Präventiv und stigmareduzierend?
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Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 58 (4), 2010, 257–264 Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. I.58Conrad et al.: (4) © 2010 Präventiv Verlag und stigmareduzierend? Hans Huber, Hogrefe AG , Bern Themenschwerpunkt Präventiv und stigmareduzierend? Evaluation des Schulprojekts «Verrückt? Na und!» Ines Conrad1, Dirk Heider2, Georg Schomerus3, Matthias C. Angermeyer4 und Steffi Riedel-Heller1,5 1 Selbständige Abteilung Sozialmedizin, Universität Leipzig, 2Gesundheitsökonomie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Leipzig, 3Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, 4Center for Public Mental Health, Gösing am Wagram, 5Public Health, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Leipzig Zusammenfassung. Anliegen: Evaluation der präventiven und stigmareduzierenden Wirkung des eintägigen Schulprojekts «Verrückt? Na und!». Methode: Grundlage bildete ein quasi-experimentelles Längsschnittdesign mit Interventionsgruppe (IG; n = 120) und Kon- trollgruppe (KG; n = 90) zu drei Messzeitpunkten. Es wurden Schüler der Jahrgänge 9 und 10 zu Schulklima, Hilfesuchverhalten und Sozialer Distanz (SD) gegenüber psychisch kranken Menschen befragt. Zusätzlich wurden beteiligte Lehrer befragt. Ergebnisse: Hin- sichtlich der SD konnte ein kurzzeitiger positiver Effekt in der IG nachgewiesen werden. Die Ergebnisse zum Hilfesuchverhalten zeigen, dass im Falle einer seelischen Krise gleichaltrige Freunde an erster Stelle stehen. Schlussfolgerung: Das eintägige Projekt reduziert die SD kurzfristig und wäre somit ein guter Ausgangspunkt für die Implementierung regelmäßiger Aktivitäten. Jugendliche Betroffene können Gleichaltrigen Mut machen, einer seelischen Krise mit weniger Ängsten und Vorurteilen zu begegnen. Schlüsselwörter: Förderung der psychischen Gesundheit, Schule, Jugendliche, Stigma, Evaluation Preventive and Stigma-Reducing? – Evaluation of the School Project «Crazy? So what!» Abstract. Subject: Evaluation of the preventive and stigma-reducing effect of the one-day school-based programme «Crazy? So what!». Methods: With an intervention (n = 120) and control group (n = 90) a quasi-experimental longitudinal control-study was carried out. Year 9 and 10 pupils were surveyed on the topics school climate, help-seeking behaviour and social distance towards mentally ill. Additionally participating teachers were surveyed. Results: There has been a positive, short-term effect on pupils’ social distance. The results referring to help-seeking showed that peers are the first persons pupils would talk to in the case of a mental crisis. Conclusion: The one-day school project reduces social distance for a short time. Therefore it would be a good starting point for the implementation of regular activities. Young people who have experienced mental illness can encourage pupils to face a mental health crisis with more confidence. Keywords: mental health promotion, schools, adolescents, stigma, evaluation Im Grünbuch der EU (European Commission, 2007) zur berer, 2003; Ravens-Sieberer & Thomas, 2003; vgl. auch Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bevölke- Ravens-Sieberer, Wille & Settertobulte, 2007). Neben die- rung in der EU wurde die Prävention psychischer Erkran- sen besorgniserregenden Fakten zeigt die HBSC-Studie kungen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen als ei- aber auch, dass das Familienklima und das Schulklima die nes der wesentlichen Ziele formuliert. Dieser Forderung beiden wichtigsten Schutzfaktoren für die psychische Ge- liegen umfassende Surveys zugrunde, die zeigen, dass die sundheit von Kindern und Jugendlichen sind (Hurrelmann Prävalenz psychiatrischer Probleme wie Depression und et al., 2003). Besonders für die Betroffenen sind persönli- Suizidverhalten im Jugendalter merklich ansteigt (WHO, che und soziale Kompetenzen als Ressourcen von enormer 2005). Nach der «Health Behaviour in School-Aged Child- Bedeutung (Ravens-Sieberer et al., 2007). Deshalb gibt es ren» (HBSC)-Studie der WHO sind in Deutschland 12 bis auch auf nationaler Ebene Aktivitäten, frühzeitige Inter- 20 % der Kinder und Jugendlichen psychisch auffällig, 5 % ventionen zur Prävention psychischer Krankheit in ver- von ihnen brauchen dringend fachkundige Hilfe und 7 bis schiedenen Settings zu verankern. In einigen wenigen eva- 13 % zeigen beobachtungs- und beratungsbedürftige Auf- luierten Präventionsprogrammen, die im schulischen Set- fälligkeiten (Hurrelmann, Klocke, Melzer & Ravens-Sie- ting durchgeführt werden, steht das Thema seelische DOI 10.1024/1661-4747/a000036 Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. 58 (4) © 2010 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
258 I. Conrad et al.: Präventiv und stigmareduzierend? Gesundheit im Mittelpunkt (z. B. MindMatters, 2007; vgl. Dabei sollen folgende Fragestellungen beantwortet wer- auch Holzinger, Dietrich, Heitmann & Angermeyer, 2008). den: Das Schulprojekt «Verrückt? Na und!» zielt auf die För- – Welche Hilfesuchstrategien wenden Schülerinnen und derung der psychischen Gesundheit von Schülern. Ziel des Schüler an? Wurden die Schüler für das Thema «Psychi- seit 2001 von Irrsinnig Menschlich e. V. entwickelten und sche Gesundheit» sensibilisiert und gab es Veränderun- durchgeführten Schulprojekts ist es, Jugendliche für psy- gen bei den Hilfesuchstrategien? chische Gesundheit zu sensibilisieren, Prävention zu för- – Konnte die Stigmatisierung psychisch kranker Men- dern und Offenheit, Verständnis und Toleranz in zwischen- schen, das heißt der Wunsch nach sozialer Distanz, re- menschlichen Beziehungen zu üben. Die Schülerinnen und duziert sowie Ängste und Vorurteile abgebaut werden? Schüler setzen sich mit ihrem eigenen Leben auseinander, lernen Menschen kennen, die psychische Krankheit erlebt Darüber hinaus soll geklärt werden, ob es Unterschiede haben, und erfahren, was sie für ihre eigene seelische Ge- oder Hinweise auf modifizierende Einflüsse hinsichtlich sundheit tun können. «Verrückt? Na und!» richtet sich an des Schultyps, des Schulklimas und geschlechtstypischer 15- bis 20-jährige Jugendliche, dauert mindestens einen Aspekte gibt. Schultag und findet in der Schule statt. Das Schulprojekt- Es sollte außerdem ermittelt werden, ob bei den betei- team besteht aus Moderatoren (Sozialarbeiter, Journalisten, ligten Lehrern ein Weiterbildungsbedarf an dem Thema Mitarbeiter der Psychiatrie u. a.) und Experten in eigener «Psychische Gesundheit/Krankheit» besteht und wie sie Sache, das heißt Menschen, die psychische Krankheit er- das Projekt beurteilen. fahren haben (Schizophrenie, bipolare Störung, Depres- sion; www.verrueckt-na-und.de). Konkret läuft das Projekt wie folgt ab: Zu Beginn werden die Schüler in einem freien Gespräch für die Thematik Psy- Methodik chische Gesundheit/Krankheit sensibilisiert, indem an ihrem Erleben, an ihren Lebenserfahrungen angeknüpft wird (Prü- Stichprobe fungen, Jobsuche, Praktikum im Altenheim, Probleme Zuhau- se, Erfahrungen mit Drogen, Alkohol usw.). Die Schüler set- Die vier sächsischen Schulen, an denen im Zeitraum Juli zen sich mit ihren eigenen Vorstellungen und Erfahrungen mit bis Oktober 2006 vom Verein Irrsinnig Menschlich e. V. ein psychischer Gesundheit/Krankheit auseinander: Was für sie Projekt durchgeführt werden sollte, wurden vorab ange- verrückt ist, welche Vorstellungen sie von psychisch kranken schrieben mit der Bitte um Teilnahme an der geplanten Menschen und Psychiatrie haben und woher diese stammen. Evaluation. Dies betraf einerseits die Klassen, in denen das Sie lernen ihre Einstellungen kennen und hinterfragen, ob ihre Projekt durchgeführt wurde (IG), und andererseits die in Informationsquellen glaubwürdig sind und ob sie Wissenslü- drei Schulen vorhandenen Parallelklassen (KG). Das Ein- cken haben. Im zweiten Teil des Projekts «Glück und Krisen verständnis lag vom jeweiligen Regionalschulamt, den Di- gehören zum Leben eines jeden Menschen» setzen sich die rektoren der Schulen, den Eltern der Schüler sowie von den Schüler in Kleingruppen mit ihrem Selbstbild und ihren Vor- Schülern selbst vor. Es beteiligten sich alle Schülerinnen stellungen vom Leben auseinander. Die Schüler versuchen un- und Schüler der IG und KG an der Evaluation, es gab keine ter anderem die folgenden Fragen zu klären: Fühle ich mich Ablehnungen. Es handelt sich bei der Stichprobe um keine in meiner Klasse wohl? Was könnte ich einbringen, dass es randomisierte Auswahl. Es wurden alle Schulen in die Be- besser in meiner Klasse wird? Wer kann mir in einer Krise fragung einbezogen, die sich in einem vorab definierten helfen? Was wünsche ich mir für mein Leben? Welche Belas- Zeitraum an dem Projekt beteiligten. Von Juli 2006 bis Feb- tungen können mich aus der Bahn werfen? Was tut mir gut? ruar 2007 wurden insgesamt 210 Schüler befragt. Davon Anschließend stellen die Gruppen ihre Arbeit in der Klasse zur nahmen 120 Schüler an dem Projekt teil (Interventions- Diskussion. Im dritten Teil des Projekts lernen die Schüler gruppe). Die Kontrollgruppe (Parallelklassen der IG) be- Menschen kennen, die psychische Krankheit erfahren haben. stand aus 90 Schülern. Die Befragung erfolgte an jeweils 2 Erst zu diesem Zeitpunkt erfahren sie auch, dass derjenige Gymnasien (Klassenstufe 10) und 2 Mittelschulen (Klas- psychisch krank war bzw. ist. Im Gespräch können die Schüler senstufen 9 und 10), die sowohl im städtischen als auch im ihre Ein- und Vorstellungen überprüfen und versuchen zu be- ländlichen Raum angesiedelt waren. Die Befragung der greifen, wie sich eine psychische Erkrankung auswirkt. Au- Schüler erfolgte zu drei Zeitpunkten: Etwa eine Woche vor ßerdem erhalten die Schüler Informationen über die Erkran- Durchführung des Schulprojekts (t1; IG n = 120/KG n = kung (Ursachen, Verbreitung, Behandlung usw.) und zum Hil- 90), unmittelbar danach (t2; IG n = 113/KG n = 46) und fesystem für Menschen mit psychischen Krisen. etwa 3 Monate später (t3; IG n = 57/KG n = 9). Die Frage- Eine erste Evaluation 2003 beschränkte sich auf die stig- bögen der Schüler wurden pseudonomisiert, um somit die mareduzierende Wirkung des Schulprojekts (Schulze, Fragebögen der drei Befragungszeitpunkte den Schülern Richter-Werling, Matschinger & Angermeyer, 2003). Da zuordnen zu können. sich der Fokus des Projekts inzwischen erweitert hat, soll Zusätzlich wurden die beteiligten Lehrerinnen (n = 4) nun neben der stigmareduzierenden auch die präventive einmalig unmittelbar nach der Durchführung des Schulpro- Wirkung des Projekts für die Schüler untersucht werden. jekts befragt. Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. 58 (4) © 2010 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
I. Conrad et al.: Präventiv und stigmareduzierend? 259 Instrumente heitsprobleme erreicht wurde (Antwortmöglichkeiten: «Ja», «Nein», «Weiß nicht»). Für die Befragung der Schüler wurden die folgenden In- strumente zu allen drei Zeitpunkten eingesetzt: – Erfassung des Hilfesuchverhaltens: Help-Seeking Ques- Analysen tionnaire (Australian Government Department of Health and Ageing, 2007); Die Auswertung der mit standardisierten Fragebögen er- fassten Daten erfolgte zunächst deskriptiv auf der Grund- – Erfassung der sozialen Distanz (z. B. «Wenn mein Bank- lage von Häufigkeitsverteilungen mit dem Ziel, interven- nachbar psychisch krank wäre, würde ich mich lieber tionsbedingte Unterschiede in den Einstellungen herauszu- wegsetzen.»/«Einer, der psychisch krank ist, gehört arbeiten. Zur Überprüfung der genannten Fragestellungen nicht auf eine normale Schule.»), negativer Stereotype wurden zweiseitige t-Tests für unabhängige Stichproben (z. B. «Jemand, der psychisch krank ist, rastet bei jeder durchgeführt. Kleinigkeit aus.»/«Wenn jemand psychisch erkrankt, ist Ergänzend wurden Random-Effects-Regressionsmodel- er meistens selbst schuld daran.») und wahrgenommener le eingesetzt. Diese Modelle erlauben die Unterscheidung Stigmatisierung (z. B. «Die meisten Erwachsenen haben von Effekten, die auf Merkmalsunterschiede zwischen den Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten.»/«Jemand, Schülern zurückzuführen sind (between Effekte) und Ef- der psychisch krank ist, hat Schwierigkeiten einen Aus- fekten, die auf die Veränderung von Merkmalen der Schü- bildungsplatz zu finden.»): Fragebogen zur sozialen ler im Zeitverlauf zurückzuführen sind (within Effekte). Distanz (25 Items, Fünf-Punkt-Likertskala: «Stimme Als abhängige Variable diente die soziale Distanz gegen- voll und ganz zu» = 1; «Stimme überhaupt nicht zu» = über psychisch Kranken. Der Untersuchungszeitpunkt 5; Schulze et al., 2003). wurde in Form von Dummy-Variablen als unabhängige Va- riable in das Modell aufgenommen. Es wurden dabei zwei Zudem wurden soziodemografische Merkmale (Alter, Ge- Dummy-Variablen zur Kodierung der drei Zeitpunkte ver- schlecht, Schultyp) erhoben. Zum ersten Zeitpunkt der Be- wendet. fragung wurde außerdem das Schulklima mit Hilfe des Lin- Die Regression für die Soziale Distanz (hoher Wert = zer Fragebogens zum Schul- und Klassenklima LFSK 8–13 höhere Soziale Distanz (SD), d. h. stärkerer Wunsch nach (Eder, 1997) erfasst. Darüber hinaus erfolgte eine Bewer- SD gegenüber psychisch Kranken) erfolgte unter Kontrolle tung des Schulprojekts durch die IG unmittelbar nach der folgenden Variablen: Durchführung des Projekts. Die beteiligten Schüler wurden – Gruppe (0 = Kontrollgruppe; 1 = Untersuchungsgrup- gefragt, ob sie sich jetzt besser auskennen in Sachen psy- pe) chische Gesundheit und Krankheit und ob sie über be- – Zeitpunkt der Befragung (0 = t1; 1 = t2; 2 = t3) stimmte Themen gern mehr erfahren würden (falls «Ja», – Geschlecht (0 = weiblich; 1 = männlich) über welche Themen). Vier abschließende Fragen (Fünf- – Schultyp (1 = Mittelschule; 2 = Gymnasium) Punkt-Likertskala: «Trifft voll und ganz zu» = 1; «Trifft überhaupt nicht zu» = 5) bezogen sich speziell auf die Ex- perten des Moderatorenteams (Menschen, die von psychi- scher Krankheit betroffen sind bzw. waren), um zu über- Ergebnisse prüfen, inwieweit dieser Ansatz des direkten Kontakts mit einem Betroffenen sich auf die Einstellungen der Schüler Schüler auswirkt: a. Ich war überrascht zu erfahren, dass derjenige psychisch Ausgangssituation krank war. b. Es hat mir Mut gemacht zu sehen, dass man derartige Das Alter der Schüler lag zum ersten Zeitpunkt der Befra- Krisen überstehen kann. gung (t1) zwischen 13 und 18 Jahren, wobei die Mehrheit c. Käme ich in eine solche Situation, wüsste ich nun besser (91.9 %) 15 bzw. 16 Jahre alt war. 48.6 % der befragten damit umzugehen. Schüler besuchten ein Gymnasium. Auch die Geschlech- terverteilung war ausgewogen (s. Tabelle 1). d. In einer ähnlichen Situation könnte derjenige für mich ein Vorbild sein. Schulklima Die Lehrer wurden nach der Durchführung des Projekts Zur Stimmung an ihrer Schule sowie zum Verhältnis zu nach ihrer Meinung zum Schulprojekt und ihrem Weiter- ihren Lehrern befragt, gaben zwei Drittel aller befragten bildungsbedarf gefragt (offene Fragen). Außerdem wurde Schüler an, dass sie sich an ihrer Schule (eher) individuell erfasst, ob sie schon einmal etwas über psychische Erkran- und persönlich behandelt fühlen. Für 3.8 % traf dies über- kungen gehört oder gelesen haben, ob sie jemanden ken- haupt nicht zu: Sie gaben an, sich (eher) anonym und wie nen, der psychisch krank ist und ob ihrer Meinung nach eine Nummer behandelt zu fühlen. Die restlichen Befrag- eine Sensibilisierung der Schüler für psychische Gesund- ten gaben «teils, teils» an. Mehr als die Hälfte (57.2 %) aller Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. 58 (4) © 2010 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
260 I. Conrad et al.: Präventiv und stigmareduzierend? Tabelle 1 Stichprobencharakteristika (t1) Gesamt IG KG p N = 210 n = 120 n = 90 Soziodemografie Alter (m) 15.6 15.5 15.7 0.006 Geschlecht weiblich (%) 49.0 50.0 47.8 ns Schultyp Mittelschule (%) 51.4 55.0 46.7 ns Schulklima Verhältnis zu Lehrern ns sehr gut/gut (%) 57.2 54.4 62.1 teils/teils (%) 35.6 40.4 27.3 schlecht/sehr schlecht (%) 7.2 5.2 10.6 Stimmung an Schule (m) ns gedrückt vs. heiter1 3.6 3.6 3.7 angstbesetzt vs. angstfrei2 3.9 3.9 3.8 Beurteilung der Lehrer (m) ns unfreundlich vs. freundlich3 3.8 3.8 3.8 wenig helfend vs. helfend4 3.8 3.8 3.8 wenig einsichtig vs. einsichtig5 3.3 3.4 3.2 6 intolerant vs. tolerant 3.4 3.4 3.4 distanziert vs. entgegenkommend7 3.6 3.6 3.5 Hilfesuchverhalten mit jemanden reden, wenn in seelischer Krise ns nein (%) 4.4 3.4 5.8 vielleicht/wahrscheinlich (%) 44.3 45.7 42.0 ja (%) 51.3 50.9 52.2 mit wem reden (%) ns bester Freundin 81.0 80.2 82.4 bestem Freund 45.4 48.3 40.6 Mutter 46.5 46.6 46.4 Vater 26.5 25.0 29.0 Schwester/Bruder 33.5 29.3 40.6 Großeltern 19.5 19.8 18.8 anderen Erwachsenen 9.2 7.8 11.6 Lehrer 5.9 5.2 7.2 Vertrauenslehrer 5.4 6.9 2.9 Soziale Distanz (m) 2.34 2.38 2.30 ns Anmerkungen: 11 = gedrückt, lustlos, 5 = heiter, fröhlich; 21 = angstbesetzt, 5 = angstfrei; 31 = unfreundlich, 5 = freundlich; 41 = wenig unter- stützend, wenig helfend, 5 = unterstützend, helfend; 51 = wenig einsichtig, wenig verständnisvoll, 5 = einsichtig, verständnisvoll; 61 = intolerant, wenig nachsichtig, 5 = tolerant, nachsichtig; 71 = unnahbar, distanziert, 5 = entgegenkommend. befragten Schülerinnen und Schüler beurteilten das Ver- an der Schule wurde von den befragten Schülern eher po- hältnis zu ihren Lehrern als gut bzw. sehr gut. Deutliche sitiv eingeschätzt. Es zeigte sich wiederum, dass die Schü- Unterschiede im Antwortverhalten gab es zwischen Be- ler der Mittelschule die Stimmung an ihrer Schule schlech- fragten der Mittelschulen und der Gymnasien, wobei die ter bewerteten als die Schüler der Gymnasien (p = .010). Mittelschüler das Verhältnis zu ihren Lehrern schlechter Die Beurteilung der Lehrer durch die Schüler fiel im All- beurteilten (p = .0001). Die geschlechtsspezifische Analy- gemeinen recht positiv aus. Von der Mehrheit der befragten se zeigte, dass Mädchen das Verhältnis zu ihren Lehrern Schüler wurden die Lehrer als freundlich, unterstützend besser beurteilten als die Jungen (p = .010). Die Stimmung und entgegenkommend beurteilt. Allerdings fiel auch für Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. 58 (4) © 2010 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
I. Conrad et al.: Präventiv und stigmareduzierend? 261 einige Aspekte die Bewertung durch die Schüler der Mit- Tabelle 2 telschule wiederum etwas schlechter aus: Sie empfanden Anteil der Schüler, die mit einem Lehrer reden würden dif- ihre Lehrer als weniger unterstützend (p = .001) und ferenziert nach IG und KG freundlich (p = .050) im Vergleich zu den befragten Gym- Gruppe Zeitpunkt 1 Zeitpunkt 2 Zeitpunkt 3 nasiasten. Auch die geschlechtsspezifische Analyse ergab KG (%) (n) 7.4 (5) 0 (0) 0 (0) zwei Unterschiede: Die befragten Schüler schätzten ihre Lehrer als weniger unterstützend (p = .010) und entgegen- IG (%) (n) 5.2 (6) 10.6 (12) 17.9 (10) kommend (p = .010) ein im Vergleich zu den befragten p ns .020 ns Schülerinnen. Zeitpunkt 2, das heißt unmittelbar nach Durchführung des Hilfesuchverhalten Projekts, 10.6 % der IG (KG: 0 %). Nach drei Monaten würden 17.9 % der IG (KG: 0 %) mit ihrem Lehrer reden. Allen an der Befragung beteiligten Schülern wurde ein Car- Für die anderen Hilfsquellen waren keine signifikanten toon gezeigt, in welchem sich ein Mädchen (Cartoon für Veränderungen festzustellen. Schülerinnen) bzw. ein Junge (Cartoon für Schüler) in einer seelischen Krise befinden. Die Schüler wurden im An- Soziale Distanz schluss gefragt, wie ernst sie die dargestellte Situation ein- schätzen. 65.6 % aller Befragten schätzten die Situation Für das Konstrukt Soziale Distanz (SD) zeigte sich ein signi- ziemlich bzw. sehr ernst ein. 29.1 % ein bisschen ernst und fikanter Zusammenhang (s. Tabelle 3): Die SD der IG war nur 4.3 % überhaupt nicht ernst. Etwa die Hälfte (51.3 %) zum Zeitpunkt 2 der Befragung, das heißt unmittelbar nach aller Befragten würden mit jemandem reden, wenn sie in Durchführung des Schulprojekts, geringer als zum Zeitpunkt einer seelischen Krise wären. Danach wurden die Schüler 1. Es konnte somit zwar ein positiver Effekt des Projekts auf gefragt, mit wem sie reden würden, falls sie in einer solchen die SD nachgewiesen werden, allerdings zeigte sich dieser Situation wären. An erster Stelle standen die beste Freun- Zusammenhang nicht mehr zum dritten Befragungszeitpunkt din bzw. der beste Freund. Es folgten Personen aus dem (3 Monate nach Durchführung des Projekts). innerfamiliären Kreis: Mutter (53.3 % der Mädchen, Zwei weitere signifikante Unterschiede hinsichtlich der 39.8 % der Jungen), Vater (20.7 % der Mädchen, 32.3 % SD ergaben sich zwischen den Geschlechtern sowie Schul- der Jungen), Geschwister und Großeltern. Wobei Letztere typen: Jungen zeigen eine höhere SD als Mädchen und von einem geringeren Anteil der Befragten angegeben wur- Gymnasiasten zeigen eine geringere SD als Schüler der den. Lehrer, Arzt (4.9 %), Schulpsychologe (1.6 %), Bera- Mittelschule. ter außerhalb der Schule (2.2 %) oder die Kinder-Hotline (2.7 %) spielten nur eine untergeordnete Rolle. Tabelle 3 Random-Effects-Regression für Soziale Distanz Soziale Distanz (SD) Coef. P > |Z| [95 % CI] Die SD, das heißt der Wunsch nach sozialer Distanz gegen- Gruppe (KG*) über einem psychisch kranken Menschen, lag mit einem IG .042 0.673 –.153 .236 Mittelwert von 2.34 im mittleren Bereich. Es gab keine sig- Zeitpunkt (t1*) nifikanten Unterschiede zwischen Kontroll- und Interven- t2 .148 0.108 –.033 .330 tionsgruppe. Die Schüler wurden in dem Zusammenhang gefragt, ob Zeitpunkt (t1*) sie bereits etwas über psychische Erkrankungen gehört/ge- t3 –.050 0.755 –.363 .263 lesen haben. Zwei Drittel (66.5 %) antworteten mit «Ja». Gruppe × Zeitpunkt t2 –.405 0.000 –.612 –.198 Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen IG und Gruppe × Zeitpunkt t3 .071 0.684 –.270 .411 KG. Die Mehrheit hatte dies in Fernsehen, Film, Internet, Geschlecht (Weiblich*) Zeitschriften getan. Auf die Frage, ob sie jemanden ken- Männlich .387 0.000 .217 .557 nen, der psychisch krank ist, antworteten etwa zwei Drittel Schultyp (Mittelschule*) (62.3 %) der KG und 53.9 % der IG mit «Ja». Gymnasium –.303 0.001 –.476 –.131 Konstante 2.597 0.000 2.269 2.924 Veränderungen im Zeitverlauf Anmerkungen: *Referenzkategorie. Hilfesuchverhalten Beurteilung des Projekts durch Ein signifikanter Zusammenhang zeigte sich differenziert Interventionsgruppe für KG und IG im Zeitverlauf (s. Tabelle 2): Würden zum Zeitpunkt 1 der Befragung lediglich 5.2 % der IG (KG: Die Interventionsgruppe wurde zum Zeitpunkt 2 der Befra- 7.4 %) mit einem Lehrer reden wollen, so waren es zum gung (unmittelbar nach Durchführung des Projekts) gebe- Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. 58 (4) © 2010 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
262 I. Conrad et al.: Präventiv und stigmareduzierend? ten, das Schulprojekt zu beurteilen. Die beteiligten Schüler heitsprobleme erreicht wurde und ihnen Informationen zu wurden gefragt, ob sie sich jetzt besser auskennen in Sa- möglichen Hilfsstrategien vermittelt werden konnten. chen psychische Gesundheit und Krankheit: 95.5 % ant- An einer Weiterbildung zum Thema Psychische Ge- worteten mit «Ja». Etwa zwei Drittel (63.2 %) gaben an, sundheit/Psychische Krankheit waren alle Lehrerinnen in- dass sie gern mehr erfahren würden über das Thema psy- teressiert. Konkret genannt wurden die folgenden Themen: chische Gesundheit/Krankheit. Vorrangig waren die Schü- Möglichkeiten für Lehrerinnen zum Helfen bei psychi- ler an Informationen zu den in der Diskussion vom Exper- schen Erkrankungen; Krankheitsbilder und Hilfsstrategien; ten thematisierten Erkrankungen interessiert (Schizophre- ADS/ADHS, psychische Erkrankungen, die den Ort Schule nie, Depression, bipolare Störung). Weitere Themen betreffen. waren: Aufbau einer Klinik, wie diese funktioniert; Infor- Die Lehrerinnen bestätigten, dass sie sich jetzt besser mationen zu anderen Krankheitsbildern (z. B. Bulimie); auskennen würden mit dem Thema. Drei der beteiligten Drogen und deren Auswirkungen; Leben von psychisch Lehrerinnen, die auch einen psychisch kranken Menschen Kranken und deren Familie/Kinder; Vererbung und Hei- persönlich kannten, hatten bereits zuvor etwas über psychi- lung psychischer Erkrankungen; Hilfsangebote. sche Erkrankungen gehört oder gelesen. Die vier abschließenden Fragen bezogen sich speziell auf die Experten des Moderatorenteams (Menschen, die von psychischer Krankheit betroffen sind bzw. waren). Es zeigte sich bei diesen konkreten Fragen, dass das Projekt einen Einfluss auf die Selbstwirksamkeitserwartung der IG Diskussion zu haben scheint und die Experten durchaus Vorbildcharak- ter für die Schüler haben. Mehr als die Hälfte der Befragten Ein großer Teil bereits existierender Interventionen im Be- war überrascht zu erfahren, dass der Experte psychisch reich seelische Gesundheit ist bisher nicht auf seine Wirk- krank ist (60.9 %). Für 84.6 % der Schüler traf es voll und samkeit und Nachhaltigkeit evaluiert worden. Dabei bildet ganz bzw. etwas zu, dass der Betroffene ihnen Mut gemacht erst eine Evaluierung dieser Programme eine solide Grund- hat. Jeweils drei Viertel der befragten Mädchen und Jungen lage für eine flächendeckende Implementierung. gaben an, dass er für sie ein Vorbild sein könnte (Antwort Die Ergebnisse der Evaluation des Schulprojekts «Ver- «trifft voll und ganz zu» bzw. «trifft etwas zu»). Und rückt? Na und!» zeigten hinsichtlich des Hilfesuchverhal- 73.7 % gaben an, dass sie mit einer solchen Situation jetzt tens, dass im Falle einer seelischen Krise bei der Mehrheit besser umgehen könnten. Es zeigten sich keine Unterschie- der Befragten gleichaltrige Freunde an erster Stelle stehen. de hinsichtlich Geschlecht und Schultyp. Auch sonst scheint der innerfamiliäre Kreis eine bedeuten- dere Rolle zu spielen. Nur ein geringer Anteil der Befragten würde sich in einer solchen Situation an Lehrer, Ärzte, Psy- chologen oder andere Berater wenden, was sich im Zeit- Beurteilung des Projekts durch Lehrerinnen verlauf – abgesehen für die Gruppe der Lehrer – auch nicht änderte. Dies korrespondiert mit den Ergebnissen ähnlicher Unmittelbar nach der Durchführung des Projekts (Zeit- Untersuchungen in der internationalen Literatur. Auch hier punkt t2) wurden die teilnehmenden Lehrerinnen gebeten, konnte belegt werden, dass nur ein geringer Anteil der Ju- das Schulprojekt zu beurteilen. Positiv wurde von den Leh- gendlichen mit Erwachsenen über einen Freund, der Prob- rerinnen unter anderem die Einbeziehung der Schüler, das leme hat, sprechen würde (Brent et al., 1988; Clark, 1993; Anregen von Offenheit und Gefühle zu zeigen, der Gegen- Hodgson, Feldman, Corber & Quinn, 1986; Kalafat, Elias stand des Projekts an sich, die offenen Gespräche und Er- & Gara, 1993; King, 2001; Offer, Howard, Schonert & Ost- fahrungsberichte der Betroffenen und damit verbundene rov, 1991; Ross, 1985; Shafii et al., 1984). Dies macht Einblicke in eine andere Welt sowie die Gruppenarbeit her- nochmals deutlich, dass es umso wichtiger ist, Kinder und vorgehoben. Nach Meinung der Lehrerinnen regte das Pro- Jugendliche für diese Thematik zu sensibilisieren. Sie wür- jekt zum Nachdenken über psychische Krankheit und Vor- den sowohl davon profitieren, falls sie selbst in eine seeli- urteile an. sche Krise geraten sollten, als auch ihre Freunde, falls diese Einige Aspekte erschienen den Lehrerinnen noch ver- mit ihnen darüber sprechen würden (vgl. auch Centers for besserungswürdig: Ihrer Ansicht nach sollten mehr Infor- Disease Control, 1992). Trotzdem sollten Eltern, Lehrer mationen über konkrete Krankheitsbilder sowie über Ursa- und andere Erwachsene aus dem innerfamiliären sowie au- chen von psychischen Erkrankungen gegeben werden. Au- ßerfamiliären Umfeld für dieses wichtige Thema sensibili- ßerdem sollten Fachbegriffe erklärt werden, da es oft siert werden. Das zeigen unter anderem die Weiterbil- Unklarheiten bei den Schülern gab. Ein weiterer Punkt war, dungswünsche der befragten Lehrer. Es scheint nicht von mehr auf jugendliche Probleme einzugehen und es wurde geringer Bedeutung zu sein, dass die Klassenlehrer am Pro- hervorgehoben, dass solche Projekte unbedingt handlungs- jekt teilnahmen und somit ebenfalls für dieses Thema sen- orientiert sein sollten. sibilisiert wurden. Offensichtlich ermutigt diese Tatsache Alle beteiligten Lehrerinnen waren der Meinung, dass auch einige Schüler, ihre Lehrer als mögliche Ansprech- eine Sensibilisierung der Schüler für psychische Gesund- partner im Falle einer seelischen Krise in Betracht zu zie- Z. Psychiatr., Psychol. Psychother. 58 (4) © 2010 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
I. Conrad et al.: Präventiv und stigmareduzierend? 263 hen. Das macht es umso wichtiger, die Lehrer für diesen Planung und Umsetzung des Projekts Beachtung finden Fall vorzubereiten. sollten. Hinsichtlich der sozialen Distanz konnte zwar ein posi- Obwohl es sich bei dem Schulprojekt «Verrückt? Na tiver Effekt des Projekts in der IG nachgewiesen werden und!» lediglich um eine eintägige Veranstaltung handelt, (vgl. auch Desforges et al., 1991; Meise et al., 2000; Pinfold konnten trotzdem Effekte sowohl auf das Hilfesuchverhal- et al., 2003; Schulze et al., 2003; Sulzenbacher, Schmid, ten als auch auf die SD nachgewiesen werden. Allerdings Kemmler, De Col & Meise, 2002). Allerdings war dieser war der Effekt auf die SD nur von geringer Dauer. Dieses Effekt nur von kurzer Dauer. Zum dritten Untersuchungs- Ergebnis bekräftigt nochmals die Notwendigkeit langfris- zeitpunkt, drei Monate nach Durchführung des Projekts, tiger und komplexer Ansätze, die sowohl das gesamte Um- konnten keine signifikanten Zusammenhänge mehr festge- feld der Schülerinnen und Schüler einbeziehen als sich stellt werden. Hier zeigt sich, dass es offensichtlich leichter auch mit bereits bestehenden Projekten und Programmen ist, Stereotype zu verändern als Verhaltensdispositionen vernetzen. wie den Wunsch nach SD (vgl. auch Holzinger et al., 2008; Kritisch anzumerken ist, dass aufgrund der kleinen Schachter et al., 2008). Stichprobe und der Art des Samples eine Verallgemeine- Hinsichtlich der Bewertung des Projekts durch die be- rung der Ergebnisse sicher nur begrenzt möglich ist. Wei- fragten Schüler der IG belegen die Ergebnisse, dass einem terführende Untersuchungen zu diesem Forschungsgegen- relativ großen Anteil der befragten Schüler der Betroffene stand scheinen daher notwendig. Auch erfolgte die Follow- Mut machen konnte, für sie ein Vorbild sein könnte und sie up-Erhebung drei Monate nach Durchführung der mit einer solchen Situation jetzt besser umgehen könnten. Intervention mit einer eher geringen Rücklaufquote, so Somit scheint das Schulprojekt bzw. der Kontakt mit einem dass nur bedingt Aussagen zur Nachhaltigkeit der erzielten Betroffenen auch eine positive Auswirkung auf die Selbst- Effekte getroffen werden können. wirksamkeitserwartung zu haben. Auch in anderen Studien zeigten sich positive Effekte (u. a. auf Stigmatisierung (Ng & Chan, 2002), Wissen und Hilfesuchverhalten (Rickwood, Cavanagh, Curtis & Sak- Fazit rouge, 2004)) nach dem Kontakt der Schüler mit psychisch Die Evaluation des eintägigen Schulprojekts «Verrückt? kranken Menschen (vgl. Schachter et al., 2008). Na und!» zeigt, dass mit Hilfe des Ansatzes Aufklärung und Das Schulklima – als ein wichtiger Schutzfaktor für die Kontakt der Wunsch nach sozialer Distanz gegenüber psy- psychische Gesundheit – wurde von der Mehrheit der Be- chisch kranken Menschen bei Schülern reduziert werden fragten als gut eingeschätzt. Auch andere Untersuchungen kann. Jugendliche Betroffene können Schülern Mut ma- ergaben, dass sich ein von den Schülern als positiv erlebtes chen, einer seelischen Krise mit weniger Ängsten und Vor- Klassenklima günstig auf ihr psychisches und physisches urteilen zu begegnen. Allerdings sind diese Effekte nur von Befinden auswirkt (Satow, 1999). Die Analysen zum kurzer Dauer, so dass umfassendere und längerfristige Prä- Schulklima ergaben jedoch deutliche Unterschiede zwi- ventionsmaßnahmen notwendig sind. Hinsichtlich des Hil- schen den beiden Schultypen, wobei die Bewertungen der fesuchverhaltens zeigt die Evaluation, dass Peers und der befragten Schüler der Mittelschulen schlechter ausfielen innerfamiliäre Kreis die entscheidenden Ansprechpartner als die der befragten Gymnasiasten. Dies deckt sich unter im Falle einer seelischen Krise sind. anderem mit Ergebnissen einer aktuellen Studie (Bilz, 2008). Diese zeigt, dass Haupt- und Realschüler das Klima an ihren Schulen wesentlich schlechter einschätzen als Gymnasialschüler, sich überforderter fühlen als Gymna- Literatur siasten und häufiger Erfahrungen mit Ausgrenzung und Mobbing durch Mitschüler haben. Das sind Risikofaktoren Australian Government Department of Health and Ageing. für psychische Beschwerden wie Ängste, Depressionen (2007). Research and consultation among young people on und psychosomatische Probleme. Beides kommt bei Schü- mental health issues: Final report 1997. 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