PR0GRAMMZEITUNG Kultur im Raum Basel - Juni 2005 Vokalkunst im Urban Village Markus Raetz im Aargauer Kunsthaus Attraktives Medienhaus in ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
PR0GRAMMZEITUNG Kultur im Raum Basel Juni 2005 Vokalkunst im ‹Urban Village› Nr. 197 | 18. Jahrgang | CHF 6.90 | Euro 5 | Abo CHF 69 Markus Raetz im Aargauer Kunsthaus Attraktives Medienhaus in Liestal
BB PROMOTION IN ASSOCIATION WITH VAN BAASBANK & BAGGERMAN, AMSTERDAM, IN COOPERATION WITH FREDDY BURGER MANAGEMENT, PRESENTS: präsentiert YAMATO Basel, 3. – 15. Juni, Rosentalanlage Vorstellungen Werktags (ausser 8. + 9.6.05) 20h00 Mittwoch/Samstag 15h00 + 20h00 Sonntags 14h30 + 18h00 THE THE DRUMMERS OF JAPAN © BB Promotion 2003 / Foto: Luciënne van der Mijle / Grafik: Büro Skoda Zirkus-Zoo Freitag, 3. Juni 14h00 – 19h30 Täglich 09h00 – 19h30 Mittwoch, 15. Juni 09h00 – 17h30 Vorverkauf Ticketcorner, 0900 800 800, www.ticketcorner.com und an den eine Produktion von: Zirkuskassen: Freitag, 3. Juni 12h00 – 21h00 www.bb-promotion.com Werktags 10h00 – 21h00 Sonntags 10h00 – 19h00 Official Airline: 21. - 26. Juni 2005 Mittwoch, 15. Juni 10h00 – 20h30 Musical Theater Basel Ticketcorner 0900 800 800 (CHF 1.19/Min.) w w w. k n i e . c h sowie bekannte Vorverkaufsstellen, www.musical.ch ehcilgeweb Formen des Kinetischen Bewegliche Teile teile In Zusammenarbeit mit dem K unsthaus Graz 9.3. bis 26.6. 20 05, www.tinguely.ch Das Museum T inguely wird getragen von der F. Hoffmann-La Roche AG, Basel Sabrina Raaf: Computer rendering für Translator II: Grower, 20 02 / 20 04
Kantonsbibliothek BL. Foto: Alexandra vom Endt MEHR ALS SLOGANS Mit Slogans wie ‹Wenn Frau will, steht alles still› bzw. ‹Wenn Editorial Frauen wollen, kommt alles ins Rollen› wurde am 14. Juni 1991 der erste nationale Frauenstreiktag begangen, an dem sich eine ‹Letzte Warnung: Das Buch ist besser!›, lautete die Kinower- halbe Million Frauen (und auch Männer) beteiligten, um gegen bung einer Buchhandlung. ‹Rettet die Bibliotheken der ABG !› die Missachtung des Gleichstellungsartikels zu protestieren. heisst die aktuelle Kampagne der Allgemeinen Bibliotheken der Leider ist der Protest dagegen immer noch nicht überflüssig GGG . Obwohl bzw. gerade weil sie sehr erfolgreich sind – 2004 geworden! In Basel sind dieses Jahr u.a. Aktionen bei der ‹Hel- verzeichneten sie an ihren neun Standorten mit insgesamt vetia›-Figur geplant. – Eine weltweite Demonstration gegen 260 000 Medien knapp 780 000 Besuche und 1,2 Millionen Gewalt und Armut und für Frauenrechte und Solidarität ist der Ausleihen –, muss die unrentabelste Zweigstelle Kleinhünin- zweite ‹Weltmarsch der Frauen›, der im Juni die Schweiz durch- gen ab 11. Juli geschlossen werden. An den durch wachsende zieht und auch in Basel Station macht. Die Bewegung entstand Anforderungen steigenden Kosten (Mehrbedarf 600 000 pro im Anschluss an die Weltfrauenkonferenz in Peking und verei- Jahr) kann sich die GGG nicht stärker beteiligen, zudem steht nigte im Jahr 2000 mehrere hunderttausend Frauen zur ersten eine Kürzung der Kantonsgelder ins Haus (minus 200 000 pro ‹Marche mondiale des femmes›. Mit der Lancierung einer Jahr), so dass ab 2006 ein Fehlbetrag von jährlich 380 000 Fran- Charta startete die Aktion am 8. März in Brasilien und wird am ken resultiert. Falls es nicht gelingt, dieses Loch nachhaltig zu 17. Oktober in Burkina Faso enden. – Feministische Bildung stopfen, wäre mit der Schliessung weiterer Filialen zu rechnen. und Vernetzung ist auch das Anliegen des European Women’s Um das zu verhindern, sind die Verantwortlichen mit ihrem College, das ein neues Grundlagenstudium zum Thema ‹ EU - Spendenaufruf an die Öffentlichkeit getreten. Freilich suggerie- Osterweiterung› anbietet. Dabei geht es mit Bezug zur Lebens- ren die Fotos des Prospekts, dass Bibliotheken hauptsächlich realität in der Schweiz etwa um die Frage, was die europäische Kindern und pädagogischen Zielen dienen. Doch selbst wenn Integration für die Frauen in der Türkei bedeuten kann und die Hälfte der Bibliotheks-BenutzerInnen tatsächlich Kinder wird. Der zweijährige Kurs beginnt Ende September und richtet sind, geht das Thema Leseförderung bzw. der Umgang mit sich, wie das gesamte Angebot des EWC , an alle Frauen, unab- Medien alle etwas an. Schliesslich sind die Bibliotheken die hängig von ihrer Vorbildung. – Ebenfalls vielfältiger Ver- grössten Kulturförderer im Land. Im Übrigen ist es kein Luxus, netzung dient der Verein ‹WyberNet›, der bisher auf Zürich in den Ausbau von derart stark frequentierten Orten zu inves- konzentriert ist. Nun wird auch in Basel eine Gruppe aufgebaut, tieren, es zeigt sich, dass gerade die neueren Filialen anziehend in der lesbische Unternehmerinnen, Fachfrauen, Führungs- wirken. So hat z.B. die Gundeli-Zweigstelle seit der Eröffnung kräfte, Kulturschaffende und Akademikerinnen miteinander 2003 markant zugelegt. Anfang August wird nach 40-jährigem ins Geschäft kommen, Know-how austauschen und soziale Kon- Provisorium die neue Breite-Bibliothek eingeweiht. Solche Aus- takte pflegen können. | Dagmar Brunner sichten wünscht man auch der Hauptstelle im Schmiedenhof, Allgemeine Bibliotheken der GGG, PC 40-609942-4, www.abg.ch deren akute Raumnot vor allem für die Mitarbeitenden eine Zu- Frauenstreiktag: Di 14.6., ab 17.00, Treffpunkt Helvetia, Mittlere Brücke mutung ist. Doch die Pläne für einen neuen Standort ab 2008 Weltmarsch der Frauen in der Schweiz: Fr 10. bis Di 14.6. sind durch die aktuelle Situation etwas in den Hintergrund www.marche-mondiale.ch geraten. Da geht es den NutzerInnen der Baselbieter Kantons- European Women’s College: www.ewc.ch bibliothek besser: Sie werden demnächst über eine grosszügige fi WyberNet-Apéro: Do 23.6., 19.00, Mitte, Separé S. 34, www.wybernet.ch fi und attraktive neue Lokalität verfügen ( S. 12/13). Die Mittel dafür würden angesichts der heutigen Finanzlage des Kantons freilich kaum mehr bewilligt ... JUNI 2005 | PROGRAMM ZEITUNG | 3
IMPRESSUM PR0GRAMMZEITUNG Kultur im Raum Basel ProgrammZeitung Nr. 197 Gestaltung Juni 2005, 18. Jahrgang, ISSN 1422-6898 Anke Häckell, Claragraben 135, 4057 Basel Auflage: 6 500, erscheint monatlich T 061 681 60 10, haeckell@programmzeitung.ch Einzelpreis: CHF 6.90, Euro 5 Druck Jahresabo (1 1 Ausgaben inkl. ‹kuppler›): Schwabe AG, Farnsburgerstrasse 8, Muttenz CHF 69, Ausland CHF 74 T 061 467 85 85, www.schwabe.ch Ausbildungsabo: CHF 49 (mit Ausweiskopie) Förderabo: ab CHF 169 * Redaktionsschluss Ausgabe Juli/August Tagesagenda: www.programmzeitung.ch/heute Veranstalter-Beiträge ‹Kultur-Szene›: Mi 1.6. Redaktionelle Beiträge: Mo 6.6. Herausgeberin Agenda: Fr 10.6. ProgrammZeitung Verlags AG Erscheinungstermin: Do 30.6. Gerbergasse 30, Postfach 312, 4001 Basel T 061 262 20 40, F 061 262 20 39 Verkaufsstellen ProgrammZeitung info@programmzeitung.ch Ausgewählte Kioske, Buchhandlungen und www.programmzeitung.ch Kulturhäuser im Raum Basel Verlagsleitung Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Klaus Egli, egli@programmzeitung.ch Fotos übernimmt die Redaktion keine Haftung; für Fehlinformationen ist sie nicht Juni 2005 Vokalkunst im ‹Urban Village› Redaktionsleitung Nr. 197 | 18. Jahrgang | CHF 6.90 | Euro 5 | Abo CHF 69 verantwortlich. Textkürzungen und Bildver- Markus Raetz im Aargauer Kunsthaus Dagmar Brunner, brunner@programmzeitung.ch Stiftung Attraktives Medienhaus in Liestal änderungen behält sie sich vor. Die AutorInnen .2005 18:29:35 Uhr Kultur-Szene verantworten den Inhalt ihrer Beiträge Barbara Helfer, helfer@programmzeitung.ch selbst. Die Abos verlängern sich nach Ablauf COVER: ‹Wilhelm Tell› in Dornach eines Jahres automatisch. db. Von Mitte Juni bis Anfang August sind auf Agenda Ursula Correia, agenda@programmzeitung.ch * Die ProgrammZeitung ist als gemeinnützig dem Goetheanum-Gelände 15 Freilichtauffüh- anerkannter Kulturbetrieb auf finanzielle rungen von Friedrich Schillers ‹Wilhelm Tell› Inserate Unterstützung angewiesen. Beiträge zu erleben. Rund 70 Laien — 50 Erwachsene Claudia Schweizer, schweizer@programmzeitung.ch von mindestens CHF 100 über den Abo-Betrag und 20 Kinder — aus der Region spielen das Daniel Jansen, jansen@programmzeitung.ch hinaus sind als Spenden vom steuerbaren Freiheitsdrama unter der Regie von Johannes Administration/Redaktion Einkommen abziehbar. Helfen auch Peyer. Das Publikum folgt den wechselnden Urs Hofmann, hofmann@programmzeitung.ch Sie uns durch ein Förderabo (ab CHF 169). Schauplätzen mit dem Stuhl unter dem Arm Die ProgrammZeitung dankt allen Marketing und wird am Schluss verköstigt. Unterstützenden herzlich für ihre Beiträge. Mehr dazu S. 37 fi Sandra Toscanelli, toscanelli@programmzeitung.ch Korrektur Karin Müller, karin.mueller@nextron.ch K R O N E N PARK BINNINGEN RUHIGES, ZENTRALES UND HELLES WOHNEN IM GRÜNEN FÜR ANSPRUCHSVOLLE MENSCHEN 4 – Z-Wohnung mit Gartensitzplatz 117 m2 4 – Z-Wohnung mit Gartensitzplatz/ Atelier 142 m2 Preise zwischen 1'045`000 und 1`075`000 CHF inkl. AEHP Bezugsbereit Sommer 2006 Kronenpark Architektur GmbH | 061 321 73 77 w w w.kronenpark.ch | info@kronenpark.ch 4 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2005
fi S. 32 INHALT Sudhaus, Werkraum Warteck pp REDAKTION Die Würze des Dorfes Das ‹Stimmen›-Festival Lörrach und sein ‹Urban Village› in Basel | Stefan Franzen 6 Ort für Menschen und Medien Die neue Kantonsbibliothek BL ist ein attraktiver Treffpunkt | Dagmar Brunner 12 Ceci-Cela Das Aargauer Kunsthaus widmet Markus Raetz eine Retrospektive | Heinz Stahlhut 19 Notizen Kurzmeldungen und Hinweise | Dagmar Brunner (db), Urs Hofmann (uh), Alfred Ziltener (az) 6—19 Komponieren am Bildschirm Elektronische Musik im Studio und am Festival | Alfred Ziltener 7 Vom Fluch der Untat Nicole Kassels Film ‹The Woodsman› thematisiert Pädophilie | Michael Lang 8 Der lange Weg zum Ziel Von einer Pilgerreise erzählt Ismael Ferroukhis Film ‹Le Grand Voyage› | Michael Lang 9 Pioniergeist und geplatzte Träume Sebastian Krähenbühl Moritatenstück ‹Wasserfalle› | Alfred Ziltener 10 Das andere Heimat-Theater Die prämierten Produktionen des ‹Secondo›-Theaterwettbewerbs | Urs Hofmann 11 Rätselhafter Jakob Roswitha Quadflieg schildert eine jüdische Biografie mit Brüchen | Anna Wegelin 14 Mundus’ Reise Pascals Merciers Roman ‹Nachtzug nach Lissabon› | Oliver Lüdi 15 Kunstausbildungen Drei Angebote für Gross und Klein (db) 15 Kunst & Handwerk Textil-, Glas- und Baukunst (db) 17 Das Buch als Kunst Die 36. Art Basel bietet erstmals eine Plattform für Künstlerbücher an | Kerstin Richter 17 Gastro.sophie Das Restaurant Landesgrenze verführt zum ‹Kleinen Grenzverkehr› | Oliver Lüdi 18 Wortgast Was ‹Import/Export› mit der Performancekunst zu tun haben | Pascale Grau 18 Kunst-Events Die 10. ‹Liste›, die erste ‹Voltashow› und das erste Basler Landart-Festival (db) 19 KULTUR-SZENE Musik Diverse Gastseiten der Veranstaltenden 22—47 Aspekte der freien Improvisation 29 Birsmattehof 39 Plattform.bl 35—42 Basler Madrigalisten 29 Forum für Zeitfragen 33 The Bird’s Eye Jazz Club 30 Kaserne Basel 26 Film Cantus Basel 29 Kulturzentrum Kesselhaus 23 Kultkino Atelier | Camera | Club | Movie 44 Gare du Nord 40 Museum.BL 41 Landkino 39 Kulturamt Stadt Weil am Rhein 31 Naturhistorisches Museum Basel 43 Stadtkino Basel 45 Kulturbüro Riehen 31 Offene Kirche Elisabethen 43 Theater | Tanz Kuppel 30 Parkcafépavillon Schützenmattpark 30 Goetheanum 37 Stimmen-Festival 2005 | Burghof Lörrach 27 Theater Palazzo 39 Das Neue Theater am Bahnhof | NTaB 22 Unternehmen Mitte 34 Kunst II Resonanz II 28 Volkshochschule beider Basel 33 Aargauer Kunsthaus Aarau 46 Tangoplus 28 Werkraum Warteck pp 32—33 ARK | Ausstellungsraum Klingental 45 Theater Basel 25 Birsfelder Museum 42 SERVICE Theater Roxy 36 Fondation Beyeler 47 Museen | Kunsträume 48—51 Vorstadt-Theater Basel 23 Galerie Monika Wertheimer 42 Restaurants, Bars & Cafés 52 Literatur Kunsthalle Palazzo 39 Veranstalteradressen 53—55 Allgemeine Lesegesellschaft Basel 22 Kunsthaus Baselland 40 AGENDA 56—74 Kantonsbibliothek Baselland 38 Kunstmuseum Basel 47 Orstmuseum Trotte 42 Römerstadt Augusta Raurica 41 Kinder 4. Kindertheatertreffen 22 Abonnieren Sie kostenlos die tägliche Kulturagenda für den Raum Basel: www.programmzeitung.ch/heute JUNI 2005 | PROGRAMM ZEITUNG | 5
MUSIK Ani Chöying Drolma NOTIZEN Orgel-Festival az. Zu den Opfern des Zweiten Weltkriegs, dessen Ende wir im Mai gefeiert haben, gehörte auch der französische Komponist Je- han Alain. Er starb 1940 bei der Verteidigung der Stadt Saumur – mit nur 29 Jahren. Er hin- terliess über hundert Kompositionen, Kam- mermusik und Orgelwerke. Vor allem dem un- ermüdlichen Einsatz seiner Schwester, der legendären Organistin Marie-Claire Alain, ist es zu verdanken, dass sein Werk lebendig geblieben ist. Nun veranstaltet Babette Mon- dry, die risikofreudige Organistin der Basler Peterskirche, ein kleines Festival zu Ehren des Komponisten. Zu hören sind dabei dessen DIE WÜRZE DES DORFES grosse Orgelwerke – u.a. mit Marie-Claire ‹Urban Village› Alains berühmtem Schüler Guy Bovet – und, Während drei Tagen errichtet das Lörracher ‹Stimmen›-Festival in Kooperation mit in einem Konzert im Chor der Kirche, auch der Kaserne Basel ein musikalisches Weltdorf. Klavierstücke, Lieder und ein Duo für Flöte und Piano, dazu Musik vom jüngeren Bruder Viel wird heutzutage vom ‹globalen Dorf› geredet – doch ist es nicht im Grunde eine Olivier Alain. Das Festival beginnt mit einem beschönigende Floskel? Man muss tief in die Strukturen der zusammenwachsenden, Kinderkonzert, einer Zeitreise, die den ganzen uniform werdenden Weltkulturen eindringen, um das Dörfliche, Ländliche noch aus- Kirchenraum einbezieht und das junge Publi- findig zu machen. Welchen Platz, welche Chancen haben die Traditionen der Völker kum zur Musik der Familie Alain führt, aber in einem städtischen Umfeld? Sehr anschaulich führt dies das ‹Urban Village› vor, das auch zum frühbarocken Franzosen Guillaume künftig jedes zweite Jahr auf dem Basler Kasernenareal seine Zelte aufschlagen soll. Nivers und zu Johann Sebastian Bach. «Es gab schon lange Avancen von verschiedenen privaten und offiziellen Seiten, die Jehan Alain-Festival, Peterskirche: Sa 4.6., sich wünschen, dass ‹Stimmen› stärker in Basel präsent ist», so der künstlerische Lei- 17.00/20.00 und So 5.6., 10.00/17.00 ter, Helmut Bürgel. «Auch die Gespräche mit der Kaserne liefen schon seit Jahren. Da Vokalkunst der Spielort nun nach seinen Krisenzeiten auf eine solide Bahn gelangt ist, konnte un- az. Ungewöhnliche Wege geht das im Sommer sere Planung Gestalt annehmen.» 2001 gegründete Mela Quartett – und un- Das Festival im Festival errichtet also ein Dorf in der Stadt; optisch wird dieses Signal gewöhnlich ist schon seine Besetzung: Es be- mit den Zeltbauten der Künstlergruppen ‹Sanfte Strukturen› aus Überlingen und steht aus den Mezzosopranistinnen Leslie ‹Mama-Jah› aus Genf bewerkstelligt. Kunst- und fantasievolle Gebilde, die das Noma- Leon, Sara Maurer, Anne Schmid und Mari- dische, Aufbruchbereite abbilden, das auch vielen der verpflichteten MusikerInnen anne Schuppe. Nach einem ersten gemeinsa- eigen ist. Unter ihnen – ganz der ‹Stimmen›-Philosophie gemäss – etliche, die aus- men Projekt mit Kompositionen von Giacinto schliesslich auf die Kraft ihrer Vokalkunst setzen. Zum Beispiel die in Zürich lebende Scelsi, Mela Meierhans und Daniel Mouthon Vokalakrobatin Saadet Türköz, die aus einer kasachischen Nomadenfamilie stammt präsentieren die vielseitigen Künstlerinnen nun einen musikalisch-szenischen Abend, der und in Istanbul aufwuchs. In der neuen Heimat verknüpft sie Lieder der Turkvölker barocke und zeitgenössische Musik verbindet. mit freier Improvisation. Ein Kanal zum Spirituellen öffnet sich bei der buddhisti- Seine Grundlage bilden die 14 Kanons BWV schen Nonne Chöying Drolma oder der nordindischen Mallik Family, deren Vorfah- 1087 von J.S. Bach. Der deutsche Komponist ren nachgesagt wird, sie hätten durch die Kunst des Raga-Singens Regen herbei- Willi Daum hat diese zwei- bis sechsstimmi- gezaubert. Auf einer anderen Bühne wird mit den Klischees der Latin-Musik gen Kompositionen arrangiert für vier Sing- aufgeräumt: Madera Limpia verknüpfen Kubas Countrymusik, den Changúi, mit bein- stimmen und zwei Konzertinas – eine einfache hartem Rap – und dies nicht etwa in Havanna, sondern in der Enklave Guantanamo. Form der Harmonika. Für die gleiche Beset- Massvoller Einsatz von Technik zung hat er weitere Stücke komponiert, die sich auf Bachs Vorlagen beziehen und sich mit Was in den Zelten passiert, soll von den Gästen im ‹Urban Village› hautnah erlebt diesen zu einem übergreifenden Ganzen ver- werden. So ist eine Stage kreisförmig angelegt, kann vom Publikum umlagert werden. binden. Die Regisseurin Dorothea Schürch hat Zuschauende und Ausübende sind nicht getrennt, hören genau das Gleiche. «In der dafür ein Raum- und Bewegungskonzept erar- ‹Weltmusik› gab es in den letzten Jahren eine Machtergreifung der Techniker nach beitet; Ausstattung und Licht werden von Mar- dem Paradigma der Rockmusik», erläutert Bürgel. «Wir wollen zeigen, dass gerade tin Müller gestaltet. dann Musik in höchster Qualität präsentiert werden kann, wenn man diese absurde Mela-Quartett mit ‹L’encerclement etc.›: Do 2., Materialschlacht nicht mitmacht.» fi Fr 3. und So. 5.6., 20.00, Gare du Nord S. 40 Abends ziehen die DorfbewohnerInnen ins Kasernengebäude ein. Mit Talvin Singh und dem Popstar Gunjan sind hier Topacts der modernen indischen Musik zu Gast, treffen erstmals auf die spannende, eher unbekannte indo-deutsche DJ-Szene. Doch auch in der Club-Atmosphäre spinnt sich der rote Faden des Konzepts fort, zeigt, wie Ländliches der Stadtkultur die Würze verleiht: Denn der Bhangra – jene Discomusik, die mit ihrer mitreissenden Rhythmik für viele Kunstschaffenden der Bollywood- Szene und des Asian Underground die prima materia liefert – war ursprünglich nichts anderes als ein Erntetanz aus dem Punjab. | Stefan Franzen ‹Urban Village›: Fr 1. bis So 3.7., Kaserne Basel fi S. 26. Stimmen-Festival: ab Fr 24.6. fi S. 27 6 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2005
MUSIK KOMPONIEREN AM BILDSCHIRM Elektronische Musik ter-Pioniere mit ‹sillons fermés› experimentiert, Loops, in wel- chen der Ton eine neue Eigendynamik erlangt, oder z.B. eine Das Elektronische Studio der Musik-Akademie Basel organi- Viertelsekunde vom Ton einer angeschlagenen Glocke heraus- siert ein mehrtägiges Festival — eine Gelegenheit, das Institut geschnitten und als eigenständiges Material verwendet wird. kennen zu lernen. In der ‹Regie› des Elektronischen Studios der Basler Musik-Aka- Zwischen Ton und Bild demie arbeitet Manu Gerber. Er feilt an einer neuen Komposi- Mittlerweile interessieren die elektronischen Möglichkeiten tion. Sie basiert auf mannigfaltigen Schlag- und Reibegeräu- nicht mehr nur spezialisierte Fachleute. Viele der Studio- schen, die er mit Steinen und Tonscherben erzeugt und am AbsolventInnen studieren gleichzeitig in der Hochschule für Computer bearbeitet und abgemischt hat. Am Bildschirm vor Musik Instrumentalkomposition. Neben dem akustischen Spek- ihm sind die Tonspuren als farbige Bänder zu erkennen – eine trum können sie auch die digitale Bildbearbeitung erproben und herkömmliche Partitur braucht es nicht. Problemlos lässt sich audiovisuelle Kunstwerke schaffen. Manu Gerber beispiels- die Musik schneiden, lassen sich Abschnitte der Partitur verset- weise wird sein Stück mit einem Video ergänzen. Vor allem der zen oder verlängern. Ein separates Feld regelt die Verteilung des Studiengang Audio-Design widmet sich intensiv dem Zusam- Klangs auf die fünf Lautsprecher im Raum. menhang von Ton und Bild – eines der Fächer ist schliesslich Die ‹Regie› ist das Herz des Studios, ein perfekt isolierter die Filmvertonung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Interpreta- Raum, der mit fast allen anderen Räumen der Akademie digital tion elektronischer Musik. Dabei stehen die Aufführenden vor vernetzt ist. Hier stehen nicht nur Lautsprecher und Computer ähnlichen Problemen wie die VertreterInnen der alten Musik. zur Verfügung, sondern auch eine Leinwand zur digitalen Bild- Frühe Stücke von Stockhausen etwa können heute nicht mehr bearbeitung. Eine Treppe führt hinauf zum Stereo-Schnittplatz adäquat aufgeführt werden, weil es die Apparate, die der Kom- und zum Mehrkanal-Studio. Zurzeit studieren hier 17 Musi- ponist vor wenigen Jahrzehnten benützt hat, nicht mehr gibt. kerInnen. Zwei Lehrgänge werden ihnen angeboten: Kompo- Man muss also versuchen, mit einem heutigen Equipment die sition und Audio-Design. Gerber studiert Audio-Design, «aber», Klangvorstellungen Stockhausens wieder herzustellen. Die erklärt er, «die Grenzen sind ohnehin fliessend». Für den Lehr- vielfältigen Angebote des Studios werden auch von Gästen ge- gang Audio-Design ist Volker Böhm zuständig; Komposition nutzt. So arbeitet der Brite David Berezan an einer Komposition, wird von Erik Oña unterrichtet, der das Studio seit anderthalb die Klänge aus dem Tinguely-Museum verwendet. Jahren leitet. Dazu kommen immer wieder GastdozentInnen. Demnächst veranstaltet das Studio das Festival ‹real-time / non- Zudem arbeiten die Studierenden mit AbsolventInnen anderer real-time› mit Workshops, Konzerten und Performances. Der Universitäten und mit Kunstschaffenden zusammen. Titel deutet auf die Traditionen von live-elektronischer (real- time) und Tonband-Musik hin. Stargast ist ‹Beast›, das Bir- Neue Möglichkeiten mingham Electro Acoustic Sound Theatre, das bereits an vielen Die internationale Vernetzung ist Oña ein wichtiges Anliegen. internationalen Festivals gastiert hat. ‹Beast› ist ein weltweit Für den Argentinier, der sowohl rein instrumentale Musik als einzigartiges Lautsprecher-Orchester mit bis zu 80 Audio- auch Werke mit Elektronik geschaffen hat, bringen die neuen kanälen, das Musik erzeugen und in fein ausdifferenzierte technischen Mittel vor allem eine Erweiterung des kompositori- Klangskulpturen verwandeln kann. | Alfred Ziltener schen Ausdrucks. Auch erlauben sie eine genauere Kontrolle über das eigene Werk: Im Gegensatz zur herkömmlichen Nota- Electronic Music Festival: Do 16. bis So 19.6., Gare du Nord fi S. 40 Weitere Infos zum Studio: www.esbasel.ch tion können die Vorstellungen der Komponierenden präzis fest- gehalten werden. Ausserdem: Selbstgemachte elektronische Musikinstrumente stehen im Zentrum des vom Migros-Kulturprozent lancierten Projekts ‹Home Die Elektronik habe zudem einen Paradigmenwechsel in der Made-Labor für Musik und Medien›, das an einem Klangtag und in einem Wahrnehmung von Musik mit sich gebracht: Während wir nor- Workshop präsentiert wird: So 29.5. bis Fr 3.5., Zentrum L & Arc, Ro- malerweise einen Ton als Resultat eines Vorgangs hören – wir mainmôitier, www.homemade-labor.ch erkennen ein ‹Klopfen› oder ein ‹Kratzen› oder beurteilen den Abb. ‹Zuse on Acid› — Detail aus einer Installation von Uwe Schüler. Foto: Bogenstrich der Geigerin –, kann er nun davon isoliert und in Dominik Landwehr sich selbst gehört werden. So haben etwa französische Compu- JUNI 2005 | PROGRAMM ZEITUNG | 7
FILM Filmstills aus ‹The Woodsman› (links) und ‹Le Grand Voyage› VOM FLUCH DER UNTAT Regiedebüt ‹The Woodsman› Walter wie ein angeschossenes Tier verhält, stets auf der Hut, auf dem Sprung ist. Mit guten Gründen: Im Betrieb gibt es eine Nicole Kassell zeigt zum Tabuthema Pädophilie ein subtil in- neugierige Frau, die unbedingt herausfinden möchte, welche szeniertes, glänzend besetztes Sozialdrama. Verfehlungen Walter zu verantworten hat. Und es gibt eine an- Ein Mann wird nach zwölf Jahren aus dem Gefängnis entlassen dere, die sich bald in den introvertierten Einzelgänger verliebt, und versucht, sich wieder in die so genannt normale Gesell- nämlich die lebenserprobte, emanzipierte Hubstapler-Fahrerin schaft zu integrieren. Sein Bruder hat ihm eine Anstellung Vickie (verkörpert von Kyra Sedgwick, der Ehefrau des Haupt- in einer Sägerei vermittelt, wo Walter (Kevin Bacon) nun einem darstellers Kevin Bacon). Das ist schön und riskant zugleich: Job nachgeht. Er ist dabei von so genannt gewöhnlichen Walter braucht jemanden, der ihn liebt. Aber er hat Angst vor Menschen umgeben, die sofort anfangen, den Neuankömmling der nötigen Offenheit. genauestens zu beobachten. Walter ist auf der Hut, bemüht sich Kommt dazu, dass auch das Auge des Gesetzes auf ihm ruht – um freundliche Distanz, wehrt sich aber gegen enge Kontakte im wörtlichen Sinne: Der abgebrühte Polizeisergeant Lucas und bezieht eine kleine, einfache Wohnung. Er weiss, dass er (brillant interpretiert vom Rapper Mos Def) taucht überra- nirgends anecken darf, denn sein Chef – der als einziger von schend bei Walter auf, löchert ihn mit Fangfragen und lässt kei- seiner Vorstrafe und seiner Tat weiss – will absolut keine Pro- nen Zweifel daran, dass er seinen Klienten liebend gerne wieder bleme im Betrieb. hinter Gittern sehen würde. Um das zu verhindern, besucht Was aber hat einer getan, den man zwölf Jahre weggesperrt hat? Walter zwar einen Therapeuten, aber seine Faszination für sehr Walter ist eines Vergehens für schuldig befunden worden, das junge Frauen – denen er tagtäglich in Pärken, im Supermarkt, als besonders schwer wiegend gilt. Er hat minderjährige überall begegnet – bedrängt ihn weiter, wie ein Fluch. Mädchen belästigt und missbraucht, gilt als pädophil und wird Nicole Kassells Film zeichnet kammerspielartig das Psycho- demzufolge geächtet. Kann so einer je wieder ein vollwertiges gramm eines gebrochenen Mannes, der seine Dämonen zu Mitglied der Gemeinschaft werden? Und was muss passieren, bekämpfen sucht und verzweifelt bemüht ist, sich in einer damit das gelingt? Der beeindruckende und bewegende Erst- rauen Umwelt neu zu orientieren. Doch ‹The Woodsman› ist lingsfilm der jungen amerikanischen Drehbuchautorin und Re- kein sentimentales, fragwürdiges Rührstück, das den Täter ver- gisseurin Nicole Kassell versucht, diese heikle Frage zu beant- harmlost, indem es ihn symbolhaft als Opfer einer verdorbenen worten. Wohl wissend, dass jeder künstlerische Versuch, dieses Gesellschaft darstellt. Im Gegenteil. Walter wird als Mensch mit Tabuthema abzuhandeln, eine Gratwanderung darstellt. Fehl und Tadel gezeigt, dessen Verhalten aber dank fein heraus- Freiheit, in Grenzen gearbeiteten Charakterfacetten sehr wohl Rückschlüsse auf all- ‹The Woodsman› erzählt Episoden aus dem zweiten Leben eines gemein vertraute Muster zulässt. So etwas gelingt einem Film Mannes, der juristisch gesehen für seine Untaten gebüsst hat, nur dann, wenn alles stimmt: Die Story, die Besetzung und vor aber keineswegs therapiert oder gar geheilt ist. Dass Walter allem der Respekt einem ernsten Thema gegenüber, das weder daran arbeitet, nimmt man ihm allerdings ab. Und vor allem Verharmlosungen, Übertreibungen noch Effekthaschereien auch, dass er begriffen hat, dass der kleinste weitere Fehltritt duldet. ‹The Woodsman› ist so ein Film. das Ende aller Freiheit bedeuten würde. Was Wunder, dass sich | Michael Lang Der Film läuft ab Anfang Juni ( fi Tagespresse) 8 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2005
FILM DER LANGE WEG ZUM ZIEL ‹Le grand voyage› von Ismaël Ferroukhi NOTIZEN Eine überraschungsreiche Pilgerreise nach Mekka führt zur Annäherung zwischen einem Vater und seinem Sohn. Basler Videofilmfestival Für viele Muslime ist es das Lebensziel, einmal ins saudiarabische Mekka zu pilgern. db. Schon von ca. 1986–1997 gab es Film- und Zum Hort des Glaubens, dorthin, wo der Begründer des Islam – der Prophet Moham- Videotage in Basel, nun bemüht sich eine jün- med – geboren wurde. Dass der Weg zur und das Verweilen an der heiligen Stätte be- gere Generation erneut um Vernetzung und Förderung der einschlägigen lokalen Szene. schwerlich sein kann, hindert kaum jemanden daran, die Reise zu wagen. Mekka, eine Bis zum 1. Juli können Videoschaffende aus Stadt mit rund 1,5 Millionen EinwohnerInnen, empfängt rund zwei Millionen Pil- der Nordwestschweiz, aus Südbaden und dem gernde jährlich und dürfte so einer der grössten Versammlungsorte weltweit sein. Elsass ihre Beiträge einsenden, die dann Ende Mekka als magischer Ort, Mythos und Phänomen ist in dokumentarisch-filmischer August während der vierten Videofilmtage ge- Form oft gewürdigt worden. Nun auch in einem klugen und emotionalen Spielfilm von zeigt werden. Dabei sind sowohl Spiel- und Ismaël Ferroukhi. Er schildert in ‹Le grand voyage› die Pilgerreise – gewissermassen Dokumentarfilme als auch Animations-, Expe- von unten gesehen. Sein Interesse gehört einem in Südfrankreich lebenden Mann ma- rimental- und Kunstfilme von Profis wie Laien rokkanischer Abstammung. Der strenggläubige Familienvater will, offenkundig den zugelassen und werden von Gesprächsrunden, Tod vor Augen, nicht bequem im Flugzeug reisen, sondern so erdennah wie möglich, Workshops und Referaten begleitet. per Automobil. Selber fahren kann er nicht, und weil sein ältester Sohn kurzfristig als Videofilmtage: Mi 24. bis So 28.8., Unterneh- men Mitte. Infos: Sacha Roche, Verein für re- Chauffeur und Begleiter ausfällt, muss der jüngere Reda einspringen. Allerdings ist gionales Medienschaffen, Schönaustr. 35 der Student von der Idee nicht begeistert. Er gehört einer anderen Generation an, lebt www.medienkonzept.ch, www.videofilmtage.ch ein modernes Leben, tut sich mit dem Glauben schwer und möchte nur ungern von sei- ner französischen Freundin, keine Muslimin, getrennt sein. Zudem weiss Reda, dass Neue Kinoleitungen die Reise nach Mekka im unkomfortablen Mittelklassewagen durch sieben Länder db. Anfang Juli übernimmt die Filmwissen- führen und keine Erholungstour werden wird. Ob das der Vater auch weiss? Es ist an- schaftlerin Nicole Reinhard die Leitung des zunehmen, aber für den Pilger aus Überzeugung ist der Weg auch das Ziel – koste es, Stadtkinos und des Landkinos, unterstützt von was es wolle! Und so nimmt er kraft seiner väterlichen Autorität den widerspenstigen ihrem Stellvertreter Primo Mazzoni, der bis anhin die Öffentlichkeitsarbeit besorgte. Die Filius in die Pflicht. 37-jährige Obwaldnerin engagierte sich u.a. in Fruchtbare Gegensätze der Festivalorganisation der Viper in Luzern, So präsentiert sich die Ausgangslage für ein Road-Movie der besonderen Art. Die zwei arbeitete für das Frauenkino Xenia in Zürich fahren los, und kaum ist Italien erreicht, werden bereits die Grenzen der Fahrgemein- und wirkte während der letzten sechs Jahre als schaft sichtbar: Der Sohn möchte nämlich in Mailand, dann in Venedig Halt machen, Co-Leiterin der Internationalen Kurzfilmtage um Neues zu entdecken. Aber der unbarmherzige Vater lehnt solch touristisches in Winterthur. Das bestehende Stadtkino-Kon- Gebaren ab. Er will den Ort seiner Sehnsucht auf direktem Weg erreichen und keine zept will sie sachte weiterentwickeln, durch Veranstaltungen und Zusammenarbeit mit Zeit mit Unnützem verlieren. Um den Sohn noch mehr an sich zu binden, entsorgt er andern Programmkinos und Festivals mehr auf einem Rastplatz dessen Handy und beraubt ihn der Möglichkeit, mit der Liebsten jüngeres Publikum gewinnen und das Stadt- zu telefonieren. Weil der alte Herr zudem fünfmal am Tag sein Gebet verrichten will, kino als Plattform für die regionale Filmszene kommt es zu Stopps an keineswegs idealen Orten. In Ex-Jugoslawien dann stiftet eine etablieren. Corinne Siegrist, die den Betrieb seltsame ältere Mitfahrerin Verwirrung, und in der Türkei führt die Bekanntschaft mit während 18 Jahren umsichtig auf- und aus- einem hilfsbereiten, aber auch undurchsichtigen Herrn zu Unruhe, dramatischen gebaut hat, wechselt nach Zürich, wo sie als Missverständnissen und offenen Konflikten zwischen Vater und Sohn. Nachfolgerin von Martin Girod das Filmpo- Mekka ist weit und der Weg zum Ziel steinig. Aber er macht Sinn. Ferroukhis Film dium leiten wird. Und auch in Liestal gibt es zeigt mit würdevoller Distanz und doch unverstellt, wie sich Menschen gleichen Veränderungen: Das Kino Sputnik im Palazzo, Blutes, aber gänzlich unterschiedlicher Lebenseinstellungen durch gemeinsames bisher von Niggi Messerli betreut, wird neu Erleben und Erleiden näher kommen: Der Alte, der zum Abschied die Quelle sucht, von Jonathan Maurice geführt. Abschiedsapéro für Corinne Siegrist: Fr 1.7., ab und der skeptische Junge, der an der Quelle im Abschiednehmen Hoffnung schöpft. fi 18.00 (mit Kurzfilmen), Stadtkino S. 45 | Michael Lang Der Film läuft ab Do 9.6. in einem der Kultkinos fi S. 44 JUNI 2005 | PROGRAMM ZEITUNG | 9
Szene aus ‹Wasserfalle› THEATER | MUSIK NOTIZEN Allianz gegen Rassismus db. Zu einem ebenso grossen wie nachhaltigen Erfolg hat sich ‹imagine›, das von Jugendli- chen organisierte Festival gegen Vorurteile, Gewalt und Rassismus entwickelt. Nicht nur während des eigentlichen Festivals, sondern schon lange davor wird mit Wettbewerben, Workshops und Theaterabenden im Schul- und Freizeitbereich für eine vertiefte Ausein- andersetzung mit dem Thema geworben. Das von der Entwicklungsorganisation ‹terre des hommes schweiz› logistisch und finanziell un- PIONIERGEIST UND GEPLATZTE TRÄUME terstützte Projekt findet heuer zum vierten Moritatenstück ‹Wasserfalle› Mal in Basel und im Spätherbst erstmals auch in Recife, Brasilien, statt, bei dessen Vorberei- In der ersten Regiearbeit des Schauspielers Sebastian Krähenbühl geht es um einen tung Basler Jugendliche mitgewirkt haben. gescheiterten Tunnelbau im Passwanggebiet. Der Austausch über Landes- und Kulturgren- Der Schauspieler Sebastian Krähenbühl ist in Basel kein Unbekannter. Der 1974 gebo- zen hinweg soll weiter ausgebaut werden, rene Zürcher war mehrmals im Raum 33 zu sehen, war Jurymitglied von ‹Treibstoff. letztlich zu einer weltweiten Allianz gegen Theatertage 2004› und trat zuletzt bei den diesjährigen Tanztagen in ‹Wohlgelitten in Rassismus. In Basel treten wiederum über 20 Wohlgelegen› der Schaffhauser Tanztheatergruppe Kumpane auf. Nun hat er bei Bands aus dem In- und Ausland auf, ferner einem eigenen Projekt erstmals Regie geführt: In ‹Wasserfalle – ein Moritatenstück› sind Tanz, Theater, Literatur und Kabarett, greift er – angeregt durch einen Text von Alex Capus – eine vergessene Episode der Ausstellungen, Modeschau und eine multikul- Schweizer Eisenbahngeschichte auf und erzählt vom nie vollendeten ‹Wasserfallen- turelle Essmeile angesagt. Das Schweizer On- line-Jugendmagazin ‹Youthguide› bietet einen tunnel›. Die Produktion hatte im April im Zürcher Theater an der Winkelwiese Pre- Medienkurs samt Veröffentlichung aller Texte miere und gastiert nun im koproduzierenden Theater Roxy in Birsfelden. und Bilder an. Die Geschichte, wie sie Capus erzählt, ist kurios genug: 1873 erhielt ein lokales Kon- Imagine 05: Fr 3.6., 18.00—24.00 und Sa 4.6., sortium die Konzession zum Bau einer Bahnlinie, die Liestal und Oensigen, und mit- 14.00—24.00, Barfi. www.imaginefestival.ch telbar Basel und Bern, verbinden sollte und einen Tunnel zwischen Reigoldswil ( BL ) und Mümliswil ( SO ) nötig machte. Die neue Bahn sollte die grosse, weite Welt und den Liebes-Theater wirtschaftlichen Aufschwung in die beschaulichen Täler bringen. Die Begeisterung db. Der schönsten Sache der Welt hat das Exex- war gross, und bereits vor dem ersten Spatenstich wurde heftig investiert: Unterkünfte Theater seine neue Produktion gewidmet, die für die Bauarbeiter wurden gebaut, Wirtshäuser eröffnet, Transportgesellschaften ge- in der Form eines Stadtspaziergangs histo- risch fundiert vom vielfältigen Basler Liebes- gründet – Hochkonjunktur auf Kredit. leben erzählt. Dabei kommen die privaten Spannender Stoff, schräges Stück Geschichten von Persönlichkeiten wie etwa 1874 begann der Bau; die Lokalzeitungen berichten allerdings nicht nur von den Fort- Kunigunde und Heinrich II, Margarethe und schritten im Tunnel, sondern auch von Unglücksfällen und Schlägereien zwischen Christoph Merian-Burckhardt, Iris und Peter Arbeitern verschiedener Nationalitäten, bzw. zwischen Arbeitern und Einheimischen. von Rothen, Maja und Paul Sacher, Meta von Inzwischen wurde, so Capus, das Projekt von einer unheiligen Allianz aus Politik und Salis, Rosa Luxemburg, Hermann Hesse etc. Wirtschaft sabotiert. Und so platzte die Blase nach wenigen Monaten: Der Bau wurde ebenso zur Sprache wie ihre Folgen für Politik, Industrie, Kunst und Sport. Das mit der His- abgebrochen, der begonnene Tunnel auf beiden Seiten zugemauert. Opfer waren die torikerin Barbara Rettenmund erarbeitete Dorfleute: Allein in Mümliswil waren fünfzig Familien bankrott; viele Menschen Stück, in dem Satu Blanc in unterschiedliche mussten auswandern. Rollen schlüpft, knüpft an die erfolgreiche Dieser vielschichtige, spannende Stoff könnte nicht nur Theaterleute interessieren, Produktion ‹Niemand war schon immer da› sondern auch die Vorlage abgeben für einen Roman oder einen Film. Doch Krähen- an, in der das Exex-Theater vergangene und ak- bühl und Brigitte Helbling, die den Text zu seinem Projekt verfasst hat, schöpfen ihn tuelle Migrationsschicksale beleuchtete. nicht aus, sondern nehmen ihn als Vorwand für ein schräges, gewollt schäbiges Va- ‹Wo die Liebe hinfällt›: ab Do 9.6., 20.00 (Pre- riété. Ihre fünf exzellenten SchauspielerInnen, angeführt von Charlotte Heinimann miere), jeden Di und Do bis Ende Nov., Treff- punkt Standesamt, Rittergasse 11. Infos, Re- als Wirtin Rosy, die zwischen exaltiertem Diven-Gestus auch ergreifende Töne findet, servation: T 061 261 47 50, www.exex.ch stellen skurrile Gestalten auf die Bühne, möglicherweise – das legt das Programm nahe – Auswanderer aus Mümliswil. Sie erzählen die Geschichte des gescheiterten Tunnelbaus mit viel Musik zwischen Volkslied und Blues (von Markus Schönholzer, der auch mitspielt) und illustrieren sie mit unbeholfenen zirzensischen Darbietungen. Krähenbühl hat ideenreich und witzig inszeniert, nie mit brachialem Humor, dafür oft mit feinen Pointen. Sein formaler Rückgriff auf die Western-Show macht Sinn: Die tragische Posse um den Wasserfallen-Tunnel erinnert in ihrer Mischung aus Goldrausch und echtem Pioniergeist durchaus an die etwa gleichzeitige Eroberung des wilden Westens. | Alfred Ziltener ‹Wasserfalle›: ab Sa 4.6., 20.00 (Premiere), Theater Roxy, Birsfelden fi S. 36 10 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2005
THEATER Theatergruppe Basel: ‹Der Kurzschluss›. Foto: Leonard Zubler DAS ANDERE HEIMAT-THEATER ‹Secondo›-Theaterwettbewerb wirkungsvoller sein kann, als rein politische Auseinanderset- zungen. So thematisiert etwa die Theatergruppe Szenart aus Vier prämierte Produktionen zur Befindlichkeit von Migranten- Aarau in ihrem Stück ‹Zrugg›, das in Zusammenarbeit mit der kindern sind auf Tourneehalt in Basel und Liestal zu sehen. Jugendkoordinationsstelle Aarau entstanden ist, die ambivalen- Wann ist jemand ein ‹Secondo›, eine ‹Seconda›? Wenn sie beim ten Gefühle der Betroffenen anhand einer Reise ins Heimatland Sprechen mitten im Satz in eine andere Sprache wechseln kann? ihrer Eltern. Wie bereiten sich die Jugendlichen auf die Reise Wenn er einen Schweizer Pass besitzt, aber nicht danach aus- vor? Welche Geschenke bringen sie mit? Wovor haben sie Re- sieht? Wenn die Sommerferien jedes Jahr in der Heimat der spekt? In einem Geflecht aus Bildern, Begegnungen und Stim- Eltern verbracht werden? mungen konfrontieren sich die Reisenden mit ihren Erinnerun- Der Begriff ‹Secondo› bezeichnet keine geschlossene Kultur. gen und Erfahrungen, die sie als Kinder, zwischen ihren Die in der Schweiz geborenen Kinder von Eltern ausländischer Heimaten hin und her pendelnd, gemacht haben. Herkunft haben häufig nur eine Gemeinsamkeit: Auf die Frage Im Gegensatz dazu spielt ‹Der Kurzschluss› der Theatergruppe nach ihrer Heimat können sie keine einfache Antwort geben. Basel in der neuen Heimat. Für die Autorin des Stücks, die in Neben ihrem Herkunftsland bezeichnen sie auch die Schweiz Prag und Basel aufgewachsene Katja Fusek, ist das herunterge- als ihre Heimat, verfügen über mindestens zwei kulturelle Iden- kommene Mehrfamilienhaus als typischer Ort der Begegnung titäten, fühlen sich aber gelegentlich weder hier noch dort rich- zwischen ImmigrantInnen und Einheimischen das Schaufens- tig zu Hause oder geraten in Loyalitätskonflikte. ter zum alltäglichen Elend. Man lebt Wand an Wand, die aus Der Theaterwettbewerb ‹Secondo› hat im vergangenen Jahr Südosteuropa eingewanderte Familie streitet lautstark, ein Ensembles und Schreibende dazu eingeladen, sich in einer Schweizer Nachbar kommt und beklagt sich. Hinter den stereo- Bühnenproduktion von maximal zwanzig Minuten Dauer mit typen Konfliktmustern verbergen sich existenzielle Nöte, Angst der Situation und den Problemen dieser Bevölkerungsgruppe vor dem Fremden und dem Fremdsein, Einsamkeitsgefühle und und ihrem Zusammenleben mit SchweizerInnen auseinander die Suche nach verbindenden Werten. | Urs Hofmann zu setzen. Die von der Jury prämierten vier Produktionen sind nun, zusammen mit einer Gasttruppe aus Basel, auf einer ‹Viel Theater um Secondas und Secondos›: So 5.6., 19.00, Schauspiel- haus Basel (mit der Theatergruppe Basel als Gast); Fr 24.6., 20.00, kleinen Tournee durch die Schweiz. fi Theater Palazzo Liestal S. 39. Weitere Infos: www.secondofestival.ch Ambivalente Gefühle Die Stärke des Theaters liegt in seiner Unmittelbarkeit und der Möglichkeit zur Verdichtung von Themen. Die Luzernerin Gjyle Krasniqi, Mitinitiantin des Wettbewerbs, glaubt, dass sich ge- rade deshalb das Theater dafür eignet, virulente gesellschaftli- che Probleme anzusprechen, und dass es mit seinen Bildern JUNI 2005 | PROGRAMM ZEITUNG | 11
LITERATUR Im Zentrum der neuen Kantonsbibliothek BL, Liestal. Foto: Alexandra vom Endt NOTIZEN Plattform für junge Texte Monster und Drachen Literarisch unterwegs db. Seit 1996 organisieren Studierende der db. Um Naturkatastrophen, Missgeburten und db. Mit zwei neuen Angeboten beugt das Lite- Uni Basel im Zweijahresrhythmus den Lite- Kometen in der Frühen Neuzeit geht es in der raturhaus Basel der Stubenhockerei von Litera- raturwettbewerb ‹Einseitig›, an dem freilich aktuellen Ausstellung in der Universitäts- turfans vor: Einerseits lädt Albert Debrunner, auch Schreibtalente ohne Legi und ausserhalb bibliothek. Diese verfügt über beachtliche Deutschlehrer am Gymnasium Bäumlihof, zu der Region teilnehmen können, sofern sie Bestände von Literatur, die sich mit solchen Führungen ein, die Einblicke in das vergan- nicht älter als 30 sind. Das Thema ist frei, aber Phänomenen beschäftigt. Gezeigt wird eine gene und gegenwärtige literarische Leben der es kann nur ein Text pro Person eingereicht Auswahl von Bildern und Texten über beson- Region vermitteln. Dabei kann man z.B. auf werden, er muss unpubliziert, in deutscher ders markante Ereignisse wie z.B. den Berg- den Spuren Hebels, Nietzsches oder Burck- Sprache verfasst und mit einem Pseudonym sturz von Yvorne (1572), den Untergang von hardts wandeln und Erhellendes über die versehen sein und darf eine A4-Seite (max. Plurs/Piuro (1618) und das grösste Erdbeben Dichtung des Mittelalters, die Autoren Liestals 4000 Zeichen inkl. Leerzeichen) nicht über- der europäischen Geschichte 1755 in Lissabon. oder die Literatur des Sundgaus erfahren. schreiten. Mit Maschine geschrieben, sieben- Daneben werden auch andere aussergewöhn- Basel als Bücherstadt steht im Zentrum des fach kopiert und mit den Personalien in sepa- liche Ereignisse wie Himmelserscheinungen letzten Spaziergangs vor der Sommerpause. ratem Couvert ist er per Post und E-Mail und Missbildungen thematisiert und in einen Die Ferienzeit können Interessierte dann nut- einzusenden. Die Texte werden von einer kom- historisch-gesellschaftlichen Kontext gestellt. zen, um sich an einem Wettbewerb zu beteili- petenten unabhängigen Jury bewertet, eine Im Pharmazie-Historischen Museum ist zu- gen, den das Literaturhaus in Kooperation mit Auswahl davon publiziert und mit einer Ver- dem Erhellendes über Drachen und Drachen- dem Reisebüro Globetrotter ausschreibt. Ge- nissage gefeiert. Am Schlussabend haben die medizin zu erfahren. Da mythische Tiere oft fragt sind unveröffentlichte Reisereportagen, Jury-Mitglieder ihre Favoriten öffentlich zu mit legendären Heilungen in Verbindung ge- die im Herbst juriert, publiziert und prämiert verteidigen, und das Publikum bestimmt de- bracht wurden, galten Drachen als begehrte werden. mokratisch die Siegertexte. Ingredienzien für Medikamente. Literarische Führung durch die Bücherstadt 5. ‹Einseitig›-Wettbewerb, Einsendeschluss: Ausstellung ‹Zeigefinger Gottes›: bis Sa 6.8., Basel: So 12.6., 11.00, Treffpunkt Gemsberg 7a, Fr 29.7., Vernissage und Schlussabend Universitätsbibliothek Anmeldung bis Fr 9.6.; Wettbewerbsbedingun- im Spätherbst. Infos: www.einseitig.ch.vu Ausstellung ‹Drachen in der Medizin›: bis Sa gen: T 061 261 29 50 27.8., Pharmazie-Historisches Museum Basel 12 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2005
LI TERATUR einladendem Empfangsbereich samt Nichtraucher-Cafe bis zu ORT FÜR MENSCHEN UND MEDIEN den zwei oberen Etagen, die u.a. viel Platz f ür jugendliche Be- Neueröffnung Neueröf f nung KKantonsbibliothek ant ons bibliot hek BL dürfnisse und in den 26 schmalen Lukarnen auch zeitgemäss Im J u n i wird das neue Do miz il der B as elbiet er K a n t o n s b ib lio - ausgerüstete Arbeitsplätze bieten, wirk t das Haus attraktiv und thek eröf f net und mit einem gros s en Fes t gef eiert . vielfältig nutzbar. Sie fällt schon bei der Einfahrt in den Bahnhof Liestal ins Auge, Damit entspricht es exakt den Vorstellungen Gerhard Matters, die neue Bibliothek des Kantons Basel-Landschaft. Und bewegt, der neben einem möglichst reichhaltigen Angebot an Belle- wie Direk t or Gerhard Matter weiss, die Gemüter. Denn ausser tristik und Jugendliteratur, Sach- und Fachbüchern, Zeitungen, Zus t immung oder Ablehnung gebe es praktisch keine Meinun- Zeitschriften, Spielen, Ton- und Bildträgern Bibliothek gen zu dem markanten Bau, dessen Dach an einen Dampfabzug zu einem kulturellen Treffpunkt für ein breites Publik um ma- erinnert. Freilich beschert er dem Stedtli weit mehr als eine ei- chen möchte w e i t über Liestal hinaus. genwillige Architektur. Was hier nach einer langen Planungs- Etlic he Verbes s erungen phase und für 18 Millionen Franken innerhalb von zwei Jahren Anfang Juni wird die neue Kantonsbibliothek ihren Betrieb mit aufgebaut wurde, kann sich sehen lassen und wäre auch ande- einer k larer nac h Themen geordneten Präsentation, einem ren Orten zu gönnen, wo Bibliotheken immer noch den Charme neuen Internetportal und einer teamorientierten Personalstruk- von Grabkammern haben oder allzu aufdringlich nach Kinder- tur aufnehmen. Neben dem bisherigen Service soll es häufiger z immer riechen. Veranstaltungen geben, u.a. stehen dafür eine grosse Dachter- Achtzig Jahre lang war die Kantonsbibliothek i m Gerichts- rasse, ein Saal und ein Gruppenraum zur Verfügung. Aus Kos- gebäude (ältere Bestände in drei weiteren Liegenschaften) unter- tengründen eingeschränkt werden muss die 1999 eingeführte, gebracht und platzte zuletzt aus allen Nähten. In roten Metallge- erfolgreiche Sonntagsöffnung, sie ist nur noch von Oktober bis stellen lagerten die Schätze für Lesehungrige und Wissbegierige April möglich. Hingegen ist die Bibliothek nun über Mittag zu- jeden Alters derart eng, dass man kaum aneinander vorbei kam. gänglich. Junge bis 20 können sie d a n k finanzieller Beteili- Dennoch war ein reges Kommen und Gehen, 310 000 Besuche gung von neun umliegenden Gemeinden k os t enlos benutzen, registrierte das Haus 2004, am meisten frequentiert war es Erwachsene bezahlen jährlich 35 Franken; das Caf i s t zu den- jeweils dienstags, und am begehrtesten waren die Jugendlite- selben Zeiten in Betrieb. ratur, Fi l me und CDs. Statistisch abgesichert kann sich die Mitte Juni wird die Neueröffnung gefeiert, mit Kulturprogramm Kantonsbibliothek als «beliebteste Kulturinstitution des Basel- für Gross und Klein und mit weit offenen Türen. Dabei kann biets» ausgeben. man z.B. die imposanten Magazine mit dem ältesten Buch von Vom Wein- zum Bücherhaus und Treffpunkt Vom Wein 1506 besichtigen, die topmodernen WCs mit Urin-Separierung -Mit drei Zügelunt ernehmen und einem Sondereinsatz der 36 ausprobieren, die 55 000 Biberschwanzziegel des Daches ins- z u m Teilzeit-Mitarbeitenden wurde i n der zweiten Maihälf t e der pizieren oder die so subtile wie poetische Kunst am Bau von B ü c Gesamtbestand von 145 000 Büchern und Medien in den nahen Stefan Banz bewundern. Kurz: die ganze schicke Kiste und ihre hNeu- e rbzw. Umbau gebracht, f ür den ein Architekturbüro aus lehrreichen, unterhaltsamen und s innlic hen Inhalte k ennen h a u Brugg v erant wort lic h zeichnet. Das ehemalige Weinlager, le r n e n . I Da g m a r Bru n n e r s dessen massive Holzkonstruktion aus gehobelten Balken den Ka n t o n sb ib lio t h e k Ba se lla n d , Em m a H e rrw e g h -Pla t z 4 , L ie st a l, T 0 6 1 u 925 5 0 8 0 . D i b i s F r 9 .0 0 - 1 8 .3 0 , Sa b i s 1 6 .0 0 , So d it o (Okt o b e r b is nganzen Innenraum prägt, besteht aus vier Stockwerken, in deren Ap ril). We it e re I n f o s im Ja h rb u ch (U n t e rw e g s in d e r Ba se lb ie t e r Bib lio - dZent rum ein Lichthof mit Glaslift für , Transparenz und t h e ksla n d sch a f t ) und u n t e r w w w .kb l.ch TOrient r ierung sorgt. Dies wird unterstützt durch die zitronen- Eröf f n u n g sf e st : F r 1 7 ./ Sa 1 8 .6 ., Pro g ra m m —>S. 3 8 egelbe f Farbe des Bodens und der Gestelle, die einen frechen Kon- ftrast p zum alten Holz, der Alu-Deckenbeleuchtung und den weis- usen nMö b e l n bildet . V o m bet oniert en Untergeschoss m i t kgrosszügigen t Büros und Magazinen über das Erdgeschoss mit ANZ EIGE Buchtipp aus dem Narrenschiff goliarda Von der «Picciridda» aus dem Elend der Tagelöhnerhütte über die Klosterschule zur in s apienz a Spitze der sizilianischen Gesellschaft d e r weite Weg einer aussergewöhnlichen den himmel Frau. Mit ihrer ganz eigenen Radikalität beschreibt Goliarda Sapienza die Eroberung s tür z en des Lebens in all seinen Facetten durch die gar nicht so bescheidene Modesta, bis sie ih r grosses Ziel erreicht: auf1,01-,t die Freiheit, Freiheit und imme r wieder Freiheit. DasNarrenschiff Geisteswissenschaften Literatur Goliarda Sapienza Buchhandlung SchwabeAG In den Himmel stürzen Im Schmiedenhof lo auf bau-v erlag, 2005 CH-4001 Basel Tel.o61 261 19 82 442 S., gebunden, Fr. /.0.10 Fax 061 263 91 84 3-351-03022-3 na rrenschiff@schwabe.ch JUNI 2 0 0 5 P R O G R A M M Z E I T U N G 113
LITERATUR | GESCHICHTE RÄTSELHAFTER JAKOB Jüdische Biografie mit Brüchen Roswitha Quadfliegs ‹Spurensuche› (Untertitel) nach dem deutsch-französischen Juden Jakob Birnbaum beginnt Ende 2000 in Hamburg. Anna und Osip zeigen der Besucherin ein Foto ihres um fast dreissig Jahre älteren Freundes, der vor drei- einhalb Jahren gestorben ist. Anna, deren Vater ein Nazi war: «Hier, ist er nicht toll, wie er dasteht?» Und dann: «Er war Le- benskünstler. Lebenskünstler und Hochstapler.» Da muss es um Roswitha Quadflieg, die 1949 in Zürich geborene Schrift- stellerin aus Hamburg, die während 30 Jahren die bibliophile Verlagswerkstatt Raamin-Presse betrieb, geschehen sein. ‹Requiem für Jakob› ist der emphatische Versuch, das Leben eines schillernden Menschen einzukreisen, der mit Vorliebe Spuren gelegt hat, die in die Irre führen: Jakob Birnbaum kommt am 30. Juni 1906 in Metz zur Welt, als die Stadt zum Deutschen Kaiserreich gehört. Die Eltern sind «israelitischer Religion» und beide vorbestraft: «Wie die Grosseltern und etwa die Gebührenwut der Archive kommentiert oder über die Urgrosseltern auch.» In der Nacht vom dritten auf den vierten Shoa nachdenkt. Vor allem aber redet sie mit sich selber und mit April 1997 stirbt Birnbaum 91-jährig im Hamburger Stadtteil Jakob, der ihr unzählige Rätsel aufgibt und keineswegs nur eine Altona. Zuletzt hat er von der Sozialhilfe gelebt – und sich als sympathische Figur macht. Festgehalten ist alles in knappen, Model bei Agenturen verdingt! Dazwischen hat er ein wildes präzisen Worten. Der für die Autorin typische spröde Humor Leben geführt und ein Drittel der Zeit hinter Gittern verbracht macht die Lektüre zu einem Genuss. (u.a. in Basel): als Dieb, Betrüger, Hochstapler und Fälscher. «Irgendwann muss Schluss sein», heisst es fast ganz am Ende Quadflieg verfolgt jede Spur, die ihr der Nachlass von Jakob des Buches. Jakob Birnbaums grosses Geheimnis, das die Auto- Birnbaum legt – ein Haufen Papier(e) und viele Fotos, von de- rin schon zu Beginn der Niederschrift beschäftigt hat, bleibt: nen etliche im Buch abgebildet sind. Das führt sie auf skurrile «‹Niemals werde ich meine Toten verraten›, hast du immer wie- Umwege, etwa in den Ratsaal eines Deutschen Spassvereins, der kundgetan. Was bedeutet das?» | Anna Wegelin aber auch an gesperrten Akten im französischen Militärarchiv Roswitha Quadflieg: ‹Requiem für Jakob›. Eine Spurensuche. Die Andere vorbei, um herauszufinden, wer Jakob aus dem Gefängnis ver- Bibliothek Bd. 244, Eichborn Verlag, 2005. 320 S. mit zahlr. Abb. Ln., holfen und ihm zu einem hohen Preis eine neue Identität ver- limit. und num. Erstausgabe, CHF 56 (auch in Leder erhältlich). liehen hat. Lesung der Autorin: Do 16.6., 20.00, Schloss Ebnet, Schwarzwaldstr. ‹Requiem für Jakob› ist faszinierende Literatur, denn zu den 278, Freiburg i.Br. (D) ausgedehnten, akribischen Recherchen kommen die spontanen Abb. Buchcovers (Ausschnitte), Fotos: Holger Scheibe (links) und Peter- Gedanken und kurzen Reflexionen der Autorin, in denen sie Andreas Hassiepen NOTIZEN Jüdische Erinnerungen Jüdisches Leben in Basel Progressives Judentum uh. Als ob das Ghetto nicht genug gewesen uh. Seit rund achthundert Jahren ist die uh. Migwan (Mannigfaltigkeit) heisst ein Ver- wäre! Jacob Shepetinski, gebürtiger Weiss- Geschichte der Juden in Basel überliefert. Die ein, der im vergangenen Herbst gegründet russe aus Slonim, lebt heute in Ramat Gan, dritte jüdische Gemeinde, die Israelitische wurde. Die Mitglieder, Menschen mit unter- Israel. «Jacob, du übertreibst!» entgegnete Gemeinde Basel, feiert dieses Jahr ihr zwei- schiedlichem jüdischem Hintergrund, haben man ihm jeweils skeptisch, wenn er von seiner hundertjähriges Bestehen. Das Buch, das nun sich zum Ziel gesetzt, der progressiven jüdi- Vergangenheit erzählte. Für seine Enkel hat zu diesem Anlass erschienen ist, erzählt die schen Gemeinschaft in Basel eine Plattform zu Shepetinski seine Erinnerungen dennoch auf- Geschichte einer Minderheit, geprägt vom bieten. Neben dem gemeinsamen Begehen von geschrieben: Aus dem Ghetto geflüchtet, über- Ringen um Integration, von häufig nützlicher Gottesdiensten und der jüdischen Feiertage lebt er eine Massenerschiessung, tritt den Par- Nachbarschaft, aber nur manchmal willkom- stehen die Tradition und das Schaffen einer tisanen bei und wird schliesslich Soldat der menen Menschen. Die Publikation wagt er- jüdisch-geistigen Atmosphäre im Zentrum. So Roten Armee. Nach dem Krieg ist der Alb- folgreich den Spagat zwischen wissenschaftli- werden die Gottesdienste von Frauen wie Män- traum nicht zu Ende. Er wird zu zehn Jahren chem Anspruch und anschaulicher Lektüre für nern geleitet und sind kinderfreundlich gestal- Arbeitslager verurteilt, dann zu fünf Jahren ein breites Publikum. Längere Aufsätze wer- tet. Daneben besitzen die Pflege des sozialen Verbannung. Das Buch ist flüssig geschrieben den ergänzt durch kurze ‹Schlaglichter› zum Lebens und die Weitergabe der jüdischen Kul- – aber nur schon das Lesen ist hart zu ertragen. jüdischen Alltag, zum ersten Zionistenkon- tur einen hohen Stellenwert. Eine Lesegruppe Jacob Shepetinski, ‹Die Jacobsleiter›. Erinne- gress in Basel oder zu Jüdinnen und Juden in trifft sich regelmässig und diskutiert jüdische rungen eines Shoah- und Gulag-Überlebenden. der Politik. Das Buch richtet den Blick auf die Literatur, für Kinder und Jugendliche wird Re- Aus dem Russischen von Michael Anderau. hier ansässige jüdische Gemeinde und öffnet ligionsunterricht angeboten. Pano Verlag, Zürich 2005. 204 S. mit Fotos, Migwan. Forum für progressives Judentum, so den Horizont zur Entdeckung der reichhal- kt., CHF 23.80 www.migwan.org. Freitagabend-Gottesdienst: tigen jüdischen Kultur. Lesung des Autors: Di 31.5., 20.00, Forum für fi ‹Acht Jahrhunderte Juden in Basel›. 200 Fr 3.6., 18.30, Borromäum, Byfangweg 6 Zeitfragen S. 43 Jahre Israelitische Gemeinde Basel. Hg. von Heiko Haumann, Schwabe Verlag Basel, 2005. 313 S. mit 75 Abb., gb., CHF 38 14 | PROGRAMM ZEITUNG | JUNI 2005
Sie können auch lesen