Neid und Not C-Uppsats - Eine Studie über Gewalt in den ältesten Grimms Märchen - DIVA
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C-Uppsats Neid und Not Eine Studie über Gewalt in den ältesten Grimms Märchen Författare: Daniel Winkler Handledare: Corina Löwe Examiner: Bärbel Westphal Termin: HT21 Ämne: Deutsch Nivå: Bachelor Kurskod: 2TY01E
Abstract Envy and need: A study of violence in the oldest Grimm tales This essay analyzes the violence and power descriptions in three different fairytales of Kinder- und Hausmärchen by the Grimm brothers. The analyzed fairytales are Hansel and Gretel, Cinderella and Snow White. Questions answered are in which literary contexts violence and power occurs, what the motives of the abusers are, and what mutual similarities or differences the fairytales display. The violence described can be linked to various reasons such as resentment, envy and power, and descriptions include both physical and psychological violence. Benefits are gained through manipulation or power positions. The result show that there are similarities between the fairytales, although some differences occur. Envy and resentment only occur in Cinderella and in Snow White, however not in Hansel and Gretel. Violence is used by the antagonists as well as the protagonists. Throughout the stories antagonists use violence before the protagonists whose violence is mirrored as self- defense. Keywords Neid, Missgunst, Faszination, Not, Konkurrenz, Grimm Acknowledgments Vielen Dank an meine Betreuerin Corina Löwe für ihre Betreuung während des Schreibprozesses.
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .......................................................................................................... 1 2 Hintergrund ...................................................................................................... 3 3 Zweck und Fragestellung................................................................................. 4 4 Frühere Forschung........................................................................................... 4 5 Theorie und Methode ....................................................................................... 6 5.1 Gewalt - eine Definition laut Brockhaus Enzyklopädie ............................. 6 5.2 Physische Gewalt ....................................................................................... 6 5.3 Psychische Gewalt...................................................................................... 7 5.4 Märchenanalyse ......................................................................................... 8 5.5 Methode ...................................................................................................... 9 6 Analyse und Diskussion ................................................................................. 10 6.1 Hänsel und Gretel .................................................................................... 10 6.1.1 Analyse der Gewalt in Hänsel und Gretel........................................ 10 6.2 Aschenputtel ............................................................................................. 14 6.2.1 Analyse der Gewalt in Aschenputtel ................................................ 14 6.3 Schneewittchen ......................................................................................... 16 6.3.1 Analyse der Gewalt in Schneewittchen ............................................ 16 7 Zusammenfassung .......................................................................................... 19 Referenzen
1 Einleitung Seit über 200 Jahren hat man die Märchen der Gebrüder Grimm erzählt und gelesen, und sie wurden wissenschaftlich analysiert und interpretiert. Im Laufe der Jahre haben Menschen Märchen als Argumente benutzt, um Verbundenheit zu finden. Märchen waren Ausdruck einer gemeinsamen Weltsicht und einer Identität, was wiederum im Falle der Grimms Märchen zu einer nationalistisch geprägten Forschung führte, weil der Ursprung der Märchen wichtig für die kulturelle Einheit Deutschlands war. Über die Behauptung, dass Dornröschen ein französisches Märchen sei, schrieb der nationalistische Journalist Philipp Stauff „Wenn aber ein Gelehrter meint, daß unser Dornröschen-Märchen aus Frankreich sei, so soll man ihn auslachen“. 1 Trotz dieses eifrigen Suchens nach dem Ursprung von Grimms Märchen, bleibt der genaue Ursprung umstritten.2 Diese Märchen wurden von Jacob und Wilhelm Grimm schriftlich festgehalten. Es liegt doch nicht in dem Interesse des Aufsatzes die Ansichten der Gebrüder Grimm zu untersuchen. Die Märchen stellen ein kulturelles Erbe dar, und sie verweisen auf die historischen Kontexte in den Ländern, wo diese Märchen ursprünglich erzählt wurden, und sie sind nach der Kultur und dem Erbe der Gesellschaft verändert worden. Zuerst wurden die Märchen mündlich übertragen, bis zur schriftlichen Niederlegung 1812. Die erste Auflage Kinder- und Hausmärchen, die die vielleicht beliebteste Version der Märchen ist, kam in zwei Bänden 1812 und 1815 heraus, und in folgendem Aufsatz werden einige dieser Märchen, die bereits im ersten Band enthalten waren, analysiert.3 Es gibt verschiedene Themen, die die Märchen behandeln, von Gewalt über Heldentaten bis zu Tugenden. Diese Themen können möglicherweise ein größeres historisches Erbe, eine Ursache, einen Paradigmenwechsel im Sprachbau oder kulturelle Wertvorstellungen erklären. Die Grundidee dieses Aufsatzes ist, dass Märchen einen wichtigen Platz in der Gesellschaft haben. Märchen können gewaltsam, friedlich oder nur spannend sein, aber die Leser und Zuhörer werden beeinflusst. Die Wirkung, die Märchen auf Kinder haben, gibt es auch bei Erwachsenen, obwohl die starke Bedeutung dieser Wirkung nicht zu vergleichen ist. Ein Kind sieht das Märchen mehr als eine Geschichte, in der ein Held platziert wird, um Konflikte 1 Vgl. Rölleke: Stauff. 2019. S. 103 – 105. 2 Rölleke. 2019. S. 103 – 105. 3 Rölleke. 2019. S. 82. 1(24)
durch ein adäquates Verhalten zu lösen. Das heißt, der Sieg des Gutes mit passenden Mittel. Diese Wirkung auf Erwachsene sieht anders aus, weil Erwachsene andere Voraussetzungen für Interpretationen haben. 4 Dieter Frey meint in Psychologie der Märchen, dass es die Aufgabe von Märchen ist, als Sittenlehre und Erziehungsbuch zu dienen. Sie enthalten Richtlinien für das Verhalten in verschiedenen Lebenslagen für Erwachsene und sind Anleitungen zur Erziehung der Kinder.5 Diese Perspektive dient als Ausgangspunkt dieses Aufsatzes, der folgende Fragestellungen beantworten soll: Mit welchen sprachlichen Kontexten wird physische und psychische Gewalt ausgedrückt? Mit welchen Absichten wird Gewalt ausgeübt? Wer übt Gewalt aus? Welche Ähnlichkeiten oder Unterschiede haben die Märchen in der Gewaltdarstellung? Die Märchen, die gedeutet werden, sind Aschenputtel, Schneewittchen und Hänsel und Gretel. Diese drei sind wohlbekannt dazu auch verfilmt worden, und sind deswegen für die Untersuchung relevant. Sie sind auch in der ersten Herausgabe von Kinder- und Hausmärchen zu finden, was nicht der Fall mit z.B. Rotkäppchen ist. Seit der ersten gedruckten Fassung im Jahr 1812 sind mehrere überarbeitete Ausgaben erschienen, in denen sowohl die sprachlichen Ausdrücke als auch die Erzählungen teilweise ihren Charakter verändert haben. Diese ältesten Versionen zu analysieren, hat ihren Ursprung in dem Gedanken, dass sie nicht nach späteren moralischen Kompassen oder für ein Publikum beeinflusst sind, sondern dass sie die ursprünglichen Gewaltschilderungen zeigen. In der ersten Ausgabe äußerten sich die Brüder sogar über die schriftlich niedergelegenen Märchen: Wir haben uns bemuͤht, dieſe Maͤrchen ſo rein als moͤglich war aufzufaſſen, man wird in vielen die Erzaͤhlung von Reimen und Verſen unterbrochen finden, die ſogar manchmal deutlich alliteriren, beim Erzaͤhlen aber niemals geſungen werden, und gerade dieſe ſind die aͤlteſten und beſten. Kein Umſtand iſt hinzugedichtet oder verſchoͤnert und abgeaͤndert worden.6 Inwiefern und warum Gewalt als Thema dieses Aufsatzes behandelt wird, ist interessant, weil die Märchen mit Einblicken in epochentypische Erziehungsmethoden oder Sittenlehren sowie mit soziologischen Erklärungen für die Zeit der schriftlichen Niederlegung beitragen können. 4 Spörk. 1986. S. 12 – 13. 5 Frey. 2017. s. 35 6 Grimm. 1812. S. XVIII. Buchstabierung im Original. 2(24)
Zudem fasziniert Gewalt und die untersuchten Märchen enthalten verschiedene Gewaltschilderungen. 2 Hintergrund Die erste und älteste Herausgabe der Kinder- und Hausmärchen erschien im Jahr 1812. Sie bestand aus 86 Märchentiteln mit insgesamt 475 Seiten. Diese Zusammenstellung stellte ein Pilotprojekt dar, dass es den Gebrüdern Grimm ermöglichte, in der Folgezeit die Auswahl der Märchen zu verändern.7 Die Veränderungen waren von sprachlichem Charakter, dazu wurden auch neue Märchen hinzufügt. Allgemein waren die Märchen nicht als reine Kindergeschichten gesehen, und als solche waren sie ursprünglich auch nicht gedacht und erzählt worden.8 Das Buch war für sowohl die Kultur als auch für die deutsche Sprache ein Erfolg. Die Märchen führten zu einer akademischen Diskussion und sie wurden kritisiert, dafür, dass sie nicht künstlerisch genug seien. Andere meinten, dass die Märchen und ihr Erzählton nicht für Kinder angepasst waren. Kritik wurde geäußert, dass die Märchen zu gewaltsam waren. Darüber schreibt Prinz: „Unter Berufung auf die Überlieferungstreue verteidigten die Grimms die grausamen Teile ihrer Märchen und verwiesen darauf, dass die Grausamkeit durchaus eine wichtige Seite der Überlieferungen sei“.9 Die Gebrüder Grimm setzen mit ihrer Arbeit fort und in den Jahren 1814 und 1815 publizieren sie weitere Märchen.10 Seit mehr als zwei Jahrhunderten werden diese Märchen immer wieder publiziert und verändert. Die Märchenforschung befasst sich im Allgemeinen mit traditionellen Märchen und ihrer Herkunft, ihren Gemeinsamkeiten, Gattungsproblemen und Überlieferungswegen.11 Es wurde auch versucht die Urform der Märchen zu finden, das heißt den geographischen Ursprung für die ersten Versionen festzustellen. Das Wort Version ist ein häufig verwendetes Wort in der Märchenforschung, und das betont, dass die Märchen ständig angepasst werden, und das heißt, dass sie immer zu neuen Kontexten adaptiert werden.12 7 Rölleke. 2019. S. 82. 8 Mallet. 1990. S. 10. 9 Prinz. 2013. S. 30. 10 Bottigheimer. 2009. S. 27. 11 Alder. 2007. S. 11. 12 Alder. 2007. S. 12 – 13. 3(24)
Frühe Forschung, insbesondere die deutsche, richtete sich auf den Ursprung, und wurde durch die Intention gekennzeichnet, nachzuweisen, was an den Märchen urdeutsch sei. Das Hauptziel der Forschung war es, das deutsche Kulturerbe zu fördern. Indem man die Märchen mit anderen europäischen Märchen verglich, meinte man den deutschen Kern der Grimms Märchen herausarbeiten zu können. Die Märchen wurden mit ethnografischen Mitteln und mündlicher Überlieferung mit anderen Volksmärchen verglichen und man ließ die geographische Ausbreitung der Märchen untersuchen.13 Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Forschung über die Grimms Märchen verändert und sich mehr für die Konstruiertheit und strukturelle Schilderungen in den Märchen interessiert, wie z.B. die Poetik und sprachliche Konstruktionen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind sowohl feministische und soziologische Perspektiven als auch Klassenhierarchie und Armut in den Blickpunkt geraten.14 3 Zweck und Fragestellung Der Zweck der Studie ist Gewalt als ein literarisches Motiv in Hänsel und Gretel, Aschenputtel und in Schneewittchen zu verstehen. Die Studie untersucht, mit welchen sprachlichen Ausdrücken Gewalt gezeigt wird und welche Ähnlichkeiten man zwischen den Märchen sehen kann. Die Fragestellungen sind folgende: Mit welchen sprachlichen Kontexten wird physische und psychische Gewalt ausgedrückt? Wer übt Gewalt aus? Welche Ähnlichkeiten oder Unterschieden zeigen sich in der Gewaltdarstellung der untersuchten Märchen? Mit welchen Absichten wird Gewalt ausgeübt? 4 Frühere Forschung Volksmärchen sind als Untersuchungsobjekt sehr populär in der Literaturwissenschaft. Die Forschung fokussiert auf die Linguistik und die gesellschaftlichen Strukturen wie z.B. die Darstellung der verschiedenen Figuren in Relation zu hierarchischen Gesellschaftsstrukturen.15 Eine Perspektive, die viele Forscher/-innen in ihren Untersuchungen der Grimms Märchen einnehmen ist die weibliche. Viele Märchen handeln 13 Sennewald. 2004. S. 16. 14 Sennewald. 2004. S. 17. 15 Spörk. 1986. S. 28. 4(24)
von einer weiblichen Figur, die gerettet werden muss, und der Retter in Not ist meistens ein Prinz oder allgemein ein Mann. Ingrid Spörk schrieb dazu eine Studie über die Struktur ausgewählter Märchen unter Einbeziehung von Rollentheorie, Psychoanalyse, Überlieferung und Rezeption.16 Sie schlussfolgert, dass die weiblichen Figuren als Helferinnen, Heldinnen und Schädigerinnen betrachtet werden. Die schlecht dargestellten mütterlichen Figuren, sind oft Stiefmütter, die mit den Vätern der Hauptfiguren verheiratet sind. Was Spörk für wichtig und typisch in Grimms Märchen hielt ist, dass die Befreiung von diesen Stiefmüttern nur durch eine Heirat mit einem Mann möglich ist, wie z.B. in Aschenputtel und in Schneewittchen.17 Carl Heinz Mallet hat in Kopf Ab! Über die Faszination der Gewalt im Märchen verschiedene Ausdrücke von Gewalt untersucht und sie in folgenden Kategorien eingeteilt: Spaß an Gewalt, Subtile Gewalt, Gewalt und Sex, und Untertanen gegen Obrigkeit. Mallet hat mit Beispielen von verschiedenen Grimms Märchen Gewalt als literarisches Thema, geschichtlich, psychologisch und kulturell erklärt. Die Analyse Mallets ist breit und er erklärt Gewalt als etwas, was die Menschen fasziniert und was auch ein Hinweis für Familien ist, um Kinder zu erziehen. Mallet meint auch, dass die Märchen einen Konkurrenzkampf zeigen. Dieser Kampf erscheint zwischen Eltern und Geschwistern und lässt sich eigentlich in allen Familienstrukturen zeigen.18 Der theoretische Ansatz dieses Aufsatzes wurde durch Mallets Forschung inspiriert. Bei Kerstin Prinz werden Aschenputtel und Schneewittchen als zwei Beispiele präsentiert, in denen der Zusammenhang zwischen Gewalt und Strafen besonders anschaulich werden. In diesen zwei Märchen gilt Gewalt gegen die Antagonisten als Rache und wird damit berechtigt. Prinz findet auch, dass Schmerzdarstellungen nicht in den Märchen zu finden sind, sondern nur in den Schilderungen der physischen Bestrafungen.19 In diesem Aufsatz werden sowohl psychische als auch physische Gewaltformen untersucht, was nicht so gewöhnlich ist, da viel Forschung nur auf physische Gewalt fokussiert. 16 Spörk. 1986. 17 Spörk. 1986. S. 237 – 238. 18 Mallet. 1990. S. 14. 19 Prinz. 2013. S. 34. 5(24)
5 Theorie und Methode 5.1 Gewalt - eine Definition 5.2 Laut Brockhaus kann Gewalt entweder physischer oder psychischer Zwang gegenüber anderen Menschen sein. Im Deutschen umfasst der Begriff sowohl Kennzeichen für eine Macht- und Herrschaftsbeziehung als auch eine „rohe, gegen Sitte und Recht verstoßende Einwirkung auf Personen“.20 Hier gibt es einen Unterschied der Bedeutung im Vergleich zum Englischen, das zwei Wörter „violence“ und „power“ braucht, um den Begriff „Gewalt“ zu erfassen. Gewalt kann mit anderen Begriffen kombiniert werden und zeigt dann eine spezifische Bedeutung, z.B. Ordnungsgewalt und sexuelle Gewalt. Der Begriff „Gewalt“ wirkt als eine Manifestation von Macht oder Herrschaft.21 5.3 Physische Gewalt Die Definition in diesem Aufsatz stammt aus dem Gewaltbericht 2001 des österreichischen Bundeskanzleramtes, und sie gilt als Kriterium um Material für die Untersuchung zu finden und zu analysieren. Physische (körperliche) Gewalt umfasst alle Formen von Misshandlungen: schlagen, schütteln (von Babys und kleinen Kindern), stoßen, treten, boxen, mit Gegenständen werfen, an den Haaren ziehen, mit den Fäusten oder Gegenständen prügeln, mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, (mit Zigaretten) verbrennen, Attacken mit Waffen usw. bis hin zum Mordversuch oder Mord. Bei den so genannten leichteren Formen handelt sich um Gewalthandlungen, die teilweise noch gesellschaftlich toleriert und als „normale Erziehungsmittel“ akzeptiert werden. Dazu zählen Ohrfeigen, Klaps auf den Po aber auch Schütteln, Stoßen, Festhalten, an den Ohren/Haaren ziehen und Zwicken.22 Der Ausgangspunkt in diesem Aufsatz ist es, alle Arten der physischen Gewalt in den Texten zu analysieren. Die verschiedenen Formen von Gewalt werden nicht gegeneinandergestellt, sondern nur als Gewaltformen präsentiert, und danach interpretiert. Diese österreichische Definition von physischer Gewalt stammt aus dem 20 Brockhaus 2021-11-18. 21 Brockhaus 2021-11-18. 22 https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/formen/physisch.php 2021-11-21. 6(24)
Jahr 2000 und heute gibt es Verbesserungen des Kinderschutzes. Am 1. Januar 2012 ist in Deutschland das Bundeskinderschutzgesetz in Kraft getreten. Der heutige Schutz gegen Gewalt für Kinder und Jugendlicher stimmt nicht notwendig mit der Definition der Gewalt aus Jahr 2000 überein. Diese ältere österreichische Definition beschreibt aber einige Formen von physischer Gewalt als teilweise gesellschaftliche Erziehungsmittel, was nicht der Fall in Deutschland ist.23 Trotzdem ist es nicht das Ziel des Aufsatzes die Gewaltausübungen zu beurteilen, sondern die in den Märchen beschriebenen Gewalt zu finden und dadurch analysieren. Deswegen gilt die österreichische Definition für die Untersuchung als verwendbar, weil sie Formen von physischer Gewalt umfasst. Gewalt ist heute etwas, dass vermieden werden soll. In einem historischen Kontext betrachtet, kann Gewalt als ein Erziehungsmittel angesehen werden. Unabhängig von der Definition werden Ausdrücke physischer und psychischer Gewalt in dieser Untersuchung als eine Einheit gesehen, um die Motive der Gewalt zu deuten. 5.4 Psychische Gewalt Auch hier bietet das österreichische Bundeskanzleramt eine Definition an, jedoch ist nicht so präzise wie die der physischen Gewalt und sie wird deswegen nicht so deutlich in der Analyse gesehen. Psychische Gewalt ist umfangsreich und mit viele Nuancen, eine eindeutige Definition lässt sich nicht einfach formulieren. Seelische, auf emotionaler Ebene ausgeübte Gewalt ist schwerer zu identifizieren als körperliche Misshandlungen. Sie ist daher seltener Gegenstand der Forschung und öffentlicher Diskussion. Das Spektrum psychischer Gewalthandlungen ist jedoch sehr umfangreich, die Narben sind meist schwerer zu heilen als bei physischen Übergriffen. 24 Der Ausgangspunkt dieses Aufsatzes, wenn die psychische Gewalt behandelt wird, ist, dass es von Isolation, Drohungen, und Angstmachen handeln kann. 23 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinder-und- jugendschutz/bundeskinderschutzgesetz/das-bundeskinderschutzgesetz-86268 2022-01-17. 24 Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen (Hrsg.): Gewalt in der Familie. Gewaltbericht 2001. Von der Enttabuisierung zur Professionalisierung. Wien. https://www.gewaltinfo.at/fachwissen/formen/psychisch/. 2021-11-21 7(24)
5.5 Märchenanalyse Gewalt ist ein Phänomen menschlichen Zusammenlebens und entsteht, wenn Menschen einander absichtlich schaden. Dieses Phänomen hat eine lange Geschichte.25 Das führt zu Fragen, die durch verschiedene wissenschaftliche Disziplinen beantwortet werden. Die Antworten sind abhängig von den verschiedenen Disziplinen. Die Neurowissenschaftler finden ihre Antwort in dem Gehirn und die Soziologen und Ethnologen in gesellschaftlichen Bedingungen.26 Die sozialwissenschaftlichen Disziplinen haben sich historisch in zwei Richtungen entwickelt. Die erste ist die soziale Dynamik der Gewalt, das heißt innerhalb welcher Grenzen Gewalt figuriert. Innerhalb der Dynamik liegt die zweite Fokussierung, sie untersucht in welchen Kontexten Gewalt von einem Individuum ausgeübt wird und die Konsequenzen, die dadurch folgen.27 Es gibt viele verschiedene sozialwissenschaftliche Disziplinen und sie stellen keine Einheit dar. Im Laufe der Jahre von verschiedenen Autoren wie Marx, Durkheim, Weber, Simmel, Luhmann, Foucault und Habermas behandelt und sie sind immer in Verbindung mit anderen Theorien gesetzt worden. Eine genuine Gewalttheorie zu entwickeln ist eine neuere Erscheinung.28 Die sozialwissenschaftliche Tradition mit Fokus auf Gewaltphänomenen ist lang und die Theorie, die in diesem Aufsatz benutzt wird, ist nur ein Teil der Vielfalt. Die Untersuchung nimmt ihren Ausgangspunkt in der Märchenanalyse nach Mallet. Das Ziel ist durch diese Theorie die menschlichen Gewaltgelüste, Gewaltstrategien und gewaltsamen Ausdrücke zu deuten und zu verstehen. Eine Märchenanalyse nimmt ihren Ausgangspunkt, in der Behauptung, dass es einige spezifischen Ursachen für Gewalt in den Märchen gibt, mit welchen die gewaltsame Mentalität erklärt werden kann. Der Märchenanalyse gemäß gibt es folgende Ursachen in Märchen, die durch Gewalt oder gewaltsame Handlungen gelöst werden sollen: Neid und Missgunst sind Ursachen der Gewalt und die Motivation sie zu benutzen kommt wesentlich von innen, und damit meint Mallet, dass es sich um ein plötzliches aufbrechendes Gefühl handelt, das zu impulsiven Handlungen führt. Dieses Gefühl wird als menschliches Gewaltgelüst betrachtet. Nach dem Ausbruch einer gewaltsamen Handlung wird kein Mitleid von den Tätern gezeigt. Diese Gewalt zwischen Konkurrenten passiert am 25 Koloma, Schlichte. 2014. S. 9. 26 Koloma, Schlichte. 2014. S. 10. 27 Koloma, Schlichte. 2014. S. 12. 28 Koloma, Schlichte. 2014. S. 13. 8(24)
häufigsten innerhalb der eigenen Wände, nämlich in der Familie. 29 Wer dieser Konkurrent ist variiert, es kann sowohl ein Bruder als auch eine Stieftochter sein. Not wird als eine zweite Ursache beschrieben, die geschichtlich erklärt werden kann. Die Themen, die mit der Gewalt zusammenhängen sind Hungersnot, Ansehen, Macht oder Reichtum, und diese Sachen werden zu literarischen Motiven, um Gewalt darzustellen. Ein Ausdruck der Not ist der Kannibalismus, der in gewissen Märchen dargestellt wird Er kann einerseits in Verbindung mit Hungersnot gesetzt werden, weil Menschen nichts zu essen hatten. Geschichtlich kann Kannibalismus auch durch den mittelalterlichen Volksglauben erklärt werden, wo Blut mit der Eigenschaft als heilende Wirkung bezeichnet wurde. 30 Der Kannibalismus wirkt als ein Symbol für diese zwei historischen Erscheinungen. Die letzte deutliche Ursache ist der symbolische Ausdruck der Gewalt, mit dem das Böse und Gute gezeigt wird, und zwischen diesen besteht ein Kampf. Dieser Ausdruck symbolisiert die Wahrheit gegen Lüge und Gerechtigkeit gegen Ungerechtigkeit. Die Täter im Märchen haben keine Hemmungen und Gewalt scheint sich auszuzahlen, um das Gute oder ihre Ziele zu erreichen.31 Diese oben genannten Ursachen bilden die Basis des theoretischen Ansatzes dieser Untersuchung. Der Ausgangspunkt für Mallet ist, dass es Gewalt in den Märchen gibt, aber auch, dass Gewalt benötigt wird, um etwas zu erreichen. Gewalt für Gerechtigkeit und gegen das Böse ist erlaubt, und dient nicht zuletzt als Notwehr und Selbstverteidigung. Der Gebrauch von Gewalt gegen das Böse spiegelt eine Sicht der Gerichtsbarkeit. 5.6 Methode In diesem Aufsatz wird eine qualitative Analyse benutzt. Einbegriffen in dieser Analyse werden gewaltsame Ausdrücke wie Wörter, Begriffe oder Sätze, aber auch gewaltsame Ereignisse in den Märchen. Die Gewalt als Motiv wird untersucht und in Beziehung zu den Handlungen gesetzt. Jede Analyse wird mit einer Synopsis eingeleitet, danach werden die Aspekte von Gewalt mit Hilfe von Textstellen herausgearbeitet. Nach der Erklärung kommt ein Zitat von einem der Märchen, gefolgt von einer Analyse. In den Fragestellungen werden die Begriffe Motiv und Kontext verwendet. Die Kontexte, die analysiert werden, sind auf spezifische Gewaltausübungen begrenzt und wirken deswegen als ein Ausdruck der Motive. 29 Mallet. 1990. S. 50. 30 Prinz. 2013. S. 33. 31 Mallet. 1990. S. 49. 9(24)
Als Kontext werden also die Szenen analysiert, in denen die gewaltsamen Handlungen erscheinen. Als Motive werden die durchgehenden Ziele der Antagonisten und Protagonisten definiert, zu denen sie Gewalt gebrauchen. 6 Analyse und Diskussion 6.1 Hänsel und Gretel Hänsel und Gretel handelt von zwei Kindern, die mit ihren Eltern in einem Haus wohnen. Die Familie ist arm und es fehlt an Essen. Die Mutter der Familie meint, dass der Vater zusammen mit den Kindern in den Wald gehen und danach die Kinder verlassen soll. Der Vater macht dies, aber die Kinder können ihren Weg nach Hause finden, weil Hänsel kleine weiße Steine auf den Boden fallen lässt. Beim zweiten Mal können sie nicht den Weg zurück nach Hause finden, weil Hänsel statt Steine, Brotbrösel auf den Boden streut, die dann die Vögel im Wald fressen. Die Kinder gehen tiefer in den Wald hinein und finden später ein Haus aus Brot, das sie zu essen beginnen. Das Haus gehört aber einer Hexe, die die Kinder hereinlockt, Hänsel einsperrt und zwingt Gretel für sie zu arbeiten. Der Plan der Hexe ist es, Hänsel zu mästen und zu essen. Das gelingt ihr nicht, denn Gretel die Hexe in den Ofen schiebt und Hänsel freilässt. Die Kinder nehmen die wertvollen Sachen der Hexe und gehen dann nach Hause. Als sie kommen an, freut sich der Vater und die Mutter aber war mittlerweile gestorben. 6.1.1 Analyse der Gewalt in Hänsel und Gretel Wie bereits erwähnt, hat die Familie nichts zu essen. Die Mutter überzeugt deswegen den Vater die Kinder allein im Wald zu verlassen. Das ist die erste Form von Gewalt, die in der Geschichte vorkommt und, die als eine Situation zwischen Konkurrenten betrachtet werden kann. Die Konkurrenz entsteht zwischen der Mutter und den Kindern, weil es an Essen mangelt, aber diese Rivalität wird aber von der Mutter angebahnt. Diese Situation kann als auch Missgunst von der Mutter gesehen werden, weil sie nicht ihren Kinder Essen geben will. Bereits am Anfang der Geschichte wird so deutlich, dass Essen ein Hauptmotiv der Geschichte ist, was als Not interpretiert werden kann. Nachdem, Hänsel und Gretel das Haus der Hexe gefunden hatten, hatten sie Hunger. Hier wird Sympathie für die Kinder aufgebaut, die vom Brothaus essen und dann die Hexe treffen. Das ist auch das erste Mal in der Geschichte, wo Gewalt von der Hauptantagonistin der Hexe benutzt wird. „Die Alte aber war eine Böse Hexe, die lauerte den Kindern auf, und hatte um 10(24)
sie zu locken ihr Brodhäuslein gebaut, und wenn eins in ihre Gewalt kam, da machte sie es todt, kochte es und ass es, und das war ihr ein Festtag“.3233 Gewalt wurde durch die Hexe ausgedrückt, die auch „Böse” genannt wird, und damit wird der symbolische Ausdruck von Gewalt gezeigt. Hier ist die Hexe die Antagonistin des Kontextes und die Geschichte macht den Kampf zwischen Böse und Gute sichtbar. Die Beschreibung ihres Vorgehens zeigt, dass sie eine Falle konstruiert hat, um Kinder zu locken und zu essen. Das zeigt, dass sie es schon früher versucht hat, Kinder zu manipulieren, und dass sie eine Rückfalltäterin ist. Diese manipulative Form von Gewalt kann als ein Ausdruck psychischer Gewalt angesehen werden und ist eine Taktik, die sie benutzt, um später physische Gewalt anwenden zu können. Der Bau des Brothauses kann auch als eine Manipulation gesehen werden, da die Hexe schon wusste, dass Kinder, die allein im Wald sind, Hunger haben. An folgenden macht sich die physische Gewalt fest: „da machte sie es todt, kochte es und ass es, und das war ihr ein Festtag”. Durch das Essen wird die Gewalt verwendet und deutlich, dass die Hexe durch diesen Vorgang einen Vorteil erzielt. Das Handeln der Hexe äußert sich in der schrecklichsten aller Gewaltformen, dem Kannibalismus. Er kann ein Symbol für eine Hungersnot sein, dafür spricht Jeannine Richter in Es war einmal, die auch meint, dass Hexen geschichtlich mit Kannibalismus verbunden sind.34 Eine andere mögliche Sinndeutung ist, dass die Hexe außerhalb von der Gesellschaft steht und, dass sie nicht ein Teil der Gemeinschaft ist und deswegen nicht als eine Christin gesehen wird. Ihr Kannibalismus und der Kontext können mit einem heidnischen Benehmen gesetzt werden, weil Kannibalismus seit der Etablierung des Christentums als etwas heidnisch betrachtet wurde.35 Die physische Gewalt ist hier eine Methode für die Hexe, ihr Ziel zu erreichen. Das Haus aus Brot ist ein deutliches Zeichen für die herrschende Armut, bei der die Kinder bereit sind, Brot zu stehlen. Die Hexe benutzt die Armut der Kinder, um sie zu manipulieren und hereinzubringen. Sie nutzt Gewalt nicht sofort, sondern sie versucht zuerst die Kinder mit 32 Rölleke. 1975. S. 77. 33 Die verwendeten Auszüge werden in der Rechtschreibung wiedergegeben, wie sie in Rölleke Die älteste Märchensammlung der Brüder Grimm enthalten ist. 34 Prinz. 2013. S. 51. 35 Richter. 2013. S. 51-51. 11(24)
Freundlichkeit zu locken. Mit dem Brothaus baut sie eine Scheinwelt und die Kinder willigen zunächst ein, um dem Hunger zu entfliehen. Diese Schilderungen können eine Warnung an die jungen Leser sein, und das heißt, dass man zu Kindern sagt, lasst euch nicht von schönen Wörtern oder Süßigkeiten locken, da die Person, die euch lockt, gefährlich sein kann. In diesem Sinn hatte das Märchen wahrscheinlich einen Erziehungszweck. Eine andere Art der Gewaltausübung wird deutlich als Hänsel von der Hexe eingesperrt ist. …ging an ihre Bettlein und wie sie die zwei so lieblich ruhen sah, freute sie sich und gedachte, das wird ein guter Bissen für dich seyn. Sie packte Hänsel und steckte ihn in einen kleinen Stall, und wie er da aufwachte, war er von Gitter umschlossen, wie man junge Hühnlein einsperrt, und konnte nur ein paar Schritte gehen. Das Gretel aber schüttelte sie und rief:,,steh auf, du Faullenzerin, hol Wasser und geh in die Küche und koch gut zu essen, dort steckt dein Bruder in einem Stall, den will ich erst fett machen, und wann er fett ist, dann will ich ihn essen, jetzt sollst du ihn füttern.36 Auch hier steht das Essen als gewaltsamer Ausdruck im Fokus. Die Kinder werden als sehr unschuldig beschrieben, wie sie „so lieblich ruhen sah“, und das führt dazu, dass die gewaltsamen Handlungen noch schändlicher aussehen. Hänsel wird in einen Stall eingesperrt und mit dem Wort “Hühnlein” macht der sprachliche Kontext eine Tierparallele deutlich. Hänsel wird genau wie in der Situation eines Tieres versetzt, und die physische Gewalt, die von der Hexe benutzt wird, ist mit dem Ziel ihn aufzufressen. Die Hexe rief und nennt Gretel faul und nutzt eine Form von psychischer Gewalt, die als verbale Misshandlung angesehen werden kann. Die Machtbeziehung hier ist sehr deutlich: Eine „böse“ Erwachsene dominiert kleine nette Kinder, und Gretel macht alles, was die Hexe befiehlt. Die Gewaltthemen sind hier Hungersnot und Macht. Die Hexe übt Macht aus und die zu grundliegende Ursache ist Hunger. Die Hexe schüttelt Gretel auch, was laut der Gewaltdefinition als körperliche Gewalt gekennzeichnet ist. Die Gewalt nimmt zu, wenn Gretel gezwungen wird, der Hexe zu helfen und Hänsel immer noch eingesperrt ist: […] “nach vier wochen sagte sie eines Abends zu Gretel: ,,(sey) hübsch 36 Rölleke. 1975. S. 77. 12(24)
flink, geh und trag Wasser herbei, dein Brüderchen mag nun fett genug seyn oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden”37 Erneut wird die Tiermetapher benutzt, denn die Hexe will ihn, genau wie ein Tier, schlachten und kochen. Dieser Kontext zeigt nochmal Kannibalismus als einer der Hauptthemen des Märchens. Die Hexe versucht Gretel zur Gehorsamkeit zu erschrecken, und dadurch auch ihr kannibalistisches Ziel zu erreichen. Das kann als eine Art psychischer Gewalt gekennzeichnet werden. Mallet zufolge zeigen Täter im Märchen kein Mitleid, egal ob sie Antagonisten oder Protagonisten sind. Am Ende der Geschichte gelingt es Gretel, die Hexe zu töten und Hänsel zu befreien: […] und die Alte setzte sich auf das Brett, und weil sie leicht war, schob sie Gretel hinein so weit sie konnte, und dann machte sie geschwind die Türe zu, und steckte den eisernen Riegel vor. Da fing die Alte an in dem heißen Backofen zu schreien und zu jammern, Gretel aber lief fort, und sie mußte elendiglich verbrennen.38 Hier benutzt Gretel Gewalt, um ihr Ziel zu erreichen, und das auch durch eine brutale Methode. Die Reaktion der Hexe wird genau mit den Wörtern “schreien” und “jammern” erklärt und es stellt sich die Frage, warum die Reaktion in diesem Kontext so genau ausgedrückt wird? Es kann sein, dass die Rache gegen die Antagonistin, die böse Hexe, gezeigt werden sollte. Gewalt, wie hier geschildert, kann deswegen sowohl als Rache und als auch Mittel um etwas Gutes zu erreichen benutzt werden. Genau wie die Hexe zeigt Gretel kein Mitleid. Die Gewalt wurde von Gretel benutzt, um das Gute siegen zu lassen. Der Widerstreit zwischen dem Bösen und dem Guten macht nochmal den symbolischen Ausdruck der Gewalt deutlich. Die Hexe, das Symbol des Bösen, verbrennt auch im Ofen. Diese Methode ist historisch interessant, da die Antagonistin eine Hexe ist, und historisch wurden Frauen, die für Hexerei angeklagt waren, manchmal verbrannt.39 Die Gewalt von Gretel kann motiviert sein, da die Hexe weder moralischen Bedenken noch christliche Moral besaß. Gretel agiert in Notwehr und laut der Märchenanalyse soll sie als Täterin kein Mitleid zeigen. Gretel versucht selbst über der Gewalt und Macht zu verfügen. Dass die Protagonistin des Märchens 37 Rölleke. 1975. S. 77. 38 Rölleke. 1975. S. 79. 39 Prinz. 2013. S. 49 – 50. 13(24)
auch Gewalt benutzt, könnte bedeuten, dass Gewalt ein legitimes Mittel ist, um sich zu verteidigen. Zusammengefasst können die Motive der Gewalt in Hänsel und Gretel mit Neid und Missgunst, Not und symbolischer Ausdruck beschrieben werden. Neid und Missgunst stehen am Anfang der Geschichte und werden von der Mutter benutzt, als sie ihren Ehemann überzeugt die Kinder im Wald zu verlassen. Not als Ursache zur Gewalt wird durch das Essen und Kannibalismus deutlich dargestellt. Der symbolische Ausdruck der Gewalt sehen wir in der Grenze zwischen dem Bösen und dem Guten. 6.2 Aschenputtel Dieses Märchen handelt von einem verwaisten Mädchen, das mit seiner bösen Stiefmutter und Stiefschwestern aufwächst. Sie wird gezwungen eine Magd zu sein und in ihrer ganzen Kindheit schikaniert. Sie darf nicht in ihrem eigenen Bett schlafen, sondern vor dem Küchenofen und wird deswegen „Aschenputtel“ genannt. An einem Ball im nahen gelegenen Schloss darf Aschenputtel nicht teilnehmen. Aber am Grab ihrer Mutter gibt es einen magischen Baum, der alle ihre Wünsche erfüllen kann. Aschenputtel bittet den Baum um ein schönes Festkleid, das sie auch bekommt und deswegen am Ball teilnehmen kann. Dort sieht der Prinz Aschenputtel, tanzt mit ihr und verliebt sich in sie. Er weiß jedoch nicht wer sie ist, aber findet ihren Schuh, den sie bei ihrem hastigen Aufbruch verliert, und fährt mit diesem zum Haus Aschenputtels. Der Schuh ist den Stiefschwestern zu klein, passt nur Aschenputtel und der Prinz versteht, dass sie das Mädchen ist, mit dem er getanzt hatte. Sie heirateten und die Geschichte endet glücklich.40 6.2.1 Analyse der Gewalt in Aschenputtel Auch in diesem Märchen kommen verschiedene Formen von Gewalt vor, beispielsweise als die Mutter von ihren Töchtern verlangt, sich selbst zu verstümmeln: ,Hört‘ sagte die Mutter heimlich, da habt ihr ein Messer, und wenn euch der Pantoffel doch noch zu eng ist, so schneidet euch ein Stück vom Fuß ab, es thut ein bischen weh, was schadet das aber, es vergeht bald und eine von euch wird Königin.” Da ging die älteste in ihre Kammer und probierte den Pantoffel an, die Fußspitze kam hinein, aber die Ferse war 40 Rölleke. 1975. S. 299. 14(24)
zu groß, da nahm sie das Messer und schnitt sich ein Stück von der Ferse, bis sie den Fuß in den Pantoffel hineinzwängte.41 Die Gewalt wird an die Figur der Mutter gebunden, etwas, das auch sehr typisch für die anderen Märchen ist, die in diesem Aufsatz analysiert werden. Die Frau oder beziehungsweise die Mutter wird zur Antagonistin. Sie manipuliert ihre eigenen Töchter sich Schaden zuzufügen, so dass eine von ihnen Königin werden kann, denn nur das scheint ihr sehr wichtig zu sein. Das ist auch für die Töchter wichtig und es kommt zu einer weiteren Form von physischer Gewalt, die gegen sich selbst, also Selbstverstümmelung. Die Ursache der Gewalt ist hier die Konkurrenz zwischen den Stiefschwestern und Aschenputtel. Die Stiefmutter handelt aus dem Motiv heraus, ihren Töchtern eine Machtposition zu verschaffen. Die Töchter sind so in der Gewalt ihrer Mutter, dass sie ihr blind gehorchen. Aschenputtel stellt eine Drohung gegen die Träume der Stiefmutter dar und so wird sie die treibendende Kraft gegen Aschenputtel. Laut Mallets Märchenanalyse sind die Motive der Mutter von Neid und Missgunst geprägt, und diese aufbrechenden Gefühle sind so stark, dass sie zu Gewalt führen. Darüber hinaus behandelt das Märchen ein Frauenstereotyp. Eine Frau muss vor allem für Prinzen schön sein, und auch weibliche Merkmale haben, wie beispielsweise kleine Füße. Der Prinz bemerkt, dass es Blut im Schuh gab: „Der Prinz sah nieder, da waren die weisen Strümpfe der Braut roth gefärbt und das Blut war hoch herauf gedrungen. Da brachte sie der Prinz der Mutter und sagte: ,,Das ist auch nicht die rechte Braut; aber ist nicht noch eine Tochter im Haus““.42 In diesem Kontext gibt es ein gutes Beispiel dafür, dass Mitleid überhaupt nicht gezeigt wird. Der Prinz ist nur daran interessiert, die richtige Braut zu finden und kümmert sich nicht um den Schaden, den er mit seiner Suche mitverschuldet hat. Der Prinz übt zwar nicht selbst Gewalt aus, aber durch sein Suchen hat er zu gewaltsamen Handlungen anderer beigetragen. Er übt auch seine Macht aus, wenn er den Mädchen befiehlt, die Schuhe anzuprobieren. Genau wie die Stiefmutter ist der Prinz von der Konkurrenz über Aschenputtel beeinflusst und zeigt selbst kein Mitleid, da er so ein deutliches Ziel hat, um etwas zu erreichen, nämlich Aschenputtel zu finden. 41 Rölleke. 1975. S. 311. 42 Rölleke. 1975. S. 313. 15(24)
In diesem Märchen ist die Ursache der Gewalt die Konkurrenz sowie zwischen der Stiefmutter und Aschenputtel als zwischen der Stiefmutter und dem Prinzen. Die Stiefmutter will die Machtposition haben und der Prinz will Aschenputtel heiraten. Aschenputtel scheint ohne Ziele zu agieren und wird als friedlich porträtiert. Die Kontexte behandelt den Kampf um die Macht, aber auch inwiefern Gewalt benutzt wird. In dieser Situation wird die Gewalt durch die Manipulation der Stiefmutter und mit der Machtposition des Prinzen durchgeführt. Was die von den Tätern ausgeübte Macht angeht, so lassen sich mehrere Motive finden. Die Motive der Täter ist Macht entweder in Form von Position in der Gesellschaft oder in der Familie. Der Prinz kann aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung Macht ausüben, eine gleichartige Macht übt die Stiefmutter gegen Aschenputtel aus, weil sie das Haupt der Familie ist. Diese Macht oder das Streben nach Macht führte zu sowohl psychischer als auch physischer Gewalt. 6.3 Schneewittchen Schneewittchen ist die Tochter einer Königin, die aber stirbt und Schneewittchen wächst bei ihrer Stiefmutter auf. Jeden Tag fragt die Stiefmutter ihren Spiegel, wer die Schönste im Land sei und bekommt jedes Mal dieselbe Antwort, dass Schneewittchen die Schönste sei. Das macht die Stiefmutter eifersüchtig und sie versucht Schneewittchen mit der Hilfe eines Jägers zu ermorden. Er kann es doch nicht tun, und Schneewittchen flieht in den Wald hinein. Im Wald findet sie ein Haus, indem sieben Zwerge wohnen. Die Zwerge sind alle nett und Schneewittchen darf bei ihnen bleiben. Währenddessen fragt die Stiefmutter den Spiegel erneut, wer die Schönste im Land sei und bekommt als Antwort Schneewittchen. Daraufhin versucht sie nochmal Schneewittchen mit einem giftigen Apfel zu ermorden und beim dritten Mal gelingt es ihr. Die Stiefmutter ist nun endlich die Schönste im ganzen Königreich. Schneewittchen war jedoch nicht gestorben, ein Prinz hilft ihr und heiratet sie später und das ist der glückliche Ausgang der Geschichte. Für die Stiefmutter endet sie nicht glücklich, weil sie einen brutalen Tod erleidet. 6.3.1 Analyse der Gewalt in Schneewittchen Bereits am Anfang der Geschichte wird der Leser mit Gewalt bekanntgemacht, als die Königin einem Jäger befiehlt, Schneewittchen zu ermorden, und ihre Lunge und Leber zurück zur Königin zu bringen: „[…] fuhr das Schneewittchen hinaus in den Wald an einen weiten 16(24)
abgelegenen Ort, da stichs todt, und zum Wahrzeichen bring mir seine Lunge und seine Leber mit, die will ich mit Salz kochen und essen“.43 Die Gewalt wird durch die Königin benutzt, um die Rolle der Schönsten des Landes zu bekommen. Diese Schilderung handelt auch vom Essen als symbolischer Ausdruck der Gewalt und markiert die Grenze zwischen Gute und Böse. Eine fast tierische Schilderung mit kannibalistischen Vorzeichen nimmt das kommende Schicksal Schneewittchens vorweg und damit wird ausgedrückt, wer die Böse der Geschichte ist. Die Königin übt auch Gewalt aus, wenn sie dem Jäger befiehlt, denn es besteht ein Standesunterschied zwischen der Königin und dem Jäger, der ihn zwingt, die angeordnete Gewalt ausführen. Die Konkurrenz funktioniert hier als ein Auslöser der Gewalt und die Stiefmutter benutzt ihre Position gegen den Jäger. Die Grundursache der Gewalt war dennoch nicht die Konkurrenz, sondern Missgunst und Neid wegen der Tatsache, dass Schneewittchen die Schönste ist. Eine andere Form der Gewalt wird aufgezeigt, als die Königin versucht selbst Schneewittchen mit den Schnürriemen des Korsetts zu ermorden: ,Aber wie bist du so schlampisch geschnürt, sagte die Alte, komm ich will dich einmal besser schnüren.‘ Schneewitchen stellte sich vor sie, da nahm sie den Schnürriemen und schnürte es so fest, das ihm der Athem verging, und es für todt hinfiel. Darnach war sie zufrieden und ging fort.44 Die Königin persönlich benutzt Gewalt gegen Schneewittchen, nicht nur durch den Jäger. Die Antagonistin ist also auch selbst fähig, Gewalt zu verwenden. Kein Mitleid wird in diesem Abschnitt gezeigt, weil die Missgunst immer noch die Ursache der Gewalt ist. Die Gewalt steht mit Schönheitsidealen in Verbindung und in diesem Kontext war es für die Königin einfach Schneewittchen zu manipulieren. Nachdem erste Versuch misslungen war, versucht sie es nochmal: Darnach sann sie den ganzen Tag und die Nacht, wie sie es doch noch fangen wollte, und machte einen giftigen Kamm, verkleidete sich in eine ganz andere Gestalt, und ging wieder 43 Rölleke. 1975. S. 247. 44 Rölleke. 1975. S. 253. 17(24)
hinaus. Sie klopfte an die Thür, Schneewitchen aber rief: ,, ich darf niemand hereinlassen ;” da zog sie den Kamm hervvor, und als Schneewitchen den blinken sah und es auch jemand ganz fremdes war, so machte es doch auf , und kaufte ihr den Kamm ab. ,,Komm ich kaum aber stack der Kamm dem Schneewittchen in den Haaren, da fiel es nieder und war todt. ,,Nun wirst du liegen bleiben,” sagte die Königin, und ihr Herz war ihr leicht geworden, und sie ging heim.45 Diese Beschreibung zeigt, dass sie sich freut, weil sie glaubt, dass Schneewittchen tot ist. Sie benutzt also nicht nur Gewalt als ein Mittel, die Gewalt bereitet ihr auch Zufriedenheit. Das Handeln der Königin könnte mit Sadismus erklärt werden. Erneut zeigt sich, dass nach einer von Neid oder Missgunst getriebenen Tat kein Mitleid gezeigt wird. Wiederum sind es Schönheitsideale, die der Königin helfen, Schneewittchen zu manipulieren. Am Ende der Geschichte tritt eine andere Form der Gewalt zutage. Schneewittchen wird wieder lebendig und heiratet den Prinzen. Im Märchen wird beschrieben, was mit der Königin, der Stiefmutter passiert: ,,[…] da waren eiserne Pantoffeln im Feuer glühend gemacht, die mußte sie anziehen und darin tanzen, und ihre Füße wurden jämmerlich verbrannt, und sie durfte nicht aufhören bis sie sich zu todt getanzt hatte“.46 Dieses Zitat wird von einer brutalen Gewalt geprägt, aber dieses Mal von der Protagonisten gebilligt und nicht der Antagonistin. Das Ende ist aus der Perspektive der Protagonistin betrachtet glücklich, aber es wird durch eine äußerst gewaltsame Methode erreicht. Schneewittchen und der Prinz billigen Gewalt, aber gewalttätiger und quälender als die Stiefmutter. Ihre Rache wird deutlich erklärt und sie besteht nicht nur darin, dass die Königin sterben soll, sondern vor allem, dass sie vor dem Tod leidet. Das Leiden wirkt wie ein Symbol des Guten gegen das Böse. Eine mögliche Deutung ist, dass Gewalt ein annehmbares Mittel ist, um etwas zu verhindern oder zu rächen. Die Methode ist brutal und es kann so sein, dass das Märchen Brutalität einwebt, weil das die Rache deutlicher macht. Kein Mitleid wird für die Königin ausgedrückt und ihr Tod wird als unproblematisch dargestellt. Früh in der Geschichte wird verdeutlicht, dass die Königin die Böse ist und dass sie deshalb dieses Ende verdient. In diesem Märchen sind die Motive der Gewalt Neid und damit kommen die Gewalt und die sadistischen Beschreibungen, die kein Mitleid zeigen. 45 Rölleke. 1975. S. 253. 46 Rölleke. 1975. S. 259. 18(24)
7 Zusammenfassung In den drei untersuchten Märchen treten verschiedene Formen von Gewalt auf. Gewalt wird häufig in allen drei untersuchten Märchen dargestellt und viele Ähnlichkeiten treten auf. Dabei wird physische und psychische Gewalt verwendet, allerdings in verschiedenem Ausmaß. Die Kontexte, in denen Gewalt ausgedrückt werden, sind solche, wo die Motive der Antagonisten Konkurrenz, Missgunst, oder Neid sind. Die Antagonisten, die Hexe, die Stiefmutter und die Königin, sind mehr oder weniger von denselben Motiven getrieben, wie Konkurrenz und Rache, aber die Hexe in Hänsel und Gretel ist die Einzige, die die Hungersnot als ausgeprägtes Motiv hat. Körperliche Formen von Gewalt in den verschiedenen Märchen sind Morde, Mordversuche, Schütteln, selbstverletzendes Verhalten, Gefangenschaft, Kannibalismus und Folter. Gewalt wird als ein legitimes Mittel für Kinder und Erwachsene beschrieben, aber nur wenn sie von den „Guten“ benutzt wird. Das Interesse und die Faszination für den Gebrauch der Gewalt wird in den Märchen durch die Beschreibungen und die verwendeten Wörter deutlich. Die Gewalt funktioniert zudem als ein moralischer Kompass, um das „Böse“ und „Gute“ zu zeigen. Die psychische Gewalt, die in den Märchen vorkommt, wird sich durch diese Kategorien ausgedrückt: Standesunterschied, Zwang, Reduzierung von Menschen durch Spitznamen wie z.B. Hühnlein und durch Manipulation. Das Benutzen von Gewalt wird, sowohl von den Antagonisten als auch von den Protagonisten ausgeübt. Die Antagonisten sind jedoch diejenigen, die zuerst Gewalt ausüben. Die Gewalt der Protagonisten dient demzufolge nur als Reaktion, die dadurch legitimiert wird. Sie wird nur als ein Akt der Selbstverteidigung betrachtet. Gleich in allen sind die nachfolgende Reaktion, denn nach dem Benutzen von Gewalt zeigen die Täter keine moralischen Bedenken oder Mitleid, sondern Zufriedenheit, siehe zusammengefasst in Tabelle 1. Tabelle 1. Ausgeübte Gewalt von den Antagonisten der Märchen Gewalttypen: Hänsel und Schneewittchen Aschenputtel Gretel Isolation Die Hexe Die Stiefmutter Drohung / Zwang Die Hexe Die Stiefmutter Die Stiefmutter 19(24)
Angstmachen Die Hexe Schütteln Die Hexe Gefangenschaft Die Hexe Versuch zum Totschlag Die Mutter Anstiftung zum Mord Die Stiefmutter Folter Schneewittchen Der Prinz und der Prinz Versuch zum Mord Die Hexe Die Stiefmutter (Versuch zum Totschlag) Mord (Totschlag) Gretel Die Stiefmutter Schneewittchen und der Prinz Mit welchen Absichten Gewalt von den Märchenfiguren verwendet werden, wird deutlich durch verschiedene Motive gezeigt. Das Essen ist in Hänsel und Gretel eine Ursache zur Gewaltanwendung und in Schneewittchen ein symbolischer Ausdruck. Das lässt sich in Hänsel und Gretel historisch mit Hungersnöten und desperatem Verhalten verbinden, die zu Auslösern von Gewalt werden. Das Motiv Essen wird auch in Verbindung mit Kannibalismus gesetzt, und dieses Motiv wird nie von den Protagonisten benutzt, sondern nur von den Antagonisten. Gewalt wird mit verschiedenen sprachlichen Kontexten ausgedrückt. Das Essen als Motiv oder Ursache steht mit verschiedenen sprachlichen Kontexten in Verbindung, beispielsweise durch Tierparallelen in Hänsel und Gretel. In Schneewittchen treten diese Kontexte vor, wenn die Königin Schneewittchen durch Schönheitsideale zu manipulieren versucht. Schönheitsideale als ein sprachlicher Kontext werden auch in Aschenputtel beschrieben, wenn die Stiefmutter ihre Töchter überzeugt, ihre eigenen Körper zu schaden, um kleinere Füße zu haben und dadurch die Position als Königin zu bekommen. Eine andere Ursache der Gewalt ist die Konkurrenz. Sie wird in allen drei Märchen dargestellt. Die Hexe in Hänsel und Gretel übt Macht aus, um Hänsel zu essen, und die Macht ist eigentlich nicht ihr Ziel, sondern einen Weg für sie, Essen zu bekommen. Die Hexe besitzt Macht, weil sie erwachsen ist, und die Protagonisten werden als hilflos beschrieben, weil sie Kinder sind. Von Anfang an sind die Kräfteverhältnisse ungleich. In Schneewittchen und in Aschenputtel dient Macht als ein Mittel, um gesellschaftlichen Status zu bekommen. Die 20(24)
Königin in Schneewittchen will die Schönste des Reiches sein, und die Mutter und Stieftöchter in Aschenputtel wollten die Machtposition als Mutter einer Königin oder als Königin. Diese Ähnlichkeiten zeigen, dass Gewalt ein Weg für die Antagonisten der Märchen ist, Macht zu bekommen oder zu behalten. Das Benutzen der Gewalt von den Protagonisten funktioniert als Rache, Bestrafung oder als Symbole für das Gute. Diese Rache oder Strafe richtet sich auf die Antagonisten, die verantwortlich für ihre Handlungen sein müssen, damit das Ende der Geschichte glücklich wird. Gewaltanwendung passiert ohne Mitleid oder moralische Bedenken. Die Gewalt wird in diesen Fällen als ein legitimes Mittel angesehen und die Protagonisten besitzen deswegen ein begründetes Gewaltmonopol, obwohl die Methoden sehr grausam und brutal sind, wie Tabelle 2 zusammengefasst. Tabelle 2. Motive und Ursachen der Gewalt Einteilung laut der Märchenanalyse Motive: Hänsel und Gretel Schneewittchen Aschenputtel Neid und Missgunst Die Mutter Die Stiefmutter Die Stiefmutter Die Schwester Rache Die Hexe wird Die Stiefmutter und Die blutigen Füße der verbrannt die glühenden Schwestern Pantoffeln Die Mutter ist gestorben Der Tod der Stiefmutter Not Die Mutter Die Hexe Kannibalismus Die Hexe Die Stiefmutter Das Gute und Böse Hänsel/Gretel-die Schneewittchen-die Aschenputtel-die Hexe Stiefmutter Stiefmutter Der Vater-die Mutter Der Jäger-die Stiefmutter Eine Ähnlichkeit zwischen den Märchen ist der Sadismus, der sowohl für die Antagonisten als auch für die Protagonisten typisch ist, aber zeigt verschiedene Merkmale in den verschiedenen Situationen. Sadismus in Form von Freude am Leid anderer wird von den Antagonisten ausgedrückt, wenn eine Beschreibung einer gewaltsamen Handlung folgt, in der explizit erzählt wird, dass sie sich freuen, wenn jemand anders zu Schaden kommt. In den Situationen der Antagonisten ist Sadismus ein Symbol für das Böse und in den Situationen der Protagonisten ein Symbol einer gerechten Strafe. 21(24)
Die Gewaltdarstellungen unterscheiden sich ein bisschen in den Märchen. Aschenputtel wird keiner körperlicher Gewalt ausgesetzt so wie bei Hänsel und Gretel oder Schneewittchen der Fall ist. In Aschenputtel sind anderseits die Stiefschwestern diejenigen, die unter physischer Gewalt leiden müssen. Kannibalismus figuriert auch nicht als ein Thema in Aschenputtel, jedoch in Schneewittchen und in Hänsel und Gretel. Trotzdem leidet Aschenputtel unter psychischer Gewalt, weil sie ihr ganzes Leben schikaniert wird. Gewalt fasziniert und in diesen alten Märchen wird sie, wie die Analysen aufzeigen konnten, nicht nur als etwas Schlechtes gesehen. Sie ist auch als ein Mittel der Verteidigung und sie ist ein legitimes Mittel der frommen Menschen, die sich für gute Moral einsetzen und „das Böse“ bekämpfen wollen. Gewalt wird an verschiedene Figuren geknüpft und je nach Motivlage wird deutlich, welche die Angreifer und die Verteidiger sind. Diese Untersuchung macht keinen Vergleich mit neueren Versionen der Grimms Märchen und für weitere Forschung wäre das ein Thema, das die Veränderungen und Einstellungen zur Gewalt erklären kann. 22(24)
Referenzen Gedruckte Quellen Beck Koloma, Teresa, Schlichte Klaus. Theorien der Gewalt zur Einführung. 3 Aufl. Hamburg: Junius Verlag, Bockemühl, Almut. Verstoßen, verschlungen, erschlagen. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben, 2008. Bottigheimer B., Ruth. Fairy Tales. Albany: State University of New York Press, 2009. Egger, Victoria Elisabeth. Von der Todsünde zur Tugend: Wie gutartiger und bösartiger Neid unsere Doppelmoral beeinflussen. Graz: Karl-Franzens-Universität, 2016. Dieter, Frey. Psychologie der Märchen. Heidelberg: Springer Verlag, 2017. E-buch. Mallet, Carl-Heinz. Kopf ab!. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1990. Rölleke, Heinz. Die Märchen der Brüder Grimm. 6. Aufl. Stuttgart: Reclams Universal- Bibliothek, 2019. Rölleke, Heinz. Die älteste Märchensammlung der Brüder Grimm. Köln-Genf: Foundation Martin Bodmer Cologny-Geneve, 1975. Prinz, Kerstin, Seipel Claudio, Böttcher Ina, Richter Jeannine & Parisi Paolo. Es war einmal…Grausamkeit und Gewalt in Märchen. Norderstedt: Books on Demand, 2013. Pöge-Alder, Kathrin. Märchenforschung. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 2007. Pöge-Alder, Kathrin. Märchen als mündlich tradierte Erzählungen des Volkes? Frankfurt am Main: Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, 1994. 23(24)
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