Neu aufgetretener Morbus Addison und gleichzeitige COVID-19-Infektion - Was tun?

 
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Neu aufgetretener Morbus Addison und gleichzeitige COVID-19-Infektion - Was tun?
34   Erfahrungsberichte

     Neu aufgetretener Morbus Addison und
     gleichzeitige COVID-19-Infektion – Was tun?
     Ein Erfahrungsbericht (1. Teil von Prof. Dr. I. A. Harsch)

     Man kann den Eindruck bekom-
     men, dass sich 2021 in der Medi-
     zin fast alles nur um “Corona“ dreht.
     Das ändert aber nichts daran, dass
     es auch die “alten“ Krankheiten
     noch gibt. Ungewohnte Probleme
     können entstehen, wenn beides
     gemeinsam auftritt:

     Mitte Januar 2021 werden bei einer
     52-jährigen Patientin zeitgleich
     eine primäre Nebenniereninsuffi-
     zienz (Morbus Addison) und eine
     Corona-Virus-Infektion (COVID-19)
     diagnostiziert. Im Vorfeld bestanden
     Diarrhoen (Durchfälle).

     Die Fähigkeit des COVID-19, die
     Nebenniere in so relevantem Aus-
     maß zu zerstören, dass fast zeit-            Abb. 1: Bild der Patientin. Die Bräunung der Haut fällt besonders im Stirnbereich auf.

     gleich eine Addison-Krise auftritt,
     hätte sicherlich für enorme Aufre-
     gung in der Fachwelt gesorgt. Hier          Natrium (127 mmol/l; Norm: 136                  Insofern lässt sich spekulieren, dass
     ergab aber die genauere Erhebung            bis 145) und das erhöhte Kalium                 die COVID-19-Infektion, die schon
     der medizinischen Vorgeschichte,            (5,91 mmol/l; Norm: 3,5 bis 5,1)                länger latent vorhandene Neben-
     dass der Prozess wohl doch schon            sowie ein niedriger Blutdruck und               niereninsuffizienz “zum Kippen“
     eine Weile länger besteht. Die              die typische Bräunung der Haut                  brachte (allerdings kann auch die
     Pa­tientin berichtet, dass sie seit 2 bis   auch an nicht der Sonne ausgesetz-              Addison-Krise per se zu Diarrhoen
     3 Jahren bemerkt, dass die Haut             ten Bereichen auf.                              führen).
     auch an nicht dem Sonnenlicht
     ausgesetzten Stellen schnell bräunt.        Die PCR-Testung auf COVID-19                    Nach Stabilisierung des Allgemein-
     Ein Leistungsknick besteht seit dem         erfolgt inzwischen in unserer ­Klinik           zustandes durch Flüssigkeitsgaben
     Herbst 2020. In der letzten Zeit ist        routinemäßig und war positiv. Zei-              und Hydrocortison als Kurzinfusion
     auch eine Gewichtsabnahme von               chen eines Infektes der oberen                  stellte sich die Frage, wie es denn
     5 kg zu konstatieren gewesen. Im            Luftwege oder gar eine Lungen-                  nun hinsichtlich Feineinstellung der
     Dezember wurde eine Autoimmun-              entzündung bestanden zunächst                   Hormon-Ersatztherapie und Bera-
     thyreoiditis Hashimoto diagnostiziert       nicht. Die einleitend beschriebenen             tung bzw. Schulung der Patientin
     und mit Thyroxin behandelt. Damit           Diarrhoen könnten allerdings durch              bei weiterhin gegebener Infektio­
     muss eigentlich korrekterweise von          die COVID-19-Infektion ausgelöst                sität weitergehen soll.
     einem polyendokrinen Autoimmun-             worden sein. Ein Nachweis dieser
     syndrom Typ II oder auch Schmidt-           Keime ist aktuell bei Stuhlunter­               In der Praxis hatte die Patientin
     Syndrom gesprochen werden.                  suchungen noch nicht etabliert. Die             aber Glück im Unglück. Unsere
                                                 „üblichen Verdächtigen“ solcher Pro-            ­Klinik (insgesamt 618 Betten) verfügt
     Bei der Aufnahme fiel im Labor              bleme, wie Rotaviren, Salmonellen                aus der Not heraus über mehrere
     das t ypischer weise erniedrigte            etc. wurden nicht nachgewiesen.                  Stationen für COVID-19-Erkrankte,

     n n n GLANDULA 52/21                                                             Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen e. V.
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darunter auch die ehemals vor                    ten, dass die regional hohe Fallzahl    (Grundwerte, das heißt nicht im
allem für endokrinologische und                  für COVID-19-Erkrankte schlagartig      Rahmen eines endokrinologischen
diabetologische Krankheitsbilder                 zurückgehen würde und man die           Funktionstests gewonnene Werte)
zuständige. Mitte Januar 2021                    Schulung und Beratung auf “bes-         für Cortisol (nieder) und ACTH
hielt der Landkreis Saalfeld-Rudol-              sere Zeiten“ vertagen könnte. Diese     (massiv erhöht) die Diagnose bestä-
stadt den traurigen Rekord mit der               erwies sich dann mit viel gutem         tigten. Auf den eigentlich üblichen
höchsten 7-Tage-Inzidenzrate von                 Willen und mancherlei Improvisa-        ACTH-Test verzichteten wir. Auch
COVID-19 in ganz Deutschland                     tion auch als möglich, wie Andrea       die üblichen Hygienemaßnahmen
(z. B. 14. Januar: 601,8). Damit war             Ortloff (Endokrinologie-Assistentin     garantieren keinen 100-%-Schutz
das medizinische Personal “sturmer-              DGE) im 2. Teil berichten wird.         vor der Infektion, weshalb die Kon-
probt“ und mit den erforderlichen                Der Vollständigkeit halber sei noch     takthäufigkeit auch auf das Not-
Hygienemaßnahmen bestens ver-                    erwähnt, dass die wie immer erst        wendigste beschränkt werden sollte.
traut. Es war auch nicht zu erwar-               verspätet vorliegenden Basalwerte

Teil 2 von Andrea Ortloff (Endokrinologie-Assistentin DGE)
Mit der Aufnahme unseres ersten                  Umkleiden einplanen, wenn z. B.
COVID-19-Patienten am 29.2.2020                  Blutentnahmen termingerecht erfol-
wurden die Durchführung endokrino-               gen sollten. Das Arbeiten mit FFP2-
logischer Funktionsdiagnostik, Schu-             Maske, Gesichtsschutz und nicht
lungen und Beratungen unter statio­              atmungsaktiven Kitteln ist beschwer-
nären Bedingungen auf eine harte                 lich und erfordert, bei zum Teil ein-
Probe gestellt. Quasi über Nacht                 geschränktem Gesichtsfeld, erhöhte
wurde unsere Station für Endokrino-              Konzentration. In Mehrbettzimmern
logie und Diabeto­logie (24 Betten)              habe ich zudem zusätzlich pflege-
zur Isolationsstation umfunktioniert.            rische Tätigkeiten durchgeführt, um
Die Patientinnen und Patienten sind              unser Pflegepersonal zu entlasten
in die ambulante Weiterbetreuung                 und Schutzkleidung zu sparen, wel-
entlassen worden oder mussten in                 che ja zumindest am Anfang der
fachfremde Abteilungen verlegt wer-              Pandemie schnell knapp wurde.
den. Sprechstundentermine mussten
verlegt bzw. ganz abgesagt wer-                  Für Schulungen, z. B. zur Dosisan-
den. Unser Schulungsraum stand,                  passung von Hydrocortison, habe
aufgrund einzuhaltender Abstände                 ich meine Flipchart-Präsentation
nur noch eingeschränkt zur Ver-                  fotografiert und ausgedruckt, so
fügung. Das eingespielte Team,                   konnte ich diese mit in die Zim-
welches bisher mit der Behandlung                mer nehmen. Auch Telefonate und
endokrino­logischer Krankheitsbilder             Videoschulungen waren möglich
                                                                                          Abb. 2: Schulung in Coronazeiten
vertraut war, musste jetzt COVID-19-             und wurden von den Betroffenen
Pa­tienten versorgen. Die Umsetzung              dankbar angenommen. Die erfor-
verschärfter Hygienerichtlinien und              derliche Umfelddiagnostik, z. B.        Arbeitsalltag noch nicht absehbar
das Arbeiten im Vollschutz bestimm-              Knochendichtemessung oder Ultra-        ist und es aktuell noch an persön-
ten von nun an unseren Arbeitsall-               schalluntersuchungen, ist durch-        licher Nähe fehlt, kann ich doch
tag. In anderen Abteilungen gestal-              geführt worden, wenn im Verlauf         ein positives Fazit ziehen. Trotz aller
tete sich die Zusammenarbeit aber                die PCR (Rachenabstrich u. a. zum       Widrigkeiten war und ist es uns
durchaus als konstruktiv und bei                 Nachweis von Coronaviren) wieder        möglich unsere Patientinnen und
der einen oder anderen Pflege-                   negativ war bzw. wurde auf Ter-         Patienten professionell zu versorgen
kraft wurde auch neues Interesse                 mine nach dem Krankenhausauf-           und in einem stabilen Gesundheits-
geweckt.                                         enthalt verschoben.                     zustand in die ambulante Weiterbe-
                                                                                         treuung zu entlassen.
Einige Patientinnen und Patienten                Wir leben und arbeiten nun bereits
wurden dennoch bei uns versorgt.                 seit über einem Jahr in der Pan-        Zum Schluss noch eine schöne
Ich musste zusätzliche Zeit für das              demie. Auch wenn ein normaler           Anekdote, die uns noch lange

E-Mail: netzwerk@glandula-online.de · www.glandula-online.de                                                 GLANDULA 52/21 n n n
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     in Erinnerung bleiben wird. Die        Namen „Addison“ getauft. Unserer            Glossar:
     zuvor von Prof. Dr. Harsch vor-        Patientin geht es mittlerweile deut-
     gestellte Pa­ t ientin mit primärer    lich besser, die frühere Leistungsfä-       PCR: Polymerase Chain Reaction –
                                                                                        „Goldstandard“ zur Erfassung von
     Neben­n ierenrinden-Insuffizienz       higkeit ist fast vollständig wiederher-     Material des Corona-Virus, wird
     sah während ihres stationären          gestellt und wir freuen uns mit ihr,        durch Schleimhautabstrich gewon-
     Aufenthaltes eine Dokumentation        wenn sie „ihr“ Zebra endlich besu-          nen.
     über den Tierpark in Delitzsch. Dort   chen darf.                                  7-Tage-Inzidenz: Ist eine Grund-
     hatte im Herbst 2020 ein junger                                                    lage für die Einschätzung der Ent-
                                                                                        wicklung der Pandemie. Der Wert
     Zebrahengst aus Rheine ein neues                                                   bildet die Fälle pro 100.000 Ein-
     Zuhause gefunden. Bisher hatte                                                     wohner in den letzten 7 Tagen ab.
     er noch keinen Namen, da für ihn                                                   COVID-19: Corona Virus Disease;
     noch keine Patenschaft übernom-                                                    die Zahl 19 steht für das Jahr 2019,
     men wurde. Aufgrund fehlender                                                      als das Virus zum ersten Mal auftrat.
     Besucher wurde dann ein TV- Aufruf                                                 ACTH: Adrenocorticotropes Hormon
     gestartet. Unsere Patientin meldete                                                ist das von der Hypophyse abge-
     sich darauf und berichtete von ihrer                                               gebene Hormon, das die Corticoid-
                                                                                        Abgabe durch die Nebennieren
     Krankheitsgeschichte. Das tempera-
                                                                                        steuert.
     mentvolle Tier wurde nun auf den

        Neue Foren-Rubrik "COVID-19/Corona-Pandemie"

        Mitglieder finden in unserem Forum (siehe forum.glandula-online.de) inzwischen auch eine Rubrik zum
        Thema "COVID-19/Corona-Pandemie" - enthalten in der Überrubrik "Alles Weitere rund um das Thema
        Gesundheit".
        Allgemeine Informationen zum Forum lesen Sie unserem geschützten Mitgliederbereich.

     n n n GLANDULA 52/21                                                   Netzwerk Hypophysen- und Nebennierenerkrankungen e. V.
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