Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle - Ernst-Christoph Meier* - De Gruyter
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SIRIUS 2021; 5(2): 140–147 Kurzanalysen und Berichte Ernst-Christoph Meier* Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle https://doi.org/10.1515/sirius-2021-2004 Obergrenzen mussten nach 7 Jahren erreicht werden, was zum 5. Februar 2018 auch fristgerecht erfolgte. Nach dem Datenaustausch vom 1. September 2018 hieß das: 1 Einleitung – Dislozierte ICBMs, SLBMs, Schwere Bomber (Ober- grenze 700): USA: 659, Russland: 517 – Sprengköpfe auf dislozierten ICBMs, SLBMs, Schwe- Nach dem Amtsantritt der neuen US-Regierung unter Prä- ren Bombern (Obergrenze 1.550): USA: 1398, Russ- sident Biden haben sich die USA und Russland noch im land: 1.420. Januar 2021 zügig auf die Verlängerung des zum 5. Februar – Dislozierte und nicht-dislozierte ICBMs, SLBMs, 2021 auslaufenden New START Vertrags (START – New Schwere Bomber (Obergrenze 800): USA: 800, Russ- Strategic Arms Reduction Treaty) um fünf Jahre geeinigt. land: 774. Damit wurde verhindert, dass nach dem Ende des INF- Vertrags über nukleare Mittelstreckensysteme in Europa New START sieht pro Jahr zehn Vor-Ort-Inspektionen für 2019 und dem Ausstieg der USA aus dem Vertrag über die Zählung von Sprengköpfen und Trägermitteln sowie den Offenen Himmel 2020 ein weiterer – und damit der acht Inspektionen in nuklearen Lagerstätten vor. Der Aus- letzte – nukleare Rüstungskontrollvertrag zwischen USA tausch von Telemetriedaten ist auf fünf Raketentestflüge und Russland zur Disposition gestellt wurde. Diese Ent- pro Jahr begrenzt. scheidung wurde von den europäischen Verbündeten der Durch die einvernehmliche Verlängerung von New USA einhellig begrüßt, hatten sie doch über Jahre vergeb- START wurde zum einen eine Phase erheblicher strategi- lich versucht, die Vorgänger-Regierung zu einem klaren scher Unsicherheit beendet, zum anderen ein Ausgangs- Bekenntnis zur Fortsetzung der strategischen Rüstungs- punkt geschaffen für einen von beiden Seiten explizit ge- kontrolle und zu der im Vertrag selbst vorgesehenen Ver- wünschten breiten Dialog über die strategische Stabilität längerungsmöglichkeit um bis zu fünf Jahren zu bewegen. und ihre – zum Teil neuartigen – Gefährdungen. Damit gilt der am 8. April 2010 in Prag durch die Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedjew un- terzeichnete und am 5. Februar 2011 in Kraft getretene Vertrag mit seinen Obergrenzen für die strategischen Nu- 2 Von SALT zu New START – klearwaffen beider Seiten zunächst weiter, einschließlich eines umfassenden Verifikationssystems. Mehr Sicherheit durch nukleare New START legt die Obergrenzen für dislozierte Trä- Rüstungskontrolle gersysteme – also landgestützte Interkontinentalraketen (ICBMS), seegestützte Interkontinentalraketen (SLBMs) In den vergangenen 50 Jahren stand die nukleare Rüs- und Schwere Bomber – auf 700 fest (plus 100 nicht-dis- tungskontrolle und Abrüstung hochpriorisiert auf der lozierte) und die Anzahl der Gefechtsköpfe auf diesen auf Agenda fast aller US-Präsidenten – mit erstaunlichen Er- 1.550. Jede Seite ist grundsätzlich frei in der Zusammen- folgen. Die Nuklearwaffenpotentiale beider Seiten wurden setzung und Struktur ihrer strategischen Offensivkräfte. bis zum Jahr 2020 auf rund 12.000 reduziert. Mitte der Die Anzahl der eingelagerten und vorhandenen nuklearen 1980er Jahre lag diese Zahl noch über 65.000. Allein im Gefechtsköpfe wird durch New START nicht begrenzt. Die Bereich der strategischen Nuklearwaffen bedeutete dies eine verifizierte Absenkung auf 6.000 dislozierte Spreng- köpfe im Rahmen von START I in den 1990er Jahren und Anmerkung: Der Artikel gibt die persönliche Meinung des Autors dann auf 1.550 Sprengköpfe im Jahr 2018 im Rahmen von wieder, nicht die des Bundesministeriums der Verteidigung. New START. *Kontakt: Dr. Ernst-Christoph Meier, Referatsleiter für Rüstungs Die strategische Stabilität wurde hierbei allerdings kontrolle in der Abteilung Politik im Bundesministerium der Ver- weniger durch die Verringerung der Potentiale, sondern teidigung, Berlin; E-Mail: echrismeier@gmail.com in erster Linie durch eine Triade von boden-, see- und luft-
Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle 141 gestützten Interkontinentalsystemen gewährleistet, die Seiten vertragstreu implementierte New START-Vertrag beiden Seiten eine gesicherte Zweitschlagsfähigkeit ver- als nachteilig für die US-Interessen empfunden wurde. leihen. Stabilität wird aber auch durch ein komplexes und Die Folge war, dass es nahezu weitere dreieinhalb Jahre intrusives Verifikationssystem geschaffen, welches für ein brauchte, bis die USA sich inhaltlich zu der zeitlich immer hohes Maß an Transparenz und Berechenbarkeit sorgt. dringlicheren Frage einer Verlängerung des Vertrags po- Die Geschichte der strategischen Rüstungskontrolle sitionierte und zu einigen Gesprächsrunden über inhalt- zwischen USA und Sowjetunion/Russland ist aber auch liche Elemente einer Vereinbarung über den 5. Februar eine Geschichte der Rückschläge, des Misstrauens und 2021 hinaus mit Russland bereit war. unerfüllter Erwartungen. Gleichwohl fanden beide Seiten Seit Mitte 2020 wurden eine Reihe hochrangiger Ge- immer Wege, den Prozess weiter voranzutreiben. Auch spräche geführt, in denen die USA schließlich zu einer ohne Inkrafttreten des 1993 ausgehandelten START II- einjährigen Verlängerung des Vertrags in Verbindung Vertrags – dieser scheiterte im Jahr 2000, weil Russland mit einem freeze für die Anzahl aller dislozierten und auf der Beibehaltung des ABM-Vertrages bestand – blieb nicht-dislozierten nuklearen Gefechtsköpfe beider Seiten START I bis 2009 in Kraft. Gespräche zu START III wurden bereit waren, was aber an der für Russland nicht akzep- bereits 1997 ins Auge gefasst. Das proklamierte Ende der tablen Verknüpfung mit deutlich intrusiveren Verifika- „verhandelten“ Rüstungskontrolle und die Aufkündigung tionsbestimmungen für diesen freeze (Überprüfung der des ABM-Vertrags durch die Bush-Administration 2001 ver- Produktion von Gefechtsköpfen vor Ort) scheiterte. Dabei hinderte in der Folge nicht den Abschluss des Moskauer herrschte auf Seiten der amerikanischen Verhandlungs- Vertrags (SORT) 2002 mit weiteren Absenkungen und delegation unter Leitung von Sonderbotschafter Marshall unter Beibehaltung des Verifikationssystems von START Billingslea bis zum Schluss die Sichtweise vor, dass ein I. Auch die Trump-Regierung versuchte 2020 nach Jahren Erhalt von New START vor allem im russischen Interesse des Zuwartens und der Indifferenz in den letzten Monaten läge und Russland deshalb auf die US-Vorstellungen ihrer Amtszeit noch einen konkreten Verhandlungserfolg einschwenken müsste. Diese Einschätzung erwies sich mit Russland zu erreichen, was allerdings allein wegen als unzutreffend. Zuvor hatten die USA ihre langjährige des Zeitdrucks zu keinem Erfolg führte. Forderung nach sofortiger Einbeziehung Chinas in die strategische Rüstungskontrolle aufgegeben und auch das Ziel der Einbeziehung der neuen russischen strategischen 3 D ie Vorgeschichte – Nuklearwaffen zunächst vertagt. Implementierung und Stagnation US-Präsident Barack Obama hatte New START noch als 4 A uftakt zu Folgeverhandlungen – „Brückenvertrag“ auf dem Weg zu einer nuklearwaffen- Strategische Stabilität im Fokus freien Welt verstanden. In seiner Prager Rede am 5. April 2009 noch vor Abschluss der New START-Verhandlungen Die im Januar 2021 erfolgte Verlängerung des Vertrags hatte er die Vision einer Welt ohne Atomwaffen skizziert, um 5 Jahre schafft einen Rahmen für Folgegespräche die man schrittweise erreichen wolle. In seiner Rede vor und –verhandlungen. Diese Verhandlungen liegen im dem Brandenburger Tor am 19. Juni 2013 hatte er eine Interesse beider Seiten und sind inhaltlich ambitioniert. weitere Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen um Mit ihnen werden Kernfragen der strategischen Stabilität bis zu einem Drittel, also auf rund 1.000 Sprengköpfe, und und der diese bestimmenden Faktoren in den Mittelpunkt eine substanzielle Reduzierung auch der taktischen (nicht- rücken. strategischen) Nuklearwaffen in Europa vorgeschlagen. Russland erklärte noch am 21. Januar 2021, dass man Russland zeigte sich daran aber nicht interessiert, so dass eine neue security equation anstrebe, die alle Faktoren der der Dialog über weitere nukleare Abrüstungsschritte zwi- strategischen Stabilität, einschließlich der Entwicklungen schen den beiden nuklearen Großmächten für Jahre ver- im Bereich der Militärtechnologien umfassen müsse. Dazu siegte. gehöre auch, dass alle Typen an offensiven und defensi- Mit dem Antritt der Trump-Administration im Januar ven, nuklearen und nicht-nuklearen Waffen mit strategi- 2017 setzte sich die Phase der Stagnation in der strategi- schen Aufgaben betrachtet werden müssten, genauso wie schen Rüstungskontrolle fort, auch weil diese Adminis- der Bereich der Weltraumsicherheit und die Verhütung tration grundsätzlich der Rüstungskontrolle skeptisch eines Wettrüstens im All. Die praktische Umsetzung all gegenüberstand und selbst der zweifelsfrei von beiden dieser „Ideen“ erfordere ganz offensichtlich „komplexe
142 Ernst-Christoph Meier und größtenteils innovative Arbeit“. Der noch im Dezem- der russischen Außen- und Sicherheitspolitik verloren. Die ber 2020 mit den USA verhandelte freeze sei hierbei aber strategische Rüstungskontrolle ist für Russland wesent- kein Thema mehr. lich, um mit der anderen Großmacht USA politisch und Die Biden-Regierung ließ ihrerseits noch am 22. Januar strategisch auf Augenhöhe zu bleiben und Ebenbürtigkeit 2021 ihren Verbündeten mitteilen, dass man New START zu erhalten. Von SALT bis New START ging es der Sowjet- verlängern wolle, da der Vertrag im nationalen Sicher- union bzw. Russland immer auch darum, global als gleich- heitsinteresse der USA und ihrer Verbündeten liege. Mit wertiger Akteur wahrgenommen zu werden, indem die ihm könne das russische Nuklearwaffenprogramm be- strategische Parität bei den Nuklearwaffen und die russi- grenzt werden. Zudem erlaubten die Verhandlungen, dass sche Zweitschlagskapazität gesichert werden konnten. die US-Administration Informationen über das russische Bereits Anfang Dezember 2019 ließ Präsident Wladi- Nuklearwaffenpotential und Zugang zu den russischen mir Putin verlauten, dass New START ohne Vorbedingun- Nukleareinrichtungen erhält. Außerdem wurde erklärt, gen verlängert werden sollte. Die maximal mögliche fünf- dass der US-Präsident die Verlängerung von New START jährige Verlängerung blieb fortan die russische Präferenz. als Beginn von Anstrengungen betrachte, Russland und Mit der nun vereinbarten Verlängerung von New START andere Staaten in einem Prozess zu engagieren, der sich wurde dementsprechend ein wesentliches politisches mit den Bedrohungen, die von Nuklearwaffen ausgehen und militärisches Ziel Russlands erreicht. Gleichzeitig und mit den neuen Herausforderungen der strategischen hat Russland, befördert durch den Stillstand des stra- Stabilität beschäftigt. Dabei habe man gleichzeitig die tegischen Dialogs mit der NATO und den USA seit 2014, russischen Herausforderungen und die aggressiven rus- die qualitative Modernisierung seines gesamten Nuklear- sischen Handlungen im Auge. US-Außenminister Antony potentials vorangetrieben und damit sowohl seine Mittel Blinken bestätigte am 22. Februar 2021 im Rahmen der zur Überwindung der seit Jahren als Bedrohung für die Genfer Abrüstungskonferenz die Bereitschaft zu Diskus- Zweitschlagskapazität empfundene US-Raketenabwehr sionen mit Russland über „arms control and emerging als auch seine Optionen für mögliche künftige Rüstungs- security issues“. Von 2017 bis 2020 hatten bereits einige kontrollverhandlungen deutlich erweitert. amerikanisch-russische Gesprächsrunden unter dem Allerdings haben die USA nur ein begrenztes Arsenal Namen Strategic Stability Talks bzw. Strategic Security von Raketenabwehrsystemen und die Präsidenten Barack Talks mit verschiedenen Themenschwerpunkten statt- Obama und Donald Trump haben in der Vergangenheit gefunden, zuletzt fokussiert in drei Arbeitsgruppen zu keine Absicht erkennen lassen, dieses zu einem umfas- Verifikation und Transparenz, Doktrinen und Weltraum. senden System auszuweiten. Das Raketenabwehrsystem Fortschritte wurden hierbei nicht erzielt. ist ausgerichtet auf die Verteidigung gegen eine begrenzte Zu Beginn des Jahres 2021 ist der Boden neu bereitet Zahl von Raketen, die aus dem Iran oder Nordkorea für einen vermutlich substantielleren und erfolgsträchti- kommen könnten. Es besteht weitgehend aus dem Ground- geren Sicherheitsdialog zwischen den USA und Russland. based missile interceptor (GBI) und den entsprechenden Es ist davon auszugehen, dass die Vorbereitung der Ge- Steuerungs- und Leitsystemen.1 Diese Fähigkeit zur Ver- spräche einige Zeit in Anspruch nehmen wird, was natür- teidigung gegen eine begrenzte Anzahl von Raketen ist lich mit an der üblicherweise notwendigen Zeit für sicher- in mehreren Tests unter Beweis gestellt worden. Aus heitspolitische reviews aller Art auf Seiten jeder neuen russischer Sicht kann dieser bislang begrenzte, aber US-Regierung liegt. Grundsätzlich wird wohl ein eher durchaus gegen russische ICBMs funktionierende GBI- breiter strategischer Dialog zur Sondierung von Themen Schutzschirm, als Ausgangspunkt für einen möglichen und Interessen begonnen, der dann nach und nach zur umfassenden Ausbau zur Abwehr russischer strategischer Eingrenzung auf wirkliche Verhandlungen über die Nu- Raketen interpretiert werden. Dies erklärt, warum Russ- klearwaffen und möglicherweise auch andere Themen- land so starkes Gewicht auf die Hyperschall-Technologie felder führen wird. gelegt hat. 5 Interessen und Ziele 1 Beim Ground-based missile interceptor (GBI) handelt es sich um einen mehrstufigen Booster zur Abwehr anfliegender ICBMs in der midcourse Phase (hit-to-kill bzw. kinetic kill). Es gibt davon 44 Stück, Im Gegensatz zur US-Haltung in den Jahren der Trump- stationiert in Alaska und in Kalifornien. Im Rahmen des Ballistic Mis- Administration hat auf russischer Seite die nukleare Rüs sile Defense Review unter Trump wurde die Erweiterung der Abwehr gegen andere Typen von Raketenbedrohungen angewiesen, also tungskontrolle nie ihren prioritären Stellenwert als Teil gegen Marschflugkörper und gegen hypersonische Raketen.
Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle 143 Kern des russischen Aufrüstungsprogramms sind die Eine weitere Absenkung der Sprengköpfe und der von Präsident Wladimir Putin am 1. März 2019 in seiner ngriffssysteme wäre absehbar auch mit einer neuen A Rede zur Lage der Nation vorgestellten neuen und neu- Nuclear Posture Review der Biden-Regierung vereinbar. artigen Nuklearwaffen, die zumindest teilweise als bargai- Wesentliches Interesse der USA wird darüber hinaus die ning chip für Rüstungskontrollverhandlungen betrachtet Erfassung der neuen russischen Nuklearwaffen sein. Mög- werden können: Awangard: ein hypersonischer manö- licherweise wird Russland aber versuchen, dies zum Teil vrierfähiger Gleiter, der auf eine SS-19-Interkontinental- im Rahmen des bestehenden New START-Vertrags (Art. V, rakete montiert werden kann und Ende 2019 in Dienst XI) zu lösen. gestellt wurde; Sarmat (SS-29): eine neue „schwere“ Inter- Von besonderer Bedeutung in Folgeverhandlungen kontinentalrakete, welche die SS-18 ersetzen und 2021 in wird aus US-Sicht das Ziel der Einbeziehung der nicht- Dienst gestellt werden soll; Burewestnik (SSC-X-9, Skyfall): strategischen Nuklearwaffen, also der Nuklearwaffen in ein nukleargetriebener Marschflugkörper; Kinschal: eine Europa sein. Hierfür gibt es drei Gründe. luftgestützte manövrierfähige Langstreckenrakete mit 1. Die Resolution des US-Senats zur New START Ratifi- einer Reichweite bis 3.000 km; Poseidon: ein nuklearge- zierung 2010 enthält in Artikel 12, (A), (i), die Vorgabe, triebener Langstreckentorpedo. Nach russischen Aus- dass die Aministration bestätigen muss, innerhalb sagen fallen zumindest Awangard und Sarmat unter die eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrags Ver- Regeln des New START Vertrags, der sowohl eine Moder- handlungen mit Russland über ein Abkommen zur nisierung der strategischen Offensivwaffen zulässt als Reduzierung der Disparitäten der jeweiligen Arsenale auch Konsultationen über neue strategische Waffen vor- an nicht-strategischen (taktischen) Nuklearwaffen sieht, die noch vom Vertrag erfasst sind. anzustreben. Außerdem muss die Administration Nachdem Russland am 2. Juni 2020 erstmals seine Nu- jährlich über die Fortschritte dazu berichten. Ohne kleardoktrin veröffentlich hatte, möchte Moskau in den Ge- Erfüllung dieser Vorgabe des Senats wird die Ratifizie- sprächen mit den USA offenbar zunächst über Bedrohungs- rung eines neuen Vertrags mit Zweidrittelmehrheit im perzeptionen und Nukleardoktrinen sprechen, um dann in Senat so gut wie ausgeschlossen sein. Diese Vorgabe der Folge Verhandlungsgegenstände festzulegen, die in war auch Grund für den von der Trump-Regierung verschiedene Abkommen oder Erklärungen einmünden befürworteten freeze für alle Nuklearwaffen, da hier könnten. Der Fokus in den nuklearen Rüstungskontroll- erstmals die Nuklearwaffen in Europa einbezogen und verhandlungen liegt für Russland weiterhin bei den stra- mittelbar ein cap für die Nuklearwaffen in Europa ein- tegischen Trägermitteln und den stationierten Gefechts- gezogen worden wäre. köpfen. Eine Bereitschaft zu weiteren Reduzierungen lässt 2. Mit dem Ende des INF-Vertrags 2019 und der russi- sich bislang noch nicht festmachen. Auch zur Begrenzung schen Aufrüstung im Bereich der nuklearen Mittel- der Raketenabwehr oder weitreichender konventioneller streckenwaffen, vor allem durch die Dislozierung des Systeme (Prompt-Global-Strike System) mit strategischer weitreichenden, mobilen und schwer bekämpfbaren Qualität gibt es noch keine spezifizierten russischen Fest- Marschflugkörpers 9M729 (SSC-8) in Europa, hat sich legungen. Ein Schwerpunkt wird sicherlich das russische die Bedrohungslage für alle NATO-Staaten deutlich Beharren auf dem Verbot von Waffen im Weltraum sein. verändert. Damit gibt es auch keinerlei rüstungskon- Die Biden-Regierung wird ihrerseits, wie in vielen trollpolitische Begrenzung für Nuklearwaffen mehr. anderen Feldern, an die Positionen der Obama-Regierung 3. Die Biden-Administration hat sich nach den trans- anknüpfen, sie wird aber nicht umhinkommen, einem atlantischen Verwerfungen der Trump-Jahre enge doch stark veränderten strategischen Kontext Rechnung Konsultationen mit den Verbündeten und in der NATO zu tragen. Dies bedeutet, dass die USA zunächst grund- auf die Fahnen geschrieben. Dem immer wieder in sätzlich zu einer weiteren echten Reduzierung der strategi- den vergangenen Monaten von europäischer Seite schen Nuklearwaffen bereit sein dürften. Dies entspräche vorgetragenem Petitum der Einbeziehung der Nu- der „moralischen Verantwortung“ zur Beseitigung der klearwaffen in Europa in die künftige strategische Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen, die Außen- Rüstungskontrolle wird man Rechnung tragen wollen. minister Antony Blinken erst kürzlich betont hat. Damit will die Biden-Administration auch den Erwartungen der Russland hat demgegenüber 2020 zur Lösung der INF- europäischen Verbündeten und anderer internationaler Frage ein Moratorium für Europa vorgeschlagen, das Akteure entsprechen, die die Verpflichtungen unter Art. allerdings von den NATO-Staaten aus vielerlei Gründen VI des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nach abgelehnt wurde. Ein Moratorium würde den russischen Verhandlungen über nukleare Abrüstung anmahnen. Vertragsbruch belohnen, mögliche – auch konventio-
144 Ernst-Christoph Meier nelle – Gegenmaßnahmen verhindern und das Gesamt- Daneben wird die Überprüfung (Verifikation) der problem der gewaltigen Disparität im Bereich der Kurz- Bestimmungen künftiger Abkommen im Bereich strate- und Mittelstreckensysteme unberührt lassen. gischer (und nicht-strategischer) nuklearer Rüstungs- Ein weiteres Interesse der USA für Folgeverhand- kontrolle an Bedeutung gewinnen. Der Grund hierfür ist lungen bleibt die Einbeziehung Chinas in die nukleare zunächst ein politischer: Die Beziehungen zwischen USA Rüstungskontrolle. Während die Trump-Regierung die und Russland haben in den vergangenen Jahren einen po- Einbeziehung Chinas über dreieinhalb Jahre lang zur Vor- litischen Tiefpunkt erreicht. Das Vertrauen ist gemeinsam bedingung eines jeden Rüstungskontrollabkommens mit mit der Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik Russland gemacht und damit jeglichen realen Verhand- weitestgehend verschwunden. Was rüstungskontroll- lungsfortschritt verunmöglicht hatte, wird die Biden-Re- politisch vereinbart wird, wird tendenziell intrusiver ve- gierung dies als richtiges, aber nur langfristig erreichbares rifiziert werden. Es gibt keinen Vertrauensvorschuss mehr. Ziel weiterverfolgen, ohne damit die amerikanisch-russi- Ronald Reagans vielzitierter Ausspruch im Zusammen- schen Gespräche zu konditionieren. Russland hat über- hang mit den START I – Verhandlungen „Trust, but verify“ dies bislang kein aktives Interesse an einer Einbeziehung erscheint gegenwärtig schon fast zu vertrauensselig. Das Chinas erkennen lassen, fordert stattdessen die Einbezie- US-Verhandlungsteam forderte Ende 2020 von Russland hung der Nuklearwaffenstaaten Frankreich und Groß- dementsprechend eine weitgehende Überprüfung des britannien. vorgeschlagenen freeze für die Nuklearwaffen durch Vor- China hat seinerseits am 21. Januar 2021 erneut seine Ort-Verifikation der Produktion aller nuklearen Gefechts- rigorose Ablehnung eines trilateralen Dialogansatzes öf- köpfe. fentlich bekundet. China besteht auf bilateraler Abrüstung Eine weitere gewaltige Herausforderung für die Ve- der beiden großen Nuklearmächte auf sein Niveau und rifikation wird die potenzielle Einbeziehung der nicht- wäre nachfolgend bereit, im multilateralen P5-Rahmen strategischen Nuklearwaffen in Europa mit sich bringen. Gespräche zu führen. Während im Rahmen des INF-Vertrags vor Ort die vollstän- dige Zerstörung aller nuklearen Mittelstreckenraketen ve- rifiziert werden musste, würde es nun um die Überprüfung 6 N eue Technologien und einer großen Anzahl von hochmobilen, konventionell und nuklear bestückbaren Flugkörpern unterschiedlicher Verifikation Reichweiten in den Weiten des russischen Territoriums diesseits und wohl auch jenseits des Urals gehen. Hinzu Zwei weitere Parameter werden die Gespräche von USA kommt die maritime Komponente, denn viele der Systeme und Russland absehbar mitbestimmen. Die emerging kürzerer und mittlerer Reichweite sind auch auf Überwas- technologies werden direkt oder indirekt eine große Rolle serschiffen oder U-Booten stationiert. spielen. Hyperschallschnelle und manövrierbare Flug- körper, deren Flugstrecke nicht vorhersehbar ist, stellen im Spannungsfeld zwischen gesicherter Zweitschlags- kapazität und begrenzter Raketenabwehr eine neue Vari- 7 G roßmachtrivalität und able und eine neue Herausforderung für die strategische Rüstungskontrolle Stabilität dar. Auch die zunehmende Zahl unbemannter Systeme und hochpräziser konventionelle Langstrecken- Die USA und Russland haben kurz nach Amtsantritt von waffen, die gewachsene Anzahl von Flugkörpern, die Präsident Joseph Biden New START um die maximal sowohl nuklear wie auch konventionell eingesetzt werden mögliche Zeit verlängert. Nach Jahren der Erosion der können, wachsende Cyberfähigkeiten sowie Gefähr- konventionellen und nuklearen Rüstungskontrolle und dungen der Weltraumsicherheit durch boden- oder welt- der Schwächung einer regelbasierten internationalen raumgestützte Systeme stellen gegenüber der nuklearen Ordnung war dies ein Akt der politischen Klugheit. Es Rüstungskontrolle vergangener Jahre ein Bündel an neuen bleibt aber die Aufgabe bestehen, nukleare Rüstungskon- militärischen Wirkfaktoren dar, die in den Verhandlungen trolle unter veränderten Rahmenbedingungen neu zu ge- erfasst werden müssten. Diese Aufgabe ist hochkomplex stalten. Einen freeze und ein weiteres Absenken von Ober- angesichts der unterschiedlichen Entwicklungsstufen auf grenzen sind Schritte, die man kurzfristig ins Auge fassen beiden Seiten. Sie kann nur schrittweise und vermutlich könnte, ohne die nukleare Abschreckung und die Sub- auch nur in unterschiedlichen Dialog- und Verhandlungs- stanz von russischer Nukleardoktrin und Nuclear Posture formaten angegangen werden. Review der USA zu gefährden.
Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle 145 Klar ist, dass nur über bilaterale Fortschritte genügend In Zeiten der – um China erweiterten – Großmacht- Druck auf China erzeugt werden kann, sich zu beteiligen rivalität sind die Aussichten auf ein substanzielles Fol- und selbst zu begrenzen – und dies wird neben realer geabkommen zu New START ungewiss. Der vermeintlich Abrüstung der beiden großen Nuklearmächte weitere großzügige Zeitrahmen von 5 Jahren wird in der Realität US-Zugeständnisse bei der Stationierung von Raketen- gerade mal ausreichen, um im besten Falle einen echten abwehrsystemen in Japan, Taiwan und Südkorea und Zu- strategischen Dialog zwischen den USA und Russland bzw. geständnisse von USA und Russland bei der Stationierung China zu etablieren und eine Reihe eher begrenzter Ver- von Mittelstreckenraketen in der Umgebung Chinas erfor- einbarungen für die Vielzahl der auf dem Tisch liegenden dern. Es wird sich dann auch schnell die Frage nach einer strategischen Fragen zu erreichen. Gemessen an den Ver- Einbindung der Nuklearwaffen und ihrer Trägersysteme werfungen und der Sprachlosigkeit der vergangenen vier von Indien und Pakistan stellen. Jahre wäre dies aber ein großer Schritt nach vorne zu mehr globaler Sicherheit und zu mehr strategischer Stabilität.
146 Ernst-Christoph Meier Zeittafel: Nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung zwischen den USA und Russland bzw. der Sowjetunion Zusammenstellung: Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) 20.6.1963: Die USA und die Sowjetunion einigen sich auf die Her- anlassten den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt dazu, stellung einer störungsfreien Kommunikationsverbindung, die angesichts der Aufstellung neuer sowjetischer landgestützter unter Krisenbedingungen helfen soll einen Nuklearkrieg zu Raketen in Europa (SS-20) einen Abbau dieser „Disparitäten vermeiden. Zu diesem Zweck unterzeichneten beide Regierun- parallel zu den SALT-Verhandlungen“ zu fordern um die durch gen in Genf ein Memorandum of Understanding Regarding the die sowjetischen SS-20-Systeme hervorgerufene „Lücke“ in der Establishment of a Direct Communications Line. nuklearen Abschreckung der NATO zu schließen. 5.8.1963: Unterzeichnung des Nuklearen Teststoppabkommens 12.12.1979: NATO-Doppelbeschluss, der die Stationierung neuer durch USA, UdSSR und Großbritannien. Das Abkommen verbi- nuklearer Mittelstreckenwaffen der NATO – 108 Pershing II-Ra- etet Kernwaffentests in der Atmosphäre und unter Wasser. keten und 464 bodengestützte Marschflugkörper – mit einem 24.8.1967: USA und Sowjetunion legen gemeinsam erarbeitete, Angebot an die Sowjetunion zu Rüstungskontrollgesprächen identische Vertragsentwürfe für einen nuklearen Nichtver- über die weitreichenden nuklearen Mittelstreckensysteme breitungsvertrag im Genfer 18 Nationen-Ausschuss vor. In beider Seiten verknüpfte. Die Verhandlungen zwischen den den Entwürfen wurde das Thema nuklearer Mitsprache für USA und der Sowjetunion begannen formal im November 1981 die Bundesrepublik Deutschland und anderer nicht-nuklearer und endeten erfolglos im November 1983. Die Gespräche Staaten gelöst. Damit wurde der Weg frei für den Nuklearen wurden im März 1985 nach dem Amtsantritt von Michail Gor- Nichtverbreitungsvertrag. batschow als Generalsekretär der KPdSU wiederaufgenommen 25.5.1972: Die USA und die Sowjetunion unterzeichnen ein Abkom- und führten zum INF-Vertrag vom 8.12.1987, mit dem erstmalig men zur Vermeidung von Zwischenfällen auf Hoher See. eine ganze Kategorie von Nuklearwaffen beseitigt wurde. 26.5.1972: Unterzeichnung des ABM Vertrages und des Inter- 8.12.1987: Der Präsident der USA Ronald Reagan und der General imsvertrages zum Abschluss der SALT-Verhandlungen (SALT sekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow unterzeichnen I) in Moskau durch US-Präsident Richard Nixon und KPdSU in Washington den INF-Vertrag, der die Entwicklung, die Generalsekretär Leonid Breschnew. Der ABM-Vertrag fror die Erprobung, die Herstellung, den Besitz und den Einsatz land- Zahl der zulässigen nuklearen Abwehrsysteme auf zwei (später gestützter ballistischer Raketen und Marschflugkörper mit auf eines) ein und verbot darüber hinaus die Einführung neuer Reichweiten zwischen 500 und 5.500 km verbot. Alle vorhande- Abwehrsysteme. Der Interimsvertrag galt für 5 Jahre und fror nen Trägersysteme (846 amerikanische und 1.846 sowjetische) den Stand der land- und seegestützten Interkontinentalraketen wurden zerstört, die Zerstörung der Sprengköpfe war nicht ein (USA 1.054, Sowjetunion 1.618 Raketen, jeweils noch mal Gegenstand des Vertrags. differenziert nach land- oder seegestützt). Der Interimsvertrag 31.6.1991: Unterzeichnung des START-1 Vertrages durch die Prä- bezog strategische Bomber ebenso wenig ein wie die Zahl oder sidenten der USA, George W. H. Bush und der Sowjetunion, Qualität der Sprengköpfe oder nicht strategische Kernwaffen Michail Gorbatschow, in Moskau. Dieser Vertrag sah eine Ober- kürzerer Reichweiten. grenze für nuklearstrategische Trägersysteme von 1.600 und 18.6.1979: Unterzeichnung des SALT-II Vertrags in Wien durch den damit verbunden eine Begrenzung der strategischen Nuklear- amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und den General- sprengköpfe auf maximal 6.000 vor, davon maximal 4.900 auf sekretär der KPdSU, Leonid Breschnew. Der Vertrag war auf ICBMs und auf SLBMs. Weitere Restriktionen wurden vorgese- 6 Jahre begrenzt und sah Obergrenzen für alle strategischen hen, ebenso ein komplexes Verifikationsregime. Der Vertrag Angriffssysteme vor (land- und seegestützte Raketen sowie bedeutete erstmals die Abrüstung von Kernwaffen im großen strategische Bomberflugzeuge). Nach einer Zwischenphase Umfang. Nach dem Kollaps der Sowjetunion trat Russland in sollte es ab 1982 nur noch 2.250 nuklearstrategische Träger- die Vertragsverpflichtungen der Sowjetunion ein. Der Vertrag systeme geben, davon maximal 1.320 Trägersysteme (ICBM war bis 2009 terminiert. und SLBM) mit Mehrfachsprengköpfen, und nicht mehr als 820 27.9.1991: US-Präsident George H. W. Bush kündigt einseitige ICBM mit Mehrfachsprengköpfen (MIRV). Es wurden weiterhin Schritte im Bereich nicht-strategischer Kernwaffen an. Die Obergrenzen für Mehrfachsprengköpfe in landgestützten und US-Streitkräfte zogen in der Folgezeit fast alle taktischen Kern- seegestützten Interkontinentalraketen sowie Obergrenzen für waffen aus der Luftwaffe, der Marine und den Landstreitkräften die Zahl der in strategischen Bombern mitgeführten Atomwaf- zurück. Die USA zerstörten vollständig ihre nukleare Artillerie- fen festgesetzt. Außerdem wurden eine Reihe von Nebenverein- munition und alle nuklearen Sprengköpfe für Kurzstreckenra- barungen getroffen, darunter das Verbot der Entwicklung neuer keten. Außerdem zogen sie alle Kernwaffen von Kriegsschiffen seegestützter (Überwasserschiffe) Marschflugkörper mit Reich- und Unterseebooten ab, sofern diese keine strategischen weiten über 600 km sowie von luftgestützten Marschflugkör- U-Boote waren. Bis auf etwa 300 Fliegerbomben des Typs B-61 pern der gleichen Reichweite, sofern sie Mehrfachsprengköpfe wurden alle taktischen Nuklearwaffen (ca. 5.000) ausgemustert enthielten. Der Vertrag wurde nie ratifiziert, beide Regierungen und im Laufe der Jahrzehnte auch zerlegt. hielten sich aber stillschweigend daran. Die Einigung auf die 5.10.1991: Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow kündigt strategische Rüstungsbegrenzung bei fortbestehenden Dispa- ebenfalls einseitige Schritte zur Reduzierung der taktischen ritäten im konventionellen und nukleartaktischen Bereich ver- Kernwaffen an. Die Sowjetunion werde sämtliche nukleare
Perspektiven der Strategischen Rüstungskontrolle 147 Artilleriemunition, nukleare Minen und alle Sprengköpfe von Vertrag zurück. Zwischenzeitlich hatten beide Seiten versucht Kurzstreckenraketen zerstören. Ebenso kündigte er an, dass eine Verlängerung des Vertrages um 5 Jahre zu erreichen, aber die Seestreitkräfte (mit Ausnahme der strategischen U-Boote) dies wurde durch den Rückzug Russlands hinfällig. keine Kernwaffen mehr mit sich führen werden. Diese Verpflich- 24.5.2002: Der amerikanische Präsident George W. Bush und der tungen wurden nach dem Ende Sowjetunion vom russischen russische Präsident Wladimir Putin unterzeichnen in Moskau Präsident Boris Jelzin übernommen. Die Zahl der zerstörten den SORT-Vertrag (Treaty Between the United States of America oder aus dem Verkehr gezogenen Kernwaffen dürfte bei 13.000 and the Russian Federation on Strategic Offensive Reductions). gelegen haben. Das genaue Ausmaß der Reduktion blieb aber Dieser Vertrag galt für zehn Jahre und verpflichtete beide Seit- unbekannt. Amerikanische Stellen gehen davon aus, dass en, die Zahl ihrer strategischen Angriffswaffen auf ein Niveau Russland mehr als 2.000 taktische Sprengköpfe beibehalten von 1.700 bis 2.200 Sprengköpfe zu verringern. Damit wurde und diese auch modernisiert hat. die bisherige Systematik von START und SALT (Orientierung Dezember 1991: Die USA beginnen nach Verabschiedung des auf Trägersysteme) aufgegeben, stattdessen konnte man sich Nunn-Lugar-Acts gemeinsam mit Russland und anderen Nach- nur auf die Reduzierung der nuklearen Gefechtsköpfe verstän- folgestaaten der Sowjetunion eine Vielzahl von Projekten, mit digen. Immerhin wurden die Verifikationsregeln von START I denen die Abrüstungsverpflichtungen unter dem START I Ver- beibehalten. trag umgesetzt und weitere damit im Zusammenhang stehende 13.6.2002: Die USA treten aus dem ABM-Vertrag aus. Zur Begründ- Probleme angegangen wurden (Cooperative Threat Reduction – ung wurde von der Administration George W. Bush angeführt, CTR). Unter dem CTR Programm wurden bis zu seinem Ende dass sich die USA durch die Raketen- und Kernwaffenpro- im Jahr 2015 etwa 537 russische Interkontinentalraketen, 459 gramme Nordkoreas und des Iran bedroht sähen und zur Silos für Interkontinentalraketen, 11 mobile Raketenabschuss- Abwehr dieser Bedrohung Raketenabwehrsysteme beschaffen gestelle, 128 Bombenflugzeuge, 708 nukleare, luftgestützte wollten, die nicht mit dem ABM Vertrag kompatibel wären. Die Raketen, 408 U-Boot-gestützte Raketenabschussgeräte, 496 russische Seite zweifelte diese Argumentation an. U-Boot-gestützte Nuklearraketen, 27 strategische U-Boote 8.4.2010: Der amerikanische Präsident Barack Obama und der rus- sowie 194 nukleare Testtunnel zerstört. Außerdem wurden 260 sische Präsident Dmitri Medwedew unterzeichnen in Prag den Tonnen nuklearfähigen Materials aus der Abrüstung in 60 dafür New START Vertrag (New Strategic Arms Reduction Treaty). Er hergestellten, gut gesicherten Einrichtungen gelagert und trat am 5.2.2011 mit 10-jähriger Vertragsdauer in Kraft. Die Zahl ein Teil des Waffenplutoniums und des hoch angereicherten der einsatzbereiten nuklearstrategischen Trägersysteme wurde Urans einer zivilen Nutzung zugeführt. Über 58.000 Personen halbiert und für die einzelnen Trägersysteme Obergrenzen aus dem Militärisch-Industriellen Komplex der früheren Sow- vereinbart. Die Zahl der dislozierten Abschusseinrichtungen jetunion erhielten neue Berufsperspektiven im Rahmen meh- (Raketenstartvorrichtungen zu Land und U-Boot-gestützt, sowie rerer, aus amerikanischen Mitteln finanzierter Internationaler strategische Bomberflugzeuge) für strategische Kernwaffen Wissenschaftszentren. wurde auf 700 begrenzt (plus 100 nicht-dislozierte Systeme als 3.1.1993: Unterzeichnung des START-II Vertrags durch die Präsiden- strategische Reserve). Beide Seiten dürfen nicht mehr als 1.550 ten der USA, George H. W. Bush, und Russlands, Boris Jelzin, in dislozierte nukleare Sprengköpfe für strategische Rollen besit- Moskau. Der START-II Vertrag sah vor, dass bis Ende 2002 die zen. Der Vertrag sieht ein umfassendes Verifikations- und Kon- Zahl der nuklearstrategischen Sprengköpfe auf 3.000 bis 3.500 sultationsregime vor. Er wäre am 5. Februar 2021 ausgelaufen, für jede Seite abgesenkt wird und dass keine landgestützten wurde aber im Januar 2021 einvernehmlich um die nach dem Interkontinentalraketen mehr Mehrfachsprengköpfe haben Vertrag möglichen fünf Jahre verlängert. dürfen. Der Vertrag wurde jedoch nicht vollständig implemen- 2.2.2019: Die USA kündigen offiziell den INF-Vertrag, die Kündigung tiert. Trotz der 1996 erfolgten Ratifikation im US-Senat und wird zum 2.8.2019 rechtswirksam. Russland hatte den Vertrag trotz einseitiger Umsetzungsmaßnahmen der USA, ratifizierte durch die Stationierung von neuen nuklearen Mittelstreckenra- die Duma in Moskau den Vertrag erst im Jahr 2000 und dann keten (9M729) gebrochen und war über fünf Jahre nicht bereit, unter der Bedingung, dass die USA nicht aus dem ABM-Ver- den Vertragsbruch zuzugeben oder zu korrigieren. Russland trag austreten. Nach dem im Dezember 2001 angekündigten suspendierte seinerseits den INF-Vertrag zum 3.7.2019. Austritt der USA aus dem ABM Vertrag, trat Russland von dem
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