"Powermarke Schweiz" braucht Schutz - Die Volkswirtschaft
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SWISSNESS «Powermarke Schweiz» braucht Schutz Um die Jahrtausendwende kratzten mehrere Missbrauchsvorfälle am Image der Marke Schweiz. Die damit verbundene öffentliche Debatte war der Auslöser der heutigen Swissness-Gesetzgebung. Hansueli Stamm, Patrik Aebi Abstract In den Nullerjahren häuften sich Fälle von Produkten, die als kam der Umstand, dass nach damaliger Rechts- schweizerisch angepriesen, in Tat und Wahrheit aber im Ausland produziert lage das Schweizer Kreuz nicht als Warenmarke wurden. Der Unmut bei Konsumentinnen und Konsumenten sowie der dro- eingetragen und nicht zu geschäftlichen Zwe- hende Verlust der Reputation und somit der Wert der Marke Schweiz lies- cken auf Waren angebracht werden durfte. Das sen die Politik relativ schnell aktiv werden. Das Parlament einigte sich nach Anbringen des Schweizer Kreuzes auf Waren, hitzigen Diskussionen 2013 auf eine Revision des Marken- und Wappen- schutzgesetzes. Die dann folgenden Auseinandersetzungen zu den dazu- um deren Herkunft zu bezeichnen, war folglich gehörenden Verordnungen waren nicht minder heftig. Am 1. Januar 2017 trat nicht gesetzmässig. Zulässig waren auf Produk- die neue Swissness-Gesetzgebung schliesslich in Kraft. Eine vom Bundesrat ten nur der nicht kommerzielle und der dekora- in Auftrag gegebene Evaluation hat nun gezeigt, dass diese eine insgesamt tive Gebrauch. moderat positive Wirkung auf die Schweizer Volkswirtschaft hat. Die zunehmende öffentliche Aufmerksam- keit, die das Thema «Swissness» und deren Missbrauch erhielt, rief die Politik auf den P fannen mit Schweizer Kreuz aus China, Würste mit Schweizer Kreuz aus Spanien oder «Schweizer» Gesichtscreme aus Deutsch- Plan: Im Jahr 2006 reichten die St. Galler SVP- Nationalrätin Jasmin Hutter und die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz je eine Motion ein. land – das sind nur einige Beispiele für einen Trend, der in den Nullerjahren auszumachen war: eine zunehmende Nutzung von Swissness, Die wichtigsten Swissness-Regeln die aber nicht in allen Fällen gerechtfertigt er- Was muss in einem Produkt drin sein, damit ein Schweizer schien. Kreuz drauf darf? Die Swissness-Vorgaben unterscheiden sich je nach Produkt und Kategorie. Bei pflanzlichen Die Marke Schweiz steht für Eigenschaften Naturprodukten, etwa einem Salat oder einem Apfel, muss wie Zuverlässigkeit und hohe Qualität. Wie Stu- der Ort der Ernte in der Schweiz liegen. Ein Mineralwasser dien eindrücklich belegen, sind Konsumentinnen muss in der Schweiz gewonnen werden, ein Huhn den überwiegenden Teil seines Lebens in der Schweiz verbracht und Konsumenten bereit, für Produkte mit dem haben, die Milch von Kühen kommen, die in der Schweiz Schweizer Kreuz bis zu 20 Prozent mehr zu be- aufgezogen wurden, und ein Fisch in der Schweiz geangelt zahlen.1 Bereits im Jahr 2005 schrieb die Zeit- werden. schrift «Bilanz» in einer Ausgabe zur «Power- Lebensmittel sind meist verarbeitete Naturprodukte: Hier müssen mindestens 80 Prozent des Gewichts der marke Schweiz», die stärkste Marke der Schweiz verwendeten Rohstoffe aus der Schweiz stammen – soweit sei die Marke Schweiz selbst. sie im Inland produziert werden können. Bei Milch und Milchprodukten sind es 100 Prozent. Zusätzlich muss die Tätigkeit, die dem Produkt die wesentlichen Eigenschaften Marke Schweiz in Gefahr verleiht, in der Schweiz erfolgen. Bei Schweizer Industrieprodukten wiederum sollen min- Nicht erstaunlich daher die Tatsache, dass destens 60 Prozent der Herstellungskosten in der Schweiz auch Trittbrettfahrer auf den Swissness-Zug anfallen. Zusätzlich muss ein wesentlicher Fabrikations- schritt im Inland erfolgen. aufsprangen. Die Leidtragenden waren sowohl Als schweizerische Dienstleistung dürfen Unternehmen die Hersteller von Schweizer Produkten als schliesslich ihren Service bewerben, sofern sie in der auch die Konsumenten. Denn der Ruf und die Schweiz einen Verwaltungssitz haben. Sprich: Sie müssen hierzulande massgebliche Tätigkeiten ausüben und mass- Glaubwürdigkeit des Labels Schweiz drohten gebliche Entscheide treffen, die einen direkten Einfluss auf mit zunehmendem Missbrauch zu erodieren, die Dienstleistung haben. 1 Vgl. Feige et al. (2008). was den Markenwert letztlich gefährdete. Hinzu Mehr Informationen unter www.ige.ch/swissness. 4 Die Volkswirtschaft 4 / 2021
SWISSNESS Beide verlangten vom Bundesrat, Möglichkeiten und Wappenschutzgesetz, in den Schluss- darzulegen, mit denen die Marke – beziehungs- abstimmungen angenommen.2 Mit Annahme weise die Herkunftsbezeichnung – Schweiz bes- der Swissness-Vorlage ist das Parlament damit ser geschützt werden kann. Im Bundesrat stiess seiner eigenen Forderung nach angemessener die Forderung auf offene Ohren, und ein Jahr Schutzverstärkung nachgekommen. Bis zum später ging eine entsprechende Vorlage in die Abschluss der Evaluation beschäftigten sich Vernehmlassung. Nach einigen Anpassungen insgesamt drei Bundesrätinnen und Bundesräte insbesondere im Bereich der Lebensmittel folgte im Eidgenössischen Justiz- und Polizeideparte- 2009 dann die Botschaft des Bundesrates zu- ment (EJPD) mit der Vorlage sowie die Parla- handen der eidgenössischen Räte. mente aus fünf Legislaturperioden. Mit der Verabschiedung durch das Parla- Die Debatte ment nahm die Vorlage eine wichtige Hürde. Das Referendum wurde nicht ergriffen, da dessen Die Diskussionen in den Rechtskommissionen Erfolgschancen wohl als gering eingestuft wur- beider Kammern und zeitweise der Kom- den. Sowohl die notwendigen Verordnungen als mission für Wirtschaft und Abgaben des auch das Inkrafttreten mussten allerdings noch Nationalrats waren intensiv. Nach dem ein- vom Bundesrat bestimmt werden. Damit begann stimmigen Eintretensentscheid setzte die das Ringen der diversen Interessengruppen um Rechtskommission des Nationalrats eine Sub- die Ausgestaltung auf Verordnungsstufe. Mit kommission zur Swissness-Vorlage ein. Ab verschiedenen parlamentarischen Vorstössen 2010 bis zur Verabschiedung 2013 wurde das und intensiver Verbandsarbeit wurde ver- Dossier in mehr als 20 Kommissionssitzungen sucht, sich bei der Festlegung der Umsetzungs- traktandiert. In den Diskussionen in National- bestimmungen noch einzubringen oder deren und Ständerat wurden nicht weniger als 31 An- Inkrafttreten möglichst lange hinauszu- träge eingebracht. Entsprechend waren auch schieben. die Aktivitäten der Interessenvertreter. Da das Parlament und insbesondere die 2 Vgl. Addor und Guyot Im Juni 2013 wurde dann die Vorlage, be- Kommissionen gewünscht hatten, auch über (2016). stehend aus dem revidierten Markenschutz- den Entstehungsprozess der Verordnungen Wacht über die Herkunftsangabe «Schweiz»: Direktorin des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum, Catherine Chammartin. KEYSTONE 6 Die Volkswirtschaft 4 / 2021
FOKUS auf dem Laufenden gehalten zu werden, wurde Jahre Zeit, ihre Produktion – falls notwendig – auch in dieser Phase der Swissness-Vorlage auf die neuen Gegebenheiten umzustellen (siehe kräftig lobbyiert. Insbesondere die Verordnung Kasten auf S. 4). zu den landwirtschaftlichen Produkten wurde Eine vom Bundesrat im Laufe der parlamen- zum Zankapfel. Da aber die vom Parlament tarischen Diskussionen in Aussicht gestellte gemachten Vorgaben auf Gesetzesstufe be- und Ende 2020 publizierte Evaluation hat ge- schlossene Sache waren, war der Spielraum, zeigt, dass die neue Swissness-Gesetzgebung mittels der Verordnungen noch grundlegende schon heute eine insgesamt moderat positive Änderungen einzubauen, sehr beschränkt. Wirkung auf die Schweizer Volkswirtschaft Dennoch – oder gerade darum – gingen zwi- hat. 4 Sie bewirkt, nach Abzug der neu an- schen Juni 2013 und Mai 2016 insgesamt 15 fallenden Kosten, einen jährlichen positiven parlamentarische Vorstösse mit einem Bezug Effekt von mindestens 1,4 Milliarden Schwei- 3 Addor und Guyot zur Swissness-Gesetzgebung ein.3 zer Franken, was 0,2 Prozentpunkten des (2016), S. 23. 4 Bundesrat (2020). Siehe Bruttoinlandprodukts entspricht. Der Wert der auch Beiträge von Ralph Die Evaluation «Powermarke Schweiz» dürfte also auch lang- Lehmann et al. (S. 8) sowie Stefan Feige et al. fristig erhalten bleiben. (S. 12) in diesem Fokus. Schliesslich setzte sich die Einsicht durch, dass insbesondere der Wirtschaft, aber auch den Konsumenten am besten gedient sei, wenn mög- lichst schnell für Rechtssicherheit gesorgt werde. So konnte der Bundesrat das Verordnungspaket am 27. Juli 2016 verabschieden, bestehend aus vier Verordnungen: Markenschutzverordnung, Verordnung über die Verwendung von schwei- Hansueli Stamm Patrik Aebi zerischen Herkunftsangaben für Lebensmittel, Dr. rer. pol., Chefökonom, Leiter Qualitäts- und Ab- Verordnung über das Register für Ursprungsbe- Eidgenössisches Institut satzförderung, Bundesamt für Geistiges Eigentum für Landwirtschaft (BLW), zeichnungen und geografische Angaben nicht (IGE), Bern Bern landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Wappen- schutzverordnung. Es ist, zusammen mit den Literatur Revisionen der entsprechenden Bundesgesetze, Addor, Felix und Guyot, Nicolas (2016). La réglementation «Swiss- am 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Die Unter- ness»: objectifs et principes. In: de Werra, Jacques (ed.), Indications géographiques: Perspectives globales et locales, 1–65. nehmen hatten somit vom Zeitpunkt der Ver- Bundesrat (2020). Bericht des Bundesrates zur Evaluation der «Swiss- abschiedung im Parlament bis zum Auslaufen ness»-Gesetzgebung, 18. Dezember. Feige, Stephan et al. (2008). Swissness Worldwide – Internationale diverser Übergangsbestimmungen über drei Studie zur Wahrnehmung der Marke Schweiz. Die Volkswirtschaft 4 / 2021 7
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