt – bei jedem*r zweiten über 50 weil warum sollte ich? Die Kolleg*innen extra Jährigem*n, aber nur bei jedem*r vierten 16 bis 20 mit diesem Zeitungsartikel darauf aufmerksam Jährigem*n innerhalb der vergangenen fünf Jahre. zu machen, fand ich sehr übergriffig.“ Am deutlichsten fallen die Erfahrungsunterschie- 5.3 Erfahrungen von LSBTI* in der Familie de aus, betrachtet man die Diskriminierungshäu- figkeit von Trans* und Inter* gegenüber Lesben, Menschen haben in der Regel zwei Familien: Die Schwulen, Bisexuellen, Pansexuellen und Queeren. Herkunftsfamilie, in die sie hineingeboren werden So findet Ausgrenzung in der Familie bei Trans* bzw. aufwachsen, sowie bei allen Nicht-Allein- und Inter * doppelt so häufig statt, verglichen stehenden ab dem Erwachsenenalter eine selbst mit LSBP*. Auch berichten mit 82 % der Betroff- gegründete Familie, bestehend mindestens aus enen deutlich mehr Trans* und Inter*, dass ihre einem*r Partner* in. In der Befragung wurden zu geschlechtliche Identität nicht ernst genommen beiden Familienabschnitten Fragen gestellt. wurde / wird, als es Schwule (46 %) oder Lesben (61 %) über ihre sexuelle Orientierung berichten. Zunächst zur Herkunftsfamilie: Alle Befragten, die Bisexualität sowie Pansexualität in der eigenen bejaht haben, in den letzten 5 Jahren aufgrund ihrer Familie wird nach Angaben der Befragten (75 % bekannt gemachten oder bekannt gewordenen sex- der Betroffenen, respektive 73 %) häufig ebenfalls uellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität nicht als sexuelle Orientierung ernst genommen. negative Reaktionen wie z.B. Benachteiligungen, Schließlich sieht sich gut jede*r vierte Trans* bzw. Ablehnungen oder Ausgrenzungen erfahren zu ha- Inter* (26 %) mit Gewaltdrohungen konfrontiert ben, wurden nach entsprechenden Erfahrungen im (unter LSBP* 9 %). Familienumfeld gefragt. Insgesamt kann bilanziert werden, dass aus Sicht Die Antworten zeigen, dass die am häufigsten der befragten LSBTI* vielfach noch kein selbst- berichteten Diskriminierungsformen innerhalb der verständlich akzeptierendes Klima in den eigenen Familie das Nicht-Ernstnehmen (60 % der Betroff- Herkunftsfamilien in Mecklenburg-Vorpommern enen) sowie das Ignorieren oder Totschweigen der herrscht. Insbesondere was den Umgang mit Trans- sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Iden- oder Intersexualität angeht, scheinen in vielen Fam- tität (59 %) sowie das Nicht-Ernstnehmen dieser ilien Vorbehalte bis hin zu harten Diskriminierungs- (58 %) sind. Ca. jede*r Dritte erfährt nach eigenen formen zu herrschen. Wie sich dies aus Sicht der Angaben zudem Ausgrenzung (33 %), Beleidigungen, Angehörigen gestaltet, wird ein eigenständiges Ka- Beschimpfungen oder Lächerlich machen (ebenfalls pitel beleuchten. 33 %), oder übertriebenes Interesse am Privatle- ben und Überbetonen der sexuellen Orientierung / Wie aber sehen die von LSBTI* gegründeten Famil- geschlechtlichen Identität durch die Familie (34 %). ien aus, wie leben sie zusammen? Mehr als jede*r Fünfte berichtet von angedrohten oder vollzogenen Zwangs-Outings (21 %). Gewaltan- Wie in einer durchschnittlich jungen Stichprobe zu drohungen (12 %) und physische Übergriffe (6 %) erwarten, leben 39 % der befragten LSBTI* derzeit werden von einer Minderheit berichtet. ohne Partner*in. Ein weiteres Drittel (32 %) gibt an, 19
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