Protheseninfektionen Der diagnostische Aspekt - Dr. Julia Ebner Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin - infektiologie.co.at
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Protheseninfektionen Der diagnostische Aspekt Dr. Julia Ebner Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin Ordensklinikum Linz Elisabethinen
Epidemiologie – Risiko nach Hüft-/ Knie-TEP 0,5-2%, höher bei Schulter- und Ellbogenprothesen 3-4% (Beobachtungszeit 2 Jahre nach Implantation) o Höheres Risiko (Faktor 10) bei Revisionsprothesen – 60-70% aller Infektionen treten innerhalb der ersten beiden Jahre nach Implantation auf – Im Jahr 2009 in den USA Kosten durch Protheseninfektionen: 566 Millionen Dollar (nur direkte Kosten), für 2020 Anstieg auf 1,62 Milliarden Dollar geschätzt Kurtz et al. J. Arthroplasty, 2012
Infektionswege – Erregerinokulation im Rahmen der Operation o Nur sehr geringe Infektionsdosis zur Etablierung eines Biofilms notwendig • Tierexperimentell 102 colony forming units (CFU) S. aureus ausreichend – Kontinuierliche Ausbreitung einer Infektion angrenzender Gewebe o Direkt postoperativ ausgehend von oberflächlichen Wundinfektionen o Im Verlauf nach Trauma oder Operation o Schädigung des umgebenden Weichteilmantels – Hämatogene Infektion im Rahmen von Bakteriämien o S. aureus-Bakteriämie: bis zu 40% Risiko von Protheseninfektion o Andere Erreger: orale Streptokokken, Enterokokken, Enterobakterien
Klinik und Erregerspektrum Early onset Delayed onset Late onset < 3 Monate nach > 3 Monate > 12 Monate Operation < 12 Monate Intraoperative Intraoperative Hämatogen, selten Kontamination Kontamination intraoperativ Zeichen akuter Anhaltende Plötzlich akute Infektion (Rötung, Schmerzen, frühe Symptome od. Schwellung, Prothesenlockerung subaktuer Verlauf je Schmerz, nach Erreger Wundheilungsstörun g) S. aureus, aerobe Propionibacterium S. aureus, betahäm. gramnegative spp., KNS, Streptokokken, Erreger Enterokokken Enterobakterien, P. acnes
Seltene Erreger – Candida spp. – Mycobacterium tuberculosis o Im Rahmen einer pulmonalen Infektion oder als Erstmanifestation – Atypische Mykobakterien: M. fortuitum, M. chelonae, M. smegmatis, M. abscessus – Coxiella burnetii o Kulturell nicht nachweisbar – Brucella spp. o v.a. in Endemiegebieten (in Europa Türkei, Griechenland, Balkanländer)
Klinischer Verdacht auf Protheseninfektion • Anhaltende Sekretion im Bereich des Operationsgebiets bzw. Fistelbildung • Akut schmerzhafte Prothese • Chronischer Schmerz im Bereich der Prothese, v.a. bei fehlendem schmerzfreien Intervall nach Implantation • Z.n. oberflächlicher oder tiefer Wundinfektion oder Wundheilungsstörung postoperativ • Frühe Prothesenlockerung
Präoperative Evaluierung – Anamnese (inkl. mikrobiologischer Vorbefunde und antimikrobieller Vortherapie) und klinische Untersuchung – Bestimmung von CRP und BSG – Gelenkspunktion, wenn Protheseninfektion nicht schon klinisch eindeutig vorliegt o Leukozytenzahl, Neutrophilenanteil, bakteriologische Kultur o Bei klinisch stabilen Patienten nach Möglichkeit Punktion nach antibiotikafreiem Intervall von 2 Wochen – Abnahme von Blutkulturen bei abrupt einsetzender Symptomatik, Fieber, Hinweis auf systemische Infektion – Konventionelles Röntgen IDSA Guideline PJI 2013
Entzündungsmarker im Serum – Leukozytenzahl – Blutsenkungsgeschwindigkeit – C-reaktives Protein – Procalcitonin (PCT) o Problematische Interpretation postoperativ, bei Patienten mit Erkrankungen des rheumatoiden Formenkreises (CRP u. BSG) o Normale Entzündungsparameter schließen (insbesondere low grade) Protheseninfektion keinesfalls aus!
Schnelltests aus Synovialflüssigkeit – Leukozytenesterase – ⍺- und β-Defensin o Colorimetrischer Streifentest, o z.B. lateral flow device je nach Studie Sensitivitäten von 65- als POCT 85%, Spezifität 80-100% o PPV 78%, NPV 98% o In MSIS Consensus Statement als (Berger et al., Bone Joint J 2017) Alternative zu Zellzahl angeführt o Für stark blutige Proben ungeeignet Zentrifugieren verbessert Spezifität
Zellzahl in Synovialflüssigkeit – KTEP: ≥1700 Leukozyten/μL, ≥65% Neutrophile – HTEP: ≥ 4200 Leukozyten/μL, ≥80% Neutrophile – Zellzahl nicht verwertbar innerhalb der ersten 6 Wochen nach Implantation und bei chronisch entzündlichen Gelenkserkrankungen – Andere Parameter wie Glucose, Lactat oder CRP bringen keinen diagnostischen Mehrwert Corvec et al., Int J Artif Organs 2012
Entzündungsreaktion im Gewebe – Untersuchung der periprothetischen Membran – Abriebinduzierter Typ I – Infektiöser Typ II – Abriebinduzierter und infektiöser Typ III (Mischtyp) – Indifferenter Typ IV (nichtabriebinduziert, nichtinfektiös) – >5 Neutrophile pro High Power Field (HPF) in 5 HPFs bei 400-facher Vergrößerung Morawietz et al., Pathologe 2004
– Infektiöser Typ mit Granulationsgewebe aus Kapillarproliferaten (Pfeilspitzen), Fibroblasten und neutrophilen Granulozyten (Pfeile) Morawietz et al., Pathologe 2004
MSIS/IDSA Kriterien – A sinus tract communicates with the prosthesis OR – A pathogen is identified on culture of ≥2 separate samples of periprosthetic tissue or fluid (IDSA: virulent pathogen recovered from ≥1 sample) OR – 4 of the 6 criteria below are present: o Serum ESR and serum CRP concentration are elevated. o Synovial WBC count is elevated or leucocyte esterase is ++ (MSIS). o Synovial neutrophil percentage is elevated. o Purulence is found in the involved joint. o A microorganism is isolated in 1 periprosthetic tissue or fluid culture. o >5 neutrophils per HPF in 5 HPFs are detected on histological analysis of periprosthetic tissue at 400× magnification.
Diagnostische Herausforderungen für die Mikrobiologie – Biofilme – Small Colony Variants
Biofilmbildung – Biofilmbildung schützt Erreger vor Umwelteinflüssen (antimikrobielle Substanzen) und Immunantwort des Wirts (Opsonisierung, Phagozytose etc.) – Planktonische Bakterien haften an Prothesenoberfläche an, einzelne Zellen bilden Zellaggregate = Mikrokolonien – Angeheftete Erreger bilden extrazelluläre Polymere – Freisetzung von Signalmolekülen kann veränderte Genexpression der Bakterienzellen induzieren -> quorum sensing. Jensen et al.: APMIS 2017 Jan; 125(1): 38–45.
Small Colony Variants Subpopulationen von v.a. Staphylococcus spp., Enterococcus spp., Pseudomonas aeruginosa • Reduzierte Teilungsraten • Atypische Zellmorphologie • Veränderte Pigmentbildung • Geringere Stoffwechselleistung Problem in der phänotypischen Resistenztestung, Identifizierung durch biochemische Reaktionen erschwert
E. faecalis Wildtyp und SCV Wellinghausen, JCM 2009
Konventionelle mikrobiologische Diagnostik – kultureller Nachweis – Prothese bzw. sonstiges explantiertes Material – 3 – 6 Gewebeproben o Je geringgradiger makroskopisch die Entzündung desto mehr Gewebeproben o In getrennten Gefäßen einsenden o Austrocknen von Gewebeproben unbedingt vermeiden! – keine intraoperativen Abstriche – Abstriche aus Fistelgängen, oberflächlichen Wunden etc. wenig geeignet -> hohe Kontaminationsrate – Inokulation von Synovialflüssigkeit in Blutkulturflaschen möglich, nicht als alleinige Diagnostik – Schnellstmöglicher Transport ins Labor, ggf. nach Vorankündigung – Bei V.a. Mykobakterien Information an das Labor MiQ 18 (2014)
Homogenisierung von Gewebeproben Beadmill processing Homogenisierung mit Metall- oder Glaskügelchen In Studien vergleichbare Sensitivität und Kontaminationsrate wie Sonikation von Prothesen Auch für nicht prothesenassoziierte Infektionen geeignet www.ika.com/laboratory-equipment/products/dispersers/products/1810/ultra-turrax-tube-drive-control
Sonikation Vorbehandlung von Implantatmaterial mittels niederfrequenten Ultraschalls (20-120kHz) Bakterien werden nicht abgetötet sondern mittels Mikroströmungen, Scherkräften und oszillierenden Kavitationsblasen von der Implantatoberfläche abgelöst. Semiquantitativ nachweisbare Bakterienmenge um ein vielfaches vergrößert, insbesondere bei vorangegangener Antibiotikatherapie signifikante Steigerung der Sensitivität Trampuz et al. NEJM 2007
Probeneingang in sterilem Gefäß Direkt nach Entnahme Überführen des Implantats in sterilen luftdicht verschließbaren, explizit für die Ultraschallbehandlung geeigneten Behälter Austrocknen vermeiden
Vorbereitung Im Labor Auffüllen des Probengefäßes mit sterilem NaCl 0,9% (oder steriler Ringerlösung)
Vorbereitung 30 Sekunden kräftiges Schütteln
Sonikation Einbringen des Gefäßes in Ultraschallbad (enthält entsalztes Wasser), 60 Sekunden Beschallung bei 40 kHz Gefäß muss dicht verschlossen sein, Gefahr der Kontamination mit Nasskeimen
Anlage Aufbringen von 100 µl Sonikat auf Universal- und Idealmedium, gleichmäßig verspateln Inokulation von Flüssigmedien mit zentrifugiertem Sonikat zur Anreicherung
Gegenüberstellung Sonikat - Gelenksbiopsie Ergebnis nach 24 Stunden Bebrütung Zusätzliche Gewinnung von Gewebeproben erhöht Sensitivität und Spezifität, bis zu 6 Proben sinnvoll
Befunddauer – Beimpfung von aeroben Festmedien o 72h Bebrütung – Beimpfung von anaeroben Festmedien o 120h Bebrütung – Beimpfung von Flüssignährmedien o 9 Tage Bebrütung, Subkultur und weitere 5 Tage Bebrütung Dauer bis zum Endbefund mindestens 14 Tage MiQ 18 (2014)
Multiplex-PCR aus Primärmaterial oder Anreicherung – Definiertes Primerset für die häufigsten Erreger von Protheseninfektionen o CAVE: seltene Erreger eventuell nicht erfasst, Abdeckung muss bekannt sein – Reihe von Resistenzgenen (z.B. mecA/mecC für Oxacillinresistenz bei Staphylokokken) miterfasst – Kurze turn around time (wenige Stunden), einfach zu bedienen – Sensitivität in Multicenterstudie deutlich geringer als optimierte Kultur (58% Übereinstimmung bei pos. Kultur), v.a. bei niedriger Keimlast – Höhere Sensitivität v.a. bei antibiotisch vorbehandelten Patienten o Methode nicht von lebensfähigen Mikroorganismen abhängig Malandain et. al, CMI 2017
MALDI-TOF aus Flüssigkultur – Massenspektrometrische Identifizierung von Erregern o In vielen Labors Standardmethode zur Identifizierung von auf Festmedien kultivierten Kolonien o bislang Direktnachweis aus Flüssigmedien nur aus BK – Einbringen von Material in Brain Heart Infusion (BHI) oder Thioglykolatbouillon – Trübung als Wachstumsindikator – Sonikation und Zentrifugation erhöht die Genauigkeit – Nur Speziesbestimmung möglich, keine Keimzahl, bislang keine Aussage über Resistenzverhalten Oviaño et. al. CMI 2017
Ansatz zur nichtivasiven Diagnostik – Serologischer Nachweis von IgG-Antikörpern gegen häufige Erreger von Protheseninfektionen o Multiplex Assay mit rekombinanten Antigenen von S. aureus/epidermidis/lugdunensis, Streptococcus agalactiae, Propionibacterium acnes o Je nach Erreger Sensitivitäten von 66 (P. acnes) bis 75% (S. agalctiae) Marmor et al., JCM 2016 o Unterstützend bei unklaren mikrobiologischen Befunden? o Bislang nicht kommerziell erhältlich, CE-Zertifizierung laufend (BJI Inoplex®)
Zusammenfassung – Diagnose kann nur in Zusammenschau aller Befunde gestellt werden – Problematische Interpretation einzelner positiver Kulturbefunde, insbesondere bei Nachweis niedrigpathogener Erreger – Molekularbiologische Verfahren steigern Nachweisrate v.a. bei antibiotisch vorbehandelten Patienten, nicht als alleinige Detektionsmethode geeignet – Nichtinvasive Diagnoseverfahren bislang nicht verfügbar – Richtige Präanalytik ist essentiell für einen aussagekräftigen mikrobiologischen Befund
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