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Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement New methods for flood risk management Von G. B l ö s c h l , Z. H o r v á t h , A. K i s s , J. K o m m a , T. N e s t e r, R. A. P. P e r d i g ã o , A. V i g l i o n e und J. Wa s e r, Wien Mit 16 Abbildungen und 2 Tabellen Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Dipl.-Ing. Mag. Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Günter B l ö s c h l Zsolt H o r v á t h Dr. Andrea K i s s Dr. Jürgen K o m m a Dr. Thomas N e s t e r Mag. Dipl.-Ing. Dipl.-Ing. Dr. Rui A. P. P e r d i g ã o , DSc Dr. Alberto V i g l i o n e Dr. Jürgen Wa s e r Kurzfassung management measures. Appropriate methods are needed to assist in the implementation of these measures. This paper Der Umgang mit Hochwässern erfuhr in den letzten Jahren eine reviews new methodological developments on the following Weiterentwicklung von einer Konzentration auf einzelne Schutz- themes: hazard mapping, large scale interactions of floods, re- bauwerke zu einer integralen Betrachtung des gesamten Fluss- sidual risk (flood prevention); retaining water in the landscape, gebietes und unterschiedlicher Maßnahmen im Rahmen des linear protection measures, flood retention (flood mitigation); Hochwasserrisikomanagements. Für die Umsetzung dieser Maß- public participation, outreach and education (awareness); flood nahmen sind geeignete Methoden erforderlich. Die vorliegende warning, emergency plans (preparation); assessment of flood Arbeit gibt einen Überblick über die neuen methodischen Ent- damage, event documentation (recovery). The new methods are wicklungen zu den folgenden Maßnahmenthematiken: Gefahren- intended to contribute to even more reliable and more efficient zonenplanung, überregionales Zusammenwirken von Hochwäs- management of flood risks. sern, Restrisiko (Hochwasservorsorge); Flächenrückhalt, lineare Schutzmaßnahmen, Hochwasserretention (Hochwasserschutz); 1. Viele Hochwässer in jüngster Zeit Bürgerbeteiligung, Öffentlichkeitsarbeit und Bildung (Bewusst- seinsbildung); Hochwasserwarnung, Katastrophenschutzpläne Österreich hatte in den letzten Jahren viele große Hochwasser- (Vorbereitung); Beurteilung von Hochwasserschäden, Ereig- katastrophen zu erleiden. Das Donauhochwasser im Juni 2013 nisdokumentation (Nachsorge). Die neuen Methoden sollen zu richtete erheblichen Schaden an. Bei Passau war das Hoch- einem noch zuverlässigeren und effizienteren Management von wasser fast so hoch wie das größte bekannte Ereignis der Ge- Hochwasserrisiken beitragen. schichte im August 1501, Oberösterreich erlitt massive Über- schwemmungen (Abb. 1), und in Wien betrug der Durchfluss Abstract 11000 m³/s, der Größtwert seit Beginn der Durchflussmessun- gen im Jahr 1828 (B l ö s c h l et al., 2013a). Dieses Extremhoch- Flood risk management has recently evolved from a focus on wasser ist jedoch kein Einzelfall in der jüngsten Zeit, denn meh- individual flood protection structures to a more integrated rere – meist räumlich stärker beschränkte – Ereignisse waren approach at the river basin scale that considers a diversity of seitdem zu verzeichnen, wie im Mai 2014 in Niederösterreich, Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015 1
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement Abb. 1: Hochwasser 2013 in Oberösterreich. Fotos: Bundesheer/K e r m e r. Fig. 1: 2013 flood in Upper Austria. Photos: Bundesheer/ K e r m e r. im Juli 2014 im Pinzgau und im Juni 2015 im Bezirk Landeck, – Gefahren- und Risikokarten, die aus Überflutungsflächen oder kurz zuvor im November 2012 im Süden Kärntens. Auch (und -tiefen) für kleine, mittlere und extreme Hochwässer international waren die letzten Jahre äußerst hochwasserreich. sowie den Nutzungen bestehen; 2011 traten Flutkatastrophen in Australien, am Mississippi und – Risikomanagementpläne, die die existierenden und geplan- in Thailand auf; 2012 und 2013 in Großbritannien; 2014 am Bal- ten Maßnahmen für Flussgebiete ausweisen. kan und in Pakistan; und 2015 in Südostafrika, in Assam/Indien und an der Côte d‘Azur, um nur einige der extremsten Ereignisse Die Richtlinie sieht einen Konsultationsprozess mit Bürger- zu nennen. beteiligung vor, sowie eine Aktualisierung aller Unterlagen in Gegen den Hintergrund dieser Ereignisse, kommt dem Bau- regelmäßigen Abständen. Die nationale Umsetzung erfolgte ingenieurwesen die verantwortungsvolle und aktuelle Aufgabe in Österreich im Wasserrechtsgesetz. So heißt es im § 55 bei- zu, Lösungen für den Umgang mit den Hochwässern zu ent- spielsweise: „§ 55l. (1) Der Bundesminister für Land- und Forst- wickeln und mitumzusetzen. wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hat mit Verordnung auf der Grundlage der gemäß § 55k erstellten Hochwassergefah- 2. Die EU Hochwasserrichtlinie und Hochwasserrisiko- renkarten und Hochwasserrisikokarten auf der Ebene der Fluss- management gebietseinheiten für die Gebiete mit potenziellem signifikantem Der Umgang mit Hochwässern war in den letzten Jahren einem Hochwasserrisiko (§ 55j) bis zum 22. Dezember 2015 koordi- deutlichen Wandel unterworfen, der durch die vielen jüngsten nierte Hochwasserrisikomanagementpläne zu erstellen und zu Hochwässer mitbestimmt war. Während in der Vergangenheit veröffentlichen.“ Der Konsultationsprozess ist etwa in BMLFUW oft Einzelmaßnahmen im Zentrum des Interesses waren, ist die (2015) dargestellt. Ähnliche Vorgangsweisen gibt es in anderen Betonung jetzt auf der Kombination vieler verschiedener Maß- EU-Ländern bzw. Verwaltungseinheiten, z.B. in Bayern und Ba- nahmen, die je nach Situation unterschiedlich gewichtet wer- den-Württemberg (StMUV, 2014; UMBW, 2014). den, sowie auf der Betrachtung des gesamten Flussgebietes Die Maßnahmen der Risikomanagementpläne folgen dem Hoch- mit Ober- und Unterliegern. Dementsprechend ist im Vokabular wasserrisiko-Kreislauf. Die Idee ist dabei, nicht ein einzelnes der Begriff „Hochwasserschutz“ dem aktuelleren Begriff des Hochwasserereignis zu betrachten, sondern eine Abfolge von „integrierten Hochwasserrisikomanagements“ gewichen. Die- Ereignissen nach dem Grundsatz „nach dem Hochwasser ist se neue Sichtweise hat sich auch in der rechtlichen Situation vor dem Hochwasser“. Je nach Konzeptualisierung kann der niedergeschlagen. 2007 erschien die EU Hochwasserrisiko- Hochwasserrisiko-Kreislauf mit verschiedenen Elementen dar- management-Richtlinie (EU, 2007). Diese Richtlinie schafft gestellt werden. BMLFUW (2015) folgend zeigt Abb. 2 typische europaweit einen Rahmen für den Umgang mit Hochwasser- Elemente, bestehend aus Vorsorge, Schutz, Bewusstseins- risiken. Die Zielsetzung ist die Verringerung der Auswirkung von bildung, Vorbereitung und Nachsorge. Hochwässern auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Jedes der Elemente umfasst verschiedene Maßnahmen. Die Kulturerbe und die wirtschaftlichen Tätigkeiten. Der grundsätz- Vorsorge, beispielsweise, umfasst die Gefahrenzonenplanung, liche Ansatz sieht eine integrierte Sichtweise vor mit Betrach- regionale Planungen unter Berücksichtigung des räumlichen tung des gesamten Einzugsgebietes und Einsatz verschiedener Zusammenwirkens von Hochwässern, und den Umgang mit Maßnahmen, wobei dem Hochwasserrückhalt eine besonders dem Restrisiko. Abb. 2 zeigt typische Maßnahmen für jedes der wichtige Bedeutung zukommt. Konkret sieht die Richtlinie drei Elemente des Risikokreislaufes. Schritte bei der Umsetzung vor: Um diese Maßnahmen umzusetzen, sind geeignete Methoden – Vorläufige Risikobewertung, bei der Gebiete mit potentiellem erforderlich. Manche dieser Methoden wurden erst vor kurzem Hochwasserrisiko ausgewiesen werden; entwickelt bzw. sind derzeit in Entwicklung. Ziel dieses Artikels 2 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement ist es, die neuesten Methoden vorzustellen, die den Anforderun- gen gerecht werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über typische Maßnahmen und jeweils dazu geeignete neue Methoden. Die vorliegende Arbeit ordnet die Methoden im Rahmen der Hoch- wasserrisikomanagementpläne ein und zeigt ihre Stärken und Grenzen auf. Die Methoden sind entsprechend den Maßnahmen der Elemente des Risikokreislaufes unter die Kapitel Vorsorge, Schutz, Bewusstseinsbildung, Vorbereitung und Nachsorge ge- gliedert. 3. Vorsorge 3.1. G efahrenzonenplanung – Schnelle 2D-Simulationen Während in der Vergangenheit die Gefahrenzonenplanung vor allem von beobachteten Hochwasserereignissen ausging, besteht heute die Vorgangsweise daraus, mit Hilfe hydrody- namischer Modelle die hochwassergefährdeten Flächen aus- zuweisen. Dafür werden meist zweidimensionale (2D) Simula- tionsmodelle herangezogen. Diese werden auf Basis digitaler Abb. 2: Kreislauf des Hochwasserrisikomanagements. Geländemodelle, der Geländerauigkeit und den entsprechenden Fig. 2: Flood risk management cycle. hydrologischen Randbedingungen (Zuflusswellen) an beobach- tete Ereignisse angepasst und damit Szenarien für zukünftige, Konfiguration ab, kann aber bis zu einem Faktor von 20 und größere Ereignisse simuliert. Ein beträchtliches Problem waren mehr betragen. Das neue numerische Verfahren von H o r v á t h bisher bei diesen Modellen die langen Rechenzeiten. Bei meh- et al. (2015) löst das Saint-Venant System der Flachwasser- reren hunderttausenden Rechenelementen – wie das für prak- gleichungen. Das Verfahren ist massenerhaltend und stimmt tische Anwendungen oft erforderlich ist – dauert die Rechnung mit den analytischen Lösungen der Gleichungen überein. Ein of länger als die tatsächlich ablaufende Zeit während des Hoch- besonderer Vorteil des Verfahrens besteht darin, dass an den wassers. Das ist für die Praxis keine befriedigende Situation. Uferbereichen (Übergang trocken-nass) – im Gegensatz zu den Neue numerische Verfahren ermöglichen es nun in Verbindung meisten existierenden Verfahren – keine numerischen Artefakte mit der Nutzung von Graphikprozessoren die Rechenzeiten mit überhöhten Fließgeschwindigkeiten auftreten. Diese realisti- deutlich zu reduzieren. Die Reduktion hängt von der jeweiligen schen Fließgeschwindigkeiten tragen zur Reduktionen der Tabelle 1: Maßnahmen und Risiko-Kreislauf Maßnahmen Neue Methoden neue Methoden des Hochwasser- risikomanagements. Vorsorge: Table 1: Measures and new Gefahrenzonenplanung Schnelle 2D Simulationen methods of flood risk manage- Überregionales Zusammenwirken ment. Von Szenarien zu Wahrscheinlichkeiten von Hochwässern Restrisiko Mit dem Unerwarteten rechnen Schutz: Simulation flächenwirtschaftlicher Flächenrückhalt Maßnahmen Informationserweiterung zur Reduktion Lineare Schutzmaßnahmen von Unsicherheiten der Bemessungsab- flüsse Von Hochwasserscheiteln zur Hochwasserretention Wellenform Bewusstseinsbildung: Bürgerbeteiligung Abschätzung des Mehrwertes Langfristige Interaktionen zwischen Öffentlichkeitsarbeit und Hochwässern und menschlichen Aktivi- Bildung täten verstehen Vorbereitung: Genauere längerfristige Prognosen mit Hochwasserwarnung Vertrauensbereichen Simulationssoftware zur Unterstützung Katastrophenschutzpläne von Übungen Nachsorge: Beurteilung von Visualisierungen für Quick-Screening Hochwasserschäden Ereignisdokumentation Einordnung in den historischen Kontext Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015 3
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement 3 . 2 . Ü b e r r e g i o n a l e s Z u s a m m e n w i r k e n v o n H o c h - w ä s s e r n – Vo n S z e n a r i e n z u Wa h r s c h e i n l i c h - keiten Eine der wichtigen Zielsetzungen der Hochwasserrisikomanage- mentpläne ist es, das räumliche Zusammenwirken des Hoch- wassers in Teilgebieten im Zusammenhang mit Maßnahmen in die Planung aufzunehmen. Das ist besonders für großräumige Hochwässer wie das im Juni 2013 wichtig. Um dieses Zusam- menwirken auch in Hinblick auf die Auftretenswahrscheinlich- keit zutreffend zu beschreiben, ist es nicht mehr ausreichend, einzelne Szenarien zu untersuchen. Stattdessen müssen eine Vielzahl von Hochwässern unterschiedlicher Größe und mit ver- schiedenen räumlichen Verteilungen simuliert werden. Die in Abb. 3: Überflutungssimulation mit einem zweidimensionalen hydro- der Hochwasserrichtlinie vorgesehenen kleinen, mittleren und dynamischen Modell. Die Gebäude wurden gemäß Einstauhöhe ein- extremen Hochwässer werden in der Regel über die Auftretens- gefärbt. Neue Technologien wie der Einsatz von Graphikprozessoren wahrscheinlichkeiten der Scheitelabflüsse definiert entspre- und neue numerische Schemata erlauben eine massive Verkürzung chend Jährlichkeiten von 30, 100 bzw. 300 Jahren. der Rechenzeiten. Nach H o r v á t h et al. (2015). Neue Methoden, die derartige Simulationen erlauben, gehen Fig. 3: Flooding simulations of a two-dimensional hydrodynamic von einem stochastischen Niederschlagsmodell (Wettergenera- model. The buildings are colour coded according to water depth. tor) aus. Mit Hilfe von Monte Carlo Simulationen werden lange New technologies such as the use of graphic processing units and Zeitreihen des Niederschlages (und anderen Klimaparametern new numerical schemes allow massive reductions in computation wie der Lufttemperatur) generiert, die als Eingangsgrößen in times. After H o r v á t h et al. (2015). ein Niederschlag-Abflussmodell dienen. Aus langen Zeitreihen des simulierten Abflusses lassen sich die entsprechenden Auf- tretenswahrscheinlichkeiten bestimmen. R o g g e r et al. (2011, 2012) zeigte die Vorteile dieser Vorgangsweise für Gebiete in Tirol auf. In ähnlicher Weise kann man nun flächendetailliert ver- fahren mittels zweidimensionaler Niederschlagssimulation und flächendetaillierten Abflussmodellen (siehe z.B. B u r t o n et al., 2008; V i g l i o n e et al., 2010). Aus der Vielzahl von Abflussereig- nissen wird eine Vielzahl von zweidimensionalen Überflutungs- simulationen durchgeführt. Das Ergebnis ist dann nicht mehr, wie bisher, etwa ein Szenario für „ein hundertjährliches Ereig- nis“, sondern die Flächen die jeweils mit einer Jährlichkeit von 100 überflutet werden. Beim Zusammenwirken von Teilgebieten und verschiedenen Maßnahmen kann sich das Ergebnis des neuen, stochastischen Ansatzes von den bisherigen Szenarien wesentlich unterscheiden. Der stochastische Ansatz ist im Sinne der Hochwasserrichtlinie der Zutreffende. Abb. 4 zeigt ein Beispiel für eine derartige stochastische Simu- lation. Dargestellt sind die Überflutungstiefen, die jeweils mit eine Jährlichkeit von 500 Jahren zu erwarten sind. In diesem Fall Abb. 4: Überflutungstiefen für eine Wahrscheinlichkeit von 1:500 wird auch das Zusammenwirken des Wellenablaufes mit mög- in einem Jahr. Neue Monte Carlo Methoden erlauben es, das Zu- lichen Dammbrüchen statistisch zutreffend beschrieben. Ge- sammenwirken von Teileinzugsgebieten korrekt zu beschreiben. Aus rade für überörtliche Planungen der Raumnutzung ist das eine Vo r o g u s h y n et al. (2012). wichtige Information. Fig. 4: Water depths according to a probability of 1:500 in a year. New Monte Carlo methods allow a consistent treatment of the inter- 3.3. Restrisiko – Mit dem Unerwarteten rechnen play of tributaries at confluences. From Vo r o g u s h y n et al. (2012). Die Gefahrenzonenplanung wird laut EU Richtlinie für kleine, Rechenzeiten bei, da längere Rechenzeitschritte gewählt wer- mittlere und extreme Hochwässer durchgeführt, wobei die ex- den können. Zusätzlich implementierte H o r v á t h et al. (2015) tremen Hochwässer typischerweise mit einer Jährlichkeit von das neue Verfahren auf Graphikprozessoren (GPU) anstatt auf 300 Jahren beziffert werden. Allerdings gibt es größere Hoch- den Hauptrecheneinheiten (CPU), wodurch eine massive Par- wässer. Dem Hochwasser im August 2002 im Kampgebiet allelisierung möglich ist, und die Rechenzeit weiter erheblicht wird beispielsweise eine größere Jährlichkeit zugeordnet. Der verkürzt werden kann. Höchstabfluss des Kamp bei Zwettl war damals 460 m³/s, das Abb. 3 zeigt ein Beispiel der Simulationen in einem städtischen ist fast das Dreifache des größten in den hundert Jahren zuvor Gebiet. Das Verfahren beschleunigt einerseits die Rechenläufe, beobachteten Abflusses (160 m³/s im Jahr 1911, G u t k n e c h t andererseits ermöglicht es auch, größere Gebiete mit mehreren et al. 2002). Ein anderes Beispiel ist ein lokales Ereignis im Jahr Millionen Rechenelementen in einem Lauf zu rechnen. Damit 1913 im Stiftingtal bei Graz bei dem 650 mm Niederschlag in lässt sich, je nach Anforderung, eine bessere räumliche Auf- 4 Stunden gefallen sind (F o r c h h e i m e r, 1913; S i v a p a l a n und lösung (und damit eine detailliertere Abbildung von Abfluss- B l ö s c h l , 1998). Solche außergewöhnlichen Ereignisse können oder Rückhalteräumen) oder eine größere räumliche Abdeckung auch in Zukunft auftreten. Im österreichischen Donaugebiet erzielen. Beides ist für die Erstellung von Gefahrenzonenplänen könnte ein Niederschlag wie im September 1899 mit hoher Vor- ein wesentlicher Vorteil. feuchte des Bodens wie im Juni 2013, ev. mit höherer Schnee- 4 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement fallgrenze, zu einem deutlich größeren Hochwasser als 2013 Dies kann – bis zu einem gewissen Grad – über flächenwirt- führen (B l ö s c h l et al., 2013a). Zu solchen Extremsituationen schaftliche Maßnahmen erfolgen. In Siedlungsgebieten ist es kommt es, wenn sich mehrere ungünstige Faktoren überlagern. sinnvoll, einen möglichst geringen Anteil der Flächen zu versie- Für den Fall, dass Extremhochwässer das Schutzniveau über- geln, sodass während eines Ereignisses möglichst viel Wasser schreiten, spricht man vom Restrisiko. Ein wichtiger Aspekt direkt in den Boden infiltrieren kann, und möglichst wenig des Umganges mit dem Restrisiko ist die Abschätzung des Wasser an der Oberfläche abfließt. Auch die Umwandlung von damit zu erwartenden Schadens (d.h. das Risiko). Dieses wird landwirtschaftlichen Flächen in Wald wird manchmal als Maß- als Produkt des Schadens eines Einzelereignisses und dessen nahme diskutiert (z.B. K o h l et al., 2008). Auftrittswahrscheinlichkeit ermittelt, gemittelt über alle mögli- Mit Hilfe von numerischen Modellen lassen sich die Auswirkun- chen Ereignisse. Kenntnis des Restrisikos ist z.B. erforderlich gen von Landnutzungsänderungen auf Hochwässer simulieren für die private Risikovorsorge durch Versicherungen. Das war (B l ö s c h l et al., 2007). Neue Methoden berücksichtigen dabei auch eine der Zielsetzungen des HORA Projektes (M e r z et al., nicht nur den Ereignisablauf selbst, sondern auch andere Ein- 2008) in Österreich. Neue Schadensmodelle (z.B. S c h r ö t e r et flussgrößen wie veränderte Verdunstung und die Bodenfeuch- al., 2014) in Verbindung mit Monte Carlo Simulationen erlauben te zu Beginn des Ereignisses (z.B. S a l a z a r et al., 2012). Ein eine genauere Abschätzung des Restrisikos (A p e l et al., 2006). typisches Beispiel für eine solche Untersuchung ist in Abb. 6 Neben den finanziellen Aspekten sind in Restrisikogebieten für dargestellt. Jeder Punkt in der Abbildung entspricht einem den Überlastfall noch andere Vorsorgemaßnahmen zu treffen wie Hochwasserereignis. Für jedes Ereignis wurden zwei Simulatio- Beschilderung, hochwasserangepasstes Bauen und Alarmpläne. nen durchgeführt, eine mit der realen Landnutzung und eine mit Der Überlastfall ist wegen der Überlagerung mehrerer ungünsti- veränderter Landnutzung (entweder weniger oder mehr Wald- ger Faktoren schwer zu greifen, denn es kommt oft das Überra- fläche). Die Unterschiede im Hochwasserabfluss zwischen schungsmoment hinzu. M e r z et al. (2015) entwickelten ein Kon- diesen beiden Simulationen wurden in Prozent aufgetragen. zept für den Umgang mit Überraschungen bei Hochwässern. Die Abbildung zeigt, dass, gemäß dieser Berechnungen, Auf- Sie machten zwei Ursachen für Überraschung aus: (1) die Kom- forstung die Hochwasserspitzen reduziert (zufolge erhöhter In- plexität des Hochwasserrisikosystems, wegen Nichtlinearitäten, filtration, Speicherung im Boden und Verdunstung). Abholzung Interdependenzen und Nichtstationärität und (2) kognitive Ver- erhöht hingegen die Hochwasserspitzen. Der Effekt ist etwas zerrungen in der menschlichen Wahrnehmung und Entschei- größer, wenn der Boden zu Beginn des Ereignisses trocken ist. dungsfindung. Sie verwendeten die Metapher Terra incognita Untersuchungen für andere Gebiete zeigen oft das gleiche Ver- und Terra maligna, um unbekannte und bösartige Hochwasser- halten wie Abb. 6, d.h. eine starke Abnahme der Wirkung flä- situationen aus der Sicht der Akteure (Ingenieure, Betroffene) chenwirtschaftlicher Maßnahmen mit der Größe des Ereignis- zu veranschaulichen (Abb. 5). Das Aufschwimmen von Öltanks ses. In städtischen Einzugsgebieten kann der Effekt bei großen beispielsweise war beim Ereignis im August 2002 in der Terra Ereignissen noch signifikant sein, in ländlichen Einzugsgebie- incognita und in der Terra maligna anzusiedeln; beim Ereignis ten in Österreich ist dies aber oft nicht mehr der Fall. Darum 2013 war letzteres nicht mehr der Fall, da Öltanks meist am werden flächenwirtschaftliche Maßnahmen in der Regel nur als Boden befestigt worden waren. Um die negativen Konsequen- flankierende Maßnahmen zusätzlich zu anderen Maßnahmen zen des Überraschungsmomentes möglichst hintanzuhalten eingesetzt. sind robuste Instrumente des Risikomanagement wichtig, die unabhängig von den Ursachen, der Größe und dem Charakter 4 . 2 . L i n e a r e S c h u t z m a ß n a h m e n – I n f o r m a t i o n s e r- zukünftiger Hochwasserereignisse eine positive Wirkung entfal- weiterung zur Reduktion von Unsicherheiten der ten (z.B. überströmbare Dammstrecken, B l ö s c h l et al., 2013b). Bemessungsabflüsse 4. Schutz Maßnahmen, die eine große, klar überschaubare Wirkung ent- falten, sind lineare Schutzmaßnahmen, die auch in der Hoch- 4.1. F lächenrückhalt – Simulation flächenwirtschaft- wasserrichtlinie weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Dämme licher Maßnahmen und mobile Wände können sehr effizient wirken, wenn sie richtig Ein wichtiger Grundsatz im neuen Umgang mit Hochwässern ist bemessen sind. Dafür ist es erforderlich, die Bemessungshoch- es, die Hochwässer nicht erst dort, wo sie Schaden anrichten, wässer für das Schutzziel – eine bestimmte Jährlichkeit – mög- sondern möglichst am Entstehungsort zu reduzieren. lichst genau zu bestimmen. Abb. 5: Umgang mit dem Restrisi- ko. Links: Überraschungspotenzial ausgedrückt als Metapher der Terra incognita. Jedes Ereignis wird aus der Perspektive einer bestimmten Gruppe von Akteuren wie Betrof- fene oder Ingenieuren dargestellt. Rechts: Potenzial bösartiger Folgen ausgedrückt als Metapher der Terra maligna. Aus M e r z et al. (2015). Fig. 5: Dealing with residual risks. Left: Potential for surprise illustrated by the metaphor of terra incognita. Each event is linked to the perspecti- ve of a specific group of stakeholders such as citizens or engineers. Right: potential of malicious consequences illustrated by the metaphor of terra maligna. From M e r z et al. (2015). Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015 5
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement als Beispiel die „Bayesian Markov-Chain-Monte-Carlo (MCMC) Methode“, die die in der Stichprobe der Hochwässer enthaltene Information und die Zusatzinformation mithilfe des Bayes’schen Theorems verknüpft. Der erste Fall (jeweils links in (a) und (b)) zeigt das HQ100 bzw. HQ1000 nur unter Verwendung der Abfluss- messungen. Der Vertrauensbereich ist sehr breit und, je nach- dem ob das Hochwasser 2002 berücksichtigt wird oder nicht (etwa für den Fall der Bestimmung des Bemessungshochwas- sers im Jahr 2001), unterscheiden sich die Berechnungen ganz wesentlich. Diese Unterschiede sind nicht wünschenswert. Wird nun Zusatzinformation berücksichtigt (zeitlich, räumlich, kausal getrennt, oder alle gemeinsam) wird der Vertrauensbereich we- sentlich schmäler und das Einzelereignis 2002 hat kaum einen Einfluss auf das Ergebnis. Zusatzinformation erhöht also die Zu- verlässigkeit der ermittelten Bemessungswerte erheblich. Eine Frage, die ebenfalls aktuell diskutiert wird, ist, ob sich das Hochwasserregime ändert, und ob Bemessungswerte an sich ändernde Situationen angepasst werden sollten (H a l l et al., 2014). Hochwässer können im Wesentlichen durch drei Fakto- Abb. 6: Simulierte Wirkung von Aufforstung und Abholzung auf den Hochwasserabfluss für das Kampgebiet im Waldviertel (622 km² ren verstärkt werden: Klima, Landnutzung und Wasserbauten. Einzugsgebietsfläche). Basis: 47% Waldfläche. Aufforstung: 86%. Ihr Einfluss hängt u.a. von der Größe des Ereignisses und von Entwaldung: 0% (Restfläche ist Grünland und Ackerland). Verändert der Einzugsgebietsgröße ab (B l ö s c h l et al., 2015). Der Einfluss nach S a l a z a r et al. (2012). des Klimas auf Hochwässer in Österreich wurde in B l ö s c h l Fig. 6: Simulated effect of afforestation and deforestation on flood et al. (2011) quantifiziert, und dürfte vor allem bei Regen-auf- peak runoff for the Kamp catchment in the Waldviertel region (622 km² Schnee-Ereignissen relevant sein, z.B. im Innviertel. Land- catchment area). The baseline is 47% forest cover, afforestation in- nutzung kann durch Versiegelung in (kleinen) städtischen Ge- creases it to 86%, deforestation decreases it to 0% (remaining area is bieten für Sturzfluten relevant sein. Wasserbauten wirken sich pasture and cropland). Redrawn from S a l a z a r et al. (2012). i.A. mehr auf kleinere als auf größere Ereignisse aus. Allerdings ist die Frage ob Hochwässer in Österreich größer werden oder Während in der Vergangenheit Bemessungswerte des Ab- nicht, derzeit nicht abschließend und global zu beantworten. flusses mit rein statistischen Methoden aus den gemessenen Bedeutsam ist, dass viele Faktoren zusammenspielen, die die Abflussreihen ermittelt wurden, ziehen neue Methoden zusätz- Größe und Eigenschaften von extremen Überschwemmungen liche Informationen heran. Dementsprechend wurde der tradi- und die Schäden bestimmen. tionelle Begriff der „Extremwertstatistik“ durch den aktuelleren Begriff „Extremwerthydrologie“ ersetzt (B l ö s c h l und M e r z , 4.3. H ochwasserretention – 2008; M e r z und B l ö s c h l , 2008). Die Informationserweiterung Vo n H o c h w a s s e r s c h e i t e l n z u r We l l e n f o r m kann in zeitlicher (historische Hochwässer der letzten Jahrhun- derte), räumlicher (Hochwässer in der gesamten Region) und Eine weitere wichtige Maßnahme des Hochwasserschutzes ist kausaler (Beschreibung des Niederschlag-Abflussprozesses) die Dämpfung der Hochwasserwellen durch Hochwasserrück- Hinsicht erfolgen. Diese Vorgangsweise wird auch im neuen halteanlagen. Die Wirksamkeit solcher Anlagen ist direkt pro- Merkblatt zur Bestimmung von Hochwasserwahrscheinlich- portional zum Verhältnis Rückhaltevolumen zu Hochwasservo- keiten empfohlen (DWA, 2012). lumen. Deswegen ist es erforderlich, für den Bemessungsfall Die Kombination der verschiedenen Informationen kann durch nicht nur den Hochwasserscheitel zu kennen, sondern auch Experteneinschätzung (z.B. M e r z et al., 2008; R o g g e r et al., das Wellenvolumen. Über die traditionelle Berechnung des 2011) oder durch formale statistische Methoden erfolgen (z.B. Hochwasserscheitels einer bestimmten Jährlichkeit (z.B. dem P i r e s und P e r d i g ã o , 2012; V i g l i o n e et al., 2013). Abb. 7 zeigt HQ100) hinausgehend ist aus diesem Grund eine statistisch zu- Abb. 7: Berechung des HQ100 (a) und des HQ1000 (b) mit 90% Vertrauensbereichen für Zwettl am Kamp vor und nach dem großen Ereignis 2002. Im ersten Fall jeweils links (systematisch) werden nur die systemati- schen Abflussmessungen verwendet. Die folgenden Fälle zeigen die Berechnungen mit Zusatzinformationen. Durch die Zusatzinfor- mation wird die Unsicherheit wesentlich re- duziert. Aus V i g l i o n e et al. (2013). Fig. 7: Estimates of Q100 (a) and Q1000 (b) with 90% credible bounds for Zwettl at the Kamp before and after the big 2002 event. In the first case (systematisch) just the systema- tic flood data are used. The following cases show the estimates using additional pieces of information (temporal, spatial, causal). The additional information reduces the uncertain- ty significantly. From V i g l i o n e et al. (2013). 6 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement Abb. 8: Copulas: Zusammenhang zwischen Hochwasserscheiteln und Wellenvolumina für Ereignisse in 330 Einzugsgebieten in Österreich, unterschieden nach Prozesstyp: synoptische Hochwässer (gelbe Kreise), Sturzfluten (blaue Dreiecke) und Schneehochwässer (rote Sterne). Graue Flächen zeigen die 95% Prognoseintervalle. Copulas erlauben eine statistisch konsistente Dimensionierung von Rückhalteanlagen. Aus G a á l et al. (2015). Fig. 8: Copulas: Relationship between flood peaks and event volumes in 330 catchments in Austria, stratified by process type: synoptic floods (yellow circles), flash floods (blue triangles) and snow melt floods (red asterisks). Grey areas indicate 95% prediction intervals. Copulas allow the sizing of retention structures in a statistically consistent way. From G a á l et al. (2015). treffende Bestimmung der mit diesen Jährlichkeiten verbunde- klärung und der Wasserrahmenrichtlinie (EU, 2000) hat die Bür- nen Wellenformen von Interesse. gerbeteilung bei wasserwirtschaftlichen Projekten an Bedeutung Zentrale Fragen in diesem Zusammenhang sind, wie stark gewonnen; auch in der Hochwasserrichtlinie ist sie vorgesehen. Scheitel und Volumina korreliert sind, und ob sich diese Korre- Der Beteiligungsprozess erlaubt ein tieferes Verständnis der lation mit der Größe des Ereignisses ändert. Als Beispiel zeigt Probleme durch die Akteure, eine breitere Legitimationsbasis Abb. 8 für zahlreiche Ereignisse in Österreich den Zusammen- der Entscheidungen und Unterstützung bei der Konsensfin- hang zwischen Scheitel und Volumina, wobei nach dem Ent- dung. Ingesamt wird ein besseres Ergebnis im Vergleich zum stehungstyp der Hochwässer unterschieden wird. Die Sturz- einem von Einzelplanern erstellten Projekt angestrebt (v a n d e n fluten zeigen eine flachere Steigung der Scheitel-Volumen-Be- H o v e , 2006). ziehung, d.h. schlankere Wellen, als synoptische Hochwässer und Schneehochwässer. Die Sturzfluten zeigen auch die höchsten Korrelationen zwischen Scheitel und Volumina. Mit Hilfe statistischer Methoden können sogenannte Copula Mo- delle (z.B. G e n e s t und F a v r e , 2007) an Daten wie in Abb. 8 angepasst werden, die es erlauben, Hochwasserrückhalte- anlagen statistisch konsistent zu dimensionieren. Die erzielbare Scheitelreduktion von Retentionsräumen nimmt mit dem Verhältnis Rückhaltevolumen zu Hochwasservolumen zu, hängt aber auch von anderen Einflussgrößen ab. S k u b l i c s et al. (2016) zeigte für die Bayerische Donau, dass der Zeitpunkt des Füllens des Rückhalteraumes einen entscheidenden Ein- fluss hat. Für die aktuelle Situation nimmt die Retentionswirkung stark mit der Größe des Ereignisses zu (Abb. 9). Für die histo- rische Situation (im Jahr 1800 vor der Durchführung von Fluss- regulierungsmaßnahmen) ist dies jedoch nicht der Fall, und die Dämpfung ist bei Extremhochwässern wesentlich kleiner als heute. Das liegt daran, dass das verfügbare Volumen im Vor- land schon zu Beginn des Ereignisses in Anspruch genommen wird, und zum Zeitpunkt des Scheitels weniger Volumen zur Ver- Abb. 9: Hochwasserretention für einen Abschnitt der Bayerischen fügung steht. Dementsprechend sind Rückhalteräume, die erst Donau zwischen Neu-Ulm und Donauwörth. Scheitelabminderung bei einer großen Jährlichkeit geflutet werden, effizienter für die ist definiert als Verhältnis zwischen Hochwasserdurchflussscheitel Hochwasserabminderung als natürliche Überflutungsflächen, mit und ohne Retention. Für den aktuellen Zustand (durchgezogene die schon bei geringen Hochwasserständen überschwemmt Linie) nimmt die Retentionswirkung stark mit der Größe des Ereig- werden. nisses zu, während dies für den historischen Zustand (strichlierte Linie) nicht der Fall ist. Aus S k u b l i c s et al. (2016). 5. Bewusstseinsbildung Fig. 9: Flood retention for a reach of the Bavarian Danube between 5.1. B ü rg e r b e t e i l i g u n g – Neu-Ulm und Donauwörth. Flood peak retention is defined as the Abschätzung des Mehrwertes ratio of flood peak discharges with and without retention. For the current situation (solid lines) the retention effect decreases sharply Der Kreislauf des Hochwasserrisikomanagements schließt auch with the flood magnitude, while for the historic situation (dashed zahlreiche nicht-technische Maßnahmen ein. Mit der Dublin Er- lines) this is not the case. From S k u b l i c s et al. (2016). Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015 7
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement Diesen Vorteilen steht aber die Erfahrung gegenüber, dass der sollte, da dadurch echte Erfolge und positive Nebeneffekte des Prozess oft zeitaufwändig ist, und es zu Verzögerungen, erhöh- Beteiligungsprozesses rasch aufgezeigt werden können. Da- ten Kosten und ineffizienter Ressourcennutzung kommen kann durch kann sichergestellt werden, dass der Dialog durch Ein- (z.B. L u b e l l , 2004; I r v i n und S t a n s b u r y 2004; C a r r et al., richtung von Plattformen und anderen Kommunikationsmaß- 2013). Es ist deshalb sinnvoll, bei solchen Beteiligungsverfahren nahmen zielgerichtet erfolgen kann. zu bewerten, ob die Ziele der Beteiligung erreicht werden. C a r r et al. (2012) schlagen vor, den Beteiligungsprozess in 5.2. Ö ffentlichkeitsarbeit und Bildung – Lang- dreifacher Weise zu bewerten: (i) die Bewertung des Prozesses fristige Interaktionen zwischen Hochwässern beurteilt die Qualität des Beteiligungsprozesses, z.B. in Hin- und menschlichen Aktivitäten verstehen blick auf dessen Legitimität; (ii) die Bewertung der Zwischen- Ein anderer wichtiger Bestandteil der Bewusstseinsbildung be- ergebnisse beurteilt die Erreichung nicht-tangibler Ergebnisse, steht aus Öffentlichkeitsarbeit, sowohl bei den Betroffenen als wie Vertrauen und Kommunikation, sowie kurz- bis mittelfristi- auch bei der allgemeinen Öffentlichkeit. Besonders wichtig ist ge tangible Ergebnisse, wie Vereinbarungen und institutioneller es dabei, die Wirkzusammenhänge zwischen Hochwässern, Wandel; (iii) die Bewertung der Projektergebnisse beurteilt die deren Ursachen und den Maßnahmen aufzuzeigen. Eine treffen- Erreichung von Veränderungen, wie eine Verbesserung des de Darstellung von „Populären Forderungen auf dem Prüfstand“ Hochwasserschutzes im Vergleich zu einem Projekt ohne Bür- zum natürlichen Rückhalt und technischen Hochwasserschutz gerbeteiligung (Tab. 2). findet sich z.B. in StMUV (2014, Seite 47). C a r r et al. (2012) argumentieren, dass besonders den Zwi- Die Einordnung in einen breiten Zusammenhang, sowohl räum- schenergebnissen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden lich (Oberlieger, Unterlieger) als auch zeitlich (langfristiges Ver- Bewertung des Prozesses Bewertung der Bewertung der Tabelle 2: Bewertung von Betei- Zwischenergebnisse Projektergebnisse ligungsprozessen bei wasserwirt- schaftlichen Projekten. Aus: C a r r et al. (2012). ökologische Verbesserungen Rechenschaftspflicht Entwicklung des Sozialkapitals: wirtschaftliche Verbesserungen Table 2: Evaluation of participa- Interaktion, Netzwerkentwick- tory processes of water resources Kosten-Effizienz lung und Vertrauen Verbesserung betreffend management projects. From: menschliche Gesundheit und C a r r et al. (2012). Fristen und Meilensteine Produkte des Prozesses: Wohlbefinden Vereinbarungen, Ende einer Prozesserleichternde Pattsituation, Innovation, Implementierung eines Maßnahmen institutioneller Wandel, gemein- akzeptierten Plans sames Wissen und Information Einbeziehung vorhandenen Vermeidung von Konflikten Wissens Legitimität Machtverhältnisse halten), und in Hinblick auf mögliche Wechselwirkungen ist dabei essentiell. Während die üblichen Szenarienrechnungen meist einzelne Einflussfaktoren (Rückhaltebecken, Dämme, Flächenversiegelung) getrennt betrachten, hat sich die neue Disziplin der Soziohydrologie zum Ziel gesetzt, die Wechsel- wirkung zwischen den sozio-ökonomischen, technischen und natürlichen Systemkomponenten zu verstehen und modell- mäßig zu beschreiben (S i v a p a l a n et al., 2012; S i v a p a l a n and B l ö s c h l , 2015). Abb. 10 zeigt ein typisches Diagramm der Wechselwirkungen für die Überflutung einer Stadt durch Hochwässer. Jede dieser Wechselwirkungen kann durch eine Differentialgleichung beschrieben werden, wodurch es möglich wird, numerische Simulationen durchzuführen. Als Beispiel zeigt Abb. 11 simulierte Hochwasserschäden über einen Zeitraum von 200 Jahren. Das gekoppelte Modell simuliert die Entwick- Abb. 10: Wirkungsdiagramm der Kopplung hydrologischer, wirt- schaftlicher, politischer, technologischer und gesellschaftlicher lung der Stadt in diesem Zeitraum, und zwar ob die Bürger sich Prozesse für die Überflutung einer Stadt durch Hochwässer. Dicke entscheiden, in der Nähe des Flusses zu bauen (was wirtschaft- Pfeile zeigen direkte abrupte Koppelung, dünne Pfeile allmähliche liche Vorteile mit sich bringt) oder weit weg vom Fluss (wodurch Koppelung, gestrichelte Pfeile indirekte Kontrollmechanismen. Nach Hochwasserschäden vermieden werden), und sie können sich D i B a l d a s s a r r e et al. (2013). entscheiden, Hochwasserschutzdämme zu bauen (aber diese Fig. 10: Loop diagram of the coupling of hydrological, economical, können von großen Hochwässer überflutet werden). political, technological, and social processes associated with the flooding of a city. Thick arrows indicate abrupt coupling, thin arrows In Abb. 11a gab es nur die Option, den Siedlungsbereich gradual coupling, dashed arrows more indirect control mechanisms. vom Fluss wegzuverlegen, aber keine Dämme zu errichten; in After D i B a l d a s s a r r e et al. (2013). Abb. 11b war auch letzteres erlaubt. Für den Fall ohne Hoch- 8 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement wasserschutzdämme (Abb. 11a) führt jedes Hochwasser zu einem entsprechenden Schaden. In hochwasserreichen Perio- den treten demgemäß mehr und größere Schäden auf. Für den Fall mit Hochwasserschutz (Abb. 11b) werden im Modell Dämme vor allem um das Jahr 50 gebaut, die die Schä- den erheblich reduzieren im Vergleich zum Szenario (a). Wenn die hochwasserreichen Jahre beginnen (Jahre 80–130), wurden bereits Häuser in der Nähe der Dämme errichtet. Diese werden jedoch überflutet, sodass der Schaden größer ist als im Fall (a) ohne Hochwasserschutz. Dieses Beispiel beschreibt eine hypothetische Stadt, doch bereitet es die grundsätzlichen Wechselwirkungen zwischen Hochwässern und menschlichen Aktivitäten in leicht verständ- licher Form auf, wodurch sich dieser Ansatz gut für die Öffent- lichkeitsarbeit und Bildung eignet. 6. Vorbereitung 6 . 1 . H o c h w a s s e r w a r n u n g – G e n a u e r e l ä n g e r f r i s t i g e P r o g n o s e n m i t Ve r t r a u e n s b e r e i c h e n Technische Maßnahmen können nur bis zu einem gewissen Ni- veau schützen. Das Schutzniveau ist für bebaute Gebiete meist das 100 jährliche Hochwasser, kann aber wegen der örtlichen Gegebenheiten deutlich niedriger sein. Um Schäden und Gefah- ren bei größeren Ereignissen zu begrenzen, sind eine frühzeitige Warnung von Betroffenen und die rechtzeitige Mobilisierung von Abb. 11: Zwei Szenarien der Hochwasserschäden für eine hypotheti- Einsatzkräften wichtig. Dadurch sind eine rechtzeitige Evaku- sche Stadt. (a) Hochwassermanagement beinhaltet raumplanerische ierung, Schutzmaßnahmen am Objekt und etwa das Errichten Maßnahmen aber keine technischen Schutzmaßnahmen. (b) Auch Schutzdämme werden gebaut. Hellblaue Bereiche zeigen hoch- mobiler Schutzwände möglich. Die Bundesländer Österreichs wasserreiche Perioden. Dieser Ansatz eignet sich gut für die Unter- haben deshalb Hochwasserwarndienste eingerichtet, die Hoch- stützung von Öffentlichkeitsarbeit und Bildung. Aus B l ö s c h l et al. wasservorhersagemodelle betreiben. (2015), basierend auf D i B a l d a s s a r r e et al. (2013) und V i g l i o n e Neue Vorhersagemodelle zeichnen sich durch einen gestuften et al. (2014). Vorhersageansatz für lange Prognosefristen aus (B l ö s c h l et Fig. 11: Two scenarios of flood damage for a hypothetical city. al., 2008). Die genauesten Vorhersagen sind mittels Wellen- (a) Flood management options involve the choice of building close ablaufmodelle möglich, bei denen der beobachtete Abfluss der or far away of flood prone river but no levees. (b) Flood manage- Oberliegerpegel als Eingangsdaten verwendet wird. Die damit ment options also involve the construction of levees. Light blue areas erzielbare Vorhersagefrist entspricht den Laufzeiten im Gerinne. indicate flood rich periods, white areas flood poor periods. This Mit einem Niederschlag-Abflussmodell, das beobachtete Nie- approach is well suited for assisting outreach and education activi- derschläge und Lufttemperaturen als Eingangsdaten verwen- ties. From B l ö s c h l et al. (2015), based on D i B a l d a s s a r r e et al. det, kann die Vorhersagefrist verlängert werden; mittels Nieder- (2013) and V i g l i o n e et al. (2013). schlagsprognosen kann die Prognosefrist weiter ausgedehnt werden. Allerdings sind in diesem Fall die Unsicherheiten am größten. Um diese Unsicherheiten abzuschätzen, werden En- sembleprognosen erstellt, die einen Vertrauensbereich der pro- gnostizierten Abflüsse angeben (B l ö s c h l , 2008; N e s t e r et al., 2012; B l ö s c h l et al., 2014). Damit steht für die Einsatzplanung nicht nur der wahrscheinlichste Wert, sondern auch ein „worst case“ innerhalb einer Bandbreite zur Verfügung. Ein Beispiel solcher Ensembleprognosen während des Hoch- wassers 2013 an der Salzach ist in Abb. 12 dargestellt. Die Bandbreite lässt erkennen, dass die Prognosen für eine kurze Frist am genauesten sind, und die Unsicherheit mit zunehmen- der Frist zunimmt. Für dieses Ereignis wird bereits 72 Stunden vor dem Scheitel der steile Anstieg vorausgesagt, und 48 Stun- den vor dem Scheitel wird dieser mit guter Genauigkeit prog- nostiziert. Prognosen der Zubringer, wie in Abb. 12 gezeigt, dienen auch dazu, die Prognosen für die großen Flüsse zu erzeugen. Abb. 12: Hochwasserprognose für die Salzach bei Golling während Abb. 13 zeigt die Hochwasserprognose für die Donau am Pegel des Hochwassers 2013. Prognosezeitpunkte: 30.5. 15h, 31.5. 3h, Kienstock, die am 3. Juni 2013 erstellt wurde und den Abfluss 31.5. 15h. Zeitpunkt des Hochwasserscheitels 2.6. 13h. Schattierte Flächen zeigen Vertrauensbereich der Prognose. Rote Linie ist die über 48 Stunden vorhersagt. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein beobachtete Abflussganglinie. Basierend auf N e s t e r et al. (2012). Maximalabfluss von 11400 m³/s prognostiziert. Der tatsächlich aufgetretene Maximalabfluss betrug dann ca. 11200 m³/s. Der Fig. 12: Flood forecasts for the Salzach at Golling during the 2013 flood. Forecast times: 30 May, 3 pm; 31 May, 3 am; 31 May, 3 pm. Unterschied zwischen Prognose und Beobachtung war dem- Timing of the flood peak: 2 June, 1 pm. Shaded areas indicate con- nach nur 2% bei einer Prognosefrist von 48 Stunden. Für die fidence intervals of the forecasts. Red line indicates observed hydro- Einsatzplanung stehen intern zusätzlich zu den wahrschein- graph. Based on N e s t e r et al. (2012). Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015 9
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement Abb. 13: Publizierte Abfluss- prognose der Donau am Pegel Kienstock erstellt am 3. Juni 2013, 3 Uhr. Grün: Prognose. Blau: Messung. Eine Prognose von maximal 11400 m³/s gegen- über dem tatsächlich aufgetre- tenen Wert von ca. 11200 m³/s entspricht einem Unterschied von nur 2% bei einer Prognosefrist von 48 Stunden. Aus http://www. noel.gv.at/ Fig. 13: Published runoff forecast for the Danube at the Kienstock gauge published on 3 June 2013, 3 am. Green: forecast. Blue: ob- served runoff. A forecasted ma- ximum of 11400 m³/s compared to an observation of 11200 m³/s represents a difference of 2% for a lead time of 48 hours. From http://www.noel.gv.at/ Abb. 14: Beispiel für die Ablauf- steuerung und Visualisierung mit Visdom. In diesem Fall wird die Bewegung von durch das Hoch- wasser mitgeschwemmten Autos dargestellt. Die Software eignet sich gut für die Unterstutzung von Übungen von Katastrophen- schutzplänen. Aus R i b i č i ć et al. (2013). Fig. 14: Example of steering and visualisation using Visdom. In this case, the movement of cars swept away by the flood is shown. The software is well suited for supporting drills of di- saster management plans. From R i b i č i ć et al. (2013). lichsten Werten (grüne Linie in Abb. 13) auch die Vertrauensbe- fristigen Hochwasserwarnungen ist, dass die Vorbereitungen reiche zur Verfügung. bereits frühzeitig erfolgen können. Für die erfolgreiche Ausfüh- rung der Katastrophenschutzpläne ist es aber nicht nur erforder- 6 . 2 . K a t a s t r o p h e n s c h u t z p l ä n e – S i m u l a t i o n s s o f t w a r e lich, dass vorab alle Abläufe aufeinander abgestimmt sind und zur Unterstützung von Übungen dass alle Informationen auf dem aktuellen Stand sind. Ebenso Für den Fall, dass eine Hochwasserwarnung ausgegeben wird, wichtig ist es, dass das Personal entsprechend ausgebildet ist kommen Einsatzpläne zur Anwendung, die im Detail die ver- und den Einsatz regelmäßig übt. Dabei ist es auch sinnvoll, die schiedenen Handlungsabläufe vorgeben. Der Vorteil der lang- betroffene Bevölkerung einzubeziehen. 10 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement Zur Unterstützung der realistischen Durchführung derartige Übungen kann neue Simulationssoftware zum Einsatz kommen. Bei dem komplexen Zusammenspiel der vielen beteiligten Pro- zesse ist das Verhalten des Gesamtsystems ohne Softwareun- terstützung nicht immer offensichtlich. Die Software bildet die Hochwasserdynamik, erforderliche bzw. durchgeführte Maß- nahmen, sowie die logistischen Prozesse der Einsatzpläne ab. Wichtig ist dabei, dass die Mensch-Maschine-Schnittstelle der Software eine optimale Integration in den Übungsprozess er- möglicht. Visdom (Wa s e r et al., 2010; 2011; http://visdom.at) ist eine derartige Software, die eine volle Integration der Benutzer- steuerung, hydrodynamischer Simulationen und der drei- dimensionalen Visualisierung erzielt. Alternative Verteidigungs- maßnahmen (z.B. mobile Wände, Sandsäcke) können getestet werden und die Auswirkung auf den Wasserstand unmittelbar visualisiert werden. Ebenso kann der Effekt unerwarteter Sze- narien ausgelotet werden (Abb. 14). Unsicherheiten werden klar visualisiert, indem ein Ensemble zahlreicher Rechenläufe aggre- giert wird. Visdom ist so intuitiv, dass die Benutzersteuerung und Visualiserung auch für Nicht-Experten unmittelbar einsich- tig sind, eine wichtige Voraussetzung für den effizienten Einsatz Abb. 15: Visualisierung von Schäden an einem Tunnelbauwerk. Die bei Übungen von Katastrophenschutzbehörden und Einsatzor- Risse sind je nach Typ unterschiedlich farblich markiert. Aus O r t n e r ganisationen. et al. (2011). Fig. 15: Damage visualisation of a tunnel lining. The cracks have been 7. Nachsorge colour coded according to their type. From O r t n e r et al. (2011). 7 . 1 . B e u r t e i l u n g v o n H o c h w a s s e r s c h ä d e n – Visualisierungen für Quick-Screening Methoden der historischen Hochwasserforschung wird auf Zahlreiche Aufgaben des Hochwasserrisikomanagements sind historisches Quellenmaterial zurückgegriffen, wie Chroniken, durchzuführen, nachdem ein Ereignis abgelaufen ist. Eine Zeitungen, private und amtliche Korrespondenz, Rechnungen, der Aufgaben ist die Beurteilung der Hochwasserschäden an Steueraufzeichnungen und amtliche Protokolle (siehe z.B. K i s s Bauwerken. Die Beurteilung der Schäden ist oft ein zeitkritischer et al., 2015). Die Quellen können Informationen über den Zeit- Prozess, wenn rasch mit der Sanierung begonnen werden soll, punkt des Hochwassers, die meteorologisch-hydrologischen um weitere Schädigungen des Bauwerkes zu vermeiden und Ursachen und die Folgen wie Todesopfer und Sachschäden bald die Funktionstüchtigkeit wieder herzustellen (N i c h o l a s et enthalten. Hochwassermarken an Gebäuden geben Auskunft al., 2001). über den höchsten Wasserstand eines Hochwassers. Mittels Zur raschen Dokumentation und Beurteilung der Schäden mathematischer Modelle lässt sich näherungsweise der Abfluss (Quick-Screening) bieten sich neue dreidimensionale Visuali- rekonstruieren (z.B. K j e l d s e n et al., 2014). sierungsmethoden an. Dabei geht es um eine visuell und geo- Abb. 16 zeigt als Beispiel die Hochwassergeschichte für die metrisch exakte Dokumentation der Gebäudeoberfläche in einer Stadt Szeged am Zusammenfluss von Theiß und Maros. Seit virtuellen Realität. Die Beschreibung der Geometrie erfolgt mit dem Jahr 2000 war die Stadt von fünf bedeutenden Über- Laser Scanning Daten, die Beschreibung der Textur mit Daten schwemmungen betroffen, von denen das Hochwasser im April von bildgebenden Sensoren. Gebäudeschäden wie Risse oder 2006 das größte war. Der Wasserstand war so hoch, dass er Verschiebungen von Gebäudeteilen werden entweder auto- für einige Tage einen Meter über der höchsten Erhebung der matisch erkannt oder semi-automatisch eingepflegt. Sie können Innenstadt lag. Allerdings ist eine derartige Situation nicht voll- dann automatisch mit Merkmalen belegt werden (Abb. 15). kommen neu. Die größte Hochwasserkatastrophe, die praktisch Geeignete Visualisierungssoftware (z.B. O r t n e r et al., 2011) die ganze Stadt zerstörte, trat im Jahre 1879 auf. Die Über- erlaubt es auch, mit den großen Datenmengen aus unterschied- flutung kam damals nicht direkt aus dem in der Stadt liegenden lichsten Quellen zu interagieren, und sie in Hinblick auf die Frage- Flussabschnitt, sondern über niedrig gelegene Auen aus dem stellung auszuwerten. Durch Virtualisieren weiterer Arbeits- Norden, wo die Schutzdämme weniger gewartet wurden. Der abläufe können langfristig papierbasierte Abläufe ersetzt darauf folgende Wiederaufbau der Stadt und die systematischen werden. Solche Dokumentationen sind nicht nur sinnvoll für die Flussregulierungen führten in der Folge zu einer Reduktion des Sanierung, sondern wären auch für die Schadensabgeltung aus Hochwasserrisikos. Für die heutige Situation bedeutet die histo- Mitteln des Katastrophenfonds einsetzbar. rische Einordnung, dass die letzten Jahre – auch langfristig – als hochwasserreiche Periode anzusehen sind. Dementsprechend 7 . 2 . E r e i g n i s d o k u m e n t a t i o n – sind auch in der nächsten Zukunft große Hochwässer zu erwar- Einordnung in den historischen Kontext ten. Derartige lange Zeitreihen von Hochwässern lassen sich Eine weitere Aufgabe der Nachsorge ist die Ereignisdokumen- auch für die Ermittlung von Hochwasserdurchflüssen großer tation. Dokumentationen der großen, regionalen Hochwässer Jährlichkeiten heranziehen (z.B. S a l i n a s et al., 2016). wurden in Österreich sorgfältig durchgeführt (siehe z.B. B l ö s c h l et al., 2013a). Ein Aspekt, dem in der letzten Zeit vermehrt 8. Schlussbemerkungen Aufmerksamkeit gewidmet wird, ist die Einordnung der Hoch- Auch in der Zukunft sind in Österreich große Hochwässer zu wässer in den historischen Kontext, d.h. die Frage wie das erwarten. Das integrierte Hochwasserrisikomanagement bildet aktuelle Hochwasser im Vergleich zu den Hochwässern an das Instrumentarium, mit diesen Hochwässern in geeigneter der gleichen Stelle in den letzten Jahrhunderten liegt. Mittels Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015 11
Neue Methoden für das Hochwasserrisikomanagement [3] B l ö s c h l , G. und R. M e r z (2008) Bestimmung von Bemessungshoch- wässern gegebener Jährlichkeit – Aspekte einer zeitgemäßen Strategie. Wasserwirtschaft, 98 (11) 12–18. [4] B l ö s c h l , G., A. V i g l i o n e and A. M o n t a n a r i (2013b) Emerging approa- ches to hydrological risk management in a changing world. In: Climate Vulnerability: Understanding and Addressing Threats to Essential Resour- ces. Elsevier Inc., Academic Press, 3–10. [5] B l ö s c h l , G., A. V i g l i o n e , R. M e r z ., J. P a r a j k a , J. S a l i n a s und W. S c h ö n e r (2011) Auswirkungen des Klimawandels auf Hochwasser und Niederwasser. Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft, 63, (1–2), 21– 30. [6] B l ö s c h l , G., Ch. R e s z l e r und J. K o m m a (2008) Hydrologische Hoch- wasservorhersage für den Kamp – Erfahrungen mit den Ereignissen 2006 und 2007. Österreichische Wasser- und Abfallwirtschaft, 60 (3–4), a13– a18. 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Nationaler Hochwasserrisikomanagementplan, Sicher Schutzmaßnahmen steht dabei ein Portfolio unterschiedlicher leben mit der Natur. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Maßnahmen und die Betrachtung des gesamten Flussgebietes Umwelt und Wasserwirtschaft, Wien, bmlfuw.gv.at im Vordergrund. Um die damit verbundenen neuen Anforderun- [12] B u r t o n , A., C. G. K i l s b y, H. J. F o w l e r, P. S. P. C o w p e r t w a i t and P. E. gen zu bewältigen, kann sich das Hochwasserrisikomanage- O ‘ C o n n e l l (2008) RainSim: A spatial-temporal stochastic rainfall model- ment auf neue methodische Entwicklungen stützen. ling system. Environmental Modelling & Software, 23(12), 1356–1369. Diese Arbeit gab einen Überblick über die neuen Entwicklungen [13] C a r r, G., D. P. L o u c k s and G. B l ö s c h l (2013) An analysis of public par- ticipation in the Lake Ontario – St. Lawrence River Study. Chapter 4 in: für die einzelnen Teilbereiche des Hochwasserrisikomanage- V. I. G o v e r and G. K r a t z e n b e rg (Eds.) Water Co-management. CRC ment – Vorsorge, Schutz, Bewusstseinsbildung, Vorbereitung Press, Taylor and Francis Group, Boca Raton, USA, pp. 48–77. und Nachsorge. Selbstverständlich gibt es zwischen diesen [14] C a r r, G., G. B l ö s c h l and D. P L o u c k s (2012) Evaluating participation Bereichen zahlreiche Synergien. Beispielsweise sind die neuen in water resource management: A review. Water Resources Research, 48, Methoden der Hochwasserwarnung (Bereich Vorbereitung) auch W11401 DOI: 10.1029/2011WR011662 erforderlich für die Optimierung der Hochwasserretention mit [15] D i B a l d a s s a r r e , G., A. V i g l i o n e , G. C a r r, L. K u i l , J. L. S a l i n a s and gesteuerten Rückhalteanlagen (Bereich Schutz). Die Ereignis- G. B l ö s c h l (2013) Socio-hydrology: conceptualising human-flood inter- dokumentation (Bereich Nachsorge) ist eine wichtige Grundlage actions. Hydrology and Earth System Sciences 17, 3295–3303, doi:10.5194/hess-17-3295-2013 für die Dimensionierung linearer Schutzmaßnahmen (Bereich Schutz). Neue, schnelle 2D Simulationen wie sie für die Ge- [16] DWA (2012) Ermittlung von Hochwasserwahrscheinlichkeiten, Merkblatt DWA-M 552, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und fahrenzonenplanung (Bereich Vorsorge) entwickelt wurden, fin- Abfall, Hennef, Deutschland den auch Einsatz im Bereich Bewusstseinsbildung und bei der [17] EU (2000) Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Übung von Katastrophenschutzplänen (Bereich Vorbereitung). Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Es ist zu erwarten, dass mit den neuen Methoden das Hoch- Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 327/1-L 327/72. wasserrisikomanagement noch zuverlässiger und effizienter als bisher durchgeführt werden kann. [18] EU (2007) Richtlinie 2007/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Bewertung und das Management von Hochwasserrisiken. Amtsblatt der Europäischen Union L 288/27– Danksagung L288/34. [19] F o r c h h e i m e r, Ph. (1913) Der Wolkenbruch im Grazer Hügelland vom Die hier zusammengefasste Forschung wurde u.a. gefördert 16. Juli 1913. Sitzungsberichte Österr. Akad, Wiss., Math.-naturwiss. KI. durch einen ERC Advanced Grant (no 291152), IMPALA (FP7- Sitzngsber. Bd. CXXII, Abt., 2A, pp. 2099-2109. PEOPLE, 301953), FWF (Projekte W1219, P23723, P22543- [20] G a á l , L., J. S z o l g a y, S. K o h n o v á , K. H l a v č o v á , J. P a r a j k a , N23), ÖAW (Vorhersagbarkeit; Gebirgshochwasser) und WWTF A. V i g l i o n e , R. M e r z and G. B l ö s c h l (2015) Dependence bet- (Projekt ICT12-009). ween flood peaks and volumes: a case study on climate and hydrolo- gical controls, Hydrological Sciences Journal, 60:6, 968–984, doi: 10.1080/02626667.2014.951361 9. Literatur [21] G e n e s t , C., and A. C. F a v r e (2007) Everything you always wanted to [1] A p e l , H., A.H. T h i e k e n , B. M e r z and G. B l ö s c h l (2006) A probabilistic know about copula modeling but were afraid to ask. Journal of Hydrologic modelling system for assessing flood risks. Natural Hazards, 38, pp. 79– Engineering, 12(4), 347-368. 100. [22] G u t k n e c h t , D., Ch. R e s z l e r und G. B l ö s c h l (2002) Das Katastrophen- [2] B l ö s c h l , G. (2008) Flood warning – on the value of local information. hochwasser vom 7. August 2002 am Kamp – eine erste Einschätzung. International Journal of River Basin Management, 6 (1), 41–50. Elektrotechnik und Informationstechnik, 119 (12), pp. 411–413. 12 Österreichische Ingenieur- und Architekten-Zeitschrift, 160. Jg., Heft 1–12/2015
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