Ratsbericht - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Dezember 2020 Ratsbericht Europabüro Brüssel Ratspräsidentschaft ermöglicht Kompromiss – EU einigt sich auf Haushalt und Klimaziele Europäischer Rat am 10. und 11. Dezember 2020 Dr. Hardy Ostry, Kai Gläser, Ludger Bruckwilder, Sophia Pena Pereira Das Treffen des Europäischen Rates vom ein erträgliches Maß abfedern soll, einigen 10. und 11. Dezember 2020 blieb trotz konnten. Vorausgegangen waren schier end- der vielen Verhandlungsthemen überra- lose Verhandlungen, in denen sich – neben schenderweise im Zeitplan. Pünktlich am zahlreichen weiteren Konfliktlinien – vor allem Mittag des zweiten Gipfeltages konnten die Positionen der südeuropäischen Mitglieds- Ratspräsident Charles Michel, Kommissi- staaten und der sogenannten „Sparsamen onspräsidentin Ursula von der Leyen und Vier“ (Dänemark, Niederlande, Österreich und Bundeskanzlerin Angela Merkel weitrei- Schweden), aus denen im Laufe des Gipfels chende Gipfelbeschlüsse verkünden. die „Sparsamen Fünf“ (inklusive Finnland) Nach zähen Verhandlungen einigten sich wurden, unversöhnlich gegenüberstanden. die Mitgliedsstaaten einstimmig auf die Letztlich einigten sich die EU27 auf ein Ge- Verabschiedung eines Haushalts für die samtpaket von rund 1,8 Billionen Euro (1,074 Jahre 2021-27 sowie die Festschreibung Billionen Euro im MFR, 750 Milliarden Euro in verschärfter Klimaziele für 2030. Des Next Generation EU) und zeigten sich nach Ab- Weiteren positionierte sich der Europäi- schluss des Gipfels trotz harter Verhandlungen sche Rat in mehreren außenpolitischen mit dem Ergebnis zufrieden. Fragen und tauschte sich über die wei- Im Anschluss an diesen Verhandlungsmara- tere Koordinierung der Corona-Maßnah- thon wurde die Deutsche Ratspräsidentschaft men aus. Angela Merkel zeigte sich mit damit beauftragt, in Verhandlungen mit dem den Beschlüssen des letzten Gipfels im Europäischen Parlament einzutreten, das dem Rahmen der Deutschen Ratspräsident- Mehrjährigen Finanzrahmen laut EU-Vertrag schaft sehr zufrieden. zustimmen muss, um ihn in Kraft treten zu lassen. Bereits unmittelbar nach Ende des Ratsgipfels meldeten sich erste Abgeordnete MFR/NGEU zu Wort und betonten, dass der erzielte Kom- Hintergrund promiss den Ansprüchen des Parlaments nicht genüge. Die zwei Hauptkritikpunkte waren, Groß war die Erleichterung gewesen, als die dass die Staats- und Regierungschefs in wich- Staats- und Regierungschefs sich am 21. Juli tigen und zukunftsweisenden Bereichen des 2020 nach einer rekordverdächtigen Mammut- MFR zu viele Mittel gekürzt hätten und die Ver- sitzung des Europäischen Rats auf einen Mehr- knüpfung von EU-Mitteln und der Achtung jährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre rechtsstaatlicher Standards in den Mitglieds- 2021-27 sowie den damit verbundenen Auf- staaten nicht ausreichend gewürdigt worden baufonds („Next Generation EU“), der die wirt- sei. Letzteres hatte bereits während des Rats- schaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf gipfels selbst für Verstimmungen bei Polen
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Dezember 2020 2 und Ungarn gesorgt, die sich an den Pranger Einleitung „Dear citizens of Europe“ begann, gestellt fühlten und eine unzulässige Einmi- Polen stelle sich gegen willkürliche und poli- schung der EU in nationale Angelegenheiten tisch motivierte Sanktionsmöglichkeiten der fürchteten. Nach mehreren Monaten und – EU und führe diese Auseinandersetzung nicht teils - zähen Verhandlungen präsentierte die ausschließlich im Eigeninteresse führe. Viel- Ratspräsidentschaft in der zweiten November- mehr ginge es seinem Land darum, dafür woche den Entwurf einer Einigung, die eine Sorge zu tragen, dass kein Mitgliedsstaat der Konditionalität zwischen dem Erhalt von EU- Europäischen Union unrechtmäßig „angegrif- Geldern und der Einhaltung rechtsstaatlicher fen“ würde. Auch er sei jedoch zuversichtlich, Prinzipien festschreiben sollte. Nur zwei Tage dass die Verhandlungen unter den Staats- und nach der Einigung kündigten die Regierungen Regierungschefs den Durchbruch bringen in Budapest und Warschau jedoch an, den MFR könnten. und damit auch den an ihn geknüpften Auf- Bereits am Donnerstagabend kurz nach 19 Uhr baufonds zu blockieren, sollte der genannte stand dann fest, dass der von der Ratspräsi- Passus nicht angepasst oder gänzlich abge- dentschaft ausgehandelte Kompromiss die Zu- schafft werden. stimmung aller 27 Mitgliedsstaaten erhalten Entwicklung hatte und MFR sowie der Aufbaufonds „Next Generation EU“ damit verabschiedet wurden. In den Tagen vor dem Ratsgipfel betonten die Mit Blick auf den Rechtsstaatsmechanismus Ministerpräsidenten von Polen, Mateusz Mora- einigten sich die Staats- und Regierungschefs wiecki, und Ungarn, Viktor Orbán, zwar immer auf folgende Kompromissformel: Der Europäi- wieder, für einen Kompromiss offen zu sein, sche Rat nahm den Entwurf, der zwischen erwarteten jedoch starkes Entgegenkommen Ratspräsidentschaft und Europäischen Parla- der EU. In Brüssel machten unterdessen Ge- ment ausgehandelt wurde an, ergänzte ihn je- dankenspiele die Runde, welche eine Verab- doch um eine erläuternde Erklärung. Demnach schiedung von „Next Generation EU“ durch die soll die Kürzung von EU-Mitteln nur dann er- verbleibenden 25 Mitgliedsstaaten ins Spiel folgen können, wenn rechtsstaatliche Stan- brachte. Unterdessen versuchte die Ratspräsi- dards in Bezug auf EU-Gelder verletzt werden, dentschaft unter Führung von Bundeskanzle- nicht aber mit Blick auf allgemeine Standards rin Merkel, einen Kompromiss zu erarbeiten, wie die Pressefreiheit oder den Schutz von der im Rahmen der EU27 mit Einstimmigkeit Minderheiten. Die ausgehandelte Erklärung verabschiedet werden könnte. Diese Bemü- soll zudem zunächst vom Europäischen Ge- hungen schienen sich auszuzahlen, als am Tag richtshof geprüft werden. Dies kann jedoch vor dem Zusammentreffen der Staats- und mehrere Monate Verfahrenszeit in Anspruch Regierungschefs aus 25 Mitgliedsstaaten (die nehmen, sodass eine Umsetzung des neuen Ministerpräsidenten Estlands und Kroatiens Mechanismus daher frühestens Ende 2021 o- ließen sich aufgrund von Quarantänebestim- der 2022 möglich wäre. In der Abschlusserklä- mungen von anderen Ratsmitgliedern vertre- rung des Ratsgipfels wird zudem die Beach- ten) die Nachricht durchsickerte, dass ein tung der nationalen Identität unterstrichen – Durchbruch erzielt worden sei. ein Punkt, der Polen und Ungarn besonders Bei der Ankunft in Brüssel gaben sich die drei wichtig war, um EU-Einmischungen in national Hauptprotagonisten dann auch grundsätzlich geregelte Politikfelder zu unterbinden. zuversichtlich, dass eine Einigung erzielt wer- Dieser Kompromiss war trotz einiger Schat- den könne. Angela Merkel sprach davon, dass tenseiten auch für die übrigen 25 Staats- und Deutschland und auch sie persönlich im Vor- Regierungschefs vertretbar, sodass das größte feld des letzten Ratsgipfels innerhalb der Finanzpaket in der Geschichte der Europäi- Deutschen Ratspräsidentschaft „sehr intensiv schen Union am 1. Januar 2021 in Kraft treten daran gearbeitet“ hätten, eine Lösung zu fin- kann. Zuvor muss das Europäische Parlament den, welche die Bedenken Polens und Ungarns dem MFR-Kompromiss jedoch noch zustim- berücksichtige, ohne dabei die Werte der men, während die 27 nationalen Parlamente Staatengemeinschaft preiszugeben. Viktor den Eigenmittelbeschluss ratifizieren müssen. Orbán sprach davon, dass eine Einigung auf Dessen ungeachtet twitterte Ratspräsident Mi- dem Gipfel die Einheit des Kontinents stärken chel nach der Einigung, dass man nun damit würde und man unmittelbar vor einem Durch- beginnen könne, die durch die Pandemie stark bruch stehe. Mateusz Morawiecki betonte in seinem Eingangsstatement, welches mit der
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Dezember 2020 3 gebeutelten EU-Volkswirtschaften wiederauf- bereits vollmundig als Sieg über die EU. Rich- zubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel tig ist, dass die EU es geschafft hat, den gro- zeigte sich ebenfalls erleichtert und sprach in ßen Eklat zu verhindern und sich in einem ent- der im Anschluss an das Gipfeltreffen stattfin- scheidenden Moment auf einen gemeinsamen denden Pressekonferenz davon, dass ihr „ein Nenner zu verständigen. Ob dieser Nenner Stein vom Herzen gefallen“ sei, als in einer ge- den hohen Anforderungen und Erwartungen, meinsamen Kraftanstrengung Haushalt und die an ihn gestellt werden, gerecht wird, zeigt Recovery Fund der EU verabschiedet werden sich dann ab dem 1. Januar 2021. konnten. Gemischte Reaktionen kamen dage- gen aus dem Europäischen Parlament. Wäh- rend sich einige Abgeordnete am vom Rat ver- Klimaziele abschiedeten Zusatzprotokoll stören, bewer- Hintergrund teten Daniel Caspary und Angelika Niebler, die beiden Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe in Die Zeit drängt - bis zum Ende des Jahres der EVP-Fraktion die Beschlüsse positiv und müssen die nationalen Klimapläne dem Klima- betonten, dass die EU in ihrer schwersten sekretariat der Vereinten Nationen (UNFCCC) Krise zusammenstehe und zum Kompromiss übermittelt werden. Bereits 2015 hatte man fähig sei. Sie unterstrichen zudem, dass die sich darauf geeinigt, die nationalen Klimapläne Einigung ein Erfolg für das Europäische Parla- alle fünf Jahre nachzubessern, da die bisheri- ment sei, welches auf die Einführung eines gen Klimaschutzambitionen nicht ausreichen Rechtstaatsmechanismus bestanden hätte. würden, um die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Die EU hatte bereits Kommentar letztes Jahr angekündigt, bis 2050 Klimaneut- Die Verabschiedung des neuen EU-Haushalts ralität erreichen zu wollen, China strebt das und des milliardenschweren Aufbaufonds Jahr 2060 an, und Japan und Südkorea haben „Next Generation EU“ kann guten Gewissens sich ebenfalls das Ziel gesetzt, bis Mitte des als historisch bezeichnet werden. Noch nie in Jahrhunderts klimaneutral zu sein. Den inter- ihrer über 60-jährigen Geschichte hat die EU nationalen Klimaschutzbemühungen werden derartig große Summen bewegt, um die Fol- sich nächstes Jahr aller Voraussicht nach auch gen einer Krise abzufedern. Zudem nimmt die die Vereinigten Staaten unter dem neuen US- Union erstmals gemeinsame Schulden auf, ein Präsidenten, Joe Biden, wieder anschließen. Schritt, gegen den sich nicht zuletzt Deutsch- Im Windschatten der Haushaltsverhandlungen land über Jahre und Jahrzehnte gewehrt hatte. stand bei diesem Ratsgipfel die endgültige Ei- Mit Blick auf den viel thematisierten Rechts- nigung auf das neue EU-Klimaziel für 2030 auf staatsmechanismus mussten jedoch Zuge- der Agenda. Der im September veröffentlichte ständnisse gegenüber Polen und Ungarn ge- Kommissionsvorschlag sah vor, das Europäi- macht werden. Die Tatsache, dass der Kom- sche Klimagesetz zu verschärfen, indem das promiss sich ausschließlich auf die Bereiche 55-Prozent-Ziel für 2030 in das Europäische bezieht, in denen EU-Mittel missbraucht wer- Klimagesetz als Zwischenziel eingebaut wer- den und andere Bereiche wie den Minderhei- den sollte. Anfang Oktober stimmte das Euro- tenschutz und die Pressefreiheit gänzlich un- päische Parlament mit knapper Mehrheit für berührt lässt, wird je nach Perspektive des Be- eine CO2-Minderung um 60 Prozent und er- trachters unterschiedlich bewertet. Was einige höhte damit den Druck auf die Kommission Beobachter als logische Konsequenz bewer- und den Rat. Beim kurz darauffolgendem ten, sehen andere wiederum als ein Einkni- Ratsgipfel kam es jedoch zu keiner Einigung. cken vor Budapest und Warschau, da sich die Mit deutlichem Widerstand aus Bulgarien, aktuell geführten Debatten zwischen Brüssel Tschechien und Polen und weiterem Ge- und den beiden Hauptstädten in erster Linie sprächsbedarf verschob man die Entscheidung um diese Bereiche drehen. Ob der Recht- auf den jetzigen Ratsgipfel. staatsmechanismus tatsächlich ein geeignetes Mittel ist, die problematischen Entwicklungen Entwicklung in Polen und Ungarn, perspektivisch möglich- Vor dem letzten Gipfel unter Leitung der deut- erweise aber auch in anderen Mitgliedsstaaten schen Ratspräsidentschaft warb Bundeskanz- zu ahnden, darf bezweifelt werden. Die beiden lerin Angela Merkel noch einmal gemeinsam genannten Staaten feierten den Kompromiss mit ihrem französischen Kollegen Emmanuel
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Dezember 2020 4 Macron für das 55-Prozent-Ziel. Um auf inter- staaten bereitstellen. Die Höhe der Aufsto- nationaler Bühne die oft betonte Vorreiterrolle ckung ist noch nicht bekannt. In den Gipfel- in Sachen Klimaschutz zu übernehmen, ist schlussfolgerungen heißt es, eine neue eine Einigung zwingend erforderlich. „Das wird Rechtsvorschrift werde das Problem von Un- von Europa erwartet“, sagte Macron vor Be- gleichgewichten für die Begünstigten des Mo- ginn der Verhandlungsrunden. Die Verhand- dernisierungsfonds bei ausbleibenden Einnah- lungen über das Klimaziel begannen am frü- men adressieren. hen Abend des ersten Gipfeltages, wurden je- Die EU-Kommission ist außerdem aufgefor- doch schnell unterbrochen und schließlich erst dert, zu prüfen, inwiefern die jeweiligen Wirt- beim Abendessen wiederaufgenommen. Ein schaftssektoren am besten zur Erreichung des zähes Ringen begann. Es kam zu erneuten Un- verschärften Klimaziels beitragen können und terbrechungen, da der Entwurf überarbeitet entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. wurde. Polen, Tschechien und Polen forderten, Dabei geht es unter anderem um die Stärkung dass sie durch finanzielle und regulatorische des europäischen Emissionshandelssystems, Unterstützungsmaßnahmen abgesichert wer- Maßnahmen zur Entwicklung klimaneutraler den. Technologien und einen Vorschlag für CO2- Nachdem die Verhandlungen schließlich die Grenzausgleichsmaßnahmen, um die Verlage- ganze Nacht angedauert hatten, verkündete rung von CO2-Emmission (carbon leakage) zu Ratspräsident Charles Michel am frühen Mor- vermeiden. gen auf Twitter, dass sich die Staats- und Re- In den Schlussfolgerungen des Ratsgipfels gierungschefs auf die Verschärfung des Klima- heißt es zudem, dass das Recht über den ziels für 2030 verständigt hätten. Die Mit- Energiemix den Mitgliedsstaaten obliege und gliedsstaaten einigten sich demnach auf eine somit auch Übergangstechnologien wie Gas Reduktion von Treibhausgasen um mindes- zur Erreichung des Klimaziels für 2030 einge- tens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 – bislang setzt werden dürfen. Die Atomenergie als Teil galt das Ziel von 40 Prozent. Auch bei diesem des Energiemixes wurde im Text nicht explizit Gipfelthema zahlte sich Angela Merkel Ver- genannt, obwohl die Forderungen der drei be- handlungsgeschick aus. Eine Einigung war ein- sagten Länder auch die Nutzung von Atom- gangs des Gipfels unsicher, da zunächst der energie beinhaltet. Das Thema Atomkraft als Haushaltsstreit gelöst werden musste, um ei- grüner Strom löste 2019 beim Dezember- nen Klimabeschluss überhaupt zu ermögli- Ratsgipfel eine hitzige Debatte aus zwischen chen. Letztlich konnte so quasi im Windschat- den von kohleabhängigen Viségrad-Staaten ten des auch medial alles überlagernden und den Atomkraftgegnern wie Luxemburg, Haushaltskompromisses ein Klimaziel verab- Österreich und Deutschland. Es ist davon aus- schiedet werden, das historische ambitioniert zugehen, dass das Thema Kernenergie in spä- ist. teren Verhandlungen noch einmal aufkommen Bei den fast achtstündigen Verhandlungen mit wird. den zentraleuropäischen Ländern Polen, Kommentar Tschechien und Ungarn, blockierte zuletzt nur noch Polen die Einigung. Der polnische Regie- Es ist zu erwarten, dass Kommissionspräsi- rungschef Mateusz Morawiecki forderte wei- dentin Ursula von der Leyen das neue 2030- tere finanzielle Zusicherungen. Die 30 Prozent Ziel heute auf dem UN-Klimagipfel zum 5. Jah- des beschlossenen 1,85 Billionen-Haushaltes, restag des Pariser Klimaabkommens bekannt die zur Umsetzung der Klimaziele genutzt wer- geben wird. Sollte sie es heute der ganzen den sollen, reichten ihm zufolge nicht aus. Die Welt verkünden, bringt sie damit das Europa- stark von Kohle abhängige Wirtschaft Polens parlament in eine schwierige Verhandlungspo- benötige zusätzliches Geld im Rahmen des sition. Die Staats- und Regierungschef fordern Modernisierungsfonds zur Erreichung des Kli- das Europäische Parlament und die Kommis- maziels, so die Forderung polnischer Diploma- sion auf, das neue Ziel im Rahmen des Euro- ten. Der Modernisierungsfond wird aus dem päischen Klimagesetzes anzunehmen. Die Re- EU-Emissionshandel finanziert und bis 2030 aktionen ließen jedoch nicht lange auf sich ungefähr 14 Milliarden Euro für die Moderni- warten, Klimaschützer fordern bereits Nach- sierung der Energiesysteme in den zentraleu- besserung in den bevorstehenden Verhand- ropäischen und den drei baltischen Mitglieds- lungen mit der Kommission und dem Europäi-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Dezember 2020 5 schen Parlament. Grüne Abgeordnete des Eu- welche die Delegationen Zyperns und Grie- ropäischen Parlaments kündigten ebenfalls chenlands nicht zu akzeptieren gedachten. an, diese Entscheidung nicht einfach hinzu- Griechenlands Premierminister Kyriakos Mit- nehmen. Die Tatsache, dass zum ersten Mal sotakis ermahnte seine Kolleginnen und Kolle- auch der CO2-Abbau durch Wälder und andere gen eingangs des Gipfels, dass die Glaubwür- Landnutzungen berücksichtigt wurde, wurde digkeit der EU auf dem Spiel stehe. Er erin- zudem massiv kritisiert. nerte an die Beschlüsse des letzten Gipfels und forderte: „Pacta sunt servanda.“ – Ver- Die Einigung lässt sich als zweiter große Erfolg träge sind einzuhalten. der deutschen Ratspräsidentschaft werten – nicht zuletzt dank Angela Merkels Verhand- Entwicklung lungsgeschick. Die EU hat damit bewiesen, Die Staats- und Regierungschefs wandten sich dass sie ihre eigenen Klimapläne und das UN- auf diesem Gipfel in Sachen Außenpolitik zu- Klimaabkommen ernst nimmt. „Es gibt nun ei- nächst positiven Entwicklungen zu. Sie disku- nen klaren Weg hin zu Klimaneutralität", sagte tierten mit Blick auf die Wahl Joe Bidens zum die Kommissionspräsidentin im Anschluss an nächsten US-Präsidenten das transatlantische die Verhandlungen und hatte mit der Einigung Verhältnis und fassten im Konsens eine von gleich doppelten Grund zu feiern. Denn genau Optimismus geprägte Schlussfolgerung, die vor einem Jahr, am 11. Dezember 2019, prä- die Wichtigkeit einer starken und strategi- sentierte sie Europa und der ganzen Welt die schen transatlantischen Partnerschaft unter- nachhaltige Wachstumsstrategie, die den Eu- streicht, welche auf gemeinsamen Interessen ropäischen Kontinent bis zum Jahr 2050 zur und Werten beruhe. Die EU freue sich auf die Klimaneutralität zu führen soll. Der European Zusammenarbeit und stehe bereit, mit dem Green Deal scheint nun ein Jahr später nicht neuen Präsidenten gemeinsame Prioritäten zu nur für den Klimawandel, sondern auch für die besprechen. wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pan- demie den Maßstab zu setzen. Weit weniger Konsens und Optimismus herrschte jedoch den Vorzeichen zu Beginn des Gipfels entsprechend beim Thema Türkei. Außenpolitische Themen Neben den bereits im Vorfeld vorgetragenen nachdrücklichen Forderungen Griechenlands Hintergrund und Zyperns erhöhte eine weitere neue Nach- In außenpolitischer Hinsicht war eines der richt den Druck auf den Ratsgipfel. Die Nach- zentralen Themen für die EU zuletzt das Ver- richt, dass die USA Sanktionen gegenüber der hältnis zur Türkei. Bereits bei den vergange- Türkei ankündigten für die Anschaffung des nen EU-Ratsgipfeln stand der Umgang der EU russischen S-400 Raketenabwehrsystems ver- mit Ankara immer wieder auf der Tagesord- fehlte ihre Wirkung auf den Europäischen Rat nung. Im Kern geht es um das Verhalten der nicht. Ein Signal der Schwäche hätte man sich Türkei im Mittelmeerraum hinsichtlich der Er- nun noch weniger leisten können. Neben Grie- schließung eines dort entdeckten Gasfeldes chenland und Zypern haben auch Frankreich und um Grenzkonflikte auf der Insel Zypern, und Österreich eine sehr klare Haltung für ei- die de facto in die Republik Zypern und die nen schärferen Kurs gegenüber Ankara. Eine türkische Republik Nordzypern geteilt ist. Die Reihe anderer EU-Mitglieder, darunter allen bisherigen Beschlüsse des Europäischen Rates voran Deutschland, übt sich eher in Zurück- waren als eine Art Doppelstrategie im Sinne haltung und betont die strategische Wichtig- von Zuckerbrot und Peitsche interpretiert wor- keit der Türkei als Partner in der NATO und den. Bislang ist aber kein Kurswechsel als Re- beim Thema Migration. Es bedurfte längerer aktion darauf durch den türkischen Präsident Verhandlungen und mehrerer Formulierungs- Recep Tayyib Erdoğan erkennbar. Im Gegen- vorschläge, bis man sich auf eine gemeinsame teil: Mitte November sorgte Erdoğan mit sei- Linie verständigen konnte. Tatsächlich einigte nem Besuch im zyprischen Küstenort Varosha, man sich letztlich auf Sanktionen, auch wenn der in der entmilitarisierten Pufferzone liegt, diese vergleichsweise mild ausfallen. Praktisch für eine weitere Provokation. Die Regierungs- werden Einzelpersonen oder Firmen „restrik- chefs Griechenlands und Zyperns drängen im- tive Maßnahmen angesichts der nicht geneh- mer wieder auf härtere Maßnahmen seitens migten Bohrtätigkeiten der Türkei im östlichen der EU. Auch im Vorfeld dieses Gipfels zirku- Mittelmeer“ zu befürchten haben, so die ver- lierten Beschlussvorlagen zum Thema Türkei, öffentlichten Schlussfolgerungen. Gleichzeitig
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Dezember 2020 6 beauftragt der Rat aber auch den Hohen Ver- rer Kolleginnen und Kollegen. Ohne die Kom- treter der EU, Josep Borrell, bis zum nächsten plexität der Lage zu ignorieren, dass man auf Ratsgipfel einen Bericht über die Entwicklun- die Türkei als Partner in der NATO und beim gen der EU-Beziehungen zur Türkei anzuferti- Thema Migration angewiesen bleiben wird, ist gen. Dabei wird Borrell explizit aufgefordert, der wachsende Frust und die zunehmende mögliche „Instrumente und Optionen für das Sorge Zyperns und Griechenlands absolut ver- weitere Vorgehen […] zur Beratung vorzule- ständlich. Ändert Erdogan nicht seinen Kurs, gen“. Somit sind härtere und weitreichender wird die EU sich nicht mehr viel länger vor der Sanktionen gegenüber der Türkei also keines- Frage nach einer wirklichen Kursverschärfung wegs vom Tisch. drücken können. Möglicherweise kann die EU hierbei auf ein abgestimmtes Verhalten mit Leichter taten sich die Staats- und Regie- der neuen US-Regierung setzen. rungschefs damit, die Sanktionen gegen Russ- land erneut zu verlängern. Diese hält die EU seit der Annexion Russlands der ukrainischen Weitere Gipfelthemen Krim und der aktiven Unterstützung des Kriegs in der Ostukraine aufrecht. Corona-Pandemie Kommentar Das Thema Corona stand selbstverständlich Sanktionen sind derzeit das meistdiskutierte auch auf der Agenda. Die Staats- und Regie- Werkzeug in der EU-Außenpolitik. Gegenüber rungschefs begrüßten die erfolgreiche Ent- Russland sind sich alle Mitgliedsstaaten einig wicklung wirksamer Impfstoffe und betonten und verlängern das bestehende Sanktionsre- die Notwendigkeit von nationalen Impfstrate- gime bereits seit mehreren Jahren beinahe gien. In der Schlussfolgerung heißt es zudem, routiniert. Aber schon bei der Frage ob und dass die Impfung als „weltweites öffentliches wenn ja, welche Sanktionen die EU im Fall von Gut“ behandelt werden soll und, dass die Mit- Belarus verhängen kann und möchte, tat sich gliedsstaaten die COVAX-Fazilität für die welt- die EU jüngst ausgesprochen schwer. Immer- weite Bekämpfung der Corona-Pandemie un- hin einen Hoffnungsschimmer gab es in au- terstützen. Angela Merkel nutzte diese Gele- ßenpolitischer Hinsicht zuletzt. Hinsichtlich der genheit, um noch einmal eindringlich vor dem Wahl Joe Bidens und des Verhältnisses zu den Anstieg der Infektionszahlen während der USA zeigte man sich auf diesem Gipfel opti- Weihnachtszeit zu warnen. mistisch, ein neues Kapitel im transatlanti- Brexit schen Verhältnis aufschlagen zu können. Der Optimismus kann aber nicht darüber hinweg- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen täuschen, dass in den EU-USA-Beziehungen berichtete dem Europäischen Rat von dem große Herausforderungen bestehen bleiben letzten Stand der Brexit-Verhandlungen und werden. Die US-Sanktionen gegen das auch ihrem Dinner mit dem Premierminister des innerhalb der EU höchst umstrittene Nord Vereinigten Königreichs, Boris Johnson, am Stream 2-Projekt ist nur eine davon. Dass die Vorabend des Ratsgipfels. Leider konnte sie USA nun auch vor harten Sanktionen gegen- keine guten Nachrichten verkünden. Das über dem NATO-Partner Türkei nicht zurück- Brexit-Dinner verdeutlichte nur einmal mehr, schrecken, setzt die EU angesichts ihres ohne- dass die Positionen trotz des immer kürzer hin angespannten Verhältnisses zu Ankara zu- werdenden Zeitfensters weit auseinanderlie- sätzlich unter Druck. Die auf diesem Gipfel von gen. Man wolle noch bis Sonntag, den 13. De- den Staats- und Regierungschefs beschlosse- zember 2020, weiterverhandeln, um dann zu nen Sanktionen sind ein erster Schritt. Aber entscheiden, ob ein Abkommen vielleicht doch reicht dieser aus? Dafür wirken die Sanktionen möglich ist. Zum Zeitpunkt des Ratsgipfels zu harmlos und werden den Präsident der Tür- sprach mehr für einen No-Deal-Brexit als da- kei wohl kaum beeindrucken. Eine Abkehr vom gegen. konfrontativen Kurs gegenüber Zypern und Sicherheit Griechenland - und damit gegenüber der ge- samten Europäischen Union - zeichnet sich Ein weiteres Gipfelthema war innere Sicher- nicht ab. Die Regierungschefs der beiden Mit- heit und Terrorismusabwehr. Als Reaktion auf telmeerstaaten reagieren zunehmend mit Un- die jüngsten Anschläge in Frankreich und Ös- geduld und Unverständnis auf die Haltung ih- terreich drückte der Rat erneut seine Solidari-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Dezember 2020 7 tät aus und kündigte an, Extremismus mit ei- Sicherheitsstandards entspricht. Um dem Si- ner koordinierten Strategie gesamteuropäisch cherheitsinteresse der direkten Nachbarn bekämpfen zu wollen. Dies müsse insbeson- Rechnung zu tragen, beauftragte der Europäi- dere auch online geschehen, weshalb der Rat sche Rat die Kommission, mögliche Maßnah- die Kommission um einen ambitionierten Vor- men zu prüfen, um den Stromimport aus schlag bittet, Online-Plattformen im Rahmen Kraftwerken wie Astrawez zu verhindern, die des Gesetzes über digitale Dienste bei illega- nicht über ein von der EU anerkanntes Sicher- len Online-Inhalten in die Pflicht zu nehmen. heitsniveau verfügen. Südliche Nachbarschaft Globale Sanktionsregelung der EU im Be- reich der Menschenrechte Die Schlussfolgerungen des Gipfels griffen auch die Südliche Nachbarschaft der EU auf. Bei den globalen Sanktionsregelungen im Be- 25 Jahre nach Einleitung des Barcelona-Pro- reich der Menschenrechte handelt es sich um zesses unterstrichen die EU-Mitgliedsstaaten, eine Initiative, die anlässlich des Tags der die strategische Partnerschaft neu beleben, Menschenrechte am 10. Dezember von der EU verstärken und weiterentwickeln zu wollen. angenommen wurde. Sie gilt weltweit und ist Man werde eine neue Agenda für den Mittel- ausdrücklich nicht länderspezifisch. Durch sie meerraum entwickeln, die auf gemeinsamen können in der ganzen Welt schwere Men- Prioritäten beruhe und einen Schwerpunkt auf schenrechtsverletzungen und -verstöße ge- spezifische Lösungen für den Mittelmeerraum ahndet werden, auch grenzüberschreitender lege. In Bezug auf Libyen ruft der Rat alle Ak- Art. Der Europäische Rat begrüßte die Einfüh- teure dazu auf, im Einklang mit den Grunds- rung dieser Sanktionsregelung in den Schluss- ätzen des Berlin-Prozesses zu handeln. folgerungen des Gipfels. Weltweit bekannt ist bisher der sogenannte „Magnitsky Act“, den Kernkraftwerk Astrawez in Belarus die USA 2012 einführten und 2016 global aus- Das belarussische Kernkraftwerk Astrawez weiteten. Bereits seit langem bestanden die geht in naher Zukunft ans Netz. Es ist liegt nur Forderungen, dass auch die Europäische Union wenige Kilometer von der litauischen Grenze ein solches Werkzeug einführt, um Menschen- entfernt, bis zur Hauptstadt Vilnius sind es we- rechtsverletzer weltweit persönlich bestrafen niger als 50 Kilometer. Das Kraftwerk ist zu können. höchst umstritten, da es nicht den gängigen Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Dr. Hardy Ostry Leiter Europabüro Brüssel www.kas.de/bruessel hardy.ostry@kas.de Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de
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