OSTERREICH 100 X FILM - Verlag
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Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at © 2018 by Amalthea Signum Verlag, Wien © 2018 Alle by Amalthea Rechte Signum Verlag, Wien vorbehalten Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung und Satz: Elisabeth Pirker/OFFBEAT Umschlaggestaltung und Umschlagabbildungen: © Satz: Elisabeth Pirker/OFFBEAT iStock.com Umschlagabbildungen: Lektorat: Irene Hetzenauer © iStock.com Lektorat:aus Gesetzt Irene derHetzenauer Ostrich Sans und Museo Sans Gesetzt Designed aus in der Ostrich Austria, Sansinund printed theMuseo EU Sans Designed ISBN in Austria, printed in the EU 978-3-99050-138-2 ISBN 978-3-99050-138-2 eISBN 978-3-903217-23-2
INHALT AUFBLENDE 8 VORSPANN 10 FILM(e) AB! 001 00Sex am Wolfgangsee (1966) 30 002 1. April 2000 (1952) 32 003 3 Tage in Quiberon (2018) 34 004 38 – Auch das war Wien (1986) 36 005 Der alte Sünder (1951) 38 006 Atmen (2011) 40 007 Die Auslöschung (2013) 42 008 Bel Ami (1939) 44 009 Blutrausch (1997) 46 010 Der Bockerer (1981) 48 011 Café Elektric (1927) 50 012 Casablanca (1942) 52 013 Den Tüchtigen gehört die Welt (1980) 54 014 Der dritte Mann (1949) 56 015 Echo Park (1986) 58 016 Echte Wiener – Die Sackbauer Saga (2008) 60 017 Ein fast perfekter Seitensprung (1996) 62 018 Egon Schiele – Tod und Mädchen (2016) 64 019 Ekstase (1933) 66 020 Der Engel mit der Posaune (1948) 68 021 Erik & Erika (2018) 70 022 Eroica (1949) 72 023 Erzherzog Johanns große Liebe (1950) 74 024 Exit … nur keine Panik (1980) 76 025 Die Fälscher (2007) 78 026 Der Fall Jägerstätter (1971) 80 027 Das finstere Tal (2014) 82 028 Der Förster vom Silberwald (1954) 84 029 Die freudlose Gasse (1925) 86
030 Funny Games (1997) 88 031 Geschichten aus dem Wiener Wald (1979) 90 032 Gruber geht (2014) 92 033 Hallo Dienstmann (1952) 94 034 Heimkehr (1941) 96 035 Heut’ ist der schönste Tag in meinem Leben (1936) 98 036 Hinterholz 8 (1998) 100 037 Die Hölle (2017) 102 038 Der Hofrat Geiger (1947) 104 039 Hundstage (2001) 106 040 Ich bin Sebastian Ott (1939) 108 041 Ich gelobe (1994) 110 042 Ich seh Ich seh (2014) 112 043 Ilona und Kurti (1991) 114 044 I love Vienna (1991) 116 045 Im weißen Rößl (1960) 118 046 Indien (1993) 120 047 In 3 Tagen bist du tot I/II (2006/2008) 122 048 Die Jungfrau auf dem Dach (1953) 124 049 Karambolage (1983) 126 050 Der Kardinal (1963) 128 051 Kassbach (1978) 130 052 Komm, süßer Tod (2000) 132 053 Kronprinz Rudolfs letzte Liebe (1956) 134 054 Lapislazuli – im Auge des Bären (2006) 136 055 Leise flehen meine Lieder (1933) 138 056 Der letzte Akt (1955) 140 057 Die letzte Brücke (1954) 142 058 Liebe – Amour (2012) 144 059 Lourdes (2009) 146 060 Mariandl (1961) 148 061 Maskerade (1934) 150 062 Meine Lieder – meine Träume (1965) 152 063 Menschen im Hotel (1959) 154 064 Mephisto (1981) 156 065 Michael (2011) 158 066 Müllers Büro (1986) 160 067 Murer – Anatomie eines Prozesses (2018) 162 068 Muttertag – Die härtere Komödie (1993) 164 069 Nacktschnecken (2004) 166
070 Nordrand (1999) 168 071 … nur ein Komödiant (1935) 170 072 Orlac’s Hände (1924) 172 073 Die Praxis der Liebe (1984) 174 074 Der Prozeß (1948) 176 075 Der Räuber (2010) 178 076 Reich mir die Hand mein Leben (1955) 180 077 Revanche (2008) 182 078 Das Riesenrad (1961) 184 079 Der Rosenkavalier (1926) 186 080 Der Schüler Gerber (1981) 188 081 Sei zärtlich, Pinguin (1982) 190 082 Der siebente Kontinent (1989) 192 083 Sissi (1955) 194 084 Slumming (2006) 196 085 Sodom und Gomorrha (1922) 198 086 Sonne halt! (1962) 200 087 Spionage (1955) 202 088 Die Stadt ohne Juden (1924) 204 089 Tafelspitz (1994) 206 090 Toni Erdmann (2016) 208 091 Der Überfall (2000) 210 092 Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott (2010) 212 093 Unsere tollen Tanten (1961) 214 094 Vagabunden (1949) 216 095 Der verlorene Sohn (1934) 218 096 Die Wand (2012) 220 097 Weiningers Nacht (1990) 222 098 Das weiße Band (2009) 224 099 Wiener Mädeln (1949) 226 100 Wilde Maus (2017) 228 ABSPANN230 EPILOG246 Literatur246 Bildnachweis247 Danksagung248 Namenregister249
AUF BLENDE Was niemand lesen will, wird oft auch »Vorwort« genannt. Daher in aller Kürze: NEIN, bei diesem Buch schön wär’s! Will heißen: Ich gebe gar nicht handelt es sich NICHT um die einzig wahre, erst vor, SÄMTLICHE österreichischen Spiel- absolut und für alle Ewigkeit gültige Liste filme der Kinogeschichte gesehen, verinner- der »100 besten österreichischen Filme aller licht und im nächsten Waschgang in mein Zeiten« – und das nicht nur deshalb, weil in Herz geschlossen zu haben. Das wäre nicht Wahrheit doppelt so viele Erwähnung finden. nur zeitbudgetär unmöglich, sondern auch So etwas zu behaupten wäre selbst mir zu un- für mich selbst unerträglich gewesen: schon seriös! Es ist der Versuch, eine Geschichte, die deshalb, weil im Zuge der heimischen Film- vor mehr als 120 Jahren auf Zelluloid begon- produktionen auch unglaublich viel Mist ent- nen hat, auf rund 250 papierenen Seiten zu- standen ist, als Kunst oder Kitsch getarnter, sammenzufassen. Das heißt vor allem: strei- belichteter Müll. In manchen Zeiten mehr, in chen, kürzen, weglassen – und doch mög- anderen zum Glück weniger. lichst vieles zu streifen, zu erwähnen, und dabei möglichst wenig zu verschweigen … Die Auswahl der Filme, die in der Folge be- schrieben werden, ist eine subjektive, sehr Da ich von wohlmeinenden ZeitgenossInnen persönliche, manchmal vielleicht nicht leicht in mitunter un-lieber Regelmäßigkeit daran nachvollziehbare, eine, die auch den Begriff erinnert werde, möglicherweise DOCH nicht »Österreichischer Film« dementsprechend ganz unfehlbar zu sein, möchte ich einen strapaziert: Klassiker wie Der dritte Mann, Ca- weiteren Faktor hier nicht unerwähnt lassen: sablanca oder The Sound of Music sind de Ich bin weder studierter Filmwissenschaftler facto KEINE heimischen Produktionen, aber noch Statistiker, und meinen Lebensunterhalt aus unterschiedlichen Gründen für mich DEN- bestreite ich leider nicht mit Kinobesuchen – NOCH österreichische Filme. Filme aus der 8
Zeit zwischen 1938 und 1945, in der es genau sich ob der Un-Ordnung der Filmauflistung genommen gar keinen »österreichischen« die Haare raufen, weil einer alphabetischen Film geben konnte, finden sich ebenso in die- Reihung gegenüber der nur scheinbar logi- ser Auflistung wie die eine oder andere Ko- scheren chronologischen der Vorzug gege- produktion aus jüngerer Vergangenheit, bei ben wird. Schließlich wird manch zeitgenös- der andere Länder zwar mitunter deutlich sischer Filmfreund möglicherweise darüber mehr zur Finanzierung beigetragen haben, verärgert sein, dass AUSGERECHNET sein ab- österreichische KünstlerInnen allerdings in soluter Lieblingsfilm keine Erwähnung findet, entscheidenden Positionen tätig waren – was weil ich den vielleicht gar nicht kenne – in jedem Fall auch detailliert begründet wird. oder gerade deshalb, WEIL ich ihn kenne. Ich Im Gegensatz zu diesen Spielfilmen finden selbst würde dieses Buch gar nicht schreiben Dokumentationen und TV-Produktionen – wollen, wäre es eine weitere, verzichtbare auch wenn es österreichische Beispiele gibt, »Best of …«-Liste. Ist es aber nicht. die in der Weltklasse mitspielen – in diesem Buch nur in ganz außergewöhnlichen Einzel- Vielmehr versteht es sich als Reflexion dessen, fällen Erwähnung. Mehr dazu vielleicht ein was in den letzten 120 Jahren in Österreich andermal. Abgesehen davon mutet es beina- über die Leinwand geflimmert ist: ein mitun- he ein wenig peinlich an, eine grenzüber- ter verzerrtes Spiegelbild unserer Geschich- schreitende Ausdrucksform wie die Filmkunst te, projiziert ins Dunkel eines Kinosaals, un- in ein nationales Korsett schnüren zu wollen. terhaltsam, dann wieder krampfhaft bemüht, Hoffnung zu schenken, manchmal irritierend, Viele der hier erwähnten Streifen sind au provokant, verführerisch, dann wieder proji- ßerdem keineswegs »Lieblingsfilme« von mir, ziert, um zu verkaufen, oder um scheinbar manche halte ich nicht einmal für besonders skrupellos Propaganda ebenso scheinbar gut. Aber eben trotzdem irgendwie für wich- schamlos als Information zu verkleiden. Film tig. Dafür bekommen andere – durchaus be- kann bekanntlich beinah alles: Er bringt uns deutende – Filmschaffende nicht den Platz, zum Lachen, zum Weinen, zum Nachdenken der ihnen gebührt, wie zum Beispiel Georg und zum Vergessen. Er ist nicht wirklich, aber Lhotzky, Karin Brandauer, Ernst Josef Lauscher, immer – irgendwie, irgendwo, irgendwann – Peter Kern, Michael Kreihsl, Arash T. Riahi, wahrhaftig und ehrlich. Antonin Svoboda, Michi Riebl oder Elisabeth Scharang. 100 Filme auf 256 Seiten sind we- Dieses Buch gibt 100 Beispiele dafür. Nicht niger, als man glaubt! mehr, nicht weniger. Einige Cineasten werden dieses Buch hassen, weil ich für sie wichtige Meilensteine ignorie- Christian Reichhold, Sommer 2018 re. Ein paar Filmhistoriker werden es verteu- feln, weil in jeder Verkürzung eine Vereinfa- chung steckt, die so dann nicht 100%ig stim- men kann. Der eine oder die andere wird 9
001 00SE X A M WOLFG ANGSEE (1 9 6 6) R E G I E Franz Antel D R E H B U C H Kurt Nachmann, Walter Breuer K A M E R A Siegfried Hold M U S I K Johannes Fehring B E S E T Z U N G Waltraut Haas, Hans-Jürgen Bäumler, Erwin Strahl, Helga Anders, Paul Löwinger, Gunther Philipp, Franz Muxeneder, Günther Frank, Erich Padalewski, Xenia Doppler, u. a. »Ein ›gefährlich‹ fröhliches Ferienerlebnis mit viel Liebe und Musik«, verspricht das Film plakat, »eine heitere James-Bond-Parodie, in der mehr geküßt als geschossen wird« das Filmprogramm, »anspruchslose, klamaukhaf- te Unterhaltung von kaum zu überbietender Albernheit … eine frivol angehauchte Motten- Lizenz zum Verführen: Eisprinz Hans-Jürgen Bäumler kisten-Posse … Opas Kino auf Hochglanz po- • liert«, urteilt hingegen vernichtend die Filmkri- tik. Ein typischer Franz-Antel-Film der 1960er- Jahre also. Daher wollen wir uns erst gar nicht mit der »Handlung« aufhalten, sondern wenden uns gleich den bewährten Zutaten zu, die damals zur »guten Unterhaltung« beitrugen: Zunächst einmal ist da der mondäne Drehort, das noble Hotel Excelsior in St. Gilgen am Wolfgangsee. Dann – nach vier Agentenfilmen der James- Bond-Serie – der Versuch, thematisch auf einen mit Volldampf dahinbrausenden Werbe- Zug aufzuspringen. Der Verweis auf Sex im Filmtitel, um Erwartungen beim Publikum zu wecken, die allerdings nicht einmal andeu-
tungsweise erfüllt werden. Dazu ein Eisprinz, der nach erfolgreichen olympischen Spielen und Weltmeisterschaften zum Schlagersänger und Schauspieler mutiert (ein Phänomen, das sich bis in Hansi-Hinterseer-Zeiten beobach- ten lässt). Um ganz sicherzugehen, noch der Instrumentalschlager Il Silenzio, der im Jahr zuvor (1965) 24 Wochen lang an der Spitze der österreichischen Hitparade steht. Außer- dem eine Menge hübscher Mädchen, ange- führt von »Miss Austria« Xenia Doppler und der 18-jährigen Innsbruckerin Helga Anders. Und schließlich ein filmreifes Happy End, bei dem der Film die Wirklichkeit einholt – und nicht, wie sonst oft üblich, umgekehrt. Wie sehr sich die Zeiten (hoffentlich) geän- dert haben, zeigt die Formulierung der kurzen Inhaltsangabe im damaligen Illustrierten Film- Kurier: »All die knusprigen Bikini-Mädchen sind natürlich nur die appetitlichen Zutaten zu diesem heiteren Ferienspaß. Hans Jürgen Bäumler – vom Eise befreit – bläst Trompete in höchsten Tönen und verliebt sich nach Noten in den Schlagzeuger, der allerdings ein Mädchen ist. Waltraut Haas, die eine Steuer- beraterin spielt, führt zwar nicht die Behörde, die unbedingt wissen will, was ein gutgehen- des Hotel so abwirft, sondern den Hotelier höchstpersönlich hinters Licht. Diesen Play- boy, der offensichtlich zuviel Geld und noch mehr Frauen hat, spielt Erwin Strahl. Daß es für ihn seine bisher schönste Rolle wurde, Lebenspartner Erwin Strahl geplant war. Antel liegt nicht zuletzt daran, daß die Hochzeit, die schlug daher spontan vor, diese Hochzeit das unvermeidliche Happyend besiegelt, sei- selbst auszurichten – unter der Bedingung, ne eigene war.« sie mit vier Kameras aufnehmen und in den In seinen Memoiren erinnert sich Franz Film einbauen zu dürfen. Mit Sondererlaubnis Antel, dass Waltraut Haas ihre Teilnahme an des Bischofs wurde am 28. Juli 1966 in St. Gil- 00Sex am Wolfgangsee ursprünglich verwei- gen geheiratet – und mitgefilmt. Die Ehe des gert hat, weil für die Zeit der Dreharbeiten Schauspielerpaars hielt beinah 45 Jahre, bis bereits die Hochzeit mit ihrem langjährigen zu Erwin Strahls Tod im April 2011. 31
008 BEL A MI (1 939) R E G I E Willi Forst D R E H B U C H Willi Forst, Axel Eggebrecht nach dem Roman von Guy de Maupassant K A M E R A Ted Pahle M U S I K Theo Mackeben B E S E T Z U N G Willi Forst, Olga Tschechowa, Hilde Hildebrand, Ilse Werner, Lizzi Waldmüller, Johannes Riemann, Hubert von Meyerinck, Will Dohm, Marianne Stanior, Rosita Serrano, u. a. »Ein kleines Liedchen geht von Mund zu es wichtig zu betonen, wie mies doch die Mund. Es ist beliebt, und das hat seinen Franzosen sind!). Nachdem der befrackte Grund: Denn es besingt den Liebling vieler Schmetterling 100 Filmminuten lang mit un- Damen, die ihm zuliebe fielen aus dem Rah- glaublich viel Chic, Charme und Esprit von men.« So beginnt der Tonfilm-Schlager Bel Blüte zu Blüte geflattert ist, klärt er alles auf, Ami von Theo Mackeben. Er wird in der Inter- verhilft dem Recht zum verdienten Sieg und pretation von Willi Forst nicht nur zum Schel- entschwindet mit Ilse Werner ins wohlver- lack-Hit, sondern auch zum gelungenen Ver- diente Glück. such des beliebten Schauspielers, Autors und Wie kaum ein Zweiter repräsentiert Willi Regisseurs, sich selbst als eleganten Frauen- Forst den tatsächlich auch als eigenes Genre schwarm zu inszenieren. Die Biografien von so bezeichneten »Wiener Film«, der in den Bel Ami und Willi Forst sollen verschmelzen, 1930er-Jahren oft an die Operette angelehnt wenn es weiter heißt: »Bist nicht schön, doch ist: ein vornehmes Umfeld, elegante, oft aris- charmant, bist nicht klug – doch sehr galant. tokratische Personen der Handlung, noble Bist kein Held, nur ein Mann, der gefällt.« Kostüme und Ausstattungen, heitere Ver- Mit Bel Ami erreicht Forst, der »Freibeuter wechslungen, unbeschwerter Tanz und viel der leichten Muse«, wie Filmhistoriker ihn Musik. Von Liebe wird ständig geredet und gern bezeichnen, einen der Höhepunkte sei- gesungen, geküsst wird aber nur selten. Erotik nes Schaffens. Paris 1900: Forst gibt einen hat in den beinah prüden Willi-Forst-Filmen narzisstischen Frauenbetörer, um den ein kaum Platz, sie kreisen vor allem um den sen- Reigen schöner Damen choreografiert wird, timentalen, melancholischen Kavalier im Zen- und der in eine typisch französische Intrige trum des Geschehens, um Willi Forst selbst. verwickelt wird (für die deutsche Zensur ist Seine unbeschwerten Komödien legt er (wie 44
er später behauptet: ganz bewusst!) als Ge- so gut wie alle meiner Filme in vergangenen genpol zu den zahlreichen Filmen jener Tagen, in denen noch Charme, Noblesse, Zeit an, die sich mit sozialpolitischen Themen Zartheit und Galanterie wesentlich waren. Ich und Propaganda auseinandersetzen müssen: gebe zu, diese Filme entstanden nicht nur aus »Meine Heimat wurde besetzt, und meine einer geistigen Haltung, sondern waren auch Arbeit wurde zu einem stillen Protest«, wird in hohem Maße ein Schutz gegenüber den Willi Forst 1977, drei Jahre vor seinem Tod, in Wünschen des damaligen Herrn Propaganda- der Filmkunst zitiert, »es klingt grotesk, aber ministers. Und es war nicht ohne diabolischen es entspricht der Wahrheit: Meine österrei- Reiz und Freude, gerade in dieser Zeit, als chischsten Filme machte ich in der Zeit, als man den letzten Rest eines einst riesig großen Österreich zu existieren aufgehört hatte. Ich Reiches ausgelöscht hatte, immer wieder habe damals genau getroffen, wonach die in der täuschenden Verpackung von Fröhlich- Menschen sich sehnten: Vergessen, und Freu- keit, Musik und Humor durchscheinen zu las- de … klarerweise war dies nicht in der Gegen- sen, welch geistige Großmacht Österreich wart jener Zeit zu finden, deshalb spielen einst war.« 45
060 M ARIANDL (1 9 61 ) R E G I E Werner Jacobs D R E H B U C H Janne Furch nach dem musikalischen Lustspiel Der Hofrat Geiger von Martin Costa K A M E R A Elio Carniel M U S I K Johannes Fehring, Hans Lang, Kurt Nachmann B E S E T Z U N G Waltraut Haas, Rudolf Prack, Hans Moser, Conny Froboess, Peter Weck, Gunther Philipp, Susi Nicoletti, Edith Elmay, Raoul Retzer, Hugo Gottschlich, u. a. Fast 15 Jahre nach dem größten Kinoerfolg zu Idolen der Petticoat-Ära. Sie dreht an die der österreichischen Nachkriegsgeschichte 20 Filme, ehe sie zum Mariandl wird. Connys wird Der Hofrat Geiger nun in grellbuntem deutscher Akzent wird im Film dadurch er- Agfacolor und unter dem Titel Mariandl neu klärt, dass Mariandl in Berlin aufgewachsen ist. verfilmt. Wieder wird viel verwechselt, miss- Oder so … verstanden, gesungen und geheiratet, wieder Das 18-jährige Mariandl kommt aus Berlin, sind Waltraut Haas (diesmal in der Mutter- um sich im Ministerium in Wien persönlich da- Rolle) und Hans Moser Hauptdarsteller im nach zu erkundigen, warum ihre Bewerbung Wachauer Landl-Landl (richtig, das berühmte um ein Musik-Stipendium abgelehnt worden Mariandl-Lied darf auch im Farbfilmzeitalter ist. Dort trifft sie Hofrat Geiger, der sich per- nicht fehlen). Den Hofrat Geiger (im Original sönlich ihres Akts annimmt – nicht ahnend, gespielt von Paul Hörbiger) gibt nun Frauen- dass es sich bei dem Mädchen um seine un- schwarm Rudolf Prack, in der Titelrolle brill- eheliche Tochter handelt. Während er sie iert die 18-jährige Conny Froboess, die trotz zum Heurigen ausführt, steht in Dürnstein das ihres jugendlichen Alters seit zehn Jahren im schon etwas heruntergekommene Hotel ihrer Showgeschäft ist: Schon 1951 hat sie mit dem Mutter vor der Pleite. Doch ehe die sich ei- Schlager Pack die Badehose ein aus der Feder nem reichen Weinhändler in die Arme werfen ihres Vaters einen Hit und wird zum Kinder- kann, sind Mariandl und Hofrat Geiger zur star. Mit 16 ist sie erstmals Gesangs- und Stelle. Und alles wird gut. Filmpartnerin von Peter Kraus, denn Conny Der 81-jährige Hans Moser steht bei der und Peter machen Musik (so auch der Titel Finalisierung des Films erstmals vor dem Pro- eines ihrer bekanntesten Filme) und werden blem, Teile seines Dialogs im Tonstudio nach 148
synchronisieren zu müssen. Da er nach zahl- reichen Versuchen an den Worten »Also, geh ma’s an!« vorm Mariandl-Lied scheitert, über- nimmt diesen Part sein Kollege Gunther Phi- lipp, der Mosers Tonfall perfekt imitiert. Weil auch diese zweite Hofrat Geiger-Fas- sung sich als Kassenschlager erweist, folgt im Jahr darauf gleich die nächste: In Mariandls Heimkehr (1962) werden die Schlager Zwei kleine Italiener, Lady Sunshine und Mister Moon und Dafür versteh’n wir uns zu gut ein- gebaut, neben den bereits bekannten Haupt- darstellern aus dem zweiten Teil spielen zu- sätzlich noch Sieghardt Rupp (als mieser Pferdehändler, der Rösser zum Verwurschten gern hat), Dany Sigel, Peter Machac, Herbert Fux und Sepp Löwinger. Die Dreharbeiten fin- den wieder in der Ateliers der Wien-Film in Sievering und natürlich in der Wachau statt. Und weil am Ende jedes Teils geheiratet wer- den muss, bekommt die Conny wieder ihren Peter – diesmal allerdings nicht Kraus, son- dern Weck, dem sie auch im wirklichen Leben (wie er in seinen Memoiren verrät) »zu dieser Zeit näher verbunden war«. Peter Weck ist es auch, der den bislang letzten Hofrat Gei- ger-Aufguss inszeniert: Im TV-Film Alte Liebe – Neues Glück spielt er 1996 selbst den Hofrat, Christiane Hörbiger die resolute Marianne, und Birgit Stauber gibt ihr Debüt als Mariandl. 149
086 SONNE HALT! (1 9 62) R E G I E Ferry Radax D R E H B U C H Ferry Radax, Konrad Bayer K A M E R A Ferry Radax B E S E T Z U N G Konrad Bayer, Ingrid Schuppan, Suzanne Hockenjos, Alberto Jolly Sonne halt! ist nur eines der vielen guten – dem als Autor, Kameramann, Regisseur, Cut- und dem Kinopublikum doch weitgehend ter und Produzent in Personalunion tätig. Sein unbekannten – Beispiele für den österreichi- Gesamtwerk umfasst mehr als 120 Filme, schen Avantgardefilm in der Zeit zwischen Sonne halt! ist ein typisches, 26 Minuten lan- 1955 und 1970. International hochgeschätzt ges Beispiel dafür. Einer von Ferry Radax und vielfach ausgezeichnet findet er in hei verbreiteten Legende nach entsteht dieser mischen Kinos zunächst nur in Sondervorfüh- Titel unmittelbar beim Verlassen des Unter- rungen oder bei Festivals – also praktisch richtsministeriums, wo man ihm gerade 5000 unter Ausschluss einer breiteren Öffentlichkeit Schilling Förderung für einen Experimental- – statt. Daher sind hierzulande Namen wie film angeboten hat: »… dort sehe ich über der Wolfgang Kudrnofsky, Kurt Steinwender, Her- Minoritenkirche die Sonne, die mich blendet, bert Holba, Franz Josef Fallenberg, Michael und ein Titel taucht in meinem Kopf auf: Pilz, Marc Adrian, Hans Scheugl, Gottfried Sonne, halt! Und ich dachte, daraus muß ich Schlemmer oder Otmar Bauer nur einge- einen Film machen.« Es entsteht ein surreales fleischten Cineasten ein Begriff. Filmkünstler Verwirrspiel mit dem Schriftsteller Konrad wie Peter Kubelka, Gerhard Rühm, Karl Kases, Bayer in einer Doppelrolle als Matrose und Franz Novotny, Kurt Kren, Otto Mühl, Peter Dandy, gedreht wird 1959 in Schwarz-Weiß Weibel oder Valie Export werden erst später mit einer Handkurbelkamera in den winter durch andere Kunstaktionen und -provokati- lichen Cinque Terre: Um eine gelangweilte onen, oder nach ihrem Wechsel in Richtung Schönheit zu beeindrucken, schießt ein Mainstream, mehr oder weniger bekannt. Dandy ihr die Sonne vom Himmel. Die wird Und dann ist da noch Ferry Radax: 1932 allerdings von einer zweiten Schönheit auf in Wien geboren, geht er bereits in jungen gefangen – also knallt der Dandy auch noch Jahren filmend auf Wanderschaft und ist seit- den Mond ab und zerstört, weil er selbst da- 200
Zum Wohl! Ferry Radax stößt auf Ferry Radax an. • mit nicht imponieren kann, seine eigene, gerufen, der Grundgedanke ist in erster Linie höchst seltsame Welt. Während des Film- ein volksbildnerisch-pädagogischer: Kinder schnitts, der sich über drei Jahre zieht, be- und Jugendliche sollen Zugang zu inhaltlich sucht Konrad Bayer Radax in Bern und liest wie formal bedeutend(er)en Filmen bekom- ihm aus seinem eben erst begonnenen Ro- men, auch wenn die kein Massenpublikum man Der sechste Sinn vor. Die von Bayer ge- ansprechen. In der Praxis heißt das: Die Ver- sprochene Tonaufnahme montiert Radax zu leiher geben die gewünschten Filme günstiger einer Fassung, mit der er schließlich auch frei, die Kinobetreiber überlassen ihre sonst selbst zufrieden ist: »So hätte ich mir den zu- ohnehin leeren Säle zu besseren Konditionen, künftigen Spielfilm vorgestellt: kurz, aufs und die Gemeinden verzichten auf einen Teil Essentielle komprimiert, überreale Thematik der »Lustbarkeitssteuer«, die auf jede Filmvor- und von Dauerhaftigkeit.« führung eingehoben wird. 1997 schlägt der Als Gegenpol zu Kommerzfilmen mit Aktion auf typisch österreichische Weise die seichten Inhalten, die Mitte der 1950er-Jahre letzte Stunde: Die Bereiche Unterricht und die Leinwand beherrschen, wird 1956 die Kunst werden auf zwei Ministerien aufgeteilt, Aktion »Der gute Film« gegründet. Diese Ini- und plötzlich fühlt keines von beiden sich tiative wird natürlich nicht nur zur Förderung mehr für die Subvention zuständig. des heimischen Avantgardefilms ins Leben 201
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